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4 Autorinnen. 4 Rockstars. Eine Band.
Tauche ein in die fesselnde “Heartbreaking Rockstars”-Reihe, bestehend aus vier eigenständigen Geschichten, die dennoch miteinander verflochten sind und in jedem Band aus einer anderen Perspektive die gemeinsame Welt voller Geheimnisse und unerwarteter Verbindungen enthüllen.
Dieses Bundle mit über 700 Seiten Lesestoff enthält:
EIN GROUPIE ZUM VERLIEBEN
Nash, der charismatische Frontmann der Heartbreaker, ist an der Spitze des Ruhms und von allen geliebt. Abseits des Rampenlichts hat er mit einer Schuld aus seiner Vergangenheit zu kämpfen und betäubt seinen Schmerz im Alkohol. Was er dabei am wenigsten brauchen kann, ist eine Frau, die ihn wieder und wieder an die dunkelste Zeit seines Lebens erinnert … und doch kann er Joy einfach nicht widerstehen …
LOVESONG INKLUSIVE
Ruby erhält den Auftrag, die Rockband Heartbreaker mit der Kamera auf ihrer Tournee zu begleiten. Sie ahnt jedoch nicht, dass neben kreischenden Fans und wilden Konzerten auch der charismatische Drummer Noah ihr Herz zum Trommeln bringen wird.
Während Ruby versucht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, setzt Noah alles daran, ihr zu beweisen, dass auch ein Rockstar sein Herz verlieren kann …
WENN LIEBE DEN TON ANGIBT
Ashley soll für den erkrankten Manager der Band Heartbreaker einspringen, was ihr beruflich einige Türen öffnen könnte. Hinter den glitzernden Lichtern lauern jedoch alte Wunden, denn die Bandmitglieder sind ihr nicht fremd …
Auch wenn die Nähe zu dem charismatischen Keyboarder Sam längst verloren geglaubte Gefühle in ihr weckt, versucht sie verzweifelt, ihre frühere Verbindung zu verbergen. Keine leichte Aufgabe, wenn sie gemeinsam Rätsel zu lösen haben, um die Tour zu retten …
LIEBE UNDERCOVER
Als West, der Gitarrist der Heartbreaker, in einem Coffeeshop auf Madi trifft, ist er sofort von ihr fasziniert. Eine glückliche Fügung gibt ihm die Möglichkeit, sie näher kennenzulernen, ohne seine wahre Identität zu offenbaren.
Inmitten von Intrigen und der wachsenden Kritik an der Band finden Madi und West Trost und Inspiration füreinander. Doch während Madis Glück zum Greifen nah scheint, verstrickt sich West immer tiefer in seine Lüge …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
HEARTBREAKING ROCKSTARS 1
Es ist der große Abend vor unserer neuen Tour. Die vorherige ist bereits über ein Jahr her, dennoch fühlt es sich an, als wäre es erst gestern gewesen. Alles ist genau wie letztes Jahr und doch ein bisschen anders.
Zumindest für mich. Der Rest der Band scheint wie immer Spaß zu haben. Sie scherzen und lachen und feiern. Freuen sich auf den Tourbeginn und auf alles, was die Tour wie jedes Jahr mit sich bringen wird. Ich habe gemischte Gefühle, wenn ich an die bevorstehenden Konzerte denke. Was letztes Jahr geschehen ist, hat sich tief in meine Seele gegraben, und ich werde diese Erinnerungen wohl auch nie wieder loswerden. Ich versuche mir nicht allzu viel anmerken zu lassen, was nicht schwer ist, da ich schon immer eher der nachdenkliche und grüblerische Typ bin.
Heute sitze ich auf einem der tiefen schwarzen Ledersofas und beobachte die Crew und die Band dabei, wie sie sich auf die kommenden Monate einstimmen. Ich sehe das breite zufriedene Lachen unseres Managers Timothy. Seine hellbraunen, sonst so sortierten Haare stehen kreuz und quer von seinem Kopf ab, so oft ist er sich an diesem Abend schon mit den Fingern hindurchgefahren. Neben ihm sitzen Cloe und Matt, seine Assistenten – oder unsere Assistenten, auf jeden Fall sind sie unsere Mädchen oder Jungs für alles. Sie werden die kleinen und großen Probleme auf der Tour lösen, wie sie es immer tun, und dafür sorgen, dass der Erdnussvorrat meines Bandkollegen West nicht zur Neige geht.
Er sitzt mir gegenüber auf einem anderen Sofa und schält wie immer Erdnüsse, deren Schalen überall herumliegen. Die meiste Zeit kann ich darüber milde hinweglächeln, aber je enger wir auf einer Tour aufeinandersitzen, desto mehr stört es mich, und ich weiß, dass ich spätestens in zwei Monaten mit ihm deswegen aneinandergeraten werde, weil ich in jedem Winkel beschissene Erdnussschalen finde, sogar in meinen Klamotten.
Ansonsten liebe ich diesen Kerl und seine Pranks, die er der ganzen Gruppe immer wieder zufügt. Sie lockern unseren Touralltag ein wenig auf und sorgen dafür, dass es Abwechslung und Spaß gibt. Ebenso wie Timothy kenne ich West schon seit meiner Schulzeit. Wir haben zusammen eine Klasse besucht.
Seine langen blonden Haare entsprechen voll und ganz dem Aussehen, das ich einem Rockstar zuschreiben würde. Ich selbst passe wohl am wenigsten in dieses Klischeebild. Ich trage keinen Bart, wenn, dann nur einen Dreitagebart, weil ich zu faul bin mich zu rasieren. Meine Haare sind meist eher kurz geschoren, zumindest an den Seiten, auch wenn ich versuche, den Oberkopf ein bisschen länger wachsen zu lassen. Sie sind dunkelbraun, genauso wie meine Augen, und im Vergleich zu Wests auffälligem Aussehen vielleicht sogar ein bisschen langweilig. Von der Haarlänge kommt wohl Sam Newman, unser Keyboarder, noch am ehesten an meinen Stil heran, obwohl seine Haare und sein Bart etwas länger sind als bei mir. Sam ist mit neunundzwanzig zwei Jahre älter als der Rest von uns.
Er kam später in unsere Klasse, weil er sitzen geblieben ist, und ich bin froh darum, denn er war damals das fehlende Mitglied für unsere Band. Er ist Keyboarder aus Leidenschaft, doch im Gegensatz zu West hat er keine fast schon liebesbeziehungsartige Verbindung zu seinem Instrument. West liebt seine E-Gitarre Erica und wird nicht müde zu beschreiben, dass sie aussieht wie ein wunderschöner Frauenkörper. Dieser Freak.
Dabei ist er gar nicht der Clown in unserer Gruppe. Diese Position bekleidet eindeutig unser Drummer Noah. Er hat keinen Vollbart, aber pflegt immer diese komische Mischung aus Kinnkante und Oberlippenbart zu seiner langen lockigen Mähne. Er sieht, bis auf seinen Kleidungsstil, aus wie der typische Rockstar. Wenn mich jemand nach dem Urtyp-Rocker fragen würde, würde ich ihm wohl ein Bild von Noah zeigen.
Diese drei Jungs und ich, das sind wir, die Heartbreaker. Ich kenne die drei schon mein halbes Leben lang und bereue keine einzige Minute, die wir miteinander verbracht haben.
