Gregor Greif hebt ab - Bruce Coville - E-Book

Gregor Greif hebt ab E-Book

Bruce Coville

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Beschreibung

Von wahren Freunden und echten Helden

Hier kommt Gregor! Gregor ist ein Greif: ein magisches Wesen mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Adlers. Normalerweise sind Greife: 1. grimmige Kämpfer, 2. Hüter eines Schatzes, 3. für Menschen unsichtbar. Dummerweise trifft nichts davon auf Gregor zu. Denn Gregor ist kein bisschen grimmig, er hat keinen Schatz (den er für seine Greifen-Prüfung allerdings ganz dringend braucht) – dafür hat er aber einen richtig guten Freund unter den Menschen. Bradleyist ebenso schüchtern wie Gregor, doch zusammen sind die beiden ein echt starkes Team! Sie retten eine magische Stadt vor dem Untergang, erringen den Schatz, den Gregor benötigt, und beweisen der Welt das Unglaubliche: dass sie beide echte Helden sind!

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Seitenzahl: 228

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Aus dem Englischen von Silke Pöppel und Silvia Schröer

Vignetten von Franziska Harvey

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage 2017© 2017 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenAlle deutschsprachigen Rechte vorbehalten© 2016 Bruce CovilleErstmals erschienen 2016 unter dem Titel:»Hatched« bei Random House Children’s Books, Penguin Random House LLC, New YorkUmschlagkonzeption: Sandra FilićUmschlagillustration: Franziska HarveyCK · Herstellung: AJSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-18609-8V001www.cbj-verlag.de

Für Alice Horner,die weiß, was es heißt,jemanden unter seine Fittiche zu nehmen

Werte Leser,

mit großer Freude, und zugleich leichter Nervosität, will ich von meinen Abenteuern in der Menschenwelt und dem, was mir dort widerfahren ist, berichten.

Der Vollständigkeit halber habe ich meine Tagebucheinträge hinzugefügt (die ursprünglich nur für mich ganz allein bestimmt waren!) sowie viele Dokumente und Unterlagen, von denen ich hoffe, dass sie einen Eindruck von dem Horror der dramatischen Ereignisse vermitteln werden.

Oh je! Das klingt arg übertrieben, stimmt’s? Na ja, mein Lehrer, Meister Abelard (den Ihr weiter hinten kennenlernen werdet), bezeichnet mich gelegentlich als Drama-Queen.

Ich werde mich nicht so weit erniedrigen zu erklären, was das heißen soll, aber manchmal fürchte ich, dass er recht haben könnte.

Andererseits hatte ich tatsächlich so einige Schrecken auf dieser Reise zu erdulden. Insofern habe auch ich recht.

Neben meinem Tagebuch finden sich auch viele Seiten aus dem Tagebuch eines Menschenjungen namens Bradley Ashango und außerdem ein paar Fotos, die er mit einem seltsamen Apparat namens Handy gemacht hat. Er schwört Stein und Bein, dass es sich nicht um Magie handelt, sondern lediglich um Wissenschaft und Technik. Ich bin davon nicht völlig überzeugt. Für mich scheint eindeutig Magie im Spiel zu sein.

Oft haben Brad und ich dasselbe Ereignis beschrieben, deshalb habe ich ein paar unserer Einträge nachträglich bearbeitet, damit es keine unnötigen Wiederholungen gibt. Aber ich versichere, dass absolut nichts hinzugefügt worden ist! Wir möchten, dass Ihr das Ganze genauso erlebt wie wir.

Na ja, nicht absolut genauso wie wir. Ich hatte erhebliche Ängste, Zweifel und Seelenqual zu erdulden während der Ereignisse, die hier wiedergegeben werden. Ich hoffe zwar sehr, Mitgefühl bei meinen Lesern zu wecken, aber nicht in dem Maße, dass deren seelisches Gleichgewicht bei der Lektüre so sehr in Mitleidenschaft gezogen wird wie meines, als ich diese Geschichte durchlebt habe.

Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet: Bitte entschuldigt meine Gedichte. Meister Abelard sagt mir oft, dass sie nicht sehr gut seien. Aber sie sind ein Teil von mir, also war ich der Ansicht, dass es wichtig wäre, die Gedichte drinzulassen.

EuerGregor Überflieger, Greif

Der Kodex der Greife

I. Ein Greif ist in allen Lebenslagen mutig und unerschütterlich. Sein Herz verzagt nicht, sein Schnabel und seine Klauen sind im Namen der Wahrheit und Freiheit allzeit einsatzbereit.

