Gute Motive - Angelika Stucke - E-Book

Gute Motive E-Book

Angelika Stucke

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Beschreibung

Der Tod trägt Kittelschürze Diese Frauen haben es in sich! Frieda nutzt schmackhafte Hausmannskost zur Lösung ihrer Eheprobleme, Hannelore schafft sich mit Hilfe eines Mietwagens gleich zwei Männer elegant vom Hals und Traudel zeigt ungeahnte Heimwerkerqualitäten, um den Dorfpfarrer zur Strecke zu bringen. Nur Annabelle vermasselt es: Mord ist eben ein anspruchsvolles Metier und für Amateure nicht geeignet. Rabenschwarzer Humor und überraschende Wendungen zeichnen diesen Krimiband aus, der raffinierte Einblicke in die hohe Kunst des perfekten Verbrechens gewährt und nebenbei durchaus Verständnis für die meist weiblichen Protagonisten weckt, fordern die Opfer ihr tragisches Schicksal doch geradezu heraus. Die 13 Kurzgeschichten in "Gute Motive" erzählen immer aus der Sicht der Mörderin (nur in einem einzigen Fall ist ein Mann der Täter), warum gerade dieser oder jener unangenehme Zeitgenosse dauerhaft von der Bildfläche verschwinden muss. Dabei sind die Tatwaffen hauptsächlich banale Alltagsgegenstände, so wie auch die Täterinnen auf den ersten Blick nichts Diabolisches an sich haben. Ganz im Gegenteil: der Tod trägt Kittelschürze und hält penibel die Kehrwoche ein. Wenn nicht gerade Wichtigeres zu erledigen ist...

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Seitenzahl: 124

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Angelika Stucke

Gute Motive

13 Mordgeschichten

Bookspot Verlag

Für Chema

DAS MONTAGSKIND

Ich bin ein Montagskind. Das ist mein Elend. Eigentlich hätte ich an einem Sonntag geboren werden sollen, so zumindest hatte das der Frauenarzt meiner Mutter ausgerechnet. Aber die war zu ängstlich – ich war ja ihr erstes Kind –, kniff immer wieder zu, hielt zurück, presste nicht genug. Da wurde es dann nach Mitternacht, bis mein Köpfchen endlich zu sehen war, und das Glück der Sonntagskinder hatte sich längst einen anderen Gefährten suchen müssen. Mich beehrt es relativ selten. Wahrscheinlich fühlte es sich damals verschmäht.

Wissen Sie, was das bedeutet, an einem Montag das Licht der Welt erblickt zu haben? Man trägt das ganze Leben einen Reinlichkeitswahn mit sich herum. In unserer Gegend ist der Montag nämlich der traditionelle Waschtag. Früher knatterten Montag für Montag ungezählte Reihen blanker Laken an Wäscheleinen im Wind. Heute gibt es ja Trockner, da merkt man das nicht mehr so, aber mein erster Blick auf die Welt war geprägt davon. Makelloses Weiß.

Schon als Kleinkind machte sich bei mir deshalb ein herausragender Hang zur Sauberkeit bemerkbar. Schmierte ich mir im Matsch die Hemden und Hosen voll, schrie ich wie am Spieß. Stets achtete ich darauf, fleckenlos gekleidet zu sein. Ich weiß gar nicht, wie ich die Jahre überstanden habe, in denen ich noch in den Windeln lag. Meine Mutter meinte immer, mein Greinen läge an Blähungen und pumpte mich mit Fencheltee voll. Ich glaube eher, es war der Ekel vor den Ausscheidungen meines Körpers auf meiner vor dem direkten Kontakt nur durch Penatencreme geschützten Haut. Später dann hasste ich es, Taschentücher zu benutzen. Die hübschen, oft bestickten Quadrate aus reiner Baumwolle mit Schnupfen zu beschmutzen war mir ein Gräuel. Zum Glück überfluteten bald preisgünstige Tempos den Markt.

Mein Trieb ließ mich früh zur Zielscheibe für den Spott meiner Spielkameraden werden. »Meister Propper« nannten sie mich hinter vorgehaltener Hand. Heimlich war ich stolz auf diesen Beinamen. Er drückte alles aus, was ich im Leben zu sein anstrebte.

