Roddy und ich - Chaos währt am längsten - Bruce Coville - E-Book

Roddy und ich - Chaos währt am längsten E-Book

Bruce Coville

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Beschreibung

Roddy kann es nicht fassen: Jahrhundertelang gehörte er als Hauself zu einer ehrwürdigen schottischen Familie. Doch nach dem Tod seiner letzten Herrin muss Roddy zu ihren Nachkommen umziehen, und zwar nach – oh Schreck – New York! Schlimmer noch: Roddys neue Herrin Alex ist das unordentlichste Mädchen, dem er je begegnet ist. Als ein Familien-Fluch sich auf unerfreuliche Weise bemerkbar macht, müssen die beiden sich allerdings zusammenraufen und gemeinsam darum kämpfen, die Fesseln der Vergangenheit zu lösen. Ob das wohl gutgeht?

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Seitenzahl: 221

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1. Auflage 2016© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenAlle deutschsprachigen Rechte vorbehalten© 2015 Bruce CovilleErstmals erschienen 2015 unter dem Titel:»Diary of a Mad Brownie« bei Random House Children’s Books, Penguin Random House LLC, New YorkUmschlagkonzeption: Sandra FiliçUmschlagillustration: Franziska HarveyCK ∙ Herstellung: AJSatz: Uhl + Massoust, AalenISBN 978-3-641-18140-6V002 www.cbj-verlag.de

Für Joe Monti –Freund, Humanist und Inspiration

Das Große Gelübde der Hauselfen

(Wie es jeder Hauself schwören muss, wenn er oder sie mündig wird, das Verborgene Reich zu verlassen und die Menschenwelt zu betreten)

Wir werden in den Haushalten, in denen wir leben, für Ordnung und Sauberkeit sorgen, so wie es sich geziemt.

Denn sind wir nicht Hauselfen?

Wir werden jeden Tag in bescheidenem Maße Schabernack treiben. Schabernack ist ein wichtiger Teil eines gut gelebten Lebens.

Denn sind wir nicht Hauselfen?

Wir werden uns vor allen menschlichen Lebewesen verbergen. Kein Auge soll uns erblicken, als das desjenigen, an den wir gebunden sind.

Denn sind wir nicht Hauselfen?

Wir werden keiner Menschenseele vom Verborgenen Reich erzählen.

Denn sind wir nicht Hauselfen?

Und das alles geloben wir, und das alles werden wir befolgen, wohl wissend, dass uns schlimme Strafe droht, sollten wir dieses Gelübde brechen.

Denn wir sind Hauselfen und Untertanen der Königin der Schatten!

Samstag, 19. September

Ich bin im Begriff, mich auf eine große und schicksalhafte Reise zu begeben, was mich zutiefst beunruhigt. Der Gedanke daran, Schottland den Rücken zu kehren, erfüllt mein Herz mit Wehmut.

Was die Angelegenheit noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass ich gerade erst eine Zeit der Trauer und des Verlustes hinter mir habe.

Aber schließlich bin ich immer noch ein Hauself, stolz und unbeugsam, und sollte mich nicht fürchten.

Ach, wie sehr hoffe ich doch, dass dies wahr wäre! Oh ja, ich bin mir wohl bewusst, dass ich ein Hauself bin. Und mit Sicherheit bin ich stolz. Aber ob ich auch so unbeugsam bin, wie es erforderlich sein wird, wird sich erst noch erweisen müssen.

Mein Cousin Fergus, der einzige Hauself, der in unserem kleinen Dorf in den Highlands zurückbleiben wird, hat mir erzählt, dass es hilfreich sein kann, darüber zu schreiben, wenn Angst und Umbruch einen fest im Griff haben.

Daher habe ich damit begonnen, dieses Tagebuch zu schreiben.

Bislang funktioniert es nicht.

Sonntag, 20. September

Als ich Fergus gestern Abend erzählt habe, dass das Tagebuch wenig tauge, rief er: »Oh, Roderick, du verstehst es einfach nicht. Das Tagebuch soll dir nicht nur deine Sorgen nehmen. Es ist auch dazu da, deine Erinnerungen aufzubewahren!«

Na danke auch. Mein Gedächtnis kommt ganz gut alleine zurecht. Ich kann mich zum Beispiel noch genau an den Tag vor über einhundert Jahren erinnern, an dem mir Pa die Sache mit dem Fluch erklärt hat, der uns an die McDonagalls bindet.

