Gute Ganztagsschulen entwickeln -  - E-Book

Gute Ganztagsschulen entwickeln E-Book

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Beschreibung

Wenn Kinder und Jugendliche regelmäßig an guten Ganztagsangeboten teilnehmen, erzielen sie bessere Lernerfolge - das belegt die Forschung. Doch wie entwickelt sich der Ausbau der Ganztagsschulen? Welche Erfahrungen sammeln Eltern, Lehrkräfte und Schulleiter? Wo kommt ganztägiges Lernen derzeit noch an seine Grenzen? Was benötigen Ganztagsschulen in Deutschland, um ihr Potenzial für gutes Lernen entfalten zu können, und woran lässt sich Qualität im Ganztag festmachen? Der Band "Gute Ganztagsschulen entwickeln" beantwortet diese Fragen anhand aktueller Forschungsergebnisse und liefert aussagekräftiges Zahlenmaterial. Kurze Porträts ausgesuchter Schulen illustrieren Entwicklungspfade und Meilensteine hin zur guten Ganztagsschule.

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Seitenzahl: 398

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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Gute Ganztagsschulen entwickeln

Zwischenbilanz und Perspektiven

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir meistens entweder die weibliche oder die männliche Form personenbezogener Substantive. Wenn nicht anders erwähnt, sind damit alle Geschlechter gemeint.

© 2019 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Verantwortlich: Dr. Nicole Hollenbach-Biele, Dr. Dirk Zorn

Lektorat: Heike Herrberg, Bielefeld

Herstellung: Christiane Raffel

Umschlaggestaltung: Elisabeth Menke

Umschlagabbildung: Veit Mette, Bielefeld

Satz und Druck: Hans Kock Buch- und Offsetdruck GmbH, Bielefeld

ISBN 978-3-86793-788-7

ISBN 978-3-86793-867-9 (E-Book PDF)

ISBN 978-3-86793-868-6 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Einleitung

Was sagt die Wissenschaft zum Lernen im Ganztag?

Ganztag: Eine Chance für gutes Lernen

Schulporträt Grundschule Pfälzer Weg: »Wir sind auch Lernende.«

Zwischen Hoffnung und Realität: Die Wirkung von Ganztagsschule auf die Schülerkompetenzen in Lesen und Mathematik

Schulporträt Geschwister-Scholl-Gymnasium Pulheim: »Es gibt keine allgemeingültigen Ratschläge.«

Positive Erfahrungen und ganz konkrete Wünsche: Die Elternsicht auf Ganztagsschule

Schulporträt Grundschule Gau-Odernheim: »Vielfalt ist ein Motor für Veränderung.«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Grundschule Berg am Laim: »Alles, was unsere Kinder brauchen, wird gemacht.«

Wie sind die Rahmenbedingungen für ganztägiges Lernen?

Flickenteppich Ganztag

Schulporträt Grundschule Auf den Heuen: »Ganztagsschule ist für alle da.«

Gute Ganztagsschule für alle: Kosten für den Ausbau eines qualitätsvollen Ganztagsschulsystems in Deutschland bis 2030

Schulporträt Hochwald-Gymnasium Wadern: »Ein guter Ganztag birgt Ansteckungsgefahr.«

Ganztagsschule als Verwaltung – Plädoyer für mehr Inspiration aus der Organisationstheorie

Schulporträt Gymnasium Alsdorf: »Eine andere Arbeitsplatzqualität«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Schlossgymnasium Gützkow: »Wir waren Exoten.«

Wie wird eine Schule eine gute Ganztagsschule?

Gelingensfaktoren guter Ganztagsschulen: Eine qualitative Studie bewährter Schulpraxis

Schulporträt Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Rösrath: »Wir sind zu den Eltern gegangen.«

Von Basislagern, Meilensteinen und Gipfelfahnen: Schulen auf dem Weg zum gebundenen Ganztag

Schulporträt Stadtteilschule Niendorf: »Lieber ein Gespräch zu viel als eins zu wenig.«

Das 3-B-Prinzip: Was Schulleitungen tun können, damit Lehrkräfte die Ganztagsschule akzeptieren

Schulporträt Alexander-Hegius-Gymnasium Ahaus: »Ich muss einen klaren Weg vor Augen haben.«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Schulcampus Rostock-Evershagen: »Wir probieren ständig etwas Neues aus.«

Ganztags-Rechtsanspruch für Grundschulkinder: Was jetzt passieren muss

Die Autorinnen und Autoren

Abstract

Einleitung

In den vergangenen Jahren ist der Ganztagsausbau in Deutschland – rein quantitativ – rasant vorangeschritten: Der Anteil ganztägig lernender Schülerinnen und Schüler kletterte von rund zehn Prozent zu Beginn des Jahrtausends auf über 40 Prozent im Jahr 2016 – Tendenz weiter steigend. Dabei ist die Entwicklung guter Ganztagsschulen ein komplexes Vorhaben, bei dem viele Faktoren ineinandergreifen müssen. Das pädagogische Engagement der Beteiligten, eingebunden in ein örtlich passendes Arbeitskonzept, ist die allererste Voraussetzung für einen gelungenen Ganztag. Zugleich sind auch politische Entscheidungen erforderlich, um die notwendigen Rahmenbedingungen für diese Arbeit zu schaffen: Dazu gehört die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel und damit auch der personellen Ausstattung der Schulen; dazu gehört aber auch ein Rechtsrahmen, der den Schulen ein eigenständiges Agieren ermöglicht.

Den Fragen, ob und in welchem Maße diese Faktoren im Rahmen des Ausbaus ebenfalls erfüllt wurden und inwiefern der quantitative Ausbau auch qualitätsvoll erfolgt, geht diese Publikation in drei Themenblöcken nach. Jeder Block enthält drei Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren sowie eine abschließende Kommentierung. Zwischen den einzelnen Beiträgen finden sich kurze Transformationsgeschichten aus der Praxis von Schulen, die sich in den vergangenen Jahren zu pädagogisch qualitätsvoll ausgestalteten Ganztagsschulen weiterentwickelt haben.

Themenblock I liefert mit drei Beiträgen einen Überblick über die Diskussion rund um die Erfahrungen mit dem Ganztag aus Sicht der Forschung: Christine Steiner fasst den Stand der Ganztagsschulforschung zusammen, Nicole Hollenbach-Biele, Anja Simon und Dirk Zorn beleuchten auf Basis einer repräsentativen Umfrage die Erfahrungen von Eltern und Tobias Linberg, Olaf Struck und Thomas Bäumer untersuchen, ob die fachliche Kompetenzentwicklung in der Ganztagsschule besser als im Halbtag gelingt. Klaus-Jürgen Tillmann fügt in seinem Kommentar die Ergebnisse der drei Beiträge zu einer ersten Skizze der pädagogischen Qualität an den real existierenden Ganztagsschulen zusammen und zeichnet sie als ein Bild voller Licht und Schatten: Quantitativer Ausbau und pädagogische Qualitätsverbesserung müssten künftig – deutlich stärker als bisher – Hand in Hand gehen. Den direkten Einblick in die Praxis der Ganztagsschulentwicklung ergänzen im Themenblock I Schulgeschichten aus Bremen (Grundschule Pfälzer Weg), Nordrhein-Westfalen (Geschwister-Scholl-Gymnasium Pulheim), Rheinland-Pfalz (Grundschule Gau-Odernheim) und Bayern (Grundschule Berg am Laim, München).

