Unsere schönste Trennung - David Foenkinos - E-Book

Unsere schönste Trennung E-Book

David Foenkinos

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Beschreibung

Im Grunde ist nichts skurriler und beglückender zugleich als die Annäherung zwischen Verliebten. Zum Beispiel zwischen Fritz, der, charmant, aber ungeschickt, sein Leben nur mithilfe von Büchern bewältigt, und der charakterstarken Alice, einer zielstrebigen, zukünftigen Deutschlehrerin und Tochter aus gutem Hause. Ihre Liebe funktioniert über Wörter, sie finden und verfehlen sich durch die Sprache und durch den Irrwitz der absurdesten Situationen. Da wäre zum Beispiel das Essen bei ihrer Familie, das völlig aus dem Ruder läuft, nachdem sich der konservative Vater in wüsten Beschimpfungen auf Obdachlose, Aidskranke und Drogensüchtige ergeht und Fritz bei der unvermeidlichen Frage nach der ersten Begegnung der Liebenden bemerkt, er hätte Alice in einem Swingerclub kennengelernt. Sie lieben sich sehr, aber jedes Mal, wenn sie kurz davor sind, für immer zusammenzuleben, sind sie gezwungen, sich zu trennen. Sie machen Schluss. Bis sie sich wiederfinden. Sie knüpfen da an, wo sie schon mal waren. Sie schaffen es bis zur Hochzeit, aber dann lässt sie ein übler Schicksalsschlag aufgeben. Für immer. Aber nein, zehn Jahre später ...

"Unsere schönste Trennung" bringt einen mit typisch Foenkinos’scher Leichtigkeit zum Lachen und rührt zu Tränen. Man amüsiert sich über das, was einem das Herz zusammenschnürt. Dem Autor ist ein skurriles und unglaublich phantasievolles Buch gelungen, voller verschrobener Perspektiven, das seine Referenz an Woody Allen, Alfred Jarry und Albert Cohen nicht versteckt.

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David Foenkinos

UNSERE SCHÖNSTE TRENNUNG

ROMAN

Aus dem Französischen von Christian Kolb

 

 

 

 

 

C.H.Beck

Über das Buch

Im Grunde ist nichts skurriler und beglückender zugleich als die Annäherung zwischen Verliebten. Zum Beispiel zwischen Fritz, der, charmant, aber ungeschickt, sein Leben nur mithilfe von Büchern bewältigt, und der charakterstarken Alice, einer zielstrebigen, zukünftigen Deutschlehrerin und Tochter aus gutem Hause. Ihre Liebe funktioniert über Wörter, sie finden und verfehlen sich durch die Sprache und durch den Irrwitz der absurdesten Situationen. Da wäre zum Beispiel das Essen bei ihrer Familie, das völlig aus dem Ruder läuft, nachdem sich der konservative Vater in wüsten Beschimpfungen auf Obdachlose, Aidskranke und Drogensüchtige ergeht und Fritz bei der unvermeidlichen Frage nach der ersten Begegnung der Liebenden bemerkt, er hätte Alice in einem Swingerclub kennengelernt. Sie lieben sich sehr, aber jedes Mal, wenn sie kurz davor sind, für immer zusammenzuleben, sind sie gezwungen, sich zu trennen. Sie machen Schluss. Bis sie sich wiederfinden. Sie knüpfen da an, wo sie schon mal waren. Sie schaffen es bis zur Hochzeit, aber dann lässt sie ein übler Schicksalsschlag aufgeben. Für immer. Aber nein, zehn Jahre später …

„Unsere schönste Trennung“ bringt einen mit typisch Foenkinos’scher Leichtigkeit zum Lachen und rührt zu Tränen. Man amüsiert sich über das, was einem das Herz zusammenschnürt. Dem Autor ist ein skurriles und unglaublich phantasievolles Buch gelungen, voller verschrobener Perspektiven, das seine Referenz an Woody Allen, Alfred Jarry und Albert Cohen nicht versteckt.

