Grenzen des Elends - Amílcar O. Herrera - E-Book

Grenzen des Elends E-Book

Amílcar O. Herrera

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Beschreibung

Der erste Bericht an den "Club of Rome" (unter dem Titel "Grenzen des Wachstums"), versuchte zu beweisen, daß exponentielles Wirtschaftswachstum zur Katastrophe führt. Die Forschungsgruppe aus BARILOCHE (Argentinien) beweist mit ihrem Weltmodell, daß die Katastrophe nicht eintreten muß, wenn die menschlichen Grundbedürfnisse überall befriedigt werden. Das bedeutet Beseitigung des Elends in den unterentwickelten Ländern und Beseitigung der Verschwendung in den entwickelten Ländern. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Amílcar O. Herrera | Hugo D. Scolnik u.a.

Grenzen des Elends

Das BARILOCHE-Modell: So kann die Menschheit überleben

Aus dem Spanischen von Otto Janic

FISCHER Digital

Mit einem Vorwort von Peter Menke-Glückert

Inhalt

Die AutorenVorwort Das Bariloche-Modell: Eine Chance zum Überleben (Peter Menke-Glückert)EinleitungDie Autoren dankenDie Problemstellung1. Kapitel Die heutige Welt: Elend und ÜberkonsumDie Natur der KriseDer sozio-politische Rahmen2. Kapitel Eine Welt für alleDie empfohlene GesellschaftDie Weltordnung3. Kapitel Die physischen Grenzen der EntwicklungNicht regenerierbare RohstoffeDie Theorie von der Verknappung der RohstoffvorräteDie Verfügbarkeit von Rohstoffvorräten in der vorausschaubaren ZukunftDie Bedingungen der Herstellung von EnergieUmweltverschmutzungSchlußfolgerungen4. Kapitel Das mathematische ModellWas ist ein mathematisches Modell?Ein einfaches Beispiel für ein mathematisches ModellDie Elemente des mathematischen BARILOCHE-ModellsDie Produktionsfunktion von Cobb-DouglasDer technologische FortschrittDie Einteilung der Welt in RegionenInternationale WirtschaftsbeziehungenDie Funktionsweise des ModellsDie vorgeschlagene Sozialpolitik und der Optimierungsprozeß5. Kapitel Demographie und GesundheitswesenDemographie und wirtschaftliche EntwicklungDas Bevölkerungs-SubmodellGesundheitswesen6. Kapitel ErnährungLandwirtschaftErtragDie Kosten der landwirtschaftlichen InvestitionenTierische ProduktionFischereiproduktionWelche Ernährungsnorm?7. Kapitel Wohnung und UrbanisierungUrbanisierung und ihre FolgenUngenügende Wohnungen für fast 2 Milliarden Menschen8. Kapitel BildungPermanente Bildung – ein neues BildungsverständnisDas Mindest-Bildungsniveau des ModellsQualitative Aspekte der BildungNeue Dimensionen des Bildungskomplexes und Einführung eines Bildungs-MakrosystemsFormalisierung des Sektors im Modell9. Kapitel Die materielle Machbarkeit der vorgeschlagenen GesellschaftModellaussagen für entwickelte LänderDie Modellaussagen für LateinamerikaDie Modellaussagen für AfrikaDie Modellaussagen für AsienWirtschaftswachstumWeltbevölkerungWirtschaftsindikatoren und LebensstandardTechnologischer Fortschritt und sozio-ökonomische ZieleInternationale SolidaritätBefriedigung der Grundbedürfnisse und Verteilung des EinkommensSchlußfolgerungenAnhangWeitere AutorenKonsultativausschußDas Projekt-TeamDie Mitarbeiter des Teams

Die Autoren

Graciele Chichilnisky

Gilberto C. Gallopin

Jorge E. Hardoy

Amílcar O. Herrera

Diana Mosovich

Enrique Oteiza

Gilda L. de Romero Brest

Hugo D. Scolnik

Carlos E. Suárez

Luis Talavera

Verfasser des Textes Amílcar O. Herrera

Hinweise über die weiteren Mitarbeiter finden sich im Anhang

Die Fundación Bariloche (Stiftung BARILOCHE), Argentinien, hat die Schirmherrschaft über diese Arbeit übernommen. Sie legt ausdrücklichen Wert auf die Feststellung, daß die Autoren die Niederschrift in voller akademischer Freiheit besorgten; deshalb werden ihre Meinungen nicht unbedingt von der Fundación geteilt.

Vorwort

Das BARILOCHE[1]-Modell: Eine Chance zum Überleben

Das BARILOCHE-Welt-Modell ist der erste Entwurf einer Strategie zur Bekämpfung von Elend, Hunger, Unterernährung, Verweigerung einfachster Menschenrechte bei zwei Dritteln der Erdbevölkerung. Das Modell ist bewußt politisch, einseitig, konsequent sozialistisch und beruht auf lateinamerikanischen Erfahrungen. Es will nicht Trends beschreiben, sondern politische Entwicklungsziele postulieren; nachgewiesen wird, was die absoluten Grenzen zumutbaren Elends sind – angesichts vorhandener gewaltiger Hilfsquellen an Bodenschätzen, Energie, intellektuellen Potentials der Menschheit.

Lösungswege sollen abgesteckt, nicht nur Analysen gegeben werden. Das BARILOCHE-Weltmodell ist geschrieben von Forschern aus Entwicklungsländern für Probleme der Entwicklungsländer.

Jedes Modell muß einseitig sein, will es Bewußtsein schaffen, die Politik auf Wesentliches stoßen. Modelle geben immer einen Ausschnitt der Wirklichkeit – unter didaktischen Gesichtspunkten. Die BARILOCHE-Gruppe hält »Einkommen« für ein überbewertetes Konzept. Erst wenn die im Modell beschriebenen Grundbedürfnisse befriedigt sind, kann von gerechter, erwünschter, wachstumsbetonterer, unbefriedigender Einkommensverteilung gesprochen werden.

Das Modell berücksichtigt nur objektive Lebensqualität – nicht die subjektive, sie soll in einem zweiten Modell berücksichtigt werden.

Von Minima – nicht von Maxima wird gesprochen; vom unbedingt Notwendigen, nicht vom Wünschbaren.

Das BARILOCHE-Weltmodell ist ein Entscheidungs-Modell. Es will helfen, Ziele der Politik zu formulieren. In dieser Motivation, aber auch in der Auswahl der Parameter des Modells unterscheidet es sich von den Weltmodellen des Club of Rome.

Die Unterschiede zwischen dem BARILOCHE-Modell und den Club-of-Rome-Modellen bestehen in den folgenden wichtigen Punkten:

CLUB OF ROME

BARILOCHE

 

 

1. Notwendigkeit, entwicklungsgerechte Normen zu setzen, als Ergebnis der Arbeit am Modell

Normen als Eingabe zu Beginn der Arbeit am Modell

2. Grenzen des Wachstums bedingt durch Endlichkeit natürlicher Hilfsquellen

Grenzen des Wachstums bedingt durch sozioökonomische und politische Faktoren

3. Bevölkerungswachstum – unabhängige Variable

Bevölkerungswachstum – abhängige Variable

4. Kapital als bedeutendster Produktionsfaktor

Arbeit und Kapital als gleichbedeutende Produktionsfaktoren

5. Theoretischer Ansatz: Klassische Ökonometrie

theoretischer Ansatz: konstruktive Zukunftsforschung

6. Ziel: Krisenvermeidung

Ziel: Stufenplanung mit festen Etappenspielen für die Entwicklungspolitik

7. technisch-ökonomischer Fortschrittsbegriff

sozialer Fortschrittsbegriff

8. Europäisch-amerikanischer Technologie-Begriff: uniforme Groß-Technologie mit Tendenz zu Konzentration und Zentralisierung

