Handbuch der systemischen Gruppentherapie -  - E-Book

Handbuch der systemischen Gruppentherapie E-Book

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Beschreibung

Trotz ihrer großen Expertise im Hinblick auf Mehrpersonensetting wurde die Arbeit mit Gruppen in der Systemischen Therapie lange Zeit vernachlässigt. Dabei sind Gruppen wahre Treibhäuser für die Entwicklung von Kompetenzen. Dieses Handbuch stellt umfassend die Grundlagen, Methoden und Anwendungsfelder der systemischen Gruppentherapie multiperspektivisch zusammen, d. h. nach Anlässen, Herangehensweisen, Zielgruppen und Settings. Die Beiträge der renommierten Autor:innen zeichnet aus, dass ihre methodischen Überlegungen immer wieder in praktische Beispiele und Beschreibungen konkreter Abläufe münden. Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Ideen und Anregungen für die tägliche Arbeit mit Gruppen jeglicher Art. Mit Beiträgen von: Corina Ahlers • Hannah Bischof • Agnes Burghardt-Distl • Patrick Burkard • Ilke Crone • Markus J. Daimel • Axel Gerland • Cornelia Hennecke • Björn Enno Hermans • Alexander Herr • Anika Jaffé • Christopher Klütmann • Kornelia Kofler • Michael Krämer • Alexandra Mesensky • Haja Molter • Dagmar Pauli • Vanja Poncioni-Rusnov • Petra Rechenberg-Winter • Herta Schindler • Gunther Schmidt • Katja Scholz • Nina Schöninkle • Esther Strittmatter • Kirsten von Sydow • Manfred Vogt • Bettina Wilms.

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Seitenzahl: 578

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Systemische Therapie und Beratung

In den Büchern der Reihe zur systemischen Therapie und Beratung präsentiert der Carl-Auer Verlag grundlegende Texte, die seit seiner Gründung einen zentralen Stellenwert im Verlag einnehmen. Im breiten Spektrum dieser Reihe finden sich Bücher über neuere Entwicklungen der systemischen Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Kindern ebenso wie Klassiker der Familien- und Paartherapie aus dem In- und Ausland, umfassende Lehr- und Handbücher ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse. Mit den roten Bänden steht eine Bibliothek des systemischen Wissens der letzten Jahrzehnte zur Verfügung, die theoretische Reflexion mit praktischer Relevanz verbindet und als Basis für zukünftige nachhaltige Entwicklungen unverzichtbar ist. Nahezu alle bedeutenden Autoren aus dem Feld der systemischen Therapie und Beratung sind hier vertreten, nicht zu vergessen viele Pioniere der familientherapeutischen Bewegung. Neue Akzente werden von jungen und kreativen Autoren gesetzt. Wer systemische Therapie und Beratung in ihrer Vielfalt und ihren transdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenhängen verstehen will, kommt um diese Reihe nicht herum.

Tom Levold

Herausgeber der Reihe Systemische Therapie und Beratung

Carmen C. UnterholzerHerbert Gröger (Hrsg.)

Handbuch der systemischen Gruppentherapie

Ansätze, Methoden, Zielgruppen, Störungsbilder

Mit einem Vorwort von Fritz B. Simon

2022

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin ✝ (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe: »Systemische Therapie und Beratung« hrsg. von Tom Levold

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagfoto: © vegefox.com – stock.adobe.com

Redaktion: Anja Bachert

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2022

ISBN 978-3-8497-0437-7 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8390-7 (ePUB)

© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-00 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort

Vorwort der Herausgeber:innen

Zum Aufbau des Buches

Unterschiede, die Unterschiede machen?

Konkrete Vorgehensweisen

Unterschiedliche Zielgruppen

Mit Blick auf Störungsbilder

Teil 1: Grundlagen systemischer Gruppentherapie

Viel Praxis, wenig fachlicher Diskurs – Einleitung

Carmen C. Unterholzer, Herbert Gröger

Späte und spärliche Integration – zur Rolle der Gruppe in der Systemischen Therapie

Steigende Tendenz und Differenz

Mögliche Gründe für die Außenseiterposition

Prädestiniert für die Arbeit mit Gruppen

Von theoretischen Prämissen zu den Haltungen der Systemischen Therapie

Von theoretischen Voraussetzungen über Haltungen zu Interventionen

Konstruktbegriff, Kofferwort und künstliches System – Annäherung an den Begriff »Gruppe«

Zu den Unterschieden zwischen Gruppen einerseits und Organisationen, Teams und Familien andererseits

1 Eine diskursive Annäherung: Zur Theorie systemischer Gruppentherapie

Haja Molter, Christopher Klütmann

Ein Versuch der Annäherung zum Begriff »Gruppe«

Systemische Theorien, auf die wir uns in der Praxis beziehen

Systemische Haltung in der Praxis systemischer Gruppentherapie

Teil 2: Ansätze systemischer Gruppenpsychotherapie

2 Die Gruppe als Kompetenztreibhaus – Zur hypnosystemischen Gruppenpsychotherapie

Gunther Schmidt

Prämissen des hypnosystemischen Konzepts

Implikationen der Hypnosystemik für die Gestaltung von Gruppen: Metaziele von Gruppentherapie, die Gruppe als »Kompetenztreibhaus« und als co-therapeutisches Unterstützungssystem aller für alle

Typische Kontextvorbedingungen gruppentherapeutischer Arbeit. Unterschiede zwischen ambulanten und stationären Settings

3 Daraus werden Geschichten – Eine narrative Perspektive auf die systemische Gruppentherapie

Axel Gerland

Die Gruppe als dialogisches System

Das Therapiesystem einer Gruppe

Gesprächspositionen, Haltungen und Aufgaben einer Therapeut:in

Haltungen der Gruppenmitglieder im Gesprächsprozess

4 Ein inspirierendes Wir – Systemisch-lösungsorientierte Gruppenpsychotherapie als Ressource für persönliche Entwicklung

Cornelia Hennecke

Theoretische Aspekte zur Gruppe als sozialem System und zur Lösungsorientierung

Nützliche systemisch-lösungsorientierte Haltungen für professionelles Beziehungshandeln in Gruppenprozessen

»Spickzettel« für systemisch-lösungsorientiert ausgerichtete Gruppentherapeut:innen

5 Gruppendynamik und systemische Gruppentherapie – wie hängen sie zusammen?

Corina Ahlers

Historisch: Die Gruppe, ihre Dynamik und die Gruppentherapie

Die späten 1970er-Jahre

Coaching statt Gruppendynamik

Nebenwirkungen gruppendynamischer Prozesse

Die kreative Energie der Gruppe

Gruppendynamik und Gruppentherapie als Kontextbezeichnung

Quintessenzen

Teil 3: Methoden systemischer Gruppentherapie

6 Produktinformationen und Fokus auf Muster des Gelingens – Typische Interventionsschritte hypnosystemischer Gruppentherapie

Gunther Schmidt

Vorbereitende Kontextgestaltung für die Gruppenarbeit und »Produktinformationen« als bahnende (Priming)Interventionen

Balance der Relevanz von Einzel- und Gruppentherapie

Regelungsprozesse für die Gruppenarbeit koevolutionär entwickeln

»Blitzlicht-« und »Befindlichkeitsrunden« und deren Utilisation

Positives Spekulieren

Empathiestärkende Unterstützungsprozesse anregen (Pacing)

Hilfen für die bewusste Rekonstruktion von Problemtrance

Gezielte Hypothesen für hilfreiche Unterschiedsbildungen, Pseudoorientierung in der Zeit, Symptome als »Botschafter:in wertvoller Bedürfnisse« und die Gruppe als Quelle für hilfreiche Hypothesenbildung lösungsaktivierender Interventionen

»Problemlösungsgymnastik«, individuell und interaktionell

Problemerleben und Lösungserleben als Beziehungen gestaltende Phänomene

Weitere Interventionsmöglichkeiten

»Schwierige« Gruppenprozesse: Die Gruppe anregen, selbstrückbezüglich aus der Metaperspektive für sich zu intervenieren

Umgang mit Konflikten in der Gruppe

Transferhilfen für nachhaltige Entwicklungen

7 Unerhörtes hörbar machen – Musik als Resonanzraum in der hypno-systemischen Gruppenmusiktherapie

Anika Jaffé

Das Setting

Wofür spielt die Musik?

Auf Alphawellen zu ganzheitlichen Lösungen segeln

Die Therapeut:in als Mitspieler:in, Resonanzgeber:in und Dolmetscher:in

Vor dem Musikraum: Einladung in einen Spiel- und Erfahrungsraum

Im Musikraum: Musik als therapeutisch wirksames Resonanzgeschehen

Die Gruppe als lernendes System

Arbeit mit inneren und äußeren Systemen

Schlussakkord

8 Ohne Körper und Berührung geht es nicht! Körperpsychotherapeutische Gruppen im hypnosystemischen Kontext

Michael Krämer, Alexander Herr

Hypnosystemik und Körperpsychotherapie

Hypnosystemische Körperpsychotherapie in Gruppen

9 Ausdruck erzeugt Eindruck – Kunsttherapie in der systemischen Gruppentherapie

Alexandra Mesensky

Wenn Worte fehlen. Wofür kunsttherapeutische Methoden gut sind

An der urteilenden und zensierenden Ratio vorbei

Von Rahmenbildern und Proberäumen – Was sich besonders bewährt

Deutung der Urheber:in statt Interpretation

Mit Anfängergeist und ohne Vorannahmen

Bildnerisch Unterschiede gestalten

10 Unaussprechlichem Worte verleihen – Systemische Gruppentherapie und Schreiben

Petra Rechenberg-Winter

Sprachlosigkeit überwinden

Struktur für chaotisches Erleben

Die Gruppe als Resonanzraum

Klare Angaben bringen Sicherheit

Kann Schreiben auch kontraproduktiv sein?

Verblüffung und Erstaunen

Mit neuen Geschichten zu neuen Perspektiven

Schreibend Systemische Therapie ergänzen

11 Wieder erinnern, wieder eingliedern, wieder erzählen – Zum Einsatz narrativer Methoden in der systemischen Gruppentherapie

Carmen C. Unterholzer

Narrative Methoden und Haltungen

Re-Membering, um den Klub des Lebens zu ergänzen

Tree of Life

Die Landkarte meiner Lebensreise

Zeugenschaft für Veränderung

12 Familie als primäre Gruppenerfahrung – Familienrekonstruktion als gruppen-therapeutisches Format

Ilke Crone

Ein bisschen zur Geschichte …

Merkmale der Familienrekonstruktion

Familienrekonstruktion als Prozess

Eine festgelegte Struktur

Ein Fall

Qualitätsmerkmale in der therapeutischen Leitung

13 Multifamilientherapie – eine Chance zum systemübergreifenden Perspektivwechsel

Katja Scholz

Eine Vielzahl von Perspektiven

Die MFT als alltagsnahe Therapieform

Rolle der Therapeut:innen

Zum Ablauf der MFT

Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Grenzen

Teil 4: Zielgruppen

14 Gruppentherapie in Aktion – Systemisch-lösungsfokussierte Gruppentherapie mit Kindern und Jugendlichen

Manfred Vogt

Systemische Gruppentherapie

Setting-Variablen in der Gruppentherapie

Perspektiven einer systemisch-lösungsfokussierten Therapietheorie und Praxis

Systemisch-lösungsfokussierte Gruppentherapie in Aktion: Auf Entdeckungstour gehen

15 »Soll ich oder soll ich nicht?« – Systemische Gruppentherapie mit Jugendlichen

Björn Enno Hermans

Einleitung

Was ist eine systemische Gruppentherapie mit Jugendlichen?