Über den Autor

David Foenkinos, 1974 geboren, Schriftsteller und Drehbuchautor, studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne und Jazz am CIM. Seine Bücher sind weltweit in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und wurden für alle wichtigen französischen Literaturpreise nominiert, für den Prix Fémina, den Prix Médicis, den Prix Renaudot und den Prix Goncourt. Für „Das erotische Potential meiner Frau“ erhielt er den Prix Roger Nimier. Bei C.H.Beck erschienen die Romane «Das erotische Potential meiner Frau» (2005), «Größter anzunehmender Glücksfall» (2006), «Unsere schönste Trennung» (2010), «Nathalie küsst» (2011), der mit Audrey Tautou in der Hauptrolle verfilmt wurde, «Souvenirs» (2012), «Zum Glück Pauline» (2013) und «Zurück auf Los» (2014).

Über den Übersetzer

Christian Kolb, 1970 geboren, studierte französische Literatur und Filmwissenschaft in Berlin und Paris. Neben den Foenkinos-Romanen bei C.H.Beck übersetzte er u.a. Nicolas Fargues “Die Rolle meines Lebens”. Er lebt in Berlin.

FÜR ALAIN

ERSTER TEIL

 

I

Mein Eindruck ist, die Augen des Todes lauern auf mich an jeder Ecke. All meine Bewegungen werden von einer höheren Macht ergründet, einer Macht, die mich meiner zukünftig verwesten Bestimmung zuführt. So liegen die Dinge seit meiner frühesten Kindheit. Ich lebe, und ich denke ständig daran, eines Tages nicht mehr zu leben. Das hat viele erfreuliche Auswirkungen, vor allem, daß man jeden erlebten Augenblick auskostet. Ich bin imstande, den lausigsten Situationen etwas ein klein wenig Sympathisches abzugewinnen. Wenn ich zum Beispiel in der Métro schweißgebadet erdrückt werde, kann ich mir jederzeit sagen: «Welch ein Glück es doch ist, am Leben zu sein.» In meinen Liebesbeziehungen verhält es sich genauso. Ich sehe mir bei der Liebe zu und betrachte es als meine Pflicht, das Gefühl des pochenden Herzens nicht zu vergeuden. Wenn ich neben einer Frau erwache, mustere ich ihr Ohr und bemühe mich, mir die Besonderheiten dieser Pracht ins Gedächtnis zu schreiben. Denn ich weiß, eines Tages werde ich dem Tod reglos gegenüberliegen, allein mit der Erinnerung an die gewesene Sinnlichkeit.

 

II

Auf der Welt leben drei Milliarden Frauen. Ich frage mich also mit Recht: Warum gerade Alice? Besonders an den Tagen, an denen wir uns in den Haaren liegen. Warum gerade sie, bei all den Chinesinnen und Russinnen? Warum ist gerade sie, die mich in Wallung bringt und zur Verzweiflung treibt, in mein Leben getreten? Ich sage mir, es gäbe bestimmt eine Australierin, mit der ich sehr glücklich werden würde. Süße und liebevolle Australierinnen, die müssen zwangsläufig existieren (am besten wäre eine in der Schweiz geborene Australierin). Aber es hätte Nachteile: Welch schauderhafter Gedanke, einen geschlagenen Tag im Flugzeug zu verbringen, um die Schwiegereltern zu besuchen. Ich hasse Flugreisen; die könnte ich im äußersten Fall überstehen, wenn man im Himmel Schienen legen würde. Letztendlich bin ich, glaube ich, glücklich:

«Alice, mir hätte etwas viel Schlimmeres als du zustoßen können.»

«Du ermüdest mich, Fritz[1]. Du ermüdest mich wirklich.»

«Na dann, gute Nacht.»