Themenblock II widmet sich – am Beispiel der Regelwerke für gebundene Ganztagsschulen – der Frage, wie es um die Ausstattung von Ganztagsschulen mit personellen Ressourcen in den Bundesländern bestellt ist, wie die Kosten für einen weiteren, qualitätsvollen Ausbau zu beziffern sind (beide Beiträge von Klaus Klemm und Dirk Zorn) und welche Impulse die Organisationssoziologie und die Verwaltungswissenschaft für die Qualitätsentwicklung von Schulen im Allgemeinen und Ganztagsschulen im Besonderen geben können (Werner Jann und Markus Seyfried). In seinem einordnenden Kommentar schlussfolgert Klaus-Jürgen Tillmann, dass der in den nächsten Jahren weiterzuführende Ganztagsausbau unter erschwerten Bedingungen stattfinden und unter institutionellen Reformwidersprüchen erfolgen muss. Das Augenmerk, so Tillmann, müsse daher vor allem auf kompetentes Steuerungshandeln gerichtet werden, um eine qualitätsvolle pädagogische Entwicklungsdynamik in Gang setzen zu können. Ergänzt wird dieser Themenblock durch Schulporträts aus Bremen (Grundschule Auf den Heuen), dem Saarland (Hochwald-Gymnasium Wadern), Nordrhein-Westfalen (Gymnasium Alsdorf) und Mecklenburg-Vorpommern (Schlossgymnasium Gützkow).

In Themenblock III geht es um die konkreten Schulentwicklungsprozesse hin zum gebundenen Ganztag. Im Rahmen einer Interviewstudie mit zehn Schulleitungen erfolgreicher Ganztagsschulen haben Falk Radisch, Klaus Klemm und Klaus-Jürgen Tillmann im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und Vodafone Stiftung Qualitätsmerkmale guten ganztägigen Lernens erarbeitet und fünf zentrale Handlungsfelder abgeleitet. Nicole Hollenbach-Biele analysiert insgesamt 21 Interviews mit Schulleitungen guter Ganztagsschulen mit Blick auf deren konkreten Transferprozess und leitet daraus die wesentlichen Aufgaben, Meilensteine und Risiken für solche Schulen ab, die sich ebenfalls auf den Weg zu einem anspruchsvoll strukturierten Ganztag machen wollen. Dirk Zorn schließlich knüpft an aktuelle Erkenntnisse aus der US-amerikanischen Organisationsforschung an: Er identifiziert mit dem sogenannten 3-B-Prinzip die Faktoren Beteiligung, Begegnung und Bedeutsamkeit als drei zentrale Gestaltungselemente einer Schulentwicklung, die Lehrkräfte für eine aktive Mitwirkung bei der pädagogischen Gestaltung des Ganztags gewinnt.

Klaus-Jürgen Tillmann folgert aus den drei Beiträgen, dass sich aus den konkreten Beispielen der untersuchten und ausführlich beschriebenen Modellschulen sowohl kritische Problemreflexionen als auch konkrete Hinweise für Strategien auf politischer, administrativer und schulpraktischer Steuerungsebene ableiten lassen, die – im deutschen Schulwesen in die Fläche getragen – zu mehr und besseren Ganztagsschulen führen können. Praxiseinblicke ermöglichen in diesem Themenblock Schulporträts aus Mecklenburg-Vorpommern (Schulcampus Rostock-Evershagen), Nordrhein-Westfalen (Alexander-Hegius-Gymnasium Ahaus), Hamburg (Stadtteilschule Niendorf) und noch einmal Nordrhein-Westfalen (Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Rösrath).

Zum Download finden interessierte Leserinnen und Leser weitere Schulporträts auf unserer Website unter www.bertelsmann-stiftung.de/guter-ganztag-schulpor traits.

Was sagt die Wissenschaft zum Lernen im Ganztag?

Ganztag: Eine Chance für gutes Lernen

15 Jahre Ausbau von Ganztagsschulen in Deutschland

Christine Steiner

Seit den 1990er-Jahren, spätestens jedoch mit dem 2003 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gestarteten Investitionsprogramm »Zukunft Bildung und Betreuung« (IZBB), avancierte die Ganztagsschule vom reformpädagogischen Schulkonzept zu einem mit weitreichenden Erwartungen verbundenen bildungs- und sozialpolitischen Reformprogramm. Zu den Kernzielen des Ganztagsausbaus zählt neben der Unterstützung einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienleben für erwerbstätige Eltern insbesondere eine verbesserte individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler.

Unter dem Eindruck der ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studie des Jahres 2000 versprach man sich von mehr (außer-)schulischen Ganztagsangeboten eine bessere Unterstützung vor allem für Schülerinnen und Schüler mit Bildungsdefiziten, aber auch für Kinder und Jugendliche mit besonderen Begabungen (Kuhlmann und Tillmann 2009: 23). Anders als in den USA, wo es eine lange Forschungstradition zu außerunterrichtlichen/-schulischen Angeboten gibt, wurden diese hierzulande kaum im Hinblick auf ihr Bildungspotenzial untersucht (Grunert 2006). Die wenigen zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Studien im deutschsprachigen Raum lieferten kaum Belege dafür, dass der Besuch einer Ganztagsschule dies zu leisten vermag. Ganztagsschulen eilte zwar der Ruf innovativer Schulen voraus, doch zu besseren Fachleistungen führte ein ganztägiger Schulalltag nicht (zusammenfassend Holtappels et al. 2007: 42 f.). Allenfalls gab es Hinweise auf eine bessere soziale Integration in die Schulgemeinschaft und eine Verbesserung des Sozialverhaltens der Schülerinnen und Schüler (ebd.). Ähnliches gilt für die in Deutschland bis zum Ganztagsausbau vor allem außerschulisch organisierten Unterstützungsformen schulischen Lernens. Dazu gehören beispielsweise die elterliche Begleitung der Hausaufgaben oder die private Nachhilfe, die die Leistungsentwicklung von Schülerinnen und Schülern nur unter bestimmten Bedingungen fördern (Luplow und Schneider 2018).

Pädagogisches Großexperiment

Sowohl der Mangel an empirischer Evidenz und die bestehenden Forschungslücken in Deutschland als auch das eher vage gehaltene bundesweite Rahmenkonzept mit wenigen, auf die Organisationsformen bezogenen Kriterien machten den Ganztagsausbau zu einer Art pädagogischem Großexperiment.

Nach nunmehr 15 Jahren gibt es einiges, was für einen beachtlichen Erfolg dieses Experiments spricht. Vor allem ist dabei der zwischenzeitlich erreichte Ausbaustand von fast zwei Drittel aller allgemeinbildenden Schulen zu nennen (KMK 2016: 1). Zudem ist die Akzeptanz ganztägig organisierter Bildung und Betreuung stetig gewachsen. Ganztagsschulen finden inzwischen selbst bei den anfänglichen Kritikerinnen und Kritikern unter den sozial- und bildungspolitischen Akteuren Unterstützung (Rauschenbach 2015: 28). Mit rund 70 Prozent wünscht sich heute die Mehrheit der Eltern für ihr Kind den Besuch einer Ganztagsschule (Tillmann 2014: 76 ff.). Nicht zuletzt schätzen die Kinder und Jugendlichen selbst dieses schulische Angebot – und sie profitieren auch von der Inanspruchnahme (StEG-Konsortium 2010).

Zugleich wurde jedoch im Zuge des Ausbaus immer wieder die Forderung erhoben, sich generell über pädagogische Qualitätskriterien zu verständigen; schließlich solle es nicht nur viele, sondern viele gute Ganztagsschulen geben. Die Kritik: Es mangele an einem einheitlichen Verständnis darüber, was einen guten Ganztag ausmacht und welche Bedingungen dafür nötig sind (zuletzt Bertelsmann Stiftung et al. 2017). Grund genug zu fragen, was bisher über die Bedingungen und die pädagogische Praxis an Ganztagsschulen bekannt ist und welche neuen Chancen für das Lernen von Kindern und Jugendlichen damit verbunden sind.

Schulische Ganztagsorganisation: Rahmenbedingungen und pädagogische Gestaltungslinien

Die Kritik, es fehle ein einheitliches Verständnis über die Ganztagsqualität, überrascht. Sowohl in programmatischen Ausführungen als auch in den Rahmenkonzepten zur Ganztagsqualität, die es mittlerweile in vielen Bundesländern gibt, werden eine Reihe wiederkehrender Momente zur Förderung der Ganztagsqualität und damit auch zur besseren Unterstützung der Schülerinnen und Schüler genannt. Dazu zählt der Verweis auf den erweiterten zeitlichen Rahmen und die dadurch mögliche größere Vielfalt an außerunterrichtlichen Angeboten ebenso wie der auf die Chancen, die sich aus dem erweiterten Kreis an Mitarbeitenden ergeben. So erhofft man von multiprofessionellen Ganztagsteams eine nachhaltige Veränderung der schulischen Lernkultur durch mehr partizipative und prozessuale Gestaltungselemente, aber auch durch die verstärkte Nutzung adaptiver Lehr- und Lernstrategien.