Pluralität kleiner oder »sanfter« Technologien je nach regionaler Besonderheit mit Möglichkeit der Dezentralisierung und kultureller »Autonomie«

Die Haupthindernisse bei der Fortentwicklung der Menschheit sind nach Ansicht der BARILOCHE-Gruppe nicht ein beschränkter Vorrat an Ressourcen, sind nicht der Mangel an Nahrungsmitteln und sind nicht fehlende Produktivität. Die Haupthindernisse sind allein politischer Art. Es ist unsere derzeitige Machtverteilung, unser aller Abhängigkeit von den gewohnten Machtstrukturen und den damit verbundenen Annehmlichkeiten unserer Industriekultur, die es sehr schwierig machen, zu sozialen Minima als garantiertes Menschenrecht für jeden Erdenbürger zu kommen. Wir haben auf der Erde die Produktionskapazitäten, wir haben die Talente und wir haben die Technologie, jedem Menschen auf diesem Planeten ein Existenzminimum zu garantieren. Aber wir haben nicht die politischen Systeme und Planungsverfahren, um diese Ziele zu erreichen. Mit den wirklich dringenden Problemen der Entwicklungsländer hat sich die Zukunftsforschung bisher nicht beschäftigt. Prophezeite Öko-Katastrophen und andere Krisengemälde – wie z.B. im ersten Bericht des Club of Rome – sind keine Grundlage für Überlebensstrategien der dritten und vierten Welt.

Zukunftsforschung geht immer noch aus einer gewissen Situation der Stabilität hervor, das heißt, Zukunftsstudien gehen meist noch aus der Wohlstandsgesellschaft amerikanisch-angelsächsischer Prägung hervor – aus einer Gesellschaft des Übermaßes und Überdrusses.

Wenn man sich aber in einer sehr schwierigen Lage befindet, wie die anderen zwei Drittel der Welt, dann hat man keine Zeit, sich mit all den wissenschaftlichen Welt- und Spielmodellen zu beschäftigen, die häufig als Ersatz für weltwirtschaftliche Entscheidungen von vielen Regierungen angesehen werden.

Um den Gedanken des sozialen Minimums in die Tat umsetzen zu können, braucht es weit mehr als das abstrakte akademische Gespräch. Jeder Wissenschaftler und Politiker, der für soziale Minima eintritt, muß sich klar darüber sein, daß man Gegenmacht besitzen muß, wenn man Interessenmacht bezwingen möchte. Ein sehr langer Marsch durch nationale und internationale Institutionen ist tatsächlich notwendig.

Die Denkweise der Menschen zu ändern ist eine Art, Probleme zu lösen, rascher wirkendes Krisen-Management eine andere. Die Kultur-Revolution in China ist Beispiel für das erste Modell einer Änderung der Art und Weise, in der Menschen leben, denken, handeln. Frau Ghandis Rückgriff zu Praktiken der Diktatur Beispiel für das zweite Modell hektischen Ad-hoc-Krisen-Managements. Wer besser fährt – Indien oder China, wird die Geschichte zeigen.

Soziale Minima sind bei uns in einem satten reichen Land vorerst nur Theorie, oft sogar verlachte Utopie. Notwendig ist aber, ihnen einen rechtlichen Charakter zu geben, das heißt, durch Gesetze soziale Minima wirklich zu gewährleisten.

Ein Beispiel: In Deutschland wurde die Kinderarbeit abgebaut und abgeschafft in der Zeit zwischen 1873 und 1890. Vor nicht einmal hundert Jahren haben die Kinder in England oder Deutschland bis zu 14 und 18 Stunden täglich gearbeitet. Belege sind bei Charles Dickens, Max Weber oder Friedrich Engels zu finden. Heute ist die Kinderarbeit abgeschafft, und wir haben heute als ein selbstverständliches soziales Minimum des Kinderschutzes in den meisten Industrieländern. Oder nehmen wir das Problem der Arbeitsschutzbestimmungen in den Fabriken. Vor einigen hundert Jahren war es unmöglich, an viele Sicherheitsvorschriften auch nur zu denken. Heute nimmt man riesige Investitionen auf sich, und Sicherheit am Arbeitsplatz wurde zu einem garantierten sozialen Minimum, zu einem ganz normalen Teil unserer Investitionen und Industrieplanung.

Die Theorie der menschlichen Grundbedürfnisse und sozialen Minima geht uns durchaus an. Nach Jahren ungehemmten Wachstums und technokratischen Über-Planens, sehr oft nicht auf klaren Vorstellungen über Grundbedürfnisse der Bürger basierend, entdecken wir wieder die alte Weisheit, daß optimale Ziele sehr oft hinter dem Möglichen, dem Erreichbaren, zurückbleiben. Ein Beispiel dafür ist die Bildungsplanung. Die Forderung nach 100 Milliarden Mark pro Jahr für Bildungsausgaben, das sind 8 bis 9 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes, war übertriebenes Optimum-Denken – auch in Relation zu anderen gleichwertigen Zielen wie Umwelt, Forschung, soziale Sicherheit. Aufstellen von Minimalerfordernissen, Kleinlösungen und Ausnutzen bereits vorhandener Bildungspotentiale sind nie definiert oder versucht worden. Wissenschaftliche Museen, kommunale Krankenhäuser (statt aufwendiger Universitätskliniken) oder die Einrichtungen für Erwachsenenbildung geben billigere und oft auch praxisnähere und effizientere Wege, Erziehung und Bildung zu vermitteln. Wir kennen nur noch das Konzept sehr teurer Forschungs-Universitäten, die für jeden Studenten über 200000DM als durchschnittliche Aufwendung für den Studienplatz kosten. Es wird auf diese Weise natürlich niemals möglich sein, jedem jungen Menschen, der studieren möchte, die Möglichkeiten und Chancen zu bieten, die er tatsächlich braucht. Warum soll es nicht private Stiftungsuniversitäten, kommunale Hochschulen, Abend- und Fernseh-Universitäten, Gewerkschafts-Universitäten, von Unternehmern getragene Ausbildungseinrichtungen unterschiedlichster Art und verschiedensten Niveaus wie in vielen anderen Ländern geben? Selbst in unseren reichen Ländern brauchen wir dieses Konzept eines sozialen Minimums, um für eine möglichst große Anzahl unserer Bürger bessere Chancen der Entfaltung ihrer Talente und Fähigkeiten zu ermöglichen.

Neben diesem ökonomischen Argument des gesunden Menschenverstandes gibt es ein zweites Argument, warum wir soziale Minima brauchen: Es gibt ein grundlegendes, unabdingbares Recht jedes Menschen, Selbsterfüllung zu verlangen und als einzelner Mensch in seiner Würde als Individuum respektiert zu werden. Jeder Mensch ist gottähnlich, hat die »scintilla dei«, den göttlichen Funken in sich, sagt das Christentum. Was wir heute brauchen, um diesen alten Grundgedanken des Menschenrechts auf Respektierung unverwechselbarer Individualität neu zu definieren, ist eine neue internationale Wirtschaftspolitik. Und das ist die Essenz der Probleme, daß die internationalen Gesellschaften, also die Staaten und Großkonzerne aus einzelnen Menschen und nicht abstrakten Zahlen und Organisationen bestehen. Wir brauchen neue Formen des gesetzlichen Schutzes für diese grundlegenden Menschenrechte, nicht nur vor bürokratischen Übergriffen.

Auf diese Notwendigkeit macht das BARILOCHE-Modell in vielen Einzelbeispielen aufmerksam.