Ich bereue ganz andere Dinge. Dinge, über die ich nicht einmal nachdenken möchte. Also greife ich zu meinem Whiskeyglas und nehme noch einen tiefen Schluck daraus. Die Flüssigkeit brennt in meiner Speiseröhre, wird warm in meinem Bauch, und dieses Gefühl ist etwas, was mich seit Monaten ablenkt. Monate, die ich damit verbracht habe, die Erinnerungen in Alkohol zu ertränken und in Songtexten zu verarbeiten. Texte, die wir wohl nicht spielen werden. Dafür sind sie zu melancholisch … zu traurig.
Doch seit letztem Jahr ist alles ein wenig anders geworden, und das ist auch der Grund, warum ich mich nicht wirklich auf diese Tour freuen kann. Aber ich kann mich darauf freuen, tolle Monate mit meinen Freunden zu verbringen, mit der Musik, die ich liebe und die schon immer mein Herz erreicht hat.
Schon zu unseren Schulzeiten haben wir vier in einer Garage geprobt und Songs aufgenommen. Wir haben gelegentliche Gigs in befreundeten Kneipen gespielt und später dann winzige Touren organisiert. Dafür hat Noah sogar sein Studium hingeschmissen, aber es war das, was wir immer wollten.
Es hat sich schließlich auch gelohnt, denn auf einem unserer Gigs tauchte ein Talentscout auf, der uns diesen Deal bei der Plattenfirma besorgt hat, und es ist fast schon unglaublich, doch seit diesem einen Gig hat sich unser ganzes Leben verändert. Wir sind Rockstars, das, was wir uns immer erträumt haben.
Wir verkaufen hunderttausende Tracks und CDs. Unsere Musik wird gestreamt auf allen Kanälen. Wir leben unseren Traum und gehen jedes Jahr auf Tour. Dieses Mal, um unser aktuelles Album Never Mind zu promoten. Es wird eine riesige Tour durch ganz Nordamerika, unzählige Gigs auf richtig großen Bühnen, und wir können das tun, was wir uns seit jeher erträumt haben. Ich kann noch immer kaum fassen, dass wir mittlerweile in dreißig Städten spielen und zu jedem einzelnen dieser Konzerte siebzig- bis hunderttausend Zuschauer kommen werden. Wir werden durch fünfzehn Bundesstaaten reisen und unfassbar viele Fans mit unserer Musik glücklich machen. Wir starten im September und werden ganze vier Monate auf Tour sein.
Hätte mir das jemand vor all den Jahren gesagt, hätte ich ihn wohl für geisteskrank erklärt. Ich meine, wer waren wir schon?
Vier Männer, vier Schulfreunde aus Cashville in Iowa aus einem verdammten Sechzehntausend-Einwohner-Dorf. Wir waren eine Garagenband, die kleine Gigs für lau machte, und innerhalb der letzten fünf Jahre haben wir nicht nur einen verdammten Plattenvertrag bekommen, der allein schon der große Traum jedes Musikers ist, sondern sind zu einer wirklichen Rockgröße aufgestiegen. Wir sind auf Tour, schon wieder. Spielen Track für Track in den Städten Amerikas. Wir haben alles, was wir uns jemals erträumt haben.
Alles und doch nichts.
Zumindest ich, denn alles, was ich mit diesem Traum verbunden habe, verlor ich in diesem letzten, verhängnisvollen Jahr. Alles, was ich wollte, habe ich mir genommen und dabei mehr verloren, als ich mir jemals hätte vorstellen können.
Ein weiterer Schluck aus meinem Whiskeyglas, ein weiterer Zug von meiner Zigarette. Alles fühlt sich taub an, und das Grölen und die Stimmen meiner Freunde sind zu einem Hintergrundrauschen verschwommen. Ich sehe sie lachen, ich sehe sie feiern, ich sehe in all diese vertrauten Gesichter, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne, und ich fühle nichts, denn das in mir ist mit Chelsea an diesem verdammten Baum gestorben.
Um den Gedanken loszuwerden, stehe ich auf und strecke mich. Meine Freunde halten in ihren Gesprächen inne und mustern mich. Ich sehe die Sorge in ihren Gesichtern, ich sehe, dass sie wissen, dass es mir nicht gutgeht, und ihre Verzweiflung, weil sie nichts daran ändern können. Aber ich kann ihnen nicht helfen. Ich kann ja nicht einmal mir selbst helfen.
»Ich haue mich aufs Ohr, es wird ein langer Tag«, sage ich und winke in die Runde.
Mein Whiskeyglas fülle ich noch einmal bis zum Rand auf und nehme es mit. Es ist mir egal, was die anderen denken. Das hat schon lange aufgehört. Früher habe ich versucht, heimlich zu trinken und meinen Kummer vor ihnen zu verbergen. Aber es hat sowieso nichts geholfen. Jetzt mache ich mein Glas voll bis zum Rand, nicht mal anstandshalber nur dieses Schlückchen, das man normalerweise in Whiskeygläser füllt.
Und dann gehe ich aus dem Raum. Es tut mir leid, dass ich ihnen die Stimmung verdorben habe, und ich bin mir sicher, dass sie sich gleich über mich unterhalten werden und darüber, dass es mir nicht gutgeht und wie sie mir helfen können. Aber ich kann es nicht ändern, sie können es nicht ändern, niemand kann die Toten zurückholen.
Niemals.
* * *
Die Musik dröhnt laut aus meinen Airpods, und ich springe aufgeregt vor meinem Spiegel auf und ab, tanze im Rhythmus der Musik und kann nicht fassen, wie gut dieses neue Album der Heartbreaker ist.
Never Mind ist das wohl beste Album dieser Band. Ich liebe jeden einzelnen Song darauf, nicht nur von diesem Album, von allen, um ehrlich zu sein. Ich liebe diese Band, und ich liebe vor allem ihren Leadsänger Nash.
Er ist wohl mein wahr gewordener feuchter Traum, seit ich denken kann. Es ist nicht nur sein perfektes Aussehen, die breiten Schultern, die fast schwarzen Augen, sondern vor allem sein nachdenklicher Gesichtsausdruck und die Songs, die er schreibt, und wie er sie singt. Man spürt, dass es direkt aus seinem Herzen kommt, mit jeder einzelnen Zeile berührt er mich. Seine rauchige Stimme geht mir durch Mark und Bein.
So lange habe ich auf diese Tour hingefiebert, und ich kann nicht fassen, dass es schon bald so weit sein wird. Ich habe Tickets gekauft für sechs Konzerte in vier Städten. Das werden die besten vier Wochen meines Lebens, so viel ist klar. Ich muss noch die eine oder andere meiner Freundinnen dazu überreden, mich zu begleiten, denn ganz allein auf ein Konzert gehen ist dann doch nicht so nice. Aber notfalls würde ich auch allein fahren. Ich habe mein Studium so organisiert, dass ich die Inhalte nachlernen kann. Die Unterlagen bekomme ich von einer Kommilitonin.
Beim ersten Konzert werde ich schon einen Tag früher anreisen, um dann die ganze Nacht über anzustehen und einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Ich möchte so nah wie möglich an Nash sein und ihn in live sehen, wie schon die letzten Jahre. Wenn er mich nur ein einziges Mal bemerken würde, dann, bin ich mir sicher, würde er erkennen, dass wir beide perfekt zusammenpassen. Vielleicht ist es ein bisschen eingebildet zu glauben, dass ein bekannter Rockstar etwas mit mir anfangen würde, aber ich bin jetzt nicht gerade das kleine hässliche Entlein. Ich bin einen Meter fünfundsiebzig groß und habe lange schwarze Haare, die mir in Beachwellen über die Schultern fallen.
