Hässlichkeit - Moshtari Hilal - E-Book

Hässlichkeit E-Book

Moshtari Hilal

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Beschreibung

Vom Sehen und Gesehenwerden, von Selbstbildern und Selbstzweifeln – Moshtari Hilal schreibt über Hässlichkeit

Dichte Körperbehaarung, braune Zähne, große Nasen: Moshtari Hilal befragt Ideen von Hässlichkeit. In ihrem einzigartigen Buch schreibt sie von Beauty Salons in Kabul als Teil der US-Invasion, von Darwins Evolutionstheorie, von Kim Kardashian und von einem utopischen Ort im Schatten der Nase. Ihre Erkundungen, Analysen und Erinnerungen, ihre Bildzitate und eigenen Zeichnungen führen in jenen innersten Bereich, in dem jedes Selbstverständnis auf dem Prüfstand steht. Warum fürchten wir uns vor dem Hässlichen? Poetisch und berührend, intim und hochpolitisch erzählt Moshtari Hilal von uns allen, wenn sie von den Normen erzählt, mit denen wir uns traktieren.

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Das ist das Cover des Buches »Hässlichkeit« von Moshtari Hilal

Über das Buch

Vom Sehen und Gesehenwerden, von Selbstbildern und Selbstzweifeln — Moshtari Hilal schreibt über HässlichkeitDichte Körperbehaarung, braune Zähne, große Nasen: Moshtari Hilal befragt Ideen von Hässlichkeit. In ihrem einzigartigen Buch schreibt sie von Beauty Salons in Kabul als Teil der US-Invasion, von Darwins Evolutionstheorie, von Kim Kardashian und von einem utopischen Ort im Schatten der Nase. Ihre Erkundungen, Analysen und Erinnerungen, ihre Bildzitate und eigenen Zeichnungen führen in jenen innersten Bereich, in dem jedes Selbstverständnis auf dem Prüfstand steht. Warum fürchten wir uns vor dem Hässlichen? Poetisch und berührend, intim und hochpolitisch erzählt Moshtari Hilal von uns allen, wenn sie von den Normen erzählt, mit denen wir uns traktieren.

Moshtari Hilal

Hässlichkeit

Hanser

Dieses Buch handelt von Bildern. Von Bildern in unseren Köpfen, auf unseren Gesichtern, hinter unseren Augen, auf unseren Zungen. Es handelt auch von Blicken. Von unseren Blicken und wie diese sich andere einverleiben und wie Blicke Teil unserer Körper werden. Dieses Buch handelt vom Sehen und Gesehenwerden. Dieses Buch handelt vom Hass in der Hässlichkeit und vom Abseits und Gegensatz des Schönen. Es beginnt bei mir und endet in uns allen.

Übersicht

Cover

Über das Buch

Titel

Über Moshtari Hilal

Impressum

Inhalt

I.  Hass

Selbstbildnis

Traumkörper

Imitation

Schöne Fratze

Kartographie meiner Hässlichkeit

Entfremdung

II.  Nasal Analysis

Schatten an der Nase

Das Leiden der Nase

Gesichter lesen

Plastik

Reproduzierbarkeit

III.  Wolfsmädchen

Fehlendes Glied

Chronologie einer Behaarung

Entblößte Frau

IV.  Untote

Unansehnlich

Sterbegebet

Blass

Verwesung

V.  Versöhnung

Visuelle Ungerechtigkeit

Negierte Schönheit

Literaturnachweise

Bildnachweise

I.  Hass

Pferdefresse,

was hast du dir gedacht,

so freundlich zu grinsen,

aus meinem Gesicht?

So habe ich nicht ausgesehen,

als ich mir am Morgen die Haare kämmte.

Das war ich nicht.

Am Abend davor hatte ich mir meine Kleidung

zurechtgelegt, farblich abgestimmt,

mit erprobtem Blick

und zaghaftem Mund.

