Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika – Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen (Aktualisierte Neuausgabe) - Peter Lehmann - E-Book

Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika – Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen (Aktualisierte Neuausgabe) E-Book

Peter Lehmann

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Beschreibung

Die durchschnittliche Lebenserwartung psychiatrischer Patienten ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um 25 Jahre verringert. Sie sind Arzt, Angehöriger oder Patient und wollen sich also rasch und genau informieren über die Wirkungen der modernen Psychopharmaka, die verordnet oder geschluckt werden, über eventuelle Minimaldosierung, Placebo-Effekte und Alternativen: Lesen Sie dieses Buch! +++ Neue Antidepressiva und Neuroleptika (Antipsychotika) und sogar moderne Elektroschocks gelten als verträglicher und wirksamer als die herkömmlichen Substanzen und Methoden. Dass dies eine marktgerechte Unwahrheit ist, erfahren Sie von Abilify über Cipralex und Fluoxetin bis Zyprexa detailliert im Buch. +++ Im Hauptteil klärt Peter Lehmann umfassend und für jeden verständlich über die Risiken und Schäden auf, geordnet nach Häufigkeit, Gefahren in Schwangerschaft und Stillzeit sowie Hinweisen, bei welchen Symptomen sofort zu reduzieren oder abzusetzen ist. Hierzu bedient sich der Autor der Informationen der Pharmaindustrie an die verordnenden Ärzte. Weitere Kapitel widmet er den Frühwarnzeichen, mit denen sich chronische und lebensbedrohliche Schäden ankündigen, der Wiederkehr des Elektroschocks und jetzt schon existierenden Alternativen. +++ Der erfahrene Arzt und Psychotherapeut Dr. med. Josef Zehentbauer beschreibt die alternativen Möglichkeiten allgemeinärztlicher Begleitung. Sein Schweizer Kollege Dr. med. Marc Rufer weist anhand von unkontrollierbaren Placebo-Effekten die Fragwürdigkeit von Wirksamkeitsstudien nach. Der Psychiater Dr. med. Volkmar Aderhold zeigt, wie sich Neuroleptika notfalls minimal dosieren lassen und welche Kontrolluntersuchungen zu Beginn und im weiteren Verlauf der Einnahme unbedingt erforderlich sind. In einem gemeinsamen Schlusskapitel geben die Autoren Hinweise zum Absetzen, insbesondere bei auftretenden Schlafproblemen.

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Seitenzahl: 435

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Peter Lehmann · Volkmar Aderhold · Marc Rufer · Josef Zehentbauer

Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika

Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen

Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks

Aktualisierte Neuausgabe

Geleitworte von Andreas Heinz und Peter & Sabine Ansari

Medizinjuristisches Nachwort von Marina Langfeldt

Peter Lehmann Publishing

Impressum

»Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika« erschien original 2017 als gedrucktes Buch (ISBN 978-3-925931-68-0).

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Gebrauchs- und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.

Die Autorinnen und Autoren und der Verlag gehen davon aus, dass die Informationen und Angaben in diesem Buch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (Stichtag: 15. März 2022) korrekt und vollständig sind. Für den Inhalt des Werkes einschließlich etwaiger fehlerhafter Äußerungen übernehmen sie, implizit oder ausdrücklich, keine Gewähr.

Umschlaggestaltung: Paula Kempker

© 2022 Peter Lehmann. Alle Rechte vorbehalten.

Die Rechte für die einzelnen namentlich gezeichneten Originalbeiträge liegen bei den Autorinnen und Autoren. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags und der Autorinnen und Autoren. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Bearbeitungen, Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung und Einspeicherung in elektronischen Systemen.

Berlin / Lancaster: Peter Lehmann Publishing 2022

www.peter-lehmann-publishing.com · www.antipsychiatrieverlag.de

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-98510-608-0 (eBook) · ISBN 978-3-925931-68-0 (Printausgabe)

Inhaltsverzeichnis
Innentitel
Impressum
Rechtlicher Hinweis
Geleitworte
Geleitwort von Peter und Sabine Ansari
Geleitwort von Andreas Heinz
Vorwort von Peter Lehmann
Risiken und Schäden neuer Antidepressiva und atypischer Neuroleptika (Peter Lehmann)
Die Wirkung von Psychopharmaka auf das zentrale Nervensystem
Besondere Risiken
Zu den Häufigkeitsangaben von Risiken und Schäden
Verkaufsfördernde Faktoren
Lesehinweis
Neue Antidepressiva
Agomelatin
Bupropion
Citalopram
Dapoxetin
Duloxetin
Escitalopram
Fluoxetin
Fluvoxamin
Milnacipran
Mirtazapin
Paroxetin
Reboxetin
Sertralin
Tianeptin
Venlafaxin
Vortioxetin
Referenz-Antidepressivum Imipramin
Antidepressiva in der Erprobung
Seltene und sehr seltene Schäden bei neuen Antidepressiva
Herkömmliche oder neue Antidepressiva?
Atypische Neuroleptika
Erwünschte Ruhigstellung
Amisulprid
Aripiprazol
Asenapin
Brexpiprazol
Cariprazin
Clozapin
Loxapin
Lurasidon
Olanzapin
Paliperidon
Quetiapin
Risperidon
Sertindol
Sulpirid
Ziprasidon
Referenz-Neuroleptikum Haloperidol
Neuroleptika in der Erprobung
Seltene und sehr seltene Schäden bei atypischen Neuroleptika
Herkömmliche oder atypische Neuroleptika?
Frühwarnzeichen chronischer und lebensgefährlicher Schäden
Delire
Entzugserscheinungen und Chronifizierung von Depressionen
Entzugserscheinungen und Chronifizierung von Psychosen
Suizidalität
Hirnstörungen und Hirnschäden
Allergische Reaktionen
Augenschäden
Hormon- und Sexualstörungen
Herzschäden
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
Leberschäden
Blutdruck- und Gefäßstörungen
Zahnschäden
Nierenschäden
Muskelschäden
Wiederkehr des Elektroschocks
Wirkungsweise moderner Elektroschocks
Indikationen
Kontraindikationen
Unerwünschte Wirkungen
Schwangerschaftsrisiken und -schäden bei Elektroschocks
Probleme mit dem Beenden von Elektroschock-Serien
Chronische und lebensgefährliche Schäden
Chronische Gedächtnisschäden
Status epilepticus
Elektroschocks als Jungbrunnen
Aufklärung über Risiken und Schäden?
Alternativen zu Antidepressiva, Neuroleptika und Elektroschocks
Humanistisch orientierte Alternativen
Alternativen zu Neuroleptika
Alternativen zu Antidepressiva
Alternativen zu Elektroschocks
Psychosoziale Patientenverfügung
Quellen
Placebo-Effekte (Marc Rufer)
Mythos und Ritus
Placebo-Effekte allüberall
Selbstheilungskräfte
Placebos im ärztlichen Alltag?
Wirksamkeitsprüfungen
Auswahl der Versuchspersonen
Lug und Trug
Fazit
Quellen
Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka und der Suche nach Alternativen (Josef Zehentbauer)
Selbstverantwortung übernehmen statt blind vertrauen
Alternative Medikamente
Homöopathie und Orthomolekulare Medizin
Nicht-medikamentöse Herangehensweisen – von Yoga über Biorhythmus bis Vegetarismus
Psychotherapie – Hilfe in schwierigen Zeiten
Familie, Freunde, Selbsthilfe
Vorsorgemaßnahmen treffen
Resümee
Quellen
Minimaldosierung und Monitoring bei Neuroleptika (Volkmar Aderhold)
Dopamin und Psychosen
Neuroleptika-Niedrigdosierung in der Akutbehandlung
Neuroleptika-Niedrigdosierung und unerwünschte Wirkungen
Wirksamkeit der Neuroleptika
Supersensitivität durch Neuroleptika
Polypharmazie
Lebensverkürzende Wirkungen: Übergewicht, metabolisches Syndrom und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und plötzlicher Herztod
Gewichtszunahme
Metabolisches Syndrom
Typ 2 Diabetes
Kontrolluntersuchungen
Fazit für die Verordnungspraxis
Literatur
Psychopharmaka absetzen? Und wenn ja, wie? (Volkmar Aderhold, Peter Lehmann, Marc Rufer, Josef Zehentbauer)
Ein medizinjuristisches Nachwort (Marina Langfeldt)
Über die Autorinnen und Autoren
Psychopharmaka- & Elektroschock-Index
Weitere Titel von Peter Lehmann Publishing und im Antipsychiatrieverlag

Rechtlicher Hinweis

Unser Wissen ist ständigen Entwicklungen unterworfen. Erfahrungen erweitern unsere Erkenntnisse, auch was die medizinische Behandlung von Menschen mit psychischen Problemen und die Beendigung der Behandlung anbelangt. Soweit unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka und Elektroschocks in diesem Buch erwähnt werden, dürfen die Leserinnen und Leser darauf vertrauen, dass die Autoren große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Publikation entsprechen. Da individuelle Faktoren (körperlicher und psychischer Zustand, Alter, soziale Lebensverhältnisse etc.) die Verträglichkeit psychopharmakologischer und elektrotechnischer Anwendungen beeinflussen, dürfen die Aussagen jedoch nicht als problemlos übertragbar auf alle Menschen aufgefasst werden.

Die Leserinnen und Leser sind angehalten, durch sorgfältige Prüfung ihrer Lebenssituation und gegebenenfalls nach Konsultation eines geeigneten Spezialisten bzw. einer Spezialistin festzustellen, ob ihre Entscheidung, nach der Lektüre dieser Publikation Psychopharmaka einzunehmen, ihre Dosis, Einnahmeform oder Kombination beizubehalten, zu verändern oder auf eine spezielle Weise zu reduzieren oder abzusetzen, in kritischer und verantwortlicher Weise erfolgt. Dies betrifft ebenso den Entschluss, sich Elektroschocks verabreichen zu lassen oder nicht.

Eine sorgfältige Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten und Apparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Aufgrund dieser Umstände übernehmen die Autoren keine Verantwortung für die Folgen unerwünschter Wirkungen beim Einnehmen, Verweigern, Reduzieren oder Absetzen von Psychopharmaka bzw. einem Ja oder Nein zu Elektroschocks.

