Grand Cru - Martin Walker - E-Book + Hörbuch

Grand Cru E-Book

Martin Walker

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Beschreibung

Ein geheimes Paradies auf Erden, das ist das Périgord. Oder vielmehr war, denn die Weinberge der Gegend sollen von einem amerikanischen Weinunternehmer aufgekauft werden. Es gärt im Tal, in den alten Freund- und Seilschaften, und in einem Weinfass findet man etwas völlig anderes als Wein eine Leiche.

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Seitenzahl: 391

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Martin Walker

Grand Cru

Der zweite Fall für Bruno, Chef de police

Roman

Aus dem Englischen von

Titel der 2009 bei Quercus, London,

erschienenen Originalausgabe:

›The Dark Vineyard‹

Copyright © 2009 by Walker and Watson, Ltd.

Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 im Diogenes Verlag

Umschlagfoto: Philippe Renault,

›Weinkeller mit Wandmalereien im Stil der

Lascaux-Höhlen‹ (Ausschnitt)

Copyright © Philippe Renault/Hemis/

Corbis

Für den Baron

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2012

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24082 5 (3. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60183 1

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[7] 1

Das Heulen der Sirene auf dem Dach der fernen mairie durchbrach die Stille der französischen Sommernacht. Noch war es dunkel, die Morgendämmerung würde erst in gut einer Stunde einsetzen, doch Bruno Courrèges lag schon wach. Er grübelte über verpasste Chancen: Was hätte alles werden können mit der Frau, die noch vor kurzem dieses Bett mit ihm geteilt hatte? Aber dieser Gedanke verflog sofort, als er den schauerlich anschwellenden Alarmton hörte, der meist Gefahr bedeutete und gleichzeitig Erinnerungen wachrief. Dieselbe Sirene hatte die Bewohner des Städtchens Saint-Denis vor Krieg und Invasion gewarnt, Befreiung und Frieden verkündet und ertönte nunmehr täglich zur Mittagsstunde. Sie rief aber auch die Männer der Freiwilligen Feuerwehr zum Einsatz, und in solchen Notfällen war er als einziger Polizist von Saint-Denis natürlich persönlich gefordert. Fast erleichtert darüber, aus seinen düsteren Gedanken gerissen zu werden, schlug Bruno das zerknüllte Laken zur Seite.

Als er sich anzog und zwischendurch immer wieder einen Schluck Milch aus dem Tetrapak trank, klingelte sein Handy. Es war Albert, einer der beiden Berufsfeuerwehrmänner, die den Trupp der freiwilligen pompiers anführten. Er war mit seinem Löschzug bereits unterwegs.

[8] »Auf der alten Straße nach Saint-Chamassy brennt’s«, sagte er in gehetztem Tonfall. »Eine Scheune samt Feld. Oben auf dem Hügel, kurz vor der Abzweigung nach Saint-Cyprien. Wenn der Wind auffrischt, könnte sich das Feuer rasend schnell ausbreiten.«

»Ich bin schon unterwegs.« Bruno kniff die Augen zusammen, stellte sich die Straßenkarte von Saint-Denis und Umgebung vor und überlegte, wie er am schnellsten zum Brandort kommen würde. Dies war sein Bezirk, und den kannte er so gut wie eine Frau ihr Gesicht im Spiegel: die Straßen, die er patrouillierte, die abgelegenen Häuser und Weiler, wohin er öfter gerufen wurde, die Wälder, in denen er jagte und manchmal auch Pilze suchte, die Bauernhöfe mit all ihren Gänsen und Enten, Schweinen und Ziegen, die aus dieser Gegend das gastronomische Herzland Frankreichs machten.

»Verletzte scheint es nicht zu geben«, quäkte Alberts Stimme durch Brunos Handy, das er sich zwischen Schulter und Ohr klemmte, als er sich das Hemd zuknöpfte. »Verständige aber lieber doch gleich das Krankenhaus, sobald du mit dem Bürgermeister gesprochen hast. Ich werde jetzt in Les Eyzies und Saint-Cyprien Unterstützung anfordern. Würdest du bitte in der Wache vorbeischauen und sicherstellen, dass unsere Ersatztankzüge bald nachkommen? Setz dich selbst ans Steuer, wenn Fahrer fehlen. Wir brauchen jede Menge Wasser. Und bitte beeil dich. Wir sehen uns dann gleich.«

»Da oben sind vier oder fünf Höfe. Müssen wir die womöglich evakuieren?«

»Das weiß ich noch nicht. Sag dem Bürgermeister [9] Bescheid! Er soll seine Leute in Alarmbereitschaft versetzen. Und vielleicht sollte Radio Périgord eine Warnung bringen.«

Bruno betete im Stillen, sein alter Kleintransporter möge anspringen. Er fütterte schnell seinen Hund – die Hühner konnten für sich selbst sorgen – und rannte zum Wagen. Wie aus Rücksicht auf den Notfall startete der Motor auf Anhieb. Während Bruno mit einer Hand am Lenker auf die Stadt zusteuerte, rief er zuerst den Bürgermeister und dann den Arzt an, die ebenfalls beide von der Sirene geweckt worden waren. Auch das Städtchen erwachte allmählich, überall gingen Lichter an, während er mit hohem Tempo zur Gendarmerie fuhr, wo er den alten Jules am Nachtschalter darum bat, die Radiostation in Périgueux zu informieren und ein paar Kollegen loszuschicken, um die Straße vor der brennenden Scheune abzusperren. Als Bruno zu seinem Transporter zurückeilte, kam capitaine Duroc aus dem kleinen Kasernengebäude herbeigestürmt und zog sich im Laufschritt die Uniformjacke über. Bruno überließ es Jules, ihm zu erklären, was los war. Auf der Feuerwache mühten sich Ahmed und Fabien damit ab, die Tankanhänger fertigzumachen. Inzwischen waren mehrere Freiwillige eingetroffen. Als Fahrer wurde Bruno nicht gebraucht. Er sprang zurück in seinen Transporter, ließ das Blaulicht rotieren und gab Vollgas. Die Sirene heulte immer noch.

Als er die offene Straße neben der Bahnstrecke nach Sarlat erreichte, sah er den rötlichen Schimmer am Nachthimmel über den Hügeln, ein Bild, das Beklemmung in ihm auslöste. Er hatte vor Feuer großen Respekt, der schon an Angst grenzte, und das nicht von ungefähr: Während der [10] Balkankriege hatte er verwundete französische Soldaten aus einem brennenden Panzerwagen bergen müssen. Die Narben am linken Arm zeugten davon. In der Schublade seines Nachttischs lag das croix de guerre, das ihm die Regierung verliehen hatte, nachdem es anfangs behördlicherseits Einwände gab, weil die Friedensmission in Bosnien offiziell kein Kriegseinsatz gewesen war.

Bruno überlegte, ob er hinten im Wagen irgendetwas dabeihatte, womit er sich würde schützen können. In der Jacke, die er immer auf der Jagd trug, steckten Handschuhe und eine Mütze; feste Stiefel hatte er auch, und in seiner Sporttasche waren eine Schwimmbrille, eine Flasche Wasser und ein zusammengeknülltes altes Tennishemd, das er sich bei Bedarf vors Gesicht halten konnte. Der Transporter keuchte bergauf; Bruno trat das Gaspedal ganz durch. Er kannte sich in der Gegend aus, doch an eine Scheune konnte er sich nicht erinnern. Das Hochplateau bestand hauptsächlich aus Wäldern und mageren Weiden mit ein paar alten, verfallenen Schäferhütten. Außerdem stand da die hohe Richtfunkantenne.

Als Bruno hinter der letzten Kehre das Plateau erreichte, schien sich der flackernde Widerschein des Feuers über den ganzen Himmel ausgebreitet zu haben. Voller Sorge dachte er an die Trockenheit der letzten Wochen. Der Fluss führte so wenig Wasser, dass die Touristen mit ihren Kanus auf die Kanäle ausweichen mussten. Als er das Feuer riechen konnte, ging er unwillkürlich vom Gas herunter, und dann sah er das Blaulicht auf Alberts Löschzug, das dem Flackern am Himmel den Takt vorzugeben schien. Bruno parkte am Straßenrand. Er stieg in seine Stiefel, streifte die Handschuhe [11] über und setzte sich die Jagdmütze auf. Er suchte nach der Schwimmbrille, steckte sie ein und ließ Wasser aus der Flasche über sein Tennishemd laufen. Dann rannte er auf die beiden pompiers zu, die, nur als schwarze Schemen vor den Flammen erkennbar, gemeinsam die Spritze gepackt hielten.

»War doch keine Scheune, nur ein großer Holzschuppen. Der ist nicht mehr zu retten«, brüllte Albert über den Motorenlärm und das Brausen der Flammen hinweg. Aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs zog er eine schwere gelbe Schutzjacke und reichte sie Bruno. Mit den Stiefeln, die Bruno anhatte, schien er einverstanden zu sein, denn er nickte, als er sie sah.

»Es hätte schlimmer kommen können. Wir waren rechtzeitig zur Stelle und konnten verhindern, dass das Feuer auf den Wald übergreift. Aber der Schuppen ist hin und auch, was immer da auf dem Feld gewachsen ist.«

Mit nervös zuckenden Blaulichtern näherten sich von hinten das zweite Löschfahrzeug mit einem großen Tankwagen im Schlepp und der Bus der Gendarmen. Albert rief sofort die Brandmeister der Nachbargemeinden an, um ihnen zu sagen, dass ihre Hilfe nicht nötig sei.

Als er sein Handy wieder weggesteckt hatte, fragte Bruno: »Habt ihr hier jemanden angetroffen?« Albert schüttelte den Kopf und stapfte zu dem zweiten Löschfahrzeug, das von Ahmed gesteuert wurde. »Wer hat das Feuer denn gemeldet?«, rief ihm Bruno hinterher.

»Ein anonymer Anrufer aus einer Telefonzelle in Coux«, rief Albert zurück.

Bruno versuchte, sich zu orientieren. Er wusste, dass [12] die Straße – eine Schotterpiste, die frisch angelegt zu sein schien – im weiteren Verlauf durch dichten Wald führte. Aber hier, wo er stand, beschrieb sie einen weiten Bogen um ein Feld, das inzwischen gänzlich niedergebrannt war, und eine Weide, durch die sich langsam, aber stetig kleine Flammen fraßen. Der warme Wind, den er auf den Wangen spürte, wehte in Richtung Waldrand, den die pompiers mit Wasser besprengten, um ein Ausbreiten des Feuers zu verhindern. Am höchsten waren die Flammen über dem schon halb eingestürzten Holzschuppen, der mitten auf dem verkohlten Feld stand.

Bruno blieb mit seiner Stiefelspitze an etwas hängen. Irritiert blickte er zu Boden und sah ein kleines Blechdreieck, wie es von Landwirten verwendet wird, um zu kennzeichnen, in welchen Feldabschnitt sie was ausgesät hatten. Er hob es auf und las im Licht der Scheinwerfer des Feuerwehrwagens: »Agricolae Sech G71«. Er konnte damit nichts anfangen, steckte das Blechdreieck aber trotzdem ein. Hinter ihm wurden Rufe laut. Er drehte sich um und sah, wie zwei pompiers in ihren gelben Schutzanzügen einen weiteren Schlauch ausrollten, der sich wenig später zuckend mit Wasser füllte und eine mächtige Fontäne ausspie, die die beiden auf den Waldrand richteten.

»Riechst du auch was?«, fragte Albert, der plötzlich neben ihm auftauchte. »Komm mal mit.«

Er führte Bruno über schwelendes Gras in den Windschatten des Schuppens, wo es sehr viel leiser war. Von dem, was sich im Innern befunden hatte, war nicht mehr viel zu erkennen. Löschwasser rann von den rauchenden Resten des Daches und tropfte zischend auf einen Metalltisch, auf [13] dem irgendein verkohltes Gerät stand. Zwei eingestürzte Deckenbalken hingen spitzwinklig über einem Kasten, der wie ein alter Aktenschrank aussah. Es roch, wie Bruno feststellte, nach verbranntem Kunststoff und Gummi. Und nach noch etwas anderem.

»Benzin?«, fragte er.

»Scheint so. Wir werden ein paar Proben nach Bordeaux ins Labor schicken, aber ich wette, es war Brandstiftung. Da drüben am Feldrand riecht man es auch. Da hat jemand gründliche Arbeit geleistet. Hier bist du mehr gefragt als ich.«

»Für Brandstiftung ist die police nationale zuständig«, entgegnete Bruno. Und die Telefonzelle in Coux würde auf Fingerabdrücke hin untersucht werden müssen, dachte er.

»Wenn es um die Vernichtung der Ernte ging, um einen Streit unter Bauern oder irgendwelche Eifersuchtsgeschichten, wäre das allein unsere Sache. Die police nationale hätte gar keine Ahnung, wo sie überhaupt anfangen sollte.«

Bruno nickte und starrte auf die verkohlten Reste. »Ist doch seltsam, Albert. Was haben ein Aktenschrank und Bürokrempel hier draußen in einem Getreideschuppen verloren?«

»Tja, das da auf dem Tisch könnte ein Computer gewesen sein. Aber hier gibt’s doch keinen Strom. Vielleicht war’s eine alte Schreibmaschine.«

Bruno machte kehrt und überquerte gerade das verkohlte Feld, als plötzlich grelles Licht aufzuckte, unmittelbar gefolgt von einer heftigen Detonation und einer Hitzewelle, die ihn von hinten überrollte. Er drehte sich um und sah Albert vor den Trümmern der Hütte, aus der wieder hohe Flammen aufschossen, zu Boden sinken.

[14] Bruno rannte los, den Arm vors Gesicht gehoben, um die Augen vor der sengenden Hitze zu schützen. Bevor ihn seine Angst zurückhalten konnte, hatte er sich in die Flammen gestürzt. Er packte Albert beim Kragen und schleifte ihn durch rauchende Trümmer hinter sich her. Die Hosenbeine des Brandmeisters hatten Feuer gefangen. Bruno legte ihn in sicherem Abstand ab und erstickte die Flammen mit seiner feuerfesten Jacke. Schnell waren auch die anderen Männer zur Stelle und besprühten beide mit Schaum aus tragbaren Feuerlöschern.

Während sich die anderen um Albert kümmerten, zog Ahmed Bruno beiseite und leuchtete ihm mit seiner Taschenlampe ins Gesicht. »Alles in Ordnung?«, brüllte er. Bruno nickte, richtete sich schüttelnd auf und streifte den Schaum von der Brust.

»Nur ein bisschen angekokelt, halb so schlimm«, sagte er. »Was ist da explodiert?«

»Keine Ahnung, vielleicht ein Kanister Farbe, Öl oder Benzin. Es braucht nur heiß genug zu werden, dann geht so was hoch wie eine Bombe.« Ahmed zuckte mit den Achseln. »Albert hätte nicht so nah rangehen dürfen, und es wäre vielleicht besser gewesen, wenn wir die Spritze noch ’ne Weile auf den Schuppen gehalten hätten, aber wir brauchten das Wasser, um den Wald zu schützen.«

»War meine Schuld«, entgegnete Bruno. »Ich wollte was über das Zeug im Schuppen wissen. Wie geht es ihm?«

Albert stand, von den anderen gestützt, auf den Beinen und schüttelte den Kopf. Große Schaumflocken flogen von Helm und Schutzjacke.

»So was Blödes aber auch!«, knurrte er. »Ich glaube, mein [15] Ohr hat was abgekriegt.« Er langte mit der Hand danach. Einer der Kollegen gab ihm eine Flasche Wasser, aus der er gierig trank. Dann spuckt Albert aus, sah sich nach Bruno um und nickte ihm zu. »Danke«, sagte er leise und reichte ihm mit zitternder Hand die Flasche. Bruno bemerkte, dass auch er zitterte.

»Nicht schlecht. Feuerfeste Unterwäsche. Wie bei Formel-1-Piloten.« Albert stand unter Schock und plapperte drauflos. »Mit mir ist alles in Ordnung. Bin nur ein bisschen schwindlig von der Kopfnuss. Nicht weiter tragisch.«

»Von wegen!«, sagte Ahmed. »Du kennst die Regeln. Wir haben euch ’ne Ladung Schaum verpasst, das heißt, ihr müsst euch beide im Krankenhaus untersuchen lassen.«

Im Hintergrund waren aufgeregte Stimmen zu hören. Einer der Feuerwehrmänner kam angerannt. »He, Chef, da drüben gibt’s ein Standrohr und ’ne Wasserleitung. Die Gendarmen haben sie gerade entdeckt.«

Albert sah Bruno an und verdrehte die Augen. »Das wäre das erste Mal, dass capitaine Duroc eine Entdeckung gemacht hätte. Er wird wohl mit der Nase draufgestoßen sein.«

Sie eilten zur Straße, wo aus einer leckgeschlagenen Leitung ein fingerdicker Wasserstrahl meterhoch in die Luft aufstieg. Fabien machte sich mit einer schweren Rohrzange im aufgedeckten Schacht zu schaffen, auf den einer der Gendarmen das Licht seiner Stirnlampe gerichtet hielt. Capitaine Duroc stand ein wenig abseits und herrschte seine Männer an. Mit einem letzten Dreh ließ Fabien die Fontäne versiegen.

»Wasser hätten wir jetzt genug«, sagte er. »Auch der Druck müsste reichen.«

[16] »Wohin führt die Leitung? Warum ist sie nicht auf meinen Karten eingezeichnet?«, fragte Albert sichtlich verärgert und betupfte sein blutendes Ohr mit einem Taschentuch.

»Sieht so aus, als würde sie vom Wasserturm zur Funkstation führen. Die wird vom Verteidigungsministerium betrieben und entsprechend bewacht«, erklärte Fabien. »Und genau hier gibt’s einen Abzweig. Darum auch der Hydrant. Es scheint, dass damit irgendeine Bewässerungsanlage gespeist wird.«

»Bewässerungsanlage? Hier oben?«, schnaubte Albert. »Da muss jemand mehr Geld als Verstand haben.«

»Und ausgerechnet dieses eine Feld, das, wie es scheint, bewässert wird, ist verbrannt«, sagte Bruno. »Hat von euch schon mal jemand was von Agricolae gehört?« Er zog das kleine Blechdreieck hervor.

»Nein«, antwortete Albert. »Es könnte sich um irgendein Saatgut zu Versuchszwecken handeln, aber dass so was hier zum Einsatz kommt, ist mir nicht bekannt.«

Sie gingen zurück zum Löschzug, wo ein älterer Herr geduldig am Straßenrand wartete: Bürgermeister Gérard Mangin. Hinter ihm standen mehrere Autos von Anwohnern, die gekommen waren, um sich das Schauspiel aus der Nähe anzusehen. Der Bürgermeister trat lächelnd vor und schüttelte Albert und Bruno die Hand. Ein Blitzlicht zuckte auf. Offenbar war auch Philippe Delaron von der Lokalzeitung aufgekreuzt.

»Es gibt nicht viel zu berichten«, sagte Albert. »Wir haben das Feuer unter Kontrolle, und dank Bruno ist auch niemand verletzt. Der Schaden hält sich in Grenzen: ein niedergebrannter Schuppen, ein verkohltes Getreidefeld und ein [17] kaputtes Standrohr. Ich kann mir auch vorstellen, wie es dazu gekommen ist, will aber erst die Laboruntersuchungen abwarten.«

»Wollen Sie damit sagen, dass das Feuer vorsätzlich gelegt worden ist?«, fragte der Bürgermeister.

»Sieht ganz danach aus, monsieur le maire. Und was da in die Luft geflogen ist, war wohl ein Benzinkanister. Auch das wird sich klären lassen. Zum Glück ist nichts passiert, und Bruno war rechtzeitig zur Stelle und hat mich aus den Flammen gezogen!«

»Die Sache war also doch ziemlich brenzlig«, sagte der Bürgermeister.

»Tja, ich sollte jetzt gehen und meine Jungs zur Wache zurückbringen. Bruno und ich müssten dann noch im Krankenhaus vorbeischauen. Wenn ich jetzt die Schutzjacke zurückhaben könnte, Bruno. Solche Dinger kosten ein Vermögen.«

»Sie sind jeden Cent wert.« Bruno schüttelte den restlichen Schaum von der Jacke. Dann wandte er sich an den Bürgermeister und sagte: »Ich fürchte, wir werden uns noch auf einiges gefasst machen müssen. Das Feld wurde bewässert, und der Schuppen war offenbar eine Art Büro. Beides ist ziemlich ungewöhnlich. So was erwartet man hier oben nicht. Ich werde den Eigentümer informieren und wahrscheinlich auch einen Bericht für die Versicherung schreiben müssen.«

»Haben Sie den Gendarmen Bescheid gegeben?«

»Noch nicht. Capitaine Duroc hat Probleme mit seinem Fahrzeug. Es scheint, dass er das Standrohr umgefahren hat.«

[18] »Ja, ich hab’s gesehen.« Im Licht der Morgendämmerung sah Bruno, wie im Gesicht des Bürgermeisters ein verschmitztes Lächeln aufzuckte. »Wir haben es hier also allem Anschein nach mit einer Straftat zu tun.«

»Genau. Ein Fall für die police nationale und deren Spurensicherung. Nicht für die lokale Gendarmerie.«

Bruno ging auf die kleine Gruppe der Schaulustigen zu, die vor ihren Autos standen, um ihnen zu sagen, dass keine Gefahr mehr bestehe, die Show vorüber sei und die Straße nun, bitte schön, geräumt werden müsse, damit die Löschzüge wenden und abfahren könnten. Der stämmige Milchbauer Stéphane, ein Freund aus dem Jägerverein, war mit seiner hübschen jungen Tochter Dominique gekommen. Sein Hof lag am Fuß des Hügels. Es hätte ihn womöglich als einen der Ersten getroffen, wenn das Feuer außer Kontrolle geraten wäre. Für gewöhnlich war er um diese Uhrzeit im Stall, um seine Kühe zu melken. Bruno wimmelte alle Fragen ab und drängte zum Aufbruch. Danach ging er auf capitaine Duroc zu und bat ihn, einen Kollegen nach Coux zu schicken, um die Telefonzelle dort zu versiegeln. Es war kurz nach sechs. Fauquet würde sein Café inzwischen geöffnet haben, und Bruno brauchte jetzt ein gutes Frühstück.

Er steuerte auf zwei Autos zu, die er gut kannte: einen älteren Citroën DS und einen noch älteren 2 CV, ein Modell, das sich seit den dreißiger Jahren kaum verändert hatte. An der großen Limousine lehnte Brunos Freund, der Baron, ein Unternehmer im Ruhestand, der mit seiner gut durchtrainierten Figur um einiges jünger wirkte, als er tatsächlich war. Neben ihm stand Pamela, die Eigentümerin eines Gästehauses und in Saint-Denis besser bekannt unter ihrem [19] Spitznamen: die verrückte Engländerin. Bruno hatte die beiden miteinander bekannt gemacht und ein Tennismatch arrangiert, an dem auch eine Freundin aus England beteiligt gewesen war. Das Damenduo hatte den Herren keine Chance gelassen.

»Der Baron hat mich aus dem Bett geklingelt. Von der Sirene habe ich nichts gehört«, sagte Pamela, eine attraktive Frau mit so stark ausgeprägten Gesichtszügen, dass es unzutreffend gewesen wäre, sie einfach als hübsch zu bezeichnen. Sie hatte einen Hermès-Schal um den Kopf geschlungen und trug eine dieser wattierten englischen Jacken, die inzwischen auch in Frankreich in Mode waren. Bruno erkannte Pamela immer schon von weitem, und zwar an ihrer Haltung, dem geraden Rücken und hoch erhobenen Kopf; so saß sie auch im Sattel, und wenn sie zu Fuß unterwegs war, schritt sie so selbstbewusst aus, wie es nur eine Frau tun konnte, die mit sich im Reinen war.

»Wo ist Ihr Pferd?«, fragte Bruno und gab ihr ein Küsschen auf beide Wangen. Sie wich zurück und lachte.

»Verzeihung, Bruno. Ich find’s ja durchaus nett, wie sich Franzosen begrüßen, aber, mit Verlaub, Sie riechen schrecklich und sehen ganz schlimm aus. Muss wohl an der verbrannten Wolle liegen und diesem Schaum, mit dem Sie sich bekleckert haben. Und wenn ich richtig sehe, haben Sie Ihre Augenbrauen verloren. Aber vielleicht lasse ich mich von dem schwarzen Schmier in Ihrem Gesicht täuschen.«

»Danke für den Hinweis.« Bruno fuhr mit den Fingern über die Brauen, die sich wie Bartstoppeln anfühlten.

»Das Pferd habe ich im Stall gelassen«, sagte sie. »Das Feuer hätte ihm Angst gemacht. Ich bin auch nur gekommen, [20] um zu sehen, ob jemand evakuiert werden muss und eine Unterkunft braucht.«

»Was ist das für ein Schuppen, der da abgebrannt ist?«, wollte der Baron wissen. »Ich dachte, ich kenne mich hier auf den Hügeln aus, habe dieses Ding aber nie zuvor gesehen.«

»Ich auch nicht«, antwortete Bruno. »Liegt ja auch ziemlich versteckt. Die ganze Lichtung ist von der Straße aus nicht einzusehen. Treffen wir uns bei Fauquet? Ich habe Hunger.«

»Gute Idee«, sagte der Baron. »Wieder ins Bett zu gehen lohnt eh nicht mehr. Pamela, ich lade Sie ein, vorausgesetzt, Sie versprechen mir, dass Sie unsere Gesellschaft unterhaltsamer finden als englische Kreuzworträtsel.«

»Aber gewiss, mein lieber Baron. Bruno sollte sich allerdings vorher waschen und umziehen.« Sie musterte ihn. »Die Hose können Sie wegwerfen. Ich hoffe, die Stadt spendiert Ihnen eine neue Uniform.«

Die drei wollten sich gerade auf den Weg machen, als das Signalhorn eines der Löschzüge zwei schrille Töne ausstieß. Ahmed winkte Bruno zu sich. »Vergiss nicht, Bruno, du und Albert, ihr müsst sofort ins Krankenhaus. Das ist Vorschrift.«

[21] 2

Selbst im Zeitalter des Computers war es alles andere als einfach, festzustellen, wem das verkohlte Feld und der niedergebrannte Schuppen gehörten. Claire, die Sekretärin des Bürgermeisters, brütete über dem riesigen Grundbuch, in dem jede Liegenschaft und jedes Flurstück der weitläufigen Gemeinde von Saint-Denis aufgelistet und durchnummeriert war. Die ermittelte Flurstücknummer würde dann im Grundsteuerregister aufzuspüren sein, und erst das gäbe Aufschluss über den rechtmäßigen Eigentümer.

»Auf der Karte ist da oben überhaupt keine bauliche Anlage eingetragen«, klagte Claire. »Bist du sicher, die richtige Straße genannt zu haben, Bruno?«

»Ja, das bin ich.« Geduscht, rasiert, in seiner zweiten Uniform und mit einem ärztlichen Attest in der Tasche fühlte sich Bruno wieder wie neu, abgesehen von den Augenbrauen. Er trat zu ihr an die große Karte, achtete aber darauf, der fülligen Frau nicht allzu nahe zu kommen. Denn als einziger Junggeselle in der mairie konnte er vor ihren Flirtattacken nicht sicher sein. Wie aus Gewohnheit und selbst dann, wenn sie schlechte Laune hatte, schmachtete sie ihn an und klimperte dabei mit den Wimpern.

Er fuhr mit dem Finger die Straßen nach, die er in der Frühe eingeschlagen hatte. Da war der Funkmast und dort [22] der Wasserturm. Die Wasserleitung musste also an diesem Weg entlang verlaufen. Bis hierher, murmelte er vor sich hin und drückte mit dem Zeigefinger auf die Stelle, überzeugt davon, das richtige Flurstück gefunden zu haben. Aber Claire hatte recht. Auf der Karte war kein Gebäude eingetragen. Das war nicht nur seltsam, sondern auch unstatthaft: Für den Schuppen hatte es offenbar nie eine Baugenehmigung gegeben. Und da es eine Wasserleitung samt Standrohr gab, schien die Kommune außerdem um die jährliche Wasserrechnung betrogen worden zu sein. Wie dem auch sei, Bruno kannte jetzt die Flurstücknummer. Er ließ Claire die Karte aufrollen und ging in die sogenannte Registratur, einen kleinen, vollgestopften Raum, wo er mit Hilfe des Grundsteuerregisters den Namen des Eigentümers bald gefunden hatte.

Es handelte sich um eine société anonyme, eine Aktiengesellschaft namens Agricolae mit eingetragenem Firmensitz in Paris. Das Flurstück war vor drei Jahren vom Verteidigungsministerium erworben worden. Agricolae – das war der Name auf dem Blechschild, das Bruno vom Boden aufgehoben und in Alberts Feuerwehrjacke gesteckt hatte. Aus den Unterlagen ging auch hervor, dass für das Grundstück nie Wassergeld oder Steuern bezahlt worden waren und dass es für den Schuppen tatsächlich keine Baugenehmigung gegeben hatte. Diesem Unternehmen namens Agricolae stand Ärger ins Haus. Er wollte gerade zum Hörer greifen, um Albert anzurufen, als Claire den Kopf durch die Tür streckte und ihm mitteilte, dass er Besuch habe.

»Gleich nach dem Bürgermeister der wichtigste Mann von Saint-Denis, und doch mutet man ihm dieses schäbige [23] Loch als Büro zu«, ließ Commissaire Jean-Jacques Jalipeau verlauten, der für das département zuständige Chefinspektor der police nationale. Er setzte einen kleinen Schritt in das Zimmer, und schon schien es in Gänze ausgefüllt zu sein.

»Himmel, Sie sehen schrecklich aus, ganz rot im Gesicht. Und wo sind Ihre Augenbrauen geblieben?«, fuhr Jean-Jacques fort. »Sie haben das Feuer doch wohl nicht selbst gelegt, oder?«

»War nur ein bisschen zu nah dran«, entgegnete Bruno und lächelte seinem Kollegen zu. »Wenn ich den erwische, der da gezündelt hat…«

Bruno mochte Jean-Jacques, auch wenn der ihm immer wieder vorwarf, eine Berufsauffassung zu vertreten, die weniger dem code criminel diene als den Interessen von Saint-Denis – womit er durchaus recht hatte. Die beiden hatten schon in mehreren Fällen zusammengearbeitet und nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ermittlungen jedes Mal fürstlich miteinander getafelt. Bruno führte ihn durch das uralte Treppenhaus der mairie nach unten auf die Straße und durch die Arkaden in Fauquets Café, wo sie sich zwei Ricards bestellten.

»Wie geht es Isabelle?«, fragte Jean-Jacques. »Sie wird irgendwann demnächst ihren neuen Job in Paris antreten.« Isabelle hatte unter ihm als inspectrice in der Polizeizentrale in Périgueux gedient, ehe sie ihrer Karatefähigkeiten und schönen Augen wegen zuerst dem Innenminister und dann auch der Paris-Match aufgefallen war. Mit wohlgefälligem Interesse hatte Jean-Jacques Anteil an der Affäre genommen, zu der es im Sommer zwischen ihr und Bruno gekommen [24] war, und sich selbst damit geschmeichelt, die beiden zusammengebracht zu haben.

»Sie ist schon weg«, sagte Bruno und versuchte, einen neutralen Tonfall anklingen zu lassen. »Der Minister tritt eine Auslandsreise an und will, dass sie ihn und seine Delegation begleitet.«

»Tja, dass sie irgendwann mal geht, war ja abzusehen«, sagte Jean-Jacques. »Immerhin hattet ihr drei schöne Monate.«

Bruno nickte. Das Wissen um die begrenzte Dauer ihrer Zweisamkeit und der Umstand, dass ihr der Karrieresprung nach Paris wichtiger war als das, was sie für Bruno empfand, hatten die Beziehung zunehmend belastet. Während der schlaflosen Nächte ihrer letzten gemeinsam verbrachten Woche hatte er spüren können, wie sich sein seit Jahren gepflegter Schutzwall, der von Isabelle nach und nach abgetragen worden war, wie von selbst wieder aufrichtete. Seltsamerweise hatten sie sich umso leidenschaftlicher geliebt, doch als sie am Bahnhof von Saint-Denis schließlich voneinander Abschied nahmen, gab es keine einzige Träne.

»Sie fehlt mir«, setzte Jean-Jacques nach. »Ihre Nachfolgerin kommt nicht an sie heran. Und ist bei weitem nicht so ansehnlich.«

»Wird sie etwa an diesem Fall mitarbeiten?«

»Nein, zumindest einstweilen nicht. Die Feuerwehr müsste ja auch erst einmal eine formelle Anzeige wegen Brandstiftung stellen. Aber ich hatte kurz nach dem Mittagessen einen dieser diskreten Anrufe aus Paris mit der Aufforderung, möglichst schnell für Aufklärung zu sorgen. Dahinter steckt wohl nicht nur die Sorge wegen irgendwelcher [25] Ökoradikalen. Es scheinen vielmehr Interessen auf höherer Ebene im Spiel zu sein. Was wissen Sie?«

Bruno berichtete ihm vom Einsatz der Feuerwehr, der sonderbaren Wasserleitung und davon, dass das Flurstück früher dem Verteidigungsministerium gehört hatte und dann von der Aktiengesellschaft Agricolae aufgekauft worden war, die dafür aber allem Anschein nach keine Grundsteuer abführte und außerdem ohne Baugenehmigung ein Gebäude darauf errichtet hatte.

»An Ökoradikale glaube ich eigentlich nicht«, fügte er hinzu. »Die wollen doch Publizität und hätten bestimmt Presse und Fernsehen informiert, oder?«

Jean-Jacques zuckte mit den Achseln. Er ließ die Eiswürfel in seinem Glas klackern, schüttete dann Wasser auf seinen Ricard und sah zu, wie sich die Flüssigkeit milchig weiß verfärbte. Er trank einen Schluck. »Ich habe hier in meiner Tasche ein Schreiben des Präfekten an Ihren Bürgermeister mit der Bitte, Sie, Bruno, in die Ermittlungen mit einzubeziehen, damit wir, die ahnungslosen flics aus der Großstadt, von Ihren Ortskenntnissen profitieren. Verstehen Sie’s als eine Art Einberufung. Ich habe bereits ein Team zusammengestellt, das sich alle bekannten militanten écolos vorknöpfen wird. Inzwischen dürfte auch die Spurensicherung von Bergerac oben auf dem Feld bei der Arbeit sein. Gibt es hier bei Ihnen irgendwelche écolos?«

»Keine, die unangenehm aufgefallen wären. Einer sitzt im Stadtrat, ein in die Jahre gekommener Hippie, der oben in den Hügeln eine Kommune leitet, die Heimatlose und Landstreicher beherbergt. Sympathischer Kerl und herzensgut. Und dann wäre da noch diese Gruppe, die gegen das [26] Sägewerk protestiert und verlangt, dass es geschlossen wird, weil es angeblich die Luft verpestet. Aber auch das sind keine Radikalen. Bei Wahlen kriegen die Grünen bei uns nicht einmal zehn Prozent. Ich schlage vor, wir schauen jetzt mal bei der Feuerwache vorbei und sprechen mit Albert. Er wird den Laborbericht zwar noch nicht haben, weiß aber bestimmt schon ziemlich genau, ob das Feuer vorsätzlich gelegt wurde oder nicht.«

»Vorsätzlich?«, fragte Fauquet. Der Besitzer des Cafés war stolz auf seinen Ruf, über neuesten Klatsch und Tratsch immer als Erster Bescheid zu wissen. Er beugte sich über die Theke und schob ihnen zwei Tassen Kaffee zu. »Geht aufs Haus. Habe ich richtig gehört, dass Vorsatz dahintersteckt?«

»Nein, davon war nicht die Rede«, schnappte Jean-Jacques und schob seine Tasse so schwungvoll zurück, dass ihr Inhalt überschwappte und Fauquets weißes Hemd bekleckerte. Groß gewachsen und stämmig, wie er war, konnte Jean-Jacques ausgesprochen einschüchternd wirken, auch wenn sein zerknittertes Äußeres eher Mitleid erregte. »Und wenn Sie irgendwelche Gerüchte streuen, schicke ich Ihnen eine Armee argwöhnischer Inspektoren vom Gesundheitsamt auf den Hals. Mischen Sie sich nicht in polizeiliche Angelegenheiten. Haben Sie mich verstanden, Monsieur?«

[27] 3

An der Straße nach Les Eyzies stand neben einem alten Gehöft ein schlichtes eingeschossiges Gebäude mit einem, wie Bruno fand, hochtrabenden Namen: Institut für landwirtschaftliche Forschung. Der Bürgermeister war stolz darauf, dafür gesorgt zu haben, dass es nach Saint-Denis gekommen war. Es beschäftigte vier Wissenschaftler, vier Laboranten und ein halbes Dutzend Ortsansässiger, die auf der angeschlossenen Farm und in den Gewächshäusern arbeiteten. Direktor und leitender Wissenschaftler des Instituts war Gustave Petitbon, ein langer, sehr dünner Mann mit krummem Rücken. Er hatte sich in der guten Stube des benachbarten Bauernhauses sein Büro eingerichtet. Dort hockte er nun auf der Kante seines Schreibtisches und bedachte die beiden Polizisten mit trotzigem Blick.

»Was da angebaut wird, ist ein Betriebsgeheimnis«, sagte er. »Ich bin nicht befugt, Ihnen darüber Auskunft zu geben.« Bruno hatte Petitbon ein paarmal gesehen, bei Rugbyspielen oder auf Empfängen im Bürgermeisteramt, wo Petitbon für gewöhnlich mit einem Glas Wein in der Hand irgendwo abseits in der Ecke stand. Er lebte zurückgezogen mit seiner Frau und hatte keine Kinder.

»Monsieur Petitbon, ich ermittle im Auftrag des Innenministeriums«, sagte Jean-Jacques mit zunehmend lauter [28] Stimme. »Und das kann nur heißen, dass ein hochrangiges Mitglied des Landwirtschaftsministeriums, also Ihres Arbeitgebers, darauf gedrängt hat, dass sich der Chefinspektor unseres Départements, also meine Person, persönlich mit dem Fall befasst. Ich musste eine Mordsache, zwei Fälle von Vergewaltigung und einen Bankraub hintanstellen, um hierherzukommen. Um keine Zeit zu vertrödeln, schlage ich vor, Sie rufen Ihren Minister in Paris an und holen sich die Erlaubnis, die Sie brauchen, bevor ich meinen Minister anrufe und ihm mitteile, dass Sie meine Nachforschungen behindern.«

Petitbon war sichtlich beeindruckt von Jean-Jacques Stimmgewalt, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und griff zum Telefon. Dann kehrte er den beiden auf seinem Drehsessel ostentativ den Rücken, murmelte etwas in die Sprechmuschel und musste sich von der Gegenseite anhören, was nach einem ruppigen Befehl klang. »Oui, Monsieur le Directeur«, sagte Petitbon ehrerbietig, kam aber nicht mehr dazu, sich zu verabschieden, denn es machte Klick in der Leitung. Er zuckte vor Schreck zusammen, drehte sich dann um und legte den Hörer zurück.

»Was ich Ihnen zu sagen habe, meine Herren, ist streng vertraulich und muss unter uns bleiben«, hob Petitbon gewichtig an und straffte die Schultern. »Die Sache ist von nationaler Bedeutung, ein Projekt, das vom Verteidigungsministerium initiiert wurde, jetzt aber in den Händen des Landwirtschaftsministeriums liegt. Aus Sorge um den Klimawandel wurde der Plan gefasst, Pflanzen zu züchten, die auf trockenem, magerem Boden gedeihen. An dem Projekt sind ein Pharmaunternehmen und ein Agrochemiekonzern [29] beteiligt. Zur Organisation und Finanzierung der Forschung wurde eigens eine Firma gegründet, die Agricolae SA. Wir arbeiten mit Soja und anderen Bohnen, Mais und Kartoffeln, aber auch mit Rebsorten. All das wurde auf unserem Versuchsfeld angepflanzt und durch das Feuer vernichtet. Es ist uns von äußerster Wichtigkeit, dass festgestellt wird, wer dafür verantwortlich ist und wie es dazu kommen konnte, dass Informationen über dieses streng vertrauliche Projekt nach außen dringen konnten.«

Bruno erinnerte sich an seinen Fund. »Ich habe ein kleines Blechschild sichergestellt mit der Aufschrift ›Agricolae Sech‹. Ist das von Ihnen?«

»Ja. Agricolae Sech – kurz für Sécheresse. So bezeichnen wir die dürreresistenten Kulturen, die wir zu züchten versuchen, teils hier auf unserer Farm, teils auf dem besagten Feld, das wir wegen seines mageren Bodens ausgewählt haben. Dort scheint nun alles verloren zu sein, nicht nur die Ernte, sondern auch alle Unterlagen und Forschungsaufzeichnungen. Drei Jahre Arbeit.«

»Können Sie sich Gründe für eine vorsätzliche Brandstiftung vorstellen?«, fragte Bruno. »Haben Sie Feinde, gibt es entlassene Angestellte, die auf Rache sinnen könnten, oder irgendwelche eifersüchtigen Ehemänner?«

Petitbon lächelte, was seinem hageren Gesicht guttat. »Letzteres wäre mir noch am liebsten. Nein, von Feinden weiß ich nichts. Aber es könnte natürlich sein, dass irgendwelche radikalen Umweltschützer dahinterstecken. War es denn Brandstiftung?«

»Wir warten noch auf den Laborbefund.«

»Nun, vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen. Auf dem [30] Dach unserer Außenstelle war eine Webcam installiert, über die wir hier im Institut mitverfolgen konnten, wie sich die jeweiligen Sorten entwickeln. Die Mitschnitte der Einspielungen zeigen hoffentlich, wer sich verbotenerweise auf dem Feld herumgetrieben hat. Die Nachtaufnahmen werden zwar stark unterbelichtet sein, aber vielleicht lässt sich da nachträglich was machen.«

»Woher stammte eigentlich der Strom für diese Webcam?«

»Fotovoltaik. Wir hatten Solarzellen auf dem Dach, die ausreichend Energie lieferten. Die Kamera ist wahrscheinlich verbrannt, aber die Aufzeichnungen sind gespeichert. Ich wollte sie mir gerade ansehen, als Sie gekommen sind.«

»Dass die Arbeit von drei Jahren für die Katz ist, tut mir leid, Monsieur.«

»Tja, gehen wir nach drüben ins Labor. Da steht der Computer.«

»Eine Frage noch«, sagte Bruno. »Sind Ihre Züchtungen genverändert, also das, wogegen viele protestieren?«

»Natürlich. Deshalb legen wir so großen Wert auf Vertraulichkeit. Mit manchen Sojasorten, die wir oben auf dem Plateau angebaut haben, waren wir schon sehr erfolgreich.«

»Wie viele hier in Ihrem Institut wissen von diesem Projekt?«, fragte Jean-Jacques.

»Wohl jeder, der bei uns beschäftigt ist. Die Wissenschaftler, Laboranten und alle, die auf dem Feld arbeiten. Sie wissen auch, dass sie Stillschweigen bewahren müssen. Wir haben ihnen eingeschärft, nicht einmal mit ihren Ehefrauen darüber zu reden.«

»Also insgesamt zehn bis fünfzehn Personen«, meinte Jean-Jacques.

[31] »Vierzehn, um genau zu sein. Und ich habe keinen Grund, an ihrer Loyalität zu zweifeln.«

»Ich brauche ihre Personalakten und möchte Sie bitten, mir und meinem Team einen Raum zur Verfügung zu stellen. In Ihrem Institut ließe sich diskreter arbeiten als in der Stadt.«

»Selbstverständlich«, sagte Petitbon. »Sie könnten mein Büro haben. Ich gehe dann nach nebenan. Jetzt sollten wir uns ansehen, was die Webcam eingefangen hat.«

Es gab nicht viel zu sehen. Die Kamera hatte unter der Dachrinne des Schuppens gehangen. Auf dem Video lief die Zeit mit. Zwei Minuten nach drei schien sich am Westrand des Feldes irgendetwas zu bewegen. Vier Minuten später war eine Bewegung auf der Nordseite auszumachen. Dann verwackelte das Bild.

»Vielleicht wurde in diesem Augenblick die Tür aufgebrochen«, sagte Petitbon. »Das würde die Erschütterung erklären, die sich auf die Kamera übertragen hat.«

Um neun nach drei zeigte sich ein erster schwacher Lichtschein ganz in der Nähe. Plötzlich schossen Flammen auf. Das letzte Bild der Webcam war um 3:18 Uhr übertragen worden.

»Immerhin kennen wir jetzt die Tatzeit«, sagte Jean-Jacques. »Wenn Sie bitte eine Kopie der Aufzeichnungen anlegen könnten – vielleicht sehen unsere Kriminaltechniker mehr. Mir scheint allerdings, der oder die Täter wussten von der Webcam. Das heißt, ich werde mich in meinen Ermittlungen zunächst einmal auf Ihre Mitarbeiter konzentrieren.«

»Noch eins«, fügte Bruno hinzu. »Haben Sie solche Webcams auch an anderer Stelle?«

[32] Petitbon nickte. »Ja, wir überwachen mehrere Versuchsanbauten.«

»Ich schlage vor, Sie installieren auch welche hier, rund um das Institut und in den Gewächshäusern. Es könnte zu weiteren Anschlägen kommen.«

[33] 4

Die Befragung der Angestellten des Forschungslabors dauerte drei Tage und führte zu nichts. Bruno hatte sich schließlich im Sessel des Friseurs zu entspannen versucht und wie immer einmal im Monat die Haare schneiden lassen, als ihn der Anruf von Nathalie, der Kassiererin in der Weinhandlung von Hubert de Montignac, erreichte. Die Kellerei wurde im Guide Hachette de Vins als eine der vorzüglichsten in ganz Frankreich beworben und war einer von nur drei Orten landesweit, an denen es sämtliche Jahrgänge des Château Pétrus von 1944 bis heute zu kaufen gab. Für Bruno, der sich als Ordnungshüter insbesondere auch der Pflege der großartigen Winzertradition seines Amtsbezirks verpflichtet fühlte, war Huberts Weinkeller so etwas wie ein heiliger Schrein. Obwohl Baptiste noch an seinen Haaren herumschnippte, sprang Bruno aus dem Sessel, warf den Umhang ab und setzte sich seine Schirmmütze auf die noch unfertig geschnittenen Locken. Er rannte nach draußen, setzte den magnetischen Fuß des Blaulichts auf das Dach des Transporters und raste los.

Nathalie hatte sich nicht genauer darüber ausgelassen, worum es ging, und nur gesagt, dass es Probleme gebe und er sofort kommen solle. In weniger als drei Minuten hatte er den kleinen Kreisel an der Brücke, auf dem wie immer um [34] diese Uhrzeit reger Verkehr herrschte, hinter sich gelassen und Huberts Hof vor der großen flachen Scheune erreicht. Zu beiden Seiten des Eingangs standen alte Weinfässer, aus denen Efeu und Blumen rankten – für eine so renommierte Kellerei ein eher schlichtes Entree. Darauf angesprochen, erklärte Hubert immer, dass ihm die Ware wichtiger sei als das Schaufenster. Außerdem investierte er lieber in sein eigenes Äußeres und pflegte den Stil eines englischen Landjunkers mit Tweedjacken, Flanellhemden, Krawatten und Golfschuhen, die er auf Geschäftsreisen in London kaufte.

Im Hof parkten wie üblich teure Karossen aus allen Teilen des Landes, unter anderem auch ein grüner Range Rover mit britischem Kennzeichen. Dies war das einzige Fahrzeug, das bei Bruno, dem passionierten Jäger, der sich mit dem erlegten Wild immer selbst abschleppen musste, einen Anflug von Neid auslöste, obwohl er wusste, dass er mit einem Jeep aus Armeebeständen besser fahren würde, und darauf sparte er.

Dem Eingang am nächsten stand ein weißes Porsche-Cabriolet mit einer außergewöhnlich hübschen jungen Frau auf dem Beifahrersitz. Hubert stand in der geöffneten Fahrertür und hielt das Lenkrad gepackt, um einen sichtlich verärgerten Mann in hellgelber Hose und pinkfarbenem Polohemd daran zu hindern, einzusteigen und wegzufahren. Nathalie hockte auf der Kühlerhaube, neben ihr eine jüngere Frau, die Bruno nicht kannte, vielleicht eine neue Angestellte mit dichten blonden Ringellocken und großen dunklen Augen, so attraktiv, dass Brunos Blick an ihr hängenblieb. Auch sie taxierte ihn und machte kein Hehl daraus, dass ihr gefiel, was sie sah. Mit solchen Blicken begegneten ihm sonst nur ältere, erfahrenere Frauen.

[35] Neben ihr stand Max, ein junger Mann mit blonden Strähnchen im Haar und gesunder Gesichtsfarbe. Er grinste, als er Bruno sah, der früher sein Rugbytrainer gewesen war. Bei Hubert arbeitete er nur den Sommer über, sonst studierte er an der Universität in Bordeaux. Im Eingang der Kellerei drängte sich Kundschaft, die an der Szene rund um den Porsche offenbar Gefallen fand.

Bruno hatte seinen Transporter, auf dem noch immer das Blaulicht kreiste, direkt hinter dem Porsche zum Stehen gebracht und versperrte ihm so die Ausfahrt. Er notierte das Kennzeichen – mit den Endziffern 75, also in Paris zugelassen –, stieg aus und ging auf die Streithähne zu, die sofort verstummten. Händeschütteln und die üblichen bisous waren jetzt nicht angebracht. Der Anlass verlangte vielmehr nach der anonymen Strenge des Gesetzes.

»Messieurs-dames«, hob er an und tippte salutierend mit der Hand an den Mützenschirm. »Chef de police Courrèges, zu Ihren Diensten.«

Bruno musterte die Fremden in ihrem teuren Auto. Der Mann in Pink und Gelb schien Ende fünfzig zu sein. Er hatte einen stattlichen Kopf, gewelltes langes Silberhaar und einen kleinen Bauch. Am Ringfinger steckte ein goldener Ehering. Seine Begleiterin war an die dreißig Jahre jünger. Sie trug eine große Sonnenbrille und Schuhe, für die Bruno, so seine Schätzung, zwei Wochen hätte arbeiten müssen. Sie hatte, wie ihm auffiel, eine beeindruckende Diamantsammlung an den Fingern, aber keinen Ehering. Zu ihren Füßen lag ein vorzüglich getrimmter kleiner weißer Pudel mit diamantenem Halsband.

»Er hat einen 82er Château Pétrus fallen lassen und [36] weigert sich, dafür zu zahlen«, erklärte Hubert so betroffen, als hätte er einen Todesfall in der Familie zu beklagen.

»Einen 82er?«, fragte Bruno nach. Ein wahrhaftig vergleichbarer Verlust.

»Wein im Wert von zweitausendzweihundert Euro, am Boden verschüttet«, jammerte Nathalie.

»Pech«, sagte der Mann in Pink. »Die Flasche war voller Schmier. Dafür konnte ich nichts.«

»Und Sie, Monsieur, sind…«

»Ein Tourist auf Kurzurlaub.«

»Ihre Papiere, bitte.«

»Hören Sie, ich bin auf der Durchreise. Sorgen Sie dafür, dass ich weiterfahren kann.«

»Ihre Papiere, Monsieur. Und die von Ihnen, Madame.«

»Mademoiselle«, korrigierte die sehr gepflegte junge Frau und öffnete ihre Handtasche. Bruno bemerkte das Chanel-Logo und nahm ihren Ausweis entgegen.

»Verzeihung, Mademoiselle – ah – d’Alambert. Die Adresse ist noch gültig, Boulevard Maurice Barrès in Paris?«

Sie nickte. Bruno schrieb die Daten in sein Notizbuch. In Lille geboren, vierundzwanzig Jahre alt. Ein großer Sprung von der Industriestadt im Norden Frankreichs zum Boulevard Barrès, einer der vornehmsten Pariser Straßen am Bois de Boulogne. Als ihren Beruf hatte sie Model angegeben.

»Monsieur«, wiederholte Bruno. »Ihre Papiere.«

Der Mann schürzte die Lippen, als wollte er Einspruch erheben, zuckte aber dann mit den Achseln und griff nach seiner Brieftasche, einem edlen schlanken Mäppchen aus Krokodilleder. Er reichte Bruno Personalausweis und Führerschein.

[37] »Monsieur Hector d’Aubergny Dupuy, Avenue Foch, Paris, sechzehntes Arrondissement, ist das richtig?« Der Mann nickte. Die Avenue Foch war ebenfalls eine vornehme Adresse und nur ein paar angenehme Flanierschritte vom Bois de Boulogne und vom Boulevard Barrès entfernt.

»Wenn ich bei Ihnen zu Hause anriefe, Monsieur, wäre da jemand, der mir Ihre Identität bestätigen könnte?« Bruno blickte auf das Mädchen im Porsche. »Vielleicht eine Madame Dupuy?«

Dupuys Gesichtshaut nahm die Farbe seines Polohemdes an. »Das bezweifle ich, nicht um diese Zeit.«

»Und Ihre Geschäftsadresse, wenn ich bitten darf.«

Er öffnete wieder seine Brieftasche und zupfte eine Visitenkarte daraus hervor, mit der er sich als chef d’entreprise, als Geschäftsführer einer nach ihm benannten Consulting-Firma mit Sitz an der Avenue Monceau ausgab. Bruno holte sein Handy aus der Tasche. »Unter dieser Nummer werde ich hoffentlich jemanden erreichen, der für Sie zeugen und mir bestätigen kann, dass Sie der rechtmäßige Halter dieses Fahrzeugs sind, oder?«

»Ja, meine Sekretärin. Aber ich habe doch hier meine Zulassungspapiere und…«

Bruno hob die Hand, drehte sich um und wählte die Nummer von Philippe Delaron, der Hochzeitsfotos machte und für die Sud-Ouest regionale Sportereignisse kommentierte. Er wollte den Gelegenheitsreporter bitten, mit seiner Kamera zu kommen. Nachdem er mit ihm gesprochen hatte, wandte er sich wieder der stummen Gruppe zu.

»Ich bin mir nicht sicher, ob hier ein strafwürdiges Vergehen vorliegt oder nicht. Aber natürlich gibt es ja die [38] Möglichkeit einer Zivilklage, für die ich mich gern als Zeuge zur Verfügung stellen würde. Ich möchte Sie nun nur noch um ein wenig Geduld bitten, derweil ich den Schaden in Augenschein nehme«, sagte Bruno betont gravitätisch. »Ich habe zu diesem Zweck einen Fotografen hierhergebeten, der mir gelegentlich dabei hilft, strittige Sachlagen zu dokumentieren.«

»Meinen Sie etwa Philippe, der Fotos für die Zeitung schießt?«, fragte Nathalie. Mit Genugtuung bemerkte Bruno, dass Dupuys rot angelaufenes Gesicht plötzlich aschfahl wurde.

»Madame«, entgegnete er, »würden Sie jetzt bitte von der Kühlerhaube steigen. Hier ist alles unter Kontrolle, und Sie könnten sich wieder um die Kundschaft im Laden kümmern.« Nathalie trollte sich. Auch die hübsche junge Frau mit den blonden Ringellöckchen rutschte von der Haube, wobei sie sich so ungeschickt anstellte, dass sowohl Hubert als auch Max beflissen herbeisprangen, um ihr zu helfen. Auch Nathalie, seit Jahren mit Hubert verbandelt, hatte bemerkt, wie eifrig ihr Partner um das Mädchen bemüht war, und biss die Zähne aufeinander.

»Hast du unsere neue Praktikantin eigentlich schon kennengelernt?«, fragte Hubert. »Das ist Mademoiselle Jacqueline Duplessis aus Québec. Offenbar sehr schnell im Kopf. Sie war die Erste, die sich auf den Wagen gesetzt hat, als die Flasche am Boden lag und der Kunde abzuhauen versuchte. Sie studiert Weinbau in Kalifornien und wird dieses Jahr für uns arbeiten, um sich mit unseren Traditionen vertraut zu machen. Ihre Familie in Kanada baut einen sehr interessanten Dessertwein an.«

[39] Die junge Frau hielt an Brunos Hand, die er ihr gereicht hatte, ungewöhnlich lange fest und streichelte sie geradezu, als sie schließlich von ihr abließ. Sie grüßte in dem eigentümlichen Tonfall ihres Québecer Idioms, worauf Bruno seine Arme hinterm Rücken verschränkte und irgendeine höfliche Bemerkung vor sich hin murmelte. Dann steuerte er auf die Kellerei zu, überlegte, wie er am besten vorgehen sollte, und nahm sich vor, die ganze Angelegenheit möglichst diskret zu behandeln.

»Es gibt nichts mehr zu sehen, Messieurs-dames«, rief er den Schaulustigen im Eingang zu. »Sie können wieder in den Laden zurückkehren und Ihre Einkäufe fortsetzen.« Lächelnd und mit zur Seite hin ausgestreckten Armen trieb er die Gruppe vor sich her. Dann setzte er wieder seine Amtsmiene auf, wandte sich dem silberhaarigen Galan aus Paris zu und sagte: »Monsieur Dupuy, geben Sie zu, dass Sie eine Flasche Château Pétrus zur Hand genommen und fallen gelassen haben?«

»Sie war schmierig und ist mir entglitten.«

»Dann werfen wir jetzt mal einen Blick auf die Scherben. Erlauben Sie, Monsieur de Montignac?«

Die cave war einer von Brunos Lieblingsorten. Direkt vor ihm lagerten die eigenen Weine von Hubert de Montignac, denen er seinen großen Erfolg verdankte. Angefangen hatte er damit, Weine verschiedener Erzeuger aus der hiesigen Region zu mischen und als Bergerac-Weine unter seinem Namen zu vertreiben. Dann hatte er einen kleinen Weinberg nahe dem Schloss von Monbazillac erworben, wo er eine Rebsorte anbaute, aus der er seinen süßen, goldenen Dessertwein herstellte. Später ging er eine Partnerschaft mit [40] einem englischen Geschäftsmann ein, der ein heruntergekommenes Château samt Weingut unweit von Bergerac gekauft hatte und einen Wein produzierte, der auf den großen Messen in Dijon und Paris Jahr für Jahr mit Preisen ausgezeichnet wurde. Auf der rechten Seite der Kellerei türmten sich Reihe um Reihe die eigentlichen Schätze der cave: edelste Bordeaux-Weine – Latours und Lafites, Cheval Blanc, Angélus und eben auch sämtliche Jahrgänge des Château Pétrus. Gegenüber zur Linken befand sich das, was allenthalben als die beste Auswahl an Malt-Whisky-Sorten außerhalb Schottlands gerühmt wurde. Aber auch Liebhaber französischer Armagnacs kamen hier auf ihre Kosten.

In der Mitte des Raums erhoben sich sechs riesige Kunststoffzylinder, aus denen mittels einer Motorpumpe offener Wein gezapft wurde, weiß, rot oder rosé, vin de table oder süße weiße Dessertweine für einen Euro pro Liter oder noch günstiger, vorausgesetzt, man brachte seine eigenen Behälter mit und füllte sie selbst, was auch Bruno tat, um seinen täglichen Bedarf zu decken. In der Luft hing ein schwerer, leicht säuerlicher Geruch, der einem fast den Atem benahm, wie auch die Auskunft über die Preise mancher Weine, die hier geöffnet beziehungsweise verschüttet wurden. Bruno wusste, wo der Pétrus lagerte, ging geradewegs auf das Allerheiligste in diesem Weintempel zu und blieb stehen, als er die zerbrochene Flasche auf dem Steinboden liegen sah. Château Pétrus, Jahrgang 1982. Wie von tiefem Leid ergriffen, nahm er die Mütze vom Kopf, kniete nieder und besah sich die Scherben von nahem. Der Preis war mit einem feinen weißen Pinselstrich aufgemalt: 2200 Euro.

Er musterte die größte Scherbe, auf der in der Tat Reste [41] von Schmier zu erkennen waren, wie von einem Daumenabdruck in die Länge gezogen. Er drehte sich um und schaute auf in Dupuys glänzendes Gesicht.

»Monsieur, mir ist aufgefallen, dass auf der Konsole neben dem Fahrersitz Ihres Wagens eine Tube Sonnencreme liegt. Sehr vernünftig, sich damit einzureiben, wenn man ein Cabriolet fährt, auch wenn man dann für eine Weile fettige Finger hat. Wie lange ist es her, dass Sie sich eingecremt haben?«

Dupuy zuckte mit den Achseln. In diesem Augenblick fiel draußen eine Autotür ins Schloss, kurz darauf kam Delaron mit seiner Kamera um den Hals zur Tür herein.

»Monsieur Delaron, dürfte ich Sie bitten, zuerst einmal eine Aufnahme von dem Porsche im Hof zu machen, und achten Sie darauf, dass das Nummernschild und natürlich auch die Beifahrerin mit ins Bild kommen«, sagte Bruno. »Wir hätten dann möglicherweise eine interessante Story für Ihr Blatt; es geht um den tragischen Verlust einer Flasche Pétrus von 1982 –«

»Okay, ich bezahle. Vielleicht war’s ja wirklich meine Schuld«, unterbrach Dupuy und reichte Nathalie eine schwarze Kreditkarte. »Vergessen wir das Ganze.«

»Sie können noch von Glück reden, dass es keine 61er war«, stichelte Nathalie. »Die kostet nämlich viertausendeinhundert. Übrigens, Bruno, was haben Sie mit Ihren Haaren angestellt?«

»Eine faire Geste, Monsieur, wie es von einem Gentleman auch nicht anders zu erwarten ist«, bemerkte Bruno und beeilte sich, seine Mütze wieder aufzusetzen. »Bedauerlich, dass es nicht mehr von Ihrer Sorte gibt. Ich bin mir sicher, [42] Monsieur de Montignac wird Ihnen nun zum Zeichen seiner Dankbarkeit ein Gläschen kredenzen.«

Hubert war bereits hinter der Theke und holte eine Flasche aus dem Kühlschrank. »Ich wollte gerade eine neue Lieferung verkosten, einen 95er Krug. Es würde mich freuen, wenn Sie mit mir anstoßen, Monsieur Dupuy, Sie und natürlich auch Mademoiselle.« Er tippte mit dem Finger unter den gewölbten Flaschenboden, um einem Überschäumen vorzubeugen, hielt den Korken mit der Linken gepackt und drehte die Flasche so geschickt davon ab, dass es am Ende festlich plopp machte, ohne dass ein Tropfen verlorenging. Jacqueline eilte mit Gläsern herbei, während Nathalie mit mürrischer Miene darauf wartete, dass Dupuy die Kartenquittung unterschrieb. Max kam mit Besen und Kehrschaufel, räumte die Scherben weg und wischte den Boden. Bruno ging nach draußen, um Mademoiselle d’Alambert, die einen ziemlich gelangweilten Eindruck machte, auf ein Glas Champagner einzuladen. Überraschend schnell sprang sie aus dem Wagen; etwas mehr Zeit ließ sie sich damit, den in die Höhe gerutschten Rock nach unten zu ziehen. Sie folgte Bruno ins Haus. Der Pudel blieb zurück.

[43] 5

Nachdem er die unterbrochene Sitzung beim Friseur wiederaufgenommen und seine Haare in Fasson hatte bringen lassen, stieg Bruno durch das Treppenhaus der mairie hinauf in sein Büro und fragte sich wie so oft, wie viele Schritte nötig gewesen waren, um die steinernen Stufen in den Jahrhunderten ihres Bestehens dermaßen tief abzuwetzen. Auf seinem Schreibtisch erwartete ihn ein Stapel Post, der übliche Schreibkram und eine Agenda, die während der Tage, in denen er mit Jean-Jacques im Forschungsinstitut zugebracht hatte, um etliche Punkte angewachsen war. Er musste Leuten, die sich um einen neuen Arbeitsplatz bewerben oder an der Universität studieren wollten, Führungszeugnisse ausstellen und Verträge mit Musikern ausarbeiten, die für den Bürgerball anlässlich des großen Jahrmarktes von Saint-Louis engagiert werden sollten. Als Schriftführer des Sportausschusses im Stadtrat musste er einen Scheck über die erste Rate unterzeichnen, die für den Neuanstrich des Rugbystadions in Rechnung gestellt worden war. Und aus der Pariser Polizeipräfektur war ein Fax mit der Nachricht vom Tod einer in Saint-Denis gemeldeten Frau eingegangen, deren Angehörige nun verständigt werden mussten. Den Namen der Verstorbenen hatte Bruno nie gehört, der Adresse nach zu urteilen, schien sie aber jener Hippiekommune [44] angehört zu haben, die seit den Sechzigern in den Hügeln ansässig war und sich wahrscheinlich nur deshalb so lange schon hatte behaupten können, weil sie den besten Ziegenkäse produzierte, den es auf dem Markt gab. Er nahm sich vor, irgendwann im Laufe des Nachmittags dort anzurufen und die Gelegenheit zu nutzen, ein paar Fragen zu Gentechnik und militanten écolos zu stellen.

Seine Schirmmütze landete auf dem Bücherbord neben der Baseballkappe mit FBI-Emblem, die ihm ein Freund aus New York mitgebracht hatte. Er quetschte sich an den Aktenschränken vorbei und nahm hinter dem verbeulten Metallschreibtisch auf seinem Drehsessel Platz, der ihn mit vertrautem Quietschen willkommen hieß. Sein Blick durchs Fenster fiel auf den verkehrsreichen Kreisel und die geschäftige Einkaufsstraße dahinter.

Die Passanten, die er sehen konnte, waren größtenteils Touristen, die die Aushänge in den Fenstern der Immobilienmakler studierten. Das neue Saint-Denis bestand aus vier Bäckereien, vier Friseursalons, vier Maklerbüros, drei Banken, drei Delikatessenläden, in denen es foie gras