Es gibt neue Gefahren für die Menschenrechte. Rechtlich garantierte Minima als Grundlage der Wirtschaftspolitik haben es schwer, als Gedanke ernst genommen zu werden, dies allein schon wegen der »Revolution steigender Erwartungen«. Unsere Industriekultur hat den Wohlstandsinfarkt. Wir haben sehr mächtige Interessenverbände wie Unternehmerzusammenschlüsse, Gewerkschaften, die Industrievereinigungen, Lobbyisten jeder Couleur, multinationale Konzerne und die heimliche Verführung und Verlockung der Konsumgesellschaft. Kommunikation wird manipuliert und gestört.

Der Staat und die internationale Rechts- und Solidargemeinschaft werden als Beschützer der Menschenrechte mehr denn je gebraucht. In Fortführung des Gedankens der Französischen Revolution müssen die Menschenrechte um eine soziale Dimension erweitert und international verbindlich werden. Noch ist diese Art des Denkens in gesetzlichen Begriffen nur elitärakademisch und lediglich theoretisch.

Ist sich die Mehrheit auch unserer Bevölkerung der Problematik des sozialen Minimums angesichts weltweiter Rezession, zunehmender struktureller Arbeitslosigkeit auch bei uns und schrumpfenden Bruttosozialprodukts in vielen Ländern der Erde bewußt? Hat das Bewußtsein alle Teile der Bevölkerung erreicht, besonders in der Mittelschicht, daß die Zeit ungehemmten Wachstums auch in reichen Ländern vorbei ist? Sind wir bereit, alle zurückzustecken, um des Überlebens des Weltwirtschaftssystems willen? Haben wir den politischen Willen für einen Welt-Lasten-Ausgleich? Oder werden sich nicht viele – besonders in den Mittelschichten – energisch gegen Einfrieren oder sogar Schmälerung ihres Besitzstandes wehren, um anderen irgendwo in der Welt ein soziales Minimum zu garantieren?

Der amerikanische Professor Heilbroner hält angesichts der »Bewußtseinslücke« in den Mittelschichten in allen Industriestaaten Diktaturen und faschistische Änderungen auch in den großen westlichen Industriestaaten für unvermeidlich, soll ein Kollaps des Weltwirtschaftssystems vermieden werden.

Bis Ende 1978 müssen sich die öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland Bahn und Post auf etwa 300 Milliarden in unserem Lande verschulden. Minima-Konzepte sind auch für das Überleben unseres Systems sozialer Sicherung dringend, z.B. Abbau des Personals im öffentlichen Dienst, Selbstbeteiligung zu Krankenkosten. Immer noch gibt es ein »Neid-Syndrom«: Was andere haben, muß ich auch haben. Jeder will das Häuschen im Grünen, hohen Verdienst und Zweitwagen. Doch gibt es nicht Wichtigeres als diese Optima? Müssen wir nicht erst einmal die biologische Existenz sichern? Die Gewährleistung des sozialen Minimums reicht vom sauberen Trinkwasser und der Atemluft über tägliche Mindesteinnahme von Kalorien und Proteinen bis zu gesunden Wohnungen. Diese Minima müssen in Zukunft das Herzstück aller integrierten politischen Planungen jedes Staates bilden.

Auf der »Rome Future Research Conference« der Weltföderation für Zukunftsstudien 1974 wurde von »Life-boat-strategy«, »Überlebensstrategie« gesprochen. Die Trend-Analysen: Weltmodelle und langfristige Zielbündel des Club of Rome reichen nicht aus. Wir müssen, hypothetisch, auf die kommenden Krisen vorbereitet sein. Wenn die Krisen tatsächlich entstehen, ist es zu spät, »Überlebensstrategien« zu entwickeln. Wir brauchen synthetische Erfahrung von Weltmodellen und wirtschaftspolitischen Szenarios. Warten wir nicht auf die perfekten und optimalen Lösungen.

Der zielorientierte Entscheidungsansatz der Stiftung BARILOCHE ist praxisnaher und politisch durchdachter als der vieler anderer Weltmodelle. Carlos Mallmann, Herrera, Skolnik und die Stiftung Bariloche beginnen mit den grundlegenden Menschenrechten auf Nahrung, Gesundheit, Wohnen, Bildung. Ein genauer Zeitplan für die Entscheidungen, denen wir ins Auge sehen müssen, wird aufgestellt. Politiker erhalten eine Tagesordnung für künftige Maßnahmen. Wirtschaftspolitik und Technologiepolitik erhalten einen »challenge«, eine Herausforderung. Wir brauchen eine solche »challenge economy«, soll Entwicklungspolitik Erfolg haben und nicht Angelegenheit von Planzielen der Weltbanken, einzelner Ministerien oder Organisationen bleiben. Die Grundbedürfnisse der Menschen in Lateinamerika werden beispielhaft für alle Entwicklungsländer klar definiert.

Realistische Wege zur Erfüllung dieser Minimalbedürfnisse werden von der Bariloche-Gruppe vorgeschlagen, u.a. ein Konzept der weltweiten Verteilung der Kosten eines Weltlastenausgleichs, der nicht nur eine Politik zum Durchsetzen sozialer Minima ermöglichen würde, sondern auch neue Märkte, neue Formen der Weltwirtschaft schaffen würden, u.a. indem eine Lastenausgleichsgabe als eine Art Welt-Konjunktur-Abgabe angesehen wird, die ein Überhitzen der Konjunktur im Boom verhindert und in Zeiten der Rezession für Gegenmaßnahmen sorgen kann. Die Erfahrungen mit der deutschen Lastenausgleichsgesetzgebung könnten auf das weltweite BARILOCHE-Modell übertragen werden. Jeder vierte Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland ist Flüchtling und durch den Lastenausgleich in Höhe von über 90 Milliarden voll in die Wirtschaft eingegliedert worden.

Die BARILOCHE-Gruppe sagt, die Grenzen des Elends sind überwindbar. Das Elend wird genau vermessen, nachgerechnet, Etappenziele zur Überwindung werden definiert. Werden die im Bariloche-Weltmodell gesetzten Ziele erreicht, würde die Menschheit innerhalb von etwas mehr als einer Generation einen angemessenen Lebensstandard erreicht haben.

 

Peter Menke-Glückert

Einleitung

Die Anregung zu diesem Modell entstand 1970 in Rio de Janeiro während einer Tagung, die der Club of Rome gemeinsam mit dem Universitäts-Forschungsinstitut von Rio de Janeiro einberufen hatte, um das am Massachusetts Institute of Technology unter Leitung von Meadows entwickelte Modell World III[2] zu analysieren und zu erörtern. Das Resultat der Diskussion, bei der es um die Grundvoraussetzungen dieses Modells ging, bestand u.a. darin, daß eine Gruppe von lateinamerikanischen Teilnehmern die argentinische Fundación Bariloche beauftragte, unter Berücksichtigung der in der Diskussion vorgebrachten Gesichtspunkte ein eigenes Modell zu entwickeln.

Zur Festlegung der Richtlinien für das Projekt und um seine Verwirklichung in Gang zu bringen, konstituierte sich ein Komitee mit Carlos A. Mallmann, Jorge Sábato, Enrique Oteiza, Amilcar O. Herrera, Helio Jaguaribe und Osvaldo Sunkel. Die vier erstgenannten Mitglieder des Komitees erarbeiteten Ende 1971 ein erstes Dokument, in dem die später im Modell zu verwendenden Hypothesen und Variablen in allgemeiner Form vorgestellt wurden. Auf einer späteren Tagung, an der alle Komiteemitglieder sowie einige Fachleute teilnahmen, die danach der eigentlichen Autorengruppe angehörten, wurden endlich die Grundzüge des zu erarbeitenden Modells festgelegt. Hierbei wurden definiert: der Typ der neuen Gesellschaft, einer Gleichheits-, Vollbeteiligungs- und Nichtkonsumgesellschaft; der Begriff Grundbedürfnisse und deren zentrale Rolle im Modell; die Einführung einer Produktionsfunktion mit Austauschbarkeit zwischen Kapital und Arbeit, die Kriterien für die Behandlung der Probleme auf dem Gebiet der Naturschätze, der Energiegewinnung und des Umweltschutzes; schließlich die Aufteilung der Welt in Regionen.

