Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Bruder des Schlafenden Gottes ist seit Jahrhunderten verschollen. Doch die Kriegerin Halana und der junge Zauberer Prim müssen ihn finden - es steht mehr als nur ein Reich auf dem Spiel, und die Zeit drängt, denn ein übermächtiger und gefräßiger Feind droht Halanas Heimat zu überrennen. Kämpfe und Abenteuer, Intrigen und neue Freunde warten auf der gefahrvollen Reise und ebenso die Erkenntnis, dass nichts so ist wie es scheint - und dass man womöglich bei einem Omelette auf die Pilze verzichten sollte. - "Sie holten das Letzte aus ihren Tieren heraus. Einen Hauch von Licht gab es bereits, als sie vor den weißen Schatten flohen, die sie hechelnd hinter sich her jagen hörten. Da traf etwas mit Wucht die Hinterseite von Halanas Helm ..." Fantasy aus dem Armbrustverlag - Gute Bücher, gute Unterhaltung. Mehr zum Roman im Internet unter: www.armbrustverlag.de und www.marco-reuther.de
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 603
Veröffentlichungsjahr: 2017
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für meine liebe Frau Carmen
»Du armer Narr.
Du hast keine Bedeutung gefunden. – Nur den Tod.«
Barrkaron
Prolog: Stahl und Fleisch – schon wieder
Stahl und Klauen – Nichts entspannt mehr als ein Dampfbad – außer der Tod
Stahl und Gefahr – Der Weg ins Ungewisse
Stahl und Knochen – Ein Wolf mit Wanderstab
Stahl und Kälte – Ein Name in der Nacht
Stahl und toter Dachs – Ein Besuch beim Schlafenden Gott
Stahl und Dunkelheit – Der Bruder des Schlafenden Gottes
Stahl und Speisefolge – Das Wesen
Stahl und Angst – Die Macht des Schwarzen Herzogs
Stahl und Wehen – Geburt, Tod und ein Wolf im Schafspelz
Stahl und Krieg I – Die letzte Verteidigung.
Stahl und Krieg II – Der letzte Tag
Epilog: Das Schweigen des Generals – ganz ohne Stahl
Nachwort
Der Anfang
Der Autor
Halana rührte sich nicht vom Fleck.
Was bei näherer Betrachtung kaum verwunderte, denn es ist ziemlich schwierig sich zu bewegen, wenn man gerade von einem Pfeil an einen Baum genagelt wurde. Der Pfeil war unterhalb des Schlüsselbeins durch ihre linke Schulter gedrungen und steckte jetzt tief im Holz der Eiche.
Pech.
Oder Dummheit. – Jedenfalls hatte die Kriegerin nicht damit gerechnet, dass ihre Verfolger hier, trotz des dichten Baumbestandes, die Langbögen einsetzen würden. Also wohl doch Dummheit. Schließlich hatte sie ja gewusst, dass sich der Herzog für seine unfreundliche kleine Truppe gute Leute leisten konnte, bei all dem Gold, für das seine Leibeigenen in den Minen des Taron ihr Blut ließen.
Teufel auch. Allenfalls 80 Gramm wog so ein Eschenpfeil, doch wenn dieses Ding mit 180 Stundenkilometern angerast kam und sich rund 80 Pfund Stoßkraft ganz auf den vordersten, nadelfeinen Punkt der Stahlspitze konzentrierten, dann hatten Haut, Fleisch, Knochen und Blut dem recht wenig entgegenzusetzen. Nun ja, der Knochen schien unverletzt.
Halana wunderte sich nicht, dass sie keine Schmerzen spürte. Sie hatte schon zu viele Wunden davongetragen, um nicht zu wissen, dass der Schock den Schmerz für einen Augenblick betäubte. Aber kommen würde er schon noch, der Schmerz. Die Pfeilspitze, schätzte sie, dürfte knapp zehn Zentimeter in den Baum gedrungen sein. Das Teil mitsamt Spitze aus dem Baum zu ziehen, sollte sie also gar nicht erst versuchen.
Sicher, sie könnte das aus ihrer Schulter ragende Stück Eschenholz einfach abbrechen und sich nach vorne fallen lassen. Aber wenn der Holzstab die Wunde nicht mehr verschloss, dann würde sie stärker bluten.
Der Korken musste also noch drin bleiben, denn größeren Blutverlust wollte sie vermeiden, solange sie die Jäger des Herzogs noch nicht abgeschüttelt hatte. Und genau die hörte sie jetzt durch das Unterholz näher kommen. Also genug Zeit mit unnützen Gedanken verschwendet.
Denn hier war nicht der richtige Platz zum Sterben. Dafür würde sie bei der Verteidigung Engalands noch bessere Möglichkeiten finden. Halana biss die Zähne zusammen und schob ihre Schulter ein paar Zentimeter vor. Jetzt spürte sie den Schmerz, während das Holz durch ihr Fleisch glitt. Sie musste sich etwas verdrehen, um das Schwert hinter ihrer Schulter vorbeizuführen, doch mit einem kurzen, harten, schmerzhaften Schlag hatte sie den Pfeil durchtrennt.
Dann rannte sie, Haken schlagend, zwischen die Bäume davon, während sie gleichzeitig das vorne aus ihrer Schulter ragende Pfeilende abbrach. Ihre Verfolger waren schon bedenklich nahe. Aber durch schnelle Richtungswechsel schaffte sie es, den Abstand wieder zu vergrößern.
Doch lange würde sie das nicht mehr durchhalten. Vor sich sah sie eine größere Lichtung. Sie warf das Pfeilende, das sie noch in der Hand hielt, nach vorne, dann zog sie sich mit zusammengebissenen Zähnen auf den untersten Ast einer Buche mit tief hängenden Zweigen und wartete auf ihre Verfolger. Konnte sie es mit nur einem Arm gegen vier kampferfahrene Männer aufnehmen? Sie musste es versuchen. Mal ganz abgesehen davon, dass es doch irgendwie schön wäre, am Leben zu bleiben, hielt es Halana für völlig unpassend, sich in irgendeinem unbedeutenden, namenlosen Wäldchen von einer dahergelaufenen Bande Kopfgeldjäger abschlachten zu lassen, nachdem sie schon so viel Blut, Schweiß und Tränen vergossen hatte.
Oh, natürlich hatte es auch viele gute Momente gegeben. Und sie hatte wunderbare Menschen kennengelernt: Prim, den ängstlichen Magier, der über so viel Mut verfügte. Dann die unglaublichen Artisten der Sipp, die ihr Leben für sie riskiert hatten. Und nicht zuletzt das tapfere Mädchen Rrrricka, die Häuptlingstochter, die Halana und ihre Freunde nach Jahren der Gefangenschaft aus dem Turm des Schwarzen Herzogs befreit hatten, und die inzwischen wieder in die Steppe der Reiterstämme zurückgekehrt war. Dort erging es ihr sicher besser als Halana in diesem Moment.
Rrrricka rannte.
Die brennende Lunge, die aufgeschürften Arme, die kleinen, blutenden Schnitte an den Füßen… egal – sie musste unbedingt den See der Ahnen erreichen. Sie musste ihn erreichen, bevor die Wölfe sie einholten. Ansonsten wäre innerhalb weniger Minuten nicht der kleinste Krümel von ihr übrig. Und sie hörte das jaulende, fast kichernde Heulen der hungrigen Biester schon ganz in ihrer Nähe.
Wären es Wald- oder gar Bergwölfe gewesen, dann stünden ihre Chancen weitaus besser, denn die wagten sich nur in der größten Hungersnot an einen gesunden Menschen und ließen sich selbst dann noch mit etwas Mut und einem harten Knüppel in die Flucht schlagen. Doch sie hatte keinen Knüppel. Genau genommen hatte sie überhaupt nichts, außer dem großen Schwitzlaken, in das sie sich gewickelt hatte. Und mit den Steppenwölfen war es ohnehin eine ganz andere Sache. Die waren zwar kleiner als jede andere Wolfsart und sahen mit ihrem glatten, braunschwarzen Fell und ihrer gedrungenen, am Hinterleib gekrümmten Form etwas missgestaltet aus, doch davon durfte man sich nicht täuschen lassen. Denn wenn sie im Rudel angriffen, dann kannten sie keine Angst, und ihre messerscharfen Zähne konnten den dicksten Beinknochen eines Stierkadavers mit einem einzigen Knacken durchtrennen.
Rrrricka war heute Morgen in die Schwitzhütte am See der Ahnen gegangen, um eine Lösung für ihr Problem zu finden. Aber an eine so finale Lösung all ihrer irdischen Probleme hatte sie nun wirklich nicht gedacht. Da! Schon wieder das Heulen. Und diesmal noch näher.
Rrrricka war zwar zierlich, aber stark für ihre inzwischen 15 Jahre.
In der Gefangenschaft hatte sie fast täglich trainiert, um ihre Muskeln nicht verkümmern zu lassen – viel mehr war ihr ohnehin nicht zu tun geblieben. Und seit Halana und ihre Freunde sie vor einigen Monaten befreit hatten, war sie noch kräftiger geworden.
In der Ferne erkannte sie bereits die großen Bäume am Rande des Ahnensee-Kraters. Vielleicht konnte sie es ja doch schaffen… Also schneller, schneller!