Man sollte annehmen, dass ich deshalb ein gewisses Maß an Weisheit für mich beanspruchen dürfte. Aber Fergus sagte, dass er vierzig Jahre älter sei als ich und deshalb auch entsprechend weiser. Aus diesem Grund folge ich gemeinhin seinem Rat … es sei denn, es ist einer der Ratschläge, die er mir gibt, nachdem er zu viel von dem guten Walnussbier hatte, das er im Keller des Cottages braut, um das er sich kümmert.

An solchen Abenden faselt er einen ganz schönen Unsinn.

Mir wird klar, dass, selbst wenn dieses Tagebuch mir meine Sorgen nicht nimmt, es dennoch ratsam sein könnte, niederzuschreiben, was passiert. Schließlich bin ich im Begriff, eine Reise in unbekanntes Territorium zu unternehmen. Falls ich überlebe, könnte die Geschichte es wert sein, erzählt zu werden. Und wenn sie gut wird, möchte ich sie vielleicht später sogar einmal veröffentlichen!

Wenn ich das bedenke, sollte ich vielleicht etwas über mich erzählen.

Zu Anfang möchte ich erwähnen, dass ich Roderick Cairns heiße. Ich bin fast dreißig Zentimeter groß. Vor Kurzem habe ich meinen einhundertfünfzigsten Geburtstag gefeiert, auch wenn man mir das nicht ansehen würde; denn nach menschlichen Maßstäben scheine ich etwa nur ein Drittel so alt zu sein. Ich habe lockiges braunes Haar (schließlich bin ich ein Hauself!) und große grüne Augen. Meine Nase ist ein wenig spitz und meine langen Ohren sind ziemlich spitz.

Außerdem bin außerordentlich stark für meine Größe. Ich hoffe, das klingt nicht zu angeberisch. Es ist einfach eine Tatsache bei uns Hauselfen.

Wir müssen eben stark sein bei all den Dingen, die wir in einem Haushalt zu erledigen haben!

Ich besitze auch die Gabe, schnell wie der Blitz zu sein. Dadurch kann ich mich, wenn ein menschliches Wesen in meiner Nähe ist, so schnell fortbewegen, dass ich nur mehr ein Schatten in seinen Augen bin. Ich muss lediglich losflitzen, ehe man mich erspäht hat. Selbstverständlich vermag ich das nicht über größere Entfernungen hinweg. Aber für den Moment ist es recht nützlich.

Wie schon bemerkt, bin ich seit Langem an den Clan der McDonagalls gebunden. Aber – oh weh und ach – Sarah, meine derzeitige McDonagall, ist mittlerweile alt und gebrechlich. Der Gedanke daran, sie zu verlieren, schmerzt mich zutiefst. Ich bin seit mehreren Jahrzehnten der Hauself in ihrem Heim und habe mich all die Jahre über treu um alles gekümmert.

Es geschieht nicht oft, dass ein Mensch und ein Hauself sich anfreunden, aber in unserem Fall ist es geschehen. Zum Teil lag es an einem gemeinen Streich, den Sarah mir gespielt hat, als sie noch jung war.

Ich will nicht weiter darauf eingehen, nur so viel: Am Ende habe ich ihr vergeben. In Wahrheit war ich aber entzückt festzustellen, dass auch sie Schabernack in ihrem Herzen trug. Oh, all die Streiche, die wir gespielt haben, als sie ein junges Mädchen war … und selbst dann noch, als sie, wie die Sterblichen es nennen, »alt genug war, es besser zu wissen«.

Nun denn, eines der Kümmernisse im Leben eines Hauselfen ist, dass die Menschen nie so lange leben wie man selbst. Obwohl mir bewusst war, dass es unvermeidlich sein würde, war es sehr schwer für mich, als Sarah mich vor zwei Abenden an ihr Bett rief, um mir mitzuteilen, dass das Ende nahe sei.

