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Ernst-Hermann Timmermann, Geschäftsführer bei der Deutschen Forschungsgesellschaft für Oberflächenbehandlung e.V., Neuss Bewitterungsprüfungen sind für die Entwicklung und die Verbesserung von Beschichtungsstoffen unerlässlich. Nur mit ihnen kann die Entwicklung solcher Produkte deutlich beschleunigt werden. Das Lehrbuch "Kurzzeitbewitterung" von Ulrich Schulz hatte 183 Seiten und stammte aus dem Jahr 2007. Seitdem hat sich im Bereich der Bewitterungsprüfungen sehr viel getan. Daher war eine Neuauflage dringend notwendig. Mit seinen 364 Seiten ist das "Handbuch der Bewitterung" von Florian Feil nun doppelt so umfangreich wie die erste Ausgabe. Damit ist es eindeutig das neue Standardwerk für den Bereich der natürlichen und künstlichen Bewitterung und eigentlich mehr als eine vollständige Überarbeitung; es ist ein vollkommen neues, sehr gut recherchiertes Werk. Florian Feil hat bei der Erstellung des Handbuches alle relevanten Themen zur Bewitterung in 12 Kapiteln behandelt. Angehend von einer allgemeinen Betrachtung der Bewitterung und den dabei vor-liegenden Prozessen werden die Wirkfaktoren bei der Bewitterung, die photochemischen Vorgänge der Alterung der Beschichtung, die Freibewitterung und die beschleunigte Freibewitterung erklärt. Im weiteren Verlauf werden die künstliche Bewitterung und die Prinzipien der Beschleunigung ausführlich behandelt. Ein ganzes Ka-pitel widmet er der Korrelation der künstlichen Bewitterung mit der Freibewitterung. Der Notwendigkeit geeigneter Referenzmaterialien widmet Florian Feil ein weiteres Kapitel. Das auch die Bewitterungsprüfungen ohne eine Normarbeit nicht möglich ist, stellt der Autor im 12. Kapitel dar. Er selbst arbeitet seit vielen Jahren in mehreren nationalen und internationalen Normgremien. In allen Kapiteln werden nicht nur die theoretischen Grundlagen dargestellt, sondern auch zahlreiche Praxisbeispiele aufgeführt und erklärt. Dies ist für das Gesamtverständnis sehr hilfreich. Bemerkens-wert ist auch die sehr umfangreiche Liste von 457 Literaturstellen, die für die Erstellung des Buches recherchiert wurden. Fazit: Das neue Standardwerk von Florian Feil zur natürlichen und künstlichen Bewitterung ist uneingeschränkt zu empfehlen.
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Seitenzahl: 637
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Florian Feil
Handbuch der Bewitterung
Künstliche und natürliche Bewitterung an Beschichtungen
2., vollständig überarbeitete Auflage
Umschlagsbild: pixel shot – stock.adobe.com
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Florian Feil
Handbuch der Bewitterung:Künstliche und natürliche Bewitterung an Beschichtungen,2. vollständig überarbeitete Auflage des Buches Kurzzeitbewitterungvon Ulrich Schulz
Hannover: Vincentz Network, 2024
Farbe und Lack Bibliothek
ISBN 3-7486-0273-1
ISBN 978-3-7486-0274-3
© 2024 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover
Vincentz Network, Postfach 6247, 30062 Hannover, Germany
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E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de
Satz: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany
Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen, Germany
Farbe und Lack // Bibliothek
Bildquelle: Jürgen Parr, www.parrart.de
Als ich von Vincentz Network gefragt wurde, ob ich bereit wäre, das Buch „Kurzzeitbewitterung – Natürliche und künstliche Bewitterung in der Lackchemie“ von Ulrich Schulz für den Verlag zu aktualisieren, war ich sehr geehrt. Jeder, der in Deutschland mit Bewitterung zu tun hat, kennt dieses Buch, und nutzt es in seiner täglichen Arbeit. So musste ich nicht lange überlegen und auch mein Arbeitgeber hat ohne Zögern zugestimmt, dass ich dieses Projekt neben meiner Arbeit angehen kann.
Ich habe schnell gemerkt, dass ich in vielen Dingen einen anderen Hintergrund habe als Ulrich Schulz und dass sich in den Jahren seit dem Erscheinen im Jahr 2007 von „Kurzzeitbewitterung“ auch einiges geändert hat. Eine einfache Aktualisierung reichte nicht aus, und so habe ich mich entschlossen, das Buch ausgehend von einer guten Basis neu zu strukturieren und zum großen Teil neu zu schreiben. Das hat zwar etwas länger gedauert als geplant, aber nur so kann ich selbst mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Unter Bewitterung versteht man im Wesentlichen die meist schädigende Beanspruchung von Materialien durch Umwelteinflüsse, insbesondere von Lacken und Kunststoffen. Die Sonnenstrahlung ist dabei einer der kritischsten Alterungsfaktoren. Zur zuverlässigen Qualifizierung von Lacken für ihren Einsatz gehören auch natürliche oder künstliche Bewitterungsprüfungen. Ziel ist es, die besten Materialien für den Einsatz auszuwählen. Häufig erhofft man sich auch konkrete Lebensdauervorhersagen auf der Basis von beschleunigten Prüfungen.
Von einem rein technisch-wissenschaftlichen Ansatz zur Lebensdauervorhersage auf der Basis von beschleunigten Prüfungen kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass dies eigentlich unmöglich ist. Das Geheimnis liegt darin, Kompromisse einzugehen, um möglichst aussagekräftige Prüfungen durchzuführen.
Bei der Bewitterung ist sehr oft eine Mischung aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischer Erfahrung erforderlich. Mein Ziel ist es, dem Lackprüfer einen Leitfaden für die Durchführung zuverlässiger Bewitterungsprüfungen an die Hand zu geben. Dazu ist es wichtig, die Faktoren zu verstehen, die zur Alterung von Beschichtungen führen, und auch zu wissen, was bei der Bewitterung mit den Beschichtungen geschieht. Die Bewitterungstechnologien im Freien und im Labor sind ein wichtiger Bestandteil des Buches. Darüber spielt die Auswahl geeigneter Prüfmethoden und Prüfnormen sowie deren Be- und Auswertung eine wichtige Rolle.
Das vorliegende Buch basiert auf langjähriger Erfahrung als Berater auf dem Gebiet der Bewitterung, dem intensiven Austausch mit Anwendern aus den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen und der Normenarbeit in zahlreichen Gremien. Mit dem vorliegenden Buch ist der Lackentwickler in der Lage, zuverlässige Bewitterungsprüfungen durchzuführen und seine Produkte optimal auf den Einsatz vorzubereiten.
Frankfurt, im Januar 2024
Florian Feil
Ich möchte zuerst meinem Arbeitgeber der Atlas MTT GmbH und meinem Vorgesetzten Andreas Riedl dafür danken, dass ich den Freiraum hatte, das Buch zu schreiben. Ich danke auch allen Kollegen und Freunden in der Firma und der Normung, die mich unterstützt haben, und von denen ich über die Jahre viel lernen konnte. Die Liste ist leider zu lange, um alle aufzuzählen. Mein besonderer Dank gilt aber Allen Zielnik, Dr. Artur Schönlein, Gerhard Pausch und Bernd Reinmüller, die mir gute Lehrmeister in Bewitterung und Normung waren.
Ganz besonderer Dank gilt Hajo Trefz für die umfassende Erstkorrektur. Nicht zuletzt möchte ich meinen Freunden und meiner Familie danken, die mich immer unterstützt haben.
Jedes Produkt ist während seiner Nutzung in irgendeiner Form der Umwelt ausgesetzt. Häufig führen Stressfaktoren aus der Umwelt zu Abbaureaktionen seiner Bestandteile. Dieser meist negative Effekt wird auch als Alterung bezeichnet. Bei organischen und polymeren Materialien und Werkstoffen ist einer der kritischsten Einflussfaktoren die Sonnenstrahlung. Im Freien nennt man die Wirkung der Sonnenstrahlung im Zusammenspiel mit allen anderen Umwelteinflüssen, wie Wind und Regen, Bewitterung. Bezieht man sich nur auf die Strahlung von der Sonne oder von künstlichen Strahlenquellen und schließt weitere Wetterwirkungen, insbesondere flüssiges Wasser oder Regen aus, spricht man oft von Belichtung. Da Belichtung wörtlich genommen nur den sichtbaren Anteil des Sonnenspektrums berücksichtigt, ist Bestrahlung genaugenommen der korrekte Begriff. Bewitterung dient häufig auch als Überbegriff für alle Alterungsszenarien, die in irgendeiner Form mit Sonnenstrahlung zu tun haben.
Da auch die meisten Beschichtungen und Lackierungen auf organischen und polymeren Bestandteilen basieren, können sie durch Wettereinflüsse beeinträchtigt werden. Ihre Umwelt- oder Wetterbeständigkeit ist daher ein wesentliches Qualitätsmerkmal. Über mitunter längere Zeiträume müssen Beschichtungen einer Vielzahl von unterschiedlichen Umwelteinflüssen, möglichst ohne Änderung ihrer Eigenschaften, widerstehen.
Bei der Entwicklung von organischen Beschichtungen sind daher seit über 100 Jahren entsprechende Bewitterungsprüfungen im Freien oder im Labor üblich. Das Ziel ist es, im Allgemeinen die Beständigkeit und das Alterungsverhalten von Materialien gegenüber den Umwelteinflüssen zu bestimmen. Oft sind absolute Aussagen zur Beständigkeit schwierig, weil man das Alterungsverhalten und die Wetterbedingungen am Einsatzort nicht kennt oder nur schwer vorhersagen kann. Bewitterungsprüfungen werden daher häufig als relative Prüfungen im Vergleich mit anderen Materialien oder Referenzen durchgeführt.
Sowohl in der Lackentwicklung als auch in der Überwachung der Serienproduktion ist heute die künstliche Bewitterung ein unverzichtbares Element der Qualitätssicherung. Bei einer Lackierung bedeutet Qualität, dem lackierten Produkt oder Substrat die wesentlichen gewünschten Oberflächeneigenschaften zu verleihen und diese über eine geforderte oder angemessene Nutzungsdauer beizubehalten. Metallische Substrate, wie beispielsweise Stahl oder Aluminium, sind durch Lackierungen vor Korrosion, Holzwerkstoffe vor Verwitterung oder Beton vor eindringender Nässe zu schützen. Neben dieser Schutzfunktion haben Lackierungen im Allgemeinen auch eine Reihe weiterer Funktionen. Eine der wichtigsten Eigenschaften in vielen Anwendungsbereichen, wie z.B. im Bauwesen oder in der Automobilindustrie, ist die dekorative Wirkung. Ansprechende Oberflächen suggerieren hohe Qualität und beeinflussen das Kaufverhalten des anzusprechenden Kundenkreises.
Neben den dekorativen Eigenschaften werden in bestimmten Einsatzbereichen weitere visuelle Anforderungen an die Lackoberfläche gestellt, wie beispielsweise hohe Auffälligkeit, Signalwirkung oder gute Erkennbarkeit bei Beschilderungen und Fahrbahnmarkierungen im Straßenverkehr oder gutes Tarnverhalten im Militärbereich. Weitere wichtige Funktionen von Lackoberflächen beinhalten, je nach Anwendung, antimikrobielle oder Flammschutzeigenschaften. Lackoberflächen, auf denen Schmutz schlecht haftet, erleichtern Reinigung und Dekontaminierung. Alle geforderten Eigenschaften müssen während der gewünschten Gebrauchsdauer der lackierten Oberfläche gewährleistet sein.
Die Gebrauchsdauer, auch Lebensdauer genannt, beschreibt, wie lange eine Lackierung bei einem als normal definierten Gebrauch ihre gewünschten Funktionen bzw. Gebrauchseigenschaften beibehält. Langfristige Beständigkeit ist z.B. Voraussetzung für Anstriche von Hausfassaden, für Beschichtungen von Brückenkonstruktionen oder Rotorblättern von Windkraftanlagen, für Lackierungen im Transportbereich wie bei Automobilen, Schienenfahrzeugen und Flugzeugen. Auch nach dem heutigen Stand der Technik sind derartig hohe Erwartungen an die Gebrauchsdauer immer wieder eine Herausforderung für die Lackentwickler. Im Innenbereich von Gebäuden, wie bei Möbeln und Fußböden im Wohnbereich, ist dies oft leichter zu realisieren als bei Materialien, die im Außenbereich unter dem Einfluss von allen Wetterfaktoren eingesetzt werden.
Bewitterungsprüfungen helfen dem Lackprüfer den Nachweis zu erbringen, ob eine Lackierung während ihrer Gebrauchsdauer die Qualität besitzt, allen im normalen Gebrauch zu erwartenden Beanspruchungen durch Witterung zu widerstehen.
Viele Vorgänge bei der Bewitterung kann man wissenschaftlich erklären. Im Regelfall laufen diese Abbauprozesse parallel ab, deren Abhängigkeit von den Wetterparametern jedoch unterschiedlich sein kann. Gleichzeitig sind die Wetterfaktoren keine feste Größe. Sie hängen von Ort, Jahres- und Tageszeit ab und unterliegen meistens zyklischen Schwankungen. Das macht den Vergleich von realen Bedingungen und kontrollierten Prüfungen in der Regel schwierig. Viel wichtiger ist oft die Erfahrung in der Vorgehensweise und Interpretation der Ergebnisse.
Das Anliegen dieses Buches ist es, langjährige Erfahrungen aus den Bereichen der Bewitterung und der Lackprüfung kompakt zusammenzufassen und weiterzugeben. Zum Verständnis der Bewitterung werden die Wetterfaktoren und ihre Wirkung auf Materialien behandelt. Die wichtigsten Gerätetypen, die bei der Bewitterung ihren Einsatz finden, werden vorgestellt. Hilfreich für den Anwender ist auch ein Überblick über die gängigsten Prüfmethoden und Normen der natürlichen und künstlichen Bewitterung.
Das Buch stellt dar, wie die richtige Prüfmethodik zu wählen ist, um aussagekräftige Prüfergebnisse zu erzielen. Als wichtige Ergänzung wird die Interpretation der Ergebnisse bezüglich Beschleunigung, Korrelation und letztendlich Gebrauchsdauervorhersagen diskutiert.
Zusammenfassend soll das Buch dem Anwender helfen, Bewitterungsprüfungen möglichst zuverlässig durchzuführen und zu bewerten sowie die Ergebnisse effektiv in der Produktentwicklung und Qualitätssicherung umzusetzen.
Lackierungen sind im Gebrauch verschiedenen Wetter- oder Wirkungsfaktoren aus der Umwelt ausgesetzt. In Abbildung 2.1 sind die wesentlichen Faktoren, die im Freien aus der Umgebung auf eine Lackierung einwirken können, dargestellt. Organische und polymere Werkstoffe, zu denen auch die Lackierungen gehören, können durch diese Faktoren abgebaut werden. Vor allem die sogenannten primären Wetterfaktoren führen so zu einer Materialalterung. Als primäre Wetterfaktoren fasst man Strahlung (Sonnenstrahlung und auch künstliche Lichtquellen), Wärme (Maximal- und Minimaltemperatur sowie deren Zyklen) und Wasser (sowohl als relative Feuchte und in flüssiger oder fester Form) zusammen.
Unter diesen Wirkungsfaktoren spielt die von der Sonne kommende Strahlung eine dominierende Rolle. Der Begriff Globalstrahlung beschreibt die gesamte von der Sonne auf eine horizontale Fläche auftreffende Strahlung und umfasst sowohl die direkte, aus der Sonnenrichtung einfallende Strahlung als auch die diffuse, vom Himmel und den Wolken gestreute Strahlung. Im Rahmen dieses Buches wird für eine bessere Verständlichkeit allgemein Sonnenstrahlung als Oberbegriff für die natürliche und simulierte (künstliche) Strahlung verwendet, es sei denn, es ist die Globalstrahlung oder ein bestimmter Anteil der Sonnenstrahlung gemeint.
Eine weitere wichtige Rolle bei den meisten Alterungsprozessen der Bewitterung spielt der Luftsauerstoff . Dieser ist als Reaktionspartner bei vielen Alterungsprozessen beteiligt. Die Photooxidation (auch Autooxidation) ist eine der wesentlichsten Reaktionen der photochemischen Alterung an der Lackoberfläche, die neben der Sonnenstrahlung auch Sauerstoff benötigt. Die Sauerstoffkonzentration der Luft beträgt weltweit konstant 21 % [1] und ist daher bei den meisten Prüfungen, egal ob natürlich oder künstlich, dieselbe. Es gibt wenige Ausnahmen, bei denen gezielt unter erhöhter Sauerstoffkonzentration, in reinen Sauerstoffatmosphären oder unter Ausschluss von Sauerstoff (unter Schutzgasen wie Stickstoff oder Argon) bewittert wird.
Abbildung 2.1: Wirkungsfaktoren in der Umwelt
Wärme ist ebenfalls ein wichtiger Bewitterungsfaktor. Wie die meisten chemischen Reaktionen verlaufen Abbaureaktionen von Lackierungen in der Regel bei höheren Temperaturen schneller ab. Diffusionsprozesse (beispielsweise von Sauerstoff und Wasser) verlaufen auch schneller bei hohen Temperaturen. Das Gleiche gilt für die Migration von Additiven. Niedrige Temperaturen können zu Kondensation von Wasser an der Oberfläche führen, hohe Temperaturen zum Verdampfen von Wasser oder von Additiven. Die Temperatur bestimmt zudem den Zustand des Polymers (Glasübergangstemperatur, Schmelzpunkt). All diese Einflüsse wirken sich auf die Zusammensetzung des Materials aus und damit auch auf sein Alterungsverhalten. Neben Photoabbauprozessen können bei höheren Temperaturen auch rein thermische Abbauprozesse stattfinden. Temperaturwechsel bewirken Expansion und Kontraktion von Materialien und führen zusätzlich zu mechanische Zug- und Druckspannungen. Die Klimagröße der Wärme ist eigentlich die Luft- oder Umgebungstemperatur. Die Werkstoffe erwärmen sich unter Sonneneinstrahlung, deshalb ist eine weitere wichtige Größe die Oberflächentemperatur. Neben Umgebungseinflüssen (wie Lufttemperatur, Bestrahlungsstärke oder Wind) hängt die Oberflächentemperatur auch von den Werkstoffeigenschaften (wie Farbe, Absorptionsverhalten, Dicke oder thermischer Leitfähigkeit) ab.
Als nächster wichtiger Faktor bei der Bewitterung von Lackierungen ist Wasser beziehungsweise die Feuchte zu nennen. Wasser wirkt in der Form von Luftfeuchte (gasförmig) und auch in flüssiger oder fester Form (Regen, Tau, Schnee, Hagel) auf die Lackoberfläche. Regen, Tau und Nebel bestimmen gemeinsam mit der relativen Luftfeuchte die Dauer der Benässung der Lackoberfläche, auch Nasszeit genannt. Die Nasszeit wird häufig als TOW (Time of Wetness) abgekürzt. Wasser kann zur Hydrolyse der Lackmatrix und auch zur Hydrolyse von Abbauprodukten führen. Daneben finden bestimmte Abbauprozesse, wie etwa die photochemische Hydrokatalyse an Titandioxid, nur in der Gegenwart von Wasser statt. Wird Wasser von der Lackierung aufgenommen, ändern sich auch deren Eigenschaften, wie etwa die Glasübergangstemperatur. Wasseraufnahme kann zum Quellen der Lackierung führen, Wasserabgabe zum Schrumpfen. Gerade bei Lackierungen auf Metallen, die kein Wasser aufnehmen, führt dies zu einer zyklischen mechanischen Beanspruchung. Kaltes Wasser auf heißen Oberflächen (wie bei einem plötzlichen Gewitterregen auf ein durch Sonne aufgeheiztes schwarzes Dach) führt zu einem Thermoschock und einer zusätzlichen mechanischen Beanspruchung.
Flüssiges Wasser kann Additive aus den Lackierungen herauswaschen oder auch Abbauprodukte von der Oberfläche abwaschen. Je nach Tropfengröße und Geschwindigkeit führt flüssiges Wasser auch zu Erosion bis hin zu Aufprallschäden, wie sie auch bei Hagel entstehen können.
Abbildung 2.1 zeigt noch eine Vielzahl weiterer, sogenannter sekundärer Wirkungsfaktoren, die im Freien gemeinsam mit der Sonnenstrahlung die Lackoberfläche beanspruchen können. Dazu gehören saurer Regen, Schadgase, Aerosole und Stäube, aber auch biologische Faktoren wie Schimmel- und Algenwachstum oder Ausscheidungen von Vögeln und anderen Organismen. Oft führen gerade diese sekundären Umweltfaktoren in Kombination mit den primären Wetterfaktoren zu einer charakteristischen Schädigung.
Bewittern leitet sich vom Begriff Wetter oder Witterung ab. Der früher oft gleichbedeutend verwendete Begriff Bewettern wird heute kaum noch verwendet. Beim Bewittern werden im Regelfalle alle Umgebungsfaktoren berücksichtigt, die im Freien auf einen Werkstoff wirken. Dazu gehören neben der Sonnenstrahlung auch die Wirkungsfaktoren Wärme und Wasser; Wasser in der Form der relativen Luftfeuchte, aber vor allem auch in der Form von flüssigem Wasser, wie etwa durch Regen und Tau. Beim natürlichen Bewittern wird der Werkstoff nicht nur diesen, sondern allen Umweltfaktoren ausgesetzt. Beim künstlichen Bewittern in Geräten wird im Allgemeinen versucht, die drei primären Wirkungsfaktoren zu simulieren und zu regeln, um das im Freien herrschende Klima in Geräten nachzustellen. Das Ziel des Bewitterns ist die Bestimmung der Wetterbeständigkeit, auch Wetterechtheit genannt.
Beim Bestrahlen steht der Wirkungsfaktor Strahlung im Mittelpunkt. Ein entsprechendes Prüfverfahren hat streng genommen nur die Strahlung als Klima- und Regelgröße. Die Regelung erfolgt entweder durch den natürlichen Strahlungsverlauf bei der Nutzung der Sonne als Strahlungsquelle oder durch entsprechende Auswahl und Regelung des optischen Systems (Lampentyp, Filter) bei der Nutzung künstlicher Strahlungsquellen. In der Realität wirkt auch Wärme und relative Luftfeuchte beim Bestrahlen, so empfiehlt es sich, beim Bestrahlen diese Faktoren ebenfalls zu messen und idealerweise zu regeln, um vergleichbare Prüfergebnisse zu erzielen.
Der Hauptunterschied zum Bewittern ist beim Bestrahlen das Fehlen von Wasser in flüssiger Form als Regelparameter. Bewittern wird jedoch oft als Überbegriff verwendet, um sowohl Bewittern als auch die Unterkategorie Bestrahlen zu beschreiben.
Bestrahlen findet man häufig als Methode zur Bestimmung einer so genannten Photobeständigkeit, auch als Lichtechtheit bezeichnet.
Tabelle 2.1 zeigt eine Gegenüberstellung wesentlicher Merkmale von „Bewittern“ und „Bestrahlen“ am Beispiel der Prüfung in Geräten mit künstlicher Strahlungsquelle.
Tabelle 2.1: Gegenüberstellung von Bewittern und Bestrahlen.
Wirkungsfaktor
Klimagröße
Bewittern
Bestrahlen
Strahlung
Bestrahlungsstärke
geregelt
geregelt
Luftsauerstoff
Konzentration
naturbedingt konstant
naturbedingt konstant
Wärme
Umgebungstemperatur
geregelt
geregelt
Oberflächentemperatur
geregelt
geregelt
Wasser
relative Luftfeuchte
geregelt
geregelt
Wassermenge, Nasszeit
geregelt
nicht einbezogen
Saurer Regen
spezifische
Beanspruchungsbedingungen
geregelt, wenn im normalen Gebrauch enthalten
nicht einbezogen
Schadgase
Konzentration, Einwirkdauer
geregelt, wenn im normalen Gebrauch enthalten
geregelt, wenn im normalen Gebrauch enthalten
Zweckbestimmung
Wetterbeständigkeit (Wetterechtheit)
Photobeständigkeit (Lichtechtheit)
In der Realität hängt es von der Verwendung eines Werkstoffs ab, ob er im Einsatz bewittert oder bestrahlt wird. Werkstoffe wie Automobillacke, Fassadenfarben oder Fensterprofile werden im Freien eingesetzt und sind in der Regel allen Umweltfaktoren ausgesetzt. Die Umweltfaktoren wirken gleichzeitig und synergistisch. Um realistische Abbauprozesse in künstlichen Prüfungen zu simulieren, müssen alle Umweltfaktoren simuliert werden. Das bezieht sich nicht nur auf die spektrale Bestrahlungsstärke. Entwicklungen in Technik und Normung haben gezeigt, dass auch realistische Temperaturen und realistische Feuchteverhältnisse ausschlaggebend für eine realistische Simulation von Alterungserscheinungen von Lacken sind. [2] Gerade flüssiges Wasser ist ein wesentlicher Faktor der Abbauprozesse beim Bewittern. Bestrahlt man nur ohne Verwendung von flüssigem Wasser, ist ein anderes Alterungsverhalten als beim Bewittern zu erwarten. Es ist daher wichtig, dass man die Prüfmethode entsprechend des Werkstoffeinsatzes auswählt.
Werkstoffe, die in ihrem Einsatz nicht flüssigem Wasser ausgesetzt sind, werden in der Regel bestrahlt. Dies trifft auf Innenraumaterialien, wie zum Beispiel Möbel oder Innenraumfarben, zu. Aber auch gängige Textilien oder Druckprodukte werden normalerweise im Gebrauch nicht nass, weil sie durch Fenster und Wände von der Umwelt geschützt werden. Ein weiterer Unterschied zum Bewittern ist, dass auf diese Materialien meistens nur durch Fensterglas gefilterte natürliche Sonnenstrahlung (wie beim Verfahren B der DIN EN ISO 877-2) [3] oder künstliches Licht (Glühbirnen, Energiesparlampen, LEDs) wirkt. Fensterglas filtert einen Teil der kurzwelligen UV-Strahlung heraus. Künstliche Lichtquellen haben meistens kein oder nur einen geringen UV-Anteil. Beim Bestrahlen wird daher natürliche oder simulierte Sonnenstrahlung mit entsprechenden Fensterglasfiltern eingesetzt.
Ein Sonderfall ist das Bestrahlen von Automobilinnenraummaterialien. Kunststoffe, Textilien und lackierte Flächen in einer Automobilkabine werden durch die Scheiben bestrahlt. Auch hier hat man durch Glas gefilterte Strahlung. Wie im Freien heizen sich die Oberflächen durch sichtbare und Infrarotstrahlung auf. Allerdings bleibt die entstehende Wärmeenergie weitgehend im abgeschlossenen Kabinenvolumen gefangen. Das führt zu einem verstärkten Aufheizen der Kabinenluft und der Flächen (Treibhauseffekt). Entsprechende Verfahren des Bestrahlens unter hohen Temperaturen dienen zur Bestimmung der sogenannten Heißlichtechtheit. Verfahren der künstlichen Bewitterung, wie die DIN EN ISO 105-B06 [4] stellen im Wesentlichen die Bedingungen nach, die im Fahrzeuginneren hinter einer Autoscheibe herrschen.
In Abbildung 2.1 sind noch weitere Wirkungsfaktoren aus der Umwelt angeführt. Diese Faktoren können, auch in Synergie mit der Sonnenstrahlung, zu Abbaureaktionen und Schädigung von Beschichtungen und anderen Werkstoffen führen. Diese sekundären Umweltfaktoren sind häufig sehr spezifisch und betreffen nur bestimmte Einsatzbedingungen von Beschichtungen.
In der künstlichen Bewitterung können sekundären Umweltfaktoren in Sonderprüfungen mitberücksichtigt werden. Aufgrund des meist hohen Aufwands werden sekundären Umweltfaktoren in Standardprüfungen vernachlässigt. In den meisten Bewitterungsprüfungen beschränkt man sich auf die primären Wetterfaktoren: Strahlung, Wärme und Feuchte.
Abbauprozesse bei der Bewitterung und bei der Korrosion werden oft miteinander gleichgesetzt und verwechselt. Dabei gibt es klare Unterschiede und Abgrenzungen zwischen den beiden Vorgängen. Das gleiche gilt für die entsprechenden Prüfmethoden.
Bei der Bewitterung ist die Sonnenstrahlung (in natürlicher oder nachgeahmter Form) immer ein wesentlicher Wirkungsfaktor. Vor allem organische Werkstoffe (zu denen auch Polymere und die meisten Beschichtungen zählen) werden durch photochemisch und andere Prozesse angegriffen und abgebaut. Bewitterungsprüfungen von beschichteten Systemen betreffen daher immer auch die Beschichtung selbst.
Bei der Korrosion handelt es sich um eine physikalisch-chemische Wechselwirkung zwischen einem metallischen Werkstoff und seiner Umgebung, die zum Abbau des Werkstoffs und zu Beeinträchtigung seiner Funktion und seiner Umgebung führt (z.B. nach DIN EN ISO 8044 [5]).
Bei Korrosionsprozessen handelt es sich um die oxidative Zersetzung von metallischen Werkstoffen durch chemische und elektrochemische Prozesse. Die Sonnenstrahlung, aber auch die Wärme, spielen hier eine untergeordnete Rolle. Wesentliche Wirkungsfaktoren bei der Korrosion sind neben der Feuchte vor allem Salze, Säuren und Basen. Gase können ebenfalls korrosiv wirken.
Sowohl in Korrosions-, als auch Bewitterungsprüfungen werden die wesentlichen Umweltfaktoren, die zum Werkstoffabbau führen können, simuliert. Vereinfacht kann man sagen, dass Bewitterungsprozesse vorwiegend organisch basierte Werkstoffe betreffen. Bei lackierten Substraten ist dies die Beschichtung selbst. Auch das Substrat kann durch die Bewitterung beeinträchtigt werden, insbesondere wenn es sich um organische Werkstoffe wie Holz oder Kunststoffe handelt. Metallische Substrate sind gegenüber der Sonnenstrahlung stabil. Wirkungsfaktoren bei der Bewitterung, wie die Feuchte, können auch zu Korrosionsprozessen führen.
Organische Materialien sind relativ stabil gegenüber korrosiven Einflüssen. Daher stehen Korrosionsprozesse und die entsprechenden Wirkungsfaktoren bei Bewitterungsprüfungen nicht im Fokus. Entsprechend wird bei Korrosionsprüfungen die Sonnenstrahlung vernachlässigt.
Aufgrund ihrer Beständigkeit gegen korrosive Einflüsse ist eine wichtige Funktion von organischen Beschichtungen, metallische Substrate vor Korrosion zu schützen. Eine Bewitterungsprüfung kann zu Aussagen zum Korrosionsschutz führen, wenn im Verlauf der Prüfung die Lackierung ihre Schutzfunktion verliert. Durch Schädigung der Beschichtung (dies kann chemische und physikalische Prozesse beinhalten) kann es zu Riss- und Kraterbildung oder sogar zum Abblättern kommen. Das Substrat ist dann nicht mehr vor korrosiven Umweltfaktoren, wie Sauerstoff, aggressiven Luftschadstoffen und Wasser, geschützt.
Ist der Schutz der Lackierung nicht ausreichend oder die Lackierung durch Bewitterung oder mechanisch vorgeschädigt, kann es auch bei beschichteten Metallen zu Korrosionserscheinungen kommen. Korrosionsprozesse von lackierten Metallen sind z.B. die Unterrostung bei Stahlsubstraten oder die Filiformkorrosion bei Aluminiumlegierungen. Die wesentlichsten Unterschiede zwischen Bewitterungs- und Korrosionsprüfung von Lackierungen sind in Tabelle 2.2 aufgelistet.
Tabelle 2.2: Die wesentlichsten Unterschiede zwischen Bewitterungs- und Korrosionsprüfungen von lackierten metallischen Substraten
Bewitterungsprüfung
Korrosionsprüfung
Zweckbestimmung
Prüfung des Alterungsverhaltens der Lackierung
Prüfung des Schutzes des Substrats vor Korrosion
Hauptkriterium
dekorative Eigenschaften der Lackoberfläche (optische Eigenschaften, Unversehrtheit der Lackoberfläche)
Schutz des Substrats (Riss- und Kraterbildung, Delaminierung)
Schutzwirkung für das Substrat (Grad der Unterwanderung bzw. der Unterrostung am Ritz, siehe Vorschädigung unten)
Beschichtung
organisch
anorganisch und organisch
Substrat
metallische und nicht-metallische Substrate
metallische Substrate
Wesentliche Wirkungsfaktoren
Sonnenstrahlung, Wärme, Feuchte
Korrosionsfördernde Wirkungsfaktoren (Feuchte, Salze, Säuren, Schadgase)
Vorschädigung der Lackierung
in der Regel keine
definierte Ritze bis zum metallischen Substrat
Repräsentative Prüfnormen
ISO 4892-1/2/3/4, ISO 16474-1/2/3/4, ASTM G 154, ASTM G155 (in Geräten) ISO 877-1/2/3, ISO 2810 (im Freien)
ISO 11997-1; ASTM B117, ISO 9227 (in Geräten) DIN 55665 (im Freien)
Galvanische Überzüge, z.B. aus Chrom oder Nickel, werden auch zum Korrosionsschutz eingesetzt, können aber selbst von Korrosion betroffen sein. Da Bewitterungsprüfungen von galvanischen Überzügen kaum relevant sind, werden diese im Rahmen dieser Abhandlung nicht berücksichtigt.
Die in der Lackchemie etablierten Korrosionsprüfungen an lackierten Probentafeln, wie z.B. die „Bestimmung der Beständigkeit von Beschichtungsstoffen gegen zyklische Korrosionsbedingungen, Teil 1: Nass (Salznebel)/trocken/Feuchtigkeit“ nach DIN EN ISO 11997-1, [6] dienen in erster Linie der Aussage, ob und wie gut ein metallisches Substrat durch die zu bewertende Lackierung vor Korrosion, verursacht durch aggressive Umgebungseinflüsse, geschützt werden kann. Oft wird die Lackierung durch definierte, bis zum metallischen Substrat hindurchgehende und die gesamte Probefläche einbeziehende Ritze erheblich vorgeschädigt, wie z.B. bei der „Prüfung im Kondenswasser-Wechselklima mit schwefeldioxidhaltiger Atmosphäre“ nach DIN 50018. [7] Da hier die Sonnenstrahlung nicht simuliert wird, können sich Veränderungen der Lackoberfläche von Abbauprozessen der Lackierungen im Freien unterscheiden [8].
Einige wenige Prüfmethoden berücksichtigen sowohl Korrosions- als auch Bewitterungsprüfungen, häufig in einer alternierenden Abfolge. Die DIN EN ISO 11997-2 [9] beschreibt zum Beispiel ein Verfahren zur Bestimmung der Beständigkeit von Beschichtungsstoffen gegen zyklische Korrosion, bei dem die Beanspruchung durch UV-Strahlung ein Teil des Prüfzyklus ist. Bei industriellen Instandsetzungsbeschichtungen soll eine verbesserte Rangkorrelation zur Prüfung des Korrosionsschutzverhaltens im Freien nach DIN 55665 [10] festgestellt worden sein. Aber auch bei diesen Prüfverfahren erschweren die Vorschädigung durch Ritze mögliche Aussagen zur Änderung der Schutzeigenschaften der Lackierung und im Endeffekt zur Gebrauchsdauer des Gesamtsystems.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Bewitterungs- und Korrosionsprüfungen sich grundsätzlich durch ihre Zweckbestimmung voneinander unterscheiden. Im Vordergrund der Korrosionsprüfung an einem lackierten Erzeugnis steht immer der Nachweis des von der Lackierung erwarteten Schutzes eines metallischen Substrats. Änderungen der dekorativen Eigenschaften der Lackoberfläche, wie Farbe, Glanz, Haze und Kratzbeständigkeit als wichtige Kriterien zur Beurteilung der Lackalterung, spielen bei der Bewertung des Korrosionsschutzes eine nur untergeordnete Rolle. Dem gegenüber steht bei der Bewitterungsprüfung das Alterungsverhalten der Lackierung, unabhängig vom gewählten Substrat, im Vordergrund.
Allgemein wird zur Charakterisierung der Qualität eines Werkstoffes häufig der Begriff Beständigkeit verwendet. Nach DIN EN ISO 2810 [11] beschreibt der Begriff Beständigkeit das Vermögen eines Körpers, den Einflüssen bei der Freibewitterung zu widerstehen. Bezüglich des Einsatzes im Freien spricht man im Allgemeinen auch von der Wetter- oder Witterungsbeständigkeit. Mit den Begriffen Ausfall und Versagen wird der Zustand charakterisiert, bei dem ein Erzeugnis im Verlauf der Nutzung seine Gebrauchseigenschaften bzw. seine Funktionsfähigkeit verloren hat, das heißt die gewünschten Anforderungen sind nicht mehr erfüllt. Die Dauer der Nutzung bis zum Ausfall oder Versagen charakterisiert das Qualitätsmerkmal Langlebigkeit und wird im Allgemeinen als Lebens- oder besser Gebrauchsdauer bezeichnet.
In der Produktbeschreibung von Lacken findet man häufig als Qualitätsmerkmal die Anmerkung der Lack sei wetterbeständig. Fast immer fehlen jedoch Hinweise, wie die Wetterbeständigkeit geprüft wurde und was diese Aussage für die Gebrauchsdauer des Lackes im Einsatz bedeutet. Organische Materialien sind gegenüber den Einflüssen der Umwelt (insbesondere Sonnenstrahlung, Wärme und Sauerstoff) nicht vollständig stabil (siehe auch Kapitel 4.1). Unendlich wetterbeständige Beschichtungsstoffe gibt es daher nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Abbauerscheinungen auftreten. Dieses kann mitunter viele Jahrzehnte dauern. Ähnliches gilt auch für anorganische Beschichtungen und Überzüge, auch wenn hier teilweise andere Wirkungsfaktoren für den Abbau der Materialien verantwortlich sind.
Qualitätsmerkmale eines Lacks sind die Beurteilungskriterien für dessen Gebrauchsdauer und Langlebigkeit. Allerdings muss man auch wissen, auf welche Eigenschaft sich die Beurteilung bezieht. Ist es z.B. die Farbe, der Glanz oder die Korrosionsschutzeigenschaft? Und was ist ein Grad der Änderung, der tolerierbar ist, und ab welcher Änderung spricht man vom Versagen? Entsprechende Ausfallkriterien (Pass-Fail-Kriterien, die maximale akzeptierbare Änderung nach der Prüfung) müssen bei der Beurteilung mitberücksichtigt werden. Diese Pass-Fail-Kriterien können sich je nach Anforderungen und Erwartungen an das Produkt sehr stark unterscheiden.
Ein weiterer Grund, warum die allgemeine Bezeichnung wetterbeständig ungenau ist, betrifft die Frage, auf welchen Einsatz des Lackes man sich bezieht. Das Substrat und die Frage, ob es sich um einen Lack für die Außen- oder Innenanwendung handelt, ist oft vorgegeben. Den exakten Einsatz kann der Lackhersteller jedoch nicht kennen. Wird die Lackierung in Nord- oder Südeuropa eingesetzt? Ist es eine regnerische oder trockene Region? Wird der Lack an einer Nord- oder Südwand oder horizontal verwendet. Gerade in Mitteleuropa variiert das Wetter von Jahr zu Jahr sehr stark. Das bedeutet, dass die Wirkungsfaktoren nicht nur von der Tages- und Jahreszeit abhängen, sondern ebenso von Jahr zu Jahr unterschiedlich sind.
Absolute Aussagen zum Thema Gebrauchsdauer und Langlebigkeit sind daher schwer bis unmöglich, selbst wenn man alle Alterungsprozesse analysiert. Begriffe wie wetterbeständig und langlebig können daher selten als absolut betrachtet werden, sondern haben eine relative Aussage.
Bezieht man sich auf eine bestimmte Methode oder Prüfnorm, bedeutet beständig, dass die Lackierung der Beanspruchung durch die genormten Bewitterungsprüfung über einen bestimmten oder festgelegten Prüfzeitraum widersteht, das heißt, dass die Änderung der Bewertungskriterien nach der Prüfung unterhalb festgelegter Maximalwerte liegt.
Die oft gewünschte direkte Übertragung dieser Bewertung in eine Bewertung der Wetterbeständigkeit unter Realbedingungen, d.h. im Einsatz des Werkstoffs im normalen Gebrauch, ist meistens nur schwer möglich. Dazu würde eine detaillierte Kenntnis des Alterungsverhaltens des Werkstoffs und der Umgebungsbedingungen im Einsatz gehören. Auch Korrelationsstudien (siehe nächstes Kapitel 2.5) können helfen, die Erkenntnisse aus Bewitterungsprüfungen mit den Einsatzbedingungen der Werkstoffe zu verknüpfen. Auch dann ist die Abschätzung der Gebrauchsdauer nur mit entsprechenden Toleranzen möglich.
Bei Hochglanzlackierungen verändern sich die Qualitätsmerkmale Glanz und Farbe meistens kontinuierlich durch Witterung. Das Ende der Gebrauchsdauer ist erreicht, wenn mindestens eines der Qualitätsmerkmale die maximale akzeptierbare Änderung überschreitet. Die akzeptable Änderung hängt jedoch auch von der Anwendung der Beschichtung ab. So unterscheidet sich die zu erwartende Gebrauchsdauer sowie die Toleranzen und Erwartungen bei Luxusautos und Elektrorollern sicherlich: Die akzeptierbare Glanzänderung nach einem Jahr von Beschichtungen auf einem Elektroroller kann größer sein als die akzeptierbare Glanzänderung von einer Lackierung auf einem Luxusauto nach mehreren Jahren. Die Gebrauchsdauer und damit die Wetterbeständigkeit hängt daher immer bei einem zugrundeliegenden Qualitätsmerkmal von den Einsatzbedingungen, und auch von den Erwartungen an den Werkstoff ab.
In Fachliteratur, Produktbeschreibungen und Normen hat sich der Begriff Wetterbeständigkeit fest etabliert. Bei der Verwendung des Begriffs sollte immer mitberücksichtigt werden, auf welche Basis sich diese Aussage bezieht. Ein einfacher Weg, um den Begriff Wetterbeständigkeit zu konkretisieren, wäre zum Beispiel ein Hinweis in der Produktbeschreibung nach welcher Prüfnorm und mit welcher Dauer geprüft wurde sowie nach welchem Qualitätsmerkmal beurteilt wurde: z.B. eine Farbänderung ΔE ≤ 3 nach 2000 Stunden Prüfung nach ISO 16474-2 Methode A Zyklus 1.
Beschichtungen erreichen das Ende ihrer Gebrauchsdauer, wenn sie den ästhetischen Qualitätsanforderungen, wie Glanz und Farbe, nicht mehr genügen. Kommt es durch Riss- und Kraterbildung oder Abblättern zu einer Beeinträchtigung der Schutzwirkung, ist auch das Ende der Gebrauchsdauer der Schicht erreicht. Umweltfaktoren wie Sauerstoff, Wasser, und Luftschadstoffen können das Substrat schädigen. Je nach Substrat unterscheiden sich die kritischen Faktoren.
Die Gebrauchsdauer einer Schicht kann auch je nach Anwendung von weiteren vorausgesetzten Qualitätsmerkmalen abhängen, wie etwa antimikrobiellen Eigenschaften und Flammschutzwirkung im Baubereich. Auch diese Eigenschaften lassen während der Nutzung in der Regel nach und bestimmen das Ende der Gebrauchsdauer einer Beschichtung.
Idealerweise sollten Lackhersteller und Lackanwender Garantien bezüglich einer Mindestlebensdauer der Lackierung übernehmen. Garantieaussagen beziehen sich auf einen normalen Gebrauch. Bei Autos gehören die ständige Nutzung in industriellen Ballungsgebieten, das ständige Parken am Straßenrand und unter Bäumen sowie die regelmäßige Nutzung von Waschanlagen heute zum normalen Gebrauch. Besonders über die Definition von normalem Gebrauch wird bei Reklamationen häufig diskutiert, zumal es auch unbestritten ist, dass eine Lackierung nicht allen, insbesondere nur selten auftretenden Extremen unter den Umgebungsbedingungen, schadlos widerstehen kann. Eine Garantieverpflichtung wird nicht selten auf bestimmte geografische Regionen eingeschränkt. Da die Lackierung beim Automobil nicht unerheblich zum Kaufpreis beitragen kann, müssen Fahrzeuge für den europäischen Markt nicht unbedingt die Forderungen des Einsatzes in subtropischen Industriegebieten, wie Jacksonville und Houston im Süden der USA, erfüllen.
Bei bestehender Garantieverpflichtung, setzt man mit dem Qualitätsmerkmal wetterbeständig eine Haltbarkeit zumindest bis zum Ende des Garantiezeitraums voraus. Trotz der Einschränkung auf einen normalen Gebrauch sind echte Garantieaussagen im Lackbereich trotzdem eher schwer. Dies betrifft sowohl Industrielackierungen als auch Lacke und Anstrichstoffe für den Normalverbraucher.
Gerade bei den Industrielackierungen geben die Anwender von Lacken (z.B. die Automobilindustrie) anstelle von Garantieaussagen häufig verschiedene Mindestanforderungen vor. Um hier als Lacklieferant sein Produkt verkaufen zu können, muss man gewährleisten, dass bestimmte Qualitätsmerkmale auch nach einer vorgegebenen Prüfung erhalten bleiben.
Art und Dauer der Prüfung werden von den Lackanwendern vorgegeben und beruhen oft auf nationalen und internationalen Prüfnormen sowie auf jahrelangen Erfahrungen mit dem Produkt in der Anwendung. Auf Basis dieser Mindestanforderungen hat man eine Möglichkeit, die Lieferanten zu vergleichen und zu qualifizieren, um dann entsprechende Garantien an den Endverbraucher (wie den Autokäufer) weiterzugegeben. Auch wenn es beim Verbraucher einmal zu einem vorzeitigen Lackversagen kommt, hat man mit entsprechenden Prüfungen zur Qualifizierung des Produkts oft eine Handhabe, um Garantieansprüchen entgegenzuwirken.
Der private Lackanwender und Heimwerker hat diese Möglichkeiten nicht. Im Baumarkt findet man manchmal Angaben wie „wetterfest“ oder für „außen und innen“ geeignet. Echte Aussagen zur Haltbarkeit der Beschichtung findet man nicht. Auch kann nicht erwarten werden, dass der Do-it-yourself-Anwender sich mit den Details einer Prüfmethode zur Qualifizierung des Lackes auskennt. Der Verbraucher muss hier in der Regel den Qualitätsansprüchen des Lackherstellers vertrauen.
Nach einer Umfrage der American Coatings Association von 2019 [12] geben die Lackhersteller und deren Zulieferer mit jeweils 67 % Nachhaltigkeit und Haltbarkeit als die wichtigsten Trends an, die eine Auswirkung auf die Branche haben. Dementsprechend wichtig ist es, das Alterungsverhalten eines Lacks zu kennen und dessen Gebrauchsdauer (Haltbarkeit) vorhersagen zu können.
Sowohl Lackhersteller als auch Anwender haben verschiedene Möglichkeiten, das Alterungsverhalten ihrer Produkte mehr oder weniger genau abzuschätzen und Ausfälle durch unerwartet schnelle Lackalterung mit größtmöglicher Sicherheit auszuschließen.
Wenn der Automobilhersteller z.B. eine fünfjährige Garantie für den einwandfreien Zustand der Fahrzeuglackierung bietet, wäre es am einfachsten, die damit ausgerüsteten Fahrzeuge einer ebenso langen Nutzung unter den als normal definierten Gebrauchsbedingungen auszusetzen. Eine solche Art der Prüfung ist aus Kosten- und vor allem aus Zeitgründen nicht zur Lebensdauerbestimmung geeignet. Allein für ausreichende statistische Sicherheit wäre eine Vielzahl von Probefahrzeugen erforderlich. Bei negativem Ausgang müssten entsprechende Wiederholungen folgen. Bedingt durch das heutige rasante Tempo in der Lackentwicklung sind die hieraus resultierenden hohen Zeitspannen zwischen Lackentwicklung und Überführung in die Produktion nicht praktikabel. Auf dem Gebiet der Automobillackierungen gibt es daher nur wenige Beispiele für eine solche Art der Prüfung und wenn, dann eher zur Validierung von beschleunigten Prüfmethoden und nicht zur Lebensdauerbestimmung.
Häufig sind es jahrelange Erfahrungen mit einem Lacksystem, die einem Lackhersteller zuverlässige Informationen über das Alterungsverhalten liefern. Diese Aussagen beziehen sich dann auf ein bestimmtes Lacksystem und sind bei Änderungen in der Formulierung und Weiterentwicklung des Lacksystems nicht unbedingt übertragbar.
Daher sind heutzutage effektive und aussagekräftigte beschleunigte Bewitterungsprüfungen in der Lackentwicklung unerlässlich. Auch wenn es eine Vielzahl an etablierten Prüfverfahren und Methoden gibt, muss man die geeigneten Methoden für ein Lacksystem, eine Eigenschaftsänderung und die entsprechende Anwendung (Funktion und Umgebungsbedingungen) kennen. Oft setzt dies jahrelange Erfahrungen mit dem Lack und der Prüfmethode voraus. So bietet sich immer an, vor allem bei neuen Lacksystemen oder neuen beschleunigten Prüfmethoden, diese immer durch Echtzeitprüfungen im Feld (Freibewitterung) zu verifizieren. Derartige Korrelationsstudien erscheinen vielleicht für die gegenwärtige Produktentwicklung nicht schnell genug. Durch Extrapolation ergeben sich oft schon früh Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen beschleunigter und natürlicher Prüfung.
Die Stärke von Korrelationsstudien liegt darin, die Zusammenhänge zwischen beschleunigter und natürlicher Bewitterung zu bestimmen. Dadurch erhält man Vertrauen in die Zusammenhänge und Aussagekraft der beschleunigten Bewitterung, was auch für die Prüfung zukünftiger Produktgenerationen sehr wertvoll ist.
Eine Gebrauchsdauervorhersage setzt neben Korrelationsstudien auch eine detaillierte Kenntnis der Abbauprozesse eines Produkts und vor allem deren Abhängigkeit von den Umweltfaktoren voraus. Je nach Produkt und relevanter Produkteigenschaft können sich die kritischen Wirkungsfaktoren in ihrem Einfluss unterscheiden. Auf Basis verschiedener Modelle und Prinzipien (wie Reziprozitätsprinzip oder Arrhenius-Model, siehe auch Kapitel 4) kann Anhand der Wirkungsfaktoren in einer beschleunigten Prüfung eine Gebrauchsdauervorhersage für ein definiertes Gebrauchsumfeld gemacht werden.
Die Gebrauchsdauervorhersage ist ein komplexes Gebiet, mit dem sich zahlreiche Publikationen und Konferenzen beschäftigen. [13] Im Rahmen dieser Publikation wird hier in den Buchkapiteln tiefer auf bestimmte Aspekte der Gebrauchsdauervorhersage eingegangen.
Eine Zielsetzung von Bewitterungsprüfungen ist es, die bei normalem Gebrauch zu erwartende Lebensdauer eines Materials oder eines Lacksystems in möglichst kurzer Zeit zu bestimmen. Für diese Methode entstanden verschiedene Begriffe wie Kurzbewitterung, Kurzzeitbewitterung, Schnellbewitterung oder allgemein die beschleunigte Bewitterung.
Hierbei unterscheiden sich die Ansätze. Im sogenannten Black-Box Modell [14] werden möglichst alle Wettererscheinungen in die Prüfung miteinbezogen, unabhängig davon, ob sie eine Beanspruchung darstellen oder nicht. Auch für den eigentlichen Alterungsprozess nicht relevante Faktoren werden in die Simulation miteinbezogen, was mitunter den Prüfaufwand und die Prüfdauer scheinbar unnötig erhöht. Weiterhin ist zu bedenken, dass Wettererscheinungen, wie z.B. Dunkelphasen und Kälteperioden, zwar nicht die eigentliche photochemische Lackalterung beschleunigen, aber durchaus Auswirkungen auf die Radikalrekombination und andere alterungsrelevante Prozesse wie eine mechanische Schädigung durch zyklische Beanspruchung oder Diffusionsprozesse haben können.
Andere Ansätze gehen davon aus, dass, um erfolgreiche beschleunigte Prüfungen zu erzielen, alle zur Lackalterung führenden Wirkungsfaktoren der Beanspruchung durch Witterung bekannt sein müssen. Nur wenn diese bekannt sind, können sie so simuliert werden, dass sie ohne Verlust der Praxiskorrelation zu einer schnelleren Alterung als unter den normalen Gebrauchsbedingungen führen.
Entsprechend den 1995 erschienenen grundsätzlichen Ausführungen zur Umweltsimulation VDI 3958 Blatt 01 [15] orientiert man sich zur Verkürzung der Prüfdauer an den sogenannten Worst-Case-Wetterszenarien. Unter einem Worst-Case-Wetterszenarium versteht man ein regelmäßig auftretendes, zeitliches Zusammentreffen von Wirkungsfaktoren der Beanspruchung durch Witterung, in einer Kombination, die im Vergleich zu anderen Wettersituationen am stärksten zur Lackalterung beiträgt. Unterschiedliche Lackierungen können unterschiedliche Worst-Case-Wetterszenarien aufweisen. Eine Auswahl der für Lackierungen zutreffenden Worst-Case-Wetterszenarien sind die in Tabelle 2.3 genannten Kombinationen der Sonnenstrahlung mit den anderen Wirkungsfaktoren der Beanspruchung durch Witterung.
Tabelle 2.3: Typische Worst-Case-Wetterszenarien für Lackierungen
Wetterszenarium
Sonnenschein bei feuchter Wärme
Sonnenschein nach längerem Regen
Sonnenschein bei trockener Wärme
Sonnenschein nach saurem Regen oder saurem Tau
Die VDI 3958 Blatt 01[15] unterscheidet zwischen zeitgeraffter und beschleunigter Prüfung. Bei der zeitgerafften Prüfung werden die natürlich auftretenden Extremwerte der Wetterfaktoren nicht überschritten. Manchmal werden jedoch die Extremwerte kontinuierlich oder zumindest prozentual länger als in der Natur eingehalten. Phasen mit gemäßigten Wirkungsfaktoren, wie etwa Dämmerungs- oder Nachtphasen, werden häufig vernachlässigt. Den Effekt auf die Alterung bezeichnet man als Zeitraffung.
Unter beschleunigte Prüfungen versteht die VDI 3958 Prüfungen, bei denen im Gegensatz zu zeitgerafften Prüfungen die natürlich auftretenden Extremwerte überschritten werden. Man spricht hier auch von intensivierten Prüfungen.
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden als beschleunigte Prüfungen alle Prüfungen bezeichnet, egal ob innerhalb oder außerhalb der natürlichen Grenzen, die eine schnellere Alterung erzeugen als unter natürlichen Einsatzbedingungen. Dies entspricht dem Umgang mit dem angelsächsischen Wort accelerated für beschleunigt, was sich sowohl auf zeitgeraffte wie auch auf intensivierte Prüfungen bezieht.
Deshalb wird im Folgenden der Begriff beschleunigte Bewitterung entgegen der VDI 3958 als Oberbegriff verwendet. Die Unterscheidung erfolgt zwischen zeitgerafften und intensivierten Prüfungen.
Bei der Kurzbewitterung kann die Beanspruchungssimulation durch Witterung, wie ebenfalls in der o.g. VDI-Richtlinie zur Umweltsimulation definiert, sowohl in zeitgeraffter als auch in beschleunigter Form erfolgen. Tabelle 2.4 stellt die wesentlichen Merkmale dieser beiden Formen gegenüber.
Sind für die zu prüfenden Lackierungen oder Materialien die Worst-Case-Wetterszenarien bekannt, erfolgt die Kurzbewitterung in der zeitgerafften Form dadurch, dass man das oder die zutreffenden Worst-Case-Wetterszenarien kontinuierlich auf die Proben einwirken lässt, aber nicht überschreitet. Auf diese Weise ist es weniger wahrscheinlich, dass unrealistische Alterungsmechanismen ausgelöst werden, die im normalen Gebrauch nicht auftreten.
Intensivierte Prüfungen bieten das Potential schneller zu prüfen als mit zeitgerafften Prüfungen. Bei der Überziehung von Extremwerten besteht jedoch immer die Gefahr, die Abbauprozesse in Vergleich zur natürlichen Alterung zu verändern. Gerade bei intensivierten Prüfungen ist eine Kontrolle der Relevanz und Korrelation der Ergebnisse besonders wichtig.
Auch bei den intensivierten Prüfungen orientiert man sich an den Worst-Case-Wetterszenarien als Grundlage der Prüfung. Entsprechend des Intensivierungsprinzips wird jedoch mindesten ein Wirkungsfaktor überschritten. Dadurch erhofft man sich eine schnellere Alterung und somit eine verkürzte Prüfung. Allerdings steigt auch das Risiko, unrealistische Alterungsprozesse auszulösen, wie sie im Gebrauch des Produkts nicht auftreten. Intensivierte Prüfungen sind immer dann interessant, wenn eine schnelle Produktentwicklung notwendig ist oder hohe Gebrauchszeiten erwartet werden. Für zuverlässige intensivierte Prüfungen ist immer eine Validierung der Ergebnisse notwendig (siehe auch Kapitel 8.5.3).
Die meisten Prüfmethoden und Normen beruhen nach wie vor auf dem Prinzip der zeitgerafften Prüfungen. Im Rahmen der Überwachung von Serienproduktionen haben intensivierte Prüfungen ihre Existenzberechtigung gefunden, weil hier oft eine ausreichende Erfahrungsbasis vorliegt.
Tabelle 2.4: Unterscheidung von zeitgerafften und intensivierten Prüfungen
Zeitgeraffte Prüfung
Intensivierte Prüfung
Wahl der Prüfparameter
keine Überziehung der Extremwerte der natürlichen Wirkungsfaktoren
Überziehung der Extremwerte eines oder mehrerer der natürlichen Wirkungsfaktoren
Empfehlung zur Prüfmethode
Nachstellung der bekannten oder möglichen Worst-Case-Wetterszenarien in häufigerer Folge als im normalen Gebrauch.
Annäherung an die Worst-Case-Wetterszenarien wie bei der zeitgerafften Prüfung aber mit verschärften Prüfparametern
In pigmentierten Lackierungen können Bindemittel und Pigmente nach unterschiedlichen Alterungsmechanismen abgebaut werden. So ist es möglich, dass sich für den Glanzverlust, als Folge des Bindemittelabbaus, und für die Farbänderung, als Folge des Pigmentabbaus, unterschiedliche „Worst Case“-Wetterszenarien ergeben.
In einer Studie wurde eine Serie von verschiedenen Beschichtungen, in Aquaba/Jordanien und Miami/Florida für ein Jahr ausgelagert.[16]Gemittelt über die gesamte Serie führte die einjährige Freibewitterung im trocken-warmen Wüstenklima von Aquaba zu einem höheren Glanzverlust, die Beanspruchung durch feuchte Wärme in Miami/Florida jedoch zu einer stärkeren Kreidung. In beiden Fällen ist anzunehmen, dass die Wirkungsfaktoren zu einem Bindemittelabbau führen. D.h., im feucht-warmen Florida-Klima werden durch Tau und Regen die Abbauprodukte abgewaschen, so dass die Pigmente der Beschichtung als Kreidung zurückbleiben.
In der Literatur werden mitunter Methoden unter dem Begriff Ultrakurzbewitterung veröffentlicht, wobei die Proben beispielsweise sehr kurzwelliger Strahlung oder extrem hohen Bestrahlungsstärken von UV-Excimerlasern, UV-Speziallampen oder reaktionsfreudigen Gasgemischen in Plasma-Entladungen ausgesetzt werden. Oft werden dann auf der Basis einer Prüfung von wenigen Stunden, Aussagen über den Alterungsverlauf von mehreren Jahren bei normalem Gebrauch gemacht. Diese hochbeschleunigten Verfahren beziehen sich in der Regel auf einen bestimmten Wirkungsfaktor, vernachlässigen dabei jedoch alle anderen relevante Beanspruchungsfaktoren, wie Feuchte und zyklische Effekte. Nach heutigen Erkenntnissen fehlt solchen Verfahren die Korrelation zum normalen Gebrauch.
Vielversprechender sind hingegen Verfahren, die auf etablierten Bewitterungsmethoden beruhen, und die darauf zielen, die zum Versagen der Lackierung führenden Alterungsprozesse möglichst frühzeitig zu erkennen. Hierfür werden chemisch analytische Methoden genutzt. Schädigungen sollen so detektiert werden, bevor sie als Alterungskriterium zu sichtbaren oder messbaren Änderungen führen. Bei Polymeren haben sich Analysenmethoden, wie FTIR-Spektroskopie, Chemo- oder Thermolumineszenz bereits vielfach bewährt, um Effekte vor der sichtbaren Schädigung erkennen zu können. Bei Lackierungen auf Metallen können zusätzlich elektrochemische Methoden wie die Impedanzspektroskopie genutzt werden. Das frühzeitige Erkennen von Bewitterungsschäden hat auch für Beschichtungen das Potential, die Prüfungen wesentlich zu verkürzen und so die Produktentwicklung zu beschleunigen.
Die Simulation der Wirkung der natürlichen Umweltbedingungen, ob zeitgerafft oder intensiviert, kann sowohl auf natürlichem als auch auf künstlichem Wege erfolgen. Die natürliche Form der Bewitterung ist die Freibewitterung, auch natürliche Bewitterung genannt. Hierfür nutzt man die Beanspruchung durch Witterung in ihrer natürlichen Form, vor allem die Strahlung der echten Sonne als wesentlichstem Wirkungsfaktor. Für die Bewitterung in Laborgeräten, auch künstliche Bewitterung genannt, werden entsprechende Geräte und künstliche Strahlungsquellen zur Simulation der Beanspruchung durch Witterung eingesetzt.
Florian Feil: Handbuch der Bewitterung
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Im Kapitel 2.1 wird ein allgemeiner Überblick über die Wirkungsfaktoren der Bewitterung, die zur Lackalterung führen, gegeben. Im Folgendem wird im Detail auf diese Wirkungsfaktoren eingegangen.
Gleichung 3.1
Bezieht man die Strahlungsgrößen nur auf eine bestimmte Wellenlänge spricht man von spektraler Bestrahlungsstärke oder spektraler Bestrahlung. Die entsprechenden Symbole werden durch die Wellenlänge λ (Ee,λ bzw. He,λ) ergänzt, auf die sich die Angabe bezieht. Die zugehörigen SI-Einheiten werden durch den Zusatz pro nm (W/(m2·nm) oder J/(m2·nm)) ergänzt (siehe Tabelle 3.1).
Wird auf einen bestimmten Wellenlängenbereiche bezogen, muss das vermerkt werden. So findet man manchmal die Angaben Ee,TUV oder He,TUV. Hier wird nur die UV-Strahlung berücksichtigt. TUV steht hierbei für die gesamte UV-Strahlung (aus dem Englischen: total UV). Weil der UV-Bereich manchmal unterschiedlich definiert ist, ist es besser, den Wellenlängenbereich mitanzugeben, zum Beispiel Ee(300 nm – 400 nm) oder He(300 nm – 400 nm).
Tabelle 3.1: Messgrößen und SI-Einheiten der Strahlung nach DIN 5031-1. [17]
Messgröße
Symbol
SI-Einheit
Bestrahlungsstärke
Ee
W/m2
Bestrahlung
He
J/m2
Spektrale Bestrahlungsstärke
Ee,λ
W/(m2·nm)
Spektrale Bestrahlung
He,λ
J/(m2·nm)
Die mitunter in Wetter- und Klimaberichten anzutreffenden Angaben zu Sonnenscheinstunden sind aufgrund der großen regionalen oder tages- und jahreszeitlichen Unterschiede eine Orientierung, wenn detailliertere Angaben nicht zur Verfügung stehen.
Die von der Sonne emittierte Strahlung ist Teil des elektromagnetischen Spektrums. Dieses erstreckt sich von den kurzwelligen Gammastrahlen, über die Röntgenstrahlen und die Sonnenstrahlung bis zur langwelligen Infrarot- oder Wärmestrahlung und den Radiowellen (siehe Abbildung 3.1). Die Photonenenergie Ephoton [J] ist hierbei nach Gleichung 3.2 umgekehrt proportional zur Wellenlänge λ [nm]. Das heißt: je kürzer die Wellenlänge, umso energiereicher ist die Strahlung.
Gleichung 3.2
Die Sonnenstrahlung unterteilt sich in UV-Strahlung, sichtbare Strahlung und Infrarotstrahlung. Die UV-Strahlung wird nach ihrer Wirkung in folgende Bereiche aufgeteilt: [18]
UV-A: 315 nm bis 400 nm
UV-B: 280 nm bis 315 nm
UV-C: 100 nm bis 280 nm
UV-Strahlung kann vom Menschen nicht direkt wahrgenommen werden, es zeigt sich erst durch seine auf organische Substanzen schädliche Wirkung beim Menschen in Form von Sonnenbrand oder Hautkrebs.
Die sichtbare Strahlung, das Licht, beginnt je nach Quelle bei 380 nm bis 400 nm und erstreckt sich bis 780 nm bis 800 nm. Die Internationale Beleuchtungskommission CIE definiert 400 nm bis 800 nm als sichtbare Strahlung. Die sichtbare Strahlung kann je nach Wellenlängenbereich grob in unterschiedliche Farben aufgeteilt werden (siehe Tabelle 3.2).
Tabelle 3.2: Zusammenhang von Farbe und Wellenlängenbereichen.
Farbe
Wellenlängenbereich
Violett
380 nm – 420 nm
Blau
420 nm – 490 nm
Grün
490 nm – 575 nm
Gelb
575 nm – 585 nm
Orange
585 nm – 650 nm
Rot
650 nm – 800 nm
Die Infrarotstrahlung erstreckt sich von 800 nm bis 1 mm Wellenlänge. Der Bereich von 800 nm bis 2.500 nm wird als nahe Infrarotstrahlung (NIR) bezeichnet. Die Infrarotstrahlung empfindet der Mensch als Wärmestrahlung.
Abbildung 3.1: Die Wellenlängen der Sonnenstrahlung (oben) als Teil des elektromagnetischen Spektrums.
Die außerhalb der Erdatmosphäre ankommende Sonnenstrahlung hat näherungsweise die Spektralverteilung eines planckschen Schwarzkörperstrahlers mit einer Oberflächentemperatur von 5800 K (siehe Abbildung 3.3). Die UV-Grenzwellenlänge außerhalb der Atmosphäre liegt bei ungefähr 250 nm.
Die Weglänge der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre wird in der Meteorologie häufig mit dem Begriff Luftmasse oder Air Mass (kurz AM) beschrieben, einem relativen Wert zur Dicke der Atmosphäre auf Meereshöhe. In Abbildung 3.2 ist der Zusammenhang zwischen Sonnenhöhenwinkel γ, Luftmasse der Atmosphäre beziehungsweise der Weglänge durch die Atmosphäre skizziert. Der Weg der Strahlung durch die Atmosphäre hat auf Meereshöhe bei senkrechter Sonne das Minimum. Die Sonnenstrahlung wird dann genau durch die Dicke der Atmosphäre (eine Atmosphäre, AM1,0) gefiltert. Mit abnehmenden Sonnenhöhenwinkel nimmt der Weg der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre zu. Der relative Weg der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre berechnet sich in Abhängigkeit des Sonnenhöhenwinkels γ nach Gleichung 3.3.
Gleichung 3.3
Abbildung 3.2: Zusammenhang von Sonnenhöhenwinkel γ und der von der Sonnenstrahlung auf ihrem Weg durch die Erdatmosphäre zu durchdringenden Luftmasse (Air Mass, AM).
Beim Durchdringen der Erdatmosphäre wird ein Teil der Sonnenstrahlung reflektiert, absorbiert oder gestreut. Auf der Erdoberfläche kommen nur ungefähr 80 % der Sonnenstrahlung mit einer veränderten Spektralverteilung an. In Abbildung 3.3 ist die spektrale Bestrahlungsstärke der Sonnenstrahlung gefiltert durch genau eine Atmosphäre (AM1,0) nach der CIE 241 (Spektrum CIE-H1) der Internationalen Beleuchtungskommission dargestellt (siehe Kapitel 3.1.3). [19] Gerade die schädliche UVC-Strahlung wird durch die Ozonschicht fast vollständig herausgefiltert. Auch in Höhenlagen ist daher kaum UVC-Strahlung vorhanden. [20] Andere Gase in der Atmosphäre, vor allem Kohlendioxid, Wasserdampf und Sauerstoff, erzeugen charakteristische Absorptionsbanden.
Die CIE 241 definiert verschiedene Referenzspektren von 290 nm bis 3990 nm. Die untere UV-Grenzwellenlänge der Sonnenstrahlung auf der Erdoberfläche liegt je nach Definition zwischen 295 nm und 300 nm. Oberhalb von 4000 nm ist der Anteil der Infrarotstrahlung sehr niedrig und kann bei der Bewitterung vernachlässigt werden.
Dieses Verhältnis gilt nur für AM1,0. Bei allen anderen Bedingungen gelten andere Verhältnisse. Weil in der Realität zu den meisten Tages- und Jahreszeiten der Weg der Sonnenstrahlung durch die Atmosphäre länger ist, unterscheidet sich auch der relative UV-Anteil (siehe Kapitel 3.1.4). In Bezug auf die jährliche Bestrahlung liegt der UV-Anteil daher in der Realität zwischen 4 % und 6 % (je nach Standort). Typische Werte der jährlichen Gesamt- und UV-Bestrahlung finden sich in siehe Tabelle 3.7.
Tabelle 3.3: Bestrahlungsstärke in wichtigen Spektralbereichen der Globalstrahlung nach CIE 241 CIE-H1.
Wellenlänge λ[nm]
Bestrahlungs-stärke[W⋅m−2]
Prozent derGesamtstrahlung(300 nm bis 3990 nm)
Prozent der UV und sichtbaren Strahlung(300 nm bis 800 nm)
λ < 300
0,0
0,0
0,0
300 ≤ λ < 320
4,2
0,4
0,6
320 ≤ λ < 340
13,1
1,2
1,9
340 ≤ λ < 360
15,6
1,4
2,3
360 ≤ λ < 380
19,0
1,7
2,8
380 ≤ λ < 400
19,3
1,8
2,8
300 ≤ λ < 400
71,2
6,5
10,5
400 ≤ λ < 800
609,9
55,3
89,5
300 ≤ λ < 800
681,1
61,7
100,0
800 ≤ λ < 3.990
422,0
38,2
300 ≤ λ < 3.990
1.104,1
100,0
Das Spektrum und die Intensität der Sonne, die spektrale Bestrahlungsstärke der Sonnenstrahlung, wird von der Atmosphäre beeinflusst und ist daher orts- und zeitabhängig. Die CIE-Veröffentlichung Nr. 85 Tabelle 4 [21] definiert die spektrale Bestrahlungsstärke der Globalstrahlung (direkte und diffuse Strahlung) auf Meereshöhe, wenn die Sonne senkrecht steht und wenn die Sonne genau durch 1 Atmosphäre gefiltert wird (AM1,0). Dies ist beispielsweise mittags an einem wolkenlosen 21. März am Äquator auf Meereshöhe der Fall. Für die Bodenreflexion wird wellenlängenunabhängig ein Wert von 20 % angenommen (siehe Kapitel 3.1.6).
Die CIE Nr. 85 Tabelle 4 galt lange als das Referenzspektrum in der Bewitterung und wurde als Grundlage und Maßstab für den Vergleich und die Qualifizierung künstlicher Lichtquellen verwendet. Beispielsweise wurde in den Normenreihen ISO 4892 und ISO 16474 auf die CIE Nr. 85 als Ziel für künstliche Lichtquellen zur Anpassung an Tageslichtbedingungen verwiesen. Die CIE Nr. 85 hat jedoch einige Einschränkungen:
Die Spektraldaten beginnen bei 305 nm, während die Sonnenstrahlung zwischen 295 nm und 300 nm anfängt.
Die Datenauflösung ist schlecht und nicht konsistent: 5 nm von 305 nm bis 350 nm; 10 nm von 350 nm bis 550 nm und noch größere Intervalle über 550 nm.
Die Berechnungsparameter sind bekannt. Der Code zur Durchführung der Berechnungen ist jedoch nicht mehr verfügbar. Die zur Erstellung der Daten verwendete Software wurde vor vielen Jahren eingestellt, so dass es keine Möglichkeit gibt, die Modelle neu zu berechnen.
Um diese Einschränkungen zu klären, wurde die spektrale Bestrahlungsstärkeverteilung der CIE Nr. 85 Tabelle 4 mit einer höheren Auflösung (0,5 nm bis 400 nm und 1 nm-Schritte bis 1700 nm) mit SMARTS 2.9.2 [22] neu berechnet und als Technischer Bericht ISO/TR 17801 [23] veröffentlicht.
Eine vollständige Neuberechnung mit denselben Eingabeparametern wie die ursprüngliche CIE 85 und einem neueren Berechnungsmodell (SMARTS 2.9.5) wurde 2020 als CIE 241 veröffentlicht und hat definierte Intervalle von 0,5 nm für Wellenlängen von 280 nm bis 400 nm, Intervalle von 1,0 nm bis 1700 nm und Intervalle von 5 nm bis 4000 nm.
CIE 241, CIE-H1 ist jetzt der offizielle Ersatz für CIE 85:1989, Tabelle 4, als Referenzsonne bei der Bewitterung. Die resultierenden Werte sind sehr ähnlich, aber aufgrund der schlechten Auflösung der Originaldaten nicht mit diesen identisch. Anstehende Überarbeitungen gängiger Bewitterungsnormen, wie die ISO 4892- und ISO 16474-Reihen, werden sich auf CIE 241 statt auf CIE 85 beziehen. Abbildung 3.4 zeigt den direkten Vergleich der Referenzsonnen CIE 241 CIE-H1 und ISO/TR 17801. Weil die Unterschiede zwischen den Spektren im Vergleich zu den Unterschieden zu künstlichen Lichtquellen gering sind, wird dies keine technische Bedeutung und keinen Einfluss auf die Prüfmethoden sowie Prüfbedingungen haben.
Anmerkung: Ein Vergleich der spektralen Bestrahlungsstärke zwischen verschiedenen Strahlenquellen kann gemäß der DIN CEN ISO/TR 18486 durchgeführt werden. [24] Hierbei wird die prozentuale spektrale Fehlanpassung f(λ1-λ2) der skalierten spektralen Bestrahlungsstärke (E(λ)scaled) einer Strahlenquelle zu einer spektralen Bestrahlungsstärke einer Referenz (E(λ)ref) bestimmt (Gleichung 3.4).(Gleichung 3.4)
Gleichung 3.4
In Tabelle 3.4 werden zum Beispiel nach dieser Methode die CIE 241 H1 und die ISO/TR 17801 verglichen. Die berechneten Abweichungen in den 20 nm-Schritten der DIN EN ISO 16474-2 (Tabelle 1) [25] mit 1,4 % bis 6,4 % erscheinen zwar relativ groß, vergleicht man jedoch eine skalierte künstliche Strahlenquelle (hier Xenonbogenstrahlung mit Tageslichtfilterung Typ II (Ci4000 mit Boro-S/Boro-S) und Typ I (Right Light/Cira on Quarz); siehe Kapitel 7.2.1.2) sind die Abweichungen wesentlich größer und für beide Referenzsonnen vergleichbar. Deutlich ist hier die starke Abweichung der Filtertypen im Wellenlängenbereich unter 300 nm (über 60 % für den Typ I und über 1900 % für den Typ II), die auf die niedrige UV-Grenzwellenlänge der Typ II Tageslichtfilter zurückzuführen sind. Mit Typ I Tageslichtfiltern ist die spektrale Fehlanpassung der Xenonbogenstrahlung in allen Wellenlängenbereichen wesentlich besser.
Tabelle 3.4: Spektrale Fehlanpassung nach ISO TR 18486 (in Prozent) der Referenzsonnen CIE 241 H1 und TR 17801 gegeneinander und gegen Xenonstrahlung mit Typ I und Typ II Tagelichtfiltern in den Wellenlängenbereichen der ISO 16474-2 (Tabelle 1).
Spektralbereich
(λ1 bis λ2)
Spektrale Fehlanpassung f(λ1-λ2) [ %]
TR 17801
gegen
CIE 241 H1
Typ IITageslichta)
gegen
CIE 241 H1
Typ IITageslichta)
gegen
TR 17801
Typ ITageslichtb)
gegen
CIE 241 H1
Typ ITageslichtb)
gegen
TR 17801
λ1
λ2
290
299
6,4
1946,7
1961,9
62,3
63,5
300
320
4,4
29,5
29,5
20,3
17,8
321
360
1,4
18,1
18,3
10,5
10,4
361
400
2,1
17,2
16,8
15,0
15,0
a) Ci4000 Weather-Ometer mit Boro-S/Boro-S Tageslichtfilter.
b) Ci4000 Weather-Ometer mit Right Light/Cira on Quarz Tageslichtfilter.
Die ASTM G197 [27] beschreibt eine Referenz-Spektralverteilungen der Sonne auf um 20° geneigten und vertikalen Flächen für Gebäudeanwendungen wie zum Beispiel Fenster oder gebäudeintegrierte Photovoltaik.
Die Größte Relevanz für die Bewitterung hat die ASTM G177. [28] Die Norm beschränkt sich auf den für die Bewitterung wichtigsten Wellenlängenbereich von 280 nm bis 400 nm, auch wenn mit SMARTS 2.9.2 der gesamte Wellenlängenbereich berechnet wurde. Im Gegensatz zur ASTM G173 wird hier eine Luftmasse von AM1,05 für die Berechnung verwendet, was zu höheren absoluten UV-Anteilen führt. Tabelle 3.5 zeigt den Vergleich der Absolutwerte der ASTM G173 und ASTM G177 zur CIE 241, CIE-H1 in verschiedenen Wellenlängenbereichen. Die ASTM G177 dient als Referenzsonne in den meisten Bewitterungsnormen der ASTM.
Tabelle 3.5: Vergleich der spektralen Bestrahlungsstärke der Referenzsonnen ASTM G173 (hemisphärische); ASTM G177 und CIE 241, CIE H1.
Wellenlängenbereich
ASTM G173(hemisphärisch)AM1,5
ASTM G177
AM1,05
CIE 241, CIE-H1
AM1
Bestrahlungsstärke (W/m2) in den jeweiligen Wellenlängenbereichen
300 ≤ λ ≤ 320
1,6
3,9
4,2
320 < λ ≤ 360
17,6
26,1
28,8
360 < λ ≤ 400
27,2
35,6
38,3
300 ≤ λ ≤ 400
46,4
65,6
71,2
400 < λ ≤ 800
543,0
588,7
609,9
300 ≤ λ ≤ 800
589,4
654,3
681,1
800 < λ ≤ 2 450
401,8
446,2
412,0
300 ≤ λ ≤ 2 450
991,2
1090,4
1094,1
Die Vorgängernorm der CIE 85, die CIE 20 empfiehlt zu Prüfzwecken eine Gesamtbestrahlungsstärke von 1000 W/m2. Dies liegt zwar um etwa 10 % unterhalb der theoretischen maximalen Bestrahlungsstärke bei AM1, findet sich aber auch in anderen Anwendungen als Grenzwert. [29] Bis heute hat sich eine Gesamtbestrahlungsstärke vom 1000 W/m2 als Richtwert für das Niveau einer Sonne gehalten und die meisten Prüfnormen orientieren sich an diesem Wert.
Beim Durchgang durch die Erdatmosphäre verändern sich die Bestrahlungsstärke und die spektrale Verteilung der Sonnenstrahlung durch Absorption, Reflexion und Streuung. Je nach Sonnenstand (Sonnenhöhenwinkel) durchlaufen die Sonnenstrahlen einen unterschiedlich langen Weg durch die Atmosphäre bis zur Erdoberfläche. Demnach ist die spektrale Bestrahlung abhängig von der Tageszeit, der Jahreszeit, der geographischen Lage (dem Breitengrad und der Höhenlage), der Bewölkung, und der Zusammensetzung und Temperatur der Atmosphäre.
Die spektrale Bestrahlungsstärke kann daher mehr oder weniger stark vom Referenzspektrum der CIE 241 abweichen. In Mitteleuropa (bei 47° nördlicher Breite) erreicht die Globalstrahlung ihre höchste Bestrahlungsstärke mit etwa 1000 W/m2 mittags zum Zeitpunkt der Sommersonnenwende, wenn der Sonnenhöhenwinkel mit etwa 66,5° sein Maximum erreicht. Auf den gesamten Erdball bezogen erreicht die Globalstrahlung ihre höchste Bestrahlungsstärke im Juni am nördlichen Wendekreis und im Dezember am südlichen Wendekreis.
Neben der Absorption unterliegt die Sonnenstrahlung auf ihrem Weg durch die Erdatmosphäre einer mehr oder minder starken Streuung. Der Anteil der Strahlung, der ungestreut die Atmosphäre durchdringt und in gerichteter Form die Erdoberfläche erreicht, wird als direkte Strahlung bezeichnet. Der durch die Atmosphäre gestreute Anteil wird als diffuse Strahlung oder diffuse Himmelsstrahlung definiert.
In Abbildung 3.6 ist die Zusammensetzung der Globalstrahlung auf einer horizontalen Fläche schematisch dargestellt. Beim Durchgang der Sonnenstrahlung wird ein Teil der Strahlung an Partikeln wie Wassertropfen in Wolken oder an Luftmolekülen gestreut. Die Streuung an Partikeln erfolgt nahezu unabhängig von der Wellenlänge. Das menschliche Auge ist trainiert, die Globalstrahlung als weißes Licht wahrzunehmen. Weil durch die Streuung an Wolken keine Verschiebung der relativen spektralen Bestrahlungsstärke stattfindet, erscheinen auch Wolken an teilweise bedecktem Himmel als weiß. Die Streuung an den Molekülen der Atmosphäre ist dagegen Wellenlängen-abhängig. Je höher die Photonenenergie, umso stärker die Wechselwirkung der Photonen mit den Molekülen der Luft und umso größer die Streuung. Diese sogenannte Rayleigh-Streuung oder Himmelsstreuung ist proportional zur vierten Potenz der Frequenz (dem Kehrwert der Wellenlänge). Kurzwellige Strahlung wird daher stärker gestreut als langwellige Strahlung.
Direkte Strahlung, die nicht auf eine horizontale Fläche gerichtet ist, erreicht diese auch nicht. Beim Durchgang durch die Atmosphäre werden überwiegend die kurzwelligen Anteile (blaues Licht und UV-Strahlung) durch Rayleigh-Streuung ungerichtet gestreut. Ein Teil dieser gestreuten Strahlung kommt auch auf einer horizontalen Fläche an. Die Rayleigh Streuung ist Ursache dafür, dass der Himmel blau erscheint. Gleichzeitigt wird durch die Rayleigh-Streuung auch der kurzwellige Anteil der direkten Sonnenstrahlung reduziert, so dass, vor alle bei langen Wegen durch die Atmosphäre (morgens und abends), durch den reduzierten Blauanteil die Sonne orange/rot erscheint. [30] In Abbildung 3.7 ist für drei unterschiedliche Sonnenhöhenwinkel die relative Bestrahlungsstärke der UV- und sichtbaren Strahlung dargestellt. Im sichtbaren Bereich lässt sich die mit fallendem Sonnenhöhenwinkel zunehmende Rotverschiebung erkennen.
In der Summe kommen auf einer (horizontalen) Fläche sowohl die direkten (UV-ärmeren) als auch diffusen Anteile der Sonnenstrahlung an, wobei die diffuse Strahlung relativ gesehen einen höheren Anteil an UV-Strahlung hat. Dieser hohe Anteil an UV-Strahlung in der diffusen Strahlung ist Ursache dafür, dass man auch im Schatten einen Sonnenbrand bekommen kann, oder dass Materialien auch im Schatten photochemisch altern.
Anmerkung: Die Summe von direkter und diffuser Strahlung wird auch hemisphärische Strahlung genannt. Die Globalstrahlung ist ein Sonderfall der hemisphärischen Strahlung auf einer horizontalen Fläche.
Abbildung 3.6: Skizze der Zusammensetzung der Globalstrahlung aus direkter Strahlung und diffuser Strahlung durch Streuung an Wolken und der Luft.
Abbildung 3.8: Direkter und diffuser Anteil der UV-Strahlung bei 320 nm und bei 400 nm in Abhängigkeit des Sonnenhöhenwinkels.
Als solare Globalstrahlung (global solar radiation) wird die gesamte Strahlung bezeichnet, die aus allen Richtungen auf eine horizontale Fläche fällt, also die Summe der direkten Sonnenstrahlung und der diffusen Himmelsstrahlung. Die Definition der Globalstrahlung bezieht sich auf die diffuse Himmelsstrahlung, die die aus einem Raumwinkel von 2π sr (Steradiant) auf eine horizontale Fläche fällt. Werden keine näheren Angaben gemacht, dann bezieht sich der Begriff Globalstrahlung auch auf den gesamten Wellenlängenbereich von 295 nm bis 4000 nm.
Der Begriff solare Gesamtstrahlung (total solar radiation) wird etwas allgemeiner verwendet. Hier bezieht man sich auf die gesamte Strahlung bei allen Wellenlängen, die auf eine Probenfläche trifft, unabhängig von der Orientierung der Fläche, also auch auf geneigte Flächen. Bei geneigten Flächen kann zusätzlich noch Strahlung fallen, die von der Umgebung insbesondere vom Boden (Albedo, siehe Kapitel 3.1.6) reflektiert wurde.
Der Begriff globale UV-Strahlung (oder globales UV) bezieht sich auf die direkte und diffuse UV-Strahlung (295 nm bis 400 nm) auf einer horizontalen Fläche. Teilweise spricht man auch von globaler spektraler Bestrahlung, wenn man sich auf eine bestimmte Wellenlänge bezieht (wie bei 320 nm oder bei 340 nm). Auch hier kann man zwischen direkter spektraler Bestrahlung und diffuser spektraler Bestrahlung differenzieren.
Anmerkung: In diesem Buch wird der Begriff Globalstrahlung nur verwendet, wenn auch die Globalstrahlung nach obiger Definition gemeint ist. Ansonsten wird der Begriff Gesamtstrahlung bevorzugt.
Nach dem Lambertschen Gesetz ist die Bestrahlungsstärke der direkten Strahlung dann am höchsten, wenn die Sonnenstrahlung senkrecht auf eine Fläche trifft. Man spricht hier von DNI (direct normal irradiance) oder von der direkten senkrechten Bestrahlungsstärke (E0,direct). [31]
Trifft die direkte Sonnenstrahlung nicht senkrecht, sondern unter einem Winkel α auf eine Oberfläche, so sinkt die Bestrahlungsstärke E0,α mit dem Cosinus des Winkels (Gleichung 3.5):