Die Hoffnung gab ihr die Kraft, ihre müden Muskeln noch weiter anzutreiben und die gallenbittere Übelkeit zu ignorieren. Eine Übelkeit, die sie dem mit Drogen versetzten Rauch verdankte, den sie eingeatmet hatte. Die kurzen Locken ihres rotbraunen Haares waren so vom Schweiß niedergedrückt, dass man sie nur noch erahnen konnte. Ihr angestrengtes Keuchen war alles, was hier in der Einsamkeit der Steppe zu hören war – natürlich abgesehen von dem Heulen, das schon wieder ein wenig näher ertönte.
Rrrricka verschwendete nicht wertvolle Sekunden damit, sich umzudrehen. Sie wusste auch so: Sollte sie in den kommenden fünf Minuten plötzlich nicht nur das Heulen, sondern auch das Hecheln der Tiere hören, dann würde sie als nächstes nicht den womöglich rettenden Felsboden am Kraterrand unter ihren Fußsohlen spüren, sondern die Zähne der Wölfe in ihrem Fleisch.
Nach Jahren der Gefangenschaft im Turm des Schwarzen Herzogs und ihrer abenteuerlichen Befreiung war sie, gemeinsam mit ihrem Onkel Barrkaron, endlich wieder zu ihrem Stamm zurückgekehrt. Die Lrrrk waren der größte Nomadenstamm im großen Meer der Steppe, und Rrrrickas Mutter, Nuré, war der Stammeshäuptling. Doch entsetzt hatten Rrrricka und Barrkaron erkennen müssen, dass Nurés Körper zwar noch auf dieser Welt weilte, nicht jedoch ihr Geist, der sich eine andere, eine unbekannte Heimstatt gesucht hatte.
Einst ein angesehener Häuptling, hatte die Sorge um ihr verschlepptes Kind ihren Verstand verzehrt und sie zuletzt in ihrer Verzweiflung dazu getrieben, ihre ganze Hoffnung in einen Scharlatan zu setzen: Mrrr Drack, der oberste Schamane des Stammes, hatte sie mit immer neuen Versprechungen in die angeblichen Kräfte seiner Beschwörungen umgarnt. Zuletzt, als die klaren Momente Nurés immer seltener wurden, hatte der Häuptling den Oberbefehl über den Stamm tatsächlich »für die Zeit ihrer Abwesenheit«, wie ihre Geisteskrankheit in Anbetracht ihrer Häuptlingswürde höflich umschrieben wurde, in die Hände des Mrrrs gelegt.
Und Rrrrickas Heimkehr hatte daran auch nichts ändern können.
Noch immer fehlten ihr fast drei Jahre, bis die Häuptlingswürde mit dem Erreichen der Volljährigkeit auf sie übergehen würde. Drei Jahre, die Rrrricka erst einmal überleben musste. Denn so einfältig der dicke, kleine Mrrr auch war, wenn es um seine Pflichten und das ehrenhafte Führen des Stammes ging, so verschlagen war er, wenn er seine einflussreiche Stellung bedroht sah, die ihm ein Leben wie die sprichwörtliche Made im Speck ermöglichte.
Gestern nun hatte ihre ehemalige Amme Lakte Rrrricka auf den Gedanken gebracht, dass vielleicht eine kleine Plauderei mit ihren Ahnen in der Schwitzhütte hilfreich sein könnte. Denn die Ahnen könnten womöglich für die richtige Idee sorgen, wie man entweder Mrrr Drack wieder loswurde oder ihrer Mutter einen Weg aus der Geisterwelt zeigen könnte. Nun war Rrrricka, die ihre Heimat mit fünf Jahren verlassen hatte, alles andere als überzeugt, dass man tatsächlich mit seinen verstorbenen Vorfahren in Verbindung treten konnte und ob es diese ominöse Geisterwelt überhaupt gab. Andererseits wusste sie aber durch ihren Onkel Barrkaron, dass die richtigen Kräuterdämpfe in der Schwitzhütte einen geheimen Weg im eigenen Kopf öffnen konnten, so dass Träume der Nacht in die Gedanken des Tages fluteten und seltsamerweise dafür sorgten, dass man Probleme frei von jeder Ablenkung von allen Seiten betrachten konnte – auch von ungewöhnlichen und neuen Seiten, was durchaus schon zu guten Ideen geführt hatte.
So hatte Rrrricka Lakte schließlich darum gebeten, Vorbereitungen für den kommenden Tag zu treffen, damit sie das Traumritual gleich nach Sonnenaufgang beginnen konnte – ohne zuvor feste Nahrung zu sich zu nehmen, denn dann sollte das Ritual noch besser wirken.
Lakte hatte sich gleich auf den Weg gemacht, um den Sud des Traumkrautes zu besorgen. Nun war Lakte eine wirklich nette, sehr hilfsbereite Nomadenfrau, doch ihre Lebenswelt war sehr, sehr weit entfernt von jeder Art politischer Ränkespiele und gefährlicher Intrigen. So dachte sie sich nichts dabei, als sie bei Tatock, dem Dorf-Mrrr, eine mit dem Aufguss gefüllte Schweinsblase gegen ein Huhn tauschte und dabei erwähnte – wie alle Nomaden plauderte sie gerne – , dass der Sud für die Tochter des Häuptlings bestimmt sei. Und natürlich bekam sie es auch nicht mit, als der Dorf-Mrrr dem Stammes-Mrrr nur wenig später erzählte, dass dieses seltsam lockenköpfige Mädchen, das tatsächlich Häuptling werden wollte, obwohl sie doch eigentlich gar keine richtige Lrrrk war, offenbar ein Traumritual in der Schwitzhütte plante.
Am Morgen war Rrrricka, mit knurrendem Magen neben der fröhlich schwatzenden und an einem Fladenbrot knabbernden Lakte reitend, zur Schwitzhütte aufgebrochen. Gerne hätte sie Barrkaron bei ihrer Unternehmung dabei gehabt, doch der war seit zwei Tagen mit einer Gruppe von Jägern unterwegs, da zwei Wolfsrudel in der Nähe mehrerer Herden der Lrrrk aufgetaucht waren. Aber andererseits fühlte sie sich inzwischen in ihrer alten Heimat sicher genug, zumal sie in kurzer Zeit viele Freunde gefunden hatte. Und dieser blöde Mrrr versuchte zwar ständig, sie lächerlich zu machen oder als Hochstaplerin darzustellen, doch er hatte nie den Mut aufgebracht, sie ernsthaft zu attackieren. Also hatten Rrrricka und Lakte nicht gewartet und waren ohne Barrkaron losgeritten.
Eigentlich wären die Pferde ja gar nicht notwendig gewesen, denn am Rande eines jeden Wandernden Dorfes wurden immer vier, fünf Schwitzhütten gegraben. Doch für die Tochter des Häuptlings, darauf hatte Lakte bestanden, sollte es etwas Besonderes sein: Etwa eine halbe Pferdestunde im Süden lag der See der Ahnen, der den Lrrrk als eine Stätte galt, an der die Verbindung zu den Vorfahren besonders eng war.
Wer den See sah, der konnte verstehen, warum das Steppenvolk, das sonst fast nur wogende, manchmal hügelige Graslandschaften kannte, zu dieser Überzeugung gekommen war: Mitten in der Steppe tat sich, in einem schmalen Ring aus Geröll und kleinen Steinblöcken, ein fast kreisrunder, gut 40 Meter durchmessender und über 30 Meter tiefer Krater auf, dessen Wände beinahe senkrecht zu einem kleinen See hinunter führten. Und besonders in den Morgenstunden stieg oft ein mal zarter, mal dichter Nebel aus dem See empor, der schon von Weitem zu sehen war und leichtgläubige Menschen durchaus an Geister denken lassen konnte.
Im Laufe der Zeit waren am Rande des Geröllkreises fünf verschieden große Schwitzhütten entstanden, die von den Lrrrk gerne benutzt wurden, wenn ihre Wandernden Dörfer in der Nähe aufgeschlagen waren. Neben jeder Schwitzhütte waren zudem ein paar Esskastanien- und Walnussbäume gepflanzt worden – wer eine längere Anreise hatte, fand so immer ein kleines Zubrot für seinen Proviant.
Als die beiden Reiterinnen den Ort erreichten und, noch auf den Pferden sitzend, seine besondere Atmosphäre in sich aufnahmen, da war Lakte dem Mrrr Tatock richtig dankbar, dass er gestern Nachmittag extra noch mal zu ihr gekommen war, um sie darauf hinzuweisen, dass für eine Häuptlingstochter der See der Ahnen der einzig angemessene Ort für ein Traumritual sei, zumal der See doch gerade so schön nahe liege.
Auch Rrrricka konnte sich dem Zauber des Ortes nicht entziehen und wurde erst durch Laktes Worte aus ihrem staunenden Starren gerissen:
»So, ich bereite schon mal eine Hütte vor – siehst du die kleine da hinten? Die wird es tun. Und für dich gibt es jetzt erst mal ein bisschen Arbeit.«
»Arbeit? Was für Arbeit?«
»Na, wegen der Waschung.«
»Ah, natürlich. Äh – welche Waschung?«
Lakte seufzte: »Oh, ich vergesse manchmal, dass du mit deinen eigenen Traditionen nicht sonderlich gut vertraut bist. Komm mit, ich zeig es dir.«
Sie ritten noch um den halben Krater herum, saßen ab, banden die Pferde an einen Baum und Lakte führte Rrrricka an den Rand des Kraters, wo dem Mädchen beim Blick in die Tiefe ein sonderbarer Schauer das Rückgrat hinunter rieselte. Die steilen Wände des Kraters waren aus schwarzem, porösem und stark zerklüftetem Stein. Zwischen dem Ufer des kleinen Sees und der Felswand gab es einen allenfalls einen Meter breiten, steinigen Streifen Land. Das leicht grünliche Wasser des Sees war glatt wie ein Spiegel.
