Das erotische Potential meiner Frau - David Foenkinos - E-Book

Das erotische Potential meiner Frau E-Book

David Foenkinos

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  • Herausgeber: C. H. Beck
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Hector ist ein krankhafter Sammler. Er hortet z.B. kroatische Redewendungen, Käseetiketten, Glocken aus Seife und den Lärm um fünf Uhr morgens - eine kräftezehrende Sucht. Sein Selbstmordversuch misslingt, und um seinen sechsmonatigen Klinikaufenthalt vor den Verwandten verbergen zu können, erfindet er eine Reise in die USA. Als Hector sich in der Bibliothek für die Berichte über seine erfundene Reise rüstet, lernt er Brigitte kennen, die ebenfalls behauptet hat, sie sei für längere Zeit in den USA. Die beiden verlieben sich, heiraten und verbringen die Flitterwochen in den USA. Anschließend gründen Hector und Brigitte ein sehr erfolgreiches Reisebüro für krankhafte Lügner. Als Hector Brigitte beim Fensterputzen beobachtet, empfindet er diesen Augenblick als so erotisch und einzigartig, dass er beschließt, seine Frau heimlich dabei zu filmen. Bis eines Tages auf einem der Videos ein Mann auftaucht ...

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David Foenkinos

Das erotische Potentialmeiner Frau

Roman

Aus dem Französischenvon Moshe Kahn

 

 

 

C.H.Beck

Über das Buch

Hector ist ein krankhafter Sammler, so hortet er etwa kroatische Redewendungen, Käseetiketten, Glocken aus Seife und den Lärm um fünf Uhr morgens, eine kräftezehrende Sucht. Sein Selbstmordversuch mißlingt, und um seinen sechsmonatigen Klinikaufenthalt vor den Verwandten verbergen zu können, erfindet er eine Reise in die USA. Als Hector sich in der Bibliothek für die Berichte über seine erfundene Reise rüstet, lernt er Brigitte kennen, die ebenfalls behauptet hat, sie sei für längere Zeit in den USA. Die beiden verlieben sich, heiraten und verbringen die Flitterwochen in den USA. Anschließend gründen Hector und Brigitte ein sehr erfolgreiches Reisebüro für krankhafte Lügner.

Als Hector Brigitte beim Fensterputzen beobachtet, empfindet er diesen Augenblick als so erotisch und einzigartig, daß er beschließt, seine Frau heimlich dabei zu filmen. Liebevoll unterlegt er seine Videos – wieder eine Sammlung – mit Car-Wash-Soundtracks, bis eines Tages auf einem der Videos ein Mann auftaucht … Hectors neue Sammelleidenschaft führt schließlich zum Eklat zwischen den beiden, aber die Liebenden finden eine originelle, für beide befriedigende Lösung. Die Drillinge, die Brigitte zur Welt bringen wird, sehen aus wie der Beginn einer neuen Sammlung.

Witzig, liebevoll, schräg und ironisch und voller Anspielungen erzählt David Foenkinos in diesem Roman eine komische und zugleich anrührende Liebesgeschichte, die teilweise stark an den Film «Die wunderbare Welt der Amélie» erinnert. Was insofern nicht überrascht, als Foenkinos nicht nur drei Romane, sondern auch fünf Filme gedreht hat, u.a. mit Audrey Tatou.

Über den Autor

David Foenkinos, 1974 geboren, Schriftsteller und Drehbuchautor, studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne und Jazz am CIM. Seine Bücher sind weltweit in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und wurden für alle wichtigen französischen Literaturpreise nominiert, für den Prix Fémina, den Prix Médicis, den Prix Renaudot und den Prix Goncourt. Für „Das erotische Potential meiner Frau“ erhielt er den Prix Roger Nimier. Bei C.H.Beck erschienen die Romane «Das erotische Potential meiner Frau» (2005), «Größter anzunehmender Glücksfall» (2006), «Unsere schönste Trennung» (2010), «Nathalie küsst» (2011), der mit Audrey Tautou in der Hauptrolle verfilmt wurde, «Souvenirs» (2012), «Zum Glück Pauline» (2013) und «Zurück auf Los» (2014).

Über den Übersetzer

Moshe Kahn, 1942 geboren, studierte Orientalistik, Philosophie und Rabbinische Theologie. Er arbeitet vorwiegend als freier Publizist und Übersetzer für Italienisch und Französisch.

 

 

 

 

Der Autor dankt dem Centre national du livre für dessen Hilfe.David Foenkinos ist Preisträger der Fondation Hachette underhielt 2003 ein Stipendium als Jeune Écrivain.

 

 

 

Für Victor

 

 

 

Wie dich erreichen, sinnliche Woge,

Dich, die mich beflügelt …

M

Vergebens prangert die Vernunft mir die Diktatur der Sinnlichkeit an.

Louis Aragon

Erster Teil

Eine Art Leben

 

I.

Hector hatte den Kopf eines Helden. Man spürte, daß er bereit war, zur Tat zu schreiten, allen Gefahren unserer monströsen Menschheit zu trotzen, das Feuer unzähliger Frauen zu entfachen, mit der Familie einen Urlaub zu planen, mit seinen Nachbarn im Aufzug zu diskutieren und, wenn er wirklich einmal groß in Form war, auch einen Film von David Lynch zu verstehen. Er wäre eine Art Held unserer Zeit, mit strammen, wohlgeformten Waden. Blöd nur, daß er gerade beschlossen hatte, sich das Leben zu nehmen. Man hatte wahrlich schon bessere Helden gesehen. Ein gewisser Sinn fürs Theatralische hatte ihn dazu gebracht, sich für die Metro zu entscheiden. Alle Welt würde von seinem Tod erfahren, es wäre so etwas wie die Pressevorführung eines Films, der sich schnell als Flop erweisen würde. Hector wog aus reiner Höflichkeit artig die volltönenden Empfehlungen um ihn herum ab, er solle nur ja nicht voreilig seine Fahrkarte kaufen. Für den Fall, daß er es sich anders überlegte. Man wußte nichts von ihm, daher hoffte man auf ein Mißlingen, um sicherzugehen, daß man sich auf die Physiognomie eines Menschen verlassen konnte. Vor allem auf die eines Helden. Schon blickte er verschwommen. Die Tabletten mit der einschläfernden Wirkung hatte er noch vor dem Verfallsdatum hinuntergestürzt. Es stirbt sich besser im Schlaf. Letzten Endes war dies ein Glück, denn Hector bereitete uns große Sorgen. Äußerlich verrieten seine Augen nichts. In den Gängen der Metro liegend, wurde er schließlich entdeckt, der Station Châtelet-Les Halles näher als dem eigenen Tod.

Sein eingesunkener Körper spiegelte sein Scheitern. Zwei Krankenträger mit aufgeschwemmten, anabolen Gesichtern (doch Gesichtern wollen wir von nun an mißtrauen) kamen und befreiten ihn von all diesen Blicken der vorbeihastenden Angestellten, die ganz fasziniert waren, eine Lage vor Augen zu haben, die schlimmer war als ihre eigene. Hector dachte nur an eines: Jetzt, wo sein Selbstmord fehlgeschlagen war, war er zum Leben verdammt. Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, das gerade frisch gestrichen war. Logischerweise war überall zu lesen «frisch gestrichen». Er würde sich ein paar Monate in dieser Genesungseinrichtung langweilen. Sehr bald schon war sein einziges Vergnügen ein Klischee: die Krankenschwester zu beobachten und vage davon zu träumen, ihre Brüste zu streicheln. Über diesem Klischee schlief er regelmäßig ein, immer kurz bevor er sich die Häßlichkeit der Krankenschwester eingestanden hätte. Er war in einem Dämmerzustand, in dem die Ungnade das Mythische zu berühren schien. Dieses Urteil erschien sehr streng: Zwischen zwei Morphium-Verabreichungen konnte die Krankenschwester durchaus sinnlich sein. Und dann gab es da diesen Arzt, der gelegentlich vorbeischaute, wie man bei einer Abendgesellschaft vorbeischaut. Die Begegnungen dauerten selten länger als eine Minute, schließlich mußte man ja so tun, als wäre man in Eile, wenn man seinen Ruf pflegen wollte (und das war so ziemlich das einzige, was er pflegte). Dieser tief braungebrannte Mensch bat Hector, die Zunge herauszustrecken, um zu dem Schluß zu kommen, daß er eine schöne Zunge habe. War ja nicht verkehrt, eine schöne Zunge zu haben, man fühlte sich gut mit einer schönen Zunge. Aber dafür konnte Hector sich nichts kaufen. Er wußte nicht genau, was ihn erwartete, er war schwer depressiv, jemand, der auf dem Grund des Trichters winselte. Man schlug ihm vor, seine Familie oder seine Freunde zu verständigen, sofern der Herr in der glücklichen Lage sei, welche zu haben (auf diskrete Weise deutete man die Möglichkeit an, welche zu mieten). Diese Optionen wurden von einem nicht besonders höflichen Schweigen begleitet, aber halten wir uns nicht damit auf. Hector wollte niemanden sehen. Genauer gesagt – und das will ja kein Kranker – wollte er nicht, daß irgend jemand ihn in diesem Zustand sah. Er schämte sich, ein Männlein zwischen nichts und weniger als nichts zu sein. Es kam vor, daß er einen Freund anrief und ihm erzählte, daß er auf Reisen sei, Wahnsinn, dieser Grand Canyon, was für Schluchten. Und dann hängte er auf. Dabei war er doch der Grand Canyon.