Volkmar Aderhold, Peter Lehmann, Marc Rufer und Josef Zehentbauer

Geleitworte

Geleitwort von Peter und Sabine Ansari zur 1. Auflage

Peter Lehmann ist der renommierteste Psychiatrie-Kritiker im deutschsprachigen Raum, und das bereits seit mehr als 35 Jahren. Als er 1980 anfing, speziell die Wirkungsweise und unerwünschten Wirkungen von Neuroleptika offenzulegen, wurde er mit harten Bandagen bekämpft. Niemand wollte ihm zuhören. Um gedruckt zu werden, musste er einen eigenen Verlag gründen. Jahre später waren seine Bücher in mehrere Sprachen übersetzt und gelten heute als Standardwerke der kritischen Psychiatrie. Zwischenzeitlich hat Lehmann einen Ehrendoktortitel und anschließend das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Aber es gibt immer noch Kritiker, die seine Einwände nur für die älteren Antidepressiva und Neuroleptika gelten lassen wollen. Neuere Psychopharmaka seien viel besser verträglich und hätten gar nicht dieselben schweren Nebenwirkungen. Wie wenig Wahrheit hinter dieser Behauptung steckt, hat Peter Lehmann in seinem neuen Werk herausgearbeitet. In akribischer Kleinarbeit hat er sich die neueren Antidepressiva und Neuroleptika einzeln vorgeknöpft und beschrieben, für welche Indikationen sie eingesetzt werden, aber vor allem auch, welche unerwünschten Wirkungen während der Behandlung mit jedem einzelnen Medikament zu erwarten sind.

Die Leserinnen und Leser können dadurch prüfen, ob die Symptome, unter denen sie leiden, von dem Medikament verursacht werden. Sie können mit dieser Information dem von ärztlicher Seite häufig geäußerten Argument »Sie haben aufgrund Ihrer Grunderkrankung Schwindelgefühle, Unruhezustände, Übergewicht etc.« selbstbewusst entgegentreten.

Neuere Langzeitstudien haben gezeigt, dass Menschen, die dauerhaft Psychopharmaka einnehmen, früher sterben und seltener selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben als diejenigen, die sich nach einer Krise gegen eine dauerhafte Einnahme von Psychopharmaka entschieden haben.

An der Verbreitung dieses Wissens sind im deutschsprachigen Raum seit Jahrzehnten die beiden Ärzte Marc Rufer und Josef Zehentbauer sowie der Psychiater Volkmar Aderhold stark beteiligt. Jeder der vier Autoren engagiert sich seit vielen Jahren für eine angemessene und wirksame Hilfe für Menschen in psychosozialen Krisen und für selbstbestimmte Hilfe beim Absetzen.

So endet das Buch mit dem wichtigen Absetzkapitel, in dem die Autoren warnen, dass es nach jahrelangem Gebrauch keinesfalls leicht ist, die Psychopharmaka abzusetzen. Nicht allen gelingt der Entzug und für manche Neuroleptika-Patientinnen und -Patienten ist es einfacher, eine weiterhin minimaldosierte Wirkstoffmenge einzunehmen, als das Mittel vollständig abzusetzen.

Absetzen ist ein sehr ernstes Thema, viele »Rückfälle« oder sogar psychiatrische Lebenskarrieren lassen sich auf einen schlecht informierten Umgang mit Psychopharmaka zurückführen. Wer diese Substanzen über einen längeren Zeitraum eingenommen hat, verändert dadurch seine Gehirnbiochemie. Durch Anpassungsvorgänge im Gehirn erhöht sich beim Absetzen das Risiko, erneut eine Krise zu erleiden. Wir wissen aus Erfahrung mit unseren Patientinnen und Patienten, wie wenig sie über Wirkungen und Risiken der Psychopharmaka aufgeklärt werden. Dieses Buch liefert ihnen – aber auch Ärzten, Therapeuten und Angehörigen – eine wertvolle Zusammenstellung all der Informationen, die für eine selbstbestimmte Therapie benötigt werden.

Dr. Peter und Sabine Ansari, Coppenbrügge, im Juli 2017

Geleitwort von Andreas Heinz zur 1. Auflage

Volkmar Aderhold, Peter Lehmann, Marc Rufer und Josef Zehentbauer legen ein umfangreiches und kritisches Buch zu Wirkmechanismen und unerwünschten Wirkungen der derzeit gängigen medikamentösen und neurobiologisch orientierten Therapieverfahren in der Psychiatrie vor. In vielen Bereichen ist das Urteil über diese Verfahren, zumindest was ihre länger dauernden Auswirkungen betrifft, ausgesprochen negativ. Wer als professionell in diesem Bereich tätige Person dieses Buch liest, mag an vielen Stellen widersprechen wollen. Gibt es nicht eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten, die durch diese Therapieansätze eine deutliche Besserung, wenn nicht gar Beschwerdefreiheit erreicht haben? Dieser Einwand hilft allerdings weniger, als man denken könnte, denn zurecht gehen die Autoren auch auf den Placebo-Effekt ein, der ja jede Therapie, von der die professionell Behandelnden überzeugt sind, bereits mit positiven Auswirkungen versieht, ganz unabhängig davon, was deren eigentliche Wirkmechanismen auslöst. Gerade deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem hier vorliegenden Buch so wichtig.

Mit großer Sorgfalt haben die Autoren eine Vielzahl von Befunden und kritischen Berichten zusammengetragen, die einen umfassenden Überblick über die unerwünschten Wirkungen und die Kritik am Einsatz der genannten Verfahren ermöglichen. Selbst wenn man an dieser oder jener oder auch an vielen Stellen mit den Schlussfolgerungen der Autoren nicht übereinstimmt, ist es für therapeutisch Tätige entscheidend, diese Befunde und Bedenken zu kennen. Dies umso mehr, als diese Therapieansätze auch bei Patientinnen und Patienten zum Einsatz kommen, die aufgrund einer Selbstgefährdung mit drohendem erheblichem Gesundheitsschaden und bei mangelnder Einsicht in ihre Gefährdung gegen ihren aktuell geäußerten Willen mit solchen Verfahren behandelt werden.

Aber auch jenseits dieser kontrovers diskutierten Situationen ist es essentiell, dass die Patientinnen und Patienten über die kurz- wie langfristigen unerwünschten Wirkungen der Therapieverfahren ebenso aufgeklärt werden wie über widersprüchliche Befunde zur kurz- und langfristigen Wirksamkeit und den Wirkmechanismen dieser Therapieverfahren.

Dies gilt natürlich nicht nur für den Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie, sondern für die gesamte Medizin. So finden sich die von den Autoren zurecht betonten Absetzsymptome nach Verordnung von Neuroleptika oder Antidepressiva auch nach dem Absetzen (»Entzug«) einer Vielzahl weiterer chronisch verordneter Medikamente, beispielsweise beim Absetzen bestimmter Antihypertensiva (Medikamente zur Behandlung eines Bluthochdrucks) bis hin zu lebensbedrohlichen kardiovaskulären Komplikationen. Diese Absetz- oder Entzugssymptome wecken bei vielen Betroffenen die Sorge, dass sich eine Abhängigkeitserkrankung ausgebildet hat. Aus medizinischer Sicht ist allerdings der Begriff der Abhängigkeitserkrankungen für Suchterkrankungen reserviert, die nur dann diagnostiziert werden sollten, wenn zusätzlich zu Absetz- bzw. Entzugssymptomen auch ein starkes Verlangen nach der Substanz (dem Medikament oder der Droge) und eine Kontrollminderung im Umgang damit gegeben ist. Letzteres ist bei Morphium und Benzodiazepinen der Fall, bei Antidepressiva und Neuroleptika aber nicht. Auch wenn hier also aus medizinischer Sicht keine Suchterkrankung vorliegt, ist die Kenntnis der substanzeigenen Absetzsymptome sehr wichtig, wenn es darum geht, Patientinnen und Patienten beim Absetzen kompetent zu begleiten.

Mit der Lektüre des Buches stellt sich die Frage nach den praktischen Auswirkungen der hier vorliegenden Kritik. Zum einen verweist der vorliegende Band mit Recht auf die Notwendigkeit, beim Absetzen der Medikamente vorsichtig vorzugehen und diese langfristig schrittweise zu reduzieren, um unerwünschte Wirkungen inklusive des gegebenenfalls erhöhten Risikos des Wiederauftretens der Grunderkrankung zu vermeiden. Da bereits jetzt sehr viele Patientinnen und Patienten ihre Medikation absetzen, meist eher plötzlich, sind diese Hinweise ausgesprochen wichtig. Für diejenigen, die erfolgreich mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten behandelt werden, ist die Information über erwünschte und unerwünschte Wirkungen der Medikamente hoch relevant, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

Alle Therapeutinnen und Therapeuten – auch die, die mit den im Buch geäußerten Einschätzungen nicht übereinstimmen – sind damit aufgerufen, sich mit diesen Studien auseinanderzusetzen, weitere Erfahrungen und Studien in die Diskussion einzubeziehen und den Patientinnen und Patienten ein informiertes Bild über die Behandlungsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen inklusive der in diesem Band zusammengestellten kritischen Befunde zu ermöglichen. Dies ist auch ein wichtiger Bestandteil der Entscheidung bei Vorausverfügungen für krisengefährdete und ältere Menschen, damit diese ihr Recht auf eine selbstbestimmte angemessene Behandlung wahrnehmen und verteidigen können, auch gegen die Zwänge einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens.

Dies gilt gerade in Zeiten, in denen in vielen Industrienationen die sozialen Netzwerke und die Gesundheitsversicherungen für einen Großteil der Bevölkerung nicht garantiert sind und die Alternative zu einer überfürsorglichen oder paternalistischen Gesundheitsversorgung die Vernachlässigung, Obdachlosigkeit und gegebenenfalls Inhaftierung eines großen Teils der psychisch kranken Bevölkerung ist, wie sich das in Studien zum Abbau psychiatrischer Leistungen und zur gleichzeitigen Erhöhung der Zahl der Gefängnisinsassen zeigt. Die Alternative zu einer zu breiten und unkritischen Medikamentenverordnung ist nicht der Abbau gesundheitlicher Versorgungsleistungen, sondern der Aufbau ausführlicher Informationsstrukturen inklusive der Garantie der dafür notwendigen Personalressourcen. Dies gilt für Arztpraxen ebenso wie für Krankenhäuser, für ambulante multiprofessionelle Teams, die derzeit noch unzureichend finanziert sind, für psychotherapeutische Angebote, die für Menschen mit schweren psychischen Störungen meist nicht zugänglich sind, für Selbsthilfegruppen und EX-INler wie für Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen. Medikamente können ein ausgesprochen wichtiger und hilfreicher Bestandteil eines psychosozialen Behandlungsplans sein, wenn die Vor- und Nachteile einer solchen Therapie sorgfältig von den Betroffenen abgewogen werden können, wozu die ausführliche Information durch Professionelle ebenso gehört wie – soweit von den Betroffenen gewünscht – die Einbeziehung der Angehörigen und Freunde. Für diese Information stellt das vorliegende Buch einen ebenso kritischen wie ausgesprochen wichtigen Beitrag dar.

Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz, Charité, Berlin, im Juli 2017

Vorwort von Peter Lehmann

In diesem Buch geht es darum, Patientinnen und Patienten in die Lage zu versetzen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie vorgeschlagene neue Antidepressiva und atypische Neuroleptika einnehmen oder sich moderne Elektroschocks verabreichen lassen wollen oder lieber nicht. Und welche Alternativen bestehen – sollten sie überhaupt eine Behandlung wünschen bzw. nach ihrer Meinung gefragt werden. Neben den direkt Betroffenen spricht dieses Buch auch alle anderen Personengruppen an, die mit dieser Thematik zu tun haben, seien es Angehörige, Ärzte, Pharmakologen, Pfleger, Krankenschwestern, Psychotherapeuten, Genesungsbegleiter, Sozialarbeiter, Juristen, Journalisten, Politiker oder Funktionäre von Krankenkassen.

Aus Gründen einer leichteren Lesbarkeit verzichten die Autoren mehrheitlich darauf, in ihren Beiträgen beide Geschlechter einheitlich zu berücksichtigen, und entschieden sich für die traditionelle Verwendung der deutschen Sprache. Dafür verweigern sie sich der üblichen Praxis, was Literaturangaben betrifft: Statt nur die Initialen der Vornamen von Autorinnen und Autoren zu nennen, geben sie deren vollständige Vornamen wieder und machen damit die männliche Dominanz in der herrschenden Wissenschaft deutlich.

Die Behandlungsrichtlinien von Psychiaterverbänden setzen den aufgeklärten Patienten voraus. Dieser kennt die Risiken und Alternativen der Behandlung ebenso wie die Ergebnisse der Untersuchungen seines körperlichen Gesundheitszustands. Bestimmte Kontrolluntersuchungen (Monitoring) werden vor Beginn einer Verabreichung von Elektroschocks oder Psychopharmaka vorgenommen, ebenso nach gewissen Zeitabständen fortwährender Psychopharmaka-Behandlung, um sich entwickelnden chronischen oder lebensbedrohlichen Schäden frühzeitig auf die Spur zu kommen. Der aufgeklärte Patient kennt die Bedeutung von Symptomen, die auf solche behandlungsbedingte Schäden hinweisen. Hierzu gehören Herzrhythmusstörungen, Diabetes (Zuckerkrankheit), Blutbildveränderungen, Geschwulstbildungen, Augenerkrankungen und vieles mehr. Die Betroffenen selbst entscheiden, ob sie die Psychopharmaka oder Elektroschocks verabreicht haben wollen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. In aller Regel lässt die Aufklärung zu wünschen übrig. Patientinnen und Patienten wird eine umfassende Aufklärung über die Risiken der Behandlung vorenthalten. Sie werden nicht über Behandlungsalternativen informiert, nicht über die Bedeutung der Befunde, die in Kontrolluntersuchungen erhoben werden – wenn sie überhaupt geschehen –, nicht über Probleme beim späteren Absetzen der verordneten Psychopharmaka. Eine Verabreichung von Medikamenten und sonstigen medizinischen Anwendungen gilt allgemein als Körperverletzung. Die Strafbarkeit entfällt erst durch die informierte Zustimmung.

Die ohne informierte Zustimmung erfolgte psychiatrische Anwendung, die eventuell Folgeschäden nach sich zieht, gilt nicht als Offizialdelikt, das heißt als Straftatbestand, der von Amts wegen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslöst. Trotz der erheblichen, zum Teil sehr häufig auftretenden Gesundheitsschäden durch Psychopharmaka und Elektroschocks, wie sie die Hersteller und Anwender in ihren internen Verlautbarungen und Beipackzetteln eingestehen und die Thema dieses Buchs sind, sehen staatliche Organe keine Notwendigkeit einzugreifen, auch nicht angesichts der im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung hohen Sterblichkeitsrate psychiatrischer Patientinnen und Patienten – egal, ob man sie auf deren schlechte Lebensbedingungen zurückführt oder auf die gesundheitlichen Belastungen durch Psychopharmaka und Elektroschocks.

Ohne eine Beweislastumkehr sind die potenziell Geschädigten aus vielfältigen Gründen nahezu chancenlos, Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld durchzusetzen. Eine Umkehr der Beweislast hieße, dass – beispielsweise um die Chance auf Schmerzensgeld zu erhöhen – bei einem Behandlungsschaden nicht der Patient nachweisen müsste, dass der Schaden einzig durch die Behandlung verursacht wurde und dass eingangs keine umfassende Aufklärung über Risiken und Alternativen der Behandlung stattfand. Stattdessen müsste der Verabreicher von Psychopharmaka oder Elektroschocks nachweisen, dass aufgetretene Schäden nicht durch seine Behandlung verursacht wurden und er umfassend aufgeklärt hat.

Wie Arno Deister, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), mitteilte, seien in Deutschland innerhalb eines Jahres mittlerweile über 27 % der Erwachsenen von Depressionen, Angststörungen und weiteren psychischen Leiden betroffen, bei den Ursachen für Krankschreibungen und frühzeitige Berentungen stünden psychische Erkrankungen ganz vorn. Dies wirke sich auf fast alle Lebensbereiche aus – Familie, Partnerschaft, soziales Umfeld und Arbeit. Oft komme es zu Chronifizierungen und Frühberentungen (DGPPN, 2017). In Österreich und der Schweiz dürften die Zahlen ähnlich sein.

Dass psychische Probleme gravierendes Leid bereiten können, steht außer Frage. Die Betroffenen können alles verlieren, was ihnen lieb und wichtig ist: das Sorgerecht für ihre Kinder, ihre Freundinnen und Freunde, die Wohnung, die Arbeit, den Studienplatz, Besitz und Vermögen. Sie können verwahrlosen, sich und andere quälen und schließlich das Selbstbestimmungsrecht, die Freiheit, die Lebensfreude und das Leben selbst verlieren. Umso wichtiger ist es, dass eine Behandlung, beispielsweise die Verordnung von Psychopharmaka, die Probleme nicht noch verschärft. Welch zentrale Rolle bei der Verstärkung und Chronifizierung psychischer Probleme die in steigender Zahl verabreichten neuen Antidepressiva und atypischen Neuroleptika sowie moderne Elektroschocks spielen, welche körperliche Leiden sie zusätzlich schaffen, welche Abhängigkeits-, Entzugs- und Absetzprobleme sie hervorrufen und wie man die Risiken und Schäden kleinzureden versucht, ist Thema des ersten Beitrags. Da in der Regel Ärzte die Verabreichung ihrer Psychopharmaka und Elektroschocks als alternativlos darstellen, endet der Beitrag mit Beispielen überprüfter humanistisch orientierter Alternativen sowie einer Vielfalt von Hilfen, die gutwillige Ärztinnen und Ärzte schon heute in einzelnen psychiatrischen Kliniken anbieten – jenseits von Pharmazie und Elektrotechnik.

Marc Rufers Auseinandersetzung mit dem Placebo-Effekt gibt Aufschluss darüber, wie Menschen auf therapeutische Maßnahmen reagieren und wie sehr die Psyche vermeintlich rein biologische Wirkungen bestimmt: Der Glaube ist entscheidend, die Überzeugung, die Hoffnung auch, etwas Wirkungsvolles eingenommen zu haben. Das gilt für Medikamente genauso wie für Placebos. So ist es praktisch unmöglich, Placebo-Effekte und erwartete therapeutische Wirkungen auseinanderzuhalten. Die Resultate von zulassungsorientierten, placebokontrollierten Studien mit Psychopharmaka sind deshalb äußerst fragwürdig. Patientinnen und Patienten sind gut beraten, wenn sie mit Skepsis auf »evidenzbasierte Wirksamkeitsstudien« reagieren, sollten Ärztinnen und Ärzte sie zur Akzeptanz ihrer Psychopharmaka verleiten wollen.

Von Josef Zehentbauer folgen – in langer Praxis – erprobte Hilfestellungen, die Allgemeinärzte Menschen mit ernsten psychischen Problemen geben können, angefangen von naturheilkundlichen Mitteln über Ratschläge zur Ernährung und zur Mobilisierung körpereigener Drogen bis hin zu psychotherapeutischen Gesprächen und der Ermutigung, sich im Selbsthilfebereich zu engagieren und Selbstverantwortung zu übernehmen.

Große Bedeutung hat die Minimaldosierung von Neuroleptika, wenn Menschen mit ernsten psychischen Problemen in ihrer derzeitigen Lebenssituation nicht ohne Psychopharmaka zurechtkommen oder diese nicht mehr vollständig absetzen können. Angesichts des häufig schlechten körperlichen Zustands psychiatrischer Patientinnen und Patienten sind hierbei Kontrolluntersuchungen wichtig. Psychiatrisch Tätige, Patientinnen und Patienten und ihnen Nahestehende sollten solche Untersuchungen kennen, um Risiken einigermaßen in Grenzen halten und bei ersten Anzeichen sich entwickelnder Schäden frühzeitig Konsequenzen ziehen zu können. Sollte aus welchen Gründen auch immer die Verabreichung oder Einnahme von Neuroleptika unumgänglich sein, ist angesichts des fortbestehenden Trends zu höheren Neuroleptika-Dosierungen, auf den beispielsweise seit Jahren im »Arzneiverordnungs-Report« hingewiesen wird (Lohse & Müller-Oerlinghausen, 2016, S. 663), ein Appell an die Vernunft notwendiger denn je – unterlegt von all den psychiatrischen Studien, die den fehlenden Nutzen der üblichen Dosierungen aufzeigen.

Im letzten Beitrag folgen Ratschläge für Menschen, die sich Gedanken machen, ihre Psychopharmaka abzusetzen. Hierzu zählt der Rat, den Entschluss zum Absetzen sorgfältig zu durchdenken, nichts zu überstürzen, gerade bei längerer Einnahmezeit schrittweise vorzugehen, sich über Entzugs- und Absetzprobleme sowie bewährte Maßnahmen zu ihrer Minimierung zu informieren und sich im Anschluss auch mit dem Sinn der Depression oder Psychose auseinanderzusetzen, um nicht blind in die nächste Krise zu stolpern.

