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Hammer + Veilchen erscheint vierteljährlich und veröffentlicht Kurzprosa deutschsprachiger Gegenwartsautoren
Das E-Book Hammer + Veilchen Nr. 15 wird angeboten von Emig, Günther und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Kurzprosa, Gegenwartsliteratur, Kurzgeschichten
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 38
Flugschriften für neue Kurzprosa
Herausgegeben von Günther Emig und Peter Engel
Ausgabe 15 · 2018
Mit Beiträgen von Susanne Neuffer • Gunter Gerlach • Katharina Körting • Christian Maintz • Jörn Birkholz • Klaus Johannes Thies • Heiner Feldhoff • Michael Fruth • Wolfgang Wurm
Jetzt schauen sie alle noch schnell diesen alten Film an und seufzen erleichtert auf, daß zwar das bewußte Jahr vor der Tür steht, aber die Welt noch nicht ganz so schlimm aussieht, wie man sich das vor vierzig Jahren gedacht hat. Und dann kommt bald der neue Film in die Kinos und zeigt, wie die Welt in ein paar Jahrzehnten aussieht und daß es absolut schlimm kommen wird, auch hier. Woanders ist es ja ohnehin schon so.
Das Ganze interessiert mich nur begrenzt, bis auf den einen Punkt, den man KI nennen kann oder das Replikanten-Thema. Ich lebe nämlich schon länger mit einer Replikantin, einem Android, einer Humanoiden (oder wie das heißt) in meiner Umgebung.
Mein Mann Gregor hat eine Freundin, die nicht echt ist, nicht echt sein kann. Offiziell ist sie seine Mitarbeiterin. Aber ich weiß, was Sache ist. Sie ist sehr hübsch, offensichtlich klug und kompetent, hat ihre Karriere laut Gregor blitzartig, aber selbständig hingekriegt. Im übrigen weiß er nicht, daß ich weiß. Daß ich von der Affäre weiß und – was er natürlich überhaupt nicht ahnt, weil so etwas außerhalb seiner Gedankenwelt ist – daß sie eine Replikantin ist. Sie ist sehr gut gemacht, denn sie ist gerade nicht vollkommen. Nach allgemeinen Maßstäben ist sie zwar fast perfekt (Figur, Gesicht, Bewegungen), aber da sind kleine Unvollkommenheiten eingebaut, eine kleine Asymmetrie an einem Zahn zum Beispiel, es gibt auch ein oder zwei Pigmentflecken unter dem rechten Auge, und ihre Stimme kiekst leicht, wenn sie etwas Längeres zu sagen hat. Sehr raffiniert gemacht. Laut Gregor sucht sie ständig irgendwelche Schlüssel und kann nicht kopfrechnen. Inszeniert sie bewußt Fehlleistungen, um entsprechende Effekte hervorzurufen? Die Humanoiden der neuesten Generation haben also kleine Macken. Wie vorhersehbar das ist.
Die Frage ist nur: Wozu das Theater? Wer setzt wozu eine Replikantin auf meinen unbedeutenden Mann an? Daß er in der Baubehörde eine einigermaßen leitende Stellung hat, macht ihn für Außerirdische nicht interessant, für innerweltliche Mächte und Interessenvertreter auch kaum. Da hätte man es doch mit schlichter Bestechung (einer Einladung, Segelferien) versuchen können.
Ich nenne sie Replika, Replik heißt ja Antwort, eine schnelle Antwort auf unsere vielen Fragen. Für Gregor und die Behörde heißt sie Renée Plickart. Als Gregor sie mir mit Namen vorstellte, blieb mir ob solcher Chuzpe kurz die Luft weg. Halten die uns Menschen für blöd? Oder ist das Offensichtliche die beste Tarnung?
Seit ich den Film gesehen habe, mache ich Testspielchen, obwohl das nicht nötig wäre. Wenn sie zu Extrasitzungen mit Gregor auftaucht, biete ich ihr zu heißen Tee an, warte, daß sie ihn unüberlegt und fühllos hinunterschluckt, aber nein, sie pustet bedächtig auf die Teetasse. Aha, auch die Innenausstattung ist menschenähnlich: Mund, Speiseröhre, Magen, auch die anderen Hohlräume dürften humanoid sein – sonst hätte sogar Gregor etwas merken müssen. Das Biographiespielchen spiele ich nur sehr vorsichtig und dosiert. Dann erwähne ich Kinderspielzeug, Nine Eleven, Adventsbasteln, Muskelkater nach dem Training, nervige Familientreffen. Sie reagiert prompt, zu prompt, finde ich.
Ich rede auch ab und zu über Science-Fiction-Filme, mache Witze über Gestaltwandler, über Data und HAL 9000. Gregor sieht mich dann erstaunt an und sagt: »Ich wußte gar nicht, daß du...« Und Replika kichert verlegen und behauptet, am liebsten Liebeskomödien zu sehen, zur Entspannung. Aber es klinge interessant, was ich da erzählen würde.
Eifersucht würde ich dieses Gefühl nicht nennen, aber da ist Unruhe, dazu ein leises Unverständnis. Was hat sie in dieser Abteilung der Baubehörde zu suchen? Ich habe auf der Internetseite nachgesehen, was Gregor eigentlich so macht, und da ging es um die Statik von Brücken und neue Brückenkonstruktionen, die aussahen, als wären sie nicht von dieser Welt. Vielleicht brauchen sie etwas Vertrautes zum Andocken, dachte ich, etwas, wo sie ihre Schiffe parken, falls sie von außerhalb kommen. Und Replika unterstützt die Vorbereitungen für die Landung!