Da ich nur etwa dreißig Zentimeter groß bin, kletterte ich auf ihren Nachttisch, wo ich mich auf einem Stapel Bücher niederließ. Als ich mich hingesetzt hatte, sagte sie sanft: »Mein liebster Roderick, ich habe nicht mehr lange in dieser Welt.«

»Ich weiß, Sarah«, sagte ich. Dann fügte ich hinzu, um sie aufzuheitern: »Aber du wirst bald in eine bessere hinüberwechseln.«

Was das anging, beneidete ich sie ein wenig. Dem Priester in unserem kleinen Dorf zufolge haben menschliche Wesen eine Seele, die nach ihrem Tod weiterlebt, während wir im Verborgenen Reich leben und leben, aber wenn wir erst einmal verschieden sind, dann sind wir für immer tot.

Eine unschöne Angelegenheit, deshalb ziehe ich es vor, nicht darüber nachzudenken.

Überdies bin ich ohnehin der Ansicht, dass der Priester nichts als ein mondsüchtiger Schwachkopf ist.

»Wie du weißt, bist du weiterhin an die Familie McDonagall gebunden, Roderick. Was du aber vielleicht nicht weißt, ist, dass kein Mitglied meiner Familie mehr hier in Schottland lebt. Und da die Regel besagt, dass du in den Dienst des jüngsten mündigen weiblichen Mitglieds treten musst, muss ich dich zu Alex Carhart senden, die über den Ozean in Amerika lebt.«

Ich schrie auf. »Alex ist ein Jungenname! Du weißt, ich muss zu dem jüngsten mündigen weiblichen Mitglied gehen!«

»Oh, Alex ist sehr wohl ein Mädchen. Ihr vollständiger Name lautet Alexandra.«

Ich verschränkte die Arme und sagte: »Wie töricht. Und außerdem will ich nicht gehen. Amerika ist zu weit weg. Und nicht nur das, bei all dem, was ich in deinem Fernseher gesehen habe, ist es ein wilder und barbarischer Ort.«

»Aber Roderick! Die Amerikaner sind keine Barbaren. Sie sind einfach nur … anders. Außerdem hilft es nichts, mein alter Freund. Ich werde diese Welt bald verlassen. Also wirst du zu meiner Groß-Groß-Nichte gehen müssen. Wie du wohl weißt, ist das keine Frage des Wollens, sondern eine Bürde, die unseren beiden Familien auferlegt wurde.«

Und das wiederum war nur zu wahr.

Aber wahr oder nicht, ich war nicht wirklich glücklich darüber. Kein vernünftiger Hauself wäre das. Mich selbst entwurzeln und Schottland verlassen, um dem Schrecken einer neuen Welt entgegenzutreten? Lieber würde ich mir meine Kleider vom Leib reißen, mich in Honig wälzen und in die Sonne legen, um mich von den Ameisen auffressen zu lassen. Obwohl ich mich nicht traute, vor Sarah einen Wutanfall zu bekommen, hatte ich einen gewaltigen, kaum dass ich wieder in meinem Heim unter der Treppe war – und zwar unter Hervorstoßen wilder Flüche und mit jeder Menge zerbrochenem Porzellan und Geschirr. (Meines, versteht sich, nicht Sarahs. Das würde ich NIE tun.)

Ich bereue diese Wutausbrüche hinterher jedes Mal. Aber wenn mich der Zorn überkommt, kann ich nicht viel dagegen tun. Üblicherweise ist ein Wutausbruch dann unvermeidlich.

Ich räumte alles wieder auf (das versteht sich von selbst!) und fühlte mich schlecht, weil ich überhaupt so eine Unordnung gemacht hatte. Sobald ich all die Scherben und Bruchstücke auf einen Haufen gekehrt hatte, lief ich so lange entgegen dem Uhrzeigersinn darum herum, bis ich schnell genug war, um sie verschwinden zu lassen.

Jetzt sind meine Regale völlig leer.

Wohlan. Ich hätte derlei Dinge sowieso nicht auf eine Reise wohin auch immer mitnehmen können. Einfach zu viel zu tragen.