Typische Vorgehensweisen und Merkmale

Einige Praxishinweise

Abschließende Gedanken

16 Expertise fördern und hilfreichen Informationsaustausch ermöglichen – Systemische Gruppentherapie mit Angehörigen

Bettina Wilms

Therapie oder Beratung?

Besonderheiten in der systemischen Gruppenarbeit mit Angehörigen – strukturelle Aspekte

Besonderheiten in der systemischen Gruppenarbeit mit Angehörigen – inhaltliche Aspekte

Die selbstgeleitete Gruppe

17 »Ohne Anteilnahme kein Gedächtnis« (Christa Wolf) Systemisch-gruppentherapeutisch orientierte Biografiearbeit mit älteren Menschen

Herta Schindler

Das Zeitliche segnen

Gruppentherapeutisches biografisches Schreiben als Ausdrucksprozess hilft – Warum eigentlich?

Sprachräume öffnen oder: »Mit meiner Stimme sprechen« (Christa Wolf)

Die Bedeutung der Gruppe oder: »Das Atelier ist zwischen den Menschen« (Joseph Beuys)

»Therapeuein« oder Wege des Begleitens

Teil 5: Störungsbilder

18 Einheitlich oder gemischt – Zum Für und Wider störungsspezifischer Gruppen

Vanja Poncioni-Rusnov, Markus J. Daimel, Hannah Bischof

Der strukturelle Kontext der Psychotherapeutischen Ambulanz des ÖAGG

Rahmenbedingungen in der PTA

Überlegungen zu störungsspezifischen Gruppen

19 Kluge Synergien – Systemische Psychotherapie und Musiktherapie in der Gruppentherapie mit sozial ängstlichen Kindern und deren Familien

Kornelia Kofler, Agnes Burghardt-Distl

Setting und Rahmenbedingungen

Die Rolle der Therapeut:innen

Ziele

Methoden

Elternarbeit

Zusammenfassung und Ausblick

20 Zuerst Familientherapie, dann Gruppentherapie – Systemische Behandlungen für Jugendliche mit Essstörungen

Dagmar Pauli

Grundlagen: Symptomatik und Verlauf von Essstörungen

Evidenzbasierte Behandlung von Jugendlichen mit Essstörungen

Transdiagnostische Betrachtungsweise

Forschungsstand von Gruppentherapien bei Essstörungen

Emotionen und Beziehungen bei Menschen mit Essstörungen

Systemische und störungsspezifische Elemente der Gruppentherapie für Jugendliche mit Essstörungen

Vor- und Nachteile von Gruppentherapie bei jungen Menschen mit Essstörungen – eine Frage der Gruppendynamik

Auswahl der Teilnehmenden und Aufbau der Gruppentherapie für junge Menschen mit Essstörungen

Multifamilientherapie und Multifamiliengruppen bei Jugendlichen mit Essstörungen

Fazit

21 Das Problem als Lösung – Gruppentherapie mit drogenabhängigen Menschen

Nina Schöninkle

Widerstand gegen die Therapie

Das Problem als Lösung

Therapeutische Haltung

Wozu Gruppentherapie?

Grenzen und Chancen systemischer Gruppentherapie

Offene versus geschlossene Gruppen

Vernetzung der Teilnehmer:innen

Substanzgemischte oder substanzgetrennte Gruppen

Geschlechterspezifische oder geschlechtergemischte Gruppen

Wiederkehrende Themen

22 Experimentierfeld zu autonomem Denken und Handeln – Systemische Gruppentherapie mit alkoholsüchtigen Menschen

Patrick Burkard

Eine Verortung

Strukturelle Aspekte

Gruppenprozess und Gruppendynamik

Ziele und Zielkonflikte in der stationären Suchttherapie

Ambivalenzmanagement

Abschluss – Vorbereitung auf die Zeit danach

23 Geschlechtsidentitäten erkunden, lebbare Geschlechtsrolle finden – Multifamilientherapie für geschlechtsdysphorische Kinder, Jugendliche und ihre Familien

Esther Strittmatter

Erste Konzeption der MFT-Trans

Setting

Themen in der MFT-Trans

Vorgehensweisen und Rolle der Gruppentherapeut:innen

Veränderungen von Kontext, Trans-Identitäten und der MFT-Trans

Welche Fähigkeiten werden in der MFT-Trans erworben?

Was ist an der Multifamilientherapie für transidente Kinder, Jugendliche und ihre Familien systemisch?

Teil 6: Forschung

24 Meist signifikante positive Effekte: Forschung zur Wirksamkeit systemischer Gruppentherapie

Kirsten von Sydow

Hintergrund

Wirksamkeit von systemischer Gruppentherapie bei Störungen Erwachsener

Wirksamkeit von systemischer Gruppentherapie bei Störungen von Kindern und Jugendlichen

Exkurs zur Multifamilien(paar)gruppentherapie (MFT)

Zusammenfassung und Ausblick

25 Wirkfaktoren systemisch »revised« – Welche Wirkfaktoren sind für die systemische Gruppentherapie relevant?

Herbert Gröger, Carmen C. Unterholzer

Therapeutische Wirkfaktoren

Wirkfaktoren in Zusammenhang mit Gruppentherapie

Versuch einer Ausdifferenzierung: Kommen in verschiedenen Arten von Gruppen unterschiedliche Wirkfaktoren zum Tragen?

Wirkfaktoren aus der Sicht systemischer Psychotherapie

Zu guter Letzt – Schlussbemerkungen und Anregungen

Carmen C. Unterholzer, Herbert Gröger

Literatur

Über die Autor:innen

Über die Herausgeber:innen

Vorwort

»Systemische Gruppentherapie« – »Ja …?!« (die drei Punkte und die Kombination aus Frage- und Ausrufezeichen stehen für das überrascht-neugierige Zögern, mit dem man konfrontiert wird, wenn man diesen Begriff gebraucht). Es gibt nur wenig zu lesen zu diesem Thema, und es wird auch wenig diskutiert, obwohl das, wofür der Name steht, in vielfältigen Formen praktiziert wird. Erklären lässt sich dieses Zögern, weil wir es bei der systemischen Gruppentherapie wieder einmal mit einem jener Fälle zu tun haben, wo man feststellen und fragen kann: In der Praxis funktioniert es, aber tut es das auch in der Theorie?

Im vorliegenden Buch werden Antworten auf diese Frage (und viele, die mit ihr verbunden sind) gegeben. Es eröffnet den Blick auf ein bislang wenig kartiertes Territorium und die Autorinnen und Autoren malen die weißen Flecke auf der Landkarte umfassend und in vielfältigen Farben aus.

Unter den verschiedenen Erklärungen, welche die Herausgeberin und der Herausgeber des vorliegenden Bandes für die geringe öffentliche Wahrnehmung der systemischen Gruppentherapie in ihrer Einleitung geben, scheint mir diejenige am plausibelsten, die in den familientherapeutischen Wurzeln der Systemischen Therapie die Ursache der Unkenntnis und oft auch Vorbehalte gegenüber systemischen Formen der Gruppentherapie sehen. Diese Skepsis entspricht der Reaktion, die Gunthard Weber und ich vor gefühlten hundert Jahren (1987) ernteten, als wir einen Artikel mit dem Titel »Systemische Einzeltherapie« publizierten. Denn der revolutionäre Schritt des systemischen Ansatzes war die Arbeit der Therapeuten oder Berater mit einem sozialen System, das von mehreren Individuen gebildet wurde, die im Alltag eine gemeinsame Interaktionsgeschichte durchlaufen (haben). Wenn eine Familie im Therapiezimmer sitzt, geschieht etwas ganz anderes, als wenn ein Klient über Mama und Papa und die mehr oder weniger lieben Geschwister auf der Couch redet. Der Therapeut kann Spielregeln der familiären Kommunikation direkt beobachten, statt sie aus dem »Hörensagen« – d. h. durch die Brille des Klienten gefiltert – zu rekonstruieren.

Das war zwar der revolutionäre Schritt, der zur Entwicklung systemischer Therapie- und Beratungsansätze geführt hat, aber seine Wirkungen überschritten die reine Settingfrage. Denn durch die Beobachtung der aktuellen Interaktionen eines sozialen Systems – sei es eines Paares, einer Familie oder, später dann, eines Teams – wurden alternative Erklärungsmodelle stimmig, die nicht mehr primär in der Psychodynamik eines Individuums oder auch in den psychischen Strukturen vieler Einzelner die Ursache für entstehende und aufrechterhaltene Probleme sahen, sondern in den Spielregeln der Kommunikation. Das heißt, aus der durch das Setting bedingten Beobachtung von Interaktionssystemen entwickelte sich fast zwangsläufig ein für Psychotherapie und Beratung neues – systemtheoretisches – Paradigma, d. h. ein neues Theoriegebäude.

Da Theorien ja, zumindest wenn sie von Praktikerinnen und Praktikern verwendet werden, Handlungskonsequenzen haben, wurden – dritter Schritt der Evolution der Systemischen Therapie – neuartige Interventionsmethoden entwickelt. Theorien liefern Erklärungen (= Hypothesen) für die Entstehung des Ist-Zustands, d. h. der jeweils aktuell zu beobachtenden Phänomene – z. B. eines Verhaltens, das als Symptom bewertet wird –, und sie liefern Hypothesen (= Erklärungen) über den Weg zu einem angestrebten Soll-Zustand, einem Therapieziel, einer Lösung, d. h. der Überwindung einer Ist-Soll-Differenz (wer immer diese wie definieren mag).

Methoden sind zwar »an sich« weder »systemisch« noch »katholisch«, »evangelisch« oder »grün«, doch aus unterschiedlichen Theorien ergibt sich die Logik von Methoden. – Dies ist ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal der Systemischen Therapie: Systemtheoretische (und meist auch konstruktivistische) Prämissen liefern die Grundlage für die Entwicklung eines breiten und meist auch neuartigen Methodenrepertoires (soll heißen, auch etliche bewährte Therapiemethoden lassen sich in dieses Paradigma integrieren).

Wir haben also – zugegeben etwas vereinfachend – drei Ebenen, in denen sich Systemische Therapie und Beratung von anderen Ansätzen unterscheiden können:

1)

im Setting (Arbeit mit einem System, das auch im Alltag miteinander kommuniziert und lebt und/oder arbeitet)

2)

in der Konstruktion von Erklärungen (der Kommunikationstheorie/Theorie sozialer Systeme)

3)

im konkreten Handwerkszeug, d. h. den Methoden.