Einmal hatte ich dann doch großes Glück, das war, als ich von der Grundschule in die Realschule kam. Wir sollten das schönste Kind in unserer Klasse wählen. Natürlich rechnete sich besonders Sabine Maahrenholz viele Chancen aus. Mit ihren blonden Korkenzieherlocken und ihren blitzschwarzen Lackschuhen, die so schön knallten, wenn man sie zuerst zusammenstieß und dann ganz schnell wieder auseinander zog, sah sie aus wie Schörli Tempel. Sabine hatte nur einen Fehler, ihre Finger waren ständig mit Tinte verschmiert. Das kam davon, dass sie ihren Füller nicht ordentlich, nicht so wie ich, behandelte. Kurz und gut, es war eine absolute Neuheit, dass die 5a in jenem Schuljahr einen Jungen zum hübschesten Kind wählte, mich! Tagelang klimperte ich vor Glück und Stolz mit meinem 1. Preis: einem klappbaren Taschenspiegel mit Metallgehäuse. Er sollte meinen weiteren Lebensweg prägen.

Zu Hause musste ich den Spiegel verstecken, mein Vater hätte wenig Verständnis dafür gehabt. Er wollte mich zu einem richtigen Mann erziehen, und irgendwie passte meine Persönlichkeit nicht zu seinen Vorstellungen von einem ganzen Kerl. Der hatte von Montag bis Freitag das gleiche Paar Socken zu tragen, wusch sich höchstens am Sonnabend einmal und fiel in Zusammenkünften vor allem durch hingebungsvolles Popeln auf. Können Sie sich ein waschechtes Montagskind vorstellen, das in der Nase bohrt? Und noch dazu vor Publikum? Eben!

Mein Taschenspiegel begleitete mich durch die Schulzeit bis zum Realschulabschluss. Mit ihm war es mir möglich, meine heimliche Liebe, Gretchen Schwarzer, ungestört zu beobachten. Ich wählte immer einen Platz vor ihr im Schulbus und hielt meinen Spiegel dann so, dass sich ihr liebliches Gesichtchen darin reflektierte. Ich war fasziniert von Gretchen, weil sie so anders war.

Die Schwarzers waren eine Familie, die ihre Existenz am Rande dessen bestritt, was sich gehörte. Genau genommen waren sie gar keine Familie. Herr Schwarzer hatte Frau und Kinder nämlich schon vor Jahren sitzen lassen. Gretchen, mein Schwarm, war das jüngste Kind und sozusagen Schuld am Unglück ihrer Mutter. »Die war eine zu viel für den armen Jakob,« raunten die Frauen im Dorf, wenn sie ihr begegneten. Selten kam Gretchen mit heilen, geschweige denn sauberen Sachen in die Schule. Manchmal, wenn selbst ihr Haar ungekämmt um ihren Kopf abstand, konnte ich meinen Blick gar nicht mehr von ihr abwenden. Selbst im Unterricht holte ich dann meinen Klappspiegel hervor und beobachtete sie heimlich. Ich konnte meinen Drang, aufzustehen und ihre Haare zu kämmen nur mit Mühe unterdrücken. Immer weniger achtete ich auf den Stoff, den wir im Unterricht durchnahmen. Plötzlich entwickelte ich mich von einem Streber, dessen Noten vor Sehr Guts nur so strotzten zum Schlusslicht der Klasse. Das durfte nicht sein. Ich war als Montagskind doch dazu auserkoren, mit leuchtendem Beispiel voranzugehen. Etwas musste geschehen! Nur wusste ich noch nicht, was.

Gretchen schien von meiner Not nichts zu spüren. Sie lachte, wenn die anderen sie hänselten, weil ihre Strumpfhose eine Laufmasche hatte. Kümmerte sich auch nicht weiter darum, wenn auf ihrem Kleid Suppenspritzer getrocknet waren, an denen noch Nudeln klebten. Diese dünnen Teigfäden ließen mich gar nicht mehr los. Es kribbelte mir unter den Nägeln. In der Mathematikstunde musste ich mich auf meine Hände setzen, alles, um nur nicht aufzustehen und die Nudeln von Gretchens Kleid zu pulen. Ich war so gestört, dass ich meinen Spiegel ganz offen zeigte. Statt den Erklärungen von Herrn Treber zu lauschen, gaffte und gaffte ich in meinen Spiegel, um nur den Blick auf die angetrockneten Suppeneinlagen nicht zu verlieren. Ich war wie besessen.

