Größter anzunehmender Glücksfall - David Foenkinos - E-Book

Größter anzunehmender Glücksfall E-Book

David Foenkinos

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Beschreibung

Jean-Jacques und Claire sind seit acht Jahren verheiratet, und zwischen der sonntäglichen Lammkeule bei Claires Eltern auf dem Land und dem zukunftspessimistischen Chinesischunterricht für die sechsjährige Tochter Louise spulen sie monoton und routiniert ihr Ehe- und Liebesleben ab, das einst durch eine Reise nach Genf – auf den Spuren von Albert Cohens Roman "Die Schöne des Herrn" – seinen mythisch überhöhten Gipfel erreicht hatte. Aus Neid auf seinen Kollegen Édouard, der sich nach seiner Scheidung zu einem rasanten Casanova entwickelt hat, beginnt Jean-Jacques eine Affäre mit der attraktiven Arbeitskollegin Sonia. Noch einmal spürt er die Genfer Glückseligkeit, doch er weiß nicht wirklich etwas mit diesem Gefühl anzufangen. Er, der sich für alles im Leben rückversichern will, erlebt den Glücksfall als beängstigend unkontrollierbar und verläßt Sonia wieder. Claire, die sich nicht lange von der neuen Liebeslust ihres Mannes täuschen läßt, engagiert ihrerseits den schüchternen Russen Igor zunächst als Detektiv und dann als Liebhaber. Bei einer gemeinsamen Reise nach Berlin, wo sie ausgerechnet im Hotel Suisse absteigen, erkennt Claire, daß sie ihr größtes Glück gerade aufgegeben hat … Voller Anspielungen auf Filme wie "Der Himmel über Berlin" und "Jules und Jim" und auf Autoren wie Albert Cohen und Witold Gombrowicz erzählt David Foenkinos in gewohnt ironischer und bisweilen skurriler Manier, aber auch mit melancholischen Untertönen die Geschichte einer großen Liebe. Sie erkennt sich leider erst, als sie mit großem Getöse zu Ende geht. Sehnsüchtig wird des unwiederholbaren Anfanges einer glücklichen Beziehung gedacht: Jedes Paar hat sein eigenes Genf.

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David Foenkinos

GRÖSSTER ANZUNEHMENDER GLÜCKSFALL

Aus dem Französischen  von Christian Kolb

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

Zum Buch

Jean-Jacques und Claire sind seit acht Jahren verheiratet, und zwischen der sonntäglichen Lammkeule bei Claires Eltern auf dem Land und dem zukunftspessimistischen Chinesischunterricht für die sechsjährige Tochter Louise spulen sie monoton und routiniert ihr Ehe- und Liebesleben ab, das einst durch eine Reise nach Genf – auf den Spuren von Albert Cohens Roman „Die Schöne des Herrn“ – seinen mythisch überhöhten Gipfel erreicht hatte. Aus Neid auf seinen Kollegen Édouard, der sich nach seiner Scheidung zu einem rasanten Casanova entwickelt hat, beginnt Jean-Jacques eine Affäre mit der attraktiven Arbeitskollegin Sonia. Noch einmal spürt er die Genfer Glückseligkeit, doch er weiß nicht wirklich etwas mit diesem Gefühl anzufangen. Er, der sich für alles im Leben rückversichern will, erlebt den Glücksfall als beängstigend unkontrollierbar und verläßt Sonia wieder. Claire, die sich nicht lange von der neuen Liebeslust ihres Mannes täuschen läßt, engagiert ihrerseits den schüchternen Russen Igor zunächst als Detektiv und dann als Liebhaber. Bei einer gemeinsamen Reise nach Berlin, wo sie ausgerechnet im Hotel Suisse absteigen, erkennt Claire, daß sie ihr größtes Glück gerade aufgegeben hat …

Voller Anspielungen auf Filme wie „Der Himmel über Berlin“ und „Jules und Jim“ und auf Autoren wie Albert Cohen und Witold Gombrowicz erzählt David Foenkinos in gewohnt ironischer und bisweilen skurriler Manier, aber auch mit melancholischen Untertönen die Geschichte einer großen Liebe. Sie erkennt sich leider erst, als sie mit großem Getöse zu Ende geht. Sehnsüchtig wird des unwiederholbaren Anfanges einer glücklichen Beziehung gedacht: Jedes Paar hat sein eigenes Genf.