Welche Laune der Natur diesen sonderbaren See mitten in der Steppe hervorgebracht haben mochte? War hier eine Höhle eingestürzt? Oder war es vielleicht… es gab da so ganz alte Geschichten, in denen behauptet wurde, es habe einst Feuer speiende Berge gegeben, in deren Mitte nach dem Feuerstoß ein tiefes rundes Loch blieb. Aber ein Berg war das hier natürlich nicht… Ihr Blick war so in die Tiefe gezogen worden, dass Rrrricka gar nicht auf die sonderbare Holzkonstruktion am Rande des Kraters geachtet hatte, auf die Lakte sie nun, das Mädchen erneut aus seinen Gedanken reißend, aufmerksam machte. Vier kräftige Holzpfosten ragten paarweise nebeneinander gut einen Meter aus dem Boden heraus. Zwischen den Pfosten war in einem Meter Höhe eine vier Meter lange Wasserrinne festgezurrt, die aus einem der Länge nach halbierten Buchenstamm gefertigt war. Die Rinne stand etwa zwei Meter über den Kraterrand hinaus und damit auch über den See. Am Ende der Rinne war ein etwa 25 Zentimeter großes Loch in deren Boden gebohrt worden, durch das ein neben der Rinne verlaufendes Seil in der Tiefe verschwand.
Lakte erklärte: »Siehst du das Seil, das hier an dem Pfosten gesichert ist? Das reicht bis in den See hinunter, und an dem Seil hängt ein großer Lederbeutel mit einer Eisenscheibe darin. Wenn du den Beutel heraufziehst und er oben durch das Loch kommt, ergießt sich das Wasser des Beutels in die Rinne. Die Eisenscheibe verhindert, dass der Beutel komplett durch das Loch gezogen wird und sorgt dafür, dass er schnell wieder im See versinkt, wenn du ihn wieder hinablässt. Hier oben fließt das Wasser des Sees inzwischen in den Holzeimer dort am Ende der Rinne, und den trägst du dann dort hinten hin und schüttest das Wasser in diese tiefe Mulde im Fels am Rande des Kraters.«
»Aha. Und dann?«
»Dann wiederholst du das Ganze noch genau 21 Mal.«
Rrrricka starrte die ältere Frau nur ungläubig an, doch die erklärte unbeeindruckt: »So wurde es hier schon immer gemacht, und so wirst es auch du machen: das Wasser des Ahnensees aus eigener Kraft heraufholen.«
»Ja aber wozu?«
»Na, was denkst du denn? Natürlich, um dich zu waschen.«
»Moment mal – der Dampf in der Schwitzhütte dient doch auch… ich soll mich also reinigen, damit ich mich reinigen kann?«
»Also wirklich«, antwortete Lakte nun ernsthaft entrüstet, »du willst doch wohl nicht ungewaschen vor deinen Ahnen erscheinen?«
Rrrricka protestierte und fand mindestens zehn Einwände, doch Lakte blieb hart. So machte sich Rrrricka schließlich unter leisem Schimpfen daran, die schweren Wasserbeutel, Hand über Hand am Seil ziehend, 30 Meter hinaufzubefördern und die vollen Eimer zu dem Steinbecken zu schleppen, um sie dort zu entleeren. Bereits nach dem fünften Eimer hatte sie das Gefühl, die Schwitzhütte nicht mehr nötig zu haben. Nach dem zehnten Eimer dachte sie daran, sich langsam von ihren Armen zu verabschieden. Doch nach dem fünfzehnten Eimer stellte sich etwas Merkwürdiges ein: Die vollen Gefäße schienen auf einmal leichter zu sein, oder besser gesagt: Rrrricka bemerkte ihre Arbeit plötzlich kaum noch, während ihre Gedanken klarer und konzentrierter wurden.
War diese ganze Plackerei vielleicht schon ein Teil der Reinigung?
Oder ein Teil des Schwitzhütten-Rituals selbst?
Allerdings sollte Rrrricka ihren Zustand der Leichtigkeit sehr schnell wieder verlieren – als sie nämlich nach einer guten halben Stunde harter Arbeit tatsächlich in dem gefüllten Steinbecken stand. Das Wasser war eiskalt, und dass der Winter zwar mild, aber noch immer nicht ganz zu Ende war, trug auch nicht gerade zur Gemütlichkeit bei.
Bibbernd und zitternd schäumte sich Rrrricka so schnell wie möglich mit der Kräuterseife ein, die Lakte bereitgelegt hatte, und vergaß fast das Atmen, als ihre ehemalige Amme schließlich mehrere Eimer Wasser über ihr ausgoss. Schließlich wickelte sie sich mit der Hilfe Laktes dankbar in das große Schwitzlaken, das um den Bauch und unter den Armen mit einem Strick zusammengebunden wurde, und ließ sich, ein etwas kleineres Tuch über den Kopf und um die Schultern gelegt, von ihrer Begleiterin zu der Schwitzhütte führen, in der sie eine wohlige Wärme empfing.
Die Schwitzhütte war eigentlich nichts weiter als ein kreisrundes, zwei Meter durchmessendes Loch von eineinhalb Meter Tiefe, über das eine mit Pflöcken verankerte Kuppel aus engmaschigem Weidengefecht gelegt worden war. Im Zentrum der Kuppel gab es ein Loch und an der Seite eine kleine Klappe, von der aus eine Sprossenstange hinunter führte. Lakte hatte schon alles vorbereitet: In der Mitte des festgestampften Lehmbodens gab es einen kleinen Steinkreis, und in dem waberte die rotglühende Hitze eines Holzkohlefeuers, das die Luft darüber zum Flimmern brachte. In der glühenden Kohle stand ein hoher Topf, dessen Dampf den kleinen Innenraum bereits mit einem zarten, heißen Nebel geflutet hatte. Ansonsten gab es dort unten nur noch vier alte Sitzbretter, die auf dem Boden lagen.
Vorsichtig – das Laken ließ den Beinen nicht viel Bewegungsfreiheit – stieg Rrrricka die Sprossen hinunter, die mit dem Kräutersud gefüllte Schweinsblase mit den Zähnen am Knoten haltend. Kaum hatte sie sich mit untergeschlagenen Beinen auf einem der Sitzbretter niedergelassen, schloss Lakte auch schon die Einstiegsklappe, und Rrrricka war alleine mit der Hitze, dem Dampf und ihren Gedanken.
Das Licht war eigenartig. Zwar kam von dem Holzkohlefeuer ein glühendes Strahlen, doch wurde es von dem Dampf gleich wieder verschluckt, so dass die runde Wand der Schwitzhütte fast im Dunkeln lag.
Der Schatten des Dampfes waberte, mehr zu erahnen als zu erkennen, wie ein dunkleres Schwarz über die grauschwarze Wand, wodurch der Eindruck entstand, als würde sich die ganze Wand in kräuselnden Wellenbewegungen nach oben bewegen.
Da Rauch und Dampf nach oben durch die kleine Öffnung im Dach austraten, kam von dort auch nicht viel Tageslicht herein.
Dann hörte Rrrricka, wie Lakte zurück ins Dorf ritt – das Mädchen sollte wissen, dass es alleine war und vollkommen ungestört mit den Ahnen plaudern konnte.
Nachdem die letzten Hufschläge verklungen waren, merkte Rrrricka erst, wie still es in der Erdhütte war. Das leise Blubbern des Wassers, ab und an das Verrutschen von Holzkohlestückchen und ihr eigener Atem war alles, was sie hier hören konnte. Das Laken war schon jetzt von einer schweren, feuchten Wärme durchdrungen, Schweiß und Dampf mischten sich in Rrrrickas Gesicht, auf ihrem Hals und auf ihren Armen. Eine behagliche Schläfrigkeit überkam sie, und beinahe hätte sie vergessen, den Traumkraut-Sud in das Wasser zu kippen. Als sie es schließlich mit einer langsamen Bewegung doch tat, veränderte sich der Geruch in der Hütte fast augenblicklich, wurde würzig, leicht scharf auf der Zunge und gleichzeitig angenehm süß. Und er wurde schwerer… viel… schwerer…
In diesem Moment hätte es Rrrricka nicht im Geringsten verwundert, wenn tatsächlich einer ihrer Ahnen aus dem Kessel gestiegen wäre. Ein Plauderstündchen mit ihren Großeltern – an den einen Großvater konnte sie sich kaum noch erinnern, den anderen hatte sie, genau wie die Großmütter, nie kennengelernt – wäre sicher sehr interessant.
Und bevor sie es verhindern konnte, kamen auch schon die Worte über ihre Lippen: »Hallo, Opa Barrka, willst du nicht mal vorbeischauen?«
– Augenblicklich erschrak sie vor ihrer eigenen Stimme, musste gleich darauf über ihre Einfältigkeit kichern und war froh, dass Lakte nicht draußen stand und zuhörte.
Nein, natürlich kam ihr Großvater nicht. Leise begann sie, eine Melodie zu summen. Der Text dazu wollte ihr nicht einfallen. Sie summte auch noch, als sich ihre Augen schlossen und ihr Oberkörper ganz sanft, ganz sachte hin und her zu wiegen begann und sie seltsamerweise das Feuer trotz der geschlossenen Augen noch sah. Das Weiß des Feuers wurde größer, kam auf sie zu – würde sie jetzt verbrennen?