All dies ist nicht neu. Vieles davon wird in der Schul- und Unterrichtsqualitätsforschung seit Längerem als förderlicher Faktor für die individuelle Entwicklung von Schülerinnen und Schülern diskutiert (exemplarisch Ditton 2000). In diesem Sinn ist der Ganztagsschulausbau auch ein Projekt für mehr Schulqualität, für mehr gute Schulen und guten Unterricht. Allerdings ist der Fokus der Aufmerksamkeit, auch in der Forschung, vor allem auf die außerunterrichtlichen Angebote und ihre Verbindung mit dem Unterricht gerichtet. Anstelle einer effektiven Zeitgestaltung, die sich in der Unterrichtsqualitätsforschung als förderlich erwiesen hat, werden im Zusammenhang mit Ganztagsschulen vor allem die Möglichkeiten einer an den psycho- und physiologischen Leistungskurven der Schülerinnen und Schüler orientierten zeitlichen Rhythmisierung des gesamten Schultages thematisiert.

Andere Form von Bildung, erweitertes Förderverständnis

Dieser Fokus ist darauf zurückzuführen, dass Ganztagsschulen vor allem auch zu einer anderen Form von Bildung führen sollen. Im Rückgriff besonders auch auf reformpädagogische Ideen geht es darum, die lehrplangestützte, fächerbasierte Organisation des Lernens grundständig zu verändern: durch eine an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientierte Zeitgestaltung und die lebensweltliche Öffnung der Schule mit dem Einbezug nonformaler Lerngelegenheiten und von Freizeitangeboten. Damit einher geht ein Verständnis individueller Förderung, das nicht nur auf die Verbesserung von Fachleistungen setzt, sondern auf die Unterstützung der biografischen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler (Maykus et al. 2011: 127).

Das ist angesichts des »Ausbauanlasses PISA« nicht selbstverständlich. Die jüngste Schulleitungsbefragung des StEG-Projekts lässt erkennen, wie stark dieses erweiterte Förderverständnis an Ganztagsschulen inzwischen vertreten wird. Während schulformübergreifend deutlich über 80 Prozent aller Schulleitungen angaben, das Ziel »Förderung der Gemeinschaft, des sozialen Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung« sei in ihrem Ganztagskonzept verankert, lag die entsprechende Quote beim Ziel »Kompetenzorientierung und Begabungsförderung« lediglich zwischen 50 und 65 Prozent (StEG-Konsortium 2015: 56). Diese erweiterte Lern- und Fördervorstellung korrespondiert durchaus mit den Vorstellungen und Wünschen der Eltern von Ganztagsschülerinnen und -schülern, für die die Unterstützung der Leistungsentwicklung vor allem als Vor- bzw. Nachbereitung von Passagen im Bildungssystem von Bedeutung ist (Arnoldt und Steiner 2015: 219). Dies spiegelt sich auch in der Nutzung von Ganztagsangeboten durch die Schülerinnen und Schüler wider.

Rhythmisierte Zeitkonzepte sind selten

Für die Verwirklichung ihrer Ziele haben die meisten Ganztagsschulen einen deutlich weiteren zeitlichen Rahmen als den in der KMK-Definition vorgesehenen Mindestumfang. Die Regel ist ein viertägiges Ganztagsangebot von mindestens acht Zeitstunden; Primarschulen bieten häufiger und zunehmend darüber hinausgehende Öffnungszeiten an. Allerdings sind rhythmisierte Zeitkonzepte eher selten, vor allem auch, weil in der Praxis eine erhebliche Unsicherheit darüber besteht, welche konkreten zeitorganisatorischen Veränderungen damit im Einzelnen verbunden sind (Bertelsmann Stiftung 2012: 66). Änderungen des zeitlichen Ablaufs eines Schultages lassen sich besser an einzelnen Gestaltungselementen ablesen. So wird in der großen Mehrheit der weiterführenden Schulen der Unterricht inzwischen über den ganzen Schultag verteilt; in überraschend vielen Primarschulen können Schülerinnen und Schüler sich ihre Zeit zumindest teilweise selbst einteilen.

Außerunterrichtliche Angebote werden dagegen nur selten über den ganzen Tag verteilt. Dabei sind gerade sie mit Aufnahme des Ganztagsbetriebes erheblich ausgebaut worden. Neben dem obligatorischen Mittagessenangebot und den im Grunde an allen Schulen vorhandenen Sportkursen und Angeboten zur musisch-kulturellen Bildung bieten Ganztagsschulen in der Regel auch eine Hausaufgabenbetreuung sowie diverse fachbezogene Förder- und Zusatzkurse.

Insgesamt betrachtet fällt jedoch auf, dass ein ausgewogenes Angebotsspektrum vielfältiger freizeitbezogener Aktivitäten sowie förder- und fachbezogener Angebote eher an Gymnasien und Gesamtschulen zu finden ist. In den übrigen Schulformen, besonders in den Hauptschulen, überwiegen die überfachlichen und freizeitbezogenen Angebote (Arnoldt und Steiner 2016). Insofern ist das Spektrum schulformspezifisch geprägt, was mit Blick auf den intendierten Abbau herkunftsbedingter Bildungsdisparitäten durchaus problematisch ist. Deutlich wird aber auch, dass die Vielfalt der Angebote an solchen Schulen größer ist, die über mehr pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen und sich die Kompetenzentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler zum Ziel gesetzt haben (ebd.).

Multiprofessionelle Teams und schulische Lernkultur

Viele Bildungsexpertinnen und -experten empfehlen ein möglichst vielfältiges Angebot – nicht nur, um den unterschiedlichen Voraussetzungen der Schülerschaft Rechnung tragen zu können, sondern auch, um ihre Wünsche berücksichtigen bzw. ihr Interesse wecken zu können. Dass sich ein vielfältiges Angebot nicht an allen Schulen findet, ist zum einen den knappen finanziellen Mitteln geschuldet und zum anderen den Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie weitere Mitwirkende zu finden. In ländlichen Regionen und in sozial benachteiligten städtischen Quartieren werden die Gestaltungsmöglichkeiten von Schulen durch mangelnde regionale Kooperationsgelegenheiten zusätzlich eingeschränkt (BMBF 2012: 42 ff.).

Erschwerend hinzu kommt ein hohes Maß an zeitlicher Flexibilität der Beschäftigungsverhältnisse von Lehrpersonen und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So arbeitet nur ein Teil der Lehrkräfte regelmäßig im schulischen Ganztagsbereich mit; die pädagogisch Mitarbeitenden sind oft in Teilzeit und/oder auf der Basis befristeter Verträge beschäftigt. Die Mitwirkung von Honorarkräften und ehrenamtlich Tätigen ist generell zeitlich begrenzt. Auch das hat Konsequenzen für die Angebotsgestaltung. Vor allem aber ist die Etablierung multiprofessioneller Ganztagsteams eine organisatorische Herausforderung für die Schulleitungen.

Wenige konzeptionelle Brücken

Zur Ganztagsgestaltung zählt weiterhin die Forderung, dass das möglichst vielfältige Ganztagsangebot konzeptionell mit dem Fachunterricht verknüpft sein soll. Wie beim zeitlich rhythmisierten Schulalltag ist auch hier unklar, was das in der pädagogischen Praxis bedeutet und wie diese Forderung umgesetzt werden kann; vor allem auch, weil der Rückbezug auf den Fachunterricht dem umfassenden Verständnis individueller Förderung der Schülerinnen und Schüler zuwiderzulaufen scheint (Gaiser, Kielblock und Stecher 2016: 798). Ein ähnliches Spannungsverhältnis zeigt sich in der besonders zu Beginn des Ganztagsausbaus geführten Debatte über eine mangelnde Anerkennung der institutionellen und pädagogischen Eigenständigkeit von schulischer und außerschulischer Bildung sowie einer drohenden De-Professionalisierung durch einen multiprofessionell gestalteten Ganztag.