Ein ziehender Schmerz durchzuckte mich. Breitete sich von meinen vom Schlag geröteten Fingern langsam in meinem ganzen Körper aus. In der Klasse war es so still geworden, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Aber was da klappernd zu Boden fiel war keine Stecknadel, es war mein Schatz, mein vertrauter Freund, der Spiegel. Ohne ihn aufheben zu können, fühlte ich mich selbst am Ohr empor gezogen. Herr Treber zerrte mich bis vor die Tafel, beschmutzte dabei meinen Pulli mit Kreidestaub von seinen Fingern. Ich wand mich, wollte mich losreißen, aber mein Ohr war im festen Griff unseres Lehrers. In genau diesem peinlichen Moment schlug meine heimliche Liebe zu Gretchen in eine Woge heißen Hasses um.

Sie war an allem schuld! Wäre sie etwas achtsamer mit ihren Sachen, könnte ich heute noch auf die Auszeichnung ›Bester Schüler der 10a‹ hoffen. Aber so wie die Dinge lagen, wurde ich stattdessen zum Gespött meiner Klasse, ja der gesamten Lindenauer Realschule.

Die kurze Pause verbrachte ich auf der Jungentoilette und versuchte, sämtliche Kreidespuren aus meinem Pullover zu entfernen. Das war nicht leicht. Er war aus dunkelblauer Wolle gestrickt und der weiße Staub hatte sich bis in die feinsten Maschen verkrochen. Ich schaffte es dennoch. Erst als ich wieder makellos war, fiel mir mein Spiegel ein. Ich schrieb es dem Schock über die plötzliche Beschmutzung zu, dass ich nicht eher an ihn gedacht hatte. Schnell stürzte ich zurück ins Klassenzimmer, obwohl uns das in den Pausen verboten war.

Da lag er, unter meinem Pult. Sein blank geputztes Gehäuse leuchtete im Sonnenlicht. Freudig nahm ich ihn auf, strich zärtlich über seine blitzenden Rundungen. Ich steckte ihn in meine Hosentasche und lief auf den Schulhof hinaus. Die Pause war fast zu Ende, schon klingelte es zum ersten Mal. Beim zweiten Mal hatten alle Schüler brav auf ihren Plätzen zu sitzen. Ich wollte nicht auffallen, nicht durch Ungehorsam jedenfalls. Aber ich musste doch nachsehen, ob mein Glück noch ganz war. Vorsichtig zog ich meinen Schatz aus der Hose, führte den Nagel meines rechten Daumens zwischen seine zusammengeklappten Hälften und öffnete ihn langsam. Fast entglitt er mir erneut. Da klaffte ein hässlicher Sprung inmitten seines verspiegelten Inneren. Ein Schnitt genau durch sein Herz. Ich fühlte einen stechenden Schmerz, ähnlich jenem, der mich durchzuckt hatte, als Lehrer Treber den Stock auf meine Finger hinunter hatte sausen lassen.

Dieser Spiegel war der einzige Beweis dafür, dass auch mir das Glück einmal hold gewesen war. Nun war er zerstört, nie wieder würde er so sein wie früher. Natürlich würde ich ihn weiterhin benutzen können, eine seiner Hälften war ja noch ganz, aber er würde mich stets an die Scham erinnern, an die Schande, mit kreidebeflecktem Hemd vor der ganzen Klasse gestanden zu haben. Ich hasste Gretchen in diesem Moment wie noch nie einen Menschen zuvor. Selbst meinem Vater, der mich manchmal zwang, die Socken vom Vortag zu tragen, brachte ich nicht eine solche Abscheu entgegen. Gretchens Unachtsamkeit ihrem Äußeren gegenüber verletzte mein Feingefühl weitaus mehr. Ich konnte das nicht länger dulden.