Nein, es war nur eine absolute, unendliche Wärme, die sie durchdrang und jeden Muskel, jeden Knochen, jede Zelle ihres Körpers, jedes Tröpfchen Blut ausfüllte. Dann kam etwas aus dieser weißen Wärme heraus.
»Opa?«, hörte sie eine Stimme fragen, ohne zu merken, dass es ihre eigene war. Doch es war keiner ihrer Ahnen, der kam, sondern ein Bild… nur ein Bild. Und gedämpfter Hufschlag, das Schnauben von Pferden. Von vielen Pferden.
Sie sah sich selbst, für den Krieg gerüstet und zu Pferde sitzend, wie sie an der Spitze von Tausenden ihrer Krieger ritt. Ihrer Krieger? Aber wie sie dort zu Pferde saß, war sie doch kaum einen Tag älter als jetzt, in diesem Moment. Also konnte sie nicht die Anführerin sein, denn sie war ja noch keine 18 Jahre alt, und genau das war das Problem, um diesen verflixten Mrrr loszuwerden. Das Gesetz des Stammes erlaubte es nun mal nicht, dass ein Häuptling jünger als 18 Jahre war. Und sich nicht an das Gesetz zu halten, war völlig undenkbar. Nun zog ein anderes Bild herauf. – Hätte sie bloß nicht an ihn gedacht! Diesmal war es dieser schreckliche Mrrr Drack, diese bösartige Witzfigur in ihrem kegelförmigen Hermelin-Mantel und mit dem hohen Hermelin-Hut, so wie sie ihn zuerst gesehen hatte. Und er biss genüsslich in eine Hühnerkeule und verhöhnte sie.
»Geh weg!«, rief Rrrricka, »das hier ist mein Schwitzhüttenritual. Ich will dich hier nicht haben!« Doch plötzlich erstarrte sie einen Moment und rief: »Nein, halt, warte! Hast du… Du hast da eine Sorgenfalte auf der Stirn, oder? Und warum schneidest du jetzt so blöde Grimassen?
– Du bist besorgt! Wirklich besorgt! Das heißt also – es gibt tatsächlich einen Weg, wie wir dich loswerden können!«
Und dann kam, noch sehr faserig und verschwommen, ein neues Bild heraufgezogen, das den sich sträubenden Mrrr beiseiteschieben wollte.
Rrrricka begann zu lachen, denn sie wusste, dass dieses Bild die Lösung bringen würde, während sich von oben, durch die Öffnung in der Weidenkuppel, ein kleiner Schwall einer dunkelgrünen Flüssigkeit in den Wassertopf ergoss. Der Dampf bekam augenblicklich einen anderen Geschmack, und draußen vor der Hütte murmelte leise ein kleiner, dicker Mann: »Kleine, eingebildete Schlampe! Das Lachen vergeht dir gleich!«
Nun zog der Mann die lange Stange zurück, an deren Ende eine kleine, jetzt leere Tonamphore befestigt war, dann watschelte er schnaubend zu dem Steinbecken hinüber, neben dem, fein säuberlich in einem Stapel und beschwert von ihrem kurzen Schwert, Rrrrickas Kleider lagen. Mit einer weit ausladenden Bewegung schleuderte der Mann das Schwert in die Mitte des Sees, durchstöberte mit flinken Fingern die Hosen- und Jackentaschen, blickte schließlich missmutig auf ein paar kleine Silberstücke in seiner Hand und murmelte verächtlich: »Und so was will eine Häuptlingstochter sein?«
Während er die Münzen in die eigene Tasche gleiten ließ, sah er sich nach geeigneten Steinen um. Dann wickelte er alle Kleider Rrrrickas zusammen mit ihrem Messer und fünf faustgroßen Steinen in ihre Jacke, band das Bündel mit ihrem Gürtel zusammen und schleuderte es mit einem Ächzen so weit er konnte in den See hinaus, wo es mit einem satten Klatschen aufschlug und in wenigen Sekunden versunken war.
Zuletzt zog der Mann ein totes, blutiges Huhn aus einem Packsack an seinem Pferd und warf es vor die Schwitzhütte. Und als er schließlich mit Rrrrickas Pferd im Schlepp davonritt, gönnte er sich ein lang anhaltendes, überaus zufriedenes Lächeln, weil nun aus der Hütte kein Lachen mehr drang, sondern Stammeln, Weinen und verzweifeltes Wimmern.
Der Mrrr war zu mächtig, viel zu mächtig! Wie hatte sie nur einen Moment glauben können, ihn zu besiegen? Keine rettende Idee hatte das Bild hinter ihm gebracht, sondern einen ins Unendliche anwachsenden Trümmerhaufen – die Trümmer ihrer Welt.
Der Dampf hatte inzwischen einen Geschmack von verfaultem Fleisch bekommen, roch wie schlechter Atem und brannte nun wirklich auf der Zunge, in der Nase, in den Augen, auf der Haut. Nie wieder würde ihre Mutter gesund werden, das zeigte ihr der Mrrr mit seinem Lächeln. Und Barrkaron war tot, gestorben, zermalmt, so wie alle ihre Freunde. Und tot solle auch sie sein, so abscheulich wie sie war, verachtet und gehasst von ihrem ganzen Stamm, vollkommen allein, ein Schandfleck auf der Erde. Aber der Mrrr in seiner überwältigenden Güte sagte ihr, dass er ihr helfen würde, die Welt von ihrem Anblick zu erlösen. Rrrricka wollte schon den Tod begrüßen, doch es war nicht der Tod, den der Mrrr gerufen hatte, sondern einen mächtigen Freund, der nun aus dem roten Feuer kam und schon große Sehnsucht nach einem Wiedersehen mit Rrrricka hatte. Und als Rrrricka klar wurde, wer sich da aus einer Schwärze mitten in dem Feuer näherte, als sie ihn erkannte, obwohl in dem Schwarz noch keine einzige Kontur sichtbar war, hörte ihr Herz für einen Augenblick auf zu schlagen. Der Schwarze Herzog war da. Er würde sie holen. Er würde sie wieder in den Turm stecken. Unumstößlich. Auf ewig.
Auch wenn ihr klar war, dass sie dem Zugriff Cosas niemals entgehen würde, so konnte Rrrricka in ihrer lodernden Panik nichts anderes machen als zu fliehen. Sie kroch, sie schrie, sie tastete, sie weinte, sie kratzte, sie riss, sie kletterte, sie rannte und rannte weiter und noch weiter und noch weiter ohne Empfinden für Zeit und Raum, gejagt von unergründlichen, nicht erkennbaren Bildfetzen, von Tod und Verderben, bis plötzlich nur noch Schwärze in ihrem Kopf war. Dann nichts mehr.
Halanas Augen waren die einer Kriegerin, doch Ruben hatte die Augen und die Orientierung eines Spähers. So ritt er voran, Prim wurde in die Mitte genommen, Halana übernahm das Ende ihres kleinen Trupps.
Ruben war ein erfahrener Kundschafter, doch selbst für ihn bedeutete dieser Ritt ein hohes Risiko, denn nur ein Hauch Mond- und Sternenlicht drang durch das Blätterdach bis zum Waldboden hinunter.
Hätten sie es sich erlauben können, gemütlich zu Fuß zu gehen, wäre es wohl kein Problem gewesen. Doch sie mussten den Wald in einer einzigen Nacht durchqueren. Zum einen, weil der Gelb nur in dieser Nacht durch das klitzekleine Täuschungsmanöver der 5000 Äxte schwingenden Steppenkrieger abgelenkt war, zum anderen, weil sie im Gebirge möglichst viel Zeit unter der Sonne haben wollten. Wenn man nämlich bedachte, was dort nachts lauern mochte…
So trieben alle drei ihre Pferde trotz des Risikos an, umkurvten, fast im Galopp, Bäume, deren Stämme sie mehr erahnten als sie zu sehen.
Sie konnten jedenfalls gut darauf verzichten, einem Gelb hier bei Nacht über den Weg zu laufen. Wie so ein Wesen aussah und was sie von ihm zu erwarten hatten, wussten sie von Halanas Sohn – Ruff hatte schon zwei Mal Bekanntschaft mit einem Gelb gemacht und erstaunlicherweise beide Begegnungen überlebt. Knapp zwei Meter groß war er, der Gelb, und er hatte auf den ersten Blick die Form eines Menschen: einen Körper mit Armen, Beinen, Kopf. Doch diese äußere Form war alles, was an einen Menschen erinnerte. Kleidung gab es nicht, auch keine Zehen oder Finger, keine Gelenke, keine Haare – und auch kein Gesicht. Da war überall nur diese sonderbare, schmutziggelbe Haut. Es war ein dunkles, fast eitriges Gelb, von feinen schwarzen und braunen Linien durchzogen und mit winzigen dunkelbraunen Einsprengseln durchsetzt, die sich auf dieser seltsamen, feucht schimmernden Haut hin und her bewegten.
Das seltsame Wesen konnte sogar, in einer sehr, sehr begrenzten Art, denken und eine raspelnde Stimme erzeugen. Die wenigen Worte, die so zustande kamen, entstammten seltsamerweise nicht der Sprache der benachbarten Steppenvölker, sondern sie waren eine altertümliche Form des Engal, der Sprache also, die im Schwarzen Land, in Engaland und selbst bei den Zauberern gesprochen wurde.