Für die Durchführung der Arbeiten ernannte mich das Komitee zum Leiter des Projekts und beauftragte mich mit der Auswahl des Expertenteams, das daran teilnehmen sollte. In der Endphase des Projekts wurde Dr. Hugo Scolnik, der bei den Aufgaben der Projektleitung stets aktiv mitgewirkt hatte, zum alternierenden Leiter ernannt. In dieser Funktion betrieb er das Projekt während meiner siebenmonatigen Abwesenheit.

Die Liste der Autoren sowie die von ihnen übernommenen wichtigsten Aufgaben stehen auf den ersten Seiten dieses Buchs. Allerdings wird daraus nicht das Ausmaß der von jedem einzelnen geleisteten Arbeit erkennbar. Vielmehr sind die Hypothesen und die Grundphilosophie des Modells das Produkt einer umfangreichen, schwierigen Kollektivarbeit, wobei es nahezu unmöglich ist, den Beitrag jedes einzelnen abzugrenzen.

Obwohl die redaktionelle Bearbeitung des Buches mir oblag – ausgenommen das Kapitel über Bildung, das von G. Romero Brest redigiert wurde –, stellt sie gleichfalls in hohem Maße das Produkt kollektiver Bemühungen dar. Hierbei wurde so vorgegangen, daß die für jeden einzelnen Sektor erstellten Berichte sowie die Ergebnisse der ständig weitergeführten Diskussion über Inhalt und Bedeutung des Modells als Grundlage dienten. Der erste Entwurf wurde von allen Autoren analysiert, worauf unter Berücksichtigung der von ihnen vorgebrachten Einwände und Empfehlungen die endgültige Version formuliert wurde. Deshalb enthält der nachfolgende Text die Summe der Gedanken aller Autoren, obgleich dies nicht bedeutet, daß jeder einzelne mit allen bzw. mit jeder einzelnen der hier vorgetragenen Ideen einverstanden ist. Die teilweise vorhandenen Abweichungen, eine durchaus natürliche Sache innerhalb einer so großen Gruppe, wurden unter Berücksichtigung der Meinung der Mehrheit abgestimmt.

 

Amilcar O. Herrera

Die Autoren danken

Der größte Teil dieser Arbeit wurde von der Abteilung Sozialwissenschaften des kanadischen International Development Research Centre finanziert. Die Autoren möchten diesem Institut für seine materielle Unterstützung und die laufenden Anregungen bei der Verwirklichung des Projekts ihren ausdrücklichen Dank sagen.

Ferner möchten die Autoren danken:

■ den Organisationen der Vereinten Nationen (ILO, FAO, UNESCO, UNCTAD) für die gewährte Unterstützung mit Zahlen und Daten wie auch in Form von Diskussionen mit zahlreichen Experten über die verschiedenen Aspekte des Modells;

■ dem International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Wien, das im Oktober 1974 die erste internationale Präsentation der vorläufigen Ergebnisse des Modells organisiert hat;

■ dem Club of Rome für seine anfängliche Hilfe bei der Prüfung der Machbarkeit des Projekts sowie dafür, daß er den Autoren wiederholt Gelegenheit zur Vorstellung des Projekts anläßlich verschiedener eigener Veranstaltungen geboten hat;

■ dem CELADE (Centro Latinoamericano de Demografía/Lateinamerikanisches Demographisches Zentrum der Vereinten Nationen in Santiago de Chile) für einen Beitrag von zwei seiner Experten im Bereich Demographie;

■ dem Science Policy Research Unit (SPRU) der Universität Sussex für den freundlichen Meinungsaustausch seit 1972;

■ der Honeywell-Bull Argentina für ihre ständige Computer-Hilfe seit Beginn des Projekts;

■ der Xerox Argentinia für die Reproduktion des ersten Entwurfs dieses Buches;

■ dem Personal der Fundación Bariloche, insbesondere den Mitarbeitern des Rechenzentrums, für ihre Unterstützung bei der Arbeit an dem Modell.

■ Die Autoren möchten ebenso Dank sagen: dem Centro de Estudios Urbanos y Regionales (CEUR/Städtebau- und Gebiets-Planungsgruppe) beim Di Tella-Institut Buenos Aires für seine Mitarbeit am Sektor Wohnung und Urbanisierung, der Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) in Santiago de Chile sowie der Arbeitsgruppe Wohnungswesen, Bauten und Planung der Vereinten Nationen in New York.

■ Selbstverständlicher Dank gebührt dem Beitrag folgender Persönlichkeiten: Graciela Riquelme und María Teresa Fernández (Erziehung), Alberto Lapidus (Rohstoffvorräte), Victor Bravo (Energie), Carmen Arretz, Angel Fuccaracio, Alfredo Lattes und Paul Singer (Demographie), Marcos Kaplan (sozio-politische Aspekte).

■ Schließlich möchten die Autoren Juan Sourrouille für die Ausarbeitung der statistischen Informationen, die die Einrichtung der Datenbank gestatteten, sowie für die Beratung bei der Erstellung des Modells danken.

Die Problemstellung

Eine jede langfristige Prognose über die Entwicklung der Menschheit geht aus von einem auf ein System von Werten und auf eine konkrete Ideologie gegründeten Weltbild. Die Projektionsmodelle, die die Struktur der heutigen Welt und die sie tragenden Werte als etwas unverändert auf die Zukunft Übertragbares sehen, geben keine »objektive« Darstellung der Wirklichkeit, wie manchmal behauptet wird, sondern sie beziehen eine ideologische Position. Der Unterschied, der üblicherweise zwischen Projektions- und Normativmodellen gemacht wird, ist auf lange Sicht trügerisch.

Das hier vorgestellte Modell erhebt nicht Anspruch auf »Objektivität« im Sinne einer Wertungsneutralität, wie das Wort oft verstanden wird. Es zeigt, wie seine Autoren die Welt begreifen und wofür sie eintreten. Objektiv ist es in dem Sinne, daß es von einer realistischen und nüchternen Einschätzung der Probleme unserer gegenwärtigen Welt ausgeht, und daß es sich um Lösungen bemüht, die dank der in der Vergangenheit von der menschlichen Gesellschaft oft bewiesenen Fähigkeit zum Neuen, zum Wechsel möglich erscheinen. Es ist ein ausgesprochenes Normativmodell; sein Anliegen ist nicht, vorherzusagen, was geschehen wird, wenn die gegenwärtigen Trends der Menschheit bestehenbleiben, sondern es möchte einen Weg aufzeigen, der zum Endziel führen kann, das heißt zu einer Welt ohne Rückständigkeit und Elend.

Ein solches Modell kann nicht vollständig in einer formalisierten Struktur erscheinen; deshalb wird nur ein Teil des Modells formalisiert.

Das von diesem Modell vorgestellte Gesellschaftsprojekt ist die Antwort auf verschiedene Meinungen, vor allem in entwickelten Ländern, wonach das Hauptproblem der Menschheit heute die ihr von der natürlichen Umwelt auferlegten Grenzen seien. Nach dieser Auffassung muß bekanntlich das exponentielle Wachstum der Bevölkerung und des Konsums in naher Zukunft unvermeidlich zum Versiegen der auf der Erde vorhandenen Naturschätze führen. Aus gleicher Sicht stammt die Prognose, daß zwar die Naturschätze noch nicht in unmittelbarer Zukunft zu Ende gehen würden, jedoch die zunehmende Umweltverschmutzung innerhalb kurzer Zeit zum Zusammenbruch des Ökosystems führen werde. Das Endergebnis wäre stets das gleiche: katastrophaler Stillstand des Wachstums, verbunden mit Massensterben der Bevölkerung und Absinken des allgemeinen Lebensstandards.