Über den Autor

David Foenkinos, 1974 geboren, Schriftsteller und Drehbuchautor, studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne und Jazz am CIM. Seine Bücher sind weltweit in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und wurden für alle wichtigen französischen Literaturpreise nominiert, für den Prix Fémina, den Prix Médicis, den Prix Renaudot und den Prix Goncourt. Für „Das erotische Potential meiner Frau“ erhielt er den Prix Roger Nimier. Bei C.H.Beck erschienen die Romane «Das erotische Potential meiner Frau» (2005), «Größter anzunehmender Glücksfall» (2006), «Unsere schönste Trennung» (2010), «Nathalie küsst» (2011), der mit Audrey Tautou in der Hauptrolle verfilmt wurde, «Souvenirs» (2012), «Zum Glück Pauline» (2013) und «Zurück auf Los» (2014).

Über den Übersetzer

Christian Kolb, 1970 geboren, studierte französische Literatur und Filmwissenschaft in Berlin und Paris. Neben den Foenkinos-Romanen bei C.H.Beck übersetzte er u.a. Nicolas Fargues “Die Rolle meines Lebens”. Er lebt in Berlin.

 

 

 

Der Übersetzer dankt der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen für ein Aufenthaltsstipendium im EuropäischenÜbersetzer-Kollegium Straelen.

 

 

 

 

 

FÜR CLAIRE C.

 

 

 

«Die Ehe ist eine Hölle.»

Henry de Montherlant

 

«Nie bin ich so glücklich gewesenwie während meiner Ehejahre.»

Anonymer Autor

PROLOG

Es war lange her, daß Jean-Jacques sich nicht mehr gemüht hatte, in seinem vollen Glanz zu erstrahlen. Seit kurzem zog er es jedoch vor, die Treppen zu seiner Wohnung hochzusteigen, um seine Wadenmuskeln zu trainieren. Aufzüge schienen ihm jenen schlappen Typen vorbehalten zu sein, die nicht mehr zu verführen suchten. Er kam drei Minuten vor acht nach Hause und lächelte Claire mechanisch zu. Nachdem er dieses Lächeln in dem Stil, in dem man eine Fliege verscheucht, wieder ausgelagert hatte, schaltete er den Fernseher an. Je weniger Interesse er am Eheleben hatte, desto mehr beklagte er das Schicksal von Völkern, die sich im Kriegszustand befanden. Auf eine illusorische und abendländische Weise vernahm er im Drama der Kurden das Echo auf den eigenen Niedergang.

Das Leben als Paar ist das Land mit der geringsten Lebenserwartung. Acht Jahre, das war schon fast weltmeisterschaftsreif. Jean-Jacques und Claire tauschten Zeichen der Zärtlichkeit aus, flüchtige freilich; Zärtlichkeiten wie Relikte; leichte nostalgische Berührungen; verstohlene Küsse, die den einstigen Karussellküssen nachpilgerten. Einvernehmlich verbargen sie vor anderen ihren tatsächlichen Zerfall. Sie wurden als Vorbild angesehen, wodurch sie sich in ihrer Routine besser einrichteten. Andererseits verstand niemand, warum sie sich nicht noch ein Kind zulegten. Ein Paar wie sie, das Abbild der Vollkommenheit, stand in der quasi militärischen Pflicht, sich weiter fortzupflanzen. Anfangs hatten sie bedeutungsschwanger gelächelt und auf morgen verschoben, was in neun Monaten hätte geschehen können. Dann war die Zeit vergangen, und sie hatten der Tatsache ins Auge blicken müssen: daß sie gar kein zweites Kind wollten. Zu ihrer Rechtfertigung stellten sie etwas dar, was sie nicht waren. Jean-Jacques und Claire hatten den Wunsch geäußert, Zeit für sich haben zu wollen. Alle fanden diesen Standpunkt super. Man klatschte ihrer Gesellschaftslüge Beifall und flüsterte sich zu, daß die Liebe ohne den Egoismus in ihr Verderben rennt.