Mit Blick auf das Thema systemische Gruppentherapie heißt das im Einzelnen (in umgekehrter Reihenfolge):

Zu Punkt 3: In den folgenden Seiten wird von den jeweiligen Autoren und Autorinnen ein breites Spektrum höchst kreativer Methoden dargestellt, mit denen sich systemtheoretische Konzepte in einem Gruppensetting anwenden lassen. Es ist eine Fundgrube für jede Praktikerin und jeden Praktiker.

Zu Punkt 2: Auch die theoretischen Ansätze zeigen eine große Variationsbreite, was demonstriert, dass Theorien in der Regel – zumindest im systemischen Feld – nicht mit dem Anspruch verbunden sind, eine einzige, unfehlbare Wahrheit abzubilden; in aller Bescheidenheit stellen sie lediglich Landkarten zur Verfügung, die jedem, der als Praktiker unter Handlungszwang steht, Orientierung geben.

Zu Punkt 1: Die größte Abweichung von der Gründungsphase der Systemischen Therapie zeigt sich in der neugewonnenen Freiheit in der Gestaltung des Settings. Ich erinnere mich noch gut daran, dass in den Anfangsjahren der Entwicklung der Systemischen Therapie das Mailänder Team (Mara Selvini Palazzoli, Gianfranco Cecchin, Luigi Boscolo, Giuliana Prata), das zu den kreativsten Vorreitern der Systemischen Therapie gehörte, Familien, die aus Sizilien nach Mailand zur Therapie gekommen waren, wieder nach Hause schickte, wenn sie die Oma in Palermo vergessen hatten (d. h., sie hatten sie natürlich nicht vergessen, sondern sie wollten ihr die weite Reise nicht zumuten). Aber das war in den Anfangsjahren, als noch viel experimentiert wurde, und in Berufung auf eine, vermeintlich durch die Theorie bestimmte, Orthodoxie Sicherheit gesucht wurde. Inzwischen sind Theorie und Praxis der Systemischen Therapie erwachsen – d. h. pragmatischer – geworden. Sie sind etabliert, selbstbewusst und anerkannt, sodass derartige Anfälle von prinzipienreitender Rigidität offenbar nicht mehr nötig sind.

Die systemische Gruppentherapie mit all ihren, dem jeweiligen institutionellen Kontext angepassten, Variationen ist ein blendendes Beispiel dafür. Wer sie studieren will, für den ist das vorliegende Buch Pflichtlektüre.

Berlin, September 2021

Prof. Dr. med. Fritz B. Simon

Vorwort der Herausgeber:innen1

Als wir vor etwa zwanzig Jahren begannen, uns verstärkt für systemische Gruppentherapie zu interessieren, waren wir überrascht, wie wenig Literatur wir dazu fanden. Obwohl unsere Ausbildung zu systemischen Psychotherapeut:innen hauptsächlich in Gruppen organisiert war, war die Gruppe kaum Thema, weder in theoretischen Konzepten, noch in praktischen oder methodischen Überlegungen. Wir schienen nicht die einzigen zu sein, die sich darüber wunderten. Auch Deetz und Dithmer stellten fest, »dass zwar die Ausbildung häufig in Gruppen stattfindet, bisher jedoch praktisch keine Veröffentlichung über systemische Gruppentherapie vorlag.« (Deetz u. Dithmer 2000, S. 35).

Nach unserer Ausbildung suchten wir nach Fortbildungen zur systemischen Gruppentherapie, auch hier: ein spärliches Angebot. Die systemische Psychotherapie, eine Therapierichtung, die auf Mehrpersonensettings fokussiert, vergisst die Gruppe? Wie ist das möglich? Die Frage ließ uns nicht mehr los, zumal wir selbst viel mit und in Gruppen arbeiten – einerseits in Ausbildungs- und Fortbildungskontexten, andererseits bei uns am Institut für Systemische Therapie (IST), Wien.

Gruppen sind wesentlich für unsere Entwicklung, wir alle sammeln wichtige Erfahrungen in Kinder- oder Jugendgruppen und Schulklassen. Gruppen sind auch im Erwachsenenleben hochrelevante Systeme. Niemand von uns kommt um sie herum. Sei es im Arbeitsalltag, in der Freizeit oder im Bildungsbereich, sei es in Seminaren zur persönlichen Weiterentwicklung oder im gesellschaftlichen Engagement. Es ist »in unserem Alltag schwierig, nicht Teil einer Gruppe zu sein« (Caby 2002a, S. 362). Für König und Schattenhofer ist die Gruppe eine »Grundform des sozialen Lebens« (König u. Schattenhofer 2016, S. 9).

Wir machten aus der Not eine Tugend und begannen, selbst zu überlegen, zu forschen und zu publizieren (u. a. Unterholzer 2005, 2011, Unterholzer u. Gröger 2017, Gröger u. Unterholzer 2017), und wir begannen, Fortbildungen zu organisieren. Seit 2017 entwickeln wir am Institut für Systemische Therapie (IST), Wien, Curricula zur systemischen Gruppentherapie. Zunächst konzentrierten wir uns auf verschiedene Zielgruppen (Kinder, Jugendliche, Angehörige, ältere Menschen), dann auf unterschiedliche systemische Zugänge (lösungsorientiert, narrativ, hypnosystemisch), auf Familienrekonstruktion und Multifamilientherapie. Das dritte Curriculum setzte zum einen auf bisher wenig berücksichtigte Themen in der systemischen Gruppentherapie wie Körper und Gefühle, zum anderen auf Methodisches. Da es uns gelang, für die Curricula hochkarätige Referent:innen zu gewinnen, und da es bis heute wenig Publikationen über systemische Gruppentherapie gibt, schlugen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Viele der Beiträger:innen dieses Buches entstammen dem Referent:innenpool. Die Autor:innen sind in stationären Kontexten tätig (psychiatrische und psychosomatische Abteilungen), in klinischambulanten Bereichen (entwicklungsfördernde und psychotherapeutische Ambulanzen) und im niedergelassenen Feld. Viele von ihnen lehren an Ausbildungseinrichtungen zur Psychotherapie, einige an Universitäten, alle in Fort- und Weiterbildungsinstitutionen.

Zum Aufbau des Buches

Was erwartet nun die Leser:innen? Worauf haben wir Herausgeber:innen den Fokus gelegt? Die beiden Beiträge zu den Grundlagen systemischer Gruppentherapie – die Einleitung durch uns Herausgeber:innen sowie der Artikel von Haja Molter und Christopher Klütmann – bemühen sich, das erwähnte theoretische Defizit abzumildern. Wir Herausgeber:innen, Carmen C. Unterholzer und Herbert Gröger, beide Psychotherapeut:innen (systemische Familientherapie) am Institut für Systemische Therapie (IST), Wien, nähern uns dem Begriff der Gruppe an und zeigen, dass die Gruppe in der Systemischen Therapie im Vergleich zu anderen Therapierichtungen erst spät zum Thema wurde, obwohl Systemiker:innen ausreichend Rüstzeug für die Arbeit mit Gruppen haben. Sowohl ihre theoretischen Ansätze als auch ihre Haltungen und Methoden sind für die Arbeit mit Gruppen prädestiniert.

Haja Molter, systemischer Psychotherapeut in Düsseldorf und Pionier in Sachen systemische Gruppentherapie, und Christopher Klütmann, systemischer Berater, Supervisor und Dozent am IF Weinheim, suchen Antworten auf die Fragen: »Woher wissen wir, was wir tun, und auf welchen Theorien bauen sich unsere Interventionen in Gruppen auf?« Dabei bemühen sie sich um die Darstellung einer »vermittelbare[n] Praxistheorie«. Ein Vorhaben, das gelingt. Theoretische Positionen werden immer wieder heruntergebrochen auf ihre praktische Umsetzungsmöglichkeit in der konkreten Arbeit mit Gruppen. Ihre Einschätzung von der Position der Gruppe in der Systemischen Therapie unterscheidet sich von der unseren. Sie verweisen auf frühe Arbeiten z. B. von Helen E. Durkin aus dem Jahre 1975.

Unterschiede, die Unterschiede machen?

Den »Grundlagen« folgen vier Beiträge, die sich um verschiedene systemische Ansätze drehen. Gunther Schmidt, hypnosystemischer Psychotherapeut und ärztlicher Direktor der Privatklinik sysTelios in Siedelsbrunn, holt in seiner Abhandlung über hypnosystemische Gruppentherapie weit aus. Zunächst legt er die Prämissen dieses Ansatzes dar, er umreißt kompakt u. a. systemtheoretische, konstruktivistische Perspektiven und die Primingforschung, er definiert Interventionsprinzipien. Daraus folgen Implikationen für die therapeutische Arbeit mit Gruppen. Zweck der Gruppen ist es, »Kompetenztreibhaus« und »co-therapeutisches System« für die anderen Gruppenmitglieder zu sein. Schmidt legt die Aufgaben der Gruppenleitung dar – u. a. Aktivitäten zu setzen, die den Zielen der Teilnehmer:innen dienen, ihre Selbstakzeptanz stärken und sie immer wieder einladen, eine Metaposition einzunehmen.

Der zweite Text thematisiert den narrativen Zugang zur systemischen Gruppentherapie. Sich auf Foucault, Lyotard und K. Gergen beziehend, definiert Axel Gerland – Sozialpsychologe, Psychotherapeut und psychologisch-psychotherapeutischer Fachleiter einer Lebensberatungsstelle in Hannover – die Gruppe als dialogisches System, gruppentherapeutische Prozesse als Co-Kreationen von Geschichten. Er beschreibt Haltungen, die sowohl Teilnehmer:innen als auch Gruppentherapeut:innen in Gesprächen einnehmen können. Dabei geht es um die Wahrung von Kohärenz und Vielstimmigkeit, um die Anwaltschaft für Ambivalenz und für reflexive Positionen. Cornelia Hennecke, Systemische Therapeutin und Dozentin am Institut für Systemische Ausbildung und Entwicklung (IF) in Weinheim, präsentiert den lösungsorientierten Ansatz. Sie teilt das Thema in drei Bereiche: theoretische Aspekte, Implikationen für die Praxis und methodische Vorschläge (der »Spickzettel«).

Das Kapitel »Ansätze« schließt Corina Ahlers, Psychologin, Gruppendynamikerin und systemische Psychotherapeutin in Wien, mit ihrem Aufsatz »Wie hängen sie zusammen? Gruppendynamik und systemische Gruppentherapie«. Anschaulich beschreibt sie als »Zeitzeugin« in anekdotischen Einschüben die Entwicklung der Gruppendynamik und deren Wirkprinzipien. Sie nennt die konstruktivistische Wende als Moment der Neuorientierung für systemische Gruppen, in deren Folge die Dynamik von Gruppen als etwas objektiv Beobachtbares in Zweifel gerät und zur subjektiven Hypothese »degradiert« wird. Sie arbeitet Unterschiede der beiden Richtungen heraus und benennt Verdienste der Gruppendynamik für die Systemische Therapie.