II. Jetzt, da Alexander der Große die Welt der Sterblichen verlassen hat und der göttliche Dante zur Insel der Seligen hinübergewechselt ist, zeigen sich die Greife den Menschen nicht mehr.

III. Wir sind Hüter von Schätzen. Jeden Gegenstand von Wert, welcher der Obhut eines Greifs anvertraut wird, ob funkelnder Diamant oder Hoffnung auf das Himmelreich, beschützen wir mit unserem Leben. Ein Greif, der in dieser Hinsicht versagt, ist kein wahrer Greif.

IV. Das Verborgene Reich ist unsere Zufluchtsstätte. Die menschliche Welt betreten wir nicht mehr.

V. Wir sind dankbar und froh, dass uns der Himmel zum Geschenk gemacht wurde. Und unsere immerwährende Dankbarkeit gilt folgenden Schätzen: der Macht unserer Flügel, der Unerschütterlichkeit unserer Herzen, der Kraft unserer Glieder und der Reinheit unserer Absichten, die uns jetzt und immerdar zu dem machen, was wir sind … GREIFE!

Das ist der Kodex der Greife, wie er uns von Ezekiel Wildschnabel überliefert wurde und wie ihn Josiah Wolkenklaue im Greifos niedergeschrieben hat.

Werte Leser,

ich habe den Kodex eingefügt, um zu verdeutlichen, unter welchem Druck ich stand. Wir Greiflinge (»Greifling« ist die Bezeichnung für junge Greife) bekommen ein Exemplar dieses Dokuments am siebten Jahrestag unseres Schlüpfens überreicht und sind dazu aufgefordert, es auswendig zu lernen. Die Älteren erwarten von uns, dass wir innerhalb von zwei Wochen in der Lage sind, jeden Punkt auf der Liste Wort für Wort wiederzugeben, wenn wir dazu aufgefordert werden.

Jetzt, da Ihr den Kodex kennt, ist es an der Zeit, Euch mein echtes Tagebuch zu zeigen, das auf der nächsten Seite beginnt. Es ist leicht zu erkennen, wann ich schreibe, da ich jeden meiner Einträge mit dem vollständigen Tag und Datum beginne. (Brad behauptet, dass dies viel zu umständlich sei, aber ich denke, so gehört es sich.)

Zum besseren Verständnis habe ich das jeweilige Datum der Ereignisse im Verborgenen Reich an die entsprechenden Tage in der Menschenwelt angepasst.

Gern geschehen.

G. Ü.

Freitag, 19. Juni

Heute war ein fürchterlicher Tag, hauptsächlich, weil meine grässlichen Geschwister mich ständig damit aufgezogen haben, kein richtiger Greif zu sein.

Das Ganze hat mich heute in der Tat so wütend gemacht, dass ich ein Gedicht über Cyril geschrieben habe:

Mopel-Popel,Er frisst immer,König Cyril:Keiner furzt schlimmer!

Danach habe ich mich besser gefühlt.

Ich werde jeden Tag ein Gedicht schreiben. Dadurch kann ich anscheinend meine Gefühle besser verarbeiten.

Um die Behauptungen der GG (Grässlichen Geschwister), ich sei kein wahrer Greif, zu überprüfen, schlug ich »Greif« in unserer Familienausgabe der Enzyklopädie des Verborgenen nach.

Nachdem ich gelesen habe, was die Enzyklopädie dazu zu sagen hat, kann ich nur sagen: »Was ein Riesenhaufen Einhornmist!«

Greife

Der Greif ist ein Wesen von enormer Stärke, gesegnet mit dem Kopf und den Flügeln eines Adlers und dem Leib eines Löwen. Die obere Hälfte der Vorderbeine ist ebenfalls löwenartig. Sie verjüngt sich jedoch vogelartig nach unten und endet schließlich in den furchteinflößenden Klauen eines Adlers.

Die einzige Ausnahme in dieser Mischung aus Adler und Löwe bilden die Ohren des Greifs, die lang und pferdeartig sind, auch wenn sie eher seitlich abstehen und nicht gerade nach oben zeigen wie bei einem Pferd. Das verleiht der ansonsten würdevollen und unerschütterlichen Erscheinung des Greifs eine seltsam komische Note.

Da der Adler der Herr aller Vögel ist und der Löwe der König aller Tiere, gilt der Greif, der beide Naturen in sich vereint, als der Kaiser aller Lebewesen.

Greife sind oft Hüter von Schätzen. Sie hegen eine tiefe und dauerhafte Liebe zu Gold, Juwelen und allen anderen wertvollen Dingen.