Ich habe mich dazu entschlossen, durch das Verborgene Reich zu reisen. Trotz der dort lauernden Gefahren ist es für mich der schnellste Weg nach Amerika.

Was mir jedoch weitaus mehr Sorgen bereitet, ist die Sache mit dem Fluch. Es ist schon so lange her, dass er Wirkung gezeigt hat, dass ich hoffe, er hat sich verflüchtigt. Schließlich war ich niemals in einem Haus, in dem er Wirkung gezeigt hat. Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, vielleicht vermag er das große Wasser nicht zu überqueren?

Das wäre ein Segen. Aber, weh mir, ich bin mir ziemlich sicher, dass der Gedanke nichts als Wunschdenken ist.

Es wäre am besten, wenn diese Alex Carhart, die mir zugewiesen ist, keinen Bruder oder Vater in ihrem Haus hätte. Dann müsste ich mir erst gar keine Sorgen machen, da es dann niemand geben würde, der zu leiden hätte.

Ich frage mich, wie sie wohl ist. Ich hoffe doch sehr, dass sie ein ordentliches kleines Ding ist, eines, das einen Hauselfen und was er für sie tun kann zu schätzen weiß.

Absender:

Sheila Winterpooh

Montag, den 21. September

Lieber Mr und liebe Mrs Carhart,

Alex ist ein reizendes Mädchen und ich freue mich, sie in meiner Klasse zu haben.

Nichtsdestotrotz muss ich Ihnen mitteilen, dass ich in all meinen Jahren als Lehrerin noch nie eine Schulbank gesehen habe, auf der es so drunter und drüber zugeht wie auf ihrer.

Ich meine das im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Tisch quillt über vor lauter Blättern und, na ja, Krempel … Einiges davon ist ziemlich eklig. Auch wenn Alex meist ihre Hausaufgaben macht, braucht sie oft fünf bis zehn Minuten, bis sie das richtige Heft in diesem Chaos findet. Das heißt, wenn sie es überhaupt findet! Obwohl wir erst seit drei Wochen wieder Schule haben, habe ich bereits eine lange Liste von fehlenden Hausaufgaben, von denen Alex schwört, dass sie sie gemacht hat, die sie aber nicht auffinden kann.

Wenn sie ihre Hausaufgaben nicht abgibt, wird das ernste Folgen für ihre Noten in diesem Schuljahr haben.

Um weiterem Ärger vorzubeugen, hier eine Liste mit den nächsten wichtigen Abgabeterminen:

Autobiografie-Projekt

Fällig diesen Mittwoch. Alex hatte zwei Wochen Zeit, um daran zu arbeiten.

Buchbesprechung eines Romans nach Wahl

Fällig am Montag, den 5. Oktober

Referat

Fällig am Dienstag, den 20. Oktober

Könnten Sie bitte mit ihr darüber sprechen? Ich weiß mir keinen Rat mehr!

Mit freundlichen Grüßen

Fundort: zuunterst in Alex Carharts Rucksack

Montag, 21. September

Als ich heute Morgen zu Sarah ging, sagte ich zu ihr: »Meinst du, du könntest mich per Post nach Amerika schicken? Es könnte sicherer sein.«

Erst lachte, dann hustete sie. Während sie an dem Toastbrot knabberte, das ich ihr gebracht hatte, sagte sie: »Keineswegs, ganz schlechte Idee, Roderick.«

»Und warum?«

»Nun, zuallererst, wie stellst du dir das mit dem Essen und Trinken vor … mal abgesehen davon, was nach dem Essen und Trinken kommt?«

»Ich kann meine Blase eine erstaunlich lange Zeit kontrollieren«, entgegnete ich steif.

Sarah lachte erneut, aber diesmal röchelnd und schwach. »Und wer soll dich einpacken? Ich bin dazu nicht in der Lage, wie du sehr wohl weißt.«

Also schauten wir einen alten Film auf ihrem kleinen Fernsehapparat. Wir sehen uns meistens alte Western an, daher weiß ich auch, dass Amerika wild und barbarisch ist.