Mit Volkmar Aderhold, Marc Rufer und Josef Zehentbauer ist es mir gelungen, drei hochkarätige Mitautoren für dieses Buch zu gewinnen. Wir – sie als professionell tätige Ärzte und ich im Selbsthilfebereich – weisen grob geschätzt zusammen 150 Jahre Praxiserfahrung auf: Erfahrung in der Praxis, Menschen zu helfen, ernste psychische Krisen ohne den Einsatz riskanter Psychopharmaka zu bewältigen und den Weg aus den therapeutischen Sackgassen zu finden, in die sie Mainstream-Psychiater mit großem finanziellen Aufwand hineinmanövrierten.

An dieser Stelle bedanke ich mich auch bei Peter Ansari, Paul Göbel, Iris Heffmann, Bernd Holdorff, Margret Osterfeld, Peter Stastny und Reinhard Wojke, die mit Anregungen, medizinischen Erläuterungen, Übersetzungshilfen, Korrekturen und Unterstützung in EDV-Fragen wesentlich zum Gelingen dieses Buchs beigetragen haben.

Risiken und Schäden neuer Antidepressiva und atypischer Neuroleptika (Peter Lehmann)

In den beiden letzten Jahrzehnten sind eine Reihe von Psychopharmaka neu auf den Markt gekommen, auch und vor allem für Menschen mit der Diagnose »Depression« und »Psychose«. Manche ältere Substanzen wurden vom Markt genommen, auch neuere nach recht kurzer Zeit. »Neu« ist ein relativer Begriff. Er wird von Pharmakologen und Psychiatern allgemein benutzt, um neuere Substanzen von älteren abzugrenzen oder bestimmten Substanzgruppen zuzuordnen. Der Aussagewert ist begrenzt: Es gibt keine einheitlichen Kriterien der Zuordnung einzelner Psychopharmaka zu bestimmten Substanzgruppen. Die Klassifikation kann auf pharmakologischen oder biochemischen Kriterien beruhen, auf den »Neben«-Wirkungen oder den subjektiven Intentionen der Verabreicher. In diesem Buch sind mit neuen Psychopharmaka schlicht die in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten auf den Markt gekommenen Antidepressiva und Neuroleptika gemeint. Denselben relativen Aussagewert hat die Zuordnung eines Antidepressivums oder Neuroleptikums zur ersten, zweiten oder dritten Generation der jeweiligen Substanzgruppe. Es ließen sich dicke Bücher über die diesen Zuordnungen zugrundeliegenden Überlegungen von Psychiatern und Pharmakologen schreiben. Entscheidend für die Praxis und speziell die Betroffenen ist, welche Risiken und unerwünschten Wirkungen die einzelnen Psychopharmaka mit sich bringen.

In einem gewinnorientierten Wirtschaftssystem spielen finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle. Wenn Patente für Psychopharmaka ablaufen, kann die Konkurrenz Nachahmerpräparate mit gleichem Wirkstoff verbilligt auf den Markt bringen: sogenannte Generika, auf deren Verordnung auch die Krankenkassen drängen, um Kosten zu sparen. Verkaufserlöse und Gewinnerwartungen sinken, damit fällt auch der Aktienwert eines Unternehmens. Folgerichtig entwickeln Pharmafirmen regelmäßig neue, auf einige Zeit patentgeschützte Psychopharmaka. Damit sie deren Marktzulassung erhalten und die Verkaufschancen steigern, müssen sie neue therapeutische Wirkungen, eine Überlegenheit der Produkte und ihre bessere Verträglichkeit glaubhaft machen.

Die Wirkung von Psychopharmaka auf das zentrale Nervensystem

Alle Psychopharmaka, die älteren wie die neueren, wirken primär auf das zentrale Nervensystem, beeinflussen die Nervenimpuls-Übertragung und dadurch die Psyche. Um die Wirkungsweise, erwünschte und unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka zu erläutern, muss man medizinische Begriffe verwenden. Manche lassen sich einfach übersetzen. Schwieriger ist dies bei Symptomenkomplexen, sogenannten Syndromen.

Mit einem einzigen Begriff fassen Mediziner eine ganze Palette von Krankheitssymptomen einschließlich möglicher Ursachen und Verläufe zusammen. Damit medizinische Laien nicht jedes Mal ein Lexikon in die Hand nehmen oder im Internet recherchieren müssen und um wiederholte längere Erklärungen zu vermeiden, endet dieser Beitrag mit einem Glossar. Medizinische Fachbegriffe, die im Text (einschließlich der Zitate) auftauchen und im Glossar erläutert sind, sind mit einem Sternchen kenntlich gemacht (Beispiel: Serotonin-Syndrom, ein Symptomenkomplex aus psychischen und zentralnervösen Störungen, vegetativen Entgleisungen und Muskelstörungen).

Von den Botenstoffen, die das Nervensystem steuern, wirken manche erregend, manche beruhigend und hemmend. Nervenimpulse werden mittels physikalisch-chemischer Veränderungen, die von elektrischen Ladungen begleitet werden, als Signale in Nervenfasern übertragen. Der einzelne Nervenimpuls wird von der einen Nervenzelle über die Synapse (Verbindungsstelle zwischen den Nervenzellen) zur benachbarten Empfängerzelle weitergeleitet. Neuroleptika blockieren die Rezeptoren für die Nervenimpuls-Übertragung, so dass die Botenstoffe nicht an der Empfängerzelle andocken und den Impuls nicht weitergeben können. Antidepressiva hemmen den Abbau der Botenstoffe nach getaner Arbeit, so dass ihre Konzentration im synaptischen Spalt, der Kopplungsstelle von Nervenimpulsen, künstlich erhöht bleibt und die Empfängerzelle über einen unnatürlich langen Zeitraum erregt wird.

Wird die natürliche Nervenimpuls-Übertragung psychopharmakologisch beeinträchtigt, hat dies Folgen für viele Bereiche des Körpers und des psychischen Systems. Mit dem Begriff »selektiv«, der oft einzelnen chemischen Strukturgruppen insbesondere bei Antidepressiva vorangestellt wird, soll der Eindruck erweckt werden, sie würden pharmakologisch »rein« einzig das jeweils genannte Botenstoffsystem beeinflussen. Tatsächlich gibt es ca. 100 Botenstoffe, die miteinander interagieren. Die Einwirkung auf ein einzelnes Botenstoffsystem beinhaltet deshalb grundsätzlich Begleitwirkungen auch auf andere Botenstoffe einschließlich weiterer »Neben«-Wirkungen. Der pharmakologischen Zuordnung einzelner Psychopharmaka liegt in Wirklichkeit lediglich eine vermutete stärker ausgeprägte Wirkung auf einzelne Botenstoffe zugrunde.

Erwünschte und unerwünschte Wirkungen treten in der Regel ganzheitlich, das heißt gleichzeitig und potenziell in allen Bereichen des Körpers und des psychischen Systems auf. Unerwünschte Wirkungen insgesamt oder im Einzelfall willkürlich als »Neben«-Wirkungen zu charakterisieren und gleichsam als »zweitrangig« und »nebensächlich« abzutun, macht deshalb keinen Sinn. Rudolf Degkwitz, 1971-1972 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde, erklärte kurz und bündig, dass Psychopharmaka ein breites körperliches Wirkungsspektrum haben, es sich bei unerwünschten Wirkungen deshalb »... nicht um Nebenwirkungen oder gar Komplikationen handelt, sondern eben um Wirkungen dieser Mittel.« (1969a, S. 13)

Besondere Risiken

Kombinationen mit anderen Psychopharmaka, auch mit Medikamenten der somatischen Medizin, können unerwünschte Wirkungen potenzieren. Interaktionen der unterschiedlichen Substanzen bergen kaum kalkulierbare Risiken, die gegenseitige Wirkung kann sich verstärken. Gefährlich ist insbesondere die Verabreichung von Psychopharmaka an Schwangere (und über deren Plazenta an den Embryo) sowie an Kinder und Jugendliche, deren Körper sich noch im Wachstum befinden.

Ältere Menschen sind zusätzlichen Risiken ausgesetzt. Ihre körperliche Widerstandskraft lässt nach, Stürze und Knochenbrüche nehmen zu. Die im Alter herabgesetzte Körpermasse mit relativ erhöhtem Anteil an Fettgewebe und vermindertem Gehalt an Eiweißstoffen im Blut führt zu einem steigenden Verteilungsvolumen fettlöslicher Psychopharmaka bzw. zu ihrer erhöhten Konzentration. Die Wirkdauer der Substanzen verlängert sich, ihre Anhäufung im Körper steigt. Gefäßveränderungen, abnehmende Leber- und Nierenleistungen und das eingeschränkte Herzzeitvolumen (die vom Herz gepumpte Blutmenge) verringern den Blutfluss in Leber und Niere. Dies verzögert den Abbau und die Ausscheidung der Psychopharmaka. Da älteren Menschen in aller Regel gehäuft Medikamente der somatischen Medizin verordnet werden, potenzieren zusätzlich gegebene Antidepressiva und Neuroleptika das Risiko gefährlicher Wechselwirkungen (Lange-Asschenfeldt & Benkert, 2017, S. 890). Insofern überrascht wenig, dass sich Pharmafirmen in ihren Fachinformationen juristisch abzusichern versuchen, indem sie vorsorglich darauf hinweisen, dass ihre Produkte bei älteren Menschen das Sterblichkeitsrisiko erhöhen.

Ein spezielles Risiko besteht für Menschen, die »Langsam-Metabolisierer« genannt werden. 5 bis 10 % der Bevölkerung gehören zu dieser Risikogruppe. Am Stoffwechsel sowie am Abbau fast aller Medikamente, darunter aller Antidepressiva und Neuroleptika, sind Enzyme des sogenannten Cytochrom-P-450-Systems beteiligt (Oetzel, 2012). Werden diese Psychopharmaka Langsam-Metabolisierern in der üblichen Geschwindigkeit verabreicht, jedoch nur sehr langsam verstoffwechselt, steigen ihre Konzentration im Blut und die Gefahren unerwünschter Wirkungen massiv an. Die Folge sind zusätzliche Risiken und Schäden. Diese können auch unter niedrigen Dosierungen auftreten. Da der Hirnstoffwechsel bei Personen, die nicht zu Langsam-Metabolisierern zählen, große inter- und intraindividuelle Unterschiede aufweist, lässt sich auch bei dieser Personengruppe keinerlei sichere Aussage treffen, wie sie auf Antidepressiva und Neuroleptika reagieren. Interindividuell unterschiedlich reagieren verschiedene Personen, intraindividuell schwankt der Stoffwechsel aber auch bei jeder einzelnen Person.