Diese Befürchtungen haben sich zwischenzeitlich etwas abgeschwächt. Zum einen wohl deshalb, weil Lehrkräfte die Zusammenarbeit mit den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Gewinn und auch als Entlastung zu schätzen gelernt haben; zum anderen aber auch, weil ihre Zusammenarbeit eher einem arbeitsteiligen Muster folgt: Lehrpersonen übernehmen häufig die unterrichtsbezogenen Angebote, während die pädagogisch Mitarbeitenden vor allem über den Unterricht hinausgehende Angebote bestreiten (Steiner 2018).

Es überrascht daher wenig, dass nach Auskunft von Ganztagsschulleitungen an rund der Hälfte der Schulen kaum konzeptionelle Brücken zwischen den Angeboten und dem Fachunterricht gebaut wurden. Am häufigsten findet sich das Nach- und Vorbereiten von Unterrichtsinhalten (StEG-Konsortium 2015: 58). Für die Hausaufgabenhilfe oder den Förderunterricht, wo dies in der Regel stattfindet, steht an Ganztagsschulen mehr Zeit zur Verfügung, die durchaus zu einer innovativen pädagogischen Praxis führen kann, aber nicht muss (Gaiser, Kielblock und Stecher 2016).

Die individuelle Zuwendung zur einzelnen Schülerin bzw. zum einzelnen Schüler ist in der Hausaufgabenhilfe durchaus häufig zu finden, aber auch in Fördergruppen und zusätzlichen Lernzeiten – dabei steht die Gruppengröße jedoch einer fokussierten fachlichen Förderung entgegen. Zudem kann eine verstärkte individuelle Zuwendung auch mit einer diffusen, ambivalenten sozialen und körperlichen Nähe zu den Schülerinnen und Schülern einhergehen (Rabenstein und Podubrin 2015: 255 f.). Doch scheint auch für die Hausaufgabenhilfe und den Förderunterricht in der Schule das zu gelten, was für das jeweilige außerschulische Pendant gilt: Eine entsprechende Unterstützung der Schülerinnen und Schüler ist nur bei einer hohen Angebotsqualität zu verzeichnen, also bei effektiver Zeitnutzung und einer strukturierten Lernumgebung (StEG-Konsortium 2010: 18 f.).

Autonomie stärkt Motivation

Impulse für eine neue pädagogische Praxis an Ganztagsschulen werden auch von mehr Partizipationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler erwartet. Die zur Schülerpartizipation vorliegenden Untersuchungen zeigen jedoch zunächst einmal, dass sich Ganztagsschulen nicht durch eine ausgeprägte Partizipationskultur auszeichnen. Das gilt für den Unterricht ebenso wie für den außerunterrichtlichen Bereich (Bertelsmann Stiftung 2012: 57 f.). Allerdings sollte die an allen Schulen bestehende Möglichkeit, dass Kinder und Jugendliche zwischen den Angeboten auswählen können, in ihrer Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler nicht unterschätzt werden.

Die noch immer wenigen Untersuchungen, die sich mit den Einschätzungen und Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern befassen, zeigen, dass die Wahlmöglichkeit und Freiwilligkeit genau das ist, was das außerunterrichtliche Angebot in den Augen der Kinder und Jugendlichen im positiven Sinn vom Unterricht unterscheidet (StEG-Konsortium 2016: 31; Dzengel und Stein 2015: 294). Sie beziehen ihre Einschätzung nicht nur auf die populären überfachlichen und freizeitbezogenen Angebote, sondern auch auf unterrichtsnahe Formate. Die Freiwilligkeit der Teilnahme stärkt das Autonomieempfinden und damit auch die Motivation von Kindern und Jugendlichen, was sich letztlich bei unterrichtsnahen Angeboten als wichtiger Faktor für die Wirksamkeit von Ganztagsangeboten erwiesen hat (StEG-Konsortium 2016: 4).

Aber nicht nur das: Kinder und Jugendliche nehmen Ganztagsangebote nicht zuletzt deshalb auch als einen Ort wahr, an dem man in anderer Weise als im Unterricht miteinander zusammen sein kann, wo man aber auch Gelegenheit hat, etwas lernen zu können (Arnoldt, Furthmüller und Steiner 2013: 20 und 29 f.). Sie formulieren dabei Ansprüche an die Gestaltung der Angebote, etwa an ihre Organisation, ihre Strukturiertheit und ihren Anregungsgehalt, mithin also typische Merkmale der Angebotsqualität, die zugleich Merkmale guten Unterrichts sind. Dabei zeigt sich auch, wie Schülerinnen und Schüler ihre zusätzliche Zeit an der Schule verbringen möchten: nicht mit mehr Unterricht, aber auch nicht mit mehr freier Zeit, die sie mehr oder minder zur eigenen Verfügung haben, sondern als zusätzliche, ihren Interessen folgende Lernzeit (Dzengel und Stein 2015: 294).

Inanspruchnahme und individuelle Wirkungen von Ganztagsangeboten

Die Freiwilligkeit und die Wählbarkeit von Angeboten, die an den offenen Ganztagsschulen auch hinsichtlich der generellen Teilnahme bestehen, werfen die Frage auf, ob alle Kinder und Jugendlichen in gleicher Weise am Ganztag teilnehmen, vor allem auch die Schülerinnen und Schüler, die eine besondere individuelle Unterstützung benötigen. Untersuchungen an offenen Ganztagsschulen zeigen, dass besonders im Primarbereich Kinder aus sozial weniger privilegierten Elternhäusern seltener am Ganztagsangebot teilnehmen. Für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I wurde vor allem ein deutlicher Einfluss des Alters sichtbar: Mit zunehmendem Alter wird die Teilnahme am Ganztagsangebot der Schule unwahrscheinlicher (Steiner und Fischer 2011: 198 f.).

Hinsichtlich der Wahl konkreter Angebote wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche dann, wenn sie selbst über die Teilnahme entscheiden können, eher überfachliche und Freizeitangebote nutzen (ebd.). Diese Präferenz wird auch sichtbar, wenn längere Abschnitte der Schullaufbahn in den Blick genommen werden. So hatten fast 70 Prozent aller Schülerinnen und Schüler aus Haupt- und Realschulbildungsgängen im Verlauf der Sekundarstufe I allenfalls vereinzelt unterrichtsbezogene Angebote besucht. Auf eine vergleichsweise regelmäßige Inanspruchnahme überfachlicher und freizeitbezogener Angebote verzichtete dagegen nur rund ein Drittel der Schülerinnen und Schüler (StEG-Konsortium 2016: 37 f.). Besonders beliebt sind hier bei den Jungen Sportangebote; Schülerinnen konzentrieren sich hingegen stärker auf musisch-kulturelle Angebote.

Eltern sehen lernförderliches Potenzial

Das ergibt nun in zeitlicher wie auch in thematischer Hinsicht das Bild einer typischen mittelschichtsgeprägten Kindheit und frühen Jugend, in der der Besuch organisierter Freizeitangebote, vorzugsweise im Sport oder im Bereich der musisch-kulturellen Bildung, selbstverständlich ist, wenngleich nicht an jedem Wochentag. Ein genaueres Hinsehen lohnt sich dennoch. So fällt beispielsweise beim Wechsel von der Primar- in die Sekundarstufe I auf, dass neben der Ganztagserfahrung und dem Betreuungsbedarf vor allem erkennbare Lernschwierigkeiten für den Wechsel an eine weiterführende Ganztagsschule sprachen. Ganztagsschulen zeichnen sich aus Perspektive der Eltern also offenbar durch ein lernförderliches Potenzial aus.