Besonders einflußreiche Kreise in den entwickelten Ländern schlagen Lösungen vor, die davon ausgehen, daß das Hauptproblem im raschen Wachstum der Bevölkerung, vor allem in den unterentwickelten Ländern, liege. Dieses aufzuhalten, sei die unabdingbare Voraussetzung zur Vermeidung der Katastrophe. Die Kontrolle über die Umweltverschmutzung, der rationelle Umgang mit den Naturgütern usw. seien nur flankierende Maßnahmen. Das Wesentliche an dieser These ist die Tatsache, daß sie weder die zentralen Werte noch die Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft in Frage stellt, wenngleich sie bei einigen zweitrangigen Aspekten Zweifel äußert.

Demgegenüber ist die Position der Autoren des Modells grundverschieden, indem diese sagen, die Hauptprobleme unserer modernen Welt sind nicht physischer, sondern sozialpolitischer Natur, weil ihre Ursache in der ungleichen Machtverteilung sowohl im internationalen Rahmen wie innerhalb der einzelnen Länder liege, wodurch eine unterdrückte, entfremdete, weitgehend auf Ausbeutung gegründete Gesellschaft entstehe. Ferner vertreten sie die Ansicht, daß die Umweltverschmutzung nicht eine unvermeidliche Folge des menschlichen Fortschritts, sondern das Ergebnis einer weitgehend auf destruktiven Werten errichteten gesellschaftlichen Organisation sei.

Als Projekt einer neuen Gesellschaft geht das Modell davon aus, daß nur radikale Veränderungen im gesellschaftlichen und internationalen Gefüge unserer gegenwärtigen Welt die Menschheit endgültig von Rückständigkeit und Unterdrückung befreien können. Folglich wird ein Muster einer sozialistischen Gesellschaft vorgeschlagen, die auf Freiheit, Gleichheit und voller Beteiligung aller Menschen an den gesellschaftlichen Entscheidungen zu errichten ist. Der materielle Konsum und das wirtschaftliche Wachstum müßten so geregelt werden, daß diese Gesellschaft darüber hinaus auch umweltverträglich wäre.

Es genügt jedoch nicht, die ideale Gesellschaft nur zu beschreiben. Man muß auch nachweisen können, daß sie materiell wirklich lebensfähig ist. Dafür ist es vor allem notwendig, hieb- und stichfest zu belegen, daß Umwelt und Naturgüter in absehbarer Zukunft keine absolute natürliche Grenze setzen werden. Ferner muß nachgewiesen werden, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen der Verfügbarkeit von Kapital und Arbeitskraft, des Bevölkerungswachstums, der Anbauflächen usw. die verschiedenen Länder bzw. Regionen, vor allem die ärmsten unter ihnen, die angepeilten Ziele innerhalb einer zumutbaren Frist durchaus erreichen können. Das mathematische Modell wurde konstruiert, um diese Möglichkeit exakt zu erkunden. Anders ausgedrückt: der Modellentwurf ist die Empfehlung für eine neue Gesellschaft, und das mathematische Modell ist das Instrument, um seine materielle Machbarkeit zu prüfen.

Um zu beweisen, daß es in der Zukunft keine absoluten physischen Grenzen geben kann, wurden die heutigen Kenntnisse über sich nicht regenerierende Naturgüter, über Energiegewinnung und Umweltschutz analysiert.

Das mathematische Modell geht davon aus, daß die neue Gesellschaft als vordringlichstes Ziel des Produktivsystems die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Menschen betrachtet. Dazu gehören Ernährung, Wohnung, Bildung und Gesundheit. Die angemessene Befriedigung dieser Grundbedürfnisse ist unerläßliche Voraussetzung, damit ein Mensch sich in seiner jeweiligen sozialen und kulturellen Umwelt vollständig und aktiv integrieren kann. All dies reicht jedoch zum Aufbau einer auf Gleichheit und Freiheit begründeten Gesellschaft noch nicht aus; es ist zwar eine notwendige, aber zugleich ungenügende Vorbedingung.

Das mathematische Modell wurde um die Befriedigung der genannten Grundbedürfnisse herum gebaut. Es ist im wesentlichen ein ökonomisches Modell oder, genauer gesagt, ein Modell des Produktivsystems, bei dem fünf Sektoren unterschieden werden: Ernährung, Wohnung, Bildung, Kapitalgüter, andere Konsumgüter und -dienstleistungen. Der letzte Sektor enthält alles, was nicht unter die ersten vier fällt.[3] Es wird eine Produktionsfunktion angewandt, die es gestattet, Kapital durch Arbeit zu ersetzen, dazu ein Koeffizient, der das Wachstum der Produktivität anhand des technologischen Fortschritts anzeigt.

Eine wichtige Besonderheit des Modells, die es von zahlreichen anderen bisher entwickelten unterscheidet, besteht darin, daß sich die Bevölkerung hier in endogener Form entwickelt. Dies geschieht mittels eines Submodells, das die demographischen und die sozio-ökonomischen Variablen in ein Verhältnis zueinander bringt. Dank diesem Submodell kann eine der wichtigsten Hypothesen dieser Arbeit untersucht werden: Die einzige wirklich geeignete Methode der Bevölkerungswachstumskontrolle besteht in einer besseren Befriedigung der Grundbedürfnisse. Sowohl die Untersuchungen, die zur Entwicklung des demographischen Submodells führten, wie auch die im 9. Kapitel dargestellten Resultate untermauern diese Hypothese.

Das Hauptziel des im Modell dargestellten ökonomischen Systems heißt, Kapital und Arbeitskraft den fünf Sektoren zuzuschlagen, und zwar so, daß eine optimale Aufteilung erfolgt. Hier entsteht die Frage: Wie soll die optimale Aufteilung definiert werden, wie kann man sie erreichen? Nach eingehender Prüfung des Problems kam man überein, es in der Weise zu lösen, daß ein mathematischer Mechanismus eingeführt wird, der in der Maximierung der Lebenserwartung besteht. Mit anderen Worten, das Modell weist jedem Sektor die Ressourcen in der Weise zu, daß die Lebenserwartung in jeder Phase der Modelldauer den möglichen Höchstwert erreicht.

Diese Lösung wurde gewählt, weil das Bevölkerungs-Submodell zeigt, daß die Lebenserwartung durch die im Modell enthaltenen sozio-ökonomischen Variablen bestimmt wird und auf deren Veränderungen sehr empfindlich reagiert. Folglich maximiert das Modell nicht einen ökonomischen Indikator – zum Beispiel das Bruttosozialprodukt (BSP) –, wie es in zahlreichen Arbeiten dieses Typs üblich ist, sondern es benutzt einen Indikator, von dem man annimmt, daß er die allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung besser widerspiegelt.

Auf der anderen Seite zwingt die Erstellung eines Weltmodells notwendigerweise zu Restriktionen, weil es unmöglich ist, ohne eine vereinfachte Darstellung der Wirklichkeit auszukommen. So stößt man sogleich auf ein Problem, wenn es darum geht, die geographischen oder politischen Einheiten festzulegen. Soll man die Welt als einheitliches Ganzes auffassen oder aber nach Ländern, Regionen oder Kontinenten vorgehen? Die hier gewählte Lösung – die Aufteilung der Welt in entwickelte Länder, Lateinamerika, Afrika und Asien – berücksichtigt die Ziele und die operative Anwendbarkeit des Modells.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich in erster Linie darum, zu ermitteln, innerhalb welcher Zeiträume und unter welchen Bedingungen eine angemessene Befriedigung der Grundbedürfnisse erreicht werden kann. Die Fristen hängen natürlich von den Ausgangsverhältnissen im jeweiligen Land bzw. in der Region ab. Dies erfordert zunächst eine Aufteilung der Welt in entwickelte und unterentwickelte Länder, wobei diese Klassifizierung von dem unterschiedlichen materiellen und wirtschaftlichen Niveau auszugehen hat.