Dieser Wortwechsel ist mir in Erinnerung geblieben. Ich erinnere mich auch, wie ich mich neben Alice legte. In der Stille jener Nacht schienen wir so glücklich. Wir waren damals wohl kaum über zwanzig. Um meinen Oberkörper zu stählen, bemühte ich mich, Sport zu treiben und gleichzeitig die gesammelten Werke von Schopenhauer zu lesen, um mir eine gründliche Vorstellung vom Wesen der Bitterkeit zu machen. Diese Mixtur verlieh mir eine gewisse Eleganz, wie mir mehrere erkaufte Ansichten versicherten. Womöglich konnte ich ein modernes Heldenleben ins Auge fassen. Allein meine Schlaflosigkeit stand diesem potentiellen Heldendasein entgegen: Wer nicht seinen täglichen Acht-Stunden-Schlaf abbekommt, kann nicht die Menschheit retten. Helden schlafen gut, selbst wenn ein Auge offen bleibt. Sie walten über die Nacht, während ich die Schäfchen dieser Welt zähle; nicht eines von denen ist mir je auf den Kopf gesprungen. Es müßte einmal einem ein Sprung mißlingen. Denn wer von einem Haufen aus Wolle niedergestreckt wird, schläft garantiert gleich ein. Mit den Jahren habe ich gelernt, mein Leid geduldig zu ertragen. Ich stehe nachts auf und lese stundenlang. Bis zum Morgengrauen finde ich oft Zuflucht bei den Wörtern, und manchmal, am Übergang zum Halbschlaf, mischen sich die Buchstaben unter meine Träume.

Alice schlüpfte immer zu schnell in ihre Kleider. Ich flehte sie systematisch an, sie möge mir mehr Zeit geben, ihren heißen Slip zu betrachten.

«Ich komm aber zu spät!» schrie sie.

Man sollte den Frauen das Schreien verbieten. Vor allem am Morgen, wenn ich noch mit der Hoffnung auf einen erotischen Traum ringe. Als erstes müßte ich den Wecker früher stellen, dachte ich. Ich war voll und ganz damit einverstanden, die Minuten, die ich zur Bewunderung der Schenkel meiner Braut benötigte, von meinem Schlaf abzuzwacken. Sie ließ mich allein im Bett zurück, wo ich hin und wieder glücklich einige Haare von ihr fand, untrügliche Indizien dafür, daß sie an der Stelle vorbeigekommen war. Auf die Spuren, die sie hinterließ, sprach ich sie eines Tages an. Sie entgegnete mir:

«Das heißt ja, daß ich eine ziemlich schlechte Geliebte wäre.»

Ich weiß nicht warum, aber das ist just die Sorte von Antwort, bei der mir das Herz aufgeht. In der Logik der Liebe sind wir der Albert Einstein des anderen. Es gibt also noch andere Sätze von Alice, die mich überwältigt haben, die für alle anderen Männer aber ohne Wert sind:

«Mir ist kalt, aber ich schlafe lieber nackt.»

«Eines Tages könnten wir vielleicht ins Kino gehen.»

«Es müßte immer Greyerzer in deinem Kühlschrank sein.»

«Das verbinde ich mit einem Traum von mir, kann mich aber nicht mehr daran erinnern.»

«Ich sollte doch mal am Sonntag in einen Gottesdienst gehen.»

«Tut mir leid, das wollte ich nicht. Liebst du mich noch?»

«Woody Allen macht auch Filme, die nicht komisch sind.»

Und so weiter. Wenn diese Sätze auf Sie nicht wirken, liegt es daran, daß Sie nicht in Alice verliebt sind.

Sie ging, und alsbald schlüpfte auch ich in meine Kleider. Wenn sie die Tür hinter sich zuzog, bedeutete dies, das Tagwerk konnte beginnen. Ich war damals Student, und da ich mich zwischen verschiedenen Disziplinen lange nicht zu entscheiden in der Lage war, hatte ich Kurse auf so unterschiedlichen Gebieten wie Kunstgeschichte und Molekularphysik belegt. Mich interessierten alle Arten von Robert: Musil, Schumann, Bresson oder Zimmermann. Den Leuten um mich herum band ich auf die Nase, daß es sich bei meinen augenscheinlichen Verirrungen um das Resultat einer ausgefuchsten Berufsstrategie handelte. Die Strategie würde ich dann zu gegebener Zeit erläutern. Das war eine meiner Lebenstaktiken: die anderen immer in Sicherheit wiegen und ihnen weismachen, daß mein eigenes Handeln von Vernunft bestimmt ist. War es überhaupt meine Schuld, daß mich alles reizte? Warum mußte ich mich immerzu entscheiden? Das Leben war eine einzige Serie von zu machenden Abstrichen. Es galt, treu zu sein, links zu sein und um 13 Uhr Mittag zu essen. Ich aber wollte eine Geliebte, die rechts wählt, und diese um 15 Uhr zum Mittagessen ausführen.

