Göttliche Herzen (Cataleyas Erbe 2) - Lilly C. Zwetsch - E-Book

Göttliche Herzen (Cataleyas Erbe 2) E-Book

Lilly C. Zwetsch

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Beschreibung

**Gefangen zwischen Pflicht und Liebe**  Wie besiegst du eine Gottheit, die selbst Seinesgleichen fürchten müssen?  Trotz all ihrer Bemühungen liegt Cataleyas Wunsch, den jungen Thronfolger Tarik zum Kaiser zu erheben, noch in weiter Ferne – vor allem als eine neue Gefahr auftaucht. Der grausame Gott Gan reißt die Herrschaft über das gesamte Reich an sich und droht, die Menschheit zu vernichten. Einzig das Bündnis mit den anderen Göttern und die Magie, die deren Herzen innewohnt, könnten ihn jetzt noch aufhalten. Doch die dafür benötigte göttliche Macht fordert ein Opfer und Cataleya begreift, dass ihr nicht mehr viel Zeit mit Tarik bleibt … Textauszug:   Pun legte mir eine Hand auf die Schulter. »Der Tod ist euch auf den Fersen, Leya. Wenn ihr nicht schnell genug seid, holt er euch ein. Also überlege gut, ob du die Pflicht über dein Herz stellen willst.«  Fühl dich ein in diese emotionale, spannungsgeladene Romantasy und folge dem Ruf der Götter!   //Dies ist der zweite Band der atemberaubenden Fantasy-Buchserie »Cataleyas Erbe«. Alle Romane der Götter-Fantasy: -- Band 1: Göttliche Insignien -- Band 2: Göttliche Herzen// Diese Reihe ist abgeschlossen. 

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Lilly C. Zwetsch

Göttliche Herzen (Cataleyas Erbe 2)

**Gefangen zwischen Pflicht und Liebe**Wie besiegst du eine Gottheit, den selbst Seinesgleichen fürchten müssen?

Trotz all ihrer Bemühungen liegt Cataleyas Wunsch, den jungen Thronfolger Tarik zum Kaiser zu erheben, noch in weiter Ferne – vor allem als eine neue Gefahr auftaucht. Der grausame Gott Gan reißt die Herrschaft über das gesamte Reich an sich und droht, die Menschheit zu vernichten. Einzig das Bündnis mit den anderen Göttern und die Magie, die deren Herzen innewohnt, könnten ihn jetzt noch aufhalten. Doch die dafür benötigte göttliche Macht fordert ein Opfer und Cataleya begreift, dass ihr nicht mehr viel Zeit mit Tarik bleibt …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© Antonia Fechner

Lilly C. Zwetsch schrieb schon mit 13 ihre ersten Geschichten. 2018 entschied sie sich dazu, aus ihrem Hobby einen Beruf zu machen und widmet sich seitdem voll und ganz dem Schreiben, trinkt dabei Unmengen an Kaffee und schwitzt in einer Dachgeschosswohnung in Köln. Nebenbei bloggt sie auf Instagram und YouTube als „Lillyteratur“ über Fantasy-Romane. Sie liest, lebt und schreibt ganz nach dem Motto: Warum ein Leben leben, wenn du tausend leben kannst?

Prolog

Nachdem die Götter Las, Kit, Pun, Sin, Nat und Gan die Welt Dhuara geschaffen und das Reich Boronia gegründet hatten, setzten sie den ersten Kaiser auf den Thron und stellten ihm einen Wächter zur Seite, der über Herrscher und Reich wachen und beide mit seinem Leben beschützen sollte: die Schwarze Hand.

Und damit die Hand ihrer Aufgabe pflichtgemäß nachkommen konnte, gaben die Götter ihrem Schmied Iratius den Auftrag, ein Schwert zu schaffen, das jedes andere übertreffen sollte.

Der Götterschmied arbeitete zehn Tage und zehn Nächte. Bei Sonnenaufgang des elften Tages löschte er die Klinge ein letztes Mal und betrachtete sein Werk.

»Ich nenne dich Myadrion, nach dem Stern, aus dem ich deine Klinge schnitt. Du hast die Macht, Könige zu stürzen und Welten zu vernichten. Doch deine Bestimmung sei der Schutz der Unschuldigen. Diene deinem Träger treu, doch niemals vorbehaltlos.«

Dann gab Iratius das Schwert an die Schwarze Hand und seither wurde Myadrion von Generation zu Generation weitergegeben. In den Händen hunderter Männer und Frauen erlangte die Blaue Klinge traurige Berühmtheit.

Kapitel 1

Tarik

Der donnernde Knall einer Explosion erschütterte die Luft, kurz bevor die Druckwelle uns erreichte und die Fensterscheiben zum Klirren brachte.

»Was zum …?!«, Miko sprang auf, vergaß dabei jedoch seinen verletzten Oberschenkel und sank stöhnend zurück auf den Stuhl.

Mich hingegen hielt nichts davon ab, ans Fenster zu hechten und hinauszublicken. Eine Staubwolke stieg vom Palast auf. Die Mauern verwehrten den genauen Blick auf das Ausmaß der Zerstörung, aber ich war in diesem Palast aufgewachsen. Und ich wusste genau, welches Gebäude betroffen war.

Meine Kehle schnürte sich zu. Panik griff in meine Brust und quetschte mein Herz zusammen.

Ich wirbelte herum, packte mein Schwert und band mir im Laufen den Gurt um die Hüften.

»Was ist los?«, fragte Miko aufgebracht. Mittlerweile hatte er es auf die Füße geschafft und hielt sich an der Stuhllehne fest.

»Der Kerker ist explodiert«, sagte ich knapp.

»Aber …« Miko wich alles Blut aus dem Gesicht, dennoch kniff er entschlossen die Lippen zusammen. »Ich komme mit.«

»Vergiss es. Ich werde nicht darauf warten, dass du hinter mir her humpelst«, stellte ich klar. »Wenn Leya die Explosion …« Ich konnte es kaum aussprechen. »Wenn sie lebt, dann finde ich sie und bringe sie her. Und du wartest hier.«

Miko sah aus, als hätte er am liebsten widersprochen, aber gegen meine Logik kam er nicht an. Und ehe er mich noch weiter aufhalten konnte, war ich bereits aus der Tür und nahm die Hintertreppe hinab zu den Ställen.

Außer mir waren noch andere Menschen auf den Straßen, um sich mit ängstlicher Neugier nach den Geschehnissen im Palast zu erkundigen. Als Erbe des Kaisers wäre es an mir gewesen, die Menschen zu beruhigen und ihnen gut zuzureden. Aber wie konnte ich das, während mein Herz nach Leya schrie, ich die Welt, wie wir sie kannten, erst wenige Stunden zuvor ins Chaos gestürzt hatte und nun einen Gott in mir trug?

Also hetzte ich achtlos an den Bewohnern Lisurs vorüber in Richtung Palast. Nachdem Akkar mein Zuhause mit seinem dunklen Zauber und der Anwesenheit eines frevlerischen Gottes namens Gan beschmutzt hatte und ich, in dem Glauben, ich sei tot, wie Dreck vor den Palastmauern abgeladen worden war, hatte ich nie wieder zurückkehren wollen. Meine Nackenhaare stellten sich auf, je näher ich dem Explosionsherd kam. War Gan gerade dort? Oder hatte er sich bereits auf die Suche nach seinen Geschwistern gemacht?

Ich spürte Sins Unruhe in meinem Innern. Er konnte meine Gedanken verfolgen wie eine Theatervorstellung und ich vermochte wiederum seine Gefühle zu interpretieren. Bislang hatte sich mein Schutzpatron als gewohnt wortkarg entpuppt, wofür ich dankbar war. Seine Stimme zu hören, während ich ihm gegenüberstand, war etwas ganz und gar anderes, als ihn in meinem Kopf zu haben wie die Stimme eines Verrückten. Es machte mich seltsam nervös, nun das Gefühl zu haben, nichts mehr vor meinem Schutzpatron verheimlichen zu können, nicht einmal meine tiefsten Gedanken. Und gleichzeitig wollte ich ihm auf Knien danken. Nicht nur, weil er mich ins Leben zurückgeholt hatte, sondern auch, weil seine Macht mich durchströmte und mir neue Kraft und Schnelligkeit verlieh. Was zu tun ich imstande sein würde, sobald ich seine Gaben erst einmal wahrhaftig beherrschte, konnte ich nur erahnen. Und mit dieser Ahnung schmiedete ich Pläne zu Akkars, oder eher Gans, Ableben. Sie waren blutig und mitleidlos und ich würde nicht zögern, sie in die Tat umzusetzen.

Endlich hatte ich die Palastmauer erreicht. Die Garde war nirgends zu sehen, das Haupttor unbewacht. Außer mir schien aber auch kaum jemand Interesse daran zu haben, in die Nähe des Unglücks zu gelangen. Selbst die Neugier der einfachen Leute bewegte sich in einem Rahmen gesunden Respekts vor der Obrigkeit. Und niemand wollte sich innerhalb der Mauern erwischen lassen, sobald die Palastgarde wieder ihre Posten bezog.

Mir war das gleich. Ich rannte durch das Tor, ohne darauf zu achten, ob mich jemand entdeckte. Die Luft war ohnehin erfüllt von Staub und Steinsplittern, die die Sicht erheblich einschränkten. Ich drückte Mund und Nase in meine Ellenbeuge und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um sie weitestgehend zu schützen.

Ich stolperte, als mein Fuß an etwas Weichem hängen blieb. Mein Herz setzte einen Schlag aus, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Ich spürte die schmeichelnde Nähe von Sins Schatten in meinem Innern, aber selbst sie konnten mich jetzt nicht beruhigen, als ich in die Knie ging und den Leichnam auf den Rücken drehte. Die Kleider waren so staubbedeckt, dass ich erst jetzt erkannte, dass der Tote die Uniform der Palastgarde trug. Ein guter Kaiser hätte um seinen verstorbenen Diener getrauert. Er hätte ein Gebet an die Göttin Pun gesandt und um Aufnahme der Seele des Verstorbenen in die Nachwelt gefleht. Ich jedoch lief schier über vor Erleichterung, sprang wieder auf und kämpfte mich weiter durch die sich langsam legende Staubwolke.

Leya musste hier irgendwo sein. Rufe hallten durch den Dunst. Hier und da flackerte Feuerschein zwischen verkohlten Steinen. Felsbrocken und Überreste von Stahlgittern übersäten den Boden. Nun bestand kein Zweifel mehr: Hier hatte vor wenigen Augenblicken noch das Gefängnis von Boronia gestanden. Eines der ältesten und sichersten Gebäude des gesamten Reiches, beinahe so gut bewacht wie die Gemächer des Kaisers selbst.

Ich stolperte durch das Trümmerfeld, während sich die Staubwolke langsam auf mich herabsenkte. Bald schon würde ich für alle gut sichtbar sein. Hoffentlich bedeckte mich der Staub dann genauso lückenlos wie die Überreste weiterer Palastwachen und anderer Personen, vermutlich Insassen, die wie willkürlich verstreut umherlagen. Arme und Beine waren teils vom Rest des Körpers getrennt. Andere hatte die Explosion zu unkenntlichen Fetzen zerrissen. Blut und Asche und Staub – mehr war nicht übriggeblieben. Und je länger ich zwischen diesen Resten umherstolperte, desto überzeugter war ich, Leya im Zentrum des Chaos zu finden.

Wind kam auf und wirbelte den verbliebenen Staub fort, sodass ich endlich wieder sehen konnte. Ich stand auf einem Mauerrest, oberhalb eines zwei Meter tiefen Kraters, in dem sich Schutt und Asche gesammelt hatten. Dies war unverkennbar das Zentrum der Explosion. Die Steine waren schwarz verkohlt, es roch nach Rauch, verbranntem Haar und geröstetem Fleisch. Mir drehte sich der Magen um, als der Geruch mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.

Neben mir stolperte ein Soldat aus den Staubwolken und blickte ähnlich gefesselt in den Krater hinab.

»Was, beim großen Gan, ist hier los?«, fluchte er, hustete und spuckte einen Batzen Schleim aus. Dann wandte er sich an mich. Anscheinend hielt er mich für einen seiner Kameraden, denn er wirkte nicht die Spur misstrauisch.

Ich wollte gerade antworten, als sich im Staub zu unseren Füßen etwas regte. Wie gebannt starrte ich auf die Gestalt, die sich aus all dem Chaos erhob, unversehrt und mit vor Zorn und Hass funkelnden Augen. Die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, richtete sie sich zu voller Größe auf und reckte das Kinn empor. Überall und zu jeder Zeit hätte ich diese Frau erkannt: die Schwarze Hand des Kaisers.

Sie war zurück. Und dem nach zu urteilen, was ich vor mir sah, war sie stärker denn je. Ihre Hände glühten in einem unheimlichen Schein, der auch auf ihre Augen überging. Vor Ehrfurcht erstarrt konnte ich nur dabei zusehen, wie sie, als Einzige frei von Staub und Schmutz, aus dem Krater stieg.

Der Soldat neben mir fingerte an seinem Gürtel herum, auf der Suche nach einer Waffe. Seine Bewegungen wurden immer fahriger, je näher Leya kam. Und ich konnte ihm seine Angst nicht verdenken. Sie sah aus wie eine Rachegöttin, wie eine Gesandte Puns persönlich.

Die Augen des Soldaten wurden riesig, als sie direkt vor ihm stehen blieb. Er hatte seine Suche nach einer Klinge aufgegeben und unter den Geruch von Asche und Rauch mischte sich nun der beißende Gestank von Urin.

Leya legte den Kopf leicht schräg wie ein Raubvogel, der seine Beute erspäht hatte. Ein träges Lächeln hob ihren Mundwinkel. »Wie ist dein Name?« Ihre Stimme hatte jenen dunklen Klang angenommen, den sie nur als die Schwarze Hand trug. Er versprach grausame Qualen und süße Belohnung zugleich. Niemand widersetzte sich ihm.

»N… Niol«, stammelte der Soldat. Ich kannte ihn nicht, aber Leya nickte, als hätte sie bereits von ihm gehört.

Schritte erklangen in näherer Umgebung. Das Rufen der Rettungsmannschaften und Wasserträger rückte aus der Ferne heran. Bald schon würde es hier von Soldaten nur so wimmeln. Dann sollten wir verschwunden sein. Bestenfalls, ehe die Wächter ihren Posten am Tor wieder einnahmen.

»Niol«, sagte Leya, wobei sie seinen Namen etwas in die Länge zog.

Der Soldat schluckte hörbar und ich war mir sicher, unter seiner Angst jetzt noch ein weiteres, nicht minder primitives, Gefühl zu erkennen.

»Richte deinem Meister aus: Die Schwarze Hand ist zurückgekehrt. Und sie bringt Krieg.«

Kapitel 2

Leya

Ich riss die Tür zu Tariks Zimmer auf. Das schwere Blatt knallte gegen die Wand. Sofort waren alle Anwesenden auf den Beinen und hatten die Waffen blankgezogen.

Mein Herz raste vom schnellen Lauf hierher. Meine Augen brannten noch immer vom Staub und in meinen Ohren klingelte es unangenehm. Doch so groß die Erleichterung über Tariks Auftauchen auch gewesen war, so fest hatte mich die Sorge um Miko und Myra in ihren Klauen gehalten. Diese verpuffte nun im Angesicht meiner verwirrt dreinblickenden Freunde.

Myra stand am Fenster, zwei schmale Klingen in Händen, die ich an ihr noch nie gesehen hatte. Miko stand auf der anderen Seite des Tisches, in der Hand seine Wurfaxt, das Gesicht bleich vor Schmerz. Und ihm gegenüber stand …

Jaron.

Er trug die Uniform der Palastgarde und stützte eine geladene Armbrust gegen seine Schulter. Als er mein Gesicht sah, stieß er einen leisen Pfiff aus und ließ die gefährliche Waffe sinken.

Tarik trat hinter mir ein. Sehr viel gesitteter und weniger außer Atem, obwohl er die ganze Zeit neben mir hergelaufen war. Die Kraft der Göttin verließ mich bereits und zurück blieb der dürre, kraftlose Knochensack, zu dem ich verkommen war. Mit fünf Schritten war ich bei Miko und umarmte ihn fest, wobei ich ihm zurück auf seinen Stuhl half. Das Bein machte ihm offenbar noch immer zu schaffen.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte er. Trotz seiner nüchternen Worte war ihm die Erleichterung über mein Auftauchen anzusehen. Mit einem kurzen Blick zu Tarik versicherte er sich, dass es auch ihm gut ging.

»Ja, Leya. Was hat es zu bedeuten, dass der Kerker plötzlich in Schutt und Asche liegt, ein verdammter Gott auf dem Thron sitzt und du hier stehst und aussiehst wie das blühende Leben, obwohl das halbe Reich schon von deinem Tod spricht?« Jaron verschränkte die Arme vor der Brust und machte keine Anstalten, sich wieder hinzusetzen oder sein Misstrauen zu verbergen. Die Atmosphäre vibrierte geradezu vor nervöser Anspannung.

»Ich könnte dich etwas ganz Ähnliches fragen, Jaron«, knurrte ich, baute mich direkt unter seiner Nase auf und funkelte ihn an. »Wo warst du, als Tarik und ich gestorben sind? Oder, falls du es mit deiner geliebten Metapher besser verstehst: als das verdammte Schiff gesunken ist?«

Jaron biss die Zähne zusammen. »Ich wusste nicht, was Akkar plant«, gab er dann zu.

»Wenn du es gewusst hättest, wärst du dann auf unserer Seite gewesen?«

Jaron sagte nichts. Ich schnaubte verächtlich.

»Dachte ich es mir doch.« Ich trat einen Schritt zurück und wandte mich ab. »Wo ist Damian?«, erkundigte ich mich bei Myra.

Ein Schatten huschte über ihre ebenmäßigen Züge. Sie presste die Lippen aufeinander und zuckte die Schultern. »Er ist nicht zurückgekommen.«

Der Zorn in meinem Innern flackerte erneut auf. Der Verräter war also feige getürmt, statt sich seiner Strafe zu stellen. Zweifellos hatte er in dem Augenblick die Flucht ergriffen, als der Kerker unter der Macht meiner Schutzgöttin gebebt hatte. Aber er würde nicht ewig davonrennen. Und jetzt, da mich kein Eid mehr hielt, würde ich die Verfolgung aufnehmen und ihn zur Strecke bringen. Ihn und seinen verfluchten Gott.

»Was ist hier los?«, verlangte Miko noch einmal zu erfahren.

Ich sah erst zu ihm und dann zu Tarik hinüber. Der Kaisersohn lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür und beobachtete jede meiner Regungen. »Hast du es ihnen schon erzählt?«

Tarik zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

»Würde ich sonst fragen?« Miko verdrehte die Augen. »Sagt uns endlich, was im Thronsaal passiert ist.«

Ich seufzte. »Akkar hat gewonnen, das ist passiert.« Miko runzelte die Stirn und ich fuhr fort: »Er hat ein Ritual in Gang gesetzt, mit dem er den vergessenen Gott Gan wiederauferstehen lassen und auf die Erde holen wollte. Dazu brauchte er das Blut des ersten Kaisers«, ich nickte in Tariks Richtung, »der Schwarzen Hand und …«, ich zögerte, schluckte, »und das Blut einer Hexe.« Mein Blick fing den von Miko ein. »Er hat Yara geopfert.«

Trauer mischte sich unter die Fassungslosigkeit und den Zorn auf Mikos Zügen. Was die anderen dachten, war mir vollkommen gleich. Yaras Tod war meine Schuld. Ich hatte Akkar direkt vor ihre Haustür geführt. Genauer gesagt, hatte dies das Siegel an meinem Unterarm erledigt, mittels dessen er zu jeder Zeit meinen Aufenthaltsort gekannt hatte. Das Zeichen war zwar mit meinem und seinem Tod verschwunden, aber der Schaden, den es angerichtet hatte, war nicht wiedergutzumachen. Und Miko sollte erkennen, wem er die Schuld dafür geben konnte.

»Mit unserem Blut hat Akkars Hexenmeister einen vergessenen Gott zurückgeholt und in Akkars Körper verpflanzt«, fuhr ich fort. »Dabei sind Tarik und ich gestorben.«

»Wenn das wahr ist«, sagte Jaron und sah mich mit gerunzelter Stirn an, »wie könnt ihr dann jetzt beide vor uns stehen?«

Tarik ergriff das Wort. »Unsere Seelen gelangten in die Passage zur Zwischenwelt, wo die Götter bereits auf uns warteten.« Unsere Blicke begegneten sich. »Sie trugen uns ein Angebot an: unser Leben im Austausch für Gans Vernichtung.«

»Wie darf ich das verstehen?« Jaron wirkte nicht minder verwirrt als Miko. Nur Myra blieb gelassen.

»Die Götter …«, hob Tarik an, aber ich unterbrach ihn.

»Wir werden es euch erklären. Aber nicht jetzt und nicht hier. Wir müssen die Stadt verlassen, ehe Akkar oder Gan oder wer auch immer hier jetzt die Befehlsgewalt hat, die Stadt abriegeln lässt.«

Tarik sah wenig begeistert aus, aber er nickte zustimmend. »Akkar wusste von diesem Raum. Wenn er seine Informationen mit dem Hexenmeister geteilt hat, sind wir hier nicht sicher.«

»Eins nur«, bat Miko und stemmte sich zurück auf die Füße. »Was ist mit Akkar? Ist er tot?«

Ja, was war mit Akkar? Ich hielt ihn tatsächlich für tot, aber sicher sein konnte ich mir nicht. Immerhin konnte das Verschwinden des Siegels genauso gut allein mit meinem Tod begründet werden. Und ich trug eine Göttin in mir. Warum sollten sich Akkar und Gan nicht ebenfalls einen Körper teilen? Aber ich spürte Puns Gedanken. Sie hielt ihren Zwilling für zu machtbesessen, zu selbstsüchtig, um die Seele seines Wirtskörpers existent und damit widerstandsfähig zu halten. Also nickte ich. »Akkar ist tot. Aber er hat schlimmeres Übel über Borania gebracht.«

Jaron schien zumindest einen Teil des Ganzen begriffen zu haben, denn er sagte: »Diesen Gan. Einen vergessenen Gott.«

Tarik schnaubte. »Er ist der vergessene Gott. Vor Urzeiten hat er die Menschen missbraucht und ihre Liebe zu ihm ausgenutzt. Seine Geschwister, unsere heutigen Götter, verbannten ihn und tilgten jede Erinnerung an ihn. Jedenfalls glaubten sie das. Zumindest ein Anhänger hat überlebt, um seine dunkle Saat auszutragen.«

»Akkar«, nickte Miko, aber Tarik schüttelte den Kopf.

»Nein. Akkar war bloß eine Spielfigur. Der wahre Drahtzieher ist der Hexenmeister Lytkary. Er ist einer der ehemaligen Anhänger Gans, der durch seine Seelenbindung mit dem Gott unsterblich wurde. Jetzt hat er seinen Meister zurückgebracht und Gan sinnt auf Rache. Er will seine Geschwister töten und die Menschheit versklaven. Nicht nur das Reich, sondern die gesamte Welt.«

Miko riss die Augen auf, aber Jaron kam ihm zuvor, wie immer einen kühlen Kopf bewahrend. »Kann er das denn? Die Götter töten?«

Tarik blickte zu mir.

»Das kann er«, sagte ich schlicht. »Und er wird es tun, wenn wir ihn nicht aufhalten.«

»Dann stellt sich nur eine Frage«, sagte Miko. Alles an ihm drückte Entschlossenheit aus. »Wie besiegen wir einen Gott, den selbst Seinesgleichen fürchten müssen?«

Kapitel 3

Tarik

Wir verkrochen uns in der Tempelruine von Arsberg. Hier hatte einst ein prächtiger Bau gestanden, zu dem die Pilger scharenweise angereist waren. Doch ein heftiges Beben hatte den Tempel bis auf die Grundfesten zerstört und er war nie wiederaufgebaut worden.

Die Schutzsiegel, die mächtige Hexen und Hexer in den Grundsteinen verankert hatten, waren jedoch noch intakt. Ich spürte die Magie wie einen kribbelnden Film auf meiner Haut. Sie schien sich mit Sins eigener Kraft in meinem Innern zu verbinden. Wie schnurrende Katzen strichen die Energien umeinander. Offenbar wurden wir als ungefährlich erachtet.

Oder zumindest als unbedenklich.

Oder als … das geringere Übel?

Ich wusste selbst nicht so recht, was davon wir eigentlich waren. Immerhin hatten Leya und ich maßgeblich zur Erweckung Gans beigetragen. Und wir trugen nun selbst Götter in uns, doch anstatt ihre Kraft zu nutzen, versteckten wir uns hier wie Feiglinge und ließen die Bewohner Lisurs und ganz Boranias unwissend und schutzlos zurück.

Mein Blick huschte hinüber zu Leya. Sie hatte Jaron auf dem letzten Stück geholfen, Miko zu stützen, und lud ihren Freund gerade an einer verwitterten Steinsäule ab. Mikos Gesicht war bleich wie ein Leichentuch und sein verwundetes Bein zitterte unkontrolliert. Mit geübten Bewegungen inspizierte Leya die Wundnaht, schien aber zufrieden. Sie war in so vielen Punkten verändert aus dem Exil zurückgekehrt, dass ich das Gefühl gehabt hatte, sie einerseits genau zu kennen und andererseits vor einer Fremden zu stehen. Wo sie früher aus Klingen und Gewalt bestanden hatte, war sie nun aus … na ja, ich würde es nicht unbedingt Diplomatie nennen und weich war sie auch nicht geworden, aber eben doch anders als früher.

Und jetzt?

Im Kerker musste etwas Entscheidendes vorgefallen sein, denn Leyas Züge waren wieder kalt, ihre Augen voll Hass und ihre Finger zuckten auf der Suche nach Waffen. Ein Muskel an ihrem Kiefer spannte sich immer wieder an. Ich fürchtete, sie würde bald auf das Nächstbeste einschlagen.

Jaron trat durch den halb eingestürzten Torbogen und entspannte die Armbrust. »Alles gesichert. Hier sollten wir erst mal ausruhen können. Aber allzu lange würde ich nicht bleiben. Jemand wie Akkar, oder Gan, oder der Hexenmeister wird sicher früher oder später auf die Idee kommen, hier zu suchen.«

Ich nickte. »Nur für eine Nacht.«

»Und bis wir wissen, wie wir vorgehen«, warf Leya ein. Ein bedrohlicher Ausdruck trat auf ihr Gesicht. Wie befürchtet war sie im nächsten Augenblick bei Myra, hatte die Frau vorn an der Bluse gepackt und heftig zu sich herangezerrt. Alarmiert eilte ich zu ihnen.

»Wusstest du es?«, knurrte Leya und ließ mich innehalten.

Myra starrte sie nur mit zusammengebissenen Zähnen an.

Leya schüttelte sie grob. »Wusstest du es?«, brüllte sie. Ihre Stimme wurde von der Ruine verschluckt.

Jetzt senkte Myra doch den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wusste es nicht.«

Leya schien ihr zu glauben. Sie ließ los und trat einen Schritt zurück, um sich wütend durch die losen Strähnen zu streichen. Ihr Blick begegnete meinem und ich hob fragend eine Braue. Sie seufzte, ging hinüber zu Miko und ließ sich neben ihm nieder. »Damian ist der Verräter«, sagte sie dann.

Atemlose Stille trat ein. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ungläubig starrte ich Leya an, dann Myra. Beide Frauen zeigten nicht die Spur von Überraschung oder Unglauben.

Damian war der Verräter. Er war Akkars Spion gewesen, sein Informant. Er hatte dem Usurpator, der fünf Jahre zuvor meine Familie getötet und die Kaiserkrone an sich gerissen hatte, alles über uns erzählt. Und auch, wo das – von ihm arrangierte – Treffen mit den Fürsten stattfinden sollte, die uns im Kampf gegen Akkar hatten unterstützen wollen. Unser Plan war aufgeflogen und sämtliche Paktierer gefangen gesetzt worden. Auch ich.

Akkar hatte mich gefoltert und Lügen in mein Ohr geträufelt, in der Hoffnung, so das Versteck der Götterinsignien zu erfahren. Zu seinem Pech war nicht ich es gewesen, der sie versteckt hatte und ich hatte auch keine Ahnung gehabt, wohin Leya sie gebracht haben könnte. Dennoch hatte Akkar mich als Druckmittel gegen Leya eingesetzt und sie so dazu gebracht, die Insignien zu ihm zu bringen und gegen mich einzutauschen. Blöderweise war ich zu dem Zeitpunkt schon lebensgefährlich verletzt gewesen und so war doch noch alles schief gegangen. Der Wanne aus Blut und geschmolzenen Götterinsignien war ein von einem Dunklen Gott besessener Akkar entstiegen, der Rache im Herzen und eine schreckliche Macht in Händen trug. Hätte Damian uns nicht verraten, hätten wir Akkar vielleicht aufhalten können.

Ich spürte Zweifel, die nicht meine eigenen waren. Sin schien mit meinen Gedanken nicht übereinzustimmen, aber er sagte nichts weiter dazu.

»Bist du dir sicher?«, fragte Miko. Er wusste genauso gut wie ich, dass Leya eine solche Behauptung nicht grundlos aufstellen würde, aber ich verstand seine Hoffnung.

Damian war in den vergangenen Jahren nach dem Putsch eine Stütze für uns beide gewesen. Er hatte Miko Geld und Lebensmittel zukommen lassen, mit denen er mich in meinem Versteck auf dem Land versorgt hatte. Seinem Wissen über die Politik seines Vaters hatten wir es überhaupt erst zu verdanken gehabt, Verbündete gegen Akkar aufgetrieben zu haben. Und nun sollte er der Verräter sein? Ein Gedanke huschte durch meinen Kopf. Schneller, als dass ich ihn hätte halten können.

Leya nickte. »Er hat mich in meiner Zelle besucht und alles gestanden. Akkar hat ihm versprochen, seine Mutter zurückzuholen, sobald Gan auferstanden wäre. Damian war es überhaupt erst, der Akkar gesteckt hat, dass ich die Insignien nach dem Putsch gestohlen und versteckt habe. Seinetwegen hat Akkar mich Embarro abgekauft und auf diese unsinnige Mission geschickt.« Ihr Blick glitt zu Myra. »Von Damian wusste er auch, wo das Schwert war. Und dass wir alle zusammenarbeiten.«

»Also …« Miko ließ den Kopf gegen die Säule sinken, »… dachten wir die ganze Zeit, wir hätten ihn in der Hand, aber in Wahrheit hatte er uns in der Hand?«

Leya nickte. Die Scham darüber, auf Damians Spiel hereingefallen zu sein, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Myra stieß den Atem aus und ließ sich ebenfalls auf dem staubigen, von Unkraut überwucherten Boden nieder. Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, wirkte sie nicht gefasst, elegant und desinteressiert. Sie sackte geradezu in sich zusammen. »Er hat mich getäuscht«, murmelte sie.

»Er hat uns alle getäuscht«, sagte Leya hart.

Myra blickte auf. »Mag sein. Aber von euch wusste er wenigstens nicht, wo die Insignien sind. Ihr habt ihm nicht …«, ihre Stimme versagte mit einem Laut, den ich für ein Schluchzen gehalten hätte, wäre es nicht Myra gewesen, die hier vor mir saß.

Ich hockte mich ebenfalls hin. Das Unkraut war weich unter meinen erschöpften Beinen und die Krabbeltiere darin störten mich schon lange nicht mehr. Als behüteter Prinz im Schloss aufgewachsen, hatte ich nie zuvor eine Kakerlake oder eine dicke, haarige Spinne gesehen, als ich vor fünf Jahren aufs Land gezogen war. Dort hatte ich eine Menge Zeit damit verbracht, mich zu ekeln. Jetzt war ich abgestumpft genug, sogar hier zu schlafen. »Es hat keinen Zweck, sich in Schuldzuweisungen zu ergehen«, unterbrach ich Leya, die zweifellos gerade im Begriff gewesen war, genau das zu tun. »Wir haben dringendere Probleme als die Klärung dieser Frage.«

Leya seufzte, nickte aber und richtete das Wort an Jaron. »Wirst du uns helfen?«

Der Infiltrator, der als einziger von uns die vergangenen Jahre in unmittelbarer Nähe zu Akkar verbracht und den Usurpator so gut es ging ausspioniert hatte, ließ sich wie immer keine Regung anmerken. Er sagte lediglich: »Ich höre mir an, was ihr zu sagen habt, ehe ich entscheide.«

Leya wirkte darüber genauso wenig glücklich wie ich, aber immerhin war Jaron hier und bereit zuzuhören. Und irgendwie schuldeten wir ihm die Wahrheit, nachdem jeder einzelne von uns an seiner Treue gezweifelt hatte und keiner auf die Idee gekommen war, Damian zu verdächtigen.

»Also schön. Die Kurzfassung: Gan war einer der Schöpfer unserer Welt – der Zwilling von Pun. Er hat Menschenseelen an sich gebunden, um aus ihnen Kraft zu schöpfen, und seinen Anhängern Unsterblichkeit geschenkt. Als die Götter ihn wegen seines Treibens verbannten, töteten sie diese Unsterblichen. Alle bis auf Lytkary, dem es irgendwie gelungen ist, sich zu verstecken. Nur deren Nachkommen überlebten und sind die Hexen und Hexer, die wir heute kennen. Jetzt will Gan dafür Rache an seinen Geschwistern nehmen und dann die Menschheit unterwerfen.«

»Und wie sollen wir das verhindern?«, fragte Jaron ruhig. Als wäre ihm das alles bereits bekannt und nicht die Enthüllung des Jahrhunderts.

»Die Götter mussten ihre Kräfte bündeln, um Gan zu bannen. Jetzt sind sie zwar auf der Flucht vor ihm, aber es könnte noch einmal auf dieselbe Weise gelingen«, überlegte ich laut. Sin regte sich in meinem Innern.

Leya war erstarrt, ihr Blick nach innen gekehrt. Dann nickte sie. »Die Götter«, hob sie an. »Sie haben uns nicht einfach so das Leben geschenkt.« Sie deutete auf sich und mich. »Sie fürchten sich vor Gans Zorn und mussten sich verstecken. Also haben sie sich … in uns versteckt.«

Miko runzelte die Stirn. »In euch? Wie meinst du das?«

»Sie sind in uns«, erklärte ich. »Wir teilen unseren Körper mit je einem von ihnen. So ist ihre Macht vor Gan abgeschirmt und wir können leben.« Wieder huschte dieser Gedanke durch meinen Kopf. Diesmal konnte ich ihn greifen. Mein Blick heftete sich auf Myra. »In dem Übergang, als die Götter uns erwarteten … Du warst auch da.«

Aller Augen lagen auf Myra. Sie richtete sich ein Stück weit auf und sagte gepresst: »Damian hat mich getötet.«

Miko keuchte, Leya riss die Augen auf. Nur Jaron ließ sich nichts anmerken – wie immer.

»Kit hat mir dasselbe Angebot gemacht wie die anderen Götter euch«, fuhr Myra fort. Ihre Miene war nun wieder gewohnt kalt. »So kann ich leben und Damian für das bezahlen lassen, was er getan hat.«

Ihre Worte überraschten mich nicht. Myra war zwar nie besonders kämpferisch gewesen, doch hatte sie vorhin zwei Dolche gezogen, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan. Damian war nicht der Einzige, der noch Geheimnisse hatte.

»Also schön«, sagte Jaron. »Wenn die Götter also ihre Kräfte bündeln, ist Gan erledigt und wir können uns entspannt zurücklehnen?«

Sin bäumte sich in meinem Innern auf. Seine Macht explodierte in meine Glieder und setzte mich schier unter Strom, dann peitschte sie aus mir heraus, geradewegs zwischen meine Freunde. Aber sie richtete keinen Schaden an. Stattdessen erschien aus dem Nichts Sins vertraute Gestalt. Wie wabernder, fluoreszierender Nebel hing er in der Luft, seine mächtigen Arme vor der nackten Brust verschränkt, die Flügel locker herabhängend. Neben ihm erschien die Gestalt einer schönen Frau, deren Haar bis zum Boden wallte. Ich kannte sie.

Miko und Jaron wichen ächzend zurück. Nur Myra, Leya und ich, die wir den Göttern bereits gegenübergestanden hatten, blieben, wo wir waren.

»So einfach wird es nicht werden, meine Kinder«, sagte die Frau sanft. Dafür, dass sie der fleischgewordene Tod war, machte sie einen sehr freundlichen Eindruck.

»Wie meinst du das?« Leyas respektloser Tonfall trieb mir die Röte ins Gesicht, aber Pun schien er nichts auszumachen.

»Unser Bruder ist heute sehr viel mächtiger als früher.«

Leya runzelte die Stirn. »Wie kann das sein, wo er doch die letzten Jahrhunderte im Exil verbracht hat?«

Pun lächelte matt. Ich konnte nicht recht bestimmen, ob es Mitleid über unsere Unwissenheit war, was sich in ihrem Gesicht abzeichnete, oder Scham. »Wenn ein Mensch stirbt«, erklärte sie, »geht seine Seele in den Seelenstein über.« Die Göttin streckte ihre Hand vor und zeigte uns den Ring an ihrem Finger. Es war ein einfacher silberner Reif mit einem blassen Mondstein, dessen Muster sich bei genauerem Hinsehen zu verändern schien, so als wäre darin etwas Lebendiges gefangen, das ruhelos umherstreifte. Ein Riss und ein schwarzer Fleck verunzierten den Stein. »Von dort gelangt die Seele in die Nachwelt.«

Leya wedelte ungeduldig mit der Hand und wieder staunte ich über ihr unverfrorenes Verhalten. »Jaja, das wissen wir doch längst.«

Pun senkte zustimmend den Kopf, die Respektlosigkeit einmal mehr ignorierend. Als Leyas Schutzgöttin musste sie sich davon im Laufe der Jahre sicher schon einiges gefallen lassen haben.

»Was ihr nicht wisst und wir seit Gans Verbannung bewahrt haben, ist, dass der Stein Schaden genommen hat, als mein Zwillingsbruder mir die Kraft entriss. Er konnte mir meine Macht zwar nicht zur Gänze nehmen, aber in seiner Achtlosigkeit zerstörte er den Stein.«

Ich riss die Augen auf. »Was geschah mit den Seelen darin?«

Die Göttin warf mir einen traurigen Blick zu. »Sie erloschen, ohne die Nachwelt je erreicht zu haben. Zumindest glaubten wir das. Jetzt …« Sie wechselte einen Blick mit Sin.

Mein Schutzgott sprach nun weiter. »Als Gan in die Menschenwelt zurückkehrte, spürten wir eine Erschütterung der Magie, ein Ungleichgewicht im Kosmos, das nicht existieren dürfte. Irgendwie ist es Gan gelungen, seine Macht in erheblichem Maße zu steigern, während er im Exil auf seine Befreiung wartete. Wir haben uns beraten und sind zu dem Schluss gelangt, dass es nur eine Möglichkeit gibt, wie er das zustande bringen konnte.« Sin legte eine Pause ein, in der meine Freunde und ich ihn nur gespannt anstarren konnten. Die Neugier und Ungeduld, die in der Luft lagen, waren zum Schneiden dick. Schließlich fuhr er fort: »Gan hat den Seelenstein bewusst beschädigt und den Seelen der Verstorbenen so den Weg in die Nachwelt abgeschnitten. Ziellos irrten sie umher und nahmen den einzigen, ihnen möglichen Weg: zu ihm. In sein Exil, wo er sich von ihnen nährte und so an Kraft gewann.«

Mir schauderte bei dem Gedanken. Die Seelen aller Toten gingen seit Jahrhunderten zu Gan und schenkten ihm Macht? Jahrhunderte. Wie viele Seelen mochten das sein? Milliarden? Mehr noch? Mein Entsetzen spiegelte sich in den Mienen meiner Freunde wider. Als ich Leyas Blick begegnete, war ihr anzusehen, dass sie zu demselben Schluss gelangt war wie ich: Unsere Eltern, meine Geschwister, alle, die wir in der Nachwelt glücklich und zufrieden geglaubt hatten, dienten Gan unfreiwillig als Machtquelle. Und wir hatten ihn zurück in die Welt gebracht.

Miko räusperte sich als erster. »Und … glaubt Ihr, dass Ihr ihn noch immer besiegen könnt, Herrin?« Damit fing er sich einen komischen Seitenblick von Leya ein, aber Mikos respektvoller Tonfall sagte mir weit mehr zu als ihre flapsige Version.

Pun lächelte, schüttelte aber den Kopf. »Das ist es, was uns Sorge bereitet. Durch die Energie der Seelen ist er so stark geworden, dass wir ihn vielleicht nicht besiegen können. Jedenfalls nicht in unserer jetzigen Form.«

»Dann verlasst unsere Körper«, forderte Leya ungehalten, als schwebten die beiden Götter nicht bereits vor ihr. Ich fragte mich, warum sich Kit noch nicht gezeigt hatte, sondern sich weiter in Myra versteckte.

»So einfach ist das nicht«, tadelte Pun mit schier unendlicher Geduld.

»Das sagtest du bereits«, knurrte Leya. »Was also dann?«

Sin ergriff erneut das Wort: »Als wir Gan verbannten, wollten wir die Menschenwelt verlassen. Nicht nur, um unseren Bruder zu bewachen, sondern auch, um unsere Schöpfung vor weiterer Zerstörung zu bewahren. Bald jedoch mussten wir feststellen, dass wir uns nicht von ihr lösen konnten. Wir liebten die Natur und alle Lebewesen in ihr. Und so ließen wir einen Teil von uns zurück, ehe wir die Welt verließen. Danach konnten wir nur noch in unserer körperlosen Form existieren und uns den Menschen nur dann zeigen, wenn unsere Macht es zuließ.« Das war also der Grund, warum Sin in der Nacht am stärksten war, am Tage jedoch kaum wahrzunehmen. »Gibt es jedoch Körper wie die euren, die uns hier halten, können wir verweilen. Zumindest eine Zeit lang. Und so lange kann Gan uns nicht aufspüren.«

»Auch nicht nach dem lautstarken Signal, das Leya am Palast gesetzt hat?«, fragte Jaron nüchtern.

Leya verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Sie werden es irgendeiner Hilfe von außen zuschreiben.«

Ich nickte. »Niemals würde jemand in Leya eine Göttin vermuten.« Sie funkelte mich böse an, ich grinste und deutete auf Myra und mich. »Oder in einem von uns.«

»Darauf bauen wir. Sollte Gan herausfinden, was wir planen …« Sin sprach den Satz nicht zu Ende.

»Und was genau wäre das?«, erkundigte sich Leya. Sie schien vor Tatendrang zu vibrieren. Etwas hatte sie verändert. War es ihr Tod gewesen? Oder die Anwesenheit der Göttin in ihrem Leib?

»Es gibt nur eine Möglichkeit, unsere volle Stärke gegen Gan einzusetzen«, dozierte Sin und schwebte dabei hin und her, als denke er angestrengt nach, dabei schien mir die Sache längst ausdiskutiert. Die Götter teilten uns hier lediglich das Ergebnis mit. »Wir müssen uns enger verbinden als je zuvor.«

Ich runzelte die Stirn. »Wie soll das gehen? Sind eure Geschwister überhaupt hier?« Ich schielte zu Myra hinüber, die mit verschränkten Armen am Boden saß und keine Miene verzog. Kit zeigte sich nicht.

»Sie sind hier«, versicherte Pun. »Aber nicht alle von uns sind stark genug, sich zu zeigen, solange es nicht unbedingt nötig ist.« Ihr Blick heftete sich auf Miko. »Nur Nat sucht noch einen Weg hierher«, teilte sie ihm direkt mit.

Nat also. Der Schild. Der Beschützer. Es passte zu Miko, dass Nat sein Schutzgott war.

Miko nickte. »Ich bin bereit.«

Pun lächelte wieder. »Er wird zu dir kommen«, versprach sie.

»Zurück zum Plan«, meinte Leya. »Was habt ihr euch überlegt?«

Sin musterte Leya mit einem kalten Blick, an dessen Ende ich mich glücklicherweise noch nie befunden hatte. Aber Leya grinste nur frech. Was war nur mit ihr los?

»Ihr seid der Plan«, verkündete Sin und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wir?« Miko starrte ihn ungläubig an. »Aber wenn Ihr Euch nicht gegen Gan behaupten könnt … wie sollten wir es dann?«

Sin verzog keine Miene. »Findet unsere göttlichen Herzen.«

Kapitel 4

Leya

Im ersten Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Doch der halbnackte Gott mit den Fledermausflügeln behielt seine unergründliche Miene bei.

»Was meint Ihr damit? Eure Herzen finden?« Jaron sah ähnlich unbeeindruckt aus wie Sin, aber seiner Stimme war die Verwirrung anzuhören.

»Wie mein Bruder vorhin sagte«, ergriff Pun wieder das Wort, »ließ jeder von uns einen Teil seines Selbst hier zurück, als wir Dhuara verließen. Dieser Teil birgt das höchste Maß unserer Macht in sich. Findet ihr die Herzen und setzt sie einem Träger ein, wird dieser Träger stark genug sein, Gan zu vernichten.«

Ein Träger? »Willst du damit sagen, irgendwo hier liegen fünf schlagende Herzen herum und es hat sie noch niemand gefunden?«, fragte ich ungläubig.

Pun legte den Kopf schräg. »Unsere Herzen sind nicht wie die euren. Aber im Grunde … ja. Wir haben sie sehr gut versteckt.« Als würde das irgendetwas erklären.

Ich seufzte. »Alles klar. Wir finden also die … Herzen und dann können wir Gan besiegen?«

Sin nickte. »Ihr müsst einen Träger erwählen, dem ihr die Herzen einsetzt. Er wird dann auf die Magie darin zugreifen und Gan vernichten können.«

»Was ist mit der Kraft, die ihr in euch tragt?«, erkundigte sich Tarik, wie so oft viel schlauer als ich.

Sin lächelte stolz. »Wir werden den Träger damit speisen. Zusammen mit den Herzen sollte es funktionieren.«

»Was ist mit Las?«, erkundigte sich Myra von irgendwo hinter Sin.

Las, die Sonnengöttin, Herrin des Tages und Trägerin der Hoffnung. Sie war nicht hier. Und ich konnte mir zwar gut vorstellen, dass Nat Mikos Schutzgott war, doch gelang mir Gleiches nicht bei Jaron und Las. Die beiden … sie passten einfach nicht zueinander. Abgesehen von unserem Infiltrator war jedoch niemand mehr … frei.

»Ich weiß, dass sie Damians Schutzgöttin ist«, fügte Myra ungewohnt leise hinzu.

Sins Miene verfinsterte sich. »Unsere Schwester hatte den Auftrag, Gan in seinem Gefängnis zu bewachen. Dass er derart erstarken und schließlich entkommen konnte, ist nur dadurch zu erklären, dass sie versagt hat. Ihr Verschwinden und das Paktieren mit eurem Verräter scheinen mir Hinweis genug auf ihre Gesinnung zu sein.« Er klang verbittert. Nach Gans Verrat vor tausend Jahren nun auch noch seine Schwester zu verlieren, diejenige, die ihm an Macht am nächsten stand, musste schmerzen. Doch auf derlei Dinge konnten wir jetzt keine Rücksicht nehmen. Wir hatten einen bösen Gott zu bekämpfen.

»Ihre Unterstützung entfällt also«, schloss Tarik.

Sin nickte. »Um einen neuerlichen Verrat wie den unseres Bruders zu verhindern, waren wir uns einig, unsere Macht auf der Erde zurückzulassen. Wir schnitten uns die Herzen heraus und gaben sie an je einen unserer Geschwister weiter, der es verstecken sollte. So wollten wir verhindern, dass sie in böser Absicht missbraucht werden konnten.«

»Das heißt, wir haben zwar Las’ Herz, aber nicht ihre Macht«, fasste Jaron zusammen. »Dafür aber die Macht von demjenigen, dessen Herz Las versteckte, aber nicht ebendieses.«

Sin nickte knapp.

»Wessen Herz hat sie versteckt?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort denken konnte.

»Meines«, bestätigte der Gott der Nacht. »Wir standen uns seit jeher sehr nahe. Also versteckten wir das Herz des jeweils anderen.«

Tarik schloss resignierend die Augen, während Miko aus voller Kehle fluchte. Sin war der mächtigste der mit uns verbandelten Götter. Abgesehen von Pun, deren Stärke noch irgendwie ungeklärt war. Kit war zwar die Jägerin, die Göttin des Krieges, aber ihre Macht reichte ja noch nicht einmal, um sich uns hier zu zeigen. Und Nat? Er war für den Schutz zuständig, aber konnte er auch kämpfen? Unsere Chancen standen denkbar schlecht. Aber irgendetwas mussten wir schließlich unternehmen.

»Also gut«, sagte ich und gab mich zuversichtlicher als ich war, »wir machen es. Wir finden eure Herzen und geben alle unser Bestes, mit den drei Dingern etwas zustande zu bringen.«

»Wir können Las’ Herz trotzdem mitnehmen«, fand Tarik. »Das stärkt den Träger, auch wenn Sins Herz nicht dabei ist.«

Ich nickte ihm zu. »Wir brechen morgen früh auf. Welches Herz liegt am nächsten?«, wandte ich mich an Pun.

Meine Schutzgöttin runzelte die Stirn. »Das kann ich dir nicht sagen. Wir haben uns gegenseitig geschworen, das Versteck niemandem preiszugeben.«

Ich verdrehte die Augen. »Und wie sollen wir sie dann finden?«

»Wir leiten euch«, verkündete Sin. »Zu dem jeweiligen Herz, welches wir versteckt haben. Aber die Zeit drängt. Ihr werdet euch aufteilen müssen.«

Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Das gefiel mir gar nicht. Miko war ohnehin geschwächt durch sein verletztes Bein. Ihn nun auch noch allein durch das halbe Reich reisen zu lassen, ohne Pferd und nur mit einem mäßig starken Gott an seiner Seite, war mir nicht geheuer. Und Myra? Ich glaubte ihr zwar, dass sie von Damians Verrat nichts gewusst hatte, dennoch vertraute ich nicht darauf, dass sie sich nicht gegen uns wenden würde, um wieder mit ihm vereint zu sein.

Jaron meldete sich zu Wort. »Da ich keinen Schutzgott habe, werde ich dann wohl der Träger sein.«

Die Götter wechselten einen bedeutungsschwangeren Blick. »Das müsst ihr unter euch ausmachen«, sagte Pun dann sanft. »Aber es gibt etwas, das ihr wissen müsst.«

Natürlich. Wie hätte es auch anders sein sollen?

»Der Träger wird sterben.«

Ich riss die Augen auf. »Was?!«

Sin nickte. »Die Herzen sind voller Magie. Ein Mensch wird sie für wenige Augenblicke in sich halten können. Doch dann werden sie ihn von innen heraus verbrennen.«

»Dann sollte ich derjenige sein«, meinte Tarik entschlossen.

»Vergiss es«, hielt ich dagegen. »Ich bin die Schwarze Hand. Der Beschützer des Reiches, schon vergessen?«

»Kaiser, schon vergessen?«, hielt Tarik dagegen. »Es ist quasi mein Geburtsrecht, mich für mein Volk aufzuopfern.«

»Falsch. Dein Geburtsrecht ist allerhöchstens, dir den Hintern auf dem Thron platt zu sitzen«, schnaubte ich. »Ich hingegen bin sowohl für deinen als auch den Schutz des Reiches zuständig und wie könnte ich es besser schützen als durch das Ausschalten des bösen Gottes, der es bedroht?«

»Und wie könnte ich meinen Untertanen besser dienen, als es selbst zu tun?«

»Ähm«, ich verdrehte wieder die Augen, »indem du auf dem Thron sitzt und das Reich regierst? Was haben die Leute von einem toten Kaiser?«

Tarik öffnete den Mund, um gegenzureden, doch sein Schutzgott unterbrach ihn: »Wie gesagt, die Entscheidung obliegt euch. Vielleicht solltet ihr jedoch die Zeit der Suche nach unseren Herzen damit verbringen, euch Gedanken dazu zu machen. Jetzt wäre der rechte Zeitpunkt, um zu ruhen und Kräfte für die Reise zu sammeln.«

Am liebsten hätte ich widersprochen, aber Sin hatte recht. Und Tarik würde noch genug Zeit bleiben, meine Entscheidung zu akzeptieren. »Ich nehme die erste Wache«, teilte ich meinen Freunden mit und stand auf, um mich an dem einzigen Eingang zur Tempelruine zu positionieren.

Während sie hinter mir ein Nachtlager errichteten, schwiegen wir alle. In den letzten Stunden war zu viel geschehen, zu viele Dinge waren ans Licht gekommen, mit denen niemand gerechnet hatte. Und davon war das plötzliche Auftauchen eines seit Unzeiten vergessenen Gottes noch das kleinste Problem. Nun mussten wir erst einmal die Herzen finden. Dann konnten wir uns um den Rest kümmern. Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, dass die Götter uns noch nicht alles gesagt hatten. Aber darum würde ich mich zu einem anderen Zeitpunkt kümmern.

Ich spürte sie, ehe ich ihre Stimme hörte. »Wir sind euch zu großem Dank verpflichtet«, sagte Pun.

Ich wollte ihr recht geben, doch dann seufzte ich nur. »Nein, das seid ihr nicht. Wir sind verantwortlich für Gans Auftauchen und wir wollen unsere Welt genauso sehr retten wie ihr. Ohne euch würde uns das sicher nicht gelingen.« Eine weiche Berührung legte sich auf meine Schulter. Es fühlte sich beinahe so an wie früher, als Pun nur eine ferne Ahnung und weder in meinem Kopf noch direkt vor meinen Augen gewesen war. Es war seltsam, sie nun in ihrer geisterhaften Erscheinung zu sehen und gleichzeitig einen Nachhall ihrer Anwesenheit in meinem Kopf zu spüren.

»Wir werden einen Großteil des Weges mit dem Erben und Sin reisen«, teilte mir die Göttin mit. Dabei legte sie einen Tonfall an den Tag, als erwarte sie für diese Neuigkeiten Applaus. Damit konnte ich aber nicht dienen.

Ich stöhnte. »Wirklich?«

Pun runzelte die Stirn. »Ich nahm an, das würde dich freuen.«

»Nicht wirklich«, brummte ich, obwohl das nicht zu hundert Prozent der Wahrheit entsprach. Ein Teil von mir freute sich tatsächlich auf etwas gemeinsame Zeit mit Tarik – wenn auch unter den wachsamen Augen zweier Götter. Ein anderer Teil jedoch wusste, worauf das hinauslaufen würde. »Stell dich auf eine Menge Streitereien ein.«

Die Göttin wirkte nun vollends verwirrt. »Ich habe dein Bedauern gespürt, heute im Kerker. Du wolltest ihn.«

Das stimmte. Und wie es stimmte. Als Tarik erst vor wenigen Stunden in meinen Armen gestorben war, hatte ich es zutiefst bedauert, nicht jede Sekunde meines Lebens mit ihm verbracht, auf Pflicht und Eid gepfiffen und die Welt im Stich gelassen zu haben. Doch jetzt … »Das, was man will, und das, was man bekommt, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.«

Ich spürte Puns Blick auf mir. »Du darfst dich nicht für das bestrafen, was mein Bruder getan hat.«

»Dasselbe könnte ich zu dir sagen.«

Sie lachte leise. »In der Tat. Aber ich bin eine Göttin und du bist ein Mensch.«

»Heißt das, du hast automatisch recht?«

»Im Allgemeinen heißt es das«, bejahte sie. »Aber in diesem speziellen Fall ganz besonders. Ich habe auch einmal geliebt, weißt du?«

»Tatsächlich?« Ihr tadelnder Blick sagte mir, dass ich nicht so überrascht hätte klingen sollen. Und sie hatte ja recht. Immerhin war sie älter, als ich es mir vorstellen konnte.

»Ja. Es ist lange her. Noch bevor ich mir das Herz herausschnitt. Aber die Trennung von ihm war nicht minder schmerzhaft als das.«

»Warum habt ihr euch getrennt?«

Sie lächelte. »Er wurde alt. Er starb. Seine Seele ging in den Stein über.«

Die Frage zu stellen schien mir unangebracht, aber ich wollte es auch wissen. »War er darin als …«

»Als Gan den Stein beschädigte?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er war bereits in der Nachwelt. Obwohl ich ihn noch heute spüren kann, und obwohl mir so viel Zeit mit ihm vergönnt war, vermisse ich ihn entsetzlich. Und ich bereue jeden Augenblick, den ich nicht mit ihm verbrachte.«

Ihre Worte spiegelten genau das wider, was auch in mir vorgegangen war, als ich im Sterben gelegen hatte. Doch anders als sie hatte ich schon vor langer Zeit erkannt, dass man sich bei jedem geliebten Menschen so fühlte, der diese Welt verließ. Man erinnerte sich an die Momente, in denen man sich gegen sie entschieden und stattdessen lieber etwas anderes getan hatte. Aber war man wegen dieser Entscheidungen ein schlechter Mensch? Hatte die andere Person deshalb nicht gewusst, dass man sie von Herzen liebte? Das glaubte ich nicht. Ich wollte es nicht glauben, denn es würde mich zu einem furchtbaren Menschen machen. Außerdem … Hätte ich all diese Stunden mit Mutter verbracht, statt mit Miko herumzustrolchen, hätte ich mich dann nicht an seinem Sterbebett schuldig gefühlt? Wie also entschied man, wer am meisten Zeit verdiente? Und hatte Mutter mich weniger geliebt als ihren Adjutanten, weil sie mehr Zeit mit ihm verbracht hatte?

Ich wandte mich halb um. Die anderen hatten es sich bereits zwischen Steinen und Unkraut bequem gemacht. Tarik lag mit dem Rücken zu mir. Sein schwarzer Schopf ragte unter seinem Mantel hervor. Er hatte mir gesagt, wie er fühlte. Er wollte mit mir zusammen sein. Er wollte mich an erste Stelle setzen. Noch vor dem Reich und all seinen Bewohnern. Aber ich konnte das nicht zulassen. Egal, wie sehr ich es auch wollte.

»Ehre und Pflicht sind bisweilen grausame Bürden«, sagte die Göttin an meiner Seite leise. Sie hatte sich ebenfalls umgewandt. »Doch manchmal gelingt es, sie mit der Liebe zu vereinen.«

»Bisher hat jeder meiner Versuche das Reich nur noch mehr ins Unglück gestürzt«, sagte ich hart.

»Gan wäre gekommen – so oder so.« Pun legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ihr seid jung und glaubt, alle Zeit der Welt zu haben. Gib dich diesem Trugschluss nicht hin, Cataleya. Eure Welt befindet sich im Umbruch. Ein Sturm zieht auf, der entweder Reinigung oder Vernichtung bringen wird. Und ihr seid im Begriff euch mitten hineinzuwerfen.« Jetzt sprach sie noch leiser. »Der Tod ist euch auf den Fersen, Leya. Wenn ihr nicht schnell genug seid, holt er euch ein. Also überlege gut, ob du die Pflicht über dein Herz stellen willst.«

Ein kalter Schauer jagte mir bei ihren Worten den Rücken hinab. »Wie motivierend«, murrte ich, konnte aber nicht leugnen, dass sie mich zum Nachdenken gebracht hatte. Ich wandte Tarik den Rücken zu und blickte hinaus in die Nacht.

Kaum zu glauben, dass ich heute Morgen noch in einem Kerker gesessen und mich von einem meiner ältesten Freunde hatte verhöhnen lassen.

Pun neben mir verschwand lautlos und ich spürte sie wieder deutlicher in meinem Innern. Sie zog sich weit zurück, als wollte sie mich mit meinen Gedanken alleinlassen. Dabei wollte ich gar nicht nachdenken. Ich wollte einen freien Kopf haben, mich ausruhen, auf die neue Mission einstellen und Pläne schmieden. Stattdessen wirbelten Bilder von Tarik und meiner Mutter durch meinen Kopf. Keine gute Kombination. Da gab es nur eines, um mich wieder auf Vordermann zu bringen.

Ich stieß mich von meinem Platz an dem zerfallenen Torbogen ab und suchte mir eine freie Stelle ganz in der Nähe, von der aus ich die Umgebung noch gut im Auge behalten konnte. Zwar hatte ich keine Waffen bei mir, aber das hielt mich nicht davon ab, zumindest einige Grundübungen durchzugehen.

Wie von selbst nahm mein Körper die korrekte Haltung ein und dann erinnerten sich Muskeln und Sehnen an jahrelange Bewegungsabläufe. Lautlos wie ein Schatten glitt ich von Shan zu Shan – festgelegte Kombinationen von Kampf- und Verteidigungshaltungen. Meine Muskeln waren schwächer als früher, konnten die Posen nicht ganz so lang halten. Bald stand mir der Schweiß auf der Stirn und perlte zwischen Brüsten und Schulterblättern hinab. Mein Atem ging schwer und meine Beine zitterten. Doch ich machte weiter, bis in meinem Kopf kein Gedanke mehr Platz fand, außer: Aufhören.

Ich beendete den letzten Shan und verneigte mich vor einem imaginären Meister. Tief sog ich die kühle Nachtluft in meine Lungen. Das hatte geholfen. Ich fühlte mich befreit und stark genug für die Mission.

Als ich mich wieder dem Torbogen zuwandte, entdeckte ich dort eine bekannte Gestalt. Tarik löste sich aus den Schatten und trat zu mir ins Mondlicht.

»Ich löse dich ab«, sagte er, als er bei mir angelangte.

Ich nickte und wollte mich an ihm vorbeischleichen, aber er ergriff meinen Arm und hielt mich auf.

»Was ist mit dir geschehen, Leya?«, fragte er leise.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, log ich.

Er durchschaute mich. »Du bist jetzt anders. Mehr so wie früher.« Er blickte auf meinen improvisierten Trainingsbereich. »Und du trainierst wieder. Warum?«

Pun hielt mich davon ab, ihm weiter die Unwissende vorzugaukeln. Und sie hatte ja recht. Also seufzte ich. »Mein Eid an die Götter ist mit meinem Tod erloschen.«

Er riss die Augen auf. »Der Eid, den du bei deinem Eintritt ins Kloster schwören musstest? Nachdem du aus Lisur geflohen warst?«

Ich nickte. »Ich darf jetzt wieder offiziell verletzen und töten. Also trainiere ich. Ich muss fit sein für den Kampf gegen Gan.« Besonders, wenn ich der Macht der Herzen lange genug standhalten wollte. Aber dieses Thema jetzt wieder anzuschneiden, würde nichts bringen. Bevor er es tun konnte, setzte ich hinzu: »Pun sagt, wir werden einen Teil der Strecke zusammen reisen.«