Hammer + Veilchen Nr. 16 -  - E-Book

Hammer + Veilchen Nr. 16 E-Book

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Beschreibung

Hammer + Veilchen erscheint vierteljährlich und veröffentlicht Kurzprosa deutschsprachiger Gegenwartsautoren

Das E-Book Hammer + Veilchen Nr. 16 wird angeboten von Emig, Günther und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Kurzprosa, Gegenwartsliteratur, Kurzgeschichten

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 39

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Hammer + Veilchen

Flugschriften für neue KurzprosaHerausgegeben von Günther Emig und Peter Engel

Ausgabe 16 · 2018

Mit Beiträgen von Martin Jürgens · Cornelia Manikowsky · Sascha Preiß · Petra Kluge · Orla Wolf · Roland Glomb · Susanne Mathies · Melitta Roth · Klaus Johannes Thies · Heiner Feldhoff · Robert Bauer

Martin Jürgens

Nicht meiner Mutter Sohn

(Fragment)

Identität ist eine Idee, die nur noch schmerzt. Starrkrampf zwischen dem, was man hin und wieder ist, und dem, was man nie sein wird.Hermann Kinder

20./21. Dezember

Kalter Regen, stundenlang. Seit Tagen keine Sonne. Die Vorräte gehen zur Neige, aber wachsende Unlust, das Haus zu verlassen. ›…gehen zur Neige. Aber wachsende Unlust…‹: mein Gott. Auf fast allen Kanälen Weihnachtsmusik. Früh im Bett.

Nach Mitternacht. Endlich ist wieder die Brandung zu hören. Am Morgen: Der Wind hat auf West gedreht und nimmt zu. Es zieht durch die Scheiben. Im Badezimmer ein winziger Anflug von Sand um das Zahnputzglas herum. Kein Anruf, kein Brief.

23. Dezember

Heute eingekauft: Milch, Brot, Zucker, Kaffee, Butter, Käse, Mehl, warum denn Mehl? Und eine Tafel Nußschokolade. Und Alkohol, ausreichend für die nächsten Tage. Die Kassiererin hat eine Bemerkung gemacht und gelacht, als sie die Flaschen weiterschob. Nichts verstanden und auch gelacht.

Nachmittags etwas Sonne. Bei Ebbe bis zum Flutsaum gegangen. Hohe Brandung. Kaum ein Mensch am Strand. Weiter weg, in Richtung der beiden Hotels, ein Paar in Anoraks und Gummistiefeln; sie läuft weg, ins flache Wasser hinein, läßt sich einholen, umarmen, einige Meter tragen und so weiter.

Abends. Ende letzter Woche ist sie zurückgefahren, am Freitag? Jedenfalls gegen Mittag; ich hab sie ja zum Anleger gefahren. »Irgend jemand muß sich schließlich um sie kümmern«, sagte sie. Das war am Abend davor, und wir hatten beide schon etwas getrunken: »Aber nicht meiner Mutter Sohn«, sagte ich. »Dies Jahr nicht. Ab jetzt nicht mehr.« – Darauf Stille, dann wie gehabt: Sie verstehe es ja, habe da auch ihre Mühe, aber einmal im Jahr? »Immerhin ist sie Deine Mutter«, und so was zu sagen, sei einfach widerlich. Von manchen Menschen, Mutter hin oder her, sagte ich, müsse man sich verabschieden, bevor – egal. Und mit der Geduld sei man jetzt schon im zweiten Jahrzehnt. Und widerlich sei, was sich seit Jahren am Heiligen Abend abspiele, bei ihr abspiele; wir seien ja immer wieder hingegangen, immer wieder, obwohl wir jedes Mal, Jahr für Jahr – ja, sie auch -, im voraus gewußt hätten, wie ekelhaft es sein würde. Die Weihnachtsgeschichte, von ihr gelesen, aus ihrem alten, in Leder gebundenen Gebetbuch, bis zu »und Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind«, langer Blick, gefolgt vom Versuch, »Stille Nacht, Heilige Nacht« zu singen, jedesmal, fast jedesmal abgebrochen, weil außer ihr »und manchmal dir«, sagte ich, niemand sang. Später dann das Schweinefilet mit etwas Gemüse – »etwas ganz Leichtes« – und das Gläschen Sekt und der Weißwein, bis die ersten Schluchzer kamen und das hemmungslose weihnachtliche Weinen über den Verlust des Mannes und der Heimat. »Ich möchte dich mal sehen, wenn Du mal..«, rief meine Frau. »Kannst du ja, jeden Tag bis ich mal! Bitte, kein Problem. Tu Dir keinen Zwang an.« – »Tu ich sicher nicht«, sagte sie und: »Komm laß gut sein, ja?«

Im Bett drehte sie sich weg, lag da, ließ mich machen, atmete kaum, ging zur Toilette, legte sich wieder hin und schlief ein.

25. Dezember

Heute abend im »Salta si puedes«, einem neuen Lokal in der Nähe des Anlegers. Das einzige, das auf hatte. »Feliz navidad« mit Kunstschnee auf die Scheiben links und rechts von Eingang gesprüht. Ein großer Raum mit einer langen Theke, fast jeder Tisch besetzt, weiße Wände, keine Bilder, ein vergilbtes Stierkampfplakat aus Malaga von 1955 hinter Glas und Leuchtreklamen für spanische Bier- und Brandymarken. Aus den Lautsprechern eine Mischung aus Salsa und Disco.