Wie viele Tage ich darüber nachsann, was ich tun sollte, weiß ich nicht mehr genau. Mein größtes Dilemma war meine Phobie jeglichem Schmutz gegenüber. Ich sagte ja schon, es ist mein Elend, an einem Montag geboren worden zu sein. Ein harmloser Lapsus meiner Mutter brachte mich schließlich auf die Lösung. Sie schickte mich in den Supermarkt und vergaß, mir eine Jutetasche mit zu geben. Obwohl sie doch sonst so genau auf die Ausgaben achtet. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Tragetasche aus Plastik zu erstehen, um alle Waren nach Hause zu tragen. Selbstverständlich half ich meiner Mutter auch noch beim Auspacken. Dabei fingerte ich mit der Tragetasche. Eine klein gedruckte Warnung fiel mir auf: Lassen Sie Kleinkinder nicht mit dieser Tasche spielen. Das war es, das war die Lösung!

Eine Woche später fand man Gretchens Leiche in den Auen vor Lindenau. Ihr im Leben so oft zerzaustes Haar war in zwei feine, völlig gleichmäßige Zöpfe geflochten. Ihr Kopf auf eine Plastiktüte gebettet. Bedeckt war sie nur mit einem völlig makellosen Leinentuch. Die Polizei tappte lange im Dunkeln, ehe der Fall zu den Akten gelegt wurde. Gretchen war offensichtlich erstickt worden, so viel stand fest. Aber ein Sexualmord war es nicht, auch das hatte man festgestellt. Es wurden viele Vernehmungen geführt, selbst wir Schüler mussten Aussagen machen. Ich wurde sogar zweimal auf das Präsidium gerufen. An die Fragen kann ich mich nicht mehr erinnern, dafür aber an eine Sekretärin, deren blütenweiße Bluse von einem Kaffeefleck verunschönert wurde. Dass das erlaubt war! Ich als ihr Vorgesetzter hätte sie längst zum Wechseln nach Hause geschickt. Aber die Menschen achten ja immer weniger auf Sauberkeit. Sehr zu ihrem Verhängnis.

DAS ALTER

»Das bin ich nicht!« Ungläubig halte ich die vier Passbilder in den Händen und starre immer wieder auf dieses Gesicht einer alten Frau. »Das kann ich nicht sein!« Diese Fremde mit meinen Gesichtszügen sieht aus wie 80. Ich bin doch erst 64! Für meinen neuen Ausweis habe ich die Fotos gemacht. Damit es schneller geht, gleich in einem Automaten. Ich weiß ja, dass diese Apparate nie besonders hübsche Bilder machen. Aber so viele Falten, wo kommen die her?

Alt bin ich also geworden, und habe es nicht gemerkt. Daheim bin ich ja ständig mit Waldemar beschäftigt. Seit er den Schlaganfall hatte, kann ich ihn doch kaum eine Minute aus den Augen lassen. Da komme ich gar nicht dazu, in den Spiegel zu gucken. Und jetzt das. Ich bin schockiert!

Mit zitternden Beinen gehe ich bis zu dem Bahnhofscafé und bestelle mir einen doppelten Espresso. Während ich auf den Kaffee warte, drehe ich den Streifen mit den vier Aufnahmen immer wieder zwischen meinen Fingern. Ich will nicht glauben, dass ich das bin, dass ich so aussehe, so alt!

Es kommt mir vor, als sei ich gestern erst mit Waldemar durch den Park geschlendert. Was haben wir für einen Spaß zusammen gehabt! Deshalb will ich ihn auch nicht weggeben. Wegen der schönen Erinnerungen. Wir sind seit über vierzig Jahren zusammen, das sind so viele wunderbare Augenblicke.

Es ist ja auch nicht so, dass er immer durcheinander ist. Manchmal erkennt er mich und ist ganz hell im Kopf. Aber meistens ist er es eben nicht. Das wächst mir über den Kopf. Jetzt, wo ich den Beweis sozusagen in den Händen halte, erkenne ich das genau. Ich kann mich nicht mehr um ihn kümmern. Ich gehe ja drauf dabei!

Ich muss ehrlich sein, zumindest mir selbst gegenüber. Die Kinder würden das nicht verstehen. »Ihr seid doch so ein tolles Paar, Mutti,« sagen sie immer. Sie kommen höchstens mal ein paar Stunden vorbei, wenn sie es überhaupt so lange aushalten. Dann sind sie wieder weg, und ich stehe mit der Arbeit allein da. Dauernd habe ich Angst, dass Waldemar hinfällt, er ist ja so unbeholfen geworden. Stolpert ständig über seine eigenen Füße. Und wie ich allein ihn dann wieder hoch kriegen soll, das wissen die Götter.