Vielleicht zog mich genau das zu Alice hin. Vom ersten Augenblick an spürte ich, daß unsere Beziehung abseits der üblichen Pfade verlaufen würde. Das stimmt eigentlich nicht. Das war nicht das erste Gefühl, das ich hatte. Ganz am Anfang stand eine Geste. Mich erinnerte das an Die Unsterblichkeit von Milan Kundera, wo die Heldin des Buchs aus einer Geste erwächst. Alice hätte sich im Werk eines großen tschechischen Romanciers wiederfinden können, doch sie spielte lieber eine Rolle in meinem Leben. Es geschah an einem Samstagabend, wir waren zu einer Party eingeladen. Die Umstände hatten nichts Außergewöhnliches an sich, und oft sind das die besten Voraussetzungen, um dem Außergewöhnlichen zu begegnen. Wir waren versehentlich da, im Gefolge von Freunden von Freunden, und eben diese schöne Verflechtung von Freundschaften führte uns der Liebe zu. Ich meine, der wahren Liebe, die einen in die Kategorie des Lächerlichen katapultiert.

Es dürfte kurz nach drei Uhr morgens gewesen sein. Ich erinnere mich an jede Einzelheit unserer Begegnung, was jedoch die Uhrzeit angeht, muß ich einen Aussetzer gestehen. Es kommt eine Zeit, wo es keine Zeit mehr gibt. Wir waren auf der Suche nach ein wenig Alkohol und zwängten uns in die Küche. In solchen Fällen findet sich stets ein Spaßvogel, der das Witzmonopol an sich reißt, und mitunter reicht es, wenn er ein bißchen lauter als die anderen spricht. Spannungen in dieser Hierarchie treten auf, wo man auch hinkommt. Ein vergnügtes Grüppchen hatte sich um den Scherzbold herum gebildet, das ihn in seiner Gewißheit bestärkte, unbezahlbar zu sein. In diesem lachenden Kreise sind wir uns also, Alice und ich, begegnet. Wir standen uns gegenüber. Entstelltes Gelächter dröhnte in einer Dunsthülle über unseren Köpfen. Es machte hihihi und hahaha. Als Alice diese erstaunliche Geste ausführte, war ihr Gesicht ganz nah an meinem. Sie hob langsam die Hand, strich sich zärtlich über die Nase und faßte sich dann ans linke Ohr. Alles ging so rasch, als stähle sie ihr eigenes Gesicht. Was sie genau mit ihren Fingern tat, ist schwierig zu beschreiben, doch die Verbindung dieser beiden zarten Regungen formte sich zu einer sehr eindring lichen Geste. Und gleich darauf sah ich, wie sie mich ansah. Sie schien fast beschämt zu sein und lächelte mir zu. Dieses Lächeln war nicht dem lachenden Kreis bestimmt. Es galt allein mir. Indem ich es sofort erwiderte, bildeten wir einen weiteren Kreis, der nur aus uns beiden bestand. Unser lächelnder Kreis stellte eine unabhängige Teilmenge des lachenden Kreises dar, eine Abspaltung unter vier Augen.

Als sich der Spaßvogel erschöpft hatte, zerstreute sich sein Publikum. Nach all dem Lachen kam es einem fast traurig vor. Wir waren endlich allein.

«Deine Handbewegung eben hat mir sehr gefallen», sagte ich.

«Ach ja? Welche Handbewegung?» erkundigte sie sich mit einer etwas rauhen Stimme, die mich leicht enttäuschte, doch das lag bestimmt an den Zigaretten und dem Alkohol.

«Als du dir kurz an die Nase und anschließend ans Ohr gefaßt hast. Du hast flüchtig diese beiden Partien deines Gesichts befühlt, und das war wie ein geheimes Zeichen.»

«Hast du was getrunken?»

«Nein, ich bin nüchtern. Wenn einem eine solche Handbewegung auffällt, ist man nüchtern.»

«Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht hab.»

«Warte, ich zeig’s dir.»

Eine Gelegenheit, ihre Hand zu ergreifen. Sie ließ sich bereitwillig anleiten. Erneut strichen ihre Finger über ihr Gesicht. Ich begriff gleich, daß dabei nur eine billige Kopie herauskommen würde. Mit dieser Geste war die ganze Schönheit des Vergänglichen in die Fingerspitzen gefahren. Das würde kein zweites Mal geschehen. So oft mühte sich Alice in der Folge vergeblich, diesen einzigartigen Moment wieder auferstehen zu lassen. Freilich, um mir eine Freude zu bereiten. Aber auch, um den Glanz dieses magischen Augenblicks wiedererstrahlen zu lassen. Denn sie wußte, daß sie mit dieser Geste mein Herz erobert hatte. Und ich wußte, daß ich sie durch die grenzenlose Zuneigung zu dieser Geste für mich gewonnen hatte.

«Wie heißt die Urheberin dieser Geste?» wollte ich wissen.

«Alice.»

«Alice … Alice ist gut. Kurz, aber gut.»

«Du findest den Namen zu kurz?»

«Nein, er ist okay. Hauptsache, die Haare sind nicht kurz.»

«Bist du immer so?»

«Du hast nun alle Zeit der Welt, um herauszufinden, wie ich bin.»

«Und wie heißt du?»

«…»

Ich weiß nicht, warum eine Weile verging, bis ich ihr etwas entgegnen konnte. Ich wollte in dem Moment nicht Fritz heißen. Vor allem wollte ich mich nicht hinter Buchstaben verstecken, nicht in Worte kleiden, was uns soeben widerfuhr, ich wollte den Augenblick, in dem wir einander noch unbekannt waren, in die Länge ziehen. Es würde später kein Zurück zu diesem Punkt mehr geben. Der letzte Wimpernschlag der Anonymität und eins, zwei, drei:

«Ich heiße Fritz.»

Sie machte keinerlei Bemerkung zu meinem Vornamen. Aus eben diesem Grund kam es für mich durchaus in Frage, sie eines Tages zu heiraten[2], oder besser noch: daß wir uns gemeinsam einen Hund anschaffen würden.

 

 

 

1 Ja, ich weiß, Fritz ist ein seltsamer Name. Besonders, wenn man kein Deutscher ist. Mein Vater hatte ein Faible für den Roman Mars uon Fritz Zorn. So war es mir rundum angenehm, den Vornamen eines Schriftstellers zu tragen, der mit zweiunddreißig an Krebs gestorben ist und gesagt hatte: «Ich finde, jedermann, der sein ganzes Leben lang lieb und brau gewesen ist, verdient nichts anderes, als daß er Krebs bekommt.»

2Selbstverständlich wußte ich noch nicht, wie verhängnisvoll sich unsere Geschichte entwickeln würde.

 

III

Alice ist eine Tochter aus gutem Hause. Ich kann es ja gleich zugeben: Dieser Umstand neigt eindeutig dazu, mich in Ekstase zu bringen. Sie verfügt über alle körperlichen Eigenschaften eines echten Schatzes: glattes Haar, manchmal mit einem Stirnband, und eine so katholische Art, «ja» zu sagen. Ihre vollendeten Umgangsformen ließen mich ins Schwärmen geraten, und an ihrem Lebensstil entdeckte ich so viele Dinge, die mir gefehlt hatten. Man muß dazusagen, daß meine Eltern Spätachtundsechziger sind und ich eine entsprechende Erziehung genoß (Erziehung ist ein etwas hochtrabender Begriff). Wie traumatisch für ein Kind Ferien in Indien sein können, kann man sich gar nicht vorstellen. Dieses Detail sei nur beiläufig erwähnt. Derzeit sehe ich meine Eltern nicht sehr oft: Sie sitzen irgendwo auf einem Berg im Dunstkreis des Schnurrbarts von Bauernaktivist José Bové. Wenn nicht, dann unternehmen sie gerade eine Reise ans arme Ende der Welt. Sie versäumen keine Anti-Globalisierungsdemonstration. Mir sind schon Gedanken durch den Kopf gegangen, ich könnte ihnen womöglich weniger bedeuten als ein auf Fair-Trade-Basis vertriebenes brasilianisches Reiskorn. Doch wäre es letztlich nicht fair, eine derartige Bilanz zu ziehen. Ich habe mich aber auf ihre Werte eingerichtet, fühle mich gerüstet, ohne übermäßig auf ihre Schwachpunkte zu achten. Ich kann auch nicht behaupten, es habe mir an Liebe gemangelt; ich mußte sie nur schlicht und ergreifend mit allen Bedürftigen dieser Welt teilen. In den Herzen meiner Eltern herrschte ein Gedränge, und von daher werde ich seit jeher folgendes Gefühl nicht los: nicht das der Gefühlskälte, sondern das der Gefühlsenge.

Welch ein Klischee: Der Sproß einer Hippiefamilie und eine Bürgerstochter. Ich kann nichts dafür, wir sind alle wandelnde Klischees. Erziehung ist in den meisten Fällen lediglich ein tägliches Übungsprogramm, das uns dahin bringen soll, nicht so zu werden wie unsere Eltern. Alice hat zwar viele Prinzipien ihres Milieus übernommen, geht aber nicht vollkommen mit ihm konform. Sie begegnet ihm mit Respekt und hat es nie darauf abgesehen, gegen die kleinste Regel zu verstoßen. Sie besucht ihre Eltern jeden Sonntag, dieses Ritual ist so festgeschrieben wie der Feiertag selbst. Doch sie führt ein unabhängiges Leben und müht sich ziemlich erfolgreich, sich das Familiendiktat nicht aufbürden zu lassen. Mit anderen Worten: Sie ist imstande, einen Joint zu rauchen, alternativen Rock zu hören, den Marquis de Sade zu lesen und, vor allen Dingen, mit mir eine Liebesbeziehung einzugehen. Ja, der Gedanke, mich zu lieben, hat sicher etwas unbewußt Rebellisches. Ich weiß sehr wohl, daß ich nicht dem Profil des idealen Schwiegersohns entspreche. Trotzdem träumte ich davon, ihre Eltern kennenzulernen. In meiner Gedankenwelt waren sie, obwohl ich viel von ihrer Starrheit gehört hatte, Vorbilder an Zielstrebigkeit. Und mir war ein Alltag, der wie geschmiert durch ein Regelwerk läuft, doch so abgegangen. Jeden Sonntag, als Alice sie besuchen ging, fragte ich:

«Wann wirst du mich vorstellen?»

«Bald.»

«Man könnte meinen, du schämst dich für mich. Hast du ihnen wenigstens von mir erzählt?»

«Hm … na ja, ein bißchen …»

«Das heißt?»

«Also, ich habe ein Mal von dir gesprochen … und die multiplen Studien, die du betreibst, erwähnt …»

«Und?»

«Am Gesicht meines Vaters konnte ich erkennen, daß er das nicht komisch fand. Deswegen habe ich dann lieber gesagt, daß du ein Freund seist. Ein guter Freund.»

«Ein guter Freund?»

«Fritz! Das mußt du doch verstehen!»

«Wenn ich recht verstehe, muß man eine Eliteuni besuchen, wenn man deine Eltern kennenlernen will.»

«Aber nein … aber … besser erst später … wenn du eine richtige Arbeit hast.»