Mein ganzes Leben lang habe ich gesagt bekommen, wie perfekt meine hellblau strahlenden Augen sind, und auch meine zierliche Nase und die vollen Lippen entsprechen wohl ziemlich dem Schönheitsideal in diesem Zeitalter. Ich habe eine schmale Taille, und meinen Brüsten habe ich, dank eines kleinen Erbes, ein bisschen nachhelfen können. Offiziell zugeben würde ich das nicht, denn heutzutage ist jeder natürlich schön, und niemand hat irgendetwas machen lassen. Never.
Und doch sehen alle aus wie gemalt, sind aus Plastik und haben kleine Narben an auffälligen Stellen, aber ich sage nichts dazu. So ist es eben.
Meine Apple Watch vibriert, und ich weiß, dass es der langersehnte Anruf meiner Freundin Sarah ist. Also drücke ich auf Annehmen, und sofort höre ich ihre quietschige fröhliche Stimme in meinen Airpods.
»Hey Süße, da bist du ja.«
»Hey Babe«, flöte ich zurück. »Und? Wie schauts aus, kannst du auch auf das zweite Konzert mitgehen?«, platze ich sofort heraus, denn ich kann es kaum erwarten, endlich ihre Antwort zu bekommen.
»Du bist unmöglich. Wie zum Teufel kann man sechsmal auf das gleiche Konzert gehen?«
Ich lache auf. »Du weißt genau, wie man das kann, mit ein bisschen Kohle und genügend Urlaub.«
Sie schnaubt. »Ja, wie kann man das nervlich, Süße?«
Wieder lache ich.
»Indem man auf seinen absoluten Traummann hofft«, gebe ich zurück und grinse vor mich hin.
Das Grinsen steht mir, muss ich im Spiegel feststellen, und verdrehe gleich darauf über mich selbst die Augen. Ich denke seit Tagen, besser gesagt seit Wochen nur noch darüber nach, was Nash an mir gefallen könnte und was nicht und wie ich es schaffe, ihn für mich zu begeistern.
»Er ist doch auch nur ein Mann wie hundert andere.«
»Er ist nicht wie hundert andere. Er ist DER Mann, der Übermann, er ist absolut fucking perfekt. Hast du ihn dir mal angeschaut?«
Sarah lacht. »Nicht zu genau, denn um ehrlich zu sein, habe ich Angst, dass du mir die Augen auskratzt.«
»Berechtigt«, kontere ich und grinse. »Also, wie schaut es aus? Kommst du mit zum zweiten Konzert?«
»Ach, na gut, aber nur weil ja jemand auf dich aufpassen muss. Nicht dass du dir vor all den Menschen noch das T-Shirt vom Leib reißt und dem guten Kerl deine Brüste präsentierst.«
»Die waren teuer genug, die Welt soll sie sehen«, antworte ich, und wir lachen beide.
Wir scherzen noch eine Weile miteinander, und während wir über Gott und die Welt lästern, probiere ich ein Outfit nach dem anderen an. Es muss perfekt sein, jedes Mal. Also, sechs perfekte Outfits zu finden, wird nicht gerade leicht sein. Aber ich darf meine Chance nicht vertun. Wahrscheinlich wird sein Blick nur ein einziges Mal über mich schweifen, und dann muss einfach alles perfekt sitzen.
»Könntest du ein Schild mit Neonpfeilen tragen?«, frage ich einem Gedankengang folgend und grinse vor mich hin.
»Bist du verrückt geworden?«
Ich zucke mit den Schultern, auch wenn sie es nicht sehen kann. »Dann würde ich ihm auf jeden Fall auffallen. Denkst du nicht?«
»Ja, als die Bekloppte mit der Freundin mit dem bescheuerten Neonschild«, antwortet Sarah, und ich höre, dass auch sie grinst.
Ich liebe sie dafür, dass sie jeden Spaß mitmacht, dass ich mit ihr die abwegigsten Hirngespinste durchspielen kann und sie mich niemals für verrückt erklärt. Nicht einmal wegen meines Plans, Nash zu erobern. Und um ehrlich zu sein, ist er wirklich ein bisschen verrückt, denn welcher große Rockstar, der jedes Wochenende von hunderten Frauen umgeben ist, sollte sich ausgerechnet mit mir einlassen und dann noch auf mehr als nur eine Nacht? Wahrscheinlich kann ich mich glücklich schätzen, wenn ich überhaupt diese eine von ihm bekomme, und das würde ich auch, aber mein großer Traum ist eine Beziehung mit dem Leadsänger der Heartbreaker. Und das wünsche ich mir bereits seit vier verdammten Jahren.
Tourauftakt. Wir sind in Chicago angekommen und werden heute unser erstes Konzert spielen. So Gott will, denn wir haben noch nicht einmal die Probe hinter uns bringen können, da die Kabel für unsere Mikrofone verschwunden sind. Die Tour scheint unter keinem guten Stern zu stehen. Zumindest im Moment. Aber ich bin ein Stück weit froh darüber, denn so habe ich noch ein bisschen Zeit, um mit dem Chaos in meinem Kopf klarzukommen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass das, was während der letzten Tour passiert ist, mich so schnell wieder einholen würde.
Ich hätte nie gedacht, dass es mich so belasten würde, dass so etwas überhaupt möglich war. Natürlich hört man immer wieder von Groupies, die keine Grenzen kennen und völlig fanatisch ihren Idolen nacheifern, aber dass mir so etwas passiert? Nein, absolut unglaublich. Und doch ist es so. Da war dieses eine Mädchen, das nicht lockergelassen hat, das auf jedem Konzert erschienen ist, das in jedem Backstagebereich war, bei jeder Party, an jedem Ausgang, an jedem Hotel. Dieses eine Mädchen, das so hartnäckig war, bis ich, zugegebenermaßen in betrunkenem Zustand, sie mit auf mein Hotelzimmer genommen habe.
Mein Fehler, ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es BESSER wissen müssen, als ihr nachzugeben und Sex mit einer Frau zu haben, die mich überhaupt nicht reizte.
Ja, Chelsea war nett, sie war hübsch und irgendwie cute und das alles, aber es war nicht genug. Sie hat mich nie wirklich gereizt, sie hat mich nie aus der Reserve gelockt oder auch nur annähernd tiefer interessiert. Sie war eine von Hunderttausenden, die dort unten in der Menge stand. Schön mit ihren schwarzen Haaren und den blauen Augen. Durchschnittsschön würde ich sagen. Aber eben nie mehr. Und ich hätte auf meinen Bauch hören sollen, der bei ihrem Anblick schon von Weitem eine Warnung geschrien hat. Ich hätte auf die Alarmglocken in meinem Kopf hören sollen, die mehr als deutlich gemacht haben, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmte.
Eine Nacht in meinem Bett und sie war noch anhänglicher als zuvor. Es hatte fast schon etwas von Stalken, aber zu diesem Zeitpunkt wollte ich es nicht erkennen, denn es fühlte sich gut an, jederzeit auf eine Frau zurückgreifen zu können, ohne mich mit dem typischen Groupie-Krimskrams rumschlagen zu müssen.
Sie war diskret und immer verfügbar. Die Jungs mochten sie, ich weiß noch nicht mal, warum. Und dann, als ich schlussendlich die Reißleine gezogen habe, war es viel zu spät, und dieses viel zu spät … und den Anfang … oder noch besser, dieses ganze Theater bereue ich noch heute. Ich bereue es zutiefst, dass eine junge Frau meinetwegen nicht mehr lebt.