Was hast du dir gedacht,

so freundlich zu grinsen,

aus meinem Gesicht?

Gib mir ein Lächeln.

Der Fotograf an unserer Schule

forderte mein Lächeln ein.

Gib mir ein Lächeln,

und ich lächelte.

Was hast du dir gedacht,

so freundlich zu grinsen,

aus meinem Gesicht?

Ich erinnerte mich an den ersten YouTube-Kommentar,

den ich erhielt, dieser Kommentar,

der mich mein erstes Video löschen ließ:

        Pferdefresse

Was hast du dir gedacht,

so freundlich zu grinsen,

aus meinem Gesicht?

Ich sah mich

auf vierzehn passfotogroßen Rechtecken

und sie blickten zurück.

Es war, wie A. mir noch im Schulflur erklärt hatte:

schiefe Zähne,

langes Gesicht,

große Nase.

Vierzehnmal lernte ich mit vierzehn,

  dass ich hässlich bin.

An meiner Stelle klebten vierzehn Grimassen

auf dem Fotopapier, das meine Mutter in der Hand hielt.

War ich verzerrt

oder entblößt worden

durch mein Lächeln?

Das nehmen wir nicht, sagte ich meiner Mutter.

Dieses Bild brauche ich nicht und möchte es

nie wieder sehen. Und nie wieder

möchte ich, dass das Bild mich sehen wird.

Meine Mutter faltete den Umschlag,

der meine vierzehn

sich wiederholenden Grimassen

in sich trug.

Sie legte ihn verschlossen in ihre Kommode:

        Das ist mein Töchterchen.

Nur eine Mutter konnte ein hässliches Kind lieben.

*

Ich suche das Foto für dieses Buch.

Ich suche vergeblich

eine hässliche Pferdefresse.

Finde nur das Bild eines Kindes,

das Zähne zeigend

vierzehn Jahre lang zum letzten Mal

gelächelt haben wird.

Selbstbildnis

Als Kind zeichnete ich in einem kleinen Heft,

in was ich hineinwachsen würde.

Ich zeichnete, ich würde eine Frau sein.

Ich zeichnete, ich würde eine Frau mit langen glatten Beinen sein.

Auf der ersten Seite zeichnete ich mich in schmalem Rock und Seidenbluse, mit hochgesteckten Haaren. Ich würde Anwältin werden wie die Anwältinnen in den amerikanischen Serien, die um 20:15 Uhr in unserem Wohnzimmer liefen, durch Gerichtssäle, durch Manhattan, durch unseren Bildschirm. Ich würde anziehend sein. Blicke auf mich ziehen, sie halten und mir hinterherschauen lassen. Meine langen glatten Beine würden mich in High Heels durch den Raum tragen und Frauen wie Männer würden mir Blicke zuwerfen. Ihre Blicke lägen mir zu Füßen, mit roten Sohlen würde ich sie einfangen, unberührt durch die Menge hindurch, niemandem ausweichend, keine Schulter, die meiner keinen Raum ließ, kein unerwidertes Lächeln.

Zehn Zentimeter über dem Boden meine Füße,

ein Meter siebzig über dem Boden meine Nase.

Wenn ich mich recht erinnere, erinnere ich mich an keine Nase.

Mein Gesicht formte ich herzförmig,

auf einem Körper wie eine Sanduhr,

mit Augen wie Mandeln und Lippen wie samtweiche Kissen.

Meine glatten Beine würden an die glänzenden Glasfassaden

der Twin Towers erinnern, mein glattes Haar an Öl.

Ich zeichnete, ich würde eine Frau sein,

die mit ihren weißen Zähnen lächeln würde,

und mit ihren gepflegten, feinen Fingern

würde sie sich das seidige Haar

aus ihrem zarten Gesicht streichen

und ihre glatten, reinen, zarten,

seidigen, geschmeidigen

Beine übereinanderschlagen.