Betrachtet man ihre innere Homogenität, so zeichnen sich die beiden Gruppen durch verschiedene Merkmale aus. Die entwickelten Länder stehen ungeachtet ihrer politischen und sozialen Strukturen, der Machtverhältnisse usw. auf ziemlich ähnlichem Wirtschafts- und Wohlstandsniveau. Für das Modell können sie als ein einziger Block gelten.

Die unterentwickelten Länder zeigen dagegen ein breiteres Spektrum. Es reicht von Ländern mit niedriger Bevölkerungszuwachsrate und durchschnittlichem wirtschaftlichem Niveau, wie in einige Fällen in Südamerika, bis zu Ländern mit hoher Bevölkerungszuwachsrate und sehr niedrigem wirtschaftlichem Niveau, wie in den meisten Ländern Asiens.

Im übrigen legt das Modell großen Nachdruck auf Autarkie: es soll ermittelt werden, ob die einzelnen Länderblöcke ihre Ziele hauptsächlich durch Ausschöpfen der eigenen Mittel erreichen können. Berücksichtigt man die weitgehend unterschiedliche territoriale Ausdehnung und Güterversorgung der einzelnen nationalen Einheiten, wird sogleich klar, daß die gegenseitige wirtschaftliche Ergänzung innerhalb der Blöcke bei der autonomen Entwicklung eine unersetzbare, wichtige Rolle spielt – wobei dieser Umstand nicht als nationale Isolierung zu verstehen ist, sondern als Ausdruck einer weitgehenden Solidarität zwischen Ländern mit gleichen Problemen. Dieser Prozeß wird durch geographische Nachbarschaft wesentlich erleichtert.

Um diesen beiden Erfordernissen gerecht zu werden – relative Gleichheit der anfänglichen wirtschaftlichen Verhältnisse und geographische Nähe –, wurde beschlossen, die unterentwickelte Welt in drei Blöcke aufzuteilen: Lateinamerika und Karibik, Afrika, Asien und Ozeanien.

Natürlich existieren auch innerhalb der Blöcke große Ungleichheiten. Vielleicht hätte sich eine ideale Lösung in Form einer Aufschlüsselung in homogenere Regionen angeboten; dies wurde jedoch aus Gründen der besseren Verständlichkeit abgelehnt. Erstens sind die vorliegenden Vergleichsdaten, vor allem in den unterentwickelten Ländern, vielfach ungenügend und wenig vertrauenswürdig; eine weitere Aufschlüsselung der Blöcke hätte bedeutet, nur noch mehr Fehlerquellen einzubeziehen. Und zweitens hätte man durch eine solche Aufschlüsselung die Hauptziele des Modells nicht nennenswert gefördert, ja dieses sogar kompliziert und damit seine Verwendung erschwert.

Eine weitere, noch wichtigere Vereinfachung besteht darin, daß die Verschiedenheit politischer und sozialer Regime innerhalb der Länderblöcke unbeachtet bleibt. Demnach wird weder im Block der Entwickelten noch im Blick der Unterentwickelten zwischen sozialistischen und kapitalistischen Ländern differenziert.

Dieser Umstand ist mit den Zielen zu rechtfertigen, die das Modell verfolgt: geht es doch darum, die materielle Machbarkeit der empfohlenen neuen Gesellschaft nachzuweisen. Die in Kapitel 9 zitierten Ergebnisse sind erreichbar unter der Voraussetzung, daß mit dem Jahre 1980 jene Politik wirksam wird, mit der die angestrebte Gesellschaft in Gang gebracht werden soll. Deshalb sind die gegenwärtigen Unterschiede der Regierungsformen hier nicht von Bedeutung.

Immerhin können sich die politischen und sozialen Unterschiede auf die Zeitspanne auswirken, die die einzelnen Länder zur Erreichung der gesteckten Ziele benötigen. Das muß bei den Resultaten des Modells berücksichtigt werden. Der gegenwärtigen Verteilung der Reichtümer, der Besitzordnung, der Einbeziehung in ein internationales System usw. kommt in dieser Hinsicht zweifellos entscheidende Bedeutung zu. Die sozialistischen Länder haben bereits einige Strukturhindernisse überwunden, die dem Fortschritt in dieser Richtung entgegenstehen; dieser Vorteil wird sich gewiß auf die erforderliche Zeitspanne zur Erreichung des verfolgten Zieles auswirken.

In dieser Abhandlung wurde nicht versucht, die Übergangsperiode zu beschreiben, das heißt, sie erhebt keinen Anspruch darauf, den Prozeß zu analysieren, durch den die Menschheit ans ersehnte Ziel gelangen könnte. Vorauszusagen, in welcher Form sich ein Prozeß der sozialen Veränderung vollziehen wird, ist, wie die Geschichte beweist, sehr schwer. Davon abgesehen, war dies auch nicht maßgeblich für das Zustandekommen des Modells. Sein Anliegen besteht vielmehr darin, nachzuweisen, daß eine von Rückständigkeit, Unterdrückung und Elend freie Gesellschaft materiell möglich ist. Ob diese Möglichkeit sich verwirklichen läßt, wird vom Willen und von den Aktionen der Menschheit abhängen. Wenn es dem Modell gelingt, diesen Willen zu wecken und Aktionen in der angedeuteten Richtung zu mobilisieren, wird es die Aufgabe erfüllen, die sich seine Autoren gestellt haben.[1]

1. Kapitel Die heutige Welt: Elend und Überkonsum

Aus der Analyse der charakteristischen Aspekte unserer heutigen Welt wird ihr hervorstechendestes Merkmal klar ersichtlich: es besteht darin, daß fast zwei Drittel der Menschheit unter dem Joch der Armut und des Elends in seiner entwürdigendsten Form leben müssen, während die übrige Minderheit die Auswirkungen des durch ein immer wahnsinnigeres Wirtschaftswachstum erzeugten Überkonsums zu spüren beginnt, der die natürliche und menschliche Umwelt zerstört. Diese Ungleichheit, die am deutlichsten in der gegenwärtigen Aufteilung der Welt in entwickelte und unterentwickelte Länder zum Ausdruck kommt, kennt jedoch keine starren politischen Grenzlinien. Die privilegierten Minderheiten in den Ländern der dritten Welt besitzen ein Konsumniveau, das dem der höheren Schichten in den entwickelten Ländern entspricht. Andererseits sind beträchtliche Teile der Bevölkerung der entwickelten Länder nicht imstande, ihre materiellen und kulturellen Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Nicht weniger schwer als die Ungleichheit zwischen den beiden Gruppen, in die man die heutige Welt aufteilen kann, wiegt die Tatsache, daß eben diese Ungleichheit nicht nur nicht abnimmt, sondern im Gegenteil konstant zunimmt. Im übrigen ist diese Erkenntnis nicht neu, hier setzt sich lediglich eine lang andauernde geschichtliche Tendenz fort.

In den Grafiken 2, 3, 4, 5 und 6 kommt diese Ungleichheit deutlich zum Ausdruck, indem ihre Auswirkungen auf die sozio-ökonomischen Aspekte dargestellt werden, die den menschlichen Lebensstandard am besten charakterisieren. In diesen Grafiken entspricht die Größe der einzelnen Länder nicht deren tatsächlicher Oberfläche, sondern der Bevölkerungszahl; auf diese Weise wird das Verhältnis zwischen der Weltbevölkerung und dem in jedem einzelnen Fall vorhandenen Mangel sogleich erkennbar.