Wahrscheinlich wird mich das mein ganzes Leben lang verfolgen, und ich werde jede verdammte Nacht schweißgebadet aufwachen mit dem Bild in meinem Kopf, von dem letzten Moment, in dem wir uns gesehen haben. Ihre großen blauen Augen, die voller Tränen waren, und der vorwurfsvolle anklagende Blick, der mehr als deutlich sagte, dass ich ihr das Herz gebrochen habe.
Dabei habe ich ihr verdammtes beschissenes Herz niemals haben wollen. Gar nichts, ich wollte nicht einmal ihren Körper, ich wollte einfach nur mein Leben und diese Tour und feiern, was wir geschafft haben.
Und heute? Ich feiere nicht. Ich feire überhaupt nichts. Ich hasse mein Leben ein Stück weit, und nur weil ich dieser Superstar bin, ist all das überhaupt passiert.
Niemand hätte sich für einen Ottonormalverbraucher das Leben genommen, oder? Niemand! Aber für mich – Nash, den großen Leadsänger der Heartbreaker.
Ja, es ist nicht ganz so verrückt wie damals bei N’Sync, dass Mädchen reihenweise aus dem Fenster springen, weil die Band sich auflöst, aber es passiert genug freakiges Zeug um mich herum, und eigentlich würde ich alldem gerne entfliehen.
Ich würde gerne zurück in diese kleine Garage mit meiner Band und verzweifelt auf der Suche nach Gigs sein. Ich will wieder meine Ruhe und meinen Frieden. Ich will, dass diese Panikattacken weggehen, und ich möchte wieder unbeschwert lachen und feiern können wie damals mit sechzehn, bevor das ganze Theater anfing. Ich will mir wieder um Kleinigkeiten Gedanken machen und nicht darum, ob irgendjemand sein Auto an den nächsten Baum stellt, weil ich ihm das Herz gebrochen habe.
Ich schüttle den Gedanken ab und reibe mir über den kribbelnden Nacken. Ich hasse es, wenn all diese Erinnerungen mich einholen. Aber ich kann es nicht aufhalten. Ich kann es nicht ändern. Es überschwemmt mich jeden Tag aufs Neue. Es ist, als würden all diese Gedankensplitter hinter jeder Ecke auf mich warten und darauf lauern, mir das Leben zur Hölle zu machen.
Mit nervös zitternden Fingern hole ich eine Zigarette aus meiner Kippenschachtel und zünde sie an. Der Rauch brennt, als ich ihn tief in meine Lungen ziehe, und er erinnert mich daran, dass ich noch lebe, dass ich noch fühlen kann, im Gegensatz zu ihr. Um mich herum herrscht geschäftiges Treiben, alle sind aufgeregt und rennen umher, in der Hoffnung, dieses Konzert irgendwie retten zu können. Ich wäre fast schon froh, wenn es nicht stattfindet und ich mich einfach wieder in mein Hotelzimmer verkriechen könnte. Aber so viel Glück wird mir wohl nicht zuteilwerden.
»Ob das noch was wird?«, sagt West in diesem Moment und kaut dabei wie üblich auf seinen Erdnüssen.
Überall um ihn herum liegen schon wieder die Schalen und treiben mich in den Wahnsinn, weil ich jetzt schon weiß, dass ich sie in jeder fucking Tasche, in jeder fucking Ritze wiederfinden werde. Vielleicht bin ich im Moment auch nur ein bisschen genervt. Mein Blick wandert über die Jungs, wie sie in ihren noch legeren Outfits auf den Sofas lümmeln und genauso wie ich darauf warten, dass unsere Probe endlich losgehen kann.
Das erste Konzert auf der Tour und der Soundcheck ist schon verkackt. Ich sehe den Fotografen, der wieder diesen cholerischen roten Gesichtston hat und seine Assistentin Maxine anscheißt, wie er es immer tut. Ich kann nicht fassen, dass jemand freiwillig für ihn arbeitet. Ich meine, wer will sich denn die ganze Zeit von seinem Chef anbrüllen lassen.
Okay, ich bin jetzt nicht der Typ, der ein guter Mitarbeiter wäre, ich bin ein Freigeist, will machen, was ich will, wann ich will und wo ich will. Dass ich regelmäßig zu diesen Terminen erscheinen muss, ist schon mehr als genug für mich.
Unsere Assistentin, Chloe heißt sie, zieht sich ihre Jacke über und steckt die langen glatten dunklen Haare unter eine Mütze. In Chicago ist es windig wie immer, und sie will wahrscheinlich nicht ausschauen wie eine Vogelscheuche. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ihre Haare überhaupt jemals was anderes als sortiert sein können. Das muss an ihren asiatischen Genen liegen, die sie so lang und glatt machen.
Ich stehe auf schwarzhaarige Mädchen, aber um ehrlich zu sein, hat Chelsea mir meine Vorliebe für schwarzhaarige Groupies ein wenig versaut, denn wann immer ich eine von ihnen sehe, dreht sich mir der Magen um. Vielleicht sollte ich etwas mit Chloe anfangen. Ich schüttele den Kopf, nein. Innerhalb der Crew käme so was für mich überhaupt nicht in Frage. Ich muss mit den Damen und Herren schließlich die nächsten vier Monate verbringen, und da wären Probleme vorprogrammiert.
Vielleicht sollte ich dieses Affärending auch einfach ganz sein lassen. Schließlich hat mir das im letzten Jahr mehr als genug Ärger gebracht, und ich bin seither ganz gut mit unverbindlichen One-Night-Stands gefahren. Eine Nacht, keine Gefühle, ich bin am nächsten Morgen weg. Ich lass die Tussis nicht zu mir ins Hotel, sondern treffe mich mit ihnen irgendwo und hau ab, noch ehe sie wieder angezogen sind. Das ist mein neuer Stil, und er hat sich ganz gut bewährt.
Während wir also darauf warten, dass irgendjemand diese Mikrofonkabel auftreibt – wahrscheinlich wird es Chloe sein –, beobachte ich Sam dabei, wie er in der Ecke seine Barista-Maschine aufbaut. Dass er das jetzt erst macht, wundert mich, aber vielleicht war vorher einfach zu viel Trouble. Er hat seine komische Kaffeemaschine überall dabei und ist der Meinung, dass man anderen Kaffee nicht trinken kann. Ganz im Gegensatz zu West, der oft mit seinem Motorrad kleine Ausflüge macht und gerne auch bei Starbucks einkehrt. Morgen früh haben wir genau das vor. Also, vielleicht, sofern ich nicht so verkatert bin, dass ich überhaupt nicht auf ein Motorrad steigen kann.
Noah ist verhältnismäßig ruhig und sitzt in einem seiner komischen Hawaiihemden auf dem Sofa. Er bastelt eins dieser Freundschaftsbändchen, und ich bin mir gar nicht sicher, für wen zum Teufel er das schon wieder macht. Vielleicht für irgendein Groupie, das er nachher anschleppen wird. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich der Einzige bin, der aus dem letzten Jahr gelernt hat. Aber andererseits hat es auch nur mich betroffen, also, warum sollte der Rest lernen? Es reicht auch, wenn einer zum grüblerischen Griesgram mutiert ist und sich den Spaß an allem verderben lässt.