Ich hatte sie vor Augen, kannte jeden Millimeter des Körpers dieser Frau. Ich übte mich in Gedanken darin, ihren Körper zu tragen wie eine fremde Haut, die mir gehören sollte. Eine Haut, die ich mir abschaute. Ich beobachtete, was jene schönen und erfolgreichen Frauen ausmachte, zu denen ich gehören wollte und zu denen meine Mutter und meine Tanten nicht gehörten. Ich würde anders als sie sein, weil ich mich dazu entschied. Ich würde eine Frau sein, die wusste, was sie wollte.

Mit vierzehn kaufte ich auf einem Flohmarkt eine 786 Seiten umfassende Ausgabe eines ursprünglich mehrteiligen alten und vergilbten Philosophie-Kompendiums. Ich begann, seine ungelesenen Seiten mit Abbildungen von Gesichtern, Körpern, Häusern, Möbeln und Kleidung zu bekleben, die ich aus VOGUE, Harper’s Bazaar, Elle, Cosmopolitan und Architectural Digest einsammelte. Ich machte mich auf die Suche nach mir selbst in den Magazinen und überführte mich in mein Kompendium. In der Hamburger Zentralbibliothek kopierte ich mir Bilder aus ihren Büchern und übertrug sie zuhause in das eine Buch, das mir gehörte.

In Tagträumen lebte ich in der von mir immer weiter überklebten Anthologie. Ich schloss meine Augen und sah mich einen ganzen Nachmittag in meinem Haus verbringen, auf meinen langen glatten Beinen. Manchmal schlief ich im Gedanken an meine Aussicht lächelnd ein, den Kopf tief zwischen die Sofakissen gebohrt, während meine Mutter wusch, schnitt oder briet. Ich sah sie nicht, ich sah nur mich auf meinen langen glatten Beinen, während dumpf mein Name nachklang aus ihrem erschöpften Mund. Ein Name, an den ich mich in meinem Traumkörper in meinem Traumhaus nicht einmal erinnern konnte. In Gedanken, sofort wenn ich die Augen schloss, wurde ich zu dieser anderen Frau, die meine Mutter nicht kannte.

Immer wenn ich die Taille dieser Frau und die Leerstelle ihrer abwesenden Nase mit meinen gezeichneten Linien auf dem Papier nachzog, wurde ich zu ihr. Die Zeichnungen waren heimliche Baupläne, begleitet von einem Gebet:

Ich werde. Ich werde. Ich werde. Ich werde.

Ich werde. Ich werde. Ich werde. Ich werde.

Ich werde. Ich werde. Ich werde. Ich werde.

Traumkörper

Tagträume werden Bau-,

werden Schlachtpläne.

Ein dürres Kind überschlägt sich.

Es ohrfeigt seine Schenkel,

hängt sich an seinen behaarten Achseln auf.

Es kratzt sich die stoppligen Arme

und bläht sich die kleinen Brüste auf.

Es nimmt das Beil und hackt sich die Nase in zwei Teile.

Den einen Teil begräbt es,

den anderen legt es der Mutter in ihre rauen Hände.

Mutter, ich ziehe in eine Schlacht,

mit meiner Klinge an meiner Wange,

mit deiner Tochter an meiner Klinge.