Konkrete Vorgehensweisen

Den Fokus des dritten Kapitels bildet Methodisches. Wie Vorgespräche gestaltet, Einzeltherapie für die Gruppentherapie genutzt und wie ein gemeinsames Regelwerk vereinbart werden kann, zeigt Gunther Schmidt in seinem zweiten Beitrag. Er schöpft aus dem Vollen. Ideomotorische Übungen wie die Problem-Lösungs-Gymnastik oder andere Interventionen wie der Wechselsprechgesang oder der Einsatz von Geschichten und Anekdoten sind nur ein paar seiner zahlreichen Vorschläge, stets verbunden mit theoretischer Rahmung. Ausführlich erörtert Schmidt den konstruktiven Umgang mit destruktiven Dynamiken und mit Konflikten – etwas, das viele Kolleg:innen abhält, Gruppen anzubieten. Seine Ideen dazu sind – scheinbar – einfach, aber nicht simpel. Wie in der Gruppe Erfahrenes in den Alltag transferiert werden kann, damit schließt er ab.

Anika Jaffé, Musiktherapeutin in der Privatklinik sysTelios in Siedelsbrunn, zeigt, wie Musik und die Gruppe als therapeutischer Resonanz- und Erfahrungsraum genutzt werden kann. Sie weist auf die besonderen Potenziale der Musiktherapie hin. Auf diese Weise können Klient:innen Schwieriges und Schamhaftes metaphorisch, ohne darüber sprechen zu müssen, ausdrücken. Überdies versetzt Musik unser Gehirn in eine höhere Aufnahmebereitschaft, ist also optimal für das In-Gang-Setzen von Veränderungsprozessen. So wird die Gruppe zum lernenden System, das gemeinsam schwingen kann, in dem aber auch jede ihr Tempo beibehalten darf und trotzdem Teil der Gruppe bleibt. Das Repertoire reicht von mehrstimmigem Singen über Improvisationen bis hin zur musiktherapeutischen Teilearbeit.

Michael Krämer, Körpertherapeut, und Alexander Herr, Psychotherapeut und Psychologe, beide in der Privatklinik sysTelios in Siedelsbrunn tätig, setzen den hypnotherapeutischen Reigen fort. Sie wenden sich der Körperarbeit zu. Der Körper wird nicht – wie in manchen Richtungen der klassischen Körpertherapie – vorrangig zum Diagnoseinstrument, sondern zum Kooperationspartner, dessen Reaktionen wichtige Rückmeldungen in Richtung Veränderungsbedarf sind. Hypnosystemische Körpertherapeut:innen fördern das Wahrnehmen, Wertschätzen und Nutzen somatischer Marker. Wie eine kooperative Beziehungsgestaltung zum Körper aufgebaut werden kann, zeigen sie anhand konkreter Übungen.

An die Körpertherapie schließt die Kunsttherapie an. Wir sind beim Beitrag von Alexandra Mesensky, systemische Psychotherapeutin und Kunsttherapeutin in Wien, und bei ihrer Frage, wie sich Kunsttherapie mit systemischer Psychotherapie vereinen lässt. So, wie die Musiktherapie mithilfe von Tönen und Klängen und die Körpertherapie durch somatische Marker den Zugang zu den oft verborgenen Ressourcen von Klient:innen finden, begreift die Kunsttherapie Bilder, die angeboten oder gestaltet werden, als innere Kompetenzen der Klient:innen. Das gemeinsame Arbeiten an einem Tisch, jede für sich an ihrem Bild, löst Impulse aus, die von den anderen am Tisch aufgegriffen werden und das Eigene verändern. Durch die Beschreibung einiger kunsttherapeutischer Methoden gelingt es Mesensky, den Prozess in der Gruppe zu veranschaulichen und gleichzeitig zu verdeutlichen, wie systemische Prinzipien wie Unterschiedsbildung, Zirkularität und Ressourcenorientierung diesen Prozess und den anschließenden Austausch in der Gruppe maßgeblich unterstützen.

Wie sich schreibend Denk-, Wahrnehmungs- und Erlebensräume eröffnen und wie Schreiben in Gruppenkontexten eingesetzt wird, führt Petra Rechenberg-Winter, Psychologin und Systemische Therapeutin in Hamburg, vor. Sei es in Form von Resonanztexten oder durch mündliches Feedback auf vorgelesene Texte, die Gruppe verstärkt den therapeutischen Prozess. Viele systemische Interventionen lassen sich schreibend umsetzen, die Schriftlichkeit erzeugt zudem noch nachhaltige Wirkung.

Inhaltlich stimmig schließt sich der Text von Herausgeberin Carmen C. Unterholzer über narrative Methoden in der Gruppentherapie an. Damit wirft sie einen Blick auf ein Feld, das bisher noch wenig dokumentiert ist. Wie arbeiten narrative Therapeut:innen wie Cheryl White oder David Denborough mit Gruppen? Welche Methoden nutzen sie und welche Ideen begleiten sie dabei? Wie deren Arbeit mit großen Gruppen und Gemeindeversammlungen in die ambulante Praxis übertragen werden kann, zeigt die Autorin anhand konkreter Beispiele.

Die nächsten beiden Beiträge sind Prototypen systemischer Gruppentherapie gewidmet: der Familienrekonstruktion und der Multifamilientherapie. Ilke Crone, Lehrende für systemische Beratung, Therapie und Supervision in Bremen und Osnabrück, zeichnet die Entwicklung der Familienrekonstruktion nach, benennt ihre Merkmale und ihre Struktur. Sie veranschaulicht die Vorgehensweise der Familienrekonstruktion anhand eines Beispiels aus der Praxis.

In dem Text von Katja Scholz, systemische Paar-und Familientherapeutin und langjährige Multifamilientherapeutin in der Familientagesklinik für Essgestörte des Uniklinikums Dresden, über die Multifamilientherapie wird deutlich, wie die Gruppe in ihrer Potenz genutzt werden kann. Die Teilnehmer:innen erleben sich im Verhalten der anderen, die Reflexion über deren Tun wird automatisch zur Selbstreflexion – nach Scholz der wichtigste Wirkfaktor von Multifamilientherapie. Die dynamischen Gruppenbildungsprozesse – von der Eltern- und Kindergruppe über die »Leihfamilie« bis zu der zeitweiligen »Adoption« – brechen alte Muster und eingefahrene Verhaltensweisen auf. Den Ablauf von Multifamilientherapie illustriert die Autorin mit Beispielen aus ihrer Arbeit.

Unterschiedliche Zielgruppen

Was gilt es zu berücksichtigen, wenn wir in Gruppen mit Kindern, Jugendlichen, Angehörigen oder älteren Menschen arbeiten? Die nächsten vier Beiträge befassen sich mit diesem Aspekt. Es gibt nichts Praktischeres als ein Modell. – Mit dieser Abwandlung des Zitats von Kurt Lewin sind wir bei Manfred Vogt, Psychotherapeut am Norddeutschen Institut für Kurzzeittherapie (NIK) in Bremen. Er stellt das mehrdimensionale Modell »Konzeptioneller Arbeitsraum« vor, das sich als nützliches Navigationsinstrument für den therapeutischen Prozess bewährt. Wie er damit der Komplexität des Geschehens gerecht wird, führt er am Beispiel eines Gruppenkonzepts für Adoptiv- und Pflegekinder vor – nicht ohne vorher Kontextbedingungen für die Arbeit mit Kindern zu erörtern. Die vier Dimensionen seines Modells (zeitliche Perspektive, emotionale Perspektive, Wahrnehmungsperspektive und logische Ebene mit Kategorien wie Verhalten, Fähigkeiten oder Werte) verknüpft er jeweils mit konkreten Übungen, wir dürfen an seinem vielfältigen Methodenrepertoire für Kinder teilhaben.

Björn Enno Hermans, Kinder- und Jugendpsychotherapeut in Essen, weist in seinem Beitrag über Gruppentherapie mit Jugendlichen auf ein Paradoxon hin: In diesem Alter sind Gruppen zwar von großer Bedeutung, aber speziell im ambulanten Bereich sind Gruppentherapien für Jugendliche eine Rarität. Warum das so ist und wie wir diesem Mangel abhelfen können – indem wir z. B. in Schulen gehen –, darauf und auf typische Vorgehensweisen in der Arbeit mit dieser Altersgruppe geht der Autor in seinem Beitrag schwerpunktmäßig ein.

Bewältigungsmechanismen zu stärken und Belastungen zu reduzieren – dazu dienen Gruppen für Angehörige. Bettina Wilms, Psychiaterin und Chefärztin am Klinikum Saalekreis, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, weist auf strukturelle und inhaltliche Besonderheiten in der Arbeit mit dieser Klientel hin. Belasteten Angehörigen steht ein relativ kleines Zeitfenster offen, wenn es darum geht, sich Hilfe von außen zu holen: Entweder schätzen sie die Belastung nicht so vehement ein oder sie sind bereits so belastet, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sich Unterstützung zu organisieren. Das Zeitfenster zwischen den beiden Polen gilt es zu nutzen und das berechtigte Bedürfnis nach rascher Hilfe, nach Tipps und Tricks mit anderen Ideen wie jener von der »Weisheit der Gruppe« zu ergänzen. Gelingt dieser Balanceakt, können selbstgeleitete Angehörigengruppen – ohne professionelle Helfer:innen – eine gute Weiterentwicklung sein.

Herta Schindler, als systemische Psychotherapeutin u. a. spezialisiert auf Biografiearbeit, befasst sich in ihrem Text mit gruppentherapeutisch orientierter Biografiearbeit mit älteren und alten Menschen. Damit im »alten Leben« Neues geschehen kann, müssen Erinnerungen aktiviert und vielleicht erstmals zum Ausdruck gebracht werden. Der Autorin dient dafür Schreiben und Erzählen, die Gruppe wird zum Resonanzraum für das Erleben der Gruppenmitglieder und die Therapeut:in zur Begleiter:in auf dem Weg zu neuen Geschichten im alten Leben.

Mit Blick auf Störungsbilder

Gegenstand des fünften Kapitels sind störungsspezifische Gruppen. Den Reigen eröffnen Vanja Poncioni-Rusnov, Markus J. Daimel und Hannah Bischof von einer Wiener Psychotherapie-Ambulanz mit der grundsätzlichen Frage nach Sinn oder Unsinn von »Depressionsgruppen« oder »Gruppen für Anorektiker:innen«. Schließlich liegt es doch im Interesse von Systemiker:innen, Symptome und Diagnosen zu verflüssigen und nicht – wie es in störungsspezifischen Gruppen passieren kann – Menschen mit Diagnosen zu klassifizieren. Sie fassen den Stand der Diskussion über Störungswissen unter Systemiker:innen zusammen und skizzieren ihren Umgang mit Diagnosen in der ambulanten Tätigkeit. Deutlich wird dabei, wie entscheidend es ist, welche Bedeutung Diagnosen in störungsspezifischen Gruppen erhalten und inwieweit auch andere Kategorien wie existenzielle und soziale Faktoren eine Rolle spielen.