Irgendwann im Laufe des Films schlief Sarah ein. Sobald sie diese für alte Damen typischen Schnarchlaute von sich gab, eine Art Phü-tütütü (ein niedliches Geräusch), ging ich nach unten, wo ich zwei sehr unangenehme Stunden mit dem Versuch verbrachte, mich selbst zu verpacken.

Ich werde kein weiteres Wort über die demütigende Erfahrung des Scheiterns verlieren, außer, dass Paketklebeband und lockiges braunes Haar keine gute Kombination sind.

Nachdem ich mich von einem weiteren Wutanfall erholt hatte, hörte ich, wie die Haustür geöffnet wurde. Es war Barbara von nebenan, die jeden Nachmittag nach Sarah schaut.

Ich hörte, wie sie die Treppe hinaufpolterte.

Barbara ist wirklich eine nette Frau, aber sie poltert nun einmal.

Nach ungefähr zwanzig Minuten verspürte ich einen Stich in meinem Herzen, und ich hörte, wie Barbara zu weinen anfing. Dieses mit Trauer erfüllten Weinens hätte es aber gar nicht bedurft, ich wusste auch so, dass Sarah von uns gegangen war. Ich hatte gefühlt, wie das Band zwischen uns in dem Augenblick zerriss, als sie aus dieser Welt trat. Und das bedeutete, ich würde morgen und keinen Tag später dieses Haus verlassen müssen.

Und das Ganze nur, weil Pa vor all diesen Jahren den Überbringer von Liebesbriefen für Ewan McDonagall spielen musste. Oh Pa! Warum konntest du es nicht einfach bleiben lassen?

Nun ja, dies alles ist sehr lange her. Im Hier und Jetzt muss ich es innerhalb von vierzehn Tagen schaffen, nach Amerika und zu meinem neuen Menschen zu kommen.

Keine Ahnung, wie das gehen soll.

Dienstag, 22. September

Gestern Abend klaubte ich das Wenige zusammen, das ich tragen konnte – ungefähr die Hälfte meiner Kleidung, dieses Tagebuch, einen zusätzlichen Hut und meine paar Klumpen Gold – und verstaute alles in meiner Tasche. Dann verschloss ich sie so, dass es vor Wind und Wetter geschützt war.

Damit sie nicht entdeckt werden konnten, entfernte ich den Rest meiner Besitztümer aus dem Haus, so wie es Brauch und Gesetz für jeden Hauselfen ist, wenn die Zeit des Abschieds gekommen ist. Das meiste habe ich zu Fergus gebracht. Die Dokumente, die mich binden, muss ich natürlich in meiner Tasche bei mir tragen.

Ich weiß so wenig über das, was mich erwartet. Hat jemals zuvor ein Hauself eine solche Reise auf sich nehmen müssen? Oder sind alle anderen meiner Art immer noch wohlbehütet hier in Schottland?

Ich ahne, dass eine Zeit der Einsamkeit vor mir liegt. Halt, Roderick! Zerfließe jetzt nicht in Selbstmitleid! Das gehört sich nicht für einen Hauselfen.

Als alles an Ort und Stelle war, setzte ich mich hin und wartete bis die Sonne unter- und der Mond aufgegangen war und die Welt friedlich und ruhig dalag. Dann kroch ich langsam durch den engen Tunnel, den ich vor so langer Zeit gegraben hatte und der mich neben der Hecke hinter Sarahs Cottage wieder ins Freie führte. Dort, neben einem hängenden Farn, stand ich nun, blickte zurück und schwelgte in Erinnerungen.

Man hatte mich gelehrt, dass ein Hauself nach seinem hundertsten Geburtstag keinen Grund mehr für Tränen hätte. Trotzdem vergoss ich ein paar für meine gute, alte Sarah.

Für mich selbst auch, glaube ich – wenn ich ehrlich bin.

Als ich es nicht länger hinauszögern konnte, ging ich auf geheimen Wegen zum Haus des Gebets. Ich ging natürlich nicht hinein. Meine Art ist dort in der Regel nicht willkommen. Stattdessen wanderte ich entgegen dem Uhrzeigersinn drei Mal um das Gebäude herum. Nachdem ich die dritte Runde beendet hatte, glitt ich von der Menschenwelt hinüber in das Verborgene Reich.