Die Krankenschwester fand ihn sympathisch, sie hatte ihm sogar gesagt, er sei ein besonderes Exemplar. Kann man denn mit einer Frau schlafen, die einen für ein besonderes Exemplar hält? Das war wirklich die Frage. A priori, nein: Frauen wollen sowieso nie mit einem schlafen. Sie interessierte sich für seine Geschichte. Schließlich war das, was in der Krankenakte stand, das einzige, was sie über ihn wußte. Daß es rühmlichere Methoden der Annäherung gibt, will nichts heißen. Gibt es denn die Frau, die sich einem hingibt, weil sie die Art mag, wie man nie den Tag der Wiederholungsimpfung gegen die Kinderlähmung verpaßt? Oh, Sie machen mich ganz verrückt, Sie impfungsbewußter Mann. Oft kratzte sich die Krankenschwester am Kinn. In solchen Fällen hielt sie sich für den Arzt. Man muß aber auch sagen, daß es Raum für diese Rolle gab. Dann trat sie ganz dicht an Hectors Bett. Sie hatte eine durchaus erotische Art, mit ihrer Hand über das weiße Bettuch zu streichen, ihre wohlgepflegten Finger glichen dann Beinen in einem Treppenhaus, die mit großen Schritten das Weiße durchmaßen.

Hector wurde Anfang März entlassen. Eigentlich hatte der Monat keinerlei Bedeutung, überhaupt hatte nichts eine Bedeutung. Die Concierge, eine Frau, deren Alter niemand mehr in der Lage war einzuschätzen, tat, als hätte die Abwesenheit des Mieters sie besorgt. Diese Art, sich besorgt zu geben, diese Art, sich ins Jahr 1942 zurückzuträumen, mit einer Stimme, die derart grell ist, daß sie in der Nähe eines Schienenstrangs einen Zug zum Entgleisen bringen würde, wenn Sie wissen, was ich meine.

«Monsieur Balanchiiine, was für eine Freude, Sie wiederzusehen. Ich hatte mir schon richtig Sorgen gemacht …»

Doch darauf fiel Hector nicht herein. Weil er aber nun einmal über sechs Monate fort gewesen war, versuchte sie, das entgangene Weihnachtsgeld nachzufordern. Aus Angst, einem Nachbarn zu begegnen und sein Leben vor ihm ausbreiten zu müssen, mied er den Aufzug und schleppte sich die Treppe hoch. Sein schwerer Atem blieb nicht ungehört, und so klebte man mit den Augen an den Spionen. Als er vorüberging, öffneten sich Türen. Dabei war es nicht einmal Sonntag. Dieses Gebäude war einfach von einer nervenzehrenden Untätigkeit. Und dann gab es da auch immer einen angesäuselten Nachbarn – mit dem man ebenso viele Berührungspunkte hatte wie zwei Parallelen –, der einen bedrängte, doch hereinzukommen. Und das alles, um sich dreimal gegenseitig zu fragen «Wie geht’s?» und dreimal zu antworten «Gut, und wie geht’s dir?» Eine unerträgliche Vertrautheit. Wenn man aus dem Krankenhaus kommt, würde man gern in der Schweiz leben. Oder besser noch: eine Frau in einem Harem sein. Er täuschte Schmerzen in der Leber vor, um endlich in seine Wohnung zu können, aber da fragte der Nachbar ihn natürlich: «Du hast dir doch aus dem Urlaub hoffentlich keine Leberzirrhose mitgebracht?» Hector deutete ein Lächeln an und setzte seinen Rundgang fort. Am Ende öffnete er die Türe und drückte auf den Schalter, auf daß es Licht ward. Natürlich hatte sich nichts verändert. Dennoch kam es ihm vor, als wären mehrere Leben vergangen. Hier atmete man geradezu die Reinkarnation. Der Staub hatte über diesen Ort gewacht, bevor er sich derart langweilte, daß er sich vermehrte.

Es wurde Nacht wie jeden Abend. Er kochte einen Kaffee, um sich seine Schlaflosigkeit nicht eingestehen zu müssen. In der Küche sitzend, hörte er, wie die Katzen in der Dachrinne herumliefen. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er dachte an all die Briefe, die er nicht erhalten hatte. Sein Blick fiel auf einen kleinen Spiegel, den er in einem Trödelladen gekauft hatte; er erinnerte sich ganz deutlich an diesen Laden, und diese Erinnerung versetzte ihn sofort in Schrecken. Das Fieber, das er am Tag des Kaufs gespürt hatte, durchlief ihn aufs neue, so wie man den Duft eines Menschen wachruft, wenn man sein Foto betrachtet. Er durfte auf keinen Fall daran denken, das alles war aus und vorbei. Er war geheilt. Nie wieder würde er einen Trödelladen betreten und einen Spiegel kaufen. Er betrachtete sich einen Augenblick lang. Nach den sechs Monaten Krankenhaus schien ihm sein Gesicht verändert. Die Zukunft stellte er sich zum erstenmal in seinem Leben als etwas Stabiles, etwas Gesichertes vor. Natürlich täuschte er sich da. Doch niemand hier wollte ihn der Illusion seiner Wiederauferstehung berauben. Doch bevor wir uns auf den Weg in diese Zukunft begeben, werden wir uns mit dieser alles andere als vollendeten Vergangenheit beschäftigen.