Entsprechend besuchen – wie von den Eltern gewünscht – zumindest manche Schülerinnen und Schüler verstärkt unterrichtsbezogene Angebote zu Beginn, aber auch zum Ende der Sekundarstufe I. Vor allem Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zeichnen sich durch ein ausgesprochen leistungsbezogenes Profil lernbezogener Ganztagsangebote aus. Bei den fachübergreifenden und freizeitbezogenen Aktivitäten ist in den Teilnahmeprofilen eine allmähliche Reduzierung und Fokussierung der Inanspruchnahme erkennbar: Während jüngere Kinder nicht nur vom Umfang her, sondern auch hinsichtlich der thematischen Vielfalt eine breite Palette außerunterrichtlicher Angebote nutzen, konzentrieren sich ältere Schülerinnen und Schüler auf Lernangebote und soziale Formate wie die Mitwirkung in der Seniorenbetreuung, eine Erste-Hilfe-Ausbildung oder eine Mentorentätigkeit.

Hohe Angebotsqualität stützt positive Entwicklung der Kinder

Resultieren aus dieser unterschiedlichen Teilnahmepraxis unterschiedliche individuelle Wirkungen? Die Wirkungen des Ganztagsbesuchs werden oft anhand der zeitbezogenen Aspekte der Teilnahmedauer und -intensität sowie anhand verschiedener Dimensionen der Angebotsqualität untersucht. Beides spielt bei der Entwicklung verschiedener Aspekte des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen sowie bei der Entwicklung schulischer Leistungen eine Rolle. Insgesamt gesehen scheinen jedoch eher Effekte von der Angebotsqualität als von der Dauer der Inanspruchnahme auszugehen. Der Einfluss der Teilnahmedauer zeigt sich vor allem bei der Reduzierung problematischen Sozialverhaltens und dem Schutz vor Klassenwiederholungen. Demgegenüber unterstützt eine hohe Angebotsqualität vor allem die positive Entwicklung von Lernvoraussetzungen wie der Lernmotivation oder der Schulfreude, aber auch eine positive Entwicklung der Schulnoten.

In der Gesamtschau der bisher vorliegenden Forschungsbefunde zu den individuellen Wirkungen des Ganztagsbesuchs zeichnet sich eine hohe Übereinstimmung dahingehend ab, dass der Besuch von Ganztagsangeboten die psychosoziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler unterstützt und damit Wichtiges für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen leistet. Im Hinblick auf die Förderung der Fachleistungen ist die Befundlage disparater: In einigen Untersuchungen zeigten sich förderliche Wirkungen auf die Entwicklung fachbezogener Kompetenzen und/oder der Noten, in anderen konnten keine Unterschiede zwischen Ganz- und Halbtagsschülern bzw. in der Entwicklung fachbezogener Kompetenzen festgestellt werden. Vielleicht lässt sich am ehesten festhalten, dass Ganztagsschulen durchaus das Potenzial haben, die individuelle Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler besser zu unterstützen. Sie könnten es aber gerade im Hinblick auf die fachbezogene Kompetenzentwicklung sicher intensiver ausschöpfen.

Schlussbemerkung: Anders lernen an der Ganztagsschule

Ganztagsschulen sind heute eher die Regel denn die Ausnahme in der deutschen Schullandschaft. Die inzwischen große Akzeptanz, insbesondere seitens der Familien, wird gelegentlich auf die Unterstützung der Eltern bei der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienleben und die Offenheit der Gestaltung zurückgeführt. Zweifelsohne leisten Ganztagsschulen einen wichtigen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Beitrag.

Im Verlauf dieser Ausführungen ist aber auch deutlich geworden, dass Schulen und Eltern das erweiterte Verständnis individueller Förderung von Kindern und Jugendlichen weitgehend teilen. Eltern wollen ebenso wie die Ganztagsschulen keine erweiterte Unterrichtsschule, sondern wünschen eine an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientierte Schule. Damit scheint eine solche Schule auch die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu treffen, die die freie Zeit in der Schule durchaus als Lernzeit für sich entdecken und damit die Konturen eines anderen Lernens in der Schule aufscheinen lassen. Insofern traf beim Ganztagsaufbau eine originär reformpädagogische Idee auf moderne, die Entwicklung von Individualität betonende Lebensverhältnisse. Ganztagsschulen können in diesem Sinn durchaus auch als modernisierte Schulen angesehen werden.

Dass sie diesem erweiterten Förderverständnis gerecht werden, zeigen insbesondere die vorliegenden Befunde zur Unterstützung der sozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, mithin auch eine Voraussetzung für das fachbezogene Lernen. Die Schulen haben aber auch Erfolge bei der direkten Unterstützung schulischen Erfolgs, allerdings vor allem unter der Bedingung einer hohen Angebotsqualität.

Was brauchen gute Ganztagsschulen?

Soll am Ziel eines substanziellen Abbaus herkunftsbedingter Bildungsdisparitäten festgehalten werden, ist eine stärkere Etablierung von Strategien fachbezogener individueller Förderung erforderlich – sowohl im Unterricht als auch bei den Angeboten. Allerdings falle es Ganztagsschulen mitunter schwer, so Sabine Reh (BMBF 2012: 17), sich selbst als Weiterentwicklung der Unterrichtsschule zu verstehen und nicht als Ausschmückung mit Freizeitangeboten. Im Fokus ständen vielmehr – durchaus in einem reformpädagogischen Verständnis – die Kompensation von Defiziten des Sozialraumes und der außerschulischen Sozialisation der Schülerinnen und Schüler.

Was braucht es, damit Ganztagsschulen sich ein zeitgemäßes Verständnis einer modernen Unterrichtsschule erarbeiten können? Zunächst einmal solidere finanzielle und personelle Rahmenbedingungen, als sie an vielen Ganztagsschulen heutzutage anzutreffen sind. Notwendig ist aber auch eine breite fachliche Unterstützung. So wurde an verschiedenen Stellen gerade in der praktischen Auseinandersetzung mit Gestaltungsideen (Rhythmisierung oder Verbindung von Angebot und Unterricht) von Unsicherheiten der Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichtet. Solche Unsicherheiten können als Ausdruck konfligierender Anforderungen – etwa rechtlicher Bestimmungen, professioneller Interessen oder der Wünsche von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern – angesehen werden. Deren produktive Bearbeitung kann, schon allein aufgrund der eigenen Beteiligung, nur bedingt vor Ort geleistet werden.

Im Sinne einer schülerorientierten Schule ist zudem das Investieren in die konkrete Gestaltung des Unterrichts und der Angebote immer eine gute Idee, weil es Kindern und Jugendlichen unmittelbar zugutekommt. Die bisherigen Befunde zeigen, dass Ganztagsschulen dies leisten können. Und sie zeigen auch, dass eine andere Schule möglich ist.

Literatur

Arnoldt, Bettina, und Christine Steiner (2016). »Kaum zu vergleichen«. DJI Impulse 2/2016. 10–13.

Arnoldt, Bettina, und Christine Steiner (2015). »Perspektiven der Eltern auf die Ganztagsschule«. Zeitschrift für Familienforschung (27) 2. 208–227.

Arnoldt, Bettina, Peter Furthmüller und Christine Steiner (2013). Ganztagsangebote für Jugendliche. Eine Expertise zum Stellenwert von Ganztagsangeboten für Schüler/innen ab der 9. Klasse. Expertise im Auftrag des Zentrums Eigenständige Jugendpolitik. Wissenschaftliche Texte des Deutschen Jugendinstituts (DJI). München. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2012). Ganztagsschule als Hoffnungsträger für die Zukunft. Ein Reformprojekt auf dem Prüfstand. Gütersloh.

Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator, Vodafone Stiftung Deutschland (2017). Mehr Schule wagen – Empfehlungen für guten Ganztag. Gütersloh, Stuttgart, Essen und Düsseldorf. www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/mehr-schule-wagen-empfehlungen-fuer-guten-ganztag/ (Download 20.9.2018).

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2012). Ganztägig bilden. Eine Forschungsbilanz. Berlin.

Ditton, Hartmut (2000). »Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung in Schule und Unterricht. Ein Überblick über den Forschungsstand«. Qualität und Qualitätssicherung im Bildungsbereich: Schule, Sozialpädagogik, Hochschule. Hrsg. Andrea Helmke, Walter Hornstein und Ewald Terhart. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik 41. Weinheim. 73–92.