Grafik 2 zeigt, wie sich die Weltnahrung, dargestellt als Kalorien-Durchschnittsverbrauch pro Person und Tag, auf die einzelnen Länder verteilt. Bei Grafik 3 wurde ein kombinierter Index zugrunde gelegt, um die Wohnverhältnisse aufzuzeigen. Dieser Index vereinigt in sich verschiedene Indikatoren: Wohndichte (prozentualer Anteil an der Bevölkerung von zwei oder mehr Personen pro Wohnraum); prozentualer Anteil der Bevölkerung ohne fließendes Wasser in mindestens 100 Meter Entfernung von der Wohnung; prozentualer Anteil der Bevölkerung ohne elektrischen Strom; prozentualer Anteil der Bevölkerung ohne sanitäre Anlagen; Anzahl der pro 1000 Einwohner und Jahr gebauten Wohnungen; Lebenserwartung bei der Geburt. Dieser letztere Indikator wird auch für Angaben über andere Positionen benutzt, wenn keine einschlägigen veröffentlichten Daten vorliegen (siehe Kapitel 5).

Grafik 4 zeigt den jeweiligen Bildungsstand, ausgehend vom prozentualen Anteil der Analphabeten über 15 Jahre.

Grafik 5 gibt die Lebenserwartungswerte wieder. Bekanntlich stellt die Lebenserwartung den gebräuchlichsten Indikator für die Kennzeichnung des Gesundheitszustandes einer Bevölkerungsgruppe dar; in Kapitel 5 wird ihre Bedeutung als allgemeiner Wertmesser des Lebensstandards analysiert.

Was den in Grafik 6 dargestellten Energieverbrauch pro Person betrifft, so ist zu bemerken, daß dieser Wert zwar nützlich ist, weil er hilft, eine Vorstellung vom allgemeinen Lebensstandard einer Gesellschaft zu vermitteln, daß er jedoch, für sich allein betrachtet, zu irrigen Schlußfolgerungen führen kann. In vielen Fällen gibt er lediglich den Grad der Industrialisierung an; diese ist jedoch oft nicht so strukturiert, daß sie den Lebensstandard der Bevölkerung verbessert.

So geht beispielsweise aus der Grafik hervor, daß die erdölproduzierenden Länder hohe Energieverbrauchszahlen aufweisen, was auf den Bedarf der Erdölindustrie zurückzuführen ist; die den Lebensstandard charakterisierenden Zahlen sind hier jedoch relativ niedrig. Das entgegengesetzte Beispiel liefert China. Dort ist der Energieverbrauch sehr gering, dafür liegen die Lebensstandardwerte höher als bei Ländern mit gleichem oder sogar höherem Energieverbrauch.

Im allgemeinen kann gesagt werden, daß der Energieverbrauch einen besonders gut geeigneten Vergleichswert bei Ländergruppen mit einigermaßen ähnlichen Produktiv- oder Einnahmenstrukturen darstellt.

Da in allen Grafiken die dunkelsten Flächen jene Gebiete bezeichnen, wo die größte Not herrscht, ist daraus sogleich zu erkennen, daß es Regionen gibt, wo die Minimalwerte der angenommenen Vergleichsfaktoren übereinstimmen. In diesen Regionen leben fast zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft der Armut und der Rückständigkeit bildet das wesentliche Kriterium bei der Unterscheidung zwischen den Ländern der dritten Welt und den Industrieländern, in denen sich die Weltmacht konzentriert.

Die Methode, mit der gleichen Indikatorengruppe die Situation in verschiedenen Gebieten der Erde zu charakterisieren, wird erst seit relativ kurzer Zeit angewandt. Zum erstenmal in der Geschichte geschieht es, daß die fortschreitende Verflechtung der gesamten Welt, ein Prozeß, der sich seit der industriellen Revolution immer mehr beschleunigt, den Anstoß zu einer Serie gemeinsamer Forderungen in nahezu allen Gesellschaften gibt – trotz der deutlichen kulturellen Unterschiede zwischen ihnen. Insbesondere gilt das für das Bewußtsein des Rechts auf eine angemessene Befriedigung der Grundbedürfnisse. Hier kann man wohl von einer »Kluft« sprechen, das heißt, von einem wenigstens zum großen Teil und in quantitativen Begriffen meßbaren Unterschied zwischen verschiedenen Menschengruppen.

Der Begriff »Kluft« besaß früher einen anderen Inhalt als heute. Im Altertum gab es krasse Unterschiede beispielsweise zwischen der griechischen, der persischen oder der ägyptischen Kultur, ebenso zwischen jeder der genannten und anderen zeitgenössischen Kulturen, jedoch kann hier kaum von einer »Kluft« in der heutigen Bedeutung des Wortes die Rede sein. Die gesellschaftlichen Werte, Bestrebungen und Ziele dieser Kulturen waren allzu unterschiedlich; darum sollte man eher ihre Verschiedenheit betonen und nicht von einer Kluft sprechen, die sie voneinander trennte.

Die erwähnten Ungleichheiten bezeichnen lediglich den quantitativen Aspekt dieser Kluft zwischen den beiden Welten. Noch vor wenigen Jahren reichte dies aus, um die Ungleichheiten, die die fortschrittlichen Länder von den unterentwickelten trennten, einigermaßen klar zu umreißen, weil die Probleme, mit denen sich beide Gesellschaftsgruppen konfrontiert sahen, im Grunde die gleichen waren: Verbesserung des Lebensstandards durch Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnung, Bildung, Gesundheit usw. Die Einkünfte – obgleich weit davon entfernt, einen perfekten Indikator darzustellen – waren damals immerhin ein brauchbarer Wertmesser des Ausmaßes, in dem jede Gesellschaft ihre gemeinsamen Bedürfnisse befriedigte.

Jedoch hat sich während der vergangenen Jahrzehnte der Charakter der Kluft verändert; deshalb reichen die Zahlenwerte allein nicht mehr aus, um sie zu beschreiben. Überdies ist ein bedeutender Teil der Menschheit zum erstenmal in der Geschichte im Begriff, einen solchen Lebensstandard und eine solche materielle Sicherstellung zu erreichen, daß der jahrtausendealte Kampf um das erforderliche Minimum zur Befriedigung der Grundbedürfnisse endlich bald der Vergangenheit angehören wird. Hier entsteht ein neues Problem, nämlich die Tatsache, daß nur einige wenige die »postindustrielle Zivilisation« beherrschen, und es beginnt sich auf die Auffassung auszuwirken, die der Bürger in den unterentwickelten Ländern von der Gesellschaft hat; sie erfaßt allmählich auch die privilegierten Schichten der Dritte-Welt-Länder.

Die für die entwickelten Gesellschaften anbrechende neue Epoche zwingt zur Neudefinierung einiger Ziele, die – wenigstens bisher – die traditionellen Impulse der gesellschaftlichen Entwicklung darstellen. H. Ozbekhan formuliert es so: »Unser Sieg besteht darin, daß wir die ›Knappheit‹ überwunden haben, oder, anders ausgedrückt, die fundamentale Restriktion unseres natürlichen Lebensmilieus, die seit unserem biologischen Anfang stets die menschlichen Perspektiven und das menschliche Verhalten bestimmt hat … Das Problem lautet, unsere Energiequellen und die gesamte uns zur Verfügung stehende Technologie nach neuen menschlichen Zielen zu orientieren, nach Zielen, die noch nicht bekannt sind, wie das Überleben inmitten der Knappheit, sondern die nun erst gefunden werden müssen.«[2]

Für die große Mehrheit der Bewohner der dritten Welt ergibt diese neue Problematik jedoch keinen Sinn. Rückständigkeit, Hunger, Krankheiten und Bildungsmangel sind nach wie vor ihre größte Sorge. Die Kluft zwischen den entwickelten und den unterentwickelten Ländern, die angesichts ihres überwiegend quantitativen Charakters nach relativ einfachen Indikatoren zu messen wäre, verwandelt sich zudem in eine qualitative Kluft; je nach den Problemen entstehen daraus diverse Sprachen, so daß die Kommunikation immer schwieriger wird. Falls diese Tendenz anhält, wird der Dialog zwischen den beiden Gruppen, in die die Welt bereits aufgeteilt ist, nahezu unmöglich, und zwar nicht nur wegen der gegensätzlichen Interessen, sondern auch, weil die Bestrebungen und Ziele dieser Gruppen radikal verschieden sind.