Ich beobachte meine Freunde, und wieder einmal wird mir klar, wie verdammt viel Glück ich habe. Wir kennen uns seit so vielen Jahren. Ich kenne jeden von ihnen in- und auswendig, kann fast schon vorhersagen, wie sie reagieren werden und was sie gerade treiben. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich genau das gleiche Bild, wie wenn ich sie offen habe. Ich weiß, dass Mr. Freud – also Sam – an seiner Kaffeemaschine rumschraubt und jedem ein gutes Gefühl zu geben versucht, und ich weiß, dass West, während er auf seinen Erdnüssen herumkaut, die nächste Motorradtour plant. Ich meine, welcher verdammte Rockstar nimmt in seinem Anhänger zwei Motorräder mit, nur um die Welt erkunden zu können? Als würden wir nicht schon genug rumkommen. Aber so sind sie, jeder mit seinen eigenen kleinen Eigenheiten, und ich liebe sie, jeden Einzelnen von ihnen.
Im Hintergrund höre ich die Crew, wie sie alles für das heutige Konzert vorbereitet, so es denn eins gibt, denn ohne Kabel keine Mikrofone, ohne Mikrofone keine Musik und ohne Musik kein Konzert. Es ist eine ganz einfache Rechnung. Timothy, unser Manager, rennt aufgeregt auf und ab und schreit den Crewmitgliedern Anweisungen zu. Es ist nicht die gleiche Crew wie sonst, deswegen ist es am Anfang ein wenig unkoordinierter als am Ende der letzten Tour, aber ein paar bekannte Gesichter sind auch dabei. Die Visagistinnen und unser Styling-Team sind die Gleichen. Nette Mädels, von denen ich mich fernhalte, denn ich habe keine Lust darauf, beim nächsten Konzert wie ein Clown rumzulaufen, weil ich Emely das Herz gebrochen habe und sie mir deswegen komische Schminke ins Gesicht klatscht. Ich hasse diese Schminkerei sowieso. Es fühlt sich falsch an und irgendwie, als hätte ich Spachtelmasse auf den Wangen. Ich kann nicht verstehen, warum Frauen das tun und jeden Tag damit so viel Zeit verschwenden. Andererseits können viele auch nicht verstehen, warum ich rauche und mir ständig Whiskey hinter die Binde kippe, also, wer bin ich, über Make-up zu urteilen?
Hätte ich meine Prinzipien nicht, wäre Mia wohl absolut mein Beuteschema gewesen. Die Stylistin ist einfach superheiß, schlank mit großen Titten. Ich bin mir ziemlich sicher, sie sind gemacht.
Während ich die Jungs vom Aufbauteam dabei beobachte, wie sie die letzten Vorkehrungen an der Bühne hinter sich bringen, kommt Chloe zurück und wedelt aufgeregt mit den Kabeln.
»Es kann losgehen, es kann losgehen«, schreit sie, und ich bin mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll, aber es kann losgehen, also kippe ich mein Glas Whiskey auf ex und stehe auf.
Ich habe meinen Job zu machen, ob ich ihn nun mag oder nicht.
* * *
Das Konzert ist noch besser als das im Vorjahr. Es ist um so vieles besser als alles, was ich mir hätte erträumen können. Es ist der Wahnsinn, wir stehen in der ersten Reihe, weil ich Sarah dazu genötigt habe, schon nachts vor der Halle zu campieren, um unter den Ersten zu sein, die quer über das Areal rennen und in vorderster Front an der Absperrung stehen.
Nun bin ich hier, dort wo ich immer sein wollte. Ganz vorne in der ersten Reihe, fast greifbar nah an Nash, und er ist unfassbar schön. Alles an ihm, ich liebe seine breiten Schultern und diese energiegeladene Art, mit der er sich bewegt. Ich liebe seine kurzen Haare, die nicht typisch Rockstar sind, aber deswegen umso sexyer, und diesen leichten Bartschatten, der sich um sein kantiges Kinn legt. Ich liebe die Lederjacke, die seinen Körper noch mehr betont, genauso wie das enge Shirt, das er darunter trägt. Die Jeans zeigen mir seinen knackigen Arsch, in den ich so gerne einmal hineingreifen würde. Alles an ihm ist perfekt. Vor allem seine rauchige Stimme, die so klingt, als würde er den ganzen Tag nur Zigaretten inhalieren und Whiskey trinken.
Ich liebe jede seiner Bewegungen und kann mich gerade noch so zusammenreißen und nicht über die Absperrung klettern, um mich wie ein fanatisches Groupie an sein Bein zu klammern. Okay, ein fanatisches Groupie bin ich, ich gebe es zu. Ich würde so ziemlich alles dafür tun, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Wahrscheinlich steht Sarah deswegen so nah neben mir, um dafür zu sorgen, dass ich mir nicht das T-Shirt vom Leib reiße.
Nicht, dass sie eine andere Wahl gehabt hätte, denn es ist verdammt eng, und von allen Seiten schieben Leute, die noch näher an Nash heranwollen. Ich bin mir sicher, es ist nur Nash und nicht der Rest der Band. Aber um ehrlich zu sein, bin ich da ein wenig voreingenommen, denn ich bin absolut bis über beide Ohren in Nash verknallt, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe.
Es ist einfach Wahnsinn. Ich juble mit den anderen Fans, springe auf und ab und fühle jeden Bassschlag, jeden Gitarrenzug, jeden Keyboardanschlag. Ich spüre die Musik bis tief in mir, ihr Vibrieren und wie die Songtexte, die Nash mit seiner rauchigen Stimme singt, meine Seele erreichen. Wahrscheinlich hätte er mir auch die Packungsbeilage von Toilettenpapier vorlesen können, und ich hätte es trotzdem gefeiert, denn allein zu sehen, wie seine Lippen sich bewegen, beschert mir eine Gänsehaut.
Ich singe laut mit, jede Zeile, jede Silbe und spüre, wie die Musik mich durchflutet und mein Leben ein kleines bisschen besser macht. Sarah neben mir kennt auch jeden Songtext, aber weniger, weil sie die Musik so feiert wie ich, sondern weil sie bei mir tagein, tagaus im Auto, in der Wohnung und überall nur diese Musik hört. Ich liebe das neue Album. Never Mind ist der Wahnsinn, und auch die alten Songs gehen mir durch und durch.
Ich bekomme nicht genug von den Heartbreakern und vor allem nicht genug von Nash. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich bewegt, und kann den Schmerz, den er in seinem Song ausdrückt, fast schon auf seinem Gesicht erkennen. Als würde er ihn wirklich fühlen, in jeder Sekunde. Und während er Zeile für Zeile des traurigen Lovesongs singt, schweift sein Blick über die Menge, und ich kann es nicht fassen, aber er trifft auf meinen. Für einen Moment haken sich unsere Blicke ineinander, und es ist so intensiv, dass es mir durch Mark und Bein geht. Es ist, als könnte er mir bis in meine Seele sehen wie auch ich in seine und den Schmerz dort erkennen.
Schmerz, der sich bis tief in meinen Bauch gräbt und diesen zusammenkrampfen lässt, als würde ich ihn selbst fühlen. Seine Lippen bewegen sich noch immer, aber ich höre keinen Ton mehr, denn ich kann mich nur darauf konzentrieren, was ich in seinen Augen entdecke.
Augen, die beinahe schwarz sind.
Augen, die mich fesseln und faszinieren, schon auf Bildern, aber live und so nahe ist es kein Vergleich.