Imitation

Wie konnte sie so viele erfolgreiche Menschen davon überzeugen, dass sie etwas sei, was sie eindeutig nicht war, fragt die Journalistin Jessica Pressler 2018 im New York Magazine und meint den Fall Anna »Delvey« Sorokin. Ja, wie konnte das diesem Mädchen gelingen, das mich in einer Hinsicht an mich selbst erinnerte? Die Rückblenden in die Kindheit der Hochstaplerin in der Shonda-Rhimes-Verfilmung könnten mich zeigen, wenn das Mädchen auf dem Boden sitzt, umgeben von Hochglanzmagazinen, hochkonzentriert darauf, sein ideales Leben aus den Bildern der anderen zusammenzusetzen. Anna Sorokin, 1991 in Russland geboren, als Migrantin in Deutschland aufgewachsen, ist nur zwei Jahre älter als ich. Sie und ich lesen also dieselben Magazine und imitieren dieselben Körperhaltungen der frühen 2000er It-girls: arrogantes Desinteresse, mit angezogenen Schultern und einem nach oben angewinkelten Arm, in dessen Beuge idealerweise eine Tasche hängt, während auf der Nasenspitze eine große Brille sitzt. Wir rezitieren die Namen der Designer, die wir uns nicht leisten können. Wir studieren Bilder vom vermeintlichen Leben der Schönen und Reichen und kleben sie an Orte, an denen wir sie rituell betrachten, wie eine Erinnerung an unsere Zukunft, die uns nie versprochen wurde.

Mit Anfang zwanzig wird Anna nicht nur mehrere Hotels und Banken, sondern auch eine Freundin betrügen, diese Freundin wird sie später in den Medien als soziopathisch, narzisstisch und kriminell beschreiben. Ihr, der weißen Russin, gelang es für einen Moment, mit ihrem herzförmigen Gesicht und ihren zum Schmollmund verzogenen Lippen in die Welt der Bilder einzudringen, die wir Mädchen beide durch das Hochglanzpapier beobachteten. Diese Bilder wollten von uns beobachtet und begehrt werden, aber durchdringen sollten wir sie nicht. Anna gelang es, die gesehenen Leben zu imitieren, ohne eine von ihnen zu sein. Anna gelang es, den Habitus einer wohlhabenden deutschen Erbin zu imitieren, als die sie sich ausgab, doch fehlte ihr ein solches Erbe. Das ökonomische Kapital ließ sich nicht nachahmen. Anna wurde 2019 wegen Betrugs zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Imitation ist ein Versprechen auf den sozialen Aufstieg für die einen und eine Überlebensstrategie für die anderen. Sie kann bedeuten, dass wir versuchen, in der Masse unterzugehen, Normalität nachzuahmen, bis zu einer Austauschbarkeit zu verwässern, die uns aus der Vereinzelung, der Andersartigkeit, der Unsicherheit befreit. Das Assimilationsversprechen ist das Versprechen der Normalisierung unserer Existenz. Aber Menschen wie Anna, sogenannte Hochstapler*innen, die sich anmaßen, nicht Normalität, sondern Exklusivität nachzuahmen, wollen nicht unsichtbar werden. Und auch ich ertrug als junge Frau den Gedanken nicht, nicht gemeint zu sein, wenn unsere Gesellschaft mir von denen erzählte, zu denen wir alle aufblicken sollten, in die wir uns verlieben sollten, denen wir neidlos zuschauen sollten, wenn sie sich in ihrem Ruhm und Reichtum zur Schau stellten.

Die allgemeine Faszination für die Hochstapelei, wie im Fall Annas, rührt daher, dass sie uns nicht fremd ist. Betrug als Lebensmodell wird uns täglich abverlangt. Wir sollen die kollektiven Vorbilder imitieren, die uns vorgesetzt werden, doch scheinbar hat jede Imitation eine Schwelle. Aus der Hochstapelei ergibt sich die Frage nach dem richtigen Maß der Imitation: Wenn die allgemeine Selbstoptimierung auf Imitation beruht, wann schlägt diese in Betrug um? Wann beginne ich zu täuschen, statt lediglich vom Leben der Bessergestellten inspiriert zu werden?