Sie hüten auch ihren Ruf, eine völlig andere Art von Schatz, einer, der von einzigartigem Wert ist.

Einer Greifklaue werden heilende Eigenschaften zugeschrieben und eine Flügelfeder soll Blinde wieder sehend machen. (Ob Letzteres stimmt, ist nicht ganz klar.)

Wegen der Mischung seiner Körperteile wird dem Greif eine zweifache Natur nachgesagt. Einige sehen in ihm ein Sinnbild der Göttlichkeit. Für andere verkörpert er furchterregende Gewalt und sein Anblick versetzt bis hin zu den mutigsten Helden jedermann in Angst und Schrecken.

Tatsächlich hat sich die Gemeinschaft der Greife über genau diese Frage in der Großen Greifen-Spaltung im Jahre 1792 entzweit, was zur Gründung des Amerikanischen Horstes führte.

Heloise Fledermausflügel, Zwergin

Hauptgelehrte, Gildenhaus

Freitag, 19. Juni (Fortsetzung)

Okay, okay, ich gebe ja zu, dass die Enzyklopädie ganz gut beschreibt, wie ich aussehe, einschließlich meiner Ohren.

Aber was soll das ganze Gerede, Greife seien furchterregend?

PAH! Und noch einmal PAH!

Okay, wahrscheinlich sind einige Greife tatsächlich furchterregend.

Okay, vielleicht sind die meisten Greife furchterregend.

Leider gehöre ich nicht dazu. Außer vielleicht dann, wenn ich richtig wütend werde. Aber das hält nie lange an und endet meist in Tränen.

Nämlich meinen.

Ach du Großer Greif! Bedeutet das am Ende, dass meine verfluchten Geschwister recht haben, wenn sie behaupten, dass ich kein wahrer Greif sei? Großer Ezekiel, vielleicht stimmt es. Gerade eben fühle ich mich alles andere als furchterregend.

Hauptsächlich fühle ich mich wie ein einziges Nervenbündel.

Ich würde ein Gedicht darüber schreiben, aber das für heute hab ich schon geschrieben.

Der Grund, warum ich so nervös bin, ist folgender: In nicht einmal vierundzwanzig Stunden steht mein zehnter Schlüpftag ( ein besonderer Festtag) bevor. Aber Weh und Ach, es ist nicht mein wahrer Schlüpftag, lediglich der, den wir als Tag meines Schlüpfens feiern. Über den Grund dafür möchte ich lieber Stillschweigen bewahren.

Die Sache ist die, dass ich mir bis dahin einen SCHATZ beschaffen muss oder ich werde nicht als WAHRERGREIF anerkannt werden … und diesmal geht es nicht um meine Geschwister, sondern um das Urteil von Artoremus Peitschenschwanz, dem Hohen Herrn der Greifenfeste des Nördlichen Territoriums. Darüber hinaus findet das Ganze vor den Augen aller statt, die wir kennen, auf der Versammlung zum Schlüpftag bei der Großen Höhle.

Ich ertrage den Gedanken nicht, wie sehr Vater enttäuscht sein wird, falls ich versage. Aber ich habe keine Ahnung, wonach oder wo ich suchen könnte. Darüber habe ich mir zwar schon viele Sorgen, aber nur wenig Gedanken gemacht. Ich interessiere mich nämlich nicht so sehr für Schätze, wie ich eigentlich sollte.

Ich bin wirklich ein sehr schlechter Greif.

Die Situation ist so schlimm, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, fortzulaufen! Aber wohin? Man würde mich so ziemlich überall im Verborgenen Reich aufspüren. Dann bliebe nur noch die Menschenwelt.

Aber der Gedanke daran ist zu grauenerregend, um auch nur einen Moment ernsthaft darüber nachzudenken!

Brief von Delia Ashango, Mutter von Bradley Ashango, an Bradleys Großmutter, Agatha Riddlehoover

20. Juni

Liebe Mom,

ich schreibe dir, um dich zu fragen, ob Brad diesen Sommer wieder bei dir verbringen darf. Letztes Jahr hatte er so viel Spaß, und zurzeit sieht es aus, als würde es in Manhattan noch heißer werden als letztes Jahr. (Der Klimawandel … ein Thema, bei dem wir uns mal einig sind!)