In dem Moment bin ich mir sicher, dass ich mein Herz an Nash verloren habe. Ich war vorher schon vernarrt in ihn, aber das, was jetzt gerade geschieht, ist unbeschreiblich, als würden zwei Seelen sich wiederfinden. Meine Bewegungen erlahmen, und ich kann ihn einfach nur anstarren. Er ist so unglaublich schön, so unglaublich perfekt. Er ist das Ebenbild des Typs Mann, den ich schon mein ganzes Leben vergöttere.
Und dann, viel zu schnell, reißt er seinen Blick wieder los, und es fühlt sich fast so an, als würde er dabei mein Herz brechen, denn ich war noch nicht fertig.
Doch um ehrlich zu sein, würde ich wohl niemals genug davon bekommen. Keuchend stoße ich den Atem aus und stelle jetzt erst fest, dass ich die Luft angehalten habe, während ich ihn einfach nur anstarren konnte.
Er geht auf die andere Seite der Bühne, während er seinen Song weiterperformt, als wäre nichts gewesen. Dabei war es doch alles. Er muss es doch auch gespürt haben. Diese besondere Verbindung zwischen uns. Als würden zwei Seelen sich wiedererkennen. Ich halte mich am Absperrgitter fest und versuche wieder zu Sinnen zu kommen, so intensiv war dieser eine Blickkontakt zwischen uns.
»Kippst du mir gleich um?« Sarah lacht und stupst mich in die Seite.
»Du hast es also auch bemerkt?«, frage ich sie und suche ihren Blick.
Sie verdreht die Augen. »Na ja, das war wohl kaum zu übersehen«, sagt sie. »Ihr habt euch ja fast schon angeschmachtet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir die Mädels neben dir gerade gerne die Augen auskratzen würden.«
Sie lacht, doch als ich mich umdrehe, bemerke ich tatsächlich einige feindselige Blicke und kann sie nachvollziehen. Würde jemand neben mir stehen und Nash mit ihr diese Verbindung aufbauen, hätte ich wohl ein Messer gezogen und würde sie heimtückisch erstechen.
Doch so zucke ich nur mit den Schultern und versuche mich wieder auf die Musik zu konzentrieren und den Rest des Konzerts zu genießen. Ich springe wieder mit, fühle den Takt und den Beat und schaue den Bandmitgliedern dabei zu, wie sie ihre Soli absolvieren. Sam, wie er in die Tasten haut und leidenschaftlich auf dem Keyboard klimpert. West mit seiner Gitarre, die er hält, als wäre sie etwas ganz Besonderes und ein kostbarer Schatz, und gleichzeitig energisch in die Saiten greift und das Letzte aus dem Instrument rausholt. Ich mag die Art, wie Noah auf dem Schlagzeug spielt und der ganzen Welt zeigt, dass er der absolut perfekte Drummer ist.
Jeder der Heartbreaker ist perfekt, aber die Band ist nur, was die Band ist, weil Nash sie dazu macht. Nash ist wie das Aushängeschild, wie ein Magnet, der all die Frauen anzieht und dafür sorgt, dass sie nie wieder von seiner Seite weichen wollen. Zumindest geht es mir so. Ich bin absolut gefesselt von ihm und werde auf jedem beschissenen Konzert sein, sofern es mir möglich ist. Hier in Chicago und dann nächste Woche in New York. Ich bekomme einfach nicht genug von ihnen und nicht genug von Nash und möchte keine Sekunde missen.
Die Musik nimmt mich wieder mit, und ich springe auf und ab wie all die anderen. Fühle sie und genieße sie. Ab und zu, für einen winzigen Augenblick habe ich das Gefühl, dass Nash erneut in meine Richtung schaut und sich unsere Blicke für eine Millisekunde kreuzen.
Aber die Momente sind so kurz, dass ich mir nicht sicher bin, ob er es absichtlich macht, meinem Blick bewusst ausweicht und trotzdem nicht aufhören kann, zu mir zu gucken. Zumindest kommt es mir so vor. Aber was hätte er für einen Grund? Wenn er mich will, muss er nur einen Ton sagen, und ich würde ihm überallhin folgen, immer.
* * *
Unser erstes Konzert ist trotz der anfänglichen Schwierigkeiten ein voller Erfolg geworden. Achtzigtausend begeisterte Fans haben unsere Musik gefeiert, sind auf- und abgesprungen und haben jeden einzelnen Song mitperformt. Das Highlight war die große Pyrotechnik am Ende unserer Show, die wir dieses Jahr zum ersten Mal haben. Um ehrlich zu sein, hat sie mich selbst ziemlich begeistert.
»Whohoo«, jubelt Noah und schlägt sich mit mir ab, als wir in den Backstagebereich gehen, wo bereits unsere Drinks auf uns warten. Auch West hebt beide Hände, und wir schlagen uns über den Köpfen ab.
»Was für ein geiles Konzert«, sagt er, und ich muss ihm recht geben. Es war ein unglaubliches Gefühl, wieder auf der Bühne zu stehen, auch wenn ich mich davor noch so sehr gesträubt habe.
»Definitiv«, antworte ich und greife nach der Zigarettenschachtel, die auf dem kleinen Couchtisch zwischen den Ledersofas liegt.
»Und du?«, sagt Sam und klopft mir auf die Schulter. »Du hast dir schon wieder ein Groupie an Land gezogen, oder was?«
Alle lachen, aber mir ist ehrlich gesagt nicht nach Lachen zumute, denn ich weiß genau, wen er meint.
»Ich habe niemanden an Land gezogen.« Ich stecke mir die Kippe zwischen die Lippen und zünde sie an.
Während des ersten Zuges schließe ich die Augen, sauge den Rauch tief in meine Lungen, und sofort habe ich wieder ihren Anblick vor meinem inneren Auge. Ich erinnere mich an alles. An ihre vollen Lippen und die dunklen langen Haare, die in diesen gerade so modernen Beachwellen über ihre schlanken Schultern fallen. Die kleine Stupsnase, aber vor allem diese intensiv eisblauen Augen, die beinahe dafür gesorgt hätten, dass ich meinen Songtext vergessen hätte. Sie hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ganz eindeutig. Hat mich völlig aus dem Konzept und meine Welt ins Wanken gebracht.
Sie ist unfassbar schön. Sie ist meine absolute Traumfrau, auch wenn sie ein definitives No-Go ist, weil sie genauso aussieht wie Chelsea. Eins zu eins. Wie Chelsea in Atemberaubend, wie Chelsea in unfassbar Schön und mit ziemlich großen Silikontitten, da bin ich mir sicher. Ihr Ausschnitt war so tief, dass er wenig der Fantasie überlassen hat.
Doch diese Augen … Sie hat mich gefangen gehalten, und ich habe nicht wegsehen können. Und selbst dann, als ich es endlich geschafft habe, mich von ihr loszureißen und meinen Job zu machen, habe ich ihren Blick die ganze Zeit in meinem Nacken gespürt. Dieses Kribbeln, das durch meinen Körper gegangen ist und mich einfach nicht losgelassen hat.
Immer wieder habe ich zu ihr gesehen und bin auf diesen Blick aus den eisblauen Augen gestoßen, einen Blick, der dafür gesorgt hat, dass mein Herz schneller schlägt und ich mich ganz komisch gefühlt habe. Selbst jetzt noch, wenn ich daran zurückdenke.
Ich nehme die Whiskeyflasche und gieße mir einen Schluck davon ins Glas. Ich beantworte Sams Pseudo-Frage nicht, da es ja überhaupt keine Frage war, und dennoch spüre ich, dass er mich beobachtet.
»Hör auf damit, Sigmund Freud.« Ich trinke das Glas auf ex.