Menschen, die beispielsweise Kinder erziehen, Operationen durchführen oder Maschinen bedienen müssen, können wegen unerwünschter Wirkungen wie Schläfrigkeit, paradoxen Erregungszuständen, Suizidalität, Aggressivität, Schwindel oder Ohnmachtsanfällen Probleme haben oder machen. Dasselbe gilt für Verkehrsteilnehmer. Motorrad- und Autofahrer oder Flugzeugführer unter dem Einfluss von Antidepressiva und Neuroleptika stellen unkalkulierbare Gefahren dar. Pharmafirmen benennen zwar solche Risiken, die sie mit ihren Psychopharmaka produzieren, schaffen sie damit aber nicht aus der Welt.

Zu den Häufigkeitsangaben von Risiken und Schäden

Die Verordnungszahlen der neuen und als »gezielter wirksam« und »noch verträglicher« beworbenen Psychopharmaka sind enorm. Im Durchschnitt habe sich die Zahl der Verordnungen der Antidepressiva insgesamt im letzten Jahrzehnt fast verdoppelt, wobei der Anstieg vor allem von den neuen Antidepressiva getragen sei, schreiben Martin Lohse und Bruno Müller-Oerlinghausen (2016, S. 663) im »Arzneiverordnungs-Report«. Die Verordnungszahl der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer habe sich verdoppelt, die der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer verfünffacht. Ungebrochen sei auch der seit 2008 fast lineare Verordnungsanstieg bei den atypischen Neuroleptika, was vermutlich mit einer Ausweitung des Verordnungsspektrums und einem Trend zu höheren Dosierungen zu tun habe. So enorm wie die Umsatzsteigerung sind auch die Risiken und »Neben«-Wirkungen, die neue Antidepressiva und atypische Neuroleptika mit sich bringen. Ein Drittel dieser Psychopharmaka werde von Allgemeinmedizinern verschrieben.

Dass die Verabreichung neuer Antidepressiva und atypischer Neuroleptika häufige und vielfältige Schäden birgt, geht auch aus den Fachinformationen der pharmazeutischen Industrie hervor. In Deutschland ist das die »Rote Liste«, in Österreich der »Austria-Codex«, in der Schweiz das »Arzneimittel-Kompendium«. Mit ihren Informationen, die in der Schweiz öffentlich, also auch den Betroffenen und ihren Angehörigen zugänglich sind, in Deutschland und Österreich dagegen Ärzten vorbehalten bleiben, schieben die Pharmafirmen den Verordnern das (derzeit äußerst geringe) Risiko zu, sich Schadenersatzansprüchen wegen möglicher Folgeschäden auszusetzen.

Die Fachinformationen haben in den einzelnen Ländern mehr oder weniger identische Formulierungen. Angaben zu bestimmten Risiken und Schäden sowie Häufigkeitsangaben sind jedoch nicht identisch. Um Risiken nicht zu unterschätzen, werden sie in diesem Beitrag zusammengefasst. Jeweils die höchste Häufigkeitsrate wird wiedergegeben. Beispiel: Wenn im Land A für eine Substanz Übelkeit als »häufig« auftretende unerwünschte Wirkung genannt wird und Verstopfung unerwähnt bleibt, im Land B sowohl Übelkeit als auch Verstopfung als »sehr häufig« auftretend, finden sich beide unerwünschten Wirkungen in der Kategorie »sehr häufig«. Seltene oder mit unbekannter Häufigkeit auftretende unerwünschte Wirkungen werden aus Gründen der übersichtlichen Darstellung bei Neuroleptika und Antidepressiva in jeweils einem eigenen Kapitel aufgelistet.

Manche Psychiater halten die Angaben der Hersteller für übertrieben und sehen darin eine bloße juristische Absicherung. Dass die am Umsatz interessierten Pharmafirmen Angaben zur Schadenshäufigkeit marketingwidrig nach oben treiben, ist allerdings nicht anzunehmen. Es wäre ähnlich absurd, würden Autohersteller von sich aus Angaben zu Abgaswerten nach oben manipulieren. Anzunehmen ist eher, dass die von Herstellern genannten Zahlen untertrieben sind bzw. ihnen längst nicht alle eingetretenen Schäden zur Kenntnis gelangen oder dass sie über die gemeldeten Schäden nicht informieren. Abhängigkeit von Psychopharmaka beispielsweise gilt als eine der meistgenannten unerwünschten Wirkungen, die Herstellern gemeldet werden (Dubrall et al., 2018); in ihren Fachinformationen zu Antidepressiva und Neuroleptika bei Erwachsenen taucht dieses Risiko allerdings auffallend selten oder gar nicht auf.

Da es sich im Buch um die bloße Wiedergabe von Herstellerinformationen handelt, sind auch Entgegnungen, es handele sich um Alarmismus, Panikmache, Psychopharmaka-Bashing und -Verteufelung oder Skandalisierung, fehl am Platz. Im Grunde müssten die Risiken und Schäden, die unter den genannten Antidepressiva und Neuroleptika auftreten, den Betroffenen ohnehin bekannt sein, sind doch die Verordner zur sorgfältigen und umfassenden Aufklärung verpflichtet. Eine solche fordert selbst die DGPPN in ihren Leitlinien:

»Behandlungsziel ist der von Krankheitssymptomen weitgehend freie, zu selbstbestimmter Lebensführung fähige, therapeutische Maßnahmen in Kenntnis von Nutzen und Risiken abwägende Patient. (...) Patient, Angehöriger und Betreuer sollten nicht nur über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt, sondern auch hinsichtlich der auftretenden Zeichen (Symptome) hierfür informiert und bezüglich der jeweils gegebenen Therapiemöglichkeiten beraten werden.« (2006, S. 189 / 203)

»Sehr häufig« sagen Pharmafirmen bei Häufigkeiten größer als 10 %, »häufig« bei Häufigkeiten zwischen 1 und 10 % und »gelegentlich« bei Häufigkeiten zwischen 1 ‰ und 1 %. Da viele unerwünschte Wirkungen dosisunabhängig auftreten, haben die Warnhinweise der Hersteller bei unterschiedlichen Wirkstoffmengen allesamt denselben Wortlaut.

Dass die Wahrscheinlichkeit unerwünschte Wirkungen mit der Dosis steigt, versteht sich von selbst. Nichtsdestotrotz schützt Niedrigdosierung nicht vor Schäden. Ein Beispiel hierfür ist die Fachinformation der Ratiopharm GmbH für das atypische Neuroleptikum Amisulprid (im Handel unter anderem als Solian), das in Tablettengrößen à 100 mg, 200 mg und 400 mg verkauft wird. Die Pharmafirma weist auf das Risiko von Tumorbildungen in den hormonausschüttenden Organen hin mit den Worten:

»In Studien zum tumorerzeugenden Potenzial an Mäusen und Ratten wurden erhöhte Inzidenzen (Häufigkeiten) für Tumore der Brustdrüse, der Hypophyse (Hirnanhangdrüse), der Nebennieren sowie des endokrinen Pankreas (hormonausschüttende Bauchspeicheldrüse) beobachtet. Eine wirkungsfreie Dosis konnte nicht bestimmt werden. Bereits in der niedrigsten Dosisgruppe (30 mg/kg) traten bei den Tierarten erhöhte Tumorinzidenzen auf.« (2013, S. 5)

Prolaktin ist ein Hormon, das vor allem während der Schwangerschaft das Brustwachstum und die Milchbildung fördert. Bei Männern wie bei Frauen beeinflusst es zudem die Sexualhormonregelung im Hypothalamus und in der Hirnanhangdrüse, zwei Hirnzentren. Eine wichtige Rolle bei der Prolaktin-Freisetzung spielen spezielle Subtypen von Dopamin-Rezeptoren, die Dopamin-D2-Rezeptoren. Deren Beeinflussung gilt als »kleinster gemeinsamer Nenner« (»Klausurtagung«, 1990) aller Neuroleptika. Da Dopamin die Absonderung von Prolaktin hemmt, führt umgekehrt die Dopamin-Blockade zu dessen erhöhter Konzentration im Blut. Auch Antidepressiva können zu erhöhten Prolaktin-Spiegeln führen. Gerhard Langer von der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien wies bereits 1983 am Beispiel des Neuroleptikums Haloperidol (im Handel unter anderem als Haldol) auf den auch bei Niedrigstdosierung deutlich erhöhten Prolaktin-Spiegel hin:

»Nach ¼ mg Haloperidol, einer Dosis, die mit derzeit zur Verfügung stehenden Bestimmungsmethoden keinen messbaren Plasmaspiegel ergeben würde, kommt es bereits zu einer deutlichen Prolactin-Ausschüttung; eine maximale Prolactin-Ausschüttung wird allerdings bereits nach 1 ½ mg Haloperidol erreicht. Damit wird erkennbar, dass Haloperidol bereits in diesem Dosisbereich biologisch wirksam ist.« (S. 113)

Ärzten ist seit langem bekannt, dass Psychopharmaka und insbesondere Neuroleptika aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften bereits in niedrigen Dosierungen zu Störungen aller Art führen können (Kähler, 1967, S. 107f.).

Die Häufigkeitsangaben zu Psychopharmaka-bedingten Schäden ändern sich stetig. Bei neu auf den Markt gekommenen Substanzen bedarf es immer einer ausreichenden Anzahl Behandlungswilliger, an denen die Pharmafirmen und Ärzte beobachten können, wie sich die Substanzen kurz-, mittel- und langfristig auswirken. Deshalb steigen bei neuen Präparaten in der Regel die Häufigkeitsangaben einzelner Schäden kontinuierlich. Das Antidepressivum Vortioxetin beispielsweise ist in Deutschland und Österreich erst seit 2015 und in der Schweiz seit 2016 zugelassen. Entsprechend spärlich sind jetzt noch die Angaben zu seinen unerwünschten Wirkungen.