Sozial ängstliche Kinder drohen oft neben lauten, verhaltensoriginellen unterzugehen. Um diese Gruppe zu stärken, entwickelten Kornelia Kofler, Kindergartenpädagogin und systemische Familientherapeutin, und Agnes Burghardt-Distl, Psychologin und Musiktherapeutin, beide in einem Wiener Ambulatorium für Entwicklungsförderung tätig, ein sehr komplexes Modell, das sowohl Gruppentherapie mit Kindern als auch Elternarbeit vorsieht und das gleichzeitig Synergien aus Systemischer Therapie und Musiktherapie nutzt. Was in der Arbeit mit diesen Kindern beachtet werden soll und welche Übungen sich anbieten, illustrieren die beiden Autorinnen mit vielen Beispielen.

Wie wichtig es ist, bei störungsspezifischen Gruppen auf die Zusammensetzung zu achten, unterstreicht Dagmar Pauli, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, in ihrem Beitrag über systemische Gruppentherapie mit essgestörten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wie groß ist die Störungseinsicht? Wie hoch die Motivation? Wie stark die Chronifizierung? Eine gute Durchmischung mindert die Gefahr von nicht hilfreichen Dynamiken (z. B.: Wer ist die/der Dünnste?). Diesen kann auch mit sinnvolleren Fragen (z. B.: Wer erkennt zuerst das destruktive Muster?) begegnet werden. Als sinnvoll erwies sich folgende Vorgehensweise: Bevor Gruppentherapie für diese Klientel infrage kommt, ist Familientherapie angeraten, um weitere Eskalation und eine Zunahme der Symptomatik zu verhindern.

Welch besondere Herausforderung Gruppentherapie mit Drogenabhängigen darstellt, thematisiert Nina Schöninkle, psychotherapeutische Leiterin eines ambulanten Beratungs- und Betreuungszentrums in Wien, in ihrem Beitrag. Abwertung, Abbrüche, vergessene Termine, Hoffnungslosigkeit sind selbst in der Einzeltherapie keine guten Ingredienzien für einen gelingenden therapeutischen Prozess. In der Gruppentherapie drohen sie sich zu potenzieren. Anliegen und Ziele der Klient:innen sind oft konträr zu denen der Überweiser:innen oder Kostenträger:innen. Menschen, die Drogen konsumieren, wollen sich berauschen, um möglichst wenig zu spüren, Therapeut:innen wollen hingegen, dass sie ihre Emotionen wahrnehmen. Gruppentherapie kann trotzdem gelingen. Wie dieses Vorhaben zu einer emotional berührenden Reise werden kann, das ist in dem Text überzeugend beschrieben.

Patrick Burkard, langjähriger leitender Psychologe an einer Suchtklinik nahe Trier, beschreibt die Eckpfeiler der Arbeit mit alkoholkranken Menschen: kontinuierliche Förderung der Motivation und der Kooperation. Oft stehen Erfahrungen und Grundannahmen der Klient:innen im Wege, wenn es in der Gruppentherapie darum geht, sich vertrauensvoll zu öffnen. Ambivalenzkonflikte kennzeichnen die Gruppentherapie mit dieser Klientel, die Methoden, die er für mögliche Lösungen zeigt, sind vielfältig.

Umreißt Katja Scholz in ihrem Beitrag über Multifamilientherapie Arbeits- und Wirkweisen, schildert Esther Strittmatter die multifamilientherapeutische Arbeit mit geschlechtsdysphorischen Jugendlichen und ihren Eltern. Strittmatter ist leitende Ärztin der Tagesklinik für Familien in einem Gesundheitszentrum im Münsterland und ebendort Leiterin der Trans-Spezialsprechstunde. Neben dem genauen Ablauf einzelner Treffen zeigt die Autorin auf, welch vielfältige Fähigkeiten Teilnehmer:innen in der Multifamilientherapie entfalten können.

Kirsten von Sydow, Psychologin, Psychotherapeutin und Lehrende an der Universität Hamburg, wirft einen Blick auf die Forschungslage in Sachen systemische Gruppentherapie. Sie analysiert in ihrem Aufsatz randomisierte, kontrollierte Studien, die belegen, dass systemische Gruppentherapie bei einigen Störungsbildern wirksamer ist als bei anderen.

Welche Wirkfaktoren sind in der Gruppentherapie relevant? Was wirkt bei systemisch orientierten Gruppen und wie können traditionelle Items systemisch ergänzt werden? Diesen Fragen stellen wir, die Herausgeber:innen Herbert Gröger und Carmen C. Unterholzer, uns und beenden den Reigen mit abschließenden Überlegungen.

Bei der Auswahl der Beiträge war es uns Herausgeber:innen ein Anliegen, die theoretischen Überlegungen ins Praktische zu transferieren. Wir wollen Kolleg:innen, die daran denken in Zukunft mit Gruppen zu arbeiten, eine praxisrelevante Orientierung bieten. Kolleg:innen, die bereits gruppentherapeutisch arbeiten, soll unser Buch Anregungen und Ideen zum Weiterdenken bieten. Forscher:innen, die an Gruppen interessiert sind, präsentieren die Autor:innen des Buches das vielfältige Feld »Gruppe«. Und wir hoffen, dass alle Interessantes für die Weiterentwicklung der systemischen Gruppentherapie finden.

Wien, im Juni 2022

Carmen C. Unterholzer, Herbert Gröger

1 Wir bemühen uns, die Texte in diesem Buch gendersensibel zu formulieren. Es geht uns darum, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen. Typografisch verwenden wir den Doppelpunkt. Der besseren Lesbarkeit wegen werden Artikel oder Adjektive im Singular in den meisten Fällen in der weiblichen Form dekliniert. An Stellen, an denen die jeweilige Geschlechtszugehörigkeit von Bedeutung ist, differenzieren wir sprachlich.

Teil 1: Grundlagen systemischer Gruppentherapie

Viel Praxis, wenig fachlicher Diskurs – Einleitung

Carmen C. Unterholzer, Herbert Gröger

Die Blütezeit therapeutischer Gruppen ist vorbei. Waren sie in den 60er- bis 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein beliebtes Format und reichten ihre Ambitionen von der Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung bis hin zum politischen Veränderungsinstrument (etwa Horst Eberhard Richters Ansatz der Selbstbefreiung und der Befreiung anderer), wurden Gruppen – vor allem im ambulanten Kontext – in den letzten Jahrzehnten seltener. In stationären Kontexten gehören sie freilich zum Standard, ein augenfälliges Missverhältnis. Aber viele Kolleg:innen in niedergelassenen Praxen scheuen den Aufwand, den die Organisation einer Gruppe für ihr Zustandekommen benötigt. Viele schrecken vor negativen Dynamiken zurück, begleitet von der Angst, mit ihnen nicht adäquat umgehen zu können. Woher sollten sie auch das Wissen haben? In den Ausbildungen wird in Österreich die Gruppe häufig ausgespart (siehe Vorwort der Herausgeber:innen), in Deutschland braucht es – nach der Psychotherapie-Richtlinie – eine Zusatzqualifikation (Mattke u. Mohnke 2020, S. 31). Wir wollen für die Gruppe, vor allem im ambulanten Bereich, eine Lanze brechen. In Zeiten zunehmender Vereinzelung und Vereinsamung können therapeutische Gruppen einen Ausweg aus der Isolation bieten. Strauß und Mattke schreiben in ihrem Lehrbuch:

»Wir gehen davon aus, dass Gruppen nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern aufgrund ihres großen Potenzials […] eine positive Zukunft haben werden und bei der Behandlung vieler Störungsbilder bzw. in vielen Anwendungsbereichen noch sehr an Bedeutung gewinnen werden« (Strauß u. Mattke 2012, S. 3).

Diese Hoffnung tragen wir mit.

Späte und spärliche Integration – zur Rolle der Gruppe in der Systemischen Therapie

Im systemischen Feld sind Paare und Familien – neben Einzelnen – die relevanten Systeme. Über sie wird diskutiert, theoretisiert und publiziert. Gruppen sind zwar seit circa 20 Jahren stärker im Fokus der theoretischen Auseinandersetzung, eine dominante Rolle spielen sie bis heute nicht. Wir sind mit unserer Einschätzung nicht allein. Greve spricht 2001 von der Gruppe in der Systemischen Therapie als einem »späten und zarten Pflänzchen« (Greve 2001, S. 3), elf Jahre später halten Herr et al. fest, »dass im Vergleich zu anderen Formen systemischen Arbeitens [die Gruppentherapie] auf eine relativ kurze Zeitspanne zurückblickt« (Herr et al. 2012, S. 161). Auch Wilms betont die späte Integration gruppentherapeutischer Konzepte in die Systemische Therapie (Wilms 2018, S. 380).

Um die Jahrtausendwende wenden sich Systemiker:innen vorsichtig der Gruppe zu. Artikel über systemische Gruppentherapie finden Eingang in die systemische Literatur (u. a. Deetz u. Dithmer 2000, Keller 2001, Caby 2002a, Hennecke 2005, Gerland 2006, Wedekind u. Georgi 2010, Obendiek 2020). 2000 und 2002 fanden das 1. und das 2. »Forum Systemische Gruppentherapie«, organisiert vom Langenfelder Institut in Nordrhein-Westfalen, statt. Zwei Jahre später traf sich die »European family therapy association« (EFTA) – u. a. zum Thema »Bridging family therapy with systemically oriented group work: The quest for theoretical models, approaches, methods and techniques«.

Fachzeitschriften erscheinen mit dem Schwerpunkt »Gruppentherapie«:

Zeitschrift für systemische Therapie 2001 (1)

Psychotherapie im Dialog 2001 (1)

Systhema 2004 (1)

Familiendynamik 2010 (4)

Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung 2013 (4)

Psychotherapie im Dialog 2020 (2).

Um die Jahrtausendwende entstehen erste Sammelbände – meist Fall- oder Gruppendarstellungen in unterschiedlichem Rahmen, mit unterschiedlichen Zielgruppen (z. B. Molter u. Hargens 2006, Erstauflage 2002). In den beiden »großen« Lehrbüchern der Gruppentherapie (Tschuschke 2010, Strauß u. Mattke 2012) ist die systemische Gruppentherapie mit jeweils einem Beitrag vertreten (Hesse 2010, Herr et al. 2012). Lehrbücher und Lexika der Systemischen Therapie (Schwing u. Fryzer 2006, Wirth u. Kleve 2012, Levold u. Wirsching 2014, von Schlippe u. Schweitzer 2016, von Sydow u. Borst 2018, Hunger-Schoppe 2021) beinhalten neben den Settings Paare und Familien inzwischen auch das Setting Gruppe.

Steigende Tendenz und Differenz

Mittlerweile hat sich die systemische Gruppentherapie ausdifferenziert. Man kann nicht mehr von der einen systemischen Gruppentherapie sprechen. Wir unterscheiden lösungsorientierte von problemorientierter Gruppentherapie, wir sprechen von narrativen und von hypnosystemischen Gruppen. Was – unserer Einschätzung nach – nach wie vor fehlt, ist die verstärkte Auseinandersetzung mit theoretischen systemischen Fundamenten der systemischen Gruppentherapie, deren konsequente Übersetzung in die systemische Praxis und die Übertragung abstrakter systemtheoretischer Erkenntnisse auf die systemische Gruppentherapie. Aber keine Behauptung ohne Ausnahmen. Drei davon möchten wir nennen.

Theoretische Überlegungen zur systemischen Gruppentherapie stammen von Molter, bereits aus dem Jahr 2001 (Molter 2001). Da Molter gemeinsam mit Klütmann die theoretische Einführung verfasst hat, verweisen wir auf den entsprechenden Abschnitt in diesem Buch. Auch Schmidt, der vor allem an der theoretischen Fundierung der hypnosystemischen Gruppentherapie arbeitet, ist als Autor in diesem Buch prominent vertreten. Bleiben also noch Hesse et al., die kurz angesprochen werden sollen. Sie haben bereits 2001 ein Modell vorgelegt, das dazu dient, die komplexen Geschehnisse von Gruppentherapien unter systemischer Perspektive zu beschreiben und zu erklären. Dieses dreidimensionale Konzept bezieht kontextuelle, relationale und zeitliche Aspekte ein:

»Im Wesentlichen geht es um die folgenden Fragen:

-

Wer von welchen Beteiligten in welchem Kontext (Dimension I)

-

tut (im Sinne von Aktivitäten und Haltungen) was und wie mit welchen Auswirkungen und Ergebnissen (Dimension II)[,]

-

wann, in welchem Zeitraum, mit welchem Zeitkonzept (Dimension III),

sodass die Beteiligten relevante, hilfreiche und sinnvolle Resultate feststellen und bemerken können?« (Hesse et al. 2001, S. 45).

Zur kontextuellen Dimension (Dimension I) zählen sie Aspekte des Therapeut:innenteams, der Gruppenmitglieder und des institutionellen Kontextes, die relationalen Aspekte (Dimension II) berücksichtigen Aspekte der Wirklichkeitskonstruktionen, Organisationsmuster und affektive Dynamiken. Die Dimension III fokussiert zeitliche Aspekte. Hesse et al. konkretisieren:

»Die von Therapeuten, Gruppenmitgliedern oder einer Einrichtung verwendeten Zeitkonzeptionen bestimmen auch den Gesamtzeitraum einer Gruppentherapie sowie die Frequenz und Dauer einer einzelnen Gruppentherapiestunde« (Hesse et al. 2001, S. 49).

Hesse erweitert 2002 dieses Modell mit konkreten Ideen, wie Unterschiede als Ressource in der Gruppe genutzt werden können (Hesse 2006, Hesse 2010).

Trotz geringer theoretischer Beschäftigung mit dem Thema Gruppentherapie tun wir systemischen Psychotherapeut:innen es: Wir bieten Gruppentherapien an – vor allem im stationären Kontext, in psychiatrischen, in psychosomatischen Abteilungen. Prototypisch für die systemische Gruppentherapie sind die Multifamilientherapie (Hennecke 2001, Asen u. Scholz 2009, siehe auch Scholz und Strittmatter 2022, in diesem Buch) und die Familienrekonstruktion (Crone 2018). Aber auch in anderen Kontexten arbeiten Systemiker:innen mit und in Gruppen, sei es in Reflecting Teams, bei Helferkonferenzen, bei Aufstellungen (Brandl et al. 1998) oder im nicht klinischen Bereich in der Organisationsentwicklung (Königswieser et al. 2013). Auch unsere Aus-, Fort- und Weiterbildungen mit ihren Theorie- und Selbsterfahrungsseminaren finden nahezu ausschließlich in Gruppen statt (Wagner u. Waas 2009). Es gibt also viel praktische Expertise. Die Brücke zwischen theoretischem – vor allem systemtheoretischem Wissen – und praktischem Tun steht noch auf wackeligen Beinen. Uns hat interessiert, woran die späte Integration und der lose Theorie-Praxis-Bezug liegen könnten.

Mögliche Gründe für die Außenseiterposition

Bei der Suche nach Antworten, stoßen wir auf unterschiedliche Annahmen.

Die Wurzel Systemischer Therapie ist die Familientherapie, sie ist die »historisch primäre und immer noch bedeutsame Arbeitsform« (Schiepek 1999, zit. n. Wittmund et al. 2004, S. 58). Gruppen gehören nicht zur Standardklientel Systemischer Therapeut:innen. Lässt also die Konzentration auf Familien keine Aufmerksamkeit für Gruppen zu? Allerdings hat sich die Systemische Therapie eine bedeutsame Expertise im Bereich der Paartherapie erarbeitet. Dies deshalb, weil Paare zu den »gewachsenen Systemen« gehören, wie Wilms es formuliert? Dass Systemiker:innen schwerpunktmäßig auf »gewachsene« Systeme wie Familien fokussieren und nicht auf »künstlich[e], meist durch Therapeuten zusammengesetzte Systeme«, wie Wilms 2009 schreibt (Wilms 2009, S. 375), ist in Zeiten, in denen Patchworkfamilien zur Standardklientel Systemischer Therapeut:innen zählen, nur mehr schwer nachvollziehbar.

Systemiker:innen sind es gewohnt, in einem Mehrpersonensetting zu arbeiten. Braucht es deshalb keine explizite Expertise, wenn es um Gruppen geht? Mehta, Jorniak und Wagner bestätigen, dass in der systemischen Community wenig über Gruppen gesprochen wird, seien sie doch systemischem Denken immanent. Sie formulieren: »Gruppen sind so etwas Grundlegendes und Selbstverständliches für SystemikerInnen, dass darüber kein Wort zu verlieren ist, weil es für SystemikerInnen ein zu allgemeiner Ausdruck ist, der zu wenig differenziert« (Mehta, Jorniak u. Wagner 2006, S. 118).

Wimmer weist darauf hin, dass die Gruppe in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts zum Synonym für unverfälschte Emotionalität und authentisches Sein wurde. »Mit dieser Aufladungstendenz hat sich der Gruppenbegriff in der neueren Systemtheorie jedoch eine tiefe Skepsis, ja geradezu eine Aversion eingehandelt« (Wimmer 2012a, S. 3). Luhmann hat sich Mitte der 1980er-Jahre vom Begriff der Gruppe verabschiedet, er sprach nur mehr von »sozialen Systemen« oder von »Interaktionssystemen«. Der Begriff der Gruppe wurde aus dem »theorierelevanten Begriffsrepertoire der neueren Systemtheorie gestrichen« (Wimmer 2007, S. 270). Dadurch sollten u. a. überhöhte Vorstellungen von Gruppe als Gegenwelt zur bestehenden Welt verabschiedet werden (Wimmer 2012a). Der Preis dafür: Die Gruppe verschwand aus dem Blickfeld Systemischer Therapeut:innen. Luhmanns »soziale Systeme« haben nicht zu mehr Differenziertheit geführt. Es wurde nicht mehr zwischen Familien, Institutionen und Gruppen unterschieden, es gab nur mehr »Interaktionsysteme« (Wimmer 2012a, S. 3) und diese wurden definiert als ein »fließendes Netzwerk interagierender Ideen und verbundener Handlungen« (Goolishian u. Anderson 1997, S. 284). Liegt das geringe Interesse von Systemiker:innen an Gruppen also darin begründet, dass oft nicht zwischen Familien, Institutionen und Gruppen unterschieden wird?

Wilms – vormals Wittmund – führt ein weiteres Argument für die Vernachlässigung der Gruppe an. Gruppentherapien finden schwerpunktmäßig in stationären Kontexten statt. Systemiker:innen waren dort lange Zeit nicht zu finden. Und in stationären Kontexten sind störungsspezifische Konzepte gefragt, die nicht im zentralen Fokus von Systemiker:innen stehen. (Wittmund 2001)

Viele Systemische Therapeut:innen sind in Privatpraxen tätig. Dort erfordert das Arbeiten mit Gruppen, das zudem noch schlecht bezahlt ist, eine lange Vorlaufzeit. Oft kommen Gruppen nur mit viel Anstrengung zustande, manchmal hingegen trotz vieler Mühen gar nicht. Auch dies ist möglicherweise ein Grund dafür, wieso die Gruppe in der systemischen Literatur eher nur am Rande behandelt wird.

Prädestiniert für die Arbeit mit Gruppen

Obwohl das Gruppensetting bisher im systemischen Kontext wenig Beachtung fand, sind systemische Denkansätze prädestiniert für die Arbeit mit Gruppen – dies sowohl ausgehend von theoretischen Prämissen als auch von den sich daraus ergebenden Haltungen und Methoden. Auch Obendiek plädiert: »Gerade Systemiker sollten mit Gruppen arbeiten« (Obendiek 2020, S. 35).

Allen voran sind es Systemiker:innen gewohnt, in Mehrpersonensettings zu arbeiten. Wir sind geschult darin, unsere Aufmerksamkeit mehreren Personen im Raum zuteilwerden zu lassen, wir verstehen es, Redebeiträge zu vernetzen und Klient:innen immer wieder dazu einzuladen, aus der inhaltlichen Auseinandersetzung auszusteigen und eine Metaposition einzunehmen, um Dynamiken und Bedürfnisse der einzelnen Beteiligten sehen zu können. Dies erleichtert die Arbeit mit Gruppen. Aber damit ist es noch nicht getan.

Als Konstruktivist:innen sind wir es gewohnt, verschiedenen Perspektiven Raum zu geben und sie gelten zu lassen (Wilms 2014, S. 211). Die Pluralität von Sichtweisen begreifen wir als Chance für Perspektivenerweiterung und für das Entwickeln alternativer Geschichten. Unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen können nebeneinander bestehen, Respekt vor der Meinung der anderen und eine wohlwollende Haltung gefördert werden.

Wie in der Einzel- oder Familientherapie operieren Systemiker:innen in der Gruppentherapie mit der Unterscheidungsperspektive und erfahren dadurch relevante Unterschiede. Hesse formuliert es folgendermaßen: »Eine systemisch-lösungsorientierte Gruppentherapie nutzt und gebraucht sowohl die vorhandenen Unterschiede als auch mögliche Unterscheidungsperspektiven der Gruppenmitglieder für das Entwickeln hilfreicher Unterschiede, so dass Unterschiede entstehen, ›die Unterschiede machen‹ (Simon 1993)« (Hesse 2006, S. 12). Anstelle der Unterscheidung richtig/falsch tritt die Frage, wie »neue Informationen auf dem Wege zu hilfreichen Antworten gewonnen werden können« (Hesse 2001, S. 44).

Als Kenner:innen der Systemtheorie wissen wir um die Komplexität von Systemen und die Unmöglichkeit zu instruieren. Daraus ergibt sich eine therapeutische Bescheidenheit, die wir für die Arbeit mit Gruppen gut nutzen können (Herr et al. 2012, S. 160). Spätestens seit den 1980er-Jahren erlangte das Wissen um beobachterabhängige Konstruktionen »kanonischen Stellenwert« in der systemischen Psychotherapie (Levold 2011, S. 485). Mit dem Paradigma der Kybernetik zweiter Ordnung ging eine Neuorientierung der eigenen Therapeutenrolle einher. »Die Anerkennung unterschiedlicher Wirklichkeitskonstruktionen räumte dabei den Konstruktionen von Partnern, Familienmitgliedern und Therapeuten prinzipiell gleichen Rang ein und relativierte damit auch die Macht der Therapeuten« (Levold 2011, S. 491, siehe auch Brandl-Nebehay, Rauscher-Gföhler u. Kleibel-Arbeitshuber 1998, S. 48–49).

Da uns die Fragen, wie wir erkennen und beobachten, wie wir unsere Hypothesen bilden, ständig begleiten, ist es uns geläufig, immer wieder Metapositionen einzunehmen, eine Fähigkeit, die uns in der Arbeit mit Gruppen zugutekommt.

Wir sind geschult im Denken in Kontexten und im Beobachten von Kontexten. Diese Kontextsensibilität können wir optimal einsetzen, wenn wir mit Gruppen arbeiten. Wilms ist zuzustimmen, wenn sie dies als Besonderheit systemischer Gruppentherapie hervorhebt. Wir arbeiten im »Bewusstsein eines in jedem Falle über den Kontext der anwesenden Gruppenmitglieder hinausgehenden Veränderungsprozesses.« Während bei anderen Ansätzen dies lediglich »Nebenwirkung« sei, verstünde das systemische Paradigma es als »Teil einer zwangsläufig stattfindenden Neuorganisation der Systeme«, in denen Klient:innen leben (Wilms 2018, S. 380). Herr et al. betonen, dass Kontextualisierung systemischem Vorgehen inhärent sei und aus Kontextbedingungen Hypothesen abgeleitet werden können (Herr et al. 2012, S. 160).

Von theoretischen Prämissen zu den Haltungen der Systemischen Therapie

Aus den theoretischen Voraussetzungen ergeben sich unsere therapeutischen Haltungen.

Die Allparteilichkeit oder die vielgerichtete Parteilichkeit (Hunger-Schoppe 2021, S. 90) erlaubt uns, uns für jedes Gruppenmitglied parteilich einzusetzen. Voraussetzung dafür ist, den Sinn des Anliegens der Einzelnen, die Bedürfnisse, die damit verbunden sind, zu erfassen und ihnen Anerkennung zu zollen.

Eng verbunden mit der Allparteilichkeit ist die Haltung der Neutralität. Die neutrale Akzeptanz verschiedener Sicht- und Handlungsweisen ist damit genauso gemeint, wie die neutrale Haltung Problem- und Lösungserklärungen gegenüber, ebenso die Ergebnis- sowie die Beziehungsneutralität. Erst dort, wo Handlungen, Sichtweisen und Erklärungen unsere ethischen Werte verletzen, liegt die Grenze unserer neutralen therapeutischen Haltung. Diese Position erleichtert uns die Arbeit mit Gruppen sehr.

Da Systeme nicht instruierbar sind, da wir Therapeut:innen maximal verstören und irritieren können, macht eine Expertenhaltung wenig Sinn. Nichts, was wir beobachten, ist unabhängig von uns Beobachter:innen. Therapeut:innen nehmen keine überlegene, privilegierte Position als Expert:innen ein, sondern sind »teilnehmende Beobachter« oder »teilnehmende Manager des Gesprächs« (Goolishian u. Anderson 1997, S. 269). Dieser Aspekt kommt in der Gruppentherapie durch die große Anzahl an Expert:innen und deren unterschiedliches Wissen besonders zum Tragen. Viele Expert:innen des Lebens kooperieren mit einer oder zwei Expert:innen für den psychotherapeutischen Prozess. Eine Begegnung auf Augenhöhe fördert die Kooperation mit und zwischen den Gruppenmitgliedern, sie trägt der Selbstorganisation von Gruppen Rechnung und unterstützt die Selbstwirksamkeit von Klient:innen. Im Gruppenprozess wirkt sich dies so aus, dass wir weniger leiten oder führen, sondern eher moderieren. Als Leiter:innen sind wir dann gefragt, wenn sich negative Dynamiken in der Gruppe entwickeln oder wenn die gemeinsam erarbeiteten Regeln gebrochen werden.

Was die Arbeit mit Gruppen ebenfalls erleichtert, ist der Verzicht auf Kausalannahmen. Die Suche nach Ursachen und deren Wirkungen, die häufig zu engen Fokussierungen führt, geben wir zugunsten der Zirkularität auf und regen damit Suchprozesse an. Hierfür kann die Gruppe gut genutzt werden. Wie sehen die anderen Gruppenmitglieder das Beschriebene? Welche Ideen haben sie dazu? Welche anderen Perspektiven wären noch möglich? Andere Sichtweisen der Gruppenmitglieder können dazu führen, kausale Erklärungen zu verflüssigen. Statt linearer Ursachensuche legen wir den Fokus auf Wechselwirkungen. Diese lassen sich in Gruppen direkt beobachten und erleben, während in der Einzeltherapie nur darüber gesprochen werden kann.

Einen weiteren Vorzug hinsichtlich Gruppentherapie hat die Systemische Therapie durch ihre Ressourcenorientierung, Tsirigotis spricht von der Gruppe als »Ressourcentreibhaus« (Tsirigotis 2005, S. 230). Haja Molter bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: »Lösungs- oder ressourcenorientiertes Arbeiten in/mit Gruppen [zeichnet] sich weniger dadurch aus, dass bestimmte Techniken der Profis zum Einsatz kommen, sondern mehr dadurch, dass eine Haltung zum Tragen kommt« (Molter 2006, S. 7). Diese Haltung fördere den Respekt vor der Andersartigkeit der Gruppenmitglieder, fördere Lust und Leichtigkeit, da sie an Ressourcen anschlösse, weniger auf Angst oder Macht fokussiere, sondern auf die Machbarkeit kleiner Veränderungen – wissend, dass die Teilnehmer:innen Urheber:innen von Veränderung sind. Durch die Fokussierung auf Ausnahmen und durch die Imagination gewünschter Veränderung können verborgene Stärken wiederentdeckt werden (Herr et al. 2012, S. 161).

Als anliegenorientierter und zielgerichteter Therapieansatz orientieren wir uns an den Bedürfnissen der Gruppenmitglieder. Wir nutzen die Gruppe, um mit Schmidt zu sprechen (siehe Beitrag in diesem Buch), für die Ziele Einzelner. Dabei arbeiten wir mit der Metapher des Trittbrettfahrens (siehe auch Beitrag Krämer und Herr). Auch wenn wir an den Zielen anderer arbeiten, können die Gruppenteilnehmer:innen meist Erkenntnisse für sich selbst erzielen und/oder Aha-Erlebnisse erfahren. Sie werden stets miteinbezogen: Wie sehen sie das Geschilderte? Was löst es bei ihnen aus? Welche Erfahrungen haben sie mit dem Thema? Durch die klare Ausrichtung auf die Ziele der einzelnen Gruppenmitglieder minimieren wir die Gefahr destruktiver Dynamiken. Die Arbeit an den Zielen bietet – neben den vereinbarten Gruppenregeln – einen sicheren Rahmen.

Von theoretischen Voraussetzungen über Haltungen zu Interventionen

In der systemischen Gruppentherapie kommen ähnliche Techniken und Interventionen wie in der Einzel-, Paar- und Familientherapie zum Einsatz, mit mindestens zwei Unterschieden: Einige systemische Techniken lassen sich nur in oder mit Gruppen umsetzen und der Resonanzraum, ausgelöst durch das therapeutische Arbeiten, ist durch die Gruppe wesentlich größer und vielfältiger.

Das Reflektierende Team: Ausgehend von Ideen von Andersen (1990), teilen wir die Gruppe in zwei Hälften. Die eine reflektiert über ein konkretes Anliegen eines Gruppenmitglieds (z. B. dysfunktionale Muster oder Überforderung) ziel- und ressourcenorientiert, sie tauschen Erfahrungen und Veränderungswünsche und – wenn vorhanden – Veränderungserfahrungen aus. Die andere Gruppenhälfte beobachtet, ergänzt und reflektiert im Anschluss. Oder: Die Gruppentherapeut:in bearbeitet mit einer Teilnehmer:in ihr Anliegen. Nach dem Gespräch der beiden melden sich drei, vier aus der Gruppe und geben als Reflektierendes Team Feedback zum Gehörten und Erlebten. Patrick Burkard zeigt in seinem Beitrag einen weiteren möglichen Einsatz des Reflektierenden Teams in der Gruppentherapie.

Im Ablauf ähnlich wie das Reflektierende Team, aber unterschiedlich in ihrer Intention ist die Outsider-Witness-Group. Diese Arbeitsweise aus der narrativen Richtung basiert auf der Erfahrung, dass Geschichten durch das Wieder- und Neuerzählen mit Erfahrungen und Veränderungen angereichert sowie verfestigt werden und sich dadurch verdichten. Die außenstehenden Zeug:innen geben das im therapeutischen Gespräch Gehörte erneut in einer von Anerkennung geprägten Atmosphäre wieder. Sie unterhalten sich untereinander über die Ausdrucksweise des Gruppenmitglieds, über die wachgerufenen Bilder und über die persönlichen Erfahrungen, die durch diese Ausdrucksformen aktiviert worden sind (White 2010).

Der ganze Bereich der Aufstellungsarbeit lässt sich in der systemischen Gruppentherapie gut nutzen:

Skulpturen: Ein Gruppenmitglied stellt sein inneres Bild der Gruppe auf. Es stellt die beteiligten Personen in seinen gedachten Beziehungen zueinander im Raum auf. Nachdem es die Skulptur beendet hat, bleiben die Gruppenmitglieder in ihren Positionen und verbalisieren die Gefühle, die sie in dieser Position wahrnehmen. Orientiert an den Impulsen der Teilnehmer:innen, wird die Skulptur so umgebaut, dass sich alle Teilnehmer:innen wohl(er) fühlen. In einem anschließenden Reflexionsprozess werden die Erfahrungen ausgetauscht, ihre Bedeutsamkeit für den gruppentherapeutischen Prozess evaluiert und erste Schritte in eine bessere Richtung diskutiert (Satir 1995).

Strukturaufstellungen: Angelehnt an die Skulptur, aber im Unterschied zu ihr arbeitet die Strukturaufstellung mit Repräsentant:innen. Passend zu seinem Thema wählt ein Gruppenmitglied Repräsentant:innen aus der Gruppe aus und stellt sie im Raum auf. Die Repräsentant:innen äußern Veränderungswünsche, setzen diese um und erläutern die Unterschiede zwischen den Positionen (Sparrer 2004). Im anschließenden Gespräch reflektieren die Teilnehmer:innen über ihre Erfahrungen und darüber, wie sie sich in den Alltag transferieren lassen.

Werden in einer Gruppe Dilemmata erörtert, bietet sich die Tetralemma-Aufstellung an (Varga von Kibéd u. Sparrer 2003). Gruppenteilnehmer:innen übernehmen jeweils eine der fünf Positionen: das Eine, das Andere, beides, keines von beiden und ganz was anderes. Patrick Burkard zeigt in seinem Beitrag, wie er im Rahmen einer Gruppentherapie mit alkoholkranken Menschen das Tetralemma einsetzt.

Die Parts-Party von Virginia Satir (Satir 2004) empfiehlt sich ebenfalls für die Arbeit in und mit Gruppen. Gruppenteilnehmer:innen übernehmen in Form eines mehrteiligen Rollenspiels einen inneren Anteil der »Gastgeber:in«, der durch sein Agieren auf der Party mit seinen Problemen und mit seinen Potenzialen sichtbar wird. Die Parts-Party dient der Identifikation, Transformation und der Integration von inneren Anteilen und Ressourcen. Was sehr ernsthaft klingt, kann zu einem sehr humorvollen Rollenspiel werden, das es erleichtert, auch eigene, weniger schmeichelhafte Seiten zu akzeptieren.

Wir arbeiten in Gruppen u. a. auch mit Genogrammen (McGoldrick 2019), mit dem Tree of Life (Denborough 2017) oder mit soziometrischen Tools. Die Aufzählung der Methoden, die für die systemische Gruppentherapie geeignet sind, ist exemplarisch und nicht vollständig. Wir verweisen auf die Beiträge in diesem Buch, die ebenfalls Methoden berücksichtigen, die für die jeweilige Klientel und das jeweilige Thema geeignet sind oder zu dem jeweiligen therapeutischen Prozess passen.

Konstruktbegriff, Kofferwort und künstliches System – Annäherung an den Begriff »Gruppe«

Wenn wir über systemische Gruppentherapie schreiben, interessiert uns, welche Definitionen von Gruppe sich in der Kleingruppenforschung, in der Gruppentherapie und in der systemischen Community finden. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff »Gruppe« schließt unsere Einführung ab.

Für Kleingruppenforscher:innen ist die Sache klar: Drei bis zwanzig Mitglieder – ab zwanzig sprechen sie bereits von einer Großgruppe –, ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Aufgabe, direkte Kommunikation und eine gewisse zeitliche Dauer, von drei Stunden bis zu mehreren Jahren. Gruppen verbindet das Gefühl von Zugehörigkeit und gemeinsamen Normen (König u. Schattenhofer 2016, S. 15).

Für die Gruppenpsychotherapieforscher Strauß und Mattke ist der Begriff »Gruppe« – Sader zitierend – ein »Konstruktbegriff«, denn je nach Arbeitsbereich, Forschungsinteresse und Anwendungsfeld sind unterschiedliche Definitionen nützlich (Mattke, Reddemann, Strauß 2011, S. 18). Auch König spricht davon, dass »alles schon einmal als Gruppe bezeichnet worden [ist]« und versucht Klärung zu erreichen, indem er vorschlägt, den Begriff »Gruppe« »für kleinere soziale Gebilde zu reservieren, für ›Systeme persönlicher Beziehungen‹ (Neidhardt 1983, S. 14), die von Unmittelbarkeit (Face-to-Face), Diffusität und einer gewissen Dauerhaftigkeit gekennzeichnet sind« (König 2010, S. 294). Durch die Covid-19-Pandemie und das Erstarken der Kommunikation über digitale Plattformen wie Webex, Zoom oder Microsoft Teams wird die Definition von Gruppe und »unmittelbarer Kommunikation« erweitert werden müssen.

Für Herr gibt es aus systemischer Sicht für Gruppen keine festen Entitäten, deren Definition hängt stets von den Definierenden und ihren Zielen ab (Herr 2005, S. 18).

Ähnlich argumentieren Molter und Klütmann, wenn sie von der Gruppe als »Kofferwort« – sich auf den Schriftsteller Arno Schmidt beziehend – sprechen: »Man kann darunter jede Form von sozialem System verstehen, in dem Menschen miteinander verbunden sind« (Molter u. Klütmann 2022, Beitrag in diesem Buch). Sie präzisieren und betrachten die Gruppe als

»einen immer wieder temporär zusammengesetzten Handlungszusammenhang, als sprachlichen und außersprachlichen (Kon-)Text: als soziales System. […] örtlich und zeitlich gebunden, ›ereignen‹ sich Kommunikationen, die sich von anderen Umwelten dadurch unterscheiden, dass sie ihre eigenen Sinn- und Systemgrenzen entwickeln« (Molter u. Klütmann 2022, Beitrag in diesem Buch).

Wilms unterscheidet »natürliche« Systeme wie die Familie von den »künstlichen« und meint damit die Gruppe (Wilms 2014, S. 210), eine Unterscheidung, die mit dem ständigen Zuwachs von Patchworkfamilien nicht mehr haltbar sein dürfte. Gruppenpsychotherapie bezeichnen Strauß und Mattke als »Behandlung einer emotionalen oder psychischen Störung oder eines Anpassungsproblems mithilfe des Mediums Gruppe« (Strauß u. Mattke 2012, S. 10). Die angesteuerte Veränderung kann sowohl intrapersonell als auch interpersonell sein. Schmidt definiert Gruppen recht pragmatisch: Sie sind Mittel zum Zweck für die Ziele Einzelner, ein Hilfssystem, das von vielen unterschiedlichen Perspektiven ausgeht und keine Wahrheiten vertritt, ein »zieldienliches co-therapeutisches Unterstützungssystem« (Schmidt 2001, 2022, Beitrag in diesem Buch).

Wimmer plädiert dafür, den Begriff der »Gruppe« von »seinen historischen Aufladungen zu befreien und ihn scharf zu machen für die Bezeichnung einer eigenen Systembildungsform« (Wimmer 2007, S. 287). Trotz berechtigter Skepsis gäbe es ausreichend Gründe, an diesem Begriff festzuhalten und die Theorieanstrengungen zu verstärken (Wimmer 2012b, S. 147). Für ihn entsteht in der

»Entwicklung von einem Interaktionssystem zur Gruppe […] ein besonderer ›sozialer Raum‹, der das soziale System Gruppe weiterbestehen lässt, auch wenn sich die Mitglieder eine Zeitlang nicht als gleichzeitig Anwesende begegnen. Für dieses Überdauern von Diskontinuität benötigt die Gruppe jedoch eine selbstorganisierte, periodisch wiederkehrende Kommunikation unter Anwesenden mit einer weitgehend stabilen Zusammensetzung, d. h. mit einer tragfähigen, selbsterzeugten Innen/Außen-Unterscheidung.«

Aus Teilnehmer:innen werden Mitglieder: »Im Übergang vom Interaktionssystem zur Gruppe evolviert dieses ›Wir-Sagen-Können‹« (Wimmer 2012a, S. 6). Ähnlich definiert es Hesse: »Solange sich die Mitglieder mithilfe eines bestimmten Themas gegenseitig die Mitgliedschaft bestätigen und anerkennen, bleibt das soziale System bestehen« (Hesse 2006, S. 11).

Zu den Unterschieden zwischen Gruppen einerseits und Organisationen, Teams und Familien andererseits

Wir wenden unseren Blick auf Unterschiede: Worin liegen sie, wenn wir Teams, Organisationen oder Netzwerke von Gruppen abgrenzen? Zählen Organisationen, Institutionen, Teams und Familien nun zu Gruppen? – Ja und nein. Je nachdem, welche Literatur wir befragen, bekommen wir unterschiedliche Antworten. Wimmers Arbeiten zum Thema Gruppen finden wir sehr brauchbar, mit ihnen können wir sinnvolle Unterschiede festmachen.

Abb. 1: Organisation (nach Wimmer 2007)

Abb. 2: Team (nach Wimmer 2007)

Abb. 3: Familie (nach Wimmer 2012)

Abb. 4: Gruppe (nach Wimmer 2012, König 2012, Wedekind u. Georgi 2014)

Auch wenn Gruppe als Konstruktbegriff, als Kofferwort oder als Begriff ohne feste Entität bezeichnet wird, gibt es doch einige Merkmale, die ihr gemein sind: Gruppen sind soziale Gebilde, in denen – in Abgrenzung zu Teams und Organisationen – persönliche Beziehungen, Bedürfnisse und Ziele im Vordergrund stehen. Meist sind sie zeitlich begrenzt, und als selbstorganisiertes System mit Innen- bzw. Außengrenzen sind sie in sich geschlossen und somit nicht instruierbar. Sie dienen den Zielen Einzelner und zeichnen sich – im systemischen Verständnis – u. a. durch Multiperspektivität, Begegnung auf Augenhöhe und Ressourcenorientierung aus. Gruppen sind zweckgebunden und die Teilnehmer:innen verstehen sich als Mitglieder, sie verbindet ein Wir-Gefühl.

Mit unserem Buch wollen wir die Lücke, die wir eingangs erwähnten, wenn schon nicht schließen, so doch zumindest etwas kleiner machen. Wir wollen die Gruppe wieder stärker im therapeutischen Umfeld verankern. Und nicht zuletzt wollen wir durch die Beiträge Lust auf das Arbeiten mit Gruppen machen.

1 Eine diskursive Annäherung: Zur Theorie systemischer Gruppentherapie

Haja Molter, Christopher Klütmann

Wir stellen Beschreibungen über Gruppentherapie voran, die wir als zieldienlich und spannend für die weitere Auseinandersetzung erachten: Zugänge zu systemischer Gruppentherapie und die Betonung der Bedeutung von Gruppentherapie im klinischen Feld. Auffallend ist die Heterogenität der systemischen Gruppentherapiekonzepte, die sich sowohl in unterschiedlichen Kontexten als auch in inhaltlichen Aspekten zeigt. Hesse et al. (2001) entwickelten ein dreidimensionales Modell, mit dessen Hilfe sich Gruppentherapieprozesse aus systemischer Sicht beschreiben und erklären lassen:

Dimension I: kontextuelle Aspekte (Therapeut:innen, Gruppenmitglieder, institutioneller Kontext)

Dimension II: relationale Aspekte (Wirklichkeitskonstruktionen, Organisationsmuster, affektive Dynamiken) und

Dimension III: die zeitlichen Aspekte des Gruppengeschehens).

Fritz Simon formuliert als Leitunterscheidung:

»Die systemische Gruppentherapie nutzt und gebraucht die sowohl vorhandenen Unterschiede als auch mögliche Unterscheidungsperspektiven der Gruppenmitglieder für das Entwickeln hilfreicher Unterschiede, die ›Unterschiede machen‹« (Simon 1993, S. 81).

Das Thema Gruppentherapie fand schon früh Aufmerksamkeit in der Theoriebildung Systemischer Therapie. So legte z. B. Helen E. Durkin 1975 einen Entwurf systemisch orientierter Gruppentherapie vor. Sie bezog sich auf die Arbeiten Batesons, Rueschs und der Paolo-Alto-Gruppe: Haley, Jackson und Weakland.

Gruppenpsychotherapie ist ein eigenständiges psychotherapeutisches Verfahren. Mit den wiederholt nachgewiesenen Wirkfaktoren ist sie gleichzusetzen mit der Effizienz einzeltherapeutischer Settings (siehe auch Beitrag v. von Sydow in diesem Band). Für die Gruppenpsychotherapie spricht, dass sie gegenüber Einzeltherapie wesentlich