Wenn Aussehen und Sprache noch entfernt an einen Menschen erinnern mochten, so waren doch die Fähigkeiten dieses Gelb ganz andere als die eines Menschen. Halana hatte jedenfalls noch nie von einem Menschen gehört, der plötzlich aus dem Boden wachsen kann und der sich nur gleitend bewegt, dessen Arme und Beine im Körper verschwinden und sich an anderer Stelle wieder hervorstülpen und der, wenn er von einem Schwert getroffen wird, zwar auseinanderspritzt und in schleimige Pfützen zerfällt, die dann allerdings wieder aufeinander zufließen und sich zu einem neuen Gelb vereinen.
Seine Berührung war tödlich: Tingli, einem Chrrrr-Mädchen, das Ruff bei seiner erster Begegnung mit dem Gelb gerettet hatte, war nur ein wenig dieser gelben Schleimmasse auf den Fuß geraten. Das hatte zu üblen Verbrennungen und beinahe zu einer Amputation geführt. Nur durch den glücklichen Umstand, dass auch Halanas mütterliche Freundin Giula, die kräuterkundige Hebamme, zusammen mit Ruff zu dem Steppenvolk gelangt war, konnte der Fuß des Mädchens gerettet werden.
Und dann erst die Essgewohnheiten des Gelb: In seinem nicht vorhandenen Gesicht tat sich ein großes Loch auf, das sich über seine Nahrung stülpte – wobei es keine Rolle spielte, ob diese Nahrung tot war oder vielleicht noch lebte. Eine Erfahrung, auf die Halanas Erzfeind Berthold sicher gerne verzichtet hätte, schoss es der Kriegerin durch den Kopf, ohne dass sie sich dabei eine gewisse Genugtuung verkneifen konnte.
Berthold war der Anführer und letzte Überlebende der kleinen Gruppe gewesen, die Ruff und Giula entführt hatte. Und er war es auch gewesen, der Halanas Schwertschwester Lusian hinterrücks mit dem Schwert getötet hatte. Oh, wie gerne hätte Halana Berthold selbst gegenüber gestanden. Doch es war Ruff gewesen, der ihn in den Wald des Gelb gelockt hatte. Der Gelb war von einem Baum auf seine Schulter getropft und hatte sich, aus dem Boden kommend, um seine Beine gewunden. Das war das Letzte gewesen, was Ruff von Berthold gesehen hatte, bevor er, von den Schreien des Verräters begleitet, panisch aus dem Wald gerannt war.
Nur eines gab es, das der Gelb nicht mochte und das ihn besiegen konnte: Feuer. So war Sssnrk, der Stammeshäuptling der Chrrrr, zu Beginn der Nacht mit 5000 Kriegern vor dem Wald aufgezogen, und sie hatten mit Äxten und Feuer begonnen, eine tiefe Schneise durch die Bäume zu schlagen – das Ablenkungsmanöver fand die volle Aufmerksamkeit des Gelb, während Halana und die beiden Männer an einer anderen Stelle in den Wald eingedrungen waren.
Hinter diesem Wald, so behauptete es der Verfasser einer uralten Karte, würde in einer Höhle an der »Diamantstraße« der Bruder des Schlafenden Gottes zu finden sein – leider aber auch irgendetwas sehr Bedrohliches, zu dem der Plan dummerweise keine näheren Angaben machte.
Nun, sie würden es wohl sehr bald herausfinden, vermutete Halana und dachte an Prim, der vor ihr ritt und wegen dem sie dieses Abenteuer auf sich genommen hatte: Der junge Zauberer hatte Halana bei der Rettung Ruffs zur Seite gestanden, und nun würde sie ihm helfen, den Bruder des Schlafenden Gottes zu finden. Falls es ihn wirklich gab.
Und falls sie die Suche überlebten.
Als Halana den jungen Mann mit den braunen Haaren und braunen Augen zum ersten Mal gesehen hatte, da war sein ovales Gesicht noch blass gewesen – ein eindeutiges Zeichen, dass der Zauberer zu viel Zeit in der Studierstube und zu wenig unter der Sonne verbracht hatte. Doch inzwischen sah seine Gesichtsfarbe viel gesünder aus, und er war eindeutig kräftiger geworden. Sogar – und das grenzte fast an ein Wunder – seine Angst vor Pferden hatte er abgelegt. Aus Sicht eines engaländer Kriegers waren seine Reitkünste zwar auch jetzt nur mit gutem Willen als passabel zu bezeichnen, doch wenn man daran dachte, wie sie das Land der Zauberer verlassen hatten… Prim wollte die Reise tatsächlich auf einem dieser unglaublichen Luftflöße antreten, das über den Boden gleiten konnte – und das natürlich sofort die Aufmerksamkeit der ganzen Welt und insbesondere des Schwarzen Herzogs auf ihre dann ganz und gar nicht mehr unauffällige Reisegruppe gelenkt hätte. So hatte Halana ihn anfangs fast zwingen müssen, sich auf ein Pferd zu setzen, – und so gesehen war sein Umgang mit Pferden inzwischen nahezu sensationell.
Prim machte sich im Augenblick keine Gedanken über seine Reitkünste. Denn dafür war er viel zu sehr mit Reiten beschäftigt. Er versuchte, möglichst genau den Bewegungen des schwarzen Schattens vor ihm zu folgen. Er traute Ruben zwar noch immer keinen Meter über den Weg, doch was hätte er tun sollen? Hätte Prim, neben der Konzentration aufs nächtliche Reiten, gleichzeitig auch noch die Orientierung behalten müssen, er wäre vollkommen verloren gewesen.
Prim bewunderte an Ruben, dass er, obwohl groß und muskulös, bei jeder Bewegung eine ungeheure Geschmeidigkeit an den Tag legte und sein Schwert, wenn er es zog, ein Teil seines Körpers zu sein schien.
Aber Prim hätte sich lieber eigenhändig die Zunge herausgerissen, als dies vor Ruben zu erwähnen, und er war Halana gegenüber noch immer eingeschnappt, dass sie diesen Barbaren, wenn auch angeblich unter Vorbehalten, wieder in ihre Gruppe aufgenommen hatte. Ruben war Halanas Liebhaber gewesen (und auch darin hatte er sicher ein gewisses Talent gezeigt, aber daran wollte Prim noch nicht einmal denken), doch der Krieger hatte damals Halanas Freundschaft nur gesucht, weil er doppeltes Spiel spielte und im Dienst des Schwarzen Herzogs gestanden hatte. Nur mit Rubens Hilfe war Berthold die Entführung von Halanas Sohn gelungen. Und dass Ruben später versicherte, es sei nie geplant gewesen, dass Halanas Schwertschwester Lusian bei der Entführung sterben sollte, machte die Sache auch nicht besser.
Halana hatte Ruben einzig aus dem Grund verschont, weil er sie am schnellsten zu Herzog Cosa bringen konnte. Als sie schließlich alleine ins Land der Zauberer eingedrungen war, hatten sie sich aus den Augen verloren und erst wiedergesehen, als die Befreiung des Kindes aus dem Turm beinahe schief gegangen wäre. Bei dieser Gelegenheit hatte sich Ruben, offiziell noch immer im Dienste des Herzogs stehend, allerdings seltsam ungeschickt angestellt. Fast hatte man den Eindruck haben können, dass er den Kriegern des Herzogs immer irgendwie im Weg stand, wenn sie Halana unschädlich machen wollten. Halana schien jedenfalls zu glauben, dass es Ruben mit seiner Reue ernst war. Prim allerdings traute ihm nicht. Und so war er keineswegs erfreut gewesen, als klar war, dass Ruben sie auf ihrer Suche nach dem Bruder des Schlafenden Gottes begleiten würde. Eigentlich war Olav das Rohr für diese Rolle vorgesehen gewesen, doch der Späher aus der Armee König Róges war verletzt worden. Der zweite Begleiter von Halana und Prim, Hanumann, einst Krieger und dann Koch im Heer des Königs, kam ohnehin nicht in Frage, da er einst ein Bein auf dem Schlachtfeld gelassen hatte und somit bei ihrer Reise ins Rote Gebirge kaum mithalten konnte.
So war es nun also Ruben, der voranritt. Und offenbar war Ruben
– auch diese Erkenntnis versetzte Prim einen kleinen Stich – ein ausgezeichneter Kundschafter und Späher, denn er machte seine Sache gut, als sie hier in halsbrecherischem Tempo zwischen den kaum als Schatten zu erkennenden Bäumen hindurch ritten.
Dumpfes Hufgetrappel, das angestrengte Schnauben von Pferden, knirschendes Zaumzeug und drei Schatten, die durch den fast finsteren Wald huschten: Meist hatten die Reiter den Oberkörper dicht über dem Pferdehals liegen, um das Risiko einer unliebsamen Bekanntschaft mit einem Ast zu vermindern. Nur ein einziges Mal, als sie einen größeren Bach überquerten, hielten sie in der unheimlichen Stille des nächtlichen Waldes an, um die Pferde saufen zu lassen. Und nur ganz selten ließen sie die Rösser im Schritt gehen, um Tier und Reiter eine Verschnaufpause zu gönnen. Erst gegen vier Uhr wechselten sie dauerhaft zu einem langsameren Tempo, nachdem Ruben doch einen Ast gestreift hatte und aus einem kleinen Riss in der linken Wange blutete.
In der letzten Stunde ihres schnellen Ritts waren die drei Reiter fast schon in eine Art Trance gefallen – ausweichen, weiter, ausweichen, weiter, ausweichen, weiter –, während die Pferdehufe dumpf über den schneefreien Waldboden polterten. Eine Trance, die gefährlich war, weil sie unaufmerksam machte, wie Rubens kleine Verwundung zeigte.
So hatten sie sich stillschweigend dazu durchgerungen, die Pferde nun nur noch Schritt laufen zu lassen.