Wieder sehe ich sie vor mir, alles an ihr. Sie ist wunderschön, sie ist eine Traumfrau.
»Ich mach doch gar nichts«, sagt Sam, aber ich sehe am Zucken seiner Mundwinkel, dass ihm durchaus bewusst ist, dass er mich gerade in den Wahnsinn treibt.
»Wenn sie dir so gefällt … also, ich bin mir ziemlich sicher, dass Matt nach draußen geht und sie für dich sucht«, wirft Noah ein und bindet sich die langen Haare zusammen.
Ich schnaube. »Als würde ich jemals wieder ein Groupie in meiner Nähe haben wollen.« Ich fülle mein Glas nach. »Ich will kein Groupie. Nie wieder.«
»Es war nicht deine Schuld«, sagt Sam leiser, weil ich weiß, dass er die Stimmung nicht drücken will.
Aber meine Stimmung ist sowieso am Arsch, wann immer ich an Chelsea denke.
Und dass die Frau in der ersten Reihe wohl die perfekte Version von ihr ist, macht es auch nicht besser. Ich schüttle den Kopf und ziehe an meiner Zigarette. Ich liebe die Jungs, aber manchmal hasse ich sie, so wie jetzt.
»Aber dieses Feuerwerk«, meint West in dem Moment. »Boom Boom …« Mit seinen Händen ahmt er die Pyrotechnik nach.
Grinsend nicke ich, obwohl mir nicht nach Grinsen zumute ist.
»Das war der Wahnsinn, und es hat sie alle geflasht«, gebe ich zu und proste dann den Jungs zu.
Die anderen heben auch ihre Gläser und stoßen mit mir an. Es war das perfekte Konzert, der perfekte Auftakt zu einer Tour, die hoffentlich ebenso perfekt werden wird.
»Auf Never Mind«, sagt Noah, und wir trinken.
Dann hebt West das Glas. »Auf die Never-Mind-Tour.«
Ich verdrehe die Augen, aber tue es ihm gleich und trinke nochmal einen Schluck, nachdem wir angestoßen haben.
Meine Jungs. Es fühlt sich gut an, sie um mich zu haben, sie sind meine Konstante in diesem verrückten Leben, das im letzten Jahr irgendwie vollständig aus den Fugen geraten ist. Sie sind mein Anker zu dieser Welt und wahrscheinlich der einzige Grund, warum ich das Ganze nicht schon lange beendet habe.
Ich habe niemanden außer ihnen. Sie sind meine Familie. Von meiner echten Familie habe ich mich schon sehr lange verabschiedet. Genau genommen zu dem Zeitpunkt, als ich gesagt habe, dass ich ein Rockstar werden will, und mein Dad mich dafür vor die Tür gesetzt hat.
Wenn ich keinen richtigen Job habe, dann brauche ich auch nicht Teil dieser Familie zu sein.
Wichser. Jetzt gebe ich einen Fick auf sie und alle, die damals nicht an uns geglaubt haben. Ich lasse sie nicht zurück in mein Leben, niemals! Denn ich brauche keine Trittbrettfahrer, die immer nur abkassieren wollen und in Zeiten, in denen es mal schwer oder ungewiss ist, nicht hinter einem stehen.
Ich brauche nur meine Jungs und Timothy, diese Crew, die all dies möglich macht. Ich brauche mich, und mich habe ich, um ehrlich zu sein, im letzten Jahr verloren.
Wieder stehen wir ganz vorne, Sarah und ich – Seite an Seite und feiern jeden Song der Heartbreaker. Aber heute fühlt es sich noch besser an, denn nach dem Blickkontakt von letzter Woche spüre ich, dass mir etwas ganz Besonderes bevorsteht. Bestimmt wird Nash mich wieder ansehen, wir werden wieder unsere Blicke ineinander verhaken und wieder dieses berauschende Gefühl in mir auslösen. Ich weiß es einfach, ich sehe es kommen, ich spüre es, und ich brauche es. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Junkie auf Entzug, und wenn ich ehrlich bin, ist es ein beschissenes Gefühl.
Je mehr ich von Nash bekomme, desto mehr sehne ich mich nach ihm und desto mehr wünsche ich mir von ihm. Es ist wie ein Teufelskreis, der mich wohl niemals befriedigen wird. Aber es ist mir egal, denn ich will mehr, und ich brauche mehr.
Sarah ist dieses Mal tatsächlich ein bisschen bereitwilliger mitgegangen und kann langsam, aber sicher zumindest ein bisschen nachempfinden, was in mir vor sich geht, wenn ich die Heartbreaker spielen sehe. Sie lässt sich ebenfalls mitreißen und genießt das Konzert, die Songs, die Stimmung, die Art, wie alle Fans mitfiebern und jeden Song mitsingen können. Das Auf- und Abspringen und die Begeisterung, die durch eine unfassbare Menge von siebzigtausend Leuten geht.
Und dann ist es so weit, wieder trifft sein Blick auf meinen, und ich sehe die Überraschung in seinen Augen.
Erinnert er sich wirklich an mich? Mein Herz schlägt schneller, und ich lächle ihm schüchtern zu. Dabei ist es gar nicht meine Art schüchtern zu sein. Ich bin extrovertiert und weiß, wer ich bin und was ich zu bieten habe. Aber wenn es um Nash geht, knallen all meine Sicherungen durch. Für eine Sekunde scheint er den Kopf zu schütteln, als würde er einen Gedanken loswerden wollen, und dann konzentriert er sich wieder auf seinen Song.
Es war nicht dieses gleiche lange Verharren wie beim letzten unserer Blickkontakte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich wiedererkannt hat. Ich grinse verliebt vor mich hin und feiere diese Texte noch mehr. Feiere jede Silbe, jede Zeile und spüre, dass auch Sarah sich anstecken lässt.
Wir lachen und springen auf und ab, und jedes Mal, wenn Nashs Blick auf meinen trifft, setzt mein Herz einen Schlag aus. Es kann nicht gesund sein, aber es fühlt sich verdammt gut an. Dieses Mal schaut er öfter zu mir, als müsste er sich vergewissern, dass ich wirklich die Gleiche bin wie beim letzten Konzert, und ich würde es ihm so gerne sagen, würde ihm schwören, dass ich bei jedem weiteren Konzert in der ersten Reihe stehen werde, wenn er mich noch einmal so anschaut. Mehr will ich nicht, mehr brauche ich nicht.
»Mein Gott, kannst du verliebt grinsen«, sagt Sarah in einer kurzen Pause, in der West irgendeine Anekdote von einem der anderen Konzerte ins Mikrofon quatscht.
»Ich schau nicht nur so, ich bin verliebt«, antworte ich und verdrehe lächelnd die Augen.
»Ob das noch gesund sein kann?« Sarah kichert.
»Ziemlich sicher nein. Mein Herz hat schon Rhythmusstörungen«, gebe ich zurück und deute auf meine Brust.
»Könnte an den fetten Silikontitten liegen«, murrt die Tussi neben mir mit nasaler Stimme, und ich kann den Hass schon fast heraushören.
Ich gehe nicht darauf ein, sondern verdrehe einfach nur in Richtung Sarah die Augen und wende mich dann wieder der Bühne zu. Genau im richtigen Moment, denn Nash sieht wieder zu mir, und unsere Blicke kreuzen sich. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sein Mundwinkel zuckt, und allein das reicht aus, um mir die Knie weich werden zu lassen.
Das ist der beste Sommer meines Lebens. So viel ist sicher!