Dzengel, Jessica, und Doreen Stein (2015). »Zur Schülersicht von Freizeitangeboten im offenen Ganztag«. Lernkulturen. Rekonstruktion pädagogischer Praktiken an Ganztagsschulen. Hrsg. Sabine Reh, Bettina Fritzsche, Till-Sebastian Idel und Kerstin Rabenstein. Wiesbaden. 283–296.

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Grundschule Pfälzer Weg: »Wir sind auch Lernende.«

Wer weiß, wozu es gut ist? Besieht man sich die Geschichte der Grundschule am Pfälzer Weg in Bremen auf ihrem Weg zur Ganztagsschule, kommt einem unweigerlich dieser Spruch in den Sinn. Denn es waren gerade äußere, nicht unbedingt angenehme Ereignisse und Umstände, die letzten Endes die Schulentwicklung angeschoben und im Schuljahr 2014/2015 auf das erfolgreiche Gleis Richtung gebundene Ganztagsschule gesetzt haben.

Die Grundschule liegt im Stadtteil Tenever, der mit dem Etikett »sozialer Brennpunkt« versehen ist. In den 1970er-Jahren wurden hier Hochhäuser mit bis zu 21 Etagen und über 2.500 Wohnungen gebaut. Doch in dem als »beispielhafter Siedlungsbau« intendierten Komplex ließen sich die Wohnungen nur schwer vermieten. Zeitweise standen über 50 Prozent leer; in die anderen zogen hauptsächlich Migranten und Aussiedler. Inzwischen leben Menschen aus bis zu 90 Kulturen in Tenever. 2004 bis 2009 wurde ein Drittel der Wohnblocks im Rahmen des Förderprogramms »Stadtumbau West« abgerissen. In diesem sozial schwierigen Stadtteil wurde der Wunsch des Quartiersmanagements an die Schule herangetragen, Ganztagsschule zu werden, da die Versorgung mit Ganztagsplätzen durch die Nachbargrundschule bei Weitem nicht mehr ausreichte. Nun musste sich die 1991 gegründete Grundschule an der Pfälzer Straße positionieren: Konnte man sich vorstellen, Ganztagsschule zu werden?

Die Diskussionen begannen 2010. Laut der damaligen Schulleiterin Maresi Lassek war sie sich mit dem Kollegium einig, diesen Schritt gehen zu wollen. Denn dass etwas passieren musste, war Schulleitung und Kollegium klar. »Wir hatten schon zuvor bei so vielen Kindern gemerkt, dass sie eine Nachmittagsbetreuung benötigten, einen Ort, wo sie ihre Hausaufgaben erledigen und an Freizeitaktivitäten teilnehmen konnten. Wir kannten die Familien und wussten, dass dort eine weniger günstige Ausgangsbasis für die Kinder herrschte. Aber gerade die, die es am nötigsten hatten, fanden keinen Platz in den Horten oder konnten es sich finanziell nicht leisten«, erinnert sich die Rektorin. Auf dem Weg Richtung Ganztag gab es jedoch einen emotionalen Bremsklotz. Nachdem im Stadtteil eine Kita abgebrannt war und die Einrichtung als Ersatzgebäude das damalige Horthaus zugesprochen bekam, war der Hort – nun heimatlos – in die untere Etage des Schulgebäudes eingezogen. Schon immer hatte sich die Grundschule mit dem Hort, der etwa 60 ihrer Schülerinnen und Schüler am Nachmittag betreute, pädagogisch abgestimmt und auch gemeinsame Fortbildungen organisiert. Nun arbeitete man durch die räumliche Nähe noch enger und koordinierter zusammen, begegnete sich täglich buchstäblich auf dem Flur. Man begann schon zum damaligen Zeitpunkt, Fragen zu diskutieren, die sich sonst erst bei einer Ganztagsschule mit außerschulischen pädagogischen Partnern stellen, etwa nach der Art und Durchführung der Hausaufgaben. Auch die Nutzung von Funktionsräumen (Musik, Sport, Leseclub, Werkraum) galt es abzustimmen.

Nun aber war klar: Wenn die Grundschule am Pfälzer Weg gebundene Ganztagsschule werden sollte – und nur dies stand laut Maresi Lassek zur Debatte –, dann würde der Hort überflüssig und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären arbeitslos. Das wollte das Kollegium keinesfalls. Die Alternative war, auf die Trägerin des Horts, die St. Petri Kinder- und Jugendstiftung, zuzugehen und anzufragen, ob sich die Hortmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine Weiterarbeit unter dem Dach der Ganztagsschule vorstellen könnten. Maresi Lassek und ihre Konrektorin wurden in eine Dienstbesprechung des Horts eingeladen und konnten dort die Ausgangslage und erste konzeptionelle Überlegungen darstellen. Diese trafen »nicht auf Widerstand, sondern auf Mitüberlegungen und Zustimmung«, so Lassek.

Jetzt galt es zu überlegen: Wie konnten die Erzieherinnen und Erzieher, die bis dahin eigenverantwortlich freizeit- und gruppenpädagogisch im Hort arbeiteten, im System Ganztagsschule ihren Platz finden? Wie konnte man ihren großen Ängsten vor mangelnder Akzeptanz durch die Lehrkräfte und den Sorgen wegen unscharfer Arbeits- und Kompetenzzuschreibungen entgegenwirken? Dazu kam die Sorge um die Sicherheit der Arbeitsplätze, denn die Zustimmung der Bildungsbehörde zur Zusammenarbeit mit einem Träger und nicht mit über die Behörde eingestelltem Personal ließ lange auf sich warten und die Hortmitarbeiter blieben entsprechend im Ungewissen.

Doch die Schulleitung strahlte Optimismus aus und entschied, trotz fehlender Senatszusage bereits 2011 die ersten Fragen zum Ganztag auf einer Impulsfortbildung zu klären, die ein Mitarbeiter des Landesinstituts für Schule moderierte. Eineinhalb Tage tauschten sich dabei alle Beteiligten – einschließlich Eltern – aus: über organisatorische Fragen zu den Räumen, zur Rhythmisierung des Tagesablaufs, zu zusätzlichen Angeboten für die Kinder, zur Kooperation und zum Mittagessen. Die Impulsfortbildung war eine wichtige Wegmarke, denn die Gespräche fanden in gutem Einvernehmen statt. Die außerschulischen Pädagoginnen und Pädagogen erkannten, dass die Lehrkräfte sie anerkennen, sodass eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit gelegt wurde.

Gleich nach der Impulsfortbildung gründete die Schule eine Ganztagsarbeitsgruppe, der die beiden Leitungen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Hort und Schule angehörten. Die Steuergruppe trug Informationen zusammen und gab diese an die beiden Kollegien weiter. Zudem holte die Schulleitung Impulse von außen ein. Das Beispiel der Nachbarschule an der Andernacher Straße vor Augen, die in den Anfangsjahren mit einem Halbtags- und einem Ganztagszug operierte, wusste die Ganztagsschule in spe bereits, was sie nicht wollte. Dieses System von zwei Schulen unter einem Dach mit den entsprechenden organisatorischen Herausforderungen und der von Schulleiterin Maresi Lassek befürchteten »Auslese« in einen Ganztagszug mit den Kindern, die einen eher hohen Zuwendungsbedarf mitbringen, war keine Option. Die Ganztagsarbeitsgruppe sowie weitere Hort- und Lehrkräfte schwärmten zu Hospitationen an Bremer und überregionale Schulen aus, unter anderem nach Wolfsburg, Rostock, Potsdam und Hamburg. Ziel war es, dort Ganztagsabläufe zu beobachten und Gespräche mit Schulleitungen und Mitarbeitern zu führen. Die Besucherinnen und Besucher stellten Fragen zu Stundenplänen, zum Einsatz der pädagogischen Kräfte sowie zu Arbeitsverträgen und nahmen Impulse für die Ganztagsschulentwicklung am Pfälzer Weg mit.