Louise, ihre sechsjährige Tochter, war am Ende ihrer Kräfte. Kein Krümel ihrer Freizeit entkam den Tanz- und Klavierstunden und dem Chinesischkurs. (Jean-Jacques hatte irgendwo gelesen, daß in vierzig Jahren die ganze Menschheit chinesisch reden würde; er war eben von rationalem und vorausdenkendem Charakter.) Sie sollte um jeden Preis ein Wunderkind werden,[1] und das Glück wurde systematisch kultiviert. Es gab daher nichts Wichtigeres, als sich der Illusion ihrer prächtigen Entwicklung hinzugeben. Aber wenn sie im Wohnzimmer Klavier spielte, war es schwierig, dabei nicht an das Streichquartett von der Titanic zu denken.

 

 

 

1Sie würde also (zwangsläufig) ein bißchen an Neurasthenie leiden.

ERSTER TEIL

 

I

Jean-Jacques’ Arbeit erregte begrenzte Aufmerksamkeit. Er war eine Art Berater in Dingen, die mit Geld und der Bewegung von Geld zu tun hatten. Das Wichtigste an diesem Arbeitsplatz war demnach, niemanden im Nacken sitzen zu haben, um nach Belieben umschwenken zu können. Es gab viele Computer in seiner Firma und Männer, die Krawatte trugen. Männer, die zu geregelten Zeiten mit der Metro fuhren und die vor Schweiß trieften, wenn sie hereinkamen. Das Unternehmen befand sich in einem hohen Turm. Der Chef thronte im obersten Stockwerk. Doch nach den Anschlägen vom 11. September hatte er beschlossen, die Hierarchie umzudrehen. Das niedere Personal genoß von nun an einen uneinnehmbaren Blick über Paris. Niemand hatte es gewagt, die Veränderung zu kritisieren, aber die neue Situation beeinträchtigte doch mehr als einen der Beschäftigten: Wenn das einzige Ziel das Aufsteigen ist, entschließt man sich schwer zum Absteigen.

Édouard war Jean-Jacques’ bester Freund und zugleich sein engster Mitarbeiter. Er war die Karikatur des selbstsicheren Mannes und lieferte stets jeden Beweis seiner lückenlosen Selbstverwirklichung. Jedesmal, wenn er einen Vertrag abschloß, sprang er plötzlich auf und stieg auf einen Schreibtisch. Alle mußten von seinen Erfolgen in Kenntnis gesetzt werden. Er war immer der erste, der noch spät einen Aperitif arrangierte, bei jeder Gelegenheit anstoßen mußte und diese falsche gute Stimmung erzeugte, in der man über nichts anderes als die Arbeit reden konnte. Trotz seiner gesellschaftlichen Extravaganzen war er der aufmerksamste Freund, den man sich vorstellen konnte. Die Freundschaft zu Jean-Jacques hatte im Besonderen in jener schwierigen Zeit begonnen, in der er sich hatte scheiden lassen. Damals war seine Beziehung auf beklagenswerte Weise auseinandergebrochen, mit Rechtsanwälten und Belastungszeugen. Mit den Jahren hatte sich die Lage aber drastisch geändert. Édouard hatte sich zu einem Single entwickelt, dem die Obsession von der Verführung innewohnte. Seine Kinder verwöhnte er in einem fort, wenn er mit ihnen zusammen war, und den Rest der Zeit zog er von einer Frau zur anderen. Er erging sich in Vertraulichkeiten, und in Jean-Jacques’ Ohren vermischten sich weibliche Vornamen und sexuelle Stellungen. Jean-Jacques hätte diese Unterhaltungen gern vermieden, weil es ihn frustrierte, daß er kein genauso turbulentes Leben hatte. Édouard bemerkte ein Unbehagen, das der sofortigen Analyse bedurfte:

«Wie läuft es mit Claire?»

Jean-Jacques antwortete, daß alles sehr gut laufe, aber seine Intonation hatte an ein verrücktes Klavier erinnert. Er konnte ja auch nicht sagen, daß alles schlecht laufe. Seine Beziehung zu Claire war einfach in eine Spalte der Liebesdefinitionen gerutscht und dort vergessen worden.

«Und in sexueller Hinsicht?»

Darauf hatte er keine Antwort. Édouard fällte ein drastisches Urteil: Sein Freund brauchte eine Geliebte. Jean-Jacques dachte just in diesem Augenblick, daß er imstande wäre, Claire zu betrügen. Um die Angst zu verscheuchen, die ihm dieser Gedanke machte, flüchtete er sich sogleich in eine seiner süßesten Erinnerungen. Édouard schnitt ihm das Wort ab:

«Denkst du an Genf?»