Für diejenigen, die sich damit nicht auskennen, sollte ich ein oder zwei Dinge darüber erzählen, was es mit dem Reich auf sich hat.

Zuerst einmal ist es irgendwie mit den Menschen verbunden, denn dort, wo Menschen sind, scheint es am stärksten greifbar und real … allerdings nicht, wenn es zu viele Menschen sind. Aus Gründen, dir mir verborgen sind, ist die Gegenwart des Reiches schwächer in Städten und stärker in der Nähe von Dörfern und Farmen.

Zweitens, erstreckt sich nicht viel vom Reich dorthin, wo Meer ist, weil dort keine Menschen leben. Aber die Wesen der See – das Meeresvolk, die Selkies und so weiter – brauchen einen Ort, an dem sie sich aufhalten können. Genauso wie die Meeresungeheuer. Deshalb gibt es in der Tat ein Meer innerhalb des Verborgenen Reiches, nur eben nicht so groß und weit wie das in der Menschenwelt.

Wie das geht, weiß ich nicht.

Wie dem auch sei, mein Plan besteht darin, mich an den Rand dieses Schattenmeeres zu begeben und dann jemanden mit Flügeln zu suchen, der mich auf die andere Seite trägt.

Aber ach, ich habe nur wenig, womit ich handeln kann. Ich hoffe, ich muss keine allzu großen Versprechungen machen im Gegenzug für einen derartigen Gefallen. Es wäre ein bindender Vertrag, und ich habe schon den Fluch, der mich bindet und mit dem ich mich herumschlagen muss.

Auf geht es also zu meiner neuen Wirkungsstätte.

Ich hoffe, es wird ein friedvoller und wohnlicher Ort sein. Darüber hinaus hoffe ich auch, dass es ein Heim sein wird, ein echtes Heim; denn danach sehne ich mich am meisten.

Und hoffentlich gibt es dort keine Katzen.

Happy Haustiere Tierarztpraxis2929 Meadowbrook Road, New Glasgow, CT

23. September

Sehr geehrte Mrs Carhart,

wir haben in der Praxis abgestimmt, und ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Bubbles nicht länger als Patient akzeptieren können.

Die Verletzungsrate nach einem Besuch Ihres Katers ist schlichtweg so hoch, dass drei meiner Helferinnen gedroht haben, sofort zu kündigen, sollte ich »diese blutrünstige Bestie« (wie sie Bubbles nennen) noch einmal über die Schwelle lassen.

Ich wünsche Ihnen viel Glück auf der Suche nach einem neuen Tierarzt für Bubbles. Er ist ein Prachtexemplar von einem Kater. Mögen Ihnen noch viele glückliche Jahre mit ihm als Ihrem tierischen Begleiter vergönnt sein.

Mit den besten Grüßen

Elaine Coulter, Dr. med. vet.

Mittwoch, 23. September

Fühle mich schon besser heute. Ich habe eine freundliche Kröte getroffen – die werden wirklich riesig hier im Verborgenen Reich – und sie hat mir angeboten, mich auf ihrem Rücken mitzunehmen, wenn ich ihr im Gegenzug dafür drei Geschichten und ein Gedicht schenke.

Auf mein Talent Geschichten zu erzählen bin ich recht stolz, und so habe ich ihr gerne die Geschichte erzählt, warum ich an die MacDonagalls gebunden bin, die schottische Ballade von »Tam Lin« und zum Schluss noch »Thomas, der Reimer«.

Auf dem Rücken einer Kröte zu reisen ist nicht die angenehmste Form der Fortbewegung, bei all dem Gerüttel und Geschüttel. Immerhin beschleunigte es mein Fortkommen erheblich, was nicht zu verachten war.

Es war wirklich ein feines Exemplar einer Kröte, und es war eine Erleichterung, dass sie mir half.

Die Zeit drängt.

Mir bleiben nur noch neun Tage, um mein Ziel zu erreichen.

ZurEnzyklopädie des Verborgenen

Die Enzyklopädie des Verborgenen ist der maßgebliche Führer zu den Völkern, Orten und der Geschichte des Verborgenen Reiches.