* * *
Da sind sie wieder, diese blauen Augen, die mir durch Mark und Bein gehen. Diese Frau, die mich vom letzten Konzert bis zum heutigen Tag in meinen Träumen und meinen wachen Phasen verfolgt hat. Es fühlt sich an, als könnte sie bis in meine Seele blicken, als würde sie all diese bösen Dämonen in mir sehen, die ich selbst so dringend verdrängen möchte. Ich reiße meinen Blick von ihr los und versuche mich wieder auf meinen Song zu konzentrieren. Auf den Rhythmus und die Liedzeilen, darauf, das ganze Publikum mitzunehmen und mich nicht wie ein Bekloppter vor sie zu stellen und sie einfach nur anzustarren.
Ich kann diesen Funken nicht beschreiben, den sie in mir auslöst, dieses Kribbeln, das meine Wirbelsäule hoch und runter rast. Ich kann nichts davon beschreiben, nichts davon erklären, genauso wenig wie ich in den letzten Monaten meinen Freunden erzählen konnte, was in mir vor sich ging, diese Hilflosigkeit und dieses Gefühl, vollkommen zu versagen, nicht erklären zu können, was das alles in mir auslöst und wie es mir damit geht. Als würde ich mit irgendjemandem darüber reden wollen, ich wollte mich einfach nur in irgendeiner Ecke verkriechen und diese Trauer in Whiskey ertränken.
Wieder schweift mein Blick über die Menge und bleibt an ihr hängen. Dieser einen Frau, die aus diesen Zehntausenden vor mir heraussticht. Ich weiß nicht, wie sie es macht, sie ist anders, sie ist auffällig, und wieder geht mir durch den Kopf, dass sie wie Chelsea aussieht, wie eine perfekte Version von ihr, eine Version, die ich in einem anderen Leben vielleicht tatsächlich hätte kennenlernen wollen. Eine Version, die ich schon nach dem ersten Konzert mit hinter die Bühne genommen hätte. Ich hätte backstage herausgefunden, ob mehr hinter dieser wunderschönen Fassade steckt, die absolut perfekt zu sein scheint.
In diesem anderen Leben habe ich aber keine Frau auf dem Gewissen, und deswegen kommt das hier definitiv nicht in Frage.
Das Tempo der Melodie ändert sich, und mir wird bewusst, dass wir bereits beim nächsten Song angekommen sind. Ich springe auf und ab, wie meine Freunde es tun, und versuche mich endlich wieder zu konzentrieren.
Aber es ist unmöglich. All meine Gedanken wandern ständig zu ihr, genauso wie mein Blick und mein Körper, der sich wie magisch angezogen immer wieder in Richtung der linken Bühnenhälfte bewegt, als wollte ich ihr näher sein, obwohl ich das gar nicht möchte.
Also gehe ich zurück zur rechten Seite, feiere exzessiv mit den Leuten in den vorderen Reihen, nur um aus dem Augenwinkel immer wieder sie zu beobachten. Ich spüre die Blicke meiner Freunde auf mir, ich weiß, dass sie es auch mitbekommen und dass ich mich selbst viel zu wenig im Griff habe. Ich weiß, dass ich mir nachher den gleichen Bullshit anhören werde wie nach dem ersten Konzert, aber ich kann es nicht ändern. Ich versuche es ja, aber es ist einfach unmöglich.
Ich weiß nicht, was sie mit mir macht und wie sie es macht, aber ich hasse sie ein klein wenig dafür. Oder mich, weil ich nicht genug Selbstbeherrschung habe. Es kommt das Gitarrensolo, das West auf seiner Erica schmettert, und ich klatsche die Hände über meinem Kopf zusammen.
Juble und feiere mit dieser unfassbaren Menge an Menschen direkt vor uns. Ich kann nicht mal bis zum Ende sehen, so viele stehen dort und springen auf und ab, feiern jeden einzelnen Takt der Musik. Ich sehe in ihre fast schon paralysierten Gesichter und wie sie mitgerissen werden von dieser Stimmung, ihre Hände, wie sie über ihren Köpfen klatschen und einfach alles geben, um diesen Moment auszukosten.
Ich sollte es genauso machen, anstatt mit meinen Gedanken wieder und wieder zu der Lady mit den blauen Augen zu wandern. Ich sollte diesen Moment genießen und nicht dauernd an die Vergangenheit denken und an die Zukunft und was ich sollte und was ich nicht sollte.
Allen voran sollte ich mein Leben genießen, schließlich war es kurz genug. Doch stattdessen drehen sich meine Gedanken um den immer gleichen Scheiß und dass ich es nicht ändern kann, dass ich die Vergangenheit nicht ändern kann, dass ich es nicht besser gewusst habe, dass ich meine Zukunft nicht beeinflussen kann, zumindest nicht in dem Maße, wie ich es mir vorstelle.
Ich habe Entscheidungen getroffen, die ich mehr als nur bereue, aber ich habe sie getroffen und kann es nicht zurücknehmen. Ich werde mit dem Ergebnis leben müssen, mein Leben lang.
Ob ich es hätte besser wissen sollen? Wahrscheinlich. Schließlich bin ich nicht der Erste, der in dieses Fettnäpfchen tritt.
Ob ich gedacht habe, dass ich besser und schlauer bin als alle anderen? Es scheint so, sonst wäre ich nicht meinem eigenen Größenwahn erlegen.
Ich hasse mich dafür, aber ich kann es nicht ändern. Es ist, wie es ist.
Wieder wandert mein Blick über die Menge, und mir ist bewusst, was für ein verdammter Glückspilz ich bin. Wer kann schon behaupten, seinen Traum zu leben? Dass ich nicht das Beste daraus gemacht habe, ist mein eigenes Problem. Ich hoffe, ich kann mir für mein nächstes Leben merken, dass ich auf die hören sollte, die es besser wissen, die den ganzen Scheiß schon hinter sich haben. Ich hätte auf die Großen im Business hören sollen, anstatt zu denken, dass ich es schon hinbekommen werde, denn ich habe es nicht hinbekommen, ganz eindeutig.
Und doch stehe ich hier und kann feiern, kann jubeln, kann singen und mit ihnen springen. Kann ihre vor Enthusiasmus verzückten Gesichter sehen, während Chelsea six feet under liegt und bereits von den Würmern aufgefressen wurde. Dieser Gedanke sorgt dafür, dass sich mein Magen verknotet, und ich bin heilfroh, dass wir schon beim letzten Song sind.
Dann haben wir das Konzert hinter uns gebracht, und es ist fast wie im Flug vergangen. Ich kann mich an die einzelnen Lieder überhaupt nicht erinnern, ich kann mich an gar nichts erinnern außer an sie und ihre stechend blauen Augen.
Die Fans jubeln, wollen eine Zugabe, und natürlich geben wir ihnen diese. Die ist fest vorgesehen, mit eingerechnet im Zeitplan und in unserer Songliste. Wir spielen ein Lied, das jeder Einzelne der Heartbreaker-Fans kennt. Es ist ein Breakup Song von einer verlorenen Liebe, den Sam geschrieben hat. Also nicht allein, denn wir machen das alles zusammen, aber es war seine Idee, und es war sein Hook, der diesem Meisterstück zum Erfolg verholfen hat. Wir singen ihn, und die irgendwie traurigen Zeilen sorgen dafür, dass sich mein Magen noch mehr verknotet und mein Blick noch öfter als den Rest des Konzerts zu der Frau mit den eisblauen Augen wandert.
Und dann habe ