Grayson Steel und die Magische Hanse von Hamburg - Torsten Weitze - E-Book

Grayson Steel und die Magische Hanse von Hamburg E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Mr. Steel, ich darf Ihnen Klaus Störtebeker vorstellen, den Leiter der Magischen Hanse. Quaestor Grayson Steel hat Gefallen an der Arbeit als Ermittler in der magischen Gemeinschaft, der Nebula Convicto, gefunden. Seine Quadriga und er suchen weiterhin nach den Hintermännern rund um Sophias Entführung, welche beinahe zu einem Zusammenbruch der magischen Weltordnung geführt hätte. Während sie im Schwarzwald nach einem entlaufenen Basilisken suchen, werden Grayson und sein Team plötzlich unfreiwillig in eine abenteuerliche Schnitzeljagd hineingerissen. Bis zum nächsten Neumond sollen sie ein gestohlenes Artefakt zurückholen. Die Spur des Diebesguts führt quer durch Deutschland bis nach Hamburg. Dort steht Grayson Steel schließlich den Dienern eines totgeglaubten, uralten Wesens gegenüber, das die Welt schon einmal verfinstert hat. An Meermenschen und Klabautermännern vorbei, muss er die Erweckung eines Altvorderen verhindern, sonst wird Hamburg in einem Sturm aus Gewalt und Feuer untergehen. Und mit der Stadt die Magische Hanse, die Lebensader der Nebula Convicto…

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Seitenzahl: 571

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Torsten Weitze

NEBULA

Convicto

Grayson Steel und die

Magische Hanse

von Hamburg

© Torsten Weitze, Krefeld, 2017

Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.de

Lektorat: ds, acabus Verlag

Dieser Band ist jenen Männern und Frauen gewidmet, die tagaus, tagein dafür sorgen, dass jeder von uns seine Waren erhält, ob diese nun magisch sind oder nicht. Ohne diese stillen Helden würde niemand je

Eine regnerische Jagd

Baden-Württemberg, Schwarzwald, ca. 20 km nordwestlich von St. Blasien, Freitag, 09. September, 11.08 Uhr

»Ich verabscheue Wälder«, stieß Grayson voller Inbrunst hervor, als ihm der unbedacht zur Seite gebogene Ast eines Baumes eine ganze Ladung Regenwasser in den Kragen seiner Jacke laufen ließ.

Während Morgan ihm einen leicht tadelnden Blick zuwarf, war der von Richard deutlich strenger. Der Custos verharrte mitten im Schritt, und seine blassblauen Augen bohrten sich in Graysons. »Ein wenig mehr Würde täte Ihnen ganz gut, werter Quaestor«, schnarrte er leise. »Dann würden Sie auch nicht mehr herumfluchen, wenn ich um Stillschweigen gebeten habe.« Der Tonfall des breitschultrigen Mannes im tadellos weißen Mantel wurde schneidend. »Wir jagen hier schließlich keine Hauskatze.«

Grayson zog ein missmutiges Gesicht und nickte zum Einverständnis, worauf Richard sie weiter den sanften Hang des Gebirgswaldes hinaufführte. Die Quadriga war auf der Spur eines entlaufenen Basilisken, und Berichten der Nebelwacht zufolge hatte sich das magische Wesen in die Tiefen des Schwarzwaldes zurückgezogen. Die äußerst gefährlichen Eigenheiten der echsenartigen Kreatur machte sie für viele Lebewesen zu einer tödlichen Bedrohung, und so war beim Verhangenen Rat ein Hilfegesuch eingetroffen, einen Lacunus zu schicken, der mit seinen antimagischen Fähigkeiten den gefährlichsten Waffen des Basilisken widerstehen konnte.

Auftritt, Grayson Steel, dachte der Quaestor mit einem Augenrollen. Morgan hatte ihre Quadriga einfach freiwillig gemeldet, eine der vielen eigenmächtigen Entscheidungen, die der Magus seit Monaten traf und die Grayson immer wieder das Gefühl gaben, der hochgewachsene Mann mit den grauen Strähnen im blonden Haar und der unnachahmlichen Verve wäre der eigentliche Anführer ihres vierköpfigen Teams.

Fünfköpfig, korrigierte Grayson sich in Gedanken, während er weiter durch den strömenden Regen einen dichtbewaldeten Hang im Süden Deutschlands hinaufstapfte.

Eine weitere Initiative Morgans war die Anforderung eines sogenannten Schattens gewesen, eine Art Assistent, der ihnen Hintergrundrecherchen abnehmen und Laufarbeit ersparen sollte und die Quadriga in logistischen Dingen unterstützen würde. Auch wenn Grayson die Kollegen im Innendienst bei Scotland Yard immer sehr geschätzt hatte, waren denen zu häufig Kleinigkeiten entgangen, die er dann selbst hatte recherchieren müssen, um nun auf das Eintreffen ihres Schattens großen Wert zu legen.

Während sie durch den prasselnden Regen liefen und der Atem des Quaestors langsam in ein stoßweises Keuchen überging, betrachtete er neidisch, wie die anderen Mitglieder seiner Quadriga munter weiterschritten. Richard, der Custos ihres Teams, der für den Schutz der Einheit verantwortlich war, ging voran und schaffte es tatsächlich, dass sich sein langer, weißer Mantel nicht ein einziges Mal in den dornigen Büschen oder niedrigen Ästen des Waldes verfing. Der helle Stoff schien Grayson geradezu zu verhöhnen, während die breitschultrige Gestalt mit den kurzgeschorenen, grauen Haaren munter vorausmarschierte. Da Richard ein echter Kreuzritter aus dem frühen Mittelalter war und aufgrund eines folgenschweren Schwures bereits länger auf dieser Erde wandelte, als Grayson zurückdenken wollte, war dem Ermittler klar, dass der ernste Mann mit dem jugendlichen Aussehen keinen Schweißtropfen an einen kümmerlichen Berghang vergießen würde. Wenn Richard nicht im Dienst war, schien er stets zu trainieren – entweder sich selbst, oder die anderen Mitglieder der Quadriga – und die körperliche und geistige Ausdauer des Mannes rang dem Quaestor ein gehöriges Maß an Respekt ab. Außerdem mochte Grayson die direkte Art des Mannes, der gerade vor ihm einen Wald seiner alten Heimat durchstreifte.

Neben sich hörte der schnaufende Ermittler ein zufriedenes Summen, und mit einem bösen Blick sah Grayson zu ihrem Saggitarius hinüber, die Person in der Quadriga, die für den persönlichen Schutz des Quaestors verantwortlich war und ansonsten die aggressiveren Tätigkeiten ihrer Arbeiten übernehmen sollte. Emilio di Laurentini war ein kleiner, kompakt gebauter Italiener, der ihnen seit einem halben Jahr zugeteilt worden war und ein Ausbund an guter Laune. Der Mann mit den schwarzen, gelockten Haaren und dem kurzen Vollbart schien ständig zu lächeln, und nichts brachte den Bogenschützen aus der Fassung. Emilio trug seinen Kompositbogen über die Schulter geschlungen und steckte in dunkler, moderner Jagdkleidung. Er schlenderte nahezu mühelos durch den Wald und die Steigung des Hanges hinauf, wie ein erfahrener Jägersmann aus irgendeinem Märchen. Grayson schnaubte abfällig. Er selbst war ein Mann der Stadt, und zwar durch und durch. Jede drogenverseuchte, urinbefleckte Gasse einer Großstadt war ihm lieber als dieser Wald. Eine Hauptstraße war dort meist nur ein paar Meter entfernt und ein Taxi zwei Pfiffe weiter. Hier jedoch liefen sie bereits seit drei Stunden durch die Pampa, und stöhnend vergegenwärtigte sich Grayson, dass sie denselben Weg auch noch zurücklaufen mussten! Wie jemand freiwillig seine Zeit in der freien Natur zubringen konnte, war dem Ermittler vollkommen schleierhaft.

Emilio bemerkte seinen Seitenblick und warf dem Quaestor ein aufmunterndes Lächeln zu, während er beinahe spielerisch über einen umgestürzten Stamm hinwegsetzte.

Angeber, fuhr es Grayson durch den Kopf, und er bemerkte erstaunt, dass er tatsächlich Shaja Janar vermisste, die wilde und mitunter skrupellose Halbdämonin, die vorher die Position der Saggitaria eingenommen hatte. Die starrköpfige Frau hatte ihren ersten und einzigen Fall an Graysons Seite dazu benutzt, um in die Unendliche Legion aufgenommen zu werden, jene Privatarmee, die die Nebula Convicto aussandte, wenn einer magischen Bedrohung nur durch eine stattliche Anzahl an Waffen und Vernichtungszaubern beizukommen war. Seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört, und wenn der Ermittler ehrlich zu sich war, wusste er nicht einmal, ob die junge Frau noch lebte. Richard war ebenfalls eine lange Zeit Teil der Unendlichen Legion gewesen, und seine Anekdoten aus diesem Abschnitt seines Lebens waren düster, blutig und voller Verluste auf beiden Seiten eines jeden Konflikts.

Dieser verdammte Wald machte ihn grüblerisch. Als er direkt neben sich ein höfliches Räuspern hörte, fuhr Grayson zusammen und hatte seinen Revolver und den Dolch gezogen, bevor er realisierte, dass es nur Morgan war, der da dicht bei ihm stand und ihn nun mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte.

»Alles in Ordnung, werter Quaestor?«, fragte er leise und mit einem feinen Lächeln. »Sie wirken gerade mürrischer als sonst. Dabei hatte ich doch eigentlich eine Besserung Ihrer allgemeinen Stimmungslage bemerkt.«

Unwillkürlich verzog Grayson sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Auf seine hochgestochene Art war Morgan stets so etwas wie der Anker der Vernunft in ihrer kleinen Gruppe. Es gab kein Problem, das der Magus nicht in kleine, überschaubare Zwischenschritte herunterbrechen konnte und ihnen die dazu passende Planung direkt mitlieferte. Auch wenn die Lösungen des adligen Mannes oft zu kleinteilig und übertrieben diplomatisch waren, boten sie doch stets interessante Ansätze, die der Quaestor zum Leidwesen des zauberkundigen Briten stets auf eine geradlinige, direktere Vorgehensweise reduzierte.

»Ich weiß immer noch nicht, warum wir unbedingt nach diesem dummen Viech Ausschau halten müssen«, murrte Grayson bissig und bereute dann seinen aggressiven Tonfall, der Morgan auch seine andere Augenbraue hochziehen ließ. Es stimmte, was der Magus gerade gesagt hatte. Seitdem Grayson seine Stellung als Quaestor, eine Art allumfassender Ermittler in der magischen Gemeinschaft, der Nebula Convicto, angenommen hatte, war er deutlich ruhiger und zufriedener geworden, als er es in seinem alten Job bei Scotland Yard je gewesen war. Seine zynische, teils verbitterte Ader war einer sarkastischen, pragmatischen Weltanschauung gewichen, was für Graysons Verhältnisse tatsächlich einen deutlichen Fortschritt darstellte. Dass nun, hier in diesem nassen Grün, die alte Natur des Ermittlers aufblitzte, schien den stets souveränen und höflichen Mann, der für den magischen Schutz der Gruppe verantwortlich war und über ein immenses Detailwissen in fast allen Dingen verfügte, tatsächlich zu beunruhigen.

»Wir haben das doch bereits mehrfach diskutiert, Sportsfreund«, sagte Morgan jovial. »Sie selbst wollten der Spur dieser illegalen Zauberspeicher weiter folgen, die während Sophias Entführung im letzten Jahr aufgetaucht waren. Monatelang haben wir nach Hinweisen Ausschau gehalten, und einer davon führte nach München. Sie wollten, dass wir unsere Ermittlungen im Schutze anderer Fälle durchführen, weil Sie glauben, dass noch immer Verschwörer im Verhangenen Rat sitzen.« Der Magus deutete in den triefenden Wald hinaus, während er neben Grayson herging. »Der entlaufene Basilisk war der einzige Fall in dieser Region, der der Aufmerksamkeit und den Fähigkeiten eines Lacunus würdig wäre, also habe ich zugegriffen.«

Widerwillig nickte Grayson. Er kannte die Ausführungen des Magus zur Genüge, aber das machte ihren Ausflug in die Wildnis nicht weniger unangenehm. Zumal sich die Spur in München als wenig haltbar erwiesen hatte. Der Schmuggler namens Gunther Blaukreuz, seines Zeichens ein waschechter Wolpertinger, war wenig gesprächig gewesen und hatte sich hinter einer Schar aus drei Anwälten und einem Dolmetscher verschanzt, da das Mischwesen aus Hase, Hirsch und Vogel angeblich nur über seltsame Zirplaute kommunizieren konnte.

Grayson hegte da so seine Zweifel, aber da er kein Aufsehen erregen wollte, hatte er es Morgan überlassen, die bürokratischen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, und der hatte eine formelle Befragung durch die Nebelwacht durchgesetzt, die natürlich eine halbe Ewigkeit dauern würde. Also mussten sie sich um ihren offiziellen Fall kümmern und standen daher im Dauerregen auf einem Berghang, um ein gemeingefährliches Tier zu jagen, das irgendein selbstverliebter Magus entgegen der Richtlinien zu magischen Haustieren illegalerweise großgezogen hatte und das ihm nun ausgebüchst war. Auf seinem Weg in die Freiheit hatte die Kreatur ihr ehemaliges Herrchen und zwei Dutzend Unbeteiligte in Steinstatuen verwandelt, und die Unglücklichen wurden gerade in einem von der Nebula Convicto geführten Krankenhaus mittels einer monatelangen Prozedur entsteinert.

»Seid ihr dahinten mit eurem Kaffeekränzchen fertig?«, raunte Richard gereizt. »Die Spuren an den Baumrinden sind frisch, und wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich den Basilisken gerne sehen, bevor er uns sieht. Versteinert zu werden ist kein Vergnügen!«

Graysons Kopf ruckte nach vorne. »Sie waren schon mal Opfer eines Basilisken?«, fragte Grayson verwundert und deutlich leiser als bisher.

Der grauhaarige Mann schüttelte den Kopf. »Eine Gorgone«, flüsterte er knapp. »Das Prinzip ist aber dasselbe. Die ersten Wochen juckt es wie verrückt, wenn die Magier einen zurückholen, und man ist noch so versteinert, dass man sich nicht kratzen kann. Danach fängt es an, weh zu tun, und dann hat man noch gute acht Wochen vor sich.«

»Ich denke, sein Rückgrat haben sie nicht heilen können«, wisperte Emilio halblaut und ahmte dann auf übertriebene Weise den extrem aufrechten Gang des Custos nach.

Grayson unterdrückte ein Schmunzeln, vor allem, als er das Gesicht des Kreuzritters sah, der den kleinen Bogenschützen geradezu durchbohrte. Richard und Emilio kamen nicht gut miteinander aus. Die laxe, beinahe nachlässige Art des Saggitarius, der nichts auf der Welt ernst zu nehmen schien, kollidierte auf intensive Weise mit der korrekten und auf Sicherheit bedachten Vorgehensweise Richards, dessen ganzes Wesen der Inbegriff eines Profisoldaten war. Ihre Kleinkriege führten zu immer größer werdenden Spannungen innerhalb des Teams, und Grayson fragte sich ernsthaft, wie lange es noch dauern mochte, bis die beiden mit den Fäusten aufeinander losgingen. Grayson warf Emilio einen warnenden Blick zu, und der kleine Mann ließ von seiner Parodie Richards ab.

»Sie sind doch so ein begnadeter Fährtenleser und Hobbyjäger. Wie wäre es, wenn Sie den Basilisken aufspüren und uns zu ihm führen?«, forderte der Quaestor auf.

Der kraushaarige Mann salutierte spöttisch und lief mit federndem Schritt an Richard vorbei, dessen Kaumuskeln deutlich aus seinem asketischen Gesicht hervortraten.

»Ist das so eine gute Idee, Quaestor?«, schnarrte er zweifelnd, aber Grayson winkte ab.

»Er redet seit Monaten darüber, was für ein toller Jäger er ist und wie viel Beute er bereits erlegt hat. Jetzt kann er sich beweisen«, sagte Grayson, wobei seine Abscheu für diesen »Sport« deutlich in seiner Stimme zu hören war. Der Quaestor liebte vielleicht ein gutes Steak, aber Leute, die aus Vergnügen Tiere töteten, standen trotzdem nicht ganz oben auf seiner Beliebtheitsliste. Die ohnehin recht kurz wäre. Wenn sie denn existiert hätte.

»Außerdem hätte ich Schwierigkeiten zu erklären, wie Mitglieder meiner Quadriga bei der Suche nach einem Basilisken zu Hieb- und Stichverletzungen gekommen sind«, schob er hinterher und deutete vielsagend auf Richards Breitschwert, dessen Griff dieser fest umklammerte.

Richard atmete daraufhin tief durch und nahm die Hand vom Heft der Waffe. »Ich schwöre, in all den Jahrhunderten habe ich noch nie einen derart undisziplinierten, aufsässigen und selbstgefälligen Saggitarius …«, begann der Krieger, als hinter ihm die leise Stimme Emilios ertönte: »Hier drüben scheint sein Nest zu sein. Also still sein und herkommen!«

Grayson sah noch das zufriedene Grinsen, mit dem der Bogenschütze Richard unterbrach, dann verschwand der gedrungene Mann wieder zwischen den Bäumen zu ihrer Linken.

Der Custos ballte die Fäuste für einen Moment so sehr, dass seine Arme zitterten, dann folgte er den Anweisungen des Jägers und pirschte sich leise in die angegebene Richtung.

Morgan reagierte mit einem Zauber, der den Magus in eine halbtransparente Kuppel hüllte, die sich wie eine zweite Haut über den Körper des Mannes legte. Selbstverständlich schien selbst diese Magie keinerlei Falten in dem makellosen, antiquierten Jagdoutfit zu hinterlassen, das Morgan mit einer solchen Würde trug, dass es sogar Grayson unmöglich gewesen war, sich darüber lustig zu machen. Er nickte ihm zu, und nebeneinander schlichen sie hinter den anderen her, wobei Grayson seinen Revolver fest mit der rechten Hand packte und den schweren Dolch angewinkelt in der linken hielt. Seine Haut prickelte, als Grayson dem antimagischen Feld, das ihn umgab, nachspürte und es so weit ausdehnte, dass es einige Zentimeter über seiner Haut endete. Morgan warf ihm einen beifälligen Blick zu, und stumm gingen sie weiter.

Grayson selbst war nicht so beeindruckt von seinen eigenen Bemühungen, denn dies war alles, was monatelanges, intensives Training mit dem Magus hervorgebracht hatte. Der Quaestor war nun in der Lage, seine intuitive Gabe minimal zu steuern, aber mehr als eine Bewegung um einige Zentimeter brachte er nicht zustande. Er konnte das Lacunusfeld nun bis auf seine Haut zurückziehen, sodass er Morgan oder einem anderen magischen Wesen die Hand geben konnte, ohne dass Blitze hervorbrachen, aber den Ausführungen des Magiers zufolge waren die Auswirkungen auf magische Wesen in diesem »Ruhezustand« seiner Gabe deutlich weniger schädlich, und der Ermittler war besser gegen Zauber geschützt, die seinen Geist betrafen. Das geschrumpfte Feld ließ jedoch die Kleidung des Quaestors ungeschützt, sodass ein geschickt platzierter Feuerball ihn in Brand setzen konnte. Daher kam Grayson sich in diesem Zustand regelrecht nackt vor, und er würde noch eine Weile benötigen, um sich daran zu gewöhnen. Jetzt hingegen hatte er seine Aura, soweit es ihm bisher möglich war, ausgedehnt, um jegliche magischen Effekte abzuschwächen, noch bevor sie überhaupt mit ihm in Kontakt kamen. Allerdings hielt nun Morgan einen Sicherheitsabstand von einem Meter, um nicht durch eine unbedachte Bewegung das Opfer einer gewaltsamen Bannung seines Zaubers zu werden.

Vor ihnen ertönte ein Geräusch, das Graysons Grübeleien ein jähes Ende bereitete. Es klang wie ein heiseres Zischen, das in einem knirschenden Ächzen endete, so als würden zwei Steinplatten langsam und widerlich kratzend übereinander geschoben werden.

Er und Morgan gingen so schnell wie möglich weiter, wobei sie unnötige Geräusche vermieden. Trotzdem brach immer wieder ein Ast unter Graysons Füßen oder raschelte ein Gebüsch, an dem er sich vorbeischob. Sehnlichst wünschte er sich die gewohnte Festigkeit verblichenen Asphalts herbei und verdoppelte seine Anstrengungen, leise zu sein.

Sie erreichten Emilio und Richard, die hinter einem großen Stein kauerten und angestrengt darüber hinweg spähten. Der Saggitarius schenkte ihnen einen Seitenblick, klopfte dann mit der flachen Hand auf ihre Deckung. »Gut, dass Sie beiden endlich kommen. Er muss hier irgendwo sein. Die Oberfläche ist noch ganz warm.« Dabei deutete er auf den Felsbrocken vor sich. Grayson runzelte die Stirn, bis er begriff, was er da vor sich sah.

Das war kein großer Findling. Das war ein Bär, der unter den Blick des Basilisken geraten war!

Der Quaestor schluckte schwer und festigte nochmals den Griff um seine Waffe. Ihm war schmerzlich bewusst, dass seine drei Begleiter hier nur schmückendes Beiwerk sein würden und die Hauptarbeit auf ihm lastete.

»Also, mein Zauber hält der Versteinerung vielleicht ein paar Sekunden stand, aber dann werde ich ebenfalls zu einer attraktiven Gartendekoration, daher werde ich mich ein wenig zurückhalten«, flüsterte Morgan angespannt und blickte Grayson erwartungsvoll an. »Das hier ist Ihre Show, Sportsfreund.«

Besten Dank dafür, dachte Grayson zynisch. Dann kramte er in seinem Gedächtnis, was er alles über Basilisken wusste. Wie bei einem normalen Fall hatte er sich auf seinen »Verdächtigen« vorbereitet und seine Stärken und Schwächen studiert. Ein Blick auf den versteinerten Bären machte den größten Trumpf des Wesens deutlich. Wen der Basilisk ansah, der verwandelte sich innerhalb von wenigen Sekunden zu Stein. Dabei war es unerheblich, ob man Blickkontakt herstellte oder nicht. Wenn das Vieh einen sah und als Bedrohung registrierte, klappte es seine durchlässige Bindehaut auf und zu seinem normalen Blick gesellte sich der Versteinerungseffekt. Davon abgesehen war die sechsbeinige Echse recht harmlos. Knapp hundert scharfe Zähne im Maul und gebogene Krallen an jedem Bein, also nichts, was der Quaestor nicht mittlerweile gewöhnt war. Zur Hölle, sein Lieblingsbarmann im Traumfänger hatte längere Fänge als ihr jetziges Ziel.

»Basilisken sind lärmempfindlich und nicht besonders flink, also schlage ich vor, dass Richard aus großer Distanz ein wenig Lärm macht und das Ding anlockt. Vorzugsweise in einem schönen, dichten Gebüsch, damit er nicht gesehen werden kann.« Der Custos nickte stoisch. Grayson rechnete es ihm hoch an, dass er sich so einfach einem Plan fügte, der ihn zum Herumlärmen in einem Busch verdonnerte.

»Emilio, ab mit Ihnen auf einen der höchsten Bäume. Sie sind doch ein so guter Schütze, Sie nehmen das Biest aufs Korn, wenn es sich zeigt, während ich herumlaufe und den Köder spiele, nachdem Richard es angelockt hat. Hoffentlich verwirrt es die Tatsache, dass die Geräusche nicht von mir stammen zusätzlich, sodass Sie einen guten Schuss anbringen können.«

Der Saggitarius nickte enthusiastisch. Grayson war unwohl dabei, dem Mann eine derart große Rolle bei der Jagd zuzugestehen, aber es war einer seiner festen Grundsätze, die Stärken einer jeden Person auszureizen, die mit ihm zusammenarbeitete. Und Emilio war mit seinem magisch verstärkten Bogen einfach atemberaubend gut. Laut seiner Akte war er zu einem Viertel ein Cupido, und auch wenn sich die Grußkartenindustrie an jedem Valentinstag große Mühe gab, Millionen kitschiger Knaben mit Windeln und herzförmigen Pfeilspitzen zu malen, war diese Feenart in Wirklichkeit ein übler Haufen kaltblütiger Kopfgeldjäger. Grayson war im Frühjahr einem von ihnen über den Weg gelaufen, und mit der kleinen Gestalt war nicht zu spaßen gewesen. Der Drecksack hatte ihnen die Reifen zerstochen, die mundane Polizei auf den Hals gehetzt und beinahe ihren Verdächtigen erschossen. Erst als Grayson zugestanden hatte, dass er dem Cupido, dessen Ziel nach der Befragung zur Auslieferung überlassen würde, hatte der kleine Scheißkerl endlich Ruhe gegeben. Anschließend war Grayson überrascht gewesen, wie hilfreich so ein geflügelter Bogenschütze beim Aufspüren sein konnte. Innerhalb eines Tages hatten sie den Fall gelöst, und der Cupido war mit seiner Beute von dannen gezogen.

Emilio hatte zwar nicht die Flügel seines Großvaters geerbt, wohl aber seine Treffsicherheit. Der Saggitarius wartete auch nicht auf Graysons restliche Ausführungen, sondern verschwand einfach zwischen den Bäumen, und dann hörten sie ein leises Rascheln, als er gewandt in einer hohen Baumkrone untertauchte.

Der Quaestor tauschte einen gereizten Blick mit Richard und Morgan, als er fortfuhr: »Morgan, Sie geben den anderen Rückendeckung. Wenn einem von Ihnen dreien die Entdeckung durch den Basilisken droht, wäre ein Nebelfeld oder so etwas ganz nützlich.« Der Magus nickte nachdenklich, und Grayson sah förmlich, wie die flinken Gedanken des Mannes Zauber ersannen und verwarfen, bis er mit seiner Auswahl zufrieden war. »Ich denke, ich habe da was, Sportsfreund«, sagte er zuversichtlich.

Grayson nickte ihnen noch einmal zu, dann suchten sich sowohl Richard als auch Morgan passende Verstecke. Grayson hingegen lehnte sich einfach gegen die frisch erschaffene Bärenstatue mitten im verregneten Wald und wartete darauf, dass ihn eine fiese, magische Echse angriff. An Tagen wie diesen fragte er sich ernsthaft, warum genau er seinen Job überhaupt mochte.

Der Regen war stärker geworden und ähnelte nun eher einem Vorhang aus Wasser denn einem Wetterphänomen. Wer auch immer diese idyllischen Werbebroschüren für den zauberhaften Schwarzwald entwarf, war wohl nie zugegen gewesen, wenn gerade ein heftiger Wolkenbruch losging. Das Blätterdach hatte dem Ansturm des Regens längst nachgegeben, und Grayson war sich sicher, das erste Prasseln beginnenden Hagels herauszuhören. Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und ignorierte die Kälte so gut es ging. Genau in diesem Moment ertönte ein lautes Dröhnen hinter ihm im Wald, und Grayson spannte sich an. Hochkonzentriert umklammerte er seine Waffen und spähte im trüben Licht des Sturms umher. Richard gab sich alle Mühe, so viel Krach zu machen, wie er nur konnte, und dem hohlen, gongartigen Geräusch nach, schlug der Kreuzritter mit seinem Breitschwert mit voller Wucht auf den magischen Schild ein, den er mittels seines Glaubens und seines magischen Talents heraufbeschwören konnte. Der Custos saß gute fünfzig Meter hinter dem Quaestor in einem Gebüsch, aber Grayson hatte trotzdem das Gefühl, ihm fielen von dem scheppernden Lärm die Ohren ab.

Der Basilisk ließ nicht lange auf sich warten. Ein unwirklich zischendes Röhren war die Antwort, das keiner natürlichen Kehle entstammen konnte, und dann hörte Grayson, wie sich etwas unsanft durch das Unterholz vor ihm schob. Ein massiger Umriss tauchte zwischen zwei Stämmen auf. Der Ermittler sah in vier goldene Augen, die paarweise übereinander angeordnet waren und ihn drohend anstarrten. Grayson verzog fassungslos sein Gesicht, als der drei Meter lange Körper des Wesens sich überraschend schnell auf ihn zubewegte! Mit einem vollkommen unheroischen Hechtsprung brachte der Quaestor sich hinter dem versteinerten Bären in Deckung, und dann prallte die schwere Gestalt des Basilisken auch schon gegen den frisch erschaffenen Stein und ließ ihn einfach bersten. Scharfkantige Felssplitter schnitten Grayson durchs Gesicht, als dieser fortgeschleudert wurde und instinktiv seine Unterarme vor die Augen riss, um diese vor den projektilartigen Trümmern des zerschmetterten Bären zu schützen. Die Armschienen, die er unter seiner mit Kevlar gefütterten Lederjacke trug, wehrten weitere Verletzungen ab. Mit einer geschmeidigen Rolle stand Grayson auf, indem er den Schwung nutzte, den der Ansturm des Basilisken ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Dann drehte er sich zur Seite und wirbelte hinter den breiten Stamm eines Baumes, von wo er sein Gegenüber belauerte. Die riesige Echse schüttelte gerade benommen den Kopf, und ihre Augen zeigten nun ein tiefes, beinahe hypnotisch glitzerndes Blau. Graysons Arme wurden lahm, und das Denken fiel ihm schwer, als er das Wesen anstarrte, und schnell schloss er seine Lider, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm, damit das Wesen ihn nicht sehen konnte, und dachte fieberhaft nach. Das Alter eines Basilisken ließ sich an der Anzahl seiner Augen und seiner Körpergröße bestimmen. Die jungen besaßen zwei Augen und etwa einen Meter Rumpflänge. Dann kamen die alten Basilisken mit vier Augen und der dreifachen Körpermasse. Schließlich folgten die Erzbasilisken, aber über die Viecher wollte Grayson jetzt nicht nachdenken. Die waren ein Fall für die Unendliche Legion.

Hier und jetzt zählte für Grayson, dass irgendwer bei der Nebelwacht bei der Aufklärung Mist gebaut hatte. Das hier war ein alter Basilisk und damit deutlich stärker, als sie erwartet hatten. Entweder Emilio war ein wirklicher Meisterschütze, oder …

Ein dumpfes Geräusch ertönte hinter Grayson, und er wagte einen schnellen Blick. Der Basilisk fixierte die Baumkrone, in der sich der Saggitarius aufhielt, mit seinen starren Augen, deren bläuliches Funkeln an Intensität gewonnen hatte. Grayson wurde wieder furchtbar müde, und er musste sich zusammenreißen, um nicht zu Boden zu fallen. Heftig blinzelnd sah er einen Pfeilschaft, der aus dem Schädel der Kreatur ragte, aber keinerlei Wirkung zu zeigen schien. Außer der, den Basilisken wütend zu machen. Die riesige Echse stürmte auf den Baum zu, in dem Emilio hockte, und Grayson war klar, was nun passieren würde. »Morgan, einen Zauber bitte!«, rief er hektisch. Der Magus erhob sich im Rücken der Kreatur aus seinem Gebüsch und begann, schnörklige Handbewegungen durchzuführen, während er etwas murmelte. Bevor er seinen Zauber beenden konnte, hatte sich die massige Gestalt des magischen Wesens bereits gegen den Stamm geworfen. Mit einem knirschenden Geräusch gab das Holz des Baumes nach. Wurzeln wurden aus dem Boden gehoben, und dann kippte die Buche einfach um und schleuderte eine Fontäne aus Erdreich in den Wald. Emilio stieß einen Schrei aus und stieß sich ab, aber der Basilisk betrachtete ihn mit seinen funkelnden Augen während des Sprungs. Entsetzt sah Grayson, wie ein durchaus lebendiger, beweglicher Saggitarius die fallende Baumspitze verließ und als grauer, menschenförmiger Steinklumpen dumpf auf dem Waldboden aufprallte. Dann endlich wirkte der Zauber des Magus, und eine undurchdringliche Schwärze legte sich zwischen die Bäume. Erleichtert atmete Grayson auf. Jetzt konnte das bösartige Vieh Emilios Statue zumindest nicht sehen und sie zertrümmern, wie den armen Bären gerade eben. Wenn Grayson es schaffte, das Wesen zu erledigen, könnte der Bogenschütze zumindest behandelt werden und überleben. Mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen warf sich der Quaestor in die nachtschwarze Dunkelheit, sein Messer schützend ausgestreckt und den Revolver schussbereit gegen seine Brust gepresst.

Die Finsternis war undurchdringlich. Grayson schloss schließlich die Augen, um sich an seinem Gehör zu orientieren. Der Basilisk stieß wieder seinen seltsamen Schrei aus, und diesmal lag deutlich mehr Aggression darin.

Vorher hat er sich nur über den Lärm beschwert, aber jetzt ist er verletzt und wütend. Was für eine perfekte Gelegenheit, blind auf ihn zu zu tapsen, schoss es Grayson durch den Kopf. Nur sein Verantwortungs­gefühl gegenüber dem waghalsigen Emilio ließ ihn vorwärtsgehen, ohne Morgan den Befehl zu geben, die magische Dunkelheit aufzuheben. Im Stillen verfluchte er den Mann, dessen Kopfschuss nicht die gewünschte Wirkung erzielt hatte. Ja, Grayson mochte mitunter auch großspurig wirken, aber dabei war er verflucht nochmal wenigstens kompetent genug, sich diese Attitüde auch zu verdienen!

Der nächste Schritt ließ ihn über den peitschenden Schwanz des Basilisken stolpern, und plötzlich war der Quaestor für die totale Finsternis dankbar, als er einen uneleganten Salto vollführte und mit der Nase im Dreck landete. Von wegenkompetent, schalt er sich und rollte sich blitzschnell fort, bevor die Echse auf seine plötzliche Anwesenheit reagieren konnte. Er hörte, wie dort, wo er eine Sekunde vorher noch gelegen hatte, die Erde von mächtigen Klauen aufgewühlt wurde, und gab einfach mal einen Schuss in die Richtung ab, wo er den Kopf der Bestie vermutete. Kein Schmerzensschrei erklang, stattdessen schien die Bestie nur noch wütender zu werden.

Wenigstens habe ich nun seine Aufmerksamkeit, dachte Grayson zynisch und rief dann laut: »Morgan! Den Zauber auflösen!«

Sofort war seine Sicht frei, und für eine Sekunde wünschte er sich, sie wäre es nicht. Keine Armlänge von ihm entfernt befand sich der Basilisk mit seinem funkelnden Blick und starrte Grayson unverwandt an, während die sehnigen Muskeln der Echse ihre massige Gestalt bereits in seine Richtung schoben. Die Welt des Ermittlers schien auf diese vier bläulichen Flecken im Kopf der Kreatur zusammenzuschrumpfen, als seine Muskeln sich verkrampften und verhärteten und seine Atmung immer flacher wurde. Die Macht des alten Basilisken war immens, und Teile seines versteinernden Blicks schienen durch Graysons antimagische Aura durchzudringen. Zögerlich schob sich das Wesen näher, selbst noch als Morgan mit einem verzweifelten Aufschrei in Graysons Blickfeld sprang und der Echse einen Feuerzauber in den Rumpf jagte, der an der dicken, knotigen Haut wirkungslos zu verpuffen schien.

Der Quaestor konnte nicht mal seine Finger heben und starrte nur hilflos auf die riesigen Krallen, die sich langsam auf ihn zu bewegten und dabei tiefe Furchen in den Waldboden gruben. Der Regen lief Grayson in die Augen und ließ seine Sicht verschwimmen, während die Gedanken des Ermittlers rasten und nach einem Ausweg suchten. Hektisch konzentrierte er sich auf das Lacunusfeld und zog es dichter zu sich heran, bis es nur noch seinen Körper bedeckte. Morgan hatte ihm erklärt, dass der Effekt nun dichter sein würde, und so hoffte Grayson, die Lähmung besser bekämpfen zu können. Er spürte wie ein Minimum an Kontrolle in seine Glieder zurückkehrte, aber leider verblasste dadurch auch die Aversion, die das Wesen anscheinend verspürt hatte, sich dem Quaestor weiter zu nähern. Blitzschnell schoss der Basilisk heran. Grayson war nicht imstande auszuweichen. Als das Wesen sein Maul öffnete, konnte sein Opfer nicht viel mehr tun, als mit den Fingern zu zucken.

Glücklicherweise reichte diese Bewegungsfreiheit vollkommen aus. Der Basilisk hatte sich selbst in die Schussbahn des Revolvers geschoben, der noch immer schussbereit an Graysons Brust gepresst war. Es reichte eine minimale Drehung des Handgelenks und das Krümmen eines Fingers, und schon löste sich ein Schuss aus der großkalibrigen Waffe mit dem extrem langen und dicken Lauf, die so konzipiert war, dass sie Graysons antimagische Fähigkeiten aufsog und auf die Munition in ihrem Inneren übertrug. Solange der Quaestor die Waffe konstant am Körper trug, war sie auf kurze Distanz äußert effektiv. Grayson hatte sie seit Monaten nicht mehr abgelegt, außer unter der Dusche. Er schlief sogar mit dem Ding unter dem Kopfkissen. Als die Kugel den Lauf verließ und sich in den geöffneten Rachen des Basilisken bohrte, wusste Grayson auch, warum. Das Projektil durchschlug die Echse mühelos und trat erst in ihrem Rückgrat wieder hervor. Die Kreatur warf sich in einem schmerzhaften Kampf herum und gewährte dem Ermittler so einige kostbare Sekunden. Er schoss die Trommel seiner Waffe leer, und auch wenn die nachfolgenden Kugeln die dicke Haut des Basilisken durchdringen mussten, richteten sie doch genug Schaden an, dass der Basilisk nach einigen Todeswindungen endlich seine unheilvollen Augen schloss.

Die Lähmung ließ schlagartig nach. Wild blickte sich Grayson nach seinem Team um. Richard war nicht zu sehen, aber noch immer zu hören, da er weiterhin auf seinen Schild einschlug, bis ihm jemand sagte, dass er aufhören solle. Der versteinerte Emilio steckte als zugegebener Weise recht hübsche Statue am Fuße eines Baumes im Dreck. Morgan lag als zusammengekauerter Ball neben dem Basilisken und hatte sich dadurch so klein wie möglich gemacht. Der schützende Schimmer um seinen Körper war nur noch eine blasse Erinnerung. Grayson schätzte, dass der Magus keine Sekunde länger im Blickfeld der Kreatur hätte verweilen dürfen.

»Es ist vorbei«, krächzte Grayson, dessen Stimme furchtbar rostig klang, so als hätte er seit Wochen nicht gesprochen. »Das Vieh hat seine letzte Teichverzierung erschaffen.«

Um auf Nummer sicher zu gehen, warf der Quaestor seine Lederjacke über den Kopf der Kreatur und fragte sich verwundert, warum er nicht früher an eine derart simple Lösung gedacht hatte.

Aber so war es nun mal meistens im Leben: Die guten Sachen fielen einem immer zu spät ein.

Kopfschüttelnd rappelte Grayson sich auf und ging zu Emilio hinüber, während er über seine Schulter brüllte: »Richard, Sie können jetzt aufhören!« Sofort verstummte der Lärm, und es raschelte in dem entfernten Gebüsch, das bisher die Quelle des Krachs gewesen war.

Der Ermittler kniete neben der erstaunlich detaillierten Statue nieder, deren Gesicht einen verblüfften Ausdruck zeigte und der ganzen Welt verriet, für wie unantastbar sich der Saggitarius gehalten hatte. Nachdenklich betrachtete Grayson den verzauberten Stein vor sich. Richard sowie Morgan gesellten sich schweigend zu ihm.

»Tja«, sagte Richard lahm, der sich sichtlich unwohl fühlte, in seiner Aufgabe, die Quadriga zu schützen, versagt zu haben.

»Das ist nicht Ihre Schuld«, sagte Grayson und stand auf. Er kannte den pflichtbewussten Mann lange genug, um sich darüber im Klaren zu sein, dass der Kreuzritter sich schwere Vorwürfe machen würde. »Mein Plan war alles andere als gut durchdacht.« Er deutete auf die Lederjacke über dem Kopf des Basilisken. »Wir hätten irgendwie seine Sicht beeinträchtigen sollen.«

»Jetzt gehen Sie zu hart mit sich ins Gericht, Sportsfreund«, sagte Morgan kopfschüttelnd. »Das war ein alter Basilisk. Der hätte alles durchgebissen, was Sie ihm über den Kopf geworfen hätten.«

Wütend trat der Quaestor gegen den riesigen Leichnam. »Und wie kommt es überhaupt, dass wir nicht richtig vorgewarnt wurden? Das hier ist kein Jungtier. Der ist mindestens achtzig Jahre alt.«

Morgan sah Grayson bewundernd an. »Wer hat denn da seine Hausaufgaben gemacht?«, sagte er süffisant. »Ich bin beeindruckt, mein Bester.«

Grayson winkte ab, und der Magus wurde ernst. »Ich kann mir nur zwei Dinge vorstellen, die plausibel sind. Erstens, ein junger Rekrut der Nebelwacht hat beim Verfassen des Berichts Mist gebaut.« Es folgte eine unheilvolle Pause. »Oder die Auslassung war Absicht, und jemand wollte uns und unseren geschätzten Quaestor in Schwierigkeiten bringen. Vorzugsweise solche, die einen vierteiligen Steingarten hinterlassen.« Dabei blickte er bedeutungsvoll auf Emilio hinab.

»Ich tippe auf Letzteres«, sagte Grayson düster. »Wir wären beinahe alle versteinert worden, und unseren Saggitarius hat es tatsächlich erwischt. Das hat er nicht verdient, selbst wenn er ein aufgeblasener, selbstbezogener, wichtigtuerischer Angeber ist.«

Morgan räusperte sich. »Sie wissen schon, dass er Sie noch hören kann, oder Sportsfreund?«, fragte er in verschwörerischem Tonfall.

Grayson stöhnte leise auf. Freunde zu finden war noch nie seine Stärke gewesen, aber über einen versteinerten Teamkameraden herzuziehen, der jedes Wort ohne Gegenwehr mitanhören musste, war sogar für ihn ein Tiefpunkt. Konnte der Tag überhaupt noch schlimmer werden?

»Wir sollten ein paar junge Stämme zusammenbinden«, sagte da Richard, der sich aus der Starre gelöst hatte, die sein Versagen anscheinend in ihm hervorgerufen hatte.

»Wieso das denn?«, fragte Grayson verblüfft. »Wollen Sie einen Unterstand bauen? Wir sollten einfach zurückgehen, dann sind wir bis zum Mittag wieder im Trockenen.«

»Aber wir müssen ihn mitnehmen«, sagte Richard und deutete auf die Statue im Dreck. »Das Schleppen fällt uns leichter, wenn wir ihn auf eine Trage legen.«

Grayson atmete tief durch und widerstand dem Impuls, wild auf einen der umstehenden Bäume einzuschlagen. Das würde noch ein furchtbar langer, nasser, anstrengender Tag werden.

Wie als Antwort auf diesen Gedanken nahm der Hagelanteil im Regen beträchtlich zu. Stumm machten sich die drei Gestalten ans Werk.

»Morgan, Sie sind ein Engel«, sagte Grayson stöhnend und rieb sich abwechselnd die schmerzenden Schultern und den wunden Rücken, der sich anfühlte, als wollte er gleich durchbrechen. Der bequeme Rücksitz und das weiche Leder des Mercedes, den Richard für ihren Aufenthalt im Schwarzwald gemietet hatte, waren eine Wohltat, und der Gedanke, sich einzurollen und wegzudämmern, war verlockend. Leider ragte der vordere Teil von Emilio aus dem Kofferraum in die Fahrgastzelle hervor, und so war Graysons Spielraum mächtig eingeschränkt. Kurz erwog der Ermittler, sich einfach mit dem Ellbogen auf dem Saggitarius abzustützen, um es sich bequemer zu machen, aber dann gewann seine Empathie die Oberhand, und er riss sich zusammen. »Ohne Ihre Hilfe würden wir wahrscheinlich noch immer durch die Bäume stapfen«, fuhr Grayson mit einem Schaudern fort.

Morgan drehte sich auf dem Beifahrersitz um und bedachte ihn mit einem freundlichen Nicken. »Gern geschehen, Sportsfreund«, wiegelte er ab. »Ich bin nur froh, dass ich mit meinem Levitationszauber zumindest einen Teil der Last aufheben konnte.«

Grayson rieb sich weiter die schmerzenden Muskeln und starrte zu Richard, der völlig ruhig und entspannt auf dem Fahrersitz saß und sie gerade über eine gewundene Landstraße zurück in die Zivilisation fuhr. Oder das, was in dem kleinen Dörfchen als Zivilisation durchging, in dem Morgan ihnen Zimmer in einem urtümlichen Gasthof gemietet hatte. Wann immer Grayson den Wasserhahn in seinem winzigen Bad betätigte, rasselten die Leitungen bedenklich in den Wänden, und die Matratze des Bettes schien mit hochverdichteten Kieseln gefüllt zu sein. Graysons Rücken schmerzte bei dem Gedanken an eine weitere Nacht in dem harten Bett direkt doppelt so stark, und er funkelte den Kreuzritter gereizt an. »Sie können wenigstens so tun, als wäre unser kleiner Ausflug anstrengend gewesen«, schnappte er gereizt in Richards Richtung, der ihm im Rückspiegel zuzwinkerte und die Achseln zuckte.

»Betrachten Sie es einfach als gutes Training, werter Quaestor. Schließlich wollen Sie ja irgendwann bei der Leistungsbewertung zu uns anderen aufschließen, oder nicht?«

Grayson verzog angewidert das Gesicht. Sein Rang als Quaestor war vielleicht mit vielen Freiheiten gesegnet, und Morgan nahm ihm praktisch alle bürokratische Arbeit ab, wofür der Ermittler dem Magus über alle Maßen dankbar war, aber einige formelle Anforderungen blieben selbst in einer magischen Gemeinschaft aus den vielfältigsten Wesen bestehen, und dazu zählten Leistungstest für Mitglieder einer Ermittlungseinheit im Außendienst. Also durchlief er zu Richards stiller Freude zusammen mit den anderen Mitgliedern der Quadriga jedes Quartal einen rigorosen Übungsmarathon, der einen Tag dauerte und seine körperliche Tauglichkeit als Quaestor bestätigte. Natürlich war Grayson bei keinem davon durchgefallen, dafür war sein hagerer Körper dann doch zu sehnig, aber im Vergleich zu Richard, Emilio und selbst Morgan war er laut den Testergebnissen eine achtzigjährige, schwerhörige und halbblinde Schnecke. Müde blickte Grayson durch das Fenster des Wagens in die Nacht hinaus und unterdrückte ein Frösteln. Ihr Rückweg hatte den ganzen Tag gedauert, und selbst jetzt hielt der Regen noch an. Die Heizung des Wagens tat ihr Möglichstes, um ihn aufzuwärmen, aber er war nass und durchgefroren bis auf die Knochen und wollte nur noch aus den durchgeweichten Klamotten raus.

»Gibt es schon Neuigkeiten, was das Verhör unseres widerspenstigen Hasen angeht?«, fragte er, um sich abzulenken.

Morgan schaute ihn erst irritiert an und blies dann empört die Backen auf. »Sie meinen wohl den Wolpertinger. Schämen Sie sich, Quaestor, das war gerade ein durch und durch rassistischer Kommentar!«

Sowohl der Magus als auch Richard wirkten ernstlich empört. Grayson rollte mit den Augen, während er bitterlich seufzte. »Das wusste ich nicht, tut mir leid«, brachte er hervor, während er sich wieder einmal fragte, wieso die Nebula Convicto derart kompliziert sein musste.

»Haben Sie nicht ›Rupelharts Leitfaden zu tadellosem Benehmen gegenüber magischen Rassen‹ gelesen?«, fragte Morgan, und Grayson starrte ihn fassungslos an.

»Also den Namen haben Sie sich gerade erst ausgedacht, oder?«, konterte er entgeistert, und als der Magus den Kopf schüttelte, stöhnte Grayson laut auf.

»Er stand auf Ihrer Liste der Pflichtlektüre, Sportsfreund«, sagte Morgan streng. Grayson hob abwehrend beide Hände und wedelte schwach mit ihnen herum.

»Es standen über zweihundert Bücher darauf. Und die meisten davon muss man fünfmal studieren, um sie auch nur ansatzweise zu verstehen. Ich kämpfe noch immer mit den vierundzwanzig Bänden der Enzyklopedia Nebulae, und solange ich die nicht verinnerlicht habe, macht es keinen Sinn, etwas anderes zu lesen.«

Morgan wollte etwas erwidern, klappte dann aber den Mund zu, als Richard sich einbrachte. »Das ist eine kluge Entscheidung, Quaestor. Erst müssen Sie lernen, wen und was Sie vor sich haben, danach folgen die Feinheiten.« Dabei warf der Ritter Morgan einen fragenden Seitenblick zu, den dieser mit einem zögerlichen Nicken quittierte.

»Aber solange Sie nicht wissen, was Sie sagen, bitte keine Verniedlichungen, abgeleitete Spitznamen und Fremdbezeichnungen magischer Rassen, in Ordnung? Ihr Ruf ist sonst ganz schnell und dauerhaft ruiniert.« Dem Magus schien dies sehr am Herzen zu liegen, und Grayson nahm die Diskussion zum ersten Mal wirklich ernst.

»Ich werde mich dran halten«, sagte er knapp, und Morgan atmete sichtlich erleichtert auf.

»Wie lange wird Emilio benötigen, um zu genesen?«, fragte der Quaestor schließlich nach einer Weile des Schweigens. Die Augen der Statue schienen ihn die ganze Zeit über ungläubig anzustarren und hatten nach und nach den emotionalen Panzer durchbrochen, den Grayson in seinem Inneren gegen das Schicksal des Saggitarius aufgebaut hatte.

Morgan drehte sich wieder zu ihm um und blickte nachdenklich auf die erstarrte Gestalt hinab. »Ein halbes Jahr wird es sicherlich dauern. Das war der Blick eines alten Basilisken und keine verspielte Medusa, die sich einen Scherz erlaubt. Es gibt hier im Schwarzwald einen gemütlichen Kurort, der unter der Leitung der Nebula Convicto steht, dort wird man sich gut um ihn kümmern.« Morgan richtete seine tiefgrünen Augen auf Graysons Gesicht. »Haben Sie keine Sorge, Quaestor. Er wird vollständig genesen, auch wenn es ihn ein paar Monate kosten wird.«

Grayson konnte seine Erleichterung nur mühsam verbergen und tätschelte der Statue linkisch die Schulter. »Das wird schon wieder«, murmelte er unbeholfen und floh dann vor dem starren Blick der Statue, indem er wieder aus dem Fenster sah.

»Ich denke, jemand da draußen wäre ganz froh, wenn das da unser Quaestor wäre, der aus dem Kofferraum ragt und einen Taubenparkplatz mimt«, sagte Richard schließlich, als sie in den verschlafenen Ort fuhren, wo sie ihre Zimmer angemietet hatten. Während sie an altertümlich anmutenden Fachwerkhäusern und mehreren kleinen, aber gemütlichen Hotels vorbeifuhren, ließ Grayson der düstere Gedanke des Kreuzritters unruhig auf seinem Sitz herumrutschen.

»Momentan ist alles ruhig«, sagte Morgan, der von seinem Smartphone aufsah. »Keine Berichte über eventuelle Zwischenfälle, von denen wir abgelenkt oder ferngehalten werden sollten.«

Nervös trommelte Grayson auf die Armlehne der Hintertür. »Wenn Richard Recht hat und jemand uns eine Falle stellen wollte, wie konnte er oder sie dann wissen, dass wir diesen Fall verfolgen würden? Es war doch unsere Idee, ihn anzunehmen, um den Wolpertinger zu befragen, oder nicht?«

Die Frage hing einige Sekunden unheilschwanger im Innenraum des Wagens, dann begann Morgan mit besorgtem Gesicht auf seinem Smartphone herumzutippen. Ein Fluch entsprang den Lippen des sonst so gefassten Adligen. »Gunther Blaukreuz ist heute Nachmittag in seiner Zelle verstorben«, sagte Morgan traurig. »Angeblich ein Herzleiden, das zu seinem Tod führte.«

Grayson glaubte keine Sekunde daran, und die Gesichter der anderen spiegelten seine Gefühle wider.

»Also war das alles eine ausgeklügelte Falle?«, fragte der Quaestor frustriert. »Die Verschwörer setzen uns eine Spur vor die Nase, präsentieren uns einen harmlosen Fall, den wir zur Tarnung annehmen, und während wir in unser vermeintliches Verderben mit dem Basilisken rennen, schneiden sie einen weiteren losen Faden ab?«

»So sieht es wohl aus«, sagte Morgan mit verkniffenem Gesicht. »Wenigstens wissen wir jetzt, dass unsere Aktivitäten genauestens beobachtet werden und unser Verdacht richtig war, dass die Hintermänner von Sophias Entführung weiterhin ihre Strippen ziehen.«

Richard hieb wütend mit seiner Faust auf das Lenkrad ein. Grayson hätte es ihm liebend gerne nachgetan, aber das hätte bedeutet, den armen Emilio zu schlagen, also beließ er es bei einem Zähneknirschen. Sein erster Fall als Quaestor hatte ihn damals tief in eine Verschwörung zur Zerschlagung des Gleichgewichts zwischen der magischen Gemeinschaft und der nichtsahnenden mundanen Welt geführt. Ein entführtes Mädchen wäre beinahe der Auslöser eines neuen finsteren Mittelalters unter der Führung skrupelloser Magier geworden, die den Wert eines Menschenlebens äußerst gering schätzten. Auch wenn der Entführer gefasst worden war, hatte Grayson stets geglaubt, dass dieser einige mächtige Freunde gehabt haben musste, die noch weitere Pläne verfolgten. Sie hatten monatelang unter dieser Prämisse weiterermittelt und nun ihren ersten handfesten Hinweis erhalten, dass die Bedrohung durch die Verschwörer noch nicht vorüber war.

»Das ergibt keinen Sinn«, sagte der Ermittler irritiert. »Wozu diese Falle, wenn wir doch eh nichts aus unserem hasenköpfigen Schmuggler herausbekommen hätten? Jetzt wissen wir, dass sie wissen, dass wir hinter ihnen her sind.«

Morgan nickte. »Hätten die Strippenzieher sich weiterhin ruhig verhalten, wäre unser Interesse sicherlich irgendwann eingeschlafen«, sinnierte er.

»Deswegen glaube ich ja, dass etwas Großes passiert«, grollte Richard. »Ein Mantikor verlässt seine Höhle auch nur zum Jagen. Und dieser hier ist definitiv auf der Pirsch.«

Grayson hatte für diesen Tag genug von magischen Tieren, selbst, wenn sie nur als Metapher dienen mussten. »Morgan, halten Sie weiter die Augen offen, ob Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt«, sagte er und deutete auf das Smartphone in der Hand des Mannes. »Und lassen Sie die Nebelwacht das Haus des toten Wolpertingers durchsuchen. Es soll möglichst wie eine Routineüberprüfung aussehen, damit wir nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf uns ziehen.« Er fuhr sich müde mit einer Hand über die Augen. »Ich denke zwar nicht, dass sie dort noch etwas finden werden, aber manchmal sind selbst kriminelle Verschwörer nachlässig, und es wäre doch schade, wenn wir genau dann nicht richtig hingesehen hätten.«

Der blonde Mann nickte und begann sofort, ein Telefonat in der Landessprache zu führen, die in Graysons Ohren nur aus harten Kanten und Knurrlauten zu bestehen schien, hier und da durchsetzt von zischenden Geräuschen. Grayson hatte Deutsch nie gelernt, aber die Sprache kam ihm ebenso hölzern vor wie die Bewohner dieses Landes. Morgan schien allerdings über eine fließende Aussprache zu verfügen und hatte keine Probleme gehabt, den Wirt zu verstehen, der einen seltsamen Dialekt sprach und der so klang, als würden die Worte gleichzeitig gekaut und gegurgelt werden. Selbst Richard als gebürtiger Deutscher schien dem dicklichen Mann mit dem mächtigen Schnauzbart nie ganz folgen zu können, was Grayson eine gewisse Genugtuung bereitete.

Sie fuhren auf den kleinen Schotterparkplatz des umgebauten Bauernhofes, der nun acht Gästezimmer beherbergte, von denen sie vier in Beschlag genommen hatten. Besagter Gastwirt stand bereits in der Türe zur Schankstube, in der sich anscheinend zu jeder Tageszeit mindestens drei mürrische alte Männer aufhielten, um die seltsamen Engländer zu beäugen, die sich hier eingenistet hatten. Der Mann, dessen Namen Grayson beim besten Willen nicht verstanden hatte, winkte ihnen freundlich mit einem fleckigen Handtuch zu und bedeutete ihnen, hinein zu kommen, noch bevor Richard den Motor abgestellt hatte.

Morgan beendete schnell sein Telefonat und warf Emilios Statue einen bedeutungsvollen Blick zu, sodass Grayson hastig seine Jacke über den Teil des versteinerten Mannes warf, der aus dem Kofferraum auf die Rückbank ragte.

»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er der hilflosen Gestalt zu und stieg schnell aus dem Fahrzeug. Es nieselte noch immer leicht, und die kühle Herbstluft fuhr mit eisigen Fingern in seine nassen Sachen, sodass er unfreiwillig bibberte, als sie die wenigen Meter bis zur Schankstube zurücklegten. Der freundliche Mann mit seinem blonden Walrossbart zog die buschigen Augenbrauen hoch und trat zur Seite, während er eine Frage stellte, die wie ein Gummiball klang, der durch ein zu enges Marmeladenglas gequetscht wurde. Morgan antwortete ebenso skurril, und Grayson war immer wieder erstaunt, welche Laute der menschliche Mund hervorbringen konnte.

Laut rufend schloss der freundliche Wirt die Tür und bedeutete ihnen, auf ihre Zimmer zu gehen. Grayson kam der Aufforderung nur allzu gerne nach, aber auf halbem Wege wurden sie von der Frau des Wirts abgefangen, einer herben Schönheit in den Vierzigern, die ein Tablett auf dem Arm trug, auf dem drei hastig eingegossene Schnäpse in riesigen Gläsern herbeigetragen wurden.

Sie drückte mit einer Miene äußerster Entschlossenheit jedem von ihnen eines davon in die Hand. Als Grayson an der dunkelbraunen Flüssigkeit roch, stiegen ihm die Tränen in die Augen. Er warf Morgan einen fragenden Blick zu, der jedoch bereits ebenso schnell wie Richard den Inhalt herunterkippte.

»Hält die Kälte fern«, keuchte Morgan nur und schenkte Grayson ein aufmunterndes Nicken, sodass der Quaestor ihrem Beispiel folgte und das Glas in einem Zug leerte. Die Flüssigkeit ätzte sich ihren Weg hinab in seinen leeren Magen, und was dann folgte, konnte nur als dröhnender Hammerschlag, der in eine kratzige Decke eingewickelt war, beschrieben werden. Graysons Hirn schien weich und nachgiebig zu werden, seine Beine verwandelten sich in viel zu hohe Stelzen für seinen Körper, und seine Sicht trübte sich bedenklich ein. Dafür fror er nicht mehr, wie er schwerfällig feststellte, und überhaupt schien die Welt gerade frei von Sorgen zu sein. Zumindest von solchen, über die er noch fähig war, nachzudenken. Dann war Richard neben ihm und legte ihm einen Arm um die Schulter, während er auf den Ermittler einredete, ohne dass dieser ein Wort verstand.

Entweder spricht er jetzt auch Deutsch, dachte Grayson verschwommen, oder das Zeug war noch stärker als es roch.

Als der Kreuzritter ihn mit einem Ächzen auf sein Bett verfrachtete und der tiefe Sog des Rausches ihn in den Schlaf zog, erkannte der Quaestor, dass es wohl Letzteres gewesen sein musste.

Schwingen am Horizont

Schwarzwald, St. Blasien, Ortsteil Menzenschwand, Samstag, 10. September, 10.01 Uhr

Irgendein dämonisches Wesen hatte wohl seinen natürlichen Schutz überwunden und es sich in Graysons Gehirn gemütlich gemacht, um dort laut und eindringlich auf ihn einzuschreien.

Er öffnete seine verklebten Augen und erkannte, dass der Ursprung des Geräusches außerhalb seines Verstandes zu finden war und zwar in Form seines Smartphones, das laut und hartnäckig klingelte. Ächzend hieb Grayson nach dem nervigen Ding, und als er sich aufrichten wollte, erfasste ihn ein dermaßen kräftiger Schwindel, gefolgt von einem üblen Kopfschmerz, dass er sich umgehend zurück aufs Bett fallen ließ.

Krampfhaft versuchte Grayson sich an die gestrigen Geschehnisse zu erinnern. Sie hatten den Basilisken gestellt und waren ins Gasthaus zurückgekehrt. Dem Zustand seines Kopfes nach und gemessen an den Schmerzen in Rücken und Armen, mussten sie noch von einer heimtückischen Wesenheit angegriffen worden sein, aber dem Quaestor fehlten einfach die Erinnerungen. Alles nach dem Betreten der Schankstube lag hinter einem dichten Nebel verborgen. Grayson machte sich große Sorgen, dass er Opfer eines Zaubers geworden war, obwohl er doch gegen diese Art der Magie immun sein sollte.

Da klopfte es an der Tür, und Grayson brummte so etwas wie eine Zustimmung, zumindest glaubte er das. Die Augen noch immer geschlossen, hörte er, wie jemand die schwere Eichentür öffnete und mit einem japsenden Luftschnappen ins Zimmer trat.

»Gute Güte, Sportsfreund!«, rief Morgan viel zu laut. »Welcher Güterzug hat Sie denn gerammt?« Grayson hörte, wie der Magus durch den Raum schritt. »Die Luft hier drinnen kann man schneiden, und haben Sie tatsächlich in Ihrer nassen Kleidung geschlafen?«

Der Ermittler war stolz auf sich, dass er ein eloquentes Brummen von sich geben konnte. Morgan redete weiter. »Gut, dass Richard die Heizung hochgedreht hat oder Sie hätten sich den Tod geholt. Aber auf das Aroma aus klammem Stoff und verschwitztem Quaestor kann ich gerne verzichten.« Ein Fenster wurde ruckartig geöffnet, klare, frische Luft strömte in den Raum und kitzelte Graysons Lungen. Er öffnete seine Augen einen Spalt und erblickte Morgan, der mit einem taxierenden Blick am Fußende des Bettes stand, die Hände in die Hüften gestemmt und wieder in den üblichen dunkelblauen Anzug gehüllt, der ihm das Aussehen eines Bilderbucharistokraten gab.

»Was haben Sie sich nur dabei gedacht, einen solchen Rachenputzer in einem Zug hinunterzustürzen? Richard und ich haben jahrhundertelange Erfahrung mit so einem selbstgebrauten Zeug, aber Sie musste der Schwarzgebrannte ja umhauen.«

Eine diffuse Erinnerung regte sich in Graysons Verstand. »Das in dem Glas war kein herkömmlicher Schnaps?«

Morgan lächelte belustigt. »Wir sind hier in keinem dieser edlen Wohlfühlhotels, die Sie überall im Schwarzwald finden. Viel authentischer als in diesem Gasthaus wird es nicht.«

Grayson schüttelte den Kopf, eine Geste, die er sofort bereute, als der Kopfschmerz sich augenblicklich vervielfachte.

»Warum genau sind wir überhaupt hier abgestiegen?«, fragte er ächzend. »Sonst ist Ihnen das Beste doch gerade gut genug.«

Morgan wischte sich ein imaginäres Staubkorn von der Kleidung. »Dies IST das beste Etablissement weit und breit, zumindest wenn es um magischen Schutz geht. Wir wollen schließlich unter dem Radar fliegen, und ob Sie es glauben oder nicht, dieses Gebäude steht schon sehr lange und ist über viele Generationen im Besitz einer einzigen Familie geblieben, die nie aus seinen Wänden ausgezogen ist. Das bedeutet, es besitzt tatsächlich einen Schutzgeist, und zwar den mächtigsten, den es im Umkreis von einhundert Kilometern gibt. Glauben Sie wirklich, ich würde sonst diese Matratzen ertragen?«

Grayson blinzelte den Magus eulenhaft an, während er sein Gedächtnis durchforstete. Die kalte Luft half ihm dabei, seine Gedanken zu ordnen, auch wenn seine klamme Haut in der halbfeuchten Kleidung bereits begann, merklich auszukühlen.

»Schutzgeister sind Feenwesen, die sich zu Orten großer positiver Energie hingezogen fühlen. Man fand sie früher häufig auf Dorfplätzen, an zentralen Brunnen oder in besonders gastfreundlichen Häusern vor«, zitierte er eine Passage, die ihm aus der Enzyklopedia Nebulae einfiel. »Ihre Gestalt gleicht stets landestypischen Kleintieren, wie Katzen, Hunden oder Vögeln.«

»Sehr gut, mein Bester«, strahlte Morgan ihn an. »Sie entwickeln sich ja noch zu einem richtigen Gelehrten.« Der Magus machte eine vage Handbewegung in Richtung des Ermittlers. »Wie wäre es, wenn Sie sich besonders ausgiebig frisch machen und wir alles weitere bei einem späten Frühstück besprechen? Richard hat zwar bereits den gebratenen Speck im Alleingang aufgegessen, aber ich bin mir sicher, bis Sie fertig sind, hat unsere Wirtin bereits Nachschub bereitgestellt.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Morgan aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich, damit Grayson mit seiner Verwandlung in ein zivilisiertes Individuum beginnen konnte.

Er erhob sich langsam und schlurfte ins Bad, nicht ohne vorher am Fenster stehen zu bleiben und die Luft des trockenen Herbstmorgens tief in seine Lungen zu saugen.

Selbstverständlich regnet es heute nicht, dachte er sauertöpfisch. Schließlich müssen wir heute nicht den ganzen Tag durch einen verfluchten Wald stiefeln.

Da das Licht in seinen Augen stach, drehte er sich nach einigen Atemzügen um und verschwand im Bad. Der kurze Blick in den Spiegel erschreckte ihn so sehr, dass er beschloss, erst einmal zu duschen und sich erst dann einer gründlichen Inspektion zu unterziehen. Die nächste halbe Stunde verbrachte Grayson mit einer ausgiebigen Dusche, einer gründlichen Rasur und einem Wechsel seiner Kleidung. Schließlich begutachtete er sich erneut im Spiegel und stellte zufrieden fest, dass sich das Ergebnis sehen lassen konnte. Die stechend blauen Augen wirkten nicht mehr rotumrändert, und seine scharfen Gesichtszüge waren wieder die eines gewöhnlichen dünnen Mannes. Die dunkle Lederjacke, die ihm bis zum Oberschenkel ging, verbarg seine Bewaffnung, und der dunkelgraue Hoodie gab ihm dieses joviale Aussehen, das dafür sorgte, dass er nicht sofort als Ordnungshüter wahrgenommen wurde. Schwarze Jeans und passende Sneakers vervollständigten das Bild. Als ihn sein Magen daran erinnerte, dass er seit dem gestrigen Morgen nichts mehr gegessen hatte, drehte er sich weg, um sich zu Richard und Morgan in den Speiseraum zu gesellen. Aus dem Schankraum scholl ein lebhaftes Stimmengemurmel zu dem Quaestor herüber. In dem engen Flur zum Gastraum gab es keine Fenster, sodass dieser zu jeder Tageszeit im Halbdunkel lag, sofern kein Licht eingeschaltet wurde.

Trotzdem war die schwarze Katze nicht zu übersehen, die mitten im Gang auf halbem Weg zwischen Graysons Zimmer und den lärmenden Gästen im Schankraum saß und den Quaestor aus bernsteinfarbenen Augen intensiv betrachtete.

Grayson konnte generell nicht besonders viel mit Haustieren anfangen, aber bei Katzen sah die Sache anders aus. Die kleinen Racker vertrauten nicht jedem, hatten ihren eigenen Kopf, und ihre Neugier trieb sie schon mal in Ecken, die nicht ganz ungefährlich waren. Der Quaestor war selbstironisch genug, um die Parallelen zu erkennen. Er ging in die Hocke und erwiderte stumm den Blick der Katze, die sich nach einigen Sekunden tatsächlich auf den Weg zu ihm machte. Ihr schwarzes Fell glänzte seidig, was Grayson angesichts des mangelnden Lichts seltsam vorkam. Als sie ihren Kopf an seinen ausgestreckten Händen reiben wollte, stoben bläuliche Funken auf, und da wusste er, dass er den Schutzgeist des Hauses vor sich hatte. Schnell dimmte er sein Lacunusfeld so weit herunter, wie es ihm möglich war, und als die Katze noch einmal versuchte, sich an ihm zu reiben, entstand nur ein leichtes Knistern, das in Grayson ein sanftes, angenehmes Kribbeln hervorrief und dem schwarzen Tier ein tiefes, zufriedenes Schnurren entlockte. Dann biss es einmal sanft in seine rechte Hand, ein kaum wahrnehmbares Piken, das den Quaestor zusammenzucken ließ. Das Schnurren brach ab, und die Katze verschwand ohne einen Blick zurück den düsteren Flur entlang, um dort scheinbar mit den Schatten zu verschmelzen.

Grayson erhob sich und schritt auf den Schankraum zu, während er sich gedankenverloren die rechte Hand rieb und darüber nachdachte, was diese seltsame Begegnung zu bedeuten hatte. Er wusste, dass Schutzgeister all jenen gegenüber freundlich gesonnen waren, die als Bewohner oder Gast in den Mauern des Gebäudes lebten, dem sie innewohnten. Aber normalerweise zeigten sie sich nur in Zeiten großer Harmonie, zu gelungenen Feiern oder bei Geburten im Haus. Die einzige andere Gelegenheit, zu der sie sich derart exponierten, war, wenn eine schwere Gefahr für einen der Bewohner drohte. Beunruhigt rieb sich Grayson über die kribbelnde rechte Hand und dehnte sein antimagisches Feld wieder zu seiner normalen Größe aus, während er beschloss, heute extrem wachsam zu sein. Dann trat er aus dem Schatten des Ganges hinaus in die Lebhaftigkeit des Schankraums, der bis zum Bersten gefüllt war. Neben mehr als zehn Einwohnern des Dorfes sah er mindestens acht Touristen, die es sich gerade am reichhaltigen Frühstücksbuffet gemütlich machten. Der Ermittler brauchte einen Moment, um Richard und Morgan zu finden, die sich an einen kleinen Ecktisch im hintersten Winkel der Schankstube eingerichtet hatten. Zu Graysons Freude sah er beim Durchqueren des Raumes, dass die beiden bereits einen beträchtlichen Berg an Nahrung gesichert hatten, von dem sie sich eifrig bedienten. Richard saß wie immer in seinem weißen Trenchcoat und dem roten Hemd da und wirkte in etwa so unauffällig wie ein Leuchtturm im Nebel. Morgan biss gerade in ein dick mit Butter bestrichenes, getoastetes Brot, das derart verführerisch roch, dass der Quaestor sich setzte und augenblicklich damit begann, sich Essen auf einen bereitstehenden Teller zu schaufeln.

»Auch Ihnen einen schönen guten Morgen, Grayson«, sagte Richard belustigt, und der Ermittler nickte ihm gedankenverloren zu. Es gab Rührei, gebratenen Speck, mehrere stark duftende Käse und verschiedene dicke Würste mit groben Stücken in ihrem Inneren. Der Kaffee duftete verlockend, und gierig trank Grayson eine Tasse, bevor er seine beiden Tischgenossen eines Blickes würdigte.

Die Vorliebe des Quaestors für Kaffee war kein Geheimnis, und nach der zweiten Tasse beruhigte er seinen fordernden Magen, indem er ihm große Mengen köstlich schmeckender Nahrung zuführte.

»Was gibt es Neues?«, fragte er knapp zwischen zwei Bissen. Morgan blickte sich kurz um, bis er sich überzeugt hatte, dass sie über den Lärm in der Schankstube nicht belauscht werden konnten.

»Die Durchsuchung der Wohnung unseres verstorbenen Herrn Blaukreuz hat nichts ergeben, das Haus war durch ein Feuer in der Vornacht vollkommen ausgebrannt«, sagte er leise. Grayson brummte daraufhin nur, da er mit keinem besseren Ergebnis gerechnet hatte. »Emilio wurde bereits abgeholt und sollte schon heute die erste Behandlung gegen seine Unpässlichkeit erhalten«, fuhr der Magus fort. Anscheinend traute er ihrer Umgebung doch nicht so ganz und wählte daher seine Worte mit Bedacht. »Ein Ersatz für unser Team wurde beantragt, aber bis der eintrifft, sind wir vorerst zu dritt.«

Grayson hielt inne und biss sich nachdenklich auf die Innenseite seiner Wange. Ohne Saggitarius waren sie sehr geschwächt und das Gefühl drohenden Unheils schien sich immer mehr in seinem Hinterkopf zu verfestigen. Ohne darüber nachzudenken, rieb er sich über die Stelle, wo ihn der Schutzgeist gebissen hatte. Morgan folgte mit den Augen seiner Bewegung.

»Was haben Sie denn da, Sportsfreund?«, fragte er mit großen Augen und ergriff die rechte Hand des Ermittlers, ohne auf die Funken zu achten, die sofort zwischen ihnen übersprangen und dem Magier beträchtliches Unbehagen zufügen mussten. Schnell reduzierte Grayson seine Aura und antwortete leise. »Ich hatte Besuch vom Schutzgeist dieses Ortes. Der kleine Kerl hat mich dort gebissen.«

Morgans Augen wurden glasig, ein Zeichen, dass er in die magische Welt sah, die Grayson verschlossen blieb. »Er hat Sie tatsächlich mit seinem Mal versehen!«, entfuhr es ihm laut. »Ein Stück seiner Macht steckt im wahrsten Sinne des Wortes in Ihnen. Das ist höchst ungewöhnlich und beunruhigend.«

Grayson zog seine Hand zurück, und Nervosität machte sich in ihm breit, aber Morgan hob beschwichtigend die Arme.

»Nicht aufregen, mein Bester«, beruhigte ihn der Magus. »Das Mal eines Schutzgeistes verschwindet mit der Zeit, wenn sein Träger dessen Macht verbraucht hat. Es ist nur ein schwacher Zauber, der Ihnen im passenden Moment einen leichten Schubs in die richtige Richtung geben wird, wenn Sie ihn benötigen. Bemerkenswert ist nur, dass der Geist sein Mal auf Ihnen anbringen konnte. Er muss noch mächtiger sein als angenommen.«

Grayson starrte auf seine Hand hinunter, die aussah wie immer. Der silberne Siegelring des Verhangenen Rats prangte an seinem Ringfinger und wies ihn jedem gegenüber als Quaestor aus, der der Nebula Convicto angehörte und somit das radförmige Zeichen auf dem Schmuckstück zu deuten vermochte. Er rieb sich mit dem Zeigefinger der linken Hand über die Stelle, wo ihn die Zähne der Katze gepikst hatten, aber von einem leichten Kribbeln abgesehen, das beständig schwächer wurde, war dort nichts zu sehen oder zu spüren.

»Dass ich dem so viel Bedeutung beimesse, hat einen anderen Grund«, erklärte Morgan sich indes weiter. »Sein Mal hinterlässt ein Schutzgeist nur, wenn er spürt, dass ein Mensch in nächster Zeit großes Ungemach überstehen muss.«

Schweigen setzte am Tisch ein, und auf einmal kam Grayson das Frühstück nicht mehr ganz so köstlich vor. Die vage Bedrohung kommender Gefahr schien sich ständig zu verdichten. Grayson war nun lange genug in der magischen Welt der Nebula Convicto unterwegs, um Omen ein gewisses Gewicht einzuräumen, wenn sie von Fakten untermauert wurden.

Zeit, die Initiative zurückzuerlangen, dachte er und räusperte sich anschließend.

»Also gut, was wissen wir? Unser umtriebiger Herr Blaukreuz war anscheinend in den Schmuggel der Zauberspeicher verstrickt, sonst wäre er nicht getötet worden, als wir ihn unter die Lupe genommen haben.«

»Und er war entbehrlich genug, um als Köder für die Falle durch den Basilisken herzuhalten«, warf Richard ein.

Grayson deutete bestätigend mit dem Finger auf den Kreuzfahrer. »Exakt. Dieses Manöver unserer Gegenspieler war eiskalt durchkalkuliert. Entweder der Basilisk tötet uns, oder er versteinert einige von uns und schwächt so die Handlungsmöglichkeiten der Quadriga. Selbst wenn wir ohne Schaden aus dem Wald hervorgekommen wären, die Botschaft ist eindeutig.«

Morgan nickte. »Sie wissen, dass wir ihnen auf den Fersen sind und löschen jeden noch so kleinen Hinweis aus, dem wir nachgehen.«

»Eine klassische Zermürbungstaktik«, sagte Richard düster.