Fast war schon eine leichte Rötung des Himmels über den Baumwipfeln zu erahnen, als Ruben schließlich leise erklärte: »Der Boden!
Er steigt stärker an. Und ich meine, ab und an schaut etwas Fels aus dem Waldboden. Wir haben den Fuß des Gebirges erreicht! – Ganz vorsichtig jetzt!«
Sie schlossen enger zueinander auf. Halana bemühte sich darum, sich trotz ihrer Erschöpfung für die letzten Minuten der Nacht zusammenzureißen. Sie schüttelte den Kopf, um die Müdigkeit aus ihren Gedanken zu verscheuchen… und riss plötzlich ihr Schwert heraus, noch bevor sie genau wusste, was sie da aus den Augenwinkeln gesehen hatte. Irgendetwas sehr Großes, Weißes bewegte sich parallel zu ihnen, nur zwei, drei Baumreihen weiter rechts. Und jetzt meinte sie auch, das sachte Auftreten eines großen Körpers zu hören… nur eines?
Rubens Ohr war nicht entgangen, wie Halana ihre Klinge gezogen hatte, und auch er hielt schon sein Schwert in der Hand, nur Prim ahnte noch nichts von ihren Besuchern. Die, so schien es Halana, seitlich näher kamen.
»Vorsicht!«, brüllte die Kriegerin, »Feind von rechts!«
In diesem Augenblick kamen auch schon sieben, acht laut grunzende und röhrende Schreie von dieser Seite, und ein weißer Schatten stürzte auf Prim zu, der dies jedoch gar nicht bemerkte, da er sich in diesem Moment, nach der anderen Richtung, fragend zu Halana umgewandt hatte. Mit einem schrillen Schrei hieb die Kriegerin ihrem Pferd die Fersen in die Seiten, so dass es einen erschrockenen Satz nach vorne machte, Halana nun nahe genug heran war und ihr Schwert kraftvoll in den weißen Schatten stieß. Wieder war ein grunzender Schrei zu hören, diesmal jedoch ein Schmerzensschrei, während weitere weiße Gestalten hinter den Bäumen hervorbrachen.
»Flucht nach links vorne!«, brüllte Halana und versetzte gleichzeitig Prims Pferd einen kräftigen Schlag aufs Gesäß.
Sie holten das Letzte aus ihren Pferden heraus. Einen Hauch von Licht gab es bereits, als sie vor den weißen Schatten flohen, die sie hechelnd hinter sich herjagen hörten. Da traf etwas mit Wucht die Hinterseite von Halanas Helm, so dass sie nach vorne geschleudert wurde und sich gerade noch mit dem rechten Arm am Hals des Tieres halten konnte.
Mit aller Macht kämpfte sie dagegen an, die Besinnung zu verlieren, denn ein Sturz vom Pferd, da gab sie sich keiner Illusion hin, hätte ihren sicheren Tod bedeutet. »Wenn man nicht selbst als Nahrung enden will«, kam ihr die Warnung aus der alten Karte in den Sinn, was ihr aber half, die Schwärze abzuschütteln, die sie niederwerfen wollte.
»Stopp! Haltet an!«, hörte sie plötzlich Rubens Stimme schräg vor sich.
»Aber sie kommen! Wir müssen fliehen«, war Prims ängstliche Antwort.
»Nein – uff! – , nein, wir haben’s geschafft«, entgegnete Ruben, erschöpft sein schäumendes Pferd zügelnd, »wenigstens im Augenblick.
Sie sind weg. Der Tag bricht an!«
Halana konzentrierte sich und merkte durch das Dröhnen in ihrem Schädel hindurch, dass es wirklich heller geworden war. Dem Großen Zerstörer sei Dank! Zumal ihnen nun ohnehin nichts anderes übrig blieb als abzusteigen, wollten sie ihre Pferde nicht umbringen. Die Tiere waren am absoluten Ende ihrer Kräfte angelangt.
Halana glitt vom Pferd, ließ sich am nächstbesten Baum zu Boden rutschen und zog sich stöhnend den Helm vom Kopf. Der hatte eine gewaltige Delle an der Rückseite, wo ihn etwas Schweres, Rundes getroffen haben musste. Entsprechend zur Delle in ihrem Helm erblühte an Halanas Kopf eine mächtige Beule, auf die sie zunächst aufstöhnend ihre Messerklinge drückte, später ein mit dem Wasser aus ihrem Proviant befeuchtetes Tuch.
Prim war mehrere Sekunden zitternd stehen geblieben und fragte schließlich: »Was… was war denn das? «
»Etwas Unfreundliches«, antwortete Ruben, »etwas sehr Unfreundliches.«
»Unfreundlich – aber was immer es ist, es kann bluten«, ergänzte Halana, die nochmals ihr Schwert hervorgezogen hatte und nun versonnen den dunklen Fleck an dessen Spitze betrachtete.
Nach nur kurzer, stiller Verschnaufpause meinte Ruben: »Lasst uns weitergehen. Noch ein Stück weiter hoch, dann dürften wir bald den Wald verlassen. Ich sehne mich nach der Sonne auf meinem Gesicht. – Ach ja, und, Zauberer…«
»Ja?«
»Wenn wir das nächste Mal angegriffen werden, würde es mich kein bisschen stören, wenn du deinen magischen Stab hervorholst und ein paar Kugelblitze gegen unsere Feinde schießt, oder so was in der Art!«
»Aber gerne doch…«, entgegnete Prim aufgebracht, »…wenn ich erstens weiß, wo dieser Feind überhaupt steckt, er sich zweitens möglichst wenig bewegt und du mir drittens vorher bitte eine dritte Hand wachsen lässt. Zwei davon habe ich nämlich gebraucht, um mich auf dem vermaledeiten Pferd festzuhalten!«
»Zauberer«, schnaubte Ruben, »hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du mit diesem Kuhhorn-Helm auf dem Kopf ziemlich lächerlich aussiehst?«
Keine halbe Stunde später traten sie aus dem Wald heraus in eine Landschaft, die ganz anders war als jene, durch die sie ihn am Abend zuvor betreten hatten.
Zunächst einmal stieg hier eine mit Kiefern und Felsen durchsetzte Almmatte steil an, auf der hier und da etwas Schnee lag. Nach etwa 300 Metern endete diese Wiese ziemlich abrupt vor einem zwar sehr langen, aber nicht sehr hohen Felsabbruch, der fast senkrecht aus dem Wiesengelände herauswuchs. Was direkt hinter dieser Felskante auf sie wartete, konnten Halana, Prim und Ruben von ihrem Blickwinkel aus nicht erkennen. Sie sahen nur weiter hinten mächtige Bergspitzen in den Himmel ragen. »Wenn das nur das Vor gebirge ist«, murmelte Ruben,
»dann möchte ich mich niemals durch das eigentliche Rote Gebirge kämpfen müssen.«
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, wollte Prim wissen.
Halb zweifelnd, halb hoffnungsvoll meinte Ruben mit einem Achselzucken: »Vielleicht finden wir ja schon an dieser niedrigen Felswand da vorne einen Eingang zu den Höhlen, die wir offenbar suchen?«
»Siehst du hier irgendwo eine Straße aus Diamanten?«, stellte Prim die Gegenfrage.
»Was für eine Straße?«
Leise und versonnen zu den Bergen hinüberstarrend, zitierte Halana aus dem alten Dokument, das Prim entdeckt hatte: » …am Tor zur kalten Diamantstraße, die den Weg zu den Höhlenlabyrinthen unseres Brudergottes weist. «
»Aber das wird ja wohl keine Straße aus echten Diamanten sein, oder?«, wollte Ruben wissen.
»Wahrscheinlich nicht«, entgegnete Halana nachdenklich in Richtung Berge, »andererseits: Wenn du all die Dinge gesehen hättest, die ich im Land der Zauberer gesehen habe, dann würdest du auch eine Straße aus reinen Diamanten nicht für vollkommen ausgeschlossen halten.«
Sie verschnauften noch kurz, aßen jeder etwas Trockenobst, Brot und Käse aus ihren Vorräten und gaben den Pferden Gelegenheit, ein wenig zu grasen. Der Tag versprach sonnig zu werden, der Frühnebel hatte sich bereits verzogen, und nur ab und an querten ein paar Wolken den kalten blauen Winterhimmel. Schließlich machten sie sich, noch immer ermattet durch den nächtlichen Gewaltritt, auf den Weg, zuerst hinauf und dann, unterhalb der Felskante nach Norden, um einen Aufstieg zu finden, der für ihre Reittiere gangbar wäre.
Nach etwa zehn Minuten kamen sie an eine Stelle, an der es eine Verwerfung im Fels gab: Ein vermutlich Jahrtausende zurückliegendes Erdbeben hatte den nordwärts gelegenen Bereich des Bruchs etwa zwei Meter nach vorne gedrückt. An der Bruchstelle gab es, mit etlichem vorgelagertem Geröll, eine schräg nach oben führende Spalte – zwar recht steil, aber gangbar, um auf diesem Weg die etwa drei Meter höher liegende nächste Ebene zu erreichen.
Sein widerstrebendes Pferd hinter sich her zerrend, machte Ruben den Anfang. Als er soweit nach oben gekommen war, dass er über die Bruchkante hinausblicken konnte, sahen die anderen, wie sich sein Körper versteifte. Dann rutschte Ruben gar, die Konzentration verlierend, auf dem Geröll zwei, drei Schritte zurück.
Automatisch griff Halana nach ihrem Schwert, doch da drehte sich Ruben mit leuchtenden Augen um und rief: »Grandios! – Das glaubt ihr nicht, wenn ihr’s nicht selbst gesehen habt! Kommt schnell hoch!«
Damit zerrte er energisch am Zügel seines Pferdes und verschwand, ein leises Lachen ausstoßend, aus dem Sichtfeld der anderen.
Gespannt folgten erst Prim, dann Halana dem Späher. Er hatte nicht übertrieben. Es war grandios.
Schweigend standen sie, die Pferde am Zügel haltend, nebeneinander und betrachteten die Landschaft, die sich vor ihnen auftat: Sie standen auf einer weiten, leicht nach Süden abfallenden Ebene. Weit vor ihnen, in Richtung Westen, wuchsen einige Berge empor, die sich, je weiter der Blick nach Norden wanderte, zu einem gigantischen, unüberschaubaren Gebirgsmassiv in den Himmel zu schrauben schienen, mit schroffen Gipfeln und fast bis in die Täler hinab mit Schnee bedeckt.
Doch das zweifellos Beeindruckendste an der Aussicht war der majestätische, an seinem Ende nahezu einen Kilometer breite Gletscher, der sich ihnen aus nordwestlicher Richtung entgegenschob. Das riesige bläulich-weiße Band aus Eis und Schnee brach mit einer weit hervorspringenden Zunge aus einem sanft ansteigenden Tal hervor, dessen unterer Bereich, eingeklemmt zwischen den felsigen Rändern der Berge, mit Abermillionen Tonnen des Gletschereises ausgefüllt war. Etwa zwei Kilometer des fast stählern schimmernden und nach hinten zu steiler ansteigenden Gletschers konnten sie überblicken, dann drehte sich das Gletscher-Tal in einer ziemlich scharfen Kurve nach Norden und verschwand aus ihrem Blickfeld in das unendliche Gebirgsmassiv hinein.
Von der Gletscherzunge ausgehend, verlief eine Art breites, flaches und mit zermalmtem Geröll bedecktes Flussbett bis zu ihnen herüber und dann weiter in Richtung Süden. Zurzeit schlängelte sich in der Mitte des Flussbettes allerdings nur ein kleiner, munter aus dem Gletschertor heraussprudelnder Bach. Wenn im kommenden Frühjahr die Schneeschmelze begann, würde hier vermutlich ein breiter Fluss vorbeiströmen.
Plötzlich stutzte Halana, riss sich von dem überwältigenden Anblick los und schaute über ihre Schulter zurück in Richtung der noch tief stehenden Sonne. Sie war gerade von einem kleineren Wolkenhaufen verdeckt, der sie aber gleich wieder freigeben würde. Schnell sah Halana wieder zum Gletscher hin und sagte leise zu den andern: »Passt auf und seht genau hin. In ein paar Sekunden haben wir unseren Weg.«
Die Wolken gaben die Sonne langsam frei. Ihre Strahlen tanzten, Meter um Meter, immer höher den Gletscher hinauf. Und mit jedem Meter blitzte und leuchtete es, funkelten Milliarden von Eiskristallen…
»…wie Diamanten!«, rief Prim verblüfft, und dann, mit großen Augen zu Halana gewandt: »Sollte das wirklich die kalte Diamantstraße sein, die jener unbekannte Schreiber erwähnt?«
»Aber sicher! Es kann nicht anders sein! Unglaublich, was für ein poetischer Pilzsucher euer Vorfahre gewesen ist! Einen Gletscher in der Randbemerkung eines Pilz-Buches als ›kalte Diamantstraße‹ zu bezeichnen… Doch Recht hat er. Was für ein Leuchten!«
»Aber war in der Schrift nicht von einem Tor die Rede, an dem die kalte Diamantstraße beginnt?«, wandte Prim zweifelnd ein.
Halana suchte das Gelände vor der Gletscherzunge mit den Augen nach irgendetwas ab, das als Tor durchgehen könnte. Da lachte Ruben auf und erklärte: »Kriegerin, lass dich bloß nicht von diesem Zauberer irre machen. Der mag ja Blitze schleudern können, doch seine Beobachtungsgabe… na ja. Seht mal da runter, ganz im Süden, die beiden hohen Felsnadeln zu beiden Seiten dieses Flussbettes!«
»Hm, gut, unser unbekannter Poet mag die als Tor gesehen haben, aber sind die nicht viel zu weit weg vom Gletscher?«, fragte Prim.
»Heute vielleicht… Aber sieh dir mal die auf der Oberseite blank gescheuerten Felsen in diesem Flussbett an. Ich schätze, in jener Zeit, als unser Pilzfreund seine Informationen sammelte, war der Gletscher noch ein gutes Stück länger gewesen.«
»Also dann«, Halana klatschte in die Hände, »worauf warten wir noch?«
Was mochte dort auf sie warten? Das fragte sich Halana, als sie auf den Gletscher zu ritten. Kurz sah sie nach links und rechts, zu ihren beiden Begleitern. Dumm, dass Olav mit einem Armbrustpfeil im Bein ausgefallen war. Kurz dachte sie auch an Barrkaron. Seine Zähigkeit, seine Gerissenheit und vielleicht auch seine Messerkünste wären hier ein echter Zugewinn gewesen. Womöglich hätte sie den Steppenkrieger doch nicht aus seinem Versprechen entlassen sollen, ihr zu helfen. Aber nein, sie hätte ihn niemals von Rrrricka trennen können, seiner Nichte, die sie gemeinsam aus dem Turm des Schwarzen Herzogs befreit hatten. Und das Mädchen mitzunehmen wäre natürlich viel zu gefährlich gewesen. Es war das einzig Richtige gewesen, sie zurück in das Stammesgebiet ihrer Mutter zu schicken. Dort war sie in Sicherheit.
Sie fror erbärmlich. Und sie stank erbärmlich.
Das war das Erste, was Rrrricka spürte und roch, als sie wieder zu sich kam. In ihrem Rachen war ein Geschmack von Blut und ein kratzender Schmerz, als hätte sie lange und laut geschrien.
Wo war das warme Feuer? Wo kam der Wind her? Und warum lag sie… auf Gras? Sie schlug die Augen auf, setzte sich auf und musste sich heftig übergeben, bevor sie ihre Umgebung genauer in Augenschein nehmen konnte. Viel zu sehen gab es nicht. Sie saß mitten auf einer kleinen Bodenerhöhung in der Steppe und rundherum war genau das – Steppe. Sonst nichts.
Wie war sie hierher gekommen? Und warum fühlte sie sich wie zweimal durchgekaut und wieder ausgespuckt, wo doch das Schwitzbad eine wohltuende Wirkung… die Schwitzhütte!
Mit einem Schlag war alles wieder da, und ihr Zittern kam jetzt nicht mehr von der Kälte allein. Wie konnte das passieren? Wieso hatte der Sud des Traumkrautes, der doch völlig ungefährlich sein sollte, eine so schreckliche Wirkung gehabt? Sie wusste es nicht. Aber eines war ihr klar: Wenn sie nicht bald aufstehen, sich bewegen und den Rückweg finden würde, dann würde sie hier ganz einfach erfrieren.
Mühsam rappelte sich Rrrricka hoch. Sie musste in blinder Panik aus der Erdhütte geklettert und davongerannt sein – ein Glück, dass sie nicht in den Krater des Sees gestürzt war. Und so wie ihre Arme aussahen, war sie wohl mehrfach hingefallen, bis irgendwann das Laken bis zu den Knien gerissen war und sie besser laufen konnte.
Langsam drehte sie sich um die eigene Achse und suchte mit den Augen den Horizont ab.
Nichts.
Oder doch?
Es war mehr eine Ahnung, dass dort hinten, Richtung Norden, ein zarter Nebel ganz dicht über dem Horizont lag. Konnte dort der Ahnensee sein? Ohne zu zögern ging sie in diese Richtung. Sie war zwar alles andere als in der Verfassung für einen strammen Marsch, woran sie auch ihr knurrender Magen erinnerte, doch die Kälte ließ sie so schnell wie möglich ausschreiten.
Als sie über die nächste Bodenerhebung kam, sah sie ein Stückchen weiter vorne eine Spur im Gras, die von einem Pferd stammen mochte.
Einem Pferd, dass ein wenig weiter links noch mehr Gras niedergetrampelt hatte, weil dort womöglich ein Reiter abgestiegen war. Als Rrrricka an dieser Stelle vorbeikam, sah sie etwas im Gras liegen.
Das war doch…
Wieso, um des Großen Zerstörers willen, hatte hier jemand ein frisch geschlachtetes Huhn hingelegt? Langsam stieg in ihr die Ahnung auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Und sie war sich dessen sogar ganz sicher, als nur einen Moment später das Heulen von Wölfen zu ihr herüberwehte – noch hinter ihr, noch nicht ganz nahe – noch nicht.
Rrrricka rannte los.
*
Der Ahnensee kam näher.
Das Wolfsrudel auch.
Doch Rrrricka schaffte es – fast.
Keuchend rannte sie bis zu dem Holzgestell am Krater, wollte weiter zum Wasserbecken, um ihr Schwert zu holen, sah aber schon von Weitem, dass Schwert und Kleider und auch ihr Pferd weg waren. – Natürlich.
Und dann war es hinter ihr.
Das Hecheln.
Rrrricka fuhr herum. Welche Ehre. Das ganze Rudel war gekommen.
Etwa 25 Wölfe waren es, die sich nun langsam von allen Seiten näherten. Wieso auch sollten sie jetzt noch rennen? Die Tiere waren klug.