Verkaufsfördernde Faktoren

Hilfreich für den Umsatz sind bezahlte Meinungsführer der Mainstream-Medizin, die neue Produkte als »noch gezielter wirksam« und »noch verträglicher« anpreisen. Ebenso nützlich ist es, negative Ergebnisse zurückzuhalten und Studien von vornherein so zu gestalten, dass das Ergebnis nur positiv für die Gruppe ausfallen kann, an der die neue Substanz getestet wird. Die Entwicklung neuer Diagnosen und Indikationen vergrößert den Absatzmarkt und ist ebenso verkaufsfördernd, wie es Verkaufsprämien für verschreibungswillige Ärzte sind. Zu diesen Maßnahmen gehören auch »Anwendungsstudien« mit prozentualen Umsatzbeteiligungen, die finanzielle Entlohnung für die Teilnahme an Werbeveranstaltungen, Gutscheine für Restaurantbesuche und Sportveranstaltungen oder das Sponsern von Selbsthilfe- und Angehörigengruppen mit einer Kombination aus Geld und einschlägigen verkaufsfördernden Informationen.

Auch die Leicht- und Ärztegläubigkeit unter Betroffenen wirkt sich positiv auf den Umsatz aus. Geht jemand mit psychischen Problemen zum Arzt und erfährt, dass diese nur die Symptome zugrunde liegender Stoffwechselstörungen sind, gibt es keinen Grund, nachzudenken und aktiv für verbesserte und weniger demoralisierende Lebensbedingungen und Beziehungen zu sorgen. Es gibt dann auch keinen Grund, persönliche Einstellungen zu überdenken und konfliktträchtige Verhaltensweisen zu ändern.

Antidepressiva und Neuroleptika lösen keine Probleme, sie heilen nicht. Sie wirken über den Körper auf die Psyche ein. Im positiven Fall unterdrücken sie psychische Probleme kurz- und mittelfristig, was gerne als großer Vorteil gewertet wird. Die körperlichen Wirkungen und Gegenreaktionen (»Neben«-Wirkungen) können jedoch erheblich belasten.

Unerwünschte Wirkungen im psychischen Bereich werden gerne als Symptomverschiebung interpretiert mit der Folge, dass die Dosis erhöht wird oder weitere Psychopharmaka verordnet werden. Zudem können die psychopharmakologisch ausgelösten Veränderungen im System der Nervenimpuls-Übertragung Depressionen und Psychosen noch verstärken und sogar chronifizieren (dazu später mehr).

Lesehinweis

Im Folgenden werden die neuen Antidepressiva und anschließend die atypischen Neuroleptika einschließlich ihrer Verkaufsnamen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet. Jedes Antidepressivum bzw. Neuroleptikum ist in seiner spezifischen Wirkung kurz beschrieben. Nach Indikation und Kontraindikation (Gegenanzeige) folgen die von Herstellern den Ärzten gegenüber genannten unerwünschten Wirkungen differenziert nach der Häufigkeit ihres Vorkommens.

Die genannten Indikationen bedeuten nicht, dass die Substanzen nur entsprechend der Zulassung verwendet werden dürfen. Ärzte können Psychopharmaka auch »off-label« verschreiben, das heißt im Rahmen der »Kurierfreiheit« außerhalb des mit der Zulassung von Arzneimittelbehörden genehmigten Zwecks. Sofern keine Kontraindikation besteht, reicht eine Begründung, um den Off-label-Einsatz zu rechtfertigen.

Den unerwünschten Wirkungen schließen sich die von Herstellern genannten Risiken für Schwangerschaft und Stillzeit an, gefolgt von deren Warnungen, bei welchen Symptomen Ärzte Dosierungen reduzieren oder absetzen sollen oder müssen, und zuletzt von ihren vagen Hinweisen, wie abzusetzen ist und wie lange die Eliminationshalbwertszeit (Zeit ab der Einnahme bis zur Halbierung der im Organismus befindlichen Restmenge) der Substanz und eventuell ihrer Abbauprodukte ist. Diese können Entzugsprobleme verlängern, allerdings ist nicht bekannt, welche Personengruppen hiervon besonders stark betroffen sind. (Am Ende des Buches finden sich im Beitrag »Psychopharmaka absetzen?« Ratschläge der Autoren, wie beim Absetzen gegebenenfalls verantwortungsvoll und risikomindernd vorgegangen werden kann.)

Der Liste der Psychopharmaka schließt sich eine Zusammenfassung selten oder in unbekannter Häufigkeit auftretender unerwünschter Wirkungen an, gefolgt vom Referenz-Antidepressivum Imipramin bzw. dem Referenz-Neuroleptikum Haloperidol. Diese Referenz-Präparate ziehen Psychiater in der Regel heran, um die Wirksamkeiten neuer und herkömmlicher Antidepressiva bzw. atypischer und herkömmlicher Neuroleptika zu vergleichen. Der Psychopharmaka-Teil schließt mit den wichtigsten chronischen und potenziell lebensgefährlichen Wirkungen neuer Antidepressiva und atypischer Neuroleptika und deren Frühwarnzeichen. Manche Schäden treten auch unvorhersehbar und spontan auf.

Zuletzt folgen der Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks und ein abschließendes Kapitel über Alternativen zu Antidepressiva, Neuroleptika und Elektroschocks.

Neue Antidepressiva

Wie alle Psychopharmaka wirken auch die Antidepressiva der 2. und 3. Generation auf den Hirnstoffwechsel. Hauptwirkung ist ein künstliches Überangebot an Botenstoffen bzw. die Hemmung ihres Abbaus nach verrichteter Übermittlung. Ergebnis ist ein künstlich hergestellter Überschuss an Botenstoffen. Dadurch kommt es zu einer flachen Euphorie oder ungesteuerten Aufstachelung der Gefühlslage. Ärzte sprechen dann von »Stimmungsaufhellung«. Oft handelt es sich nur um einen Placebo-Effekt (siehe den Beitrag von Marc Rufer in diesem Buch), die Stimmung bleibt, wie sie ist, oder wird noch schlechter.

1952 kam Iproniazid als Tuberkulose-Medikament auf den Markt. Patienten, die eine Besserung der Krankheit erlebten, reagierten entsprechend euphorisch, worauf die Substanz ab 1958 auch als (erstes synthetisches) Antidepressivum eingesetzt werden durfte. Allerdings wurde die Zulassung drei Jahre später nach Todesfällen aufgrund akuten Leberversagens zurückgezogen. Die antidepressive Wirkung hatte man mit einer Hemmung der Monoaminoxidase erklärt. Die gehemmte Funktion dieses Enzyms (Eiweißstoffs) bewirkt, dass die Botenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt (Kopplungsstelle von Nervenzellen) nach verrichteter Tätigkeit nicht wie gewohnt abgebaut werden. Das soll unter anderem die Stimmung aufhellen.

Auf Iproniazid folgte noch im selben Jahr (1958) Imipramin, das erste trizyklische Antidepressivum. Pharmakologisch bestehen trizyklische Antidepressiva aus einem Grundgerüst mit drei Kohlenstoff-Ringen, weshalb der Begriff »trizyklisch« benutzt wird. Ende der 1960er-Jahre wurde Wirkung auf die Blockade der Wiederaufnahme der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin zurückgeführt (Carlsson et al., 1968). Beim Versuch, Antidepressiva herzustellen, die nur die Serotonin-Wiederaufnahme hemmen und dadurch weniger unerwünschte Wirkungen produzieren, wurde Jahre später Zimeldin entwickelt. 1983, ein Jahr nach der Zulassung, wurde die Substanz wegen immuntoxischer, das heißt sich im Immunsystem niederschlagender Schäden, Fällen des Guillain-Barré-Syndroms (mit Lähmungserscheinungen der Gliedmaßen und eventuell Atemstörungen bis hin zum Atemstillstand und Herzversagen einhergehende Nervenerkrankung) und fehlender antidepressiver Wirkung wieder vom Markt genommen. Erfolgreicher war die Pharmafirma Eli Lilly, die 1988 mit massiven Marketingkampagnen für Fluoxetin, das auf demselben Wirkprinzip beruht, die Zulassung erhielt und ihr Produkt zum Verkaufsschlager machte. Mit Paroxetin kam 1995 der nächste Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRI), gefolgt 1996 von Sertralin und Citalopram und schließlich weiteren Substanzen mit unterschiedlichen Gewichtungen in der pharmakologischen Wirkung. SRI werden häufig auch »SSRI« genannt, »selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer«. Damit soll der (irreführende) Eindruck erweckt werden, diese Substanzen würden pharmakologisch ›rein‹ einzig das Serotonin-System beeinflussen.

Die neuen Antidepressiva sind unterschiedlichen chemischen Strukturgruppen zuzuordnen. Im Wesentlichen sollen sie die Wirkung der beiden Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin verstärken. Je nachdem, welche körperliche Wirkung im Vordergrund steht und wie diese Wirkung mit einzelnen Botenstoffen in Verbindung gebracht werden kann, ordnet man die Antidepressiva speziellen Substanzgruppen zu. Die Hauptwirkung ist jeweils dieselbe: das Empfindungsvermögen zu dämpfen, mit dem eine niedergedrückte Stimmung, innere Erregung oder Angst gefühlt und wahrgenommen wird, um so die subjektiv empfundenen Beschwerden zu lindern.

Neben der Hauptindikation »Depression« werden die neuen Antidepressiva auch eingesetzt bei allen möglichen emotionalen Problemen, die sich eventuell pharmakologisch unterdrücken lassen, auch bei manchen körperlichen Symptomen. Tiermediziner geben ebenfalls neue Antidepressiva. Fluoxetin wird verschrieben bei Verhaltensproblemen wie stereotypem Verhalten (übermäßigem Bellen bei Hunden, übertriebenem Putzverhalten bei Katzen), Dominanzaggression, Aggressionen auch gegenüber dem Besitzer und Trennungsangst und anderen Angstzuständen (Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie, o.J.).

Diese neuen Antidepressiva werden derzeit im deutschsprachigen Raum im humanmedizinischen Bereich vermarktet:

Agomelatin

Agomelatin wird den Antidepressiva der 3. Generation zugerechnet, zählt zu den Melatonin-Rezeptor-Agonisten (MASSA) und wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz derzeit unter den Handelsnamen Agomelatin, Thymanax und Valdoxan vermarktet. Melatonin-Rezeptor-Agonisten ahmen die Wirkung des Hormons Melatonin nach, das unter anderem an der Regulierung des Tag-Nacht-Rhythmus beteiligt ist. Zusätzlich werden bestimmte Serotonin-Rezeptoren blockiert. Dies soll die Stimmung aufhellen. Die zugelassene Indikation lautet Depression. Als Kontraindikation gilt unter anderem eine eingeschränkte Leberfunktion.