Alle Einträge wurden von anerkannten Wissenschaftlern des Reiches geschrieben und bieten klare und detaillierte Informationen zu allen erdenklichen Themen.

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Die Herausgeber

Aus der Reklame und Ankündigung der elften Ausgabe

Autobiografischer Aufsatz

Von Alex Carhart

Mein Name ist Alex Carhart. Ich bin elf Jahre alt.

Ich wurde im März geboren. Mein Vater sagt gerne, dass das gepasst hat, weil ich »wie ein Wolf zur Welt gekommen bin« und es das alte Sprichwort gibt: »Der März soll wie ein Wolf kommen und wie ein Lamm gehen«.

(Mein Vater hält sich für sehr witzig.)

Wenn ich groß bin, will ich Künstlerin werden.

Meine Familie lebt schon immer im selben Haus und darüber bin ich froh. Ich bin gerne hier. Außerdem müsste ich mein Zimmer aufräumen und meine Sachen zusammenpacken, wenn wir wir umziehen sollten, und das wäre ganz schön ätzend.

Ich lese sehr gerne, aber ich bin auch sportlich und ich mag Fußball.

Ich habe lange rote Haare, die ich meistens zu Zöpfen flechte. Wenn ich sie aufmache und bürste, sagt mein Vater, dass ich wie ein lebendiger Sonnenuntergang aussehe.

Er sagt auch, dass meine Haare mein krönender Abschluss seien. Darauf bin ich stolz.

Ich habe einen älteren Bruder, der Bennett heißt. Genau wie ich hat er rote Haare. Allerdings flechtet er sie nicht zu Zöpfen wie ich. Wir haben es beide satt, Rotschöpfe genannt zu werden. Es ist haaristisch (dieses Wort habe ich erfunden) und die Leute sollten einfach damit aufhören.

Bennett läuft gerne und er ist spitze in Leichtathletik und Fußball. Außerdem ist er besessen von Comics. Er hat eine Riesencomicsammlung. Ich darf keins davon lesen oder auch nur anfassen. Er sagt, dass ich sie schmutzig machen und durcheinanderbringen würde. Das nervt mich.

Er nennt mich Al, was ich irgendwie mag, aber auch irgenwie hasse. Und manchmal nennt er mich auch Allie, was mir nichts ausmacht.

Ich habe auch noch eine kleine Schwester. Sie heißt Destiny.

Das ist ein Familienscherz. Meine Eltern hatten nicht vorgehabt, nach mir noch Kinder zu bekommen. Ich finde, das war vernünftig, denn ein Junge und ein Mädchen sollten eigentlich ausreichen. Laut meiner Mutter ist Destiny „einfach passiert“.

Also echt.

Genauso gut hätte sie sagen können, dass der Storch sie gebracht hat.

Aber egal, meine Eltern haben entschieden, dass es ihr Schicksal gewesen sei, noch ein drittes Kind zu bekommen, und deswegen haben sie sie Destiny genannt.

Ich persönlich bin froh, dass es passiert ist. Ich liebe meine kleine Schwester. Sie geht in die Vorschule und ist sehr niedlich. Wie ich und Bennett hat sie rote Haare. Ja, kriegt euch wieder ein!

Das Interessanteste an Destiny ist, dass sie einen unsichtbaren Freund namens Herbert, den Kobold hat. Ich finde das saukomisch. Meine Eltern haben bei einem PsüchiataPsichiata Doktor nachgefragt, und er hat ihnen gesagt, dass sie nicht verrückt ist.

Wir waren alle froh, das zu hören.

Mein unvergesslichstes Erlebnis hatte ich, als wir in Disney World waren und Bennett sich im Space Mountain übergeben musste. Er wird immer noch wütend, wenn ich davon anfange. Wahrscheinlich sollte ich es nicht komisch finden.

Aber das tue ich.

Meine Mutter arbeitet im Altenheim Happy Oaks. Ich glaube, sie mag ihren Beruf. Aber ich weiß, dass er sie manchmal auch traurig macht. Denn wenn jemand nach Happy Oaks kommt, dann findet sein oder ihr nächster Umzug normalerweise in einer Holzkiste statt.