Das sogenannte Imposter-Syndrom, dieses zeitgenössische Gefühl des Betrugs, ist nicht zufällig ein nagender Zweifel, der so viele Menschen begleitet, für die sich das Versprechen des sozialen Aufstiegs ein Stück weit eingelöst hat und die sich nun durch Räume und Gesellschaften bewegen, zu denen ihre eigene Mutter, diese Verkörperung ihrer sozialen Herkunft, niemals Zutritt gehabt hätte. Es handelt sich um das Gefühl, man wäre grundsätzlich fehl am Platz, man hätte es nicht verdient, an seinem jeweiligen Ort zu sein, gesehen, belohnt oder gar geliebt zu werden. Es handelt sich um das Gefühl, dass diejenigen, die historisch an jedem dieser Orte in der Überzahl sind, uns sehen werden, dass sie uns riechen und entlarven werden. Wenn sie uns zu nahe treten, können sie jederzeit erkennen, dass wir nur versuchen, sie zu imitieren, ihre Fremdsprache sprechen, ihre Kleider als Kostüm und ihr Lächeln als Maske tragen, dass wir keine von ihnen sind. Die Geschichte unserer Imitation kann ganz subtil und allmählich verlaufen, in der langsamen Entfremdung von den Gesten der eigenen Mutter, von den Zügen des eigenen Gesichts. Ein Unbehagen, das sich wie ein Angstschweiß auf der Haut ausbreitet. In der Magengrube bebt diese fürchterliche Angst, zu wissen, dass wir andere imitieren müssen, um auch nur in die Nähe eines guten Lebens zu gelangen.

Schöne Fratze

Was verbarg sich hinter deiner schönen Fratze?

Es waren immer nur Gesichter wie deines,

die sich erlaubten, Grimassen zu ziehen,

so wie die Symmetrie es euch verzieh.

Ein Lächeln

hielt Wache,

wenn unsere Blicke

euch berührten.

Deine Schönheit bedrängte mich.

Was war das für eine Sehnsucht

nach einem Anblick und einem Körper,

der mich in seiner Einfalt beleidigte,

aber mir in seinem Echo Bestätigung versprach.

Die Ab- und Anwesenheit

von Abständen und Wölbungen,

von der Dunkelheit unserer Stirn

von der Dichte unserer behaarten Wangen,

sie allein sollte festlegen,

wer sich Nachsicht erlaubte

und wer ungesehen blieb?

Ich errötete vor Scham

in meiner Hingabe zur Schönheit,

die dich meinte

und nicht mich.

Was verbirgt deine schöne Fratze,

in deren Widerspruch wir leben bleiben.

In der eigenen Ablehnung

andere wohnen und gedeihen zu lassen,

wie peinlich.

Kartographie meiner Hässlichkeit

Die Kartographie meiner Hässlichkeit war eine zynische Zeichnung, eine Abbildung, an der ich in der Zeit meines pubertierenden Körpers Tag und Nacht arbeitete. Ich blickte an mir hinab und fügte der Zeichnung Linien hinzu, wo sie am Tag zuvor nicht gewesen waren. Ich blickte in den Spiegel und radierte und überzeichnete die vorangegangenen Linien, die jeden Tag größer und grotesker erschienen. Meinen kleinen Körper teilte ich in feindliche Zonen ein. Von der Hüfte aufwärts war das chemische Bleichmittel zuständig, von der Hüfte abwärts die Klinge.

Da war mein Kopf, groß und unsicher auf einem dürren Hals und einem kurzen und kleinen Körper. Das Gesicht war so ausgebrochen, es hatte kaum Platz. Ich zeichnete meine Nase spitz und kühl, wie eine scharfe Kante, wie eine Stelle, an der sich jeder schnitt, der mir zu nahe kam.

Meine Augen waren glasig und müde, die Augäpfel groß und aufdringlich, die Augenringe tief und erschöpft. Und mein Mund wurde ganz schmal und unbedeutend, trocken und allein.

Das war die Zeichnung — eine zynische Abrechnung mit meinem Körper, mathematisch und militärisch zugleich. Eine ehrliche Analyse, die mich realistisch auf mich vorbereiten sollte. Ich würde nicht schön sein können.