► Unerwünschte Wirkungen: Laut Herstellern ist bei Agomelatin mit diesen unerwünschten Wirkungen zu rechnen:

sehr häufig Kopfschmerzen;

häufig Müdigkeit, Schläfrigkeit, Angst und Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, abnormale Träume (einschließlich Albträume), Schwindelgefühl, Migräne, Gewichtszunahme, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, erhöhte Gamma-Glutamyltransferase (Leberenzym), Aspartat-Aminotransferase (Enzym mit Informationen über den Zustand der Lebergesundheit) und Alanin-Aminotransferase (für den Leberstoffwechsel wichtiges Enzym), Rückenschmerzen;

gelegentlich Suizidgedanken und suizidales Verhalten, Agitiertheit und damit verbundene Symptome wie Gereiztheit und Ruhelosigkeit, Aggressivität, Verwirrtheit, Manien, Tinnitus (Ohrensausen, Ohrenklingeln, Ohrgeräusch), Parästhesien (nicht durch äußere Reize ausgelöste unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen), vermehrtes Schwitzen, verschwommenes Sehen, Gewichtsabnahme, entzündliche Hautveränderungen, Juckreiz und Urtikaria (Nesselsucht, Nesselfieber – allergische Hautreaktion).

Die Firma Servier Suisse informiert über nicht auszuschließende Leberschäden mit tödlichem Ausgang:

»Nach der Markteinführung sind bei Patienten, die mit Valdoxan behandelt wurden, Fälle von Leberschädigung, einschließlich Leberinsuffizienz (Leberversagen) (bei Patienten mit Risikofaktoren für eine Leberschädigung in wenigen Ausnahmefällen mit tödlichem Ausgang oder Lebertransplantation), erhöhte Leberenzymwerte um mehr als das 10-fache des oberen Normbereichs, Hepatitis (Leberentzündung) und Ikterus (Gelbsucht) berichtet worden. Die meisten traten in den ersten Behandlungsmonaten auf. Die Form der Leberschädigung ist überwiegend hepatozellulär (die Leberzellen betreffend).« (Servier [Suisse], 2021)

► Risiken in Schwangerschaft und Stillzeit: Um zu klären, ob Agomelatin bei Menschen zu Missbildungen führt, braucht es noch weitere Anwendungserfahrungen. In Tierversuchen zeigt sich, dass Agomelatin in die Muttermilch übergeht.

► Indikationen zum Reduzieren und Absetzen: Hersteller fordern Ärzte auf, Agomelatin sofort abzusetzen, wenn Symptome oder Anzeichen einer möglichen Leberschädigung auftreten (zum Beispiel dunkler Urin, hell gefärbter Stuhl, gelbe Haut, gelbe Augen, Schmerzen im rechten Oberbauch, anhaltende, neu auftretende und unerklärliche Müdigkeit), ebenso wenn Transaminase-(Aminotransferase – für den Aminosäure-Stoffwechsel wichtiges Enzym)Werte auf über das Dreifache des oberen Normbereichs ansteigen oder wenn manische Symptome auftreten.

► Herstellerinformationen zum Absetzen: Laut Fachinformation kann Agomelatin abrupt abgesetzt werden, Entzugsprobleme würden nicht auftreten. Ob dies insbesondere nach langer Einnahme von Agomelatin zutrifft, steht dahin. Die Eliminationshalbwertszeit (Zeit ab Einnahme bis zur Halbierung der im Organismus befindlichen Restmenge) von Agomelatin beträgt 1-2 Stunden.

Bupropion

Bupropion wird den atypischen Antidepressiva der 2. Generation zugerechnet, zählt zu den Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmern (NDRI) und wird derzeit unter den Handelsnamen Bupropion, Elontril, Wellbutrin, und Zyban vermarktet. Zudem ist Bupropion im Kombinationspräparat Mysimba enthalten, einem Diätergänzungsmittel. NDRI hemmen den Abbau des Botenstoffs Dopamin nach verrichteter Tätigkeit. Dadurch bleibt er länger im synaptischen Spalt (Kopplungsstelle von Nervenzellen) und erregt die Empfängerzellen über einen längeren Zeitraum. Gleichzeitig hemmen NDRI die Wiederaufnahme von Noradrenalin mit vergleichbarer Wirkung. Dies soll die Stimmung aufhellen. Die zugelassene Indikation lautet Depression. Als Raucherentwöhnungsmittel darf Bupropion ebenfalls verordnet werden. Als Kontraindikationen gelten unter anderem ein Tumor des Zentralnervensystems, eine schwere Leberzirrhose (Erkrankung der Leber, einhergehend mit irreparabler Zerstörung des Lebergewebes), Ess-Brech-Sucht und Anorexia nervosa (Appetitlosigkeit bis hin zur lebensbedrohlichen Magersucht).

► Unerwünschte Wirkungen: Laut Herstellern ist bei Bupropion mit diesen unerwünschten Wirkungen zu rechnen:

sehr häufig Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen (20 %), Mundtrockenheit (16 %), Magen-Darm-Störungen einschließlich Übelkeit (13 %) und Erbrechen, Überempfindlichkeitsreaktionen wie Urtikaria (Nesselsucht, Nesselfieber – allergische Hautreaktion);

häufig Kraftlosigkeit, Agitiertheit und damit verbundene Symptome wie Gereiztheit und Ruhelosigkeit, Angst und Ängstlichkeit, Geschmacksstörungen, Tinnitus (Ohrensausen, Ohrenklingeln, Ohrgeräusch), Fieber, Schweißausbrüche, Sehstörungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, erhöhter Blutdruck (manchmal schwerwiegend), Brust- und Bauchschmerzen, Verstopfung, Hautausschlag, Juckreiz;

gelegentlich Depressionen, Konzentrationsstörungen, Herzjagen.

► Risiken in Schwangerschaft und Stillzeit: Studien, die Schwangerschafts-Verläufe nach Einnahme von Bupropion im ersten Schwangerschaftsdrittel erforschten, zeigten einen Zusammenhang mit erhöhtem Risiko für Fehlbildungen des Gefäßsystems und des Herzens, speziell der Trennwand zwischen den beiden Herzkammern, zudem Defekte des Ausflusstrakts der linken Herzkammer. Bupropion geht in die Muttermilch über.

► Indikationen zum Reduzieren und Absetzen: Hersteller fordern in ihrer Fachinformation Ärzte auf, die Möglichkeit des Absetzens von Bupropion zu erwägen, sollten Patienten suizidal werden, insbesondere, wenn diese früher nie mit Suizidalität zu tun hatten. Bupropion müsse dauerhaft abgesetzt werden, sollten Patienten unter der Behandlung einen epileptischen Anfall erleiden.

► Herstellerinformationen für zum Absetzen: Auch wegen nicht auszuschließender Rebound- und Absetzsymptome raten Hersteller wie beispielsweise GlaxoSmithKline AG (2021c) in ihrer Fachinformation, ein ausschleichendes Absetzen von Bupropion in Betracht zu ziehen. Reboundsymptome sind gegenregulatorisch wirkende Anpassungsreaktionen, die teilweise zu einem verstärkten Wiederauftreten der ursprünglichen Symptomatik führen. In welcher Geschwindigkeit Bupropion gerade nach längerer Einnahme verringert werden soll, wird nicht mitgeteilt. Die Patienteninformation zum selben Produkt enthält keinerlei Hinweise auf mögliche Probleme beim Absetzen (GlaxoSmithKline AG, 2022). Die mittlere Eliminationshalbwertszeit (Zeit ab Einnahme bis zur Halbierung der im Organismus befindlichen Restmenge) von Bupropion beträgt ca. 20 Stunden.

Citalopram

Citalopram wird den Antidepressiva der 2. Generation zugerechnet, zählt zu den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRI) und wird derzeit unter den Handelsnamen Cipramil, Citalon, Citalopram, Citalostad, Claropram, Pram und Seropram vermarktet. SRI hemmen den Abbau des Botenstoffs Serotonin nach verrichteter Tätigkeit. Dadurch bleibt er länger im synaptischen Spalt (Kopplungsstelle von Nervenzellen) und die Empfängerzelle bleibt über einen längeren Zeitraum erregt. Dies soll die Stimmung aufhellen. Die zugelassene Indikation lautet Depression. Als Kontraindikation gilt unter anderem eine QT-Verlängerung (Verlängerung der Zeitspanne im Elektrokardiogramm von Beginn der Q-[Depolarisation] bis zum Ende der T-Zacke [Repolarisation]).

► Unerwünschte Wirkungen: Laut Herstellern ist bei Citalopram mit diesen unerwünschten Wirkungen zu rechnen:

sehr häufig Kraftlosigkeit, Schlafstörungen, Schlaflosigkeit (15 %), Kopfschmerzen, Akkommodationsstörungen (Störungen der funktionellen, mittels Veränderung der Linsenkrümmung erfolgenden Nah- und Ferneinstellung) des Auges, vermehrtes Schwitzen (10 %), Übelkeit (19 %), Mundtrockenheit (16 %);

häufig Apathie, Ermüdung, Schläfrigkeit (14 %), Nervosität, Agitiertheit und damit verbundene Symptome wie Gereiztheit und Ruhelosigkeit, Angstzustände, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Schwindelgefühle, abnormale Träume (einschließlich Albträume), Parästhesien (nicht durch äußere Reize ausgelöste unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen), Geschmacksverwirrung, Migräne, Tinnitus (Ohrensausen, Ohrenklingeln, Ohrgeräusch), zu starke und zu lange andauernde oder mit krampfartigen und langandauernden Schmerzzuständen einhergehende Regelblutung, wiederholte und azyklisch auftretende Zwischenblutungen außerhalb des Menstruationszyklus, gestörter oder ausbleibender Samenerguss, Impotenz, verminderter Appetit, Gewichtsabnahme, Anorexie (Appetitlosigkeit bis hin zur lebensbedrohlichen Magersucht), Herzklopfen und -jagen, erniedrigter oder erhöhter Blutdruck, erhöhte Speichelabsonderung, Blähungen, Bauchschmerzen, Verdauungsstörung im Oberbauch (einhergehend mit Völlegefühl), Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Gähnen, Nasenschleimhaut- und Nasennebenhöhlen-Entzündung, krankhaft erhöhte Urinausscheidung, Juckreiz, Hautausschlag, Muskelzittern, Muskel- und Gelenkschmerz;

gelegentlich Aggressivität, Wut und feindseliges Verhalten, Depersonalisation (Entfremdungserlebnis mit als unwirklich wahrgenommener Veränderung von Identität, Selbst oder Körper), Euphorie, Manien, Halluzinationen, Synkopen (anfallsartig einsetzende, kurzdauernde Ohnmachtsanfälle infolge Minderdurchblutung des Gehirns), Mydriasis (Weitstellung der Pupille), krankhaft erhöhte Lichtempfindlichkeit, Ödeme (Ansammlungen wässriger Flüssigkeit im Körpergewebe), zu starke und zu lange andauernde Regelblutung, gesteigerter Appetit, Gewichtszunahme, verlangsamte Herztätigkeit, Unfähigkeit zur Blasenentleerung, Urtikaria (Nesselsucht, Nesselfieber – allergische Hautreaktion), Purpura (kleinfleckige Blutungen in den feinen Blutadern der Haut, Unterhaut oder den Schleimhäuten), Haarausfall.

► Risiken in Schwangerschaft und Stillzeit: Tierexperimentelle Studien mit Citalopram zeigten eine leichte fetale Entwicklungsverzögerung. Nach Auswertung einer Reihe von Studien in der Humanmedizin weiß man, dass bei Neugeborenen, die im Mutterleib in den ersten 20 Wochen der Schwangerschaft Citalopram ausgesetzt waren, der Blutdruck anhaltend hoch sein kann. Nach der Geburt können massive Entzugsprobleme auftreten, unter anderem Atmungsschwierigkeiten, Zyanose (bläuliche Verfärbung der Haut oder Schleimhäute als Folge von Minderdurchblutung), Atemstillstand und epileptische Anfälle. Citalopram tritt in die Muttermilch über.

► Indikationen zum Reduzieren und Absetzen: Hersteller fordern Ärzte auf, Citalopram abzusetzen, wenn unter dem Antidepressivum ein epileptischer Anfall auftritt, eine Manie, ein Serotonin-Syndrom (Symptomenkomplex aus psychischen und zentralnervösen Störungen, vegetativen Entgleisungen und Muskelstörungen) oder Herzstörungen.

► Herstellerinformationen zum Absetzen: Beim Absetzen von Citalopram müsse die Dosis stufenweise über eine Zeitspanne von ein bis zwei Wochen verringert werden, um Absetzsymptome zu vermeiden, schreiben Hersteller und weisen auf alle möglichen Absetzreaktionen hin, wie die Herstellerinformation in der Schweiz belegt. Erwähnt wird in der Fachinformation auch, dass die Absetzprobleme andauern können. Was in diesem Fall zu tun ist, bleibt allerdings unerwähnt:

»Das Risiko von Absetzreaktionen kann von mehreren Faktoren abhängen, einschließlich Dauer der Behandlung, Dosis und Geschwindigkeit der Dosisreduktion. Schwindelgefühl, Empfindungsstörungen (einschließlich Parästhesien [nicht durch äußere Reize ausgelöste unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen]), Schlafstörungen (einschließlich Schlaflosigkeit und intensiver Träume), Erregtheit oder Angst, Übelkeit und/oder Erbrechen, Zittern, Verwirrtheit, Schwitzen, Kopfschmerzen, Durchfall, Herzklopfen, emotionale Instabilität, Reizbarkeit und Sehstörungen sind die am häufigsten berichteten Reaktionen. Im Allgemeinen sind diese Symptome leicht bis mäßig schwer, bei einigen Patienten können sie jedoch schwerwiegend sein. Sie treten normalerweise innerhalb der ersten Tage nach Absetzen der Behandlung auf, aber in sehr seltenen Fällen wurde von solchen Symptomen bei Patienten nach unbeabsichtigtem Auslassen einer Dosis berichtet. Im Allgemeinen bilden sich diese Symptome von selbst zurück und klingen innerhalb von 2 Wochen ab. Bei einigen Personen können sie länger anhalten (2-3 Monate oder länger).« (Sandoz Pharmaceuticals AG, 2021a)

Treten Entzugsprobleme auf, sind diese laut Patienteninformation des Herstellers nicht seinem Produkt anzulasten, sondern einzig einem zu schnellen Absetzen:

»Da ein plötzliches Absetzen von Citalopram Sandoz zu Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Empfindungsstörungen, Zittern, Angst, Herzklopfen, vermehrtes Schwitzen, Nervosität und Schlafstörungen führen kann, darf die Behandlung nicht abrupt abgesetzt werden.« (Sandoz Pharmaceuticals AG, 2021b)

Die Information über anhaltende Entzugsprobleme wird ihnen vorenthalten. Dass der in der Fachinformation vorgeschlagene Absetzzeitraum von 1-2 Wochen gerade nach längerer Einnahme von Citalopram in der Regel viel zu kurz ist, ist für die Hersteller ebenfalls kein Thema. Die Eliminationshalbwertszeit (Zeit ab Einnahme bis zur Halbierung der im Organismus befindlichen Restmenge) von Citalopram beträgt ca. 36 Stunden.

Dapoxetin

Dapoxetin wird den Antidepressiva der 2. Generation zugerechnet, zählt zu den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRI) und wird derzeit unter dem Handelsnamen Priligy vermarktet. Die Wirkungsweise ist vergleichbar mit der von Citalopram. Im Unterschied zu dieser Substanz bewirkt Dapoxetin gelegentlich auch Taubheitsempfinden am männlichen Genital. Die zugelassene Indikation lautet nicht Depression, sondern Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss). Als Kontraindikation gelten unter anderem diverse Herzerkrankungen, psychische Probleme wie Depression, Manien, Schizophrenie, Angst- oder Panikstörungen sowie Phobie (krankhafte Angst), posttraumatisches Syndrom, Suchterkrankungen, Suizidalität, Synkopen (anfallsartig einsetzende, kurzdauernde Ohnmachtsanfälle infolge Minderdurchblutung des Gehirns), Nieren- und Leberfunktionsstörungen. An Frauen im gebärfähigen Alter und Personen unter 18 Jahren darf Dapoxetin nicht verordnet werden.

► Unerwünschte Wirkungen: Laut Herstellern ist bei Dapoxetin mit diesen unerwünschten Wirkungen zu rechnen:

sehr häufig Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Übelkeit;

häufig Müdigkeit, Somnolenz (Benommenheit mit abnormer Schläfrigkeit als leichtere Form der Bewusstseinstrübung unter erhaltener Ansprechbarkeit und Erweckbarkeit), Agitiertheit, Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Angstzustände, Aufmerksamkeitsstörungen, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, abnormale Träume (einschließlich Albträume), Parästhesien (nicht durch äußere Reize ausgelöste unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen), Tinnitus (Ohrensausen, Ohrenklingeln, Ohrgeräusch), verschwommenes Sehen, vermehrtes Schwitzen, vermindertes sexuelles Interesse, gestörte oder fehlende Erektion des Penis bei sexueller Erregung, Mundtrockenheit, Erbrechen, Verdauungsstörung im Oberbauch (einhergehend mit Völlegefühl), aufgeblähter Bauch, Bauchschmerzen, Magenbeschwerden, Blähungen, Durchfall, Verstopfung, anfallsweise auftretendes Erröten, erhöhter Blutdruck, Nasennebenhöhlenverstopfung, Zunahme der Blutmenge in der Nase, Muskelzittern;

gelegentlich Ruhigstellung, Kraftlosigkeit, Apathie, Lethargie, exzessives Tagesschlafbedürfnis, Depressionen, Nervosität, Desorientierung, Bewusstseinstrübung, Verwirrtheit, Euphorie, übersteigerte Wachsamkeit, anomales Denken, Betrunkenheitsgefühl, Schlaf-, Empfindungs- und Schmeckstörungen, Parästhesie (unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörung) des Genitals, kalter Schweiß, Hitzewallungen, Augenschmerzen, Sehstörungen, Mydriasis (Weitstellung der Pupille), Verlust des sexuellen Interesses, Ausbleiben von Samenerguss und Orgasmus, verlangsamte Herztätigkeit, Herzjagen, Sinusarrest (kompletter Ausfall der Reizbildung im Sinusknoten, dem obersten Erregungszentrum des Herzens), Bauchbeschwerden, erniedrigter oder erhöhter Blutdruck, Juckreiz, Zähneknirschen, Akathisie (als quälend empfundene, neurologisch bedingte Ruhelosigkeit oder zwanghafter Bewegungsdrang).

► Risiken in Schwangerschaft und Stillzeit: In Studien zu Entwicklungsstörungen bei Tieren unter Dapoxetin-Wirkung wurde die Zeit um die Geburt herum und danach nicht berücksichtigt. Um herauszufinden, ob Dapoxetin beim Menschen ins Sperma oder die Muttermilch ausgeschieden wird, braucht es noch weitere Anwendungserfahrungen.

► Indikationen zum Reduzieren und Absetzen: Hersteller fordern Ärzte auf, Dapoxetin abzusetzen, wenn epileptische Anfälle, Depressionen oder andere psychiatrische Störungen auftreten.

► Herstellerinformationen zum Absetzen: Dapoxetin ist zwar nicht als Antidepressivum zugelassen, gehört aber dennoch zur Wirkstoffgruppe der SRI. Deshalb informiert die Schweizer Dapoxetin-Herstellerfirma Menarini AG in ihrer Fachinformation über typische SRI-Entzugssymptome beim Absetzen ihres Produkts:

»Ein abruptes Absetzen chronisch verabreichter SSRI, die zur Behandlung chronischer depressiver Erkrankungen angewendet wurden, kann zu einem Entzugssyndrom mit Symptomen wie Dysphorie (Übellaunigkeit), Reizbarkeit, Agitation, Schwindel, sensorischen Störungen (z. B. Parästhesien [unangenehme, manchmal schmerzhaft brennende Körperempfindungen mit Kribbeln, Taubheit, Einschlafen der Glieder, Kälte- und Wärmewahrnehmungsstörungen] wie etwa elektrisierende Empfindungen), Angstzuständen, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Lethargie, emotionaler Labilität, Insomnie (Ein- und Durchschlafstörungen) und Hypomanie (leichte Form der Manie) führen.« (2013)

Treten Entzugsprobleme auf, sind diese laut Patienteninformation des Herstellers nicht seinem Produkt anzulasten, sondern einzig einem zu schnellen Absetzen: »Ein abruptes Absetzen von Priligy kann zu Entzugserscheinungen führen.« (Menarini AG, 2021) Informationen, wie Dapoxetin abzusetzen ist, gibt der Hersteller nicht. Die Eliminationshalbwertszeit (Zeit ab der Einnahme bis zur Halbierung der im Organismus befindlichen Restmenge) von Dapoxetin beträgt ca. 19 Stunden.

Duloxetin