Die Natur der Krise

Die geschilderte Situation dauert bereits ziemlich lange an. Die generelle Bezeichnung »Krise« verdient sie jedoch erst in letzter Zeit, weil einige ihrer Auswirkungen sich in den entwickelten Ländern direkt oder indirekt erst jetzt deutlich abzeichnen. Es gibt verschiedene Gründe für diese Erkenntnis.

Erstens: Die Verflechtung auf unserem Planeten, anfangs durch Handel und Tausch, später durch die beispiellose Entwicklung des Verkehrswesens und der Informationsmedien, hat nicht nur in materieller und kultureller, sondern auch in psychologischer Hinsicht zu einer weltweiten gegenseitigen Abhängigkeit geführt. Immer deutlicher zeigt sich, daß man nicht einfach Ereignisse und Situationen ignorieren kann, von denen große Menschengruppen in verschiedenen Teilen der Erde betroffen sind.

Zweitens: Der Aufstieg Chinas – eines Landes, das noch vor wenigen Jahrzehnten als Musterbeispiel eines abhängigen, peripheren Staates galt – zum Rang einer Weltmacht, die Befreiungskriege und die Unabhängigkeitsbewegungen in zahlreichen unterentwickelten Ländern (Vietnam, die portugiesischen Kolonien usw.), die Bemühungen großer Teile der dritten Welt um eine wirksame Kontrolle über ihre Bodenschätze (zum Beispiel das Erdöl), die Souveränität über die Hoheitsgewässer – dies alles läßt die Großmächte erkennen, daß ihre einst unbestrittene Herrschaft über die Märkte, die enormen Rohstoffreserven und die billige Arbeitskraft der übrigen Welt immer mehr in Frage gestellt wird.

Schließlich führen die leichtfertige Beschleunigung des Konsums in den entwickelten Ländern, der verschwenderische Umgang mit den Naturschätzen und die Umweltverschmutzung zur Aushöhlung jener Werte, auf denen bisher der »Fortschritt« basierte, ein Begriff, der fast unlöslich mit beschleunigtem Wirtschaftswachstum verbunden ist. Solche Besorgnisse werden nunmehr durch die wachsende Drohung einer Rohstoffkontrolle durch die dritte Welt weiter verstärkt.

Die Reaktion der entwickelten Länder, oder zumindest der dort herrschenden Kreise, auf die Krise besteht darin, daß sie deren sozialpolitische Aspekte zu ignorieren trachten und meinen, die Ursachen vor allem in den physischen Grenzen unseres Planeten suchen zu müssen. So entsteht der Begriff einer physischen Grenze des Wachstums. Man sieht die Erde als Raumschiff: sie ist ein endlicher Körper, folglich sind auch ihre Reserven begrenzt.

Die Theorie, daß die Verknappung der Naturschätze der menschlichen Entwicklung eine Grenze setzen könne, ist nicht neu; im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte ist sie wiederholt geäußert worden. Klassische Nationalökonomen, insbesondere Malthus, Ricardo und S. Mill, vertraten die These, daß die Verknappung der natürlichen Güter allmählich eine geringere Effizienz des Wirtschaftspotentials zur Folge haben müßte, was wiederum eine Verlangsamung oder gar den Stillstand des Wachstums verursachen würde.

Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts büßten diese Ideen an Überzeugungskraft ein – sieht man von ihrem rein akademischen Wert ab. Denn der rasche wissenschaftliche und technologische Fortschritt, wie er vor allem im Westen registriert wurde, ließ scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten erkennen, die Basis der Naturschätze, auf denen der wirtschaftliche Fortschritt beruhte, zu erweitern. Es galt als ausgemacht, daß der Fortschritt unbegrenzt andauern würde, als Folge der unerschöpflichen menschlichen Fähigkeit, immer wieder neue Probleme aufzuspüren und zu lösen.

In den letzten Jahren ist jedoch die alte malthusianische Theorie – aus den bereits genannten Gründen – nachdrücklich neu erstanden. Zwar sind ihre wesentlichen Punkte nach wie vor die gleichen, doch verleihen ihr einige neue Elemente dramatische Züge. Einmal gilt das für das exponentielle Wachstum der Bevölkerung und des Konsums, bei letzterem vor allem in den entwickelten Ländern; zum anderen betrifft es die Umweltverschmutzung, einen Faktor, der noch nicht im Kalkül der alten Sozialforscher auftauchte.

Bieten sich für dieses Problemspektrum praktisch eine Menge Lösungen an, so lassen die herrschenden Kreise der entwickelten Länder dazu nur geringe Neigung erkennen. Der sozialpolitische Inhalt ihrer Lösungen ist ziemlich klar: die »westliche Lebensart« wird nicht in Frage gestellt. Diese bisweilen deutlich ausgesprochene Haltung bedeutet in der Praxis, daß die das Wirtschaftswachstum hemmenden »natürlichen« Schranken den unterentwickelten Ländern nur geringe Chancen lassen, den heutigen Lebensstandard der Industrieländer zu erreichen.

Hand in Hand mit diesen Überlegungen, in denen die Furcht vor der wachsenden Präsenz der dritten Welt ebenso enthalten ist wie der Wunsch, die eigene privilegierte Position zu halten, gehen diverse Spekulationen darüber, wie die Krise zu vermeiden oder wenigstens abzuschwächen sei, eine Krise, die zunehmend durch ein Bündel von Maßnahmen oder Doktrinen entstanden ist, welche zum größten Teil auf die internationale Politik der Großmächte zurückgehen.

Als Hauptursache der Krise wird das Wachstum der Weltbevölkerung, insbesondere in den unterentwickelten Ländern, bezeichnet. Die Sorge um den Lebensunterhalt dieser ständig zunehmenden Bevölkerungsmasse und nicht der maßlose Konsum der entwickelten Länder, die 85 Prozent aller in der Welt erschlossenen Vorkommen ausbeuten, sei es, was die Menschheit innerhalb kurzer Zeit an die physischen Grenzen unseres Planeten heranführen werde. Um die Katastrophe zu verhindern, erscheine eine Kontrolle über dieses Wachstum – in extremen Fällen eine Zwangskontrolle – als unerläßliche Voraussetzung. Alles andere, ein rationellerer Umgang mit den Rohstoffen, der Umweltschutz usw., seien nur flankierende Maßnahmen.

Versuche seitens der Länder der dritten Welt, die Naturschätze zu kontrollieren, gelten nicht mehr als politisch-wirtschaftliche Aktionen, wie sie seit langem den Welthandel bestimmten, sondern als Anschlag auf die Menschheit, der die allgemeinen Lebensgrundlagen bedrohe. Die entwickelten Länder, die einerseits willkürlich die Preise für Exportwaren im Lebensmittel- und Fertigwarenbereich sowie bei Kapitalvermögen festsetzen, rufen andererseits laut nach einer Weltbehörde, die die Naturschätze kontrollieren und »gerechte« Preise bestimmen soll.