Aber würde ich es zulassen, außerordentlich hässlich zu sein? Eine markante, dünne, kleine Person zu sein, war das eine, aber eine markante, dünne, kleine und behaarte Person zu sein — das war unerträglicher. Mein Schlachtplan bestand darin, gegen Letzteres vorzugehen.

Mein Fell wurde zum Sündenbock.

Mein Oberlippenbart war auffällig und nicht wie die meisten anderen Stellen meines Körpers zu verdecken. Wenn ich sprach, wurde jedes Wort umrandet von seinen Härchen. Und seine Härchen sprachen mir meine Weiblichkeit ab. Mein Oberlippenbart war kräftiger und dichter als der Flaum an Kinn und Wangen. Ich hätte ihn blondieren und damit unsichtbarer machen können, aber dazu hätte ich das ganze Gesicht einfärben müssen. Wie sonst wäre der Übergang vom blonden Flaum zu den schwarzen Härchen in jeder meiner Poren, auf der Stirn und am restlichen Körper zu erklären gewesen?

Meine Schwester wurde mit fünfundzwanzig Jahren von ihrer Gynäkologin am Gesicht gestreichelt und beglückwünscht: Ich sehe, Sie neigen zu blondem Haar, dann werden vielleicht auch Ihre Zwillinge blond, wenn sie Glück haben. Ich hatte kein solches Glück gehabt, blond geboren zu werden, und ebenso wenig meine Schwester, die mich lehrte, ein stinkendes blaues Mittel auf das Gesicht aufzutragen und mit einem Magazin zu fächern, bis das Brennen auf der Haut nachließ. Oft verbrannte mir das Mittel ganze Stellen an Kinn und Mund. Dann hatte ich statt Härchen überall kleine Wunden. Manchmal fragte ich mich, was mir lieber war: Wunden oder Haare?

Der Blondierungseffekt hielt nicht lange. Die Ansätze blitzten schwarz hervor, während die Spitzen noch blond schimmerten. Mein Gesicht sah unhygienisch aus, dreckig. Manchmal fragte ich mich, was mir lieber war: Dreck oder Haare?

Rasierte ich den Oberlippenbart, wuchs er stopplig nach, und das bereits nach zwei bis drei Tagen. Rasierte ich mich wiederum zu oft, befürchtete ich einen Hautausschlag. In Momenten größter Verzweiflung fragte ich mich, was mir lieber war: Ausschlag oder Haare?

So kartierte ich meinen Körper und erklärte wieder und wieder meiner Haut den Krieg. Aus einigen dieser Offensiven lernte ich Verteidigungen. Eine Hand vor dem Gesicht beim Sprechen, um mich zu verbergen, ein Zucken in der Öffentlichkeit, ein Krampf, eine Hemmung, ein abruptes Wegdrehen vom Gegenüber im entblößenden Sonnenschein. Bei jedem Blick der anderen bewegte sich in mir die Angst vor dem Kinnstoppel, der Unreinheit, der Hässlichkeit. Ich führte einen Kampf, so repetitiv wie langweilig. Ich wäre wütend gewesen über die Verschwendung meiner Kraft und Zeit, wenn ich nicht beides bereits verausgabt hätte an jedes einzelne meiner Härchen. Wenn ich meinen Arm enthaarte, wo sollte ich aufhören? Am Ellbogen, an der Schulter, am Hals? Wo endete das illegitime, wo begann das legitime Haar? Ich hätte mich zupfen, epilieren, wachsen können, mich lasern und mich professionell permanent enthaaren lassen. Aber so sehr mich die Haare auch peinigten, ich wurde den Gedanken nicht los, dass mit ihrer Vernichtung nichts gewonnen wäre.

Entfremdung

All dieses Weiß, das mich verbrennt […]

Ich setze mich ans Feuer und werde mir meiner Uniform bewusst.

Ich hatte sie nicht gesehen. Sie ist in der Tat hässlich.

Ich halte inne, denn wer kann mir sagen, was Schönheit ist?