Um ehrlich zu sein, geht es aber nicht nur um die Hitze. Brad hat ein schwieriges Jahr hinter sich. In der Schule ist er ziemlich gemobbt worden. Nicht so schlimm wie an der alten Schule, aber trotzdem …

Außerdem vermisst er seinen Dad wirklich sehr. Es ist schon fast zwei Jahre her, aber manchmal glaube ich, dass es für ihn mittlerweile noch schlimmer ist als damals, als es passiert ist. Vielleicht liegt es nur daran, dass ein Junge seinen Dad umso mehr braucht, je älter er wird. Oder wenigstens irgendeinen Mann in seinem Leben. Darum denke ich, dass dein Freund Herb ihm guttun könnte.

Mom, ich weiß, dass wir beide immer noch nicht besonders gut miteinander klarkommen. Aber Brad liebt seine »Bibi«, und ich glaube, dass es ihm wirklich guttun würde.

Was sagst du?

Alles Liebe

Delia

Sonntag, 21. Juni

Manchmal wäre ich gern ein Einzelkind!Im Ernst.Es ist nicht so, dass ich meine Geschwister nicht liebe.Das tue ich. Irgendwie.Wenn ich es ganz, ganz doll versuche …

Nasenpopel und Kaugummidreck,Fliegende Fetzen und höllische Fahrt,Meine Geschwister zu lieben,Ist ganz schön hart!

Die Sache mit der Liebe ist ein großes Rätsel und eines der Themen, über die Meister Abelard gerne mit mir spricht. Muss man sich Mühe geben, jemanden zu lieben? Sollte das nicht von selbst passieren?

Über so Sachen kann er stundenlang reden.

Liebe hin oder her, von selbst oder nicht, ich ertrage Cyrils herrschsüchtiges Gehabe und Violets schnippische Art einfach nicht länger.

Es war auch nicht gerade hilfreich, dass Violets Freundin Luftika, ein geflügeltes Pferd, zu Besuch kam. Die beiden sind zusammen immer so rotzfrech! (Und jeder weiß, dass nichts so rotzfrech ist wie ein rotzfreches geflügeltes Pferd!) Ich wünschte, ich hätte die Feder aus Luftikas rechtem Flügel nie angenommen, die mir Violet an unserem achten Schlüpftag geschenkt hat. Sie ist wahrhaft etwas Schönes und ein wunderbarer Schatz. Aber sie war entschieden nicht das wert, was ich seitdem von den beiden erdulden musste.

Noch mehr wünschte ich mir aber, dass Mom sich letzten Monat nicht verplappert und meinem blöden Bruder und meiner schnippischen Schwester die wahre Geschichte unseres Schlüpftages erzählt hätte.

Oder eher unserer Schlüpftage.

Ich weiß, dass es Mom mittlerweile leidtut, da sie sieht, wie die beiden es gegen mich verwenden (obwohl sie nur einen kleinen Teil davon mitkriegt). Aber es gibt kein Zurück, und seit es herausgekommen ist, sind meine beiden Geschwister so von sich eingenommen, dass ich am liebsten einen Haarballen auskotzen würde.

Das beweist wie sehr sie mich nerven, weil ich es hasse, Haarballen herauszuwürgen. Das kann niemand auch nur im Mindesten würdevoll tun! Okay, ich weiß ja. Alle Katzen, ob groß oder klein, würgen ständig Haarballen heraus. Aber auch wenn ich den Körper eines Löwen habe, macht es die Tatsache, dass ich den Kopf eines Adlers besitze, wirklich ekelerregend, diese vermaledeiten sabberigen Klumpen auszuspucken. Ganz besonders hasse ich es, wenn sie an meinem Schnabel hängen bleiben und dort herumbaumeln wie ein riesiger klebriger Popel!

Blöde Haarballen.

Nun denn. Wenigstens habe ich Krallen vorne und Klauen hinten. Das ist ziemlich cool, weil es mich äußerst gefährlich macht.

Ja! Das bin ich! Gregor, der Unbesiegbare!

Bla Bla Bla.

Ich bin in etwa so unbesiegbar wie ein Gänseblümchen.

Wie auch immer, irgendwann zwischen den Hänseleien von Violet und Luftika heute Morgen und der Flügelklatsche, die mir Cyril heute Nachmittag auf den Hinterkopf verpasst hat, war das Fass übergelaufen. Ich habe mich entschieden. Ich werde davonlaufen. In die Menschenwelt.

Ja, in die Menschenwelt!

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Violet vor Entsetzen tief Luft holt und mir an den Kopf wirft, dass dies ein Verstoß gegen den Kodex der Greife sei. Was stimmt. Aber inwiefern ist es eines Greifen würdig, mich so auf dem Kieker zu haben, wie sie es tun? Zählt die Familienehre denn überhaupt nichts?