Der Beginn der Ganztagsschule war für das Schuljahr 2013/2014 mit den Lerngruppen 1/2 (jahrgangsübergreifende Organisation) geplant; inzwischen gab es dafür auch die Zusage der Behörde. Doch diese Zusage zog die Behörde im November 2012 aus finanziellen Gründen zurück, »was uns ziemlich getroffen hat«, wie sich Maresi Lassek erinnert. Gegen die Entscheidung regte sich jedoch Widerstand. Nicht nur in der Schule selbst, sondern im gesamten Stadtteil – »es gab einen ziemlichen Aufstand«, so die Schulleiterin. Dieser führte dazu, dass die Entscheidung halbwegs rückgängig gemacht wurde; nun war der Start des gebundenen Ganztags für das darauffolgende Jahr bestimmt. Diese Krise hatte zwei Nebeneffekte: »Letztlich hat es den Stadtteil weiter zusammengeschweißt und unser Bewusstsein für die Ganztagsschulentwicklung noch mal geschärft«, findet die Pädagogin. Und sie sorgte für eine Änderung der Pläne. Statt wie anfangs geplant mit lediglich den ersten beiden Jahrgängen als Ganztagsschule zu starten und diese dann hochwachsen zu lassen, sorgte das fehlende Jahr für die Entschlossenheit, die gesamte Schule 2014/2015 mit einem Schlag zur gebundenen Ganztagsschule umzubauen. »Im Nachhinein eine ganz wichtige und richtige Überlegung«, so Maresi Lassek, »mit der man auch vermied, sich zumindest für zwei Jahre eine ungeliebte Doppelstruktur aufzuhalsen.«

Bis zum Start leistete die Steuergruppe weiter wertvolle Arbeit, weil sie in ständigem Austausch mit den Hortmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, den Lehrkräften und den Eltern Entscheidungen und Überlegungen transparent machte und alle relevanten Fragen ansprach. Mühsam war es, die Zeiten für gemeinsame Sitzungen zu finden. Oft ging es nur durch gegenseitige Vertretungsstunden am Vormittag oder erst nach 16:30 Uhr. Doch auch dies hatte etwas Gutes, wie die Schulleiterin sagt: »Die Kompromissbereitschaft hat ganz viel bewirkt in der Einstellung der Lehrerinnen und der Sozialpädagogen. Diese ganzen Diskussionen waren nicht vergebens.«

Die gebundene Ganztagsschule bietet nun an drei Tagen verbindlich für alle Kinder Unterricht bis 16 Uhr und an zwei Tagen (Montag und Freitag) bis 14 Uhr. Montags und freitags schließt sich eine Betreuungszeit bis 16 Uhr an, die etwa zwei Drittel der Kinder wahrnehmen. Die Unterrichtszeiten liegen für die Lehrkräfte im Ganztagsablauf teilweise am Nachmittag. Die Arbeitszeitaufteilung nimmt die ohnehin in Bremen verbindlichen Präsenzzeiten auf. Um Zeiten für Absprachen innerhalb der pädagogischen Teams der Lerngruppen und die lerngruppenübergreifende Kooperation sicherzustellen, sieht der Organisationsplan dafür Zeiträume vor. Dieses Vorgehen war bereits im Vorfeld vereinbart worden; allen Beteiligten war klar, dass man diese Zeiten benötigte, und entsprechend traf die Planung auf Zustimmung. »Es geht nicht ohne diese festen Zeiten. Wir haben von Anfang an geklärt, dass dafür eine Stunde pro Woche eingeplant werden sollte«, so die Rektorin.

Ebenso wenig war verhandelbar, dass die Lehrkräfte mit voller Stundenzahl an zwei Nachmittagen arbeiten würden. Um der Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer entgegenzukommen, legte die Schulleitung bei der Stundenplangestaltung die Teamzeiten grundsätzlich so, dass möglichst keine Wartezeiten für einzelne Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte entstanden. Das Bestreben war, weiterhin nur im Ausnahmefall Springstunden einzubauen. Die personelle Zusammensetzung der Teams aus Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeitern liegt in der Hand der Schulleitung mit dem Ziel, ausgewogene Teams zusammenzustellen. Besonders wichtig ist es dabei, möglichst personelle Kontinuität für die Schülerschaft zu erreichen: Welche Kinder kennt die Person schon aus der Schule, aus welchen Lerngruppen? »Das Ganze im Auge zu behalten und für ein Gelingen zu sorgen, das muss die Schulleitung machen. Das ist in der Tat eine Leitungsaufgabe«, zeigt sich Maresi Lassek überzeugt.

Ansonsten legt die Schulleitung Wert auf Offenheit für Entwicklungen. Die ersten Wochen der Eingewöhnung waren für alle Beteiligten neu und anstrengend. Hospitieren ist das eine; es Tag für Tag selbst zu gestalten, das andere. »Es war von Anfang an klar, dass wir auch Lernende sind und wir nichts in Beton gießen, was dann so zu bleiben hat. Dementsprechend arbeiten wir an allen Themen konsequent weiter und tauschen uns regelmäßig über unsere Erfahrungen aus«, sagt die Rektorin. Daneben organisiert und moderiert die Trägerin regelmäßige Treffen für die pädagogischen Kräfte zur fachlichen Begleitung und zum Erfahrungsaustausch.

Am Ende des ersten Ganztagsschuljahres evaluierte die Schule den Prozess, um herauszufinden, an welchen Stellen es besonderen Optimierungsbedarf gab. Ein Ergebnis war die vom Kollegium sowie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beklagte zu enge Taktung der Mittagszeit – diese war zu vollgepackt. Die Schulleitung reagierte mit einer Änderung des Zeitrasters. Aber zu Maresi Lasseks Beruhigung machte die Evaluation insgesamt eine große Zufriedenheit deutlich und auch die Erleichterung der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre gute Aufnahme in der Schule.

Zwischen Hoffnung und Realität: Die Wirkung von Ganztagsschule auf die Schülerkompetenzen in Lesen und Mathematik

Befunde einer Analyse von Längsschnittdaten des Nationalen Bildungspanels (NEPS)

Tobias Linberg, Olaf Struck, Thomas Bäumer

Mehr als vier Milliarden Euro investierten Bund und Länder in den vergangenen Jahren in den Ausbau des Ganztagsschulangebots (BMBF 2009; Aktionsrat Bildung 2013). Mit dieser Investition sind vielfältige Ziele verbunden: Das ganztägige Lernen soll die kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler fördern (Fischer, Kuhn und Züchner 2011), herkunftsabhängige Benachteiligung kompensieren (Holtappels 2009; Züchner und Fischer 2014) und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern (BMFSFJ 2013).

Die Ausweitung schulischer Ganztagsangebote war nicht zuletzt ein Versuch, eine Antwort zu finden auf das schlechte Abschneiden Deutschlands in der ersten PISA-Erhebung und den alarmierenden Befund, dass der Zusammenhang von Schülerleistung und sozialer Herkunft hierzulande um ein Vielfaches stärker ausgeprägt ist als in anderen Ländern (Deutsches PISA-Konsortium 2001).

Der vorliegende Beitrag stellt die Frage, ob (und wenn ja, welche) Merkmale des schulischen Ganztags tatsächlich die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern beeinflussen können. Im Mittelpunkt steht dabei die Leistungsentwicklung im Lesen und in Mathematik von der 5. bis zur 7. Klasse: Mithilfe der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS1; Blossfeld, Roßbach und von Maurice 2011) kann die Leistungsentwicklung dieser Schülergruppe über mehrere Erhebungszeitpunkte nachgezeichnet werden. Zugleich enthalten die Daten Informationen etwa über die jeweilige Organisationsform der besuchten Schulen (Halbtag, offener oder gebundener Ganztag) und über die Inanspruchnahme und die Bewertung der außerunterrichtlichen Angebote durch Schülerinnen und Schüler.

Die nachfolgende Analyse zeigt, inwiefern die Faktoren (1) Organisation, (2) Nutzung und (3) wahrgenommene Attraktivität des außerunterrichtlichen Angebots im Zusammenhang mit der Leistungsentwicklung von Schülerinnen und Schülern stehen. Zugleich können die Ergebnisse mithilfe unterschiedlicher Kontrollvariablen abgesichert werden.