Klug genug jedenfalls, um zu erkennen, dass ihr Mittagessen keine Fluchtmöglichkeit mehr hatte.
Zu den nächsten Bäumen durchbrechen?
Unmöglich.
Rrrricka tat das Einzige, was zu tun blieb: Sie sprang auf die hölzerne Rinne, die über den See ragte, und wich langsam zurück. Vielleicht würden sich die Wölfe ja nicht hier hinauf, über den Rand des Kraters… Eine junge Wölfin sprang leichtfüßig in die Rinne hinein, gefolgt vom Leitwolf, dem größten der Tiere.
Rrrricka wich weiter zurück. Bis es nicht mehr weiter ging. Sie stand nun ganz am Ende der hölzernen Rinne, 30 Meter unter ihr der See, die Wölfin kam, knurrend und Zähne fletschend, langsam hinterher. Doch einen Meter vor ihr blieb sie unschlüssig stehen und knurrte noch wütender. Dem Tier musste klar sein, dass, falls es dieses zweibeinige Ding anspringen würde, damit auch seine Mahlzeit in der Tiefe verschwand.
Eigentlich hatte Rrrricka nie eine wirkliche Chance gehabt, aus dem Turm des Schwarzen Herzogs zu fliehen. Und sie war doch geflohen.
Nutze die Chance, die du nicht hast.
Rrrricka stieß einen wütenden Schrei aus, der den Blutgeschmack zurück in ihren Mund brachte, sprang vor und trat der Wölfin mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, seitlich gegen den Kopf. Der Tritt des erschöpften Mädchens konnte den harten Wolfsschädel nicht verletzen. Doch das Tier, das keinen Angriff erwartet hatte, zuckte erschrocken zur Seite, stolperte am Rand der Rinne, verlor das Gleichgewicht, kippte, ein letztes Mal verzweifelt über das Holz kratzend, über den Rand hinweg und stürzte aufjaulend in die Tiefe, während Rrrricka nach hinten fiel und mit dem Hosenboden direkt in der Rinne landete.
Fast hatte sie den Eindruck, der Leitwolf würde einen Moment seiner abgestürzten Wölfin ungläubig hinterher starren. Doch als von unten ein Platschen und kurz darauf ein schmerzhaftes Aufheulen zu hören war, traf Rrrricka ein Blick animalischer Wut. Es war der Blick eines wilden Tieres, das sich durch nichts in der Welt von einem Angriff abhalten lässt.
*
Barrkaron und die 24 Krieger, die mit ihm gekommen waren, waren da schon deutlich erfolgreicher gewesen. Trotz der Hirten war es ihnen vor zwei Nächten gelungen, ein paar Rinder von ihrer Herde weg zu treiben. Jedenfalls hatten die Steppenreiter gestern drei Langhorn-Kadaver gefunden – nicht viel mehr als blanke Knochen und von gewaltigen Kiefern aufgeknackte Wirbel, um an das Rückenmark zu gelangen. Am Nachmittag waren sie dann, die von den Kadavern wegführenden Spuren verfolgend, tatsächlich auf ein paar Wölfe gestoßen
– vermutlich nur ein kleinerer Teil eines Rudels. Doch das Steppengras war hier hoch gewesen, und noch dazu hatte der Wind im unpassenden Moment die Richtung gewechselt und den Geruch der Jäger zu den Tieren hinübergeschickt. Immerhin konnten die Lrrrk noch zwei der Wölfe mit ihren Bögen erlegen, doch den anderen war in dem tiefen Gras die Flucht gelungen – es stand also 3:2 für die Wölfe.
Barrkaron hatte über zehn Jahre als Hofnarr getarnt am Hof der Herzöge des Schwarzen Landes gelebt. Aber nachdem er, gemeinsam mit Halana und Prim, Rrrricka aus Herzog Cosas Turm befreit hatte und nach Hause zurückgekehrt war, da hatte er sich schnell wieder an das Nomadenleben in der Steppe gewöhnt. Nein – genau genommen hatte er nicht einmal eine Eingewöhnungszeit gebraucht. Es war eher so gewesen, als wäre eine Kugel des Ztlock-Spiels nach einigen Fehlwürfen endlich genau in der Mulde gelandet, die für sie gemacht worden war.
Und etwas war sogar ganz eindeutig besser als früher: Sein Aussehen war kein Ziel mehr für Spott und Verachtung. Der junge Mann war nicht sonderlich groß, jedoch mit breiten, kräftigen Schultern ausgestattet.
Das war es aber nicht, was ihn unter den anderen Lrrrk zu einem ungewöhnlichen Anblick machte. Die Krieger der Steppenvölker hatten eine hell- bis dunkelbraune Hautfarbe und meist schwarze Haare. Barrkarons mit Sommersprossen gesprenkelte Haut war dagegen fast weiß, sein Haar weißblond. Dass er ein Albino war, hatte ihn unter seinen Leuten einst fast zu einem Aussätzigen gemacht.
»Weiße Schande« war er als Kind gerufen worden. So standhaft und aufrecht die Steppenreiter sonst sein mochten, so grausam konnten sie gegen Unbekanntes sein, das sie nicht verstanden und das viele als Strafe – wofür auch immer – aus der Welt der Ahnen gedeutet hatten.
Doch als er vor wenigen Monaten tatsächlich die neun Jahre vermisste und von den meisten für tot gehaltene Häuptlingstochter nach Hause gebracht hatte, da gaben sich die Lrrrk alle Mühe, ihn wie einen der Ihren zu behandeln – um schließlich erstaunt festzustellen, dass er tatsächlich einer der Ihren war.
So war es schließlich auch gekommen, dass man ihn nicht nur bat, an der Wolfsjagd teilzunehmen, sondern ihm sogar die Führung des Jagdzugs angetragen hatte. Barrkaron vermutete nicht zu Unrecht, dass es Erran gewesen war, der die anderen überzeugt hatte, es mit ihm als Jagdführer zu versuchen – mit Erran, einem älteren Lrrrk-Reiter, hatte Barrkaron bei seiner Ankunft beinahe die Klinge gekreuzt, aber schon bald darauf war er ihm ein guter Freund geworden.
Barrkaron hatte sich schnell bereit erklärt – die Steppenkrieger mochten keine zögerlichen Entscheidungen – , das Angebot anzunehmen.
Allerdings war ihm nicht sonderlich wohl gewesen bei dem Gedanken, sich von Rrrricka zu trennen, solange auch der Stammes-Mrrr in dem Wandernden Dorf war. Er traute diesem hermelinbesetzten Idioten nicht so weit, wie man gegen den Wind spucken konnte. Doch bei genauer Betrachtung hatte er die Aufforderung, den Jagdzug zu leiten, unmöglich ablehnen können. Sie wollten ihm damit zu verstehen geben, dass seine Taten seinen Makel mehr als nur ausglichen. Das Angebot war also durchaus als Ehre zu verstehen. Zudem gab es Barrkaron die Gelegenheit zu zeigen, dass er führen konnte und das Vertrauen verdient hatte. Ohnehin waren die meisten Lrrrk aus dem Wandernden Dorf nicht gut auf den Stammes-Mrrr zu sprechen. Umso besser also, wenn Barrkaron Freunde gewann, die fest hinter Rrrricka und ihm stehen würden.
Die Wölfe hatten sich offenbar getrennt. Schlaue Biester! Den einzelnen Spuren konnte man kaum folgen. Die Jäger versuchten es trotzdem, fanden aber zunächst statt eines Wolfs ein totes Huhn. Waren die Biester schon so nah beim Dorf gewesen? Aber wieso hatten sie das Huhn nicht gleich gefressen? Jungtiere dürfte es jetzt doch noch gar nicht geben.
Erran lenkte Barrkaron ab, indem er zu einem in der Ferne aufsteigenden Nebel deutete und erklärte: »Wir sind gar nicht weit vom See der Ahnen entfernt. Vielleicht sollten wir dort mal vorbeischauen? Dort gibt es Schwitzhütten…«
Das war, nach zwei kalten Nächten im Freien, sehr verlockend. Barrkaron wollte gerade den unausgesprochenen Vorschlag aufgreifen, als Brrtrck, ein Fährtensucher, der den Boden in einem großen Kreis um ihre Gruppe herum abgesucht hatte, von Weitem rief: »Hier! Hier ist wieder eine Spur. Das muss ein Großer gewesen sein!«
Die Spur führte vom Ahnensee weg.
»Na, dann wird es wohl nichts mit dem Dampfbad«, stellte Barrkaron mit einer Geste des Bedauerns fest und gab Zeichen, der Spur zu folgen. Bis zum Nachmittag wollte er sein Glück noch versuchen und dann zum Dorf zurückkehren, länger wollte er Rrrricka wirklich nicht alleine lassen. Andererseits… vielleicht war er ja auch einfach zu besorgt, denn alleine war sie in diesem Moment wohl kaum. Schließlich bot ja auch das Dorf Schutz. Beinahe alle – bis auf Mrrr Drack natürlich – hatten sich aufrichtig gefreut, als die Häuptlingstochter zurückgekehrt war. Und Rrrrickas offene Art trotz all der Jahre Gefangenschaft hatte in nur wenigen Tagen dafür gesorgt, dass die Erwachsenen das Mädchen in ihr Herz schlossen und sie unter den Kindern und Heranwachsenden viele Freunde gefunden hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich auch heute Morgen wieder mit Freunden aus dem Dorf getroffen und hing jetzt einfach irgendwo rum.
*
Rrrricka baumelte 30 Meter über dem See.