Gestern war wieder so ein Tag, an dem mir alles zu viel wurde. Ich hatte ihn beim Friseur angemeldet. Seine Haare sind nämlich schon wieder einmal viel zu lang. Und er hatte auf dem Balkon gesessen und so getan, als blättere er in der Zeitung. Auf dem Kopf hielt er sie, und hat es nicht einmal bemerkt! Als ich ihn rief, damit er sich umzieht, da antwortete er: »Ich gehe so.« Das muss man sich mal vorstellen: In der Badehose wollte er los. Die hatte er nämlich auf dem Balkon an, weil es so schwül war. Trotzig wie ein kleines Kind wurde er. »Ich ziehe mich nicht um!« schrie er. Das hat sogar Frau Lemberger im zweiten Stock gehört. Neugierig ist sie auf ihren Balkon gelaufen und hat sich über ihr Geländer gebeugt, um das ganze Drama genau mitzubekommen. Ich musste Waldemar am Arm ins Wohnzimmer zerren, so peinlich war sein Gezeter. Und wurde natürlich noch lauter, als ich an ihm zog.

Ich habe dann versucht, ihn umzuziehen, aber er hat sich gewehrt, als wolle ich ihm an den Kragen statt an die Badehose. Um sich geschlagen hat er. Bis ich dann nicht mehr konnte. Ich habe ihn in seiner Badehose stehen lassen, habe mich im Schlafzimmer auf’s Bett gesetzt und mich erst einmal richtig ausgeheult.

Wenn ich daran denke, habe ich jetzt noch einen Kloß im Hals.

Endlich kommt der Espresso. Ich mache ihn mir ganz süß. Vier Stückchen Zucker werfe ich in die Tasse. Das hat mich immer schon getröstet, schon als Kind: eine Tafel Schokolade, ein paar Bonbons oder Kekse. Deshalb war ich auch nie schlank, eher immer etwas moppelig. Das hat mich manchmal gestört, aber dann habe ich mir gesagt: lieber etwas dicker, da kriegt man nicht so schnell Falten. Und jetzt sehe ich aus wie 80!

Ich liebe Waldemar. Aber der Mann, der bei mir in der Wohnung lebt, das ist er nicht. Ich habe immer zu ihm aufsehen können, ihn bewundert. Er sieht noch immer gut aus. Eigentlich ist er mit den Jahren immer attraktiver geworden. Das gibt es ja. Vor allem bei Männern. Er sieht ein ganz kleines bisschen so aus wie Paul Newman. Nur im Kopf, da stimmt es nicht mehr. Sein Schlaganfall war nicht wirklich schlimm. Er hat keine gelähmte Gesichtshälfte oder so etwas. Aber er ist durcheinander. Sein Gehirn bekommt nicht genug Blut überall hin, denke ich. Ich verstehe ja nicht viel von so medizinischen Dingen.

Wie ein Kind ist er oft. Das Traurige ist aber, mit Waldemar da wird es nicht besser mit der Zeit, das wird nur immer schlimmer werden. Ein Kind wird groß, da kann man froh in die Zukunft blicken, wenn man ihm den Hintern abputzen muss. Aber bei meinem Waldemar wird es nur von Tag zu Tag schlimmer. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.

Ich müsste mal raus. Das sagen auch die Kinder. Aber was wird dann aus Waldemar? Wohin soll ich ihn bringen, wenn ich eine Kur mache? In einem Heim, da behandeln sie ihn doch nicht gut genug. Ich habe das mal im Fernsehen gesehen, die ganz schlimmen Fälle, die schnallen sie sogar ans Bett fest, wenn es dem Personal zu viel wird. Das kann ich Waldemar nicht antun!

Tut der Kaffee gut! Ganz heiß und süß rinnt er mir die Kehle hinunter. Manchmal denke ich, das Beste wäre, es gäbe Waldemar nicht mehr. Er ist ja im Grunde genommen auch schon gar nicht mehr hier. Jedenfalls sein Geist, der schwirrt sonst wo rum. In anderen Gefilden. Von meinem Waldemar ist nur noch der Körper hier auf der Erde, die Hülle.