Hintergrund und Fragestellung

Was ist eine Ganztagsschule?

Laut Kultusministerkonferenz (KMK 2013: 4) gelten Schulen als Ganztagsschulen, wenn

(1) »an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges Angebot für die Schülerinnen und Schüler bereitgestellt wird, das täglich mindestens sieben Zeitstunden umfasst«;

(2) ein Mittagessen bereitgestellt wird;

(3) »die Ganztagsangebote (…) in einem konzeptionellen Zusammenhang mit dem Unterricht stehen«.

Mit dem Begriff der Ganztagsschule verbinden sich darüber hinaus verschiedenartige Angebote. Je nach Verpflichtungsgrad der Teilnahme werden vollgebundene, teilgebundene und offene Ganztagsschulen unterschieden.

Es gibt diverse Gründe, die nahelegen, dass der Besuch einer Ganztagsschule positive Effekte auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler hat. Die Nutzung eines schulischen Angebots in einer Ganztagsschule beinhaltet beispielsweise potenziell mehr Zeit für spezifische Lerninhalte. So ließe sich etwa »die Verarbeitungstiefe in den Lernprozessen und damit das konzeptionelle Verständnis der Inhalte und der stoffbezogenen Fragestellungen verbessern« (Kielblock et al. 2014: 158). Mit der Möglichkeit weiteren Lernens in den Nachmittagsstunden, dem Angebot von Hausaufgabenhilfe und Förderunterricht könnte eine professionelle und insgesamt inhaltlich gut aufeinander abgestimmte Lernzeitergänzung erfolgen, die zugleich Eltern entlastet. In einer Ganztagsschule könnten die zusätzlichen zeitlichen Möglichkeitsräume sogar Angebote erlauben, die auf spezifische Schülergruppen zugeschnitten sind (ebd.).

Aufgrund ihrer vergleichsweise offenen Struktur gelten außerunterrichtliche Angebote, die häufig in den Nachmittagsstunden angeboten werden, zudem als gut geeignet, um innovative Lehrformen einzusetzen, eine höhere Aktivierung der Teilnehmenden zu erreichen und ggf. neue Interessen bei Schülerinnen und Schülern zu wecken (Stecher et al. 2009). Radisch und andere (2008) halten fest, dass sich mit der Freiheit der Schülerschaft, das eine oder das andere schulische Angebot wählen zu können, ein im Durchschnitt besseres Schüler-Lehrer-Verhältnis ergibt. Dadurch seien Unterstützungsbeziehungen einfacher aufzubauen, die sowohl den Lernfortschritt fördern als auch das Erleben von sozialer Integration erleichtern können.

So lässt sich also festhalten, dass es gute Gründe dafür gibt, positive Wirkungen zu erwarten – etwa hinsichtlich der Verbesserung von Schülerleistungen, der Steigerung der langfristigen Lernmotivation sowie erzieherischer Wirkungen, beispielsweise für den Aufbau sozialer Kompetenzen (Fischer, Kuhn und Züchner 2011). Theoretische Hintergrundmodelle für solche Annahmen lassen sich in gängigen Modellen der Schulqualität sowie in Angebots-Nutzungs-Modellen finden (z. B. Klieme und Rakoczy 2008; Helmke 2012), mit deren Hilfe verschiedene Merkmale bzw. Ebenen für positive Effekte identifiziert und verortet werden können. Auch wenn neuere Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass keine direkten von der schulischen Organisationsform ausgehenden Effekte bestehen (z. B. Lossen et al. 2016; Strietholt et al. 2015), werden diese theoretisch oft erwartet. Das liegt daran, dass besonders der gebundene Ganztag einen vorteilhaften Rahmen für Lern- und Bildungsprozesse bieten könnte.

Wird der Blick auf die tatsächliche Nutzung lernförderlicher Angebote gerichtet, kann auch ein allein von der Attraktivität außerunterrichtlicher Angebote ausgehender Unterschied für den Lernerfolg erwartet werden: Ist das Angebot für Schülerinnen und Schüler attraktiv, könnten etwa intrinsische Motivationen gefördert und genutzt werden und die Kompetenzentwicklung positiv beeinflussen. Attraktivität kann zudem als Qualitätsurteil über das Angebot angesehen werden.

In diesem Beitrag geht es um die Ergebnisse zu Kompetenzentwicklungen in Lesen und Mathematik, die in Abhängigkeit von der schulischen Organisationsform sowie der Nutzung und Attraktivität von Ganztagsangeboten betrachtet wurden. Dies geschieht entlang der folgenden Forschungsfragen:

1.Lässt sich bei Schülerinnen und Schülern gebundener Ganztagsschulen hinsichtlich ihrer Kompetenzen eine positivere Entwicklung nachweisen als bei Schülerinnen und Schülern von Halbtagsschulen bzw. von offenen Ganztagsschulen?

2.Inwieweit sind durch die individuelle Nutzung außerunterrichtlicher Angebote mit Lern- und Förderbezug positive Aspekte auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler festzustellen?

3.Hat die von Schülerinnen und Schülern wahrgenommene Attraktivität außerunterrichtlicher Angebote einen positiven Effekt auf deren Kompetenzentwicklung?

Ergebnisse

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihren mathematischen Kompetenzen und Lesekompetenzen von der 5. zur 7. Klasse verbessern und die Veränderung mit den Erwartungen der Schulforschung übereinstimmt. Ein über die Zeit abnehmender Trend lässt sich hingegen bei den Jahresnoten in Deutsch und Mathematik feststellen.

Hinsichtlich der Indikatoren, die auf die soziale Herkunft abzielen, zeigt die Stichprobe:

•Etwa ein Drittel der Kinder lebt in Familien, bei denen mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil über ein abgeschlossenes (Fach-)Hochschulstudium verfügt.

•Etwa ein Fünftel der Kinder hat einen Migrationshintergrund (d. h. entweder das Kind selbst oder mindestens ein Elternteil ist im Ausland geboren und später nach Deutschland gezogen).

•Bei etwa 39 Prozent der Schulen in der Stichprobe handelt es sich um ein Gymnasium. Die schulischen Organisationsformen betreffend, verteilt sich die Zahl der Schulen auf 44 Halbtagsschulen, 35 offene Ganztagsschulen und 19 gebundene Ganztagsschulen.

Sehen wir uns nun die Kompetenzentwicklungen in Lesen und Mathematik anhand jeweils drei konkreter Fragestellungen an.

Lesekompetenzen

Erste Frage: Zeigen Schülerinnen und Schüler vollgebundener Ganztagsschulen in Bezug auf ihre Kompetenzen eine positivere Entwicklung als Kinder in Halbtagsschulen bzw. offenen Ganztagsschulen?

Hinsichtlich der schulischen Organisationsform sind keine signifikanten Zusammenhänge mit der Entwicklung der Lesekompetenzen von der 5. bis zur 7. Jahrgangsstufe zu erkennen (Modell 1a in Tabelle 1). Die mit der Fragestellung verbundene Annahme, dass insbesondere gebundene Ganztagsschulen vorteilhafte Lernkontexte bieten und diese sich im Rahmen höherer Leistungszuwächse in den Lesekompetenzen nachweisen lassen, kann also in dieser Analyse nicht bestätigt werden. Auch mit Blick auf den sozialen Hintergrund gibt es keine signifikanten eigenständigen Effekte: Kinder aus Familien mit einem niedrigen Bildungshintergrund oder mit Migrationshintergrund schreiten zwar in ihrer Kompetenzentwicklung von der 5. bis zur 7. Klasse etwas langsamer voran, doch dieser Unterschied wird nicht statistisch signifikant.

Fazit: Der einzige signifikante Unterschied ist beim Vergleich der Bildungsgänge zu erkennen. Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums zeigen größere Kompetenzzuwächse als Schülerinnen und Schüler, die keinen gymnasialen Bildungsgang besuchen, also mit einem weniger anspruchsvollen Curriculum beschult werden.

Zweite Frage: Zeigen sich in Bezug auf die Kompetenzentwicklung positive Effekte bei der Nutzung von außerunterrichtlichen Angeboten mit Lern- und Förderbezug?