Frantz Fanon, Black Skin, White Masks

Der Psychiater und antikoloniale Philosoph Frantz Fanon untersucht 1952 in Schwarze Haut, weiße Masken die psychologischen Folgen der Assimilation in den französischen Kolonien. Er schreibt von einer weißen Welt, die sich als die einzig ehrbare darstellt, die ausschließt und gleichzeitig gefangen hält, die sich noch im Ausschluss zuschauen lässt. In seinen Worten verschwimmen die Wörter schön und weiß, und ebenso verschwimmen hässlich und schwarz. Dieses Weiß, das sich für schön hält, für besser, für vernünftiger, für vollkommener, für reiner, macht die Körper der anderen zu in der Hierarchie untergeordneten Uniformen und verlangt doch, dass sie weiße Masken tragen, dass sie imitieren. Fanons tiefgreifende Psychoanalysen kolonisierter Patient*innen beschreiben eine Verinnerlichung weißer Normen, die in alle Aspekte des Körpers übergeht. Sie breitet sich auch an der Oberfläche aus, auf der Haut. Die Kolonisierten lernen, sich durch die hasserfüllten Blicke der Kolonisator*innen zu sehen. Das Weiß strukturiert Begehren, Empfinden, Körper und Geist der Menschen. Das Empfinden der eigenen Haut als Hindernis, als falsch, wird zu einer unerträglichen Gefangenschaft in einer Uniform, die niemals abgelegt werden kann. Die immer wiederkehrende Darstellung des kolonisierten Körpers als Körper des Kriminellen, des Verlierers, des Barbaren brennt sich in die Netzhaut ein. Nur um beim Blick in den Spiegel mit Schrecken feststellen zu müssen, dass man selbst jener Barbar sein soll. Hässlichkeit ist bei Fanon das Trauma, in einem Körper leben zu müssen, den man zu hassen lernt: »Wo ich doch allen Grund hatte, zu hassen und zu verachten, wurde ich zurückgewiesen?«

In der Entfremdung von unseren Körpern lernen wir, unsere Leben durch die Blicke von »imaginierten Gemeinschaften« wahrzunehmen. Die Entfremdung, ursprünglich ein theoretisches Konzept von Karl Marx, beschreibt eigentlich die negativen Auswirkungen des Privateigentums und der kapitalistischen Arbeitsteilung auf den arbeitenden Menschen. Fanon übernimmt und erweitert den Begriff. Er beschreibt die (Selbst-)Entfremdung der Kolonisierten nicht nur durch ihre ökonomische Ausbeutung, sondern auch ihre kulturelle Fremdbestimmung.

Das Opfer eines solchen kulturellen Imperialismus ist eine entfremdete Person — eine sich selbst hassende Person, die den Unterdrücker imitiert. Dazu schrieb Fanon in »Toward the African Revolution« 1964: »Der Unterdrücker schafft es durch den umfassenden und furchteinflößenden Charakter seiner Autorität, dem Indigenen neue Sichtweisen aufzuzwingen und insbesondere ein abwertendes Urteil über seine ursprünglichen Existenzformen.« Der Unterdrücker beherrscht nicht einfach, sondern manipuliert den Unterdrückten durch seine »integrative und einschüchternde Autorität« psychologisch dazu, sich selbst und seine ursprüngliche Daseinsform zu hassen.

*

Hässlichkeit wäre oberflächlich,

wenn es in Wahrheit nicht um Hass ginge,

um den Wunsch, nicht gehasst zu werden,

sich selbst nicht zu hassen.

Die Wahrheit ist, wir wollen nicht schöner sein,

sondern vollkommen Mensch.

Je näher wir einen Menschen an der Schönheit vermuten,

desto näher muss er an einer vollkommenen Erfahrung sein,

die man uns vorenthält.

Für den Mythos erschaffen wir die Hässlichkeit,

dieses Regime, und alle seine Uniformen.