Ich kann mir auch gut vorstellen, wie Cyril (oder, um es präziser auszudrücken, Cyril, die Nervensäge) mich verbessert und sagt, dass ein Greif nicht »davonläuft«, sondern »davonfliegt«. Er klebt immer so am Wortlaut! Deshalb ist es sinnlos, aber trotzdem spaßig, mit ihm Wortspiele zu spielen. Wenn ich zum Beispiel versuchen würde, ihm zu erklären, dass Fliege Fort ein guter Name für ein Insektenvernichtungsmittel wäre, dann würde er es nie kapieren.

Ich mache gerne Wortspiele. Aber ach, Meister Abelard behauptet, dass es eine schlechte Angewohnheit sei und nichts, mit dem ich mich allzu sehr beschäftigen sollte.

Nun denn, Wortspiel hin oder her, schlechte Angewohnheit hin oder her, ich werde fortfliegen!

Sobald ich meinen blöden Bruder und meine schnippische Schwester los – und nicht mehr unter den Fittichen meiner Eltern bin, kann ich endlich mein eigenes Leben beginnen.

Wenn der Gedanke daran nur nicht so beängstigend wäre!

Aber wenn ich es nicht tue, werde ich für immer und ewig ein Hasenfußgreif bleiben!

Washington-Irving-Privatschule Amsterdam Avenue, New York, NY.

Schulmotto: »Streben nach Exzellenz um jeden Preis!«

22. Juni

Mrs Delia Ashango

(Straßenname aus Datenschutzgründen unkenntlich gemacht)

New York, NY 10023

Betr.: Bradleys Extra-Aufgabe über die Sommerferien

Sehr geehrte Mrs Ashango,

hiermit beziehe ich mich auf unser Gespräch, in dem es um eine zusätzliche Aufgabe für Bradley über die Sommerferien ging. Lassen Sie mich zunächst noch einmal zusammenfassen, was ich Ihnen bereits in unserem Elterngespräch mitgeteilt habe: Bradleys Lehrer sind einstimmig dafür, ihn unsere Schule weiterhin besuchen zu lassen, aber nur auf Basis der besprochenen Bedingungen.

Zu diesen Bedingungen: Wie Sie wissen, ist die WIPS stolz darauf, hohe Ansprüche an ihre Schüler zu stellen. Laut der Testergebnisse seiner vorherigen Schule gehört Bradley zu den begabtesten Schülern, die wir in den letzten Jahren das Vergnügen hatten aufzunehmen. Bedauerlicherweise ist er auch einer der unmotiviertesten. Obwohl er spielend mit den Aufgaben fertigwird, strengt er sich selten an. In dieser Hinsicht hat er einen schlechten Einfluss auf seine Mitschüler. Wenn Bradley für die sechste Klasse zurück an unsere Schule kommen möchte, muss er für uns ein ernsthaftes »Streben nach Exzellenz« erkennen lassen.

Aus diesem Grund haben wir beschlossen – und Sie und Bradley haben sich damit einverstanden erklärt –, dass er über die Sommerferien Tagebuch führt. Er muss mindestens viermal die Woche in sein Tagebuch schreiben und seine Einträge müssen aus mindestens drei Absätzen mit je mindestens drei Sätzen bestehen.

Um zu verhindern, dass Bradley diese Aufgabe vor sich herschiebt und dann gleich mehrere Einträge während der letzten Tage in den Sommerferien schreibt, müssen die Tagebucheinträge jeden Samstag an Mr Delong geschickt werden.

Sollte Bradley sich nicht an diese Vereinbarung halten, wird er nächstes Jahr nicht wieder zugelassen.

Wir wollen Bradley als Schüler wirklich nicht verlieren. Die WIPS hat jedoch eine lange Warteliste mit vielen Bewerbern. Bitte glauben Sie mir, dass Dutzende intelligenter junger Schüler liebend gerne den Platz Ihres Sohnes in unseren heiligen Hallen einnehmen würden.

Ich hoffe, Sie missverstehen den Ton dieses Briefes nicht. Ich habe mich bemüht, bestimmt, aber höflich zu sein. Sollte mir das nicht gelungen sein, bitte ich um Entschuldigung.

Hoffnungsvoll und voller Optimismus

Vincent Castle

Schulleiter, WIPS

Dienstag, 23. Juni

Ich muss von meinem Lehrer, Meister Abelard, erzählen. Dass ich dieses Tagebuch führen kann, verdanke ich nur ihm! Er ist derjenige, der mir beigebracht hat, wie ich mir eine meiner Federn ausreißen, sie in Tinte tauchen und benutzen kann, um auf ein Blatt Papier zu schreiben.

Zunächst einmal muss ich vorausschicken, dass er außerordentlich klug ist.

Dann muss ich anmerken, dass er, bedauerlicherweise, ein Zwerg ist.

Nicht, dass ich etwas gegen Zwerge hätte! Aber weil Meister Abelard nun einmal ein Zwerg ist, musste ich endlosen Spott von Cyril und seinen Freunden über »Gregor und seinen kleinen Lehrer« ertragen.

Wann, wann nur, werden die Leute endlich aufhören, andere nach ihrer Größe zu beurteilen?

Meine Geschwister bemühen sich nicht einmal um einen Lehrer. Sie wollen lieber dumm bleiben. Wodurch wir bei meiner Inspiration zu meinem heutigen Gedicht wären:

Ringel-RangelBlubber und SuppeWie kam ich nurZu dieser Truppe?

Nun denn, Meister Abelard sagt, dass derlei keine ernsthafte Poesie sei. Er nennt es »Katzenjammerpoesie«. Ich vermute, das ist nichts Schmeichelhaftes.

Ich muss versuchen, besser zu werden.

Ungeachtet seiner Kritik an meinen Gedichten ist Meister Abelard das weiseste, liebenswürdigste und gebildetste Wesen, das ich je getroffen habe. Das Problem ist, dass die Leute oft auf ihn herabsehen, weil er so klein ist. Nun denn, in der Tat muss man herabsehen, um ihn sehen zu können, denn er ist nur fünfzehn Zentimeter groß. (Seine rote Zipfelmütze nicht mitgerechnet, die ihn fünf Zentimeter größer macht.) Was ich gemeint habe, ist, dass die Leute (meine grässlichen Geschwister eingeschlossen) ihn verächtlich behandeln aufgrund seiner Größe.

Wenn sie doch nur erkennen würden, wie weise er ist!

Um das Bild zu vervollständigen, möchte ich noch anfügen, dass er traditionelle Zwergenkleidung trägt: einen blauen Mantel mit breitem Gürtel um die Taille, braune Beinkleider und hohe Lederstiefel. Ein kurzes Messer ist an seinem Gürtel befestigt. Seine Augen sind hellblau und seine Nase ist dick und rundlich, genauso wie seine Wangen. Man nehme sich vor seinen blauen Augen in Acht! Wenn er wütend wird (und, ich muss zugeben, dass er ein ganz schön hitziges Temperament hat), dann blitzt es in ihnen so, dass ich am liebsten meinen Kopf unter meine Flügel stecken würde … und dies obwohl ich groß genug bin, um ihn mit einem Happs zu verschlingen!

Er kann auch äußerst sarkastisch werden, wenn ich etwas Dummes sage oder tue.

Das geschieht mit unschöner Regelmäßigkeit.

Aber üblicherweise ist er liebenswürdig und sanftmütig.

Oh! Ich sollte noch erwähnen, dass er ein bemerkenswerter Künstler ist. Nun, ich halte ihn jedenfalls für bemerkenswert. Er behauptet, dass die Kunst des Zeichnens eine Grundfertigkeit sei und Bestandteil der Bildung jeglicher menschenähnlicher Kreatur sein sollte. (Damit meint er Zwerge, Elfen, Hauselfen, Kobolde und so weiter … eben alle, die Hände haben. Die ich nicht habe.)

Obwohl ich keine Hände habe, hat Meister Abelard versucht, mir das Zeichnen beizubringen. Aber ach, ich habe keinerlei Talent dafür. Meine Zeichnungen sind einfach grottenschlecht.

Ich sollte noch erwähnen, dass mein Lehrer, trotz seines ungezügelten Temperaments und seines Sarkasmus meinem Fehlen jeglicher Fähigkeiten in dieser Richtung stets mit äußerster Langmut begegnet ist.

Meister A., wie ich ihn manchmal nenne, arbeitet nun schon seit drei Jahren mit mir und mein Herz ist in tiefer Zuneigung zu ihm entbrannt.

Um ehrlich zu sein (und das sollte man ja in einem Tagebuch), glaube ich nicht, dass er es missbilligen würde, wenn ich fortliefe, trotz der Schande, die das meiner Familie bringen würde. Hin und wieder denke ich sogar, dass er mich sanft ermutigt, es zu tun! Ich weiß, dass er es verabscheut, wie Cyril und Violet mich behandeln.

Bäh! Ich hasse Gefühle. Sie machen alles immer so kompliziert!

Ich ertrage es einfach nicht mehr. Morgen gehe ich, und dabei bleibt’s.

Abelard Chronicus

Raum 217, Zwergengebäude, Universität des Verborgenen, Zweigstelle Nordamerika

Henrik Flatternacht

Dekan der Fakultät für Zwergistik

Universität des Verborgenen, Zweigstelle Nordamerika

23. Juni

Lieber Henrik,

ich wollte Dich (und nur Dich!) wissen lassen, dass ich, wenn alles gut geht, das Verborgene Reich in naher Zukunft verlassen werde. Ich habe Gregor genau beobachtet, und ich glaube, meine sanften Hinweise haben ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Greifling endlich vorhat, in die Menschenwelt fortzulaufen!

Ich werde mit ihm gehen, selbstredend, denn dies war schließlich von Anfang an Sinn und Zweck all dieser Hinweise und Anstöße. Allerdings bin ich mir noch nicht sicher, ob ich ihm sagen soll, dass ich vorhabe, mitzukommen, oder ob ich mich einfach auch im Reisesack verstauen soll, den ich letzten Monat für ihn angefertigt habe.

Wie Du sehr wohl weißt, habe ich gute Gründe dafür, zu gehen, sowohl wissenschaftlicher als auch persönlicher Natur. Und nun, da sich die Dinge hier an der Universität so gegen mich gewandt haben, (bei allem Verborgenen, ich hasse Universitätspolitik!), erscheint es mir ein geeigneter Augenblick dafür, einige Zeit ins selbst gewählte Exil zu gehen.

Und wenn es einzig dazu nütze ist, dass es mir gut anstehen würde, »der Stadt« sozusagen »eine Zeitlang den Rücken zu kehren«. Aber es ist mehr als das. Mit ein wenig Glück wird dieses Abenteuer, so gefährlich es auch sein mag, der Lohn für beinahe zweihundert Jahre Forschung sein … eine Forschung, von der ich nur Dir berichtet habe, seitdem sie verboten wurde.

Habe ich schon erwähnt, dass ich Universitätspolitik hasse? Wie kleingeistig muss man sein, um ein Thema zu verbieten! Wie können wir uns als Universität ernst nehmen, wenn wir Dinge aus der Betrachtung herausnehmen?

Entschuldige. Mir ist bewusst, dass Du meine Gefühle in dieser Angelegenheit sehr wohl kennst!

Wie dem auch sei, ich schicke Dir dies, damit Du Dich nicht wunderst, was mir zugestoßen sein könnte, wenn ich verschwinde. Da Du mein einziger wahrer Freund hier bist, wollte ich Dir das nicht antun.

Bei alldem bedaure ich nur eines: Ich wünschte mir, ich wäre (wirklich) so gut und so weise, wie Gregor es von mir annimmt.

Ich fühle mich schuldig, weil ich den Greifling so benutzen werde.

Dein Abelard

Memorandum

an alle Fachbereichsleiter

Verbotene Themen an der Universität des Verborgenen

Im Folgenden finden Sie die aktuelle Liste von Themen, zu denen keine Diskussionen, Seminare, Veröffentlichungen und ganz allgemein wissenschaftliches Arbeiten gestattet sind, gemäß der Anweisung des SDVFL (Sicherheitsdienst für Verbotene Forschung und Lehre).

Die Themen sind gemäß ihrer Vertraulichkeit aufgelistet, von gering bis hoch.

Außerdem wird jeweils der Ausschlussgrund für jedes Thema aufgeführt.

1) Die Herkunft der Einhörner (Mythische Vertraulichkeit)

2) Die Bedeutung von EXTOMBIA! (Offensichtlicher Grund, zu heikel, um ihn aufzuführen. Bitte denken Sie nicht einmal daran!)

3) Wie der Übernatürliche Vorhang aufrechterhalten wird (Sicherheitsbedenken)

4) Warum Feen Flügel haben (Kulturell sensibel, Geheimwissen)

5) Ob Affen tatsächlich aus den unteren Regionen* von jemandem herausfliegen können (Geschmacklos)

6) Was hat das Schu in Schubi-du-bi-du zu suchen? (Lässt auf eine beunruhigende Besessenheit von der menschlichen Welt schließen)

7) Die Erschaffung der Zentauren (Sinnlose Spekulation, wirft zu viele Fragen auf)

8) Waldelfen versus Hochelfen (Politisch schwierig, kulturell sensibel, möglicher Kriegsauslöser)

9) Das Verdauungssystem von Drachen (auf der Hand liegende Sicherheitsbedenken)

10) Batavia, die verlorene Stadt (Sicherheitsbedenken, kulturell sensibel, Druck aus der Politik, Ketzerei)

Bitte erinnern Sie Ihr Personal daran, dass diese Themen nicht diskutiert oder unterrichtet werden dürfen! Wer dem zuwiderhandelt, riskiert, seine Anstellung zu verlieren, der Universität verwiesen und möglicherweise sogar in die Verbannung geschickt zu werden.

Egbert Waffel, Kobold

Dekan für Zucht und Ordnung

* »untere Regionen« heißt »Hintern«. Ich musste Meister A. extra fragen, deshalb dachte ich mir, dass ich es erklären sollte. – Gern geschehen. G. Ü.

Mittwoch, 24. Juni

Ungeachtet meines Schwurs, heute wegzugehen, bin ich immer noch hier. Den ganzen Tag lang habe ich nichts anderes gemacht, als zu zaudern, ob ich gehen soll, und das ist ziemlich peinlich, weil Zaudern eines Greifen nicht würdig ist.

Ich gehe mal davon aus, dass in die Menschenwelt fortzulaufen, ebenfalls eines Greifen nicht würdig ist. Andererseits wäre es unglaublich mutig und das wiederum ist eines Greifen äußerst würdig.

Ein Teil von mir fängt an, sich mit dem Gedanken anzufreunden, in die Menschenwelt zu fliehen. Es ist so, dass ich mich im Grunde meines Herzens frage, ob der Mut, den Kodex zu missachten und diesen verbotenen Ort zu betreten, etwas sein könnte, das den Makel des Tages meines Schlüpfens von mir nimmt und mir den Respekt meines Vaters einbringt.

Sticheln und StachelnZweifel und ZwistWieso fragt sich mein Vater,Was los mit mir ist?

Wow. Es war ganz schön schmerzhaft, das hier zu schreiben.

Nun denn, Meister A. hat mir schon häufig erzählt, dass ein Künstler zu leiden hat. Er sagt, dass Lehrer auch oft leiden und dass dies bei ihm dann passiert, wenn er meine Gedichte lesen muss.

Das fühlt sich heftig an, aber ich weiß die hohen Maßstäbe, die er an mich anlegt, zu würdigen.

Was das Leiden angeht, nehme ich an, dass ich schlimm leiden würde, falls ich wegliefe. Deshalb wäre das für mein Schreiben vielleicht gar nicht so schlecht.

Auf der einen Seite: Wenn ich an die Regeln denke, die ich brechen würde, und an die Gefahren, denen ich begegnen würde, versetzt mich der Gedanke in Angst und Schrecken. (Eines Greifen ganz und gar UNwürdig.)

Auf der anderen Seite: Was wäre, wenn ich in der Menschenwelt einen wirklich atemberaubenden Schatz fände? Ich muss binnen drei Wochen einen finden oder ich werde unerträgliche Schande ertragen müssen.

Ich fange an, wegen der Sache in Panik zu geraten. Ich mag Schande nicht, und unerträgliche Schande wäre … nun ja, unerträglich!

Die Sache ist die, dass mir bis auf den heutigen Tag alle meine Schätze geschenkt worden sind.

Ich habe keinen Schimmer, wie ich selbst an einen komme!

Ich kann Meister A. nicht dafür verantwortlich machen, es mir nicht beigebracht zu haben. Es ist eine Sache, die nur uns Greife angeht und hätte von meiner Familie kommen müssen.

Ich muss schon sagen, unser Bildungssystem lässt einiges zu wünschen übrig.

Nun, es ist dumm, sich über die Sache mit den Schätzen Sorgen zu machen. Wenn ich fortlaufe, geschieht das schließlich nicht in der Absicht zurückzukehren! Beim Fortlaufen geht es schließlich darum, weg zu sein!

ZUR BESCHAFFUNG UND PFLEGE EINES GREIFENHORTES

Aus: Eine praktische Anleitung für Greife

Von Percival Reißklaue, Bewahrer des Greifenregisters

Es ist eine wesentliche Eigenschaft von Greifen, dass sie Schätze hüten. Darum wird von jedem Greif erwartet, dass er oder sie einen persönlichen Hort anhäuft und pflegt, während er oder sie heranwächst. Es ist seit Langem bewiesen, dass es entscheidend für die charakterliche Formung und Entwicklung eines Greiflings ist, sich dieser Aufgabe voll und ganz zu widmen.