Mom sagt, dass ihre schlimmsten Patienten die sind, die immer verbitterter werden, je älter sie werden, und ihre besten die, die das Leben trotzdem irgendwie lieben, egal wie alt und müde sie sind. Ihre Lieblingspatientin ist die Älteste im Heim. Sie ist so alt, dass niemand ihr wirkliches Alter kennt, weil in ihren Papieren wohl ein ziemliches Chaos herrscht. Mom nennt diese Frau ihr »glückliches Geheimnis«.

Mein Vater ist vereidigter Rechnungsprüfer und die meisten Leute halten ihn deswegen für einen „Erbsenzähler“ und für langweilig und nüchtern. Das stimmt nicht. Dad schreibt gerne Songs mit seinem Freund Pete. Dad schreibt die Noten und Pete kümmert sich um den Text. Ein paar ihrer Lieder sind ziemlich gut, vor allem das über zwei Kraken, die versuchen, Walzer tanzen zu lernen. Das bringt mich immer zum Lachen.

Ich glaube, insgeheim wäre Dad lieber Musiker als Rechnungsprüfer.

Ich fänd’s auch cool.

Das ist also meine Familie und so sieht mein Leben aus. Mir gefällt es ziemlich gut, und ich bin froh, ich zu sein.

Ende

PS Ich hätte das getippt, aber Bennett hat sich den Computer gekrallt.

26.9.

Alex,

das ist recht gut, wenn auch ein bisschen kurz. Deine Familie klingt sehr nett.

Leider musste ich mehrere Punkte abziehen, weil du zwei Tage zu spät abgegeben hast.

Außerdem habe ich fünf Punkte wegen des Ketchupflecks abgezogen. (Ich hoffe doch sehr, dass es Ketchup war!)

Mrs W.

Samstag, 26. September

Ich bin nun schon drei Tage lang am Ufer des Meeres und muss noch immer ein geflügeltes Wesen finden, das mich auf die andere Seite trägt. Verfluchte Flibbertigibbets! Nicht nur ihre Flügel haben Federn. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie die auch im Hirn haben.

Wenn ich doch nur sagen könnte: »Sei’s drum. Wenn mich niemand hinüberbringen möchte, muss ich eben hierbleiben.« Wohlan, das kann ich nicht. Mit jedem Tag, der vorüberstreicht, wächst ein Schmerz in mir, als ob ein grässlicher Wurm an meinen Eingeweiden nagt. Ich weiß natürlich, dass es kein Wurm ist. Es ist der Fluch der Königin, der an mir nagt. Wie sehr ich mich auch danach sehnen mag, in Schottland bleiben zu können, muss ich doch das Meer überqueren und den Weg zu meiner neuen Bestimmung finden.

Enzyklopädie des Verborgenen

Selkie

Das Selkie-Volk lebt in den kalten nördlichen Gewässern um die Inseln von Großbritannien herum. Sie treten in zwei Erscheinungsformen auf. Im Meer sind sie Seehunde und bewegen sich mit ihren glatten fellbesetzten Körpern schnell und geschmeidig durch das Wasser. Aber wenn sie an Land gehen, legen sie diese Haut ab und offenbaren ihre menschliche Gestalt, die im Allgemeinen ziemlich schön ist.

Sollte jemand die Haut einer Selkie erbeuten, befindet sich das Wesen dann in der Macht seiner Eroberin oder seines Eroberers, und so manche Geschichte wird erzählt von weiblichen Selkies, die gezwungen waren, einen Menschenmann zu heiraten. Einige dieser Ehen sind glücklich, andere nicht, aber stets sehnt sich ein Teil des Selkieherzens zurück ins Wasser, um wieder als Seehund im Meer zu leben.

Eine Menschenfrau kann einen männlichen Selkie herbeirufen, indem sie bei Flut sieben Tränen ins Meer vergießt. Obwohl diese Meeresmänner tendenziell sehr attraktiv sind, gehen solche Zusammentreffen im Allgemeinen nicht gut aus.

Abelard Chronicus, Zwerg