Er war offensichtlich so durchschaubar, daß sich seine Gedanken lesen ließen. Langsam brach ihm der Schweiß aus. Er versuchte sich auszumalen, wie er seine Frau belog. Er stellte sich seine Geliebte, die er noch gar nicht kannte, bereits bildlich vor. Sie war die geradezu monströse Fleischwerdung seiner Phantasien, eine barocke Mischung aus all den Frauen, die ihm, auch flüchtig, in den letzten zwanzig Jahren gefallen hatten. In seinem lächerlichen Eifer nahm Jean-Jacques die Ereignisse vorweg und hatte schon Schuldgefühle. Er wollte sich beruhigen und sagte sich, daß die ewige Treue nicht praktikabel sei, doch seine Fiebrigkeit ließ nicht nach. Das würde kein leichtes Unterfangen für ihn werden. Er versuchte sich davon zu überzeugen, sich selbst zu beweisen, daß sein Verlangen nach einer anderen Frau so unabweislich war wie der Zerfall seiner Beziehung. Claire würde ihn sicher verstehen, er brauchte keine Angst zu haben. Er hatte sie schließlich nicht in den ersten Monaten nach der Hochzeit betrogen. Die Legitimität des Ehebruchs wuchs mit den Jahren. Vielleicht würde sie auch einen Liebhaber haben. War es womöglich schon soweit? Die Frauen sind den Männern ja immer voraus, außer beim Sterben.

Einige Monate später fanden sich Jean-Jacques und Sonia in einem Hotelzimmer wieder. Nicht zum ersten Mal. In den Armen einer anderen Frau zu liegen gab ihm neue Energie, kein Zweifel. Seit Jahren war er nicht so glücklich gewesen. Er wollte einfach leben und frei atmen können. Er konnte keine Aufzüge mehr ertragen. Wenn er an die Gefahren seiner Euphorie dachte, kam er sich in seinem Klischee des verheirateten Mannes entsetzlich lächerlich vor. Bevor er nach Hause ging, vertrat er sich nun ein wenig die Beine, als ob das Umherirren in der Nacht das glückselige Lächeln, das sich quer über sein Gesicht zog, vertreiben könnte. Auf den Straßen von Paris kreuzte er mit Blicken die Passanten. Der irre Gedanke, daß alle wußten, was er gerade getan hatte, drängte sich ihm auf. Nach dem Sex steht man immer ein bißchen im Mittelpunkt der Welt. Aber das Gefühl, das er hatte, war gar nicht so verstiegen. Seit ein paar Tagen wurde er wirklich beobachtet.

 

II

Am besten beginnt man bei einer Frau mit den Haaren. Claires Haar war unschlüssig, lang, aber gewellt. Man hatte den Eindruck, daß es ein unabhängiges Leben führte. Die Farbe schien sich auch zu verändern, wie die Regenbogenhaut bei Neugeborenen. Der kroatische Volksglaube fällt einem da ein. Nach diesem Glauben kündigen sich wichtige Ereignisse im Leben einer Frau mit den Haaren an.

Sie waren nicht mehr so weich und mit den Jahren etwas welk geworden. Jean-Jacques bemängelte oft, daß sie so spröde waren. Für Claire war das lediglich ein Zeichen ihrer Reife. Sie war fast fünfunddreißig. Dennoch schien ihr, als verliefe das Leben in Zyklen, nach denen man letztlich wieder zu dem wird, der man ursprünglich gewesen ist. Man brauchte nur abzuwarten. Träumerisch sah sie in der Zukunft die Ausbrüche ihrer jugendlichen Torheit wiederkehren. In manchen Nächten träumte sie von unendlichen Reisen in gefährlichen Ländern. Sie wachte dann schweißtriefend auf, mitten im Flug, der durch turbulente Strömungen hindurchführte, um sie herum ruckelte alles, die Fluggäste kreischten und wähnten sich dem Tod nahe. Claire hatte schreckliche Flugangst. Die Leute fanden das oft amüsant. Aber Claire konnte nichts Amüsantes daran finden, am Flughafen in Roissy zu arbeiten und Flugangst zu haben. Das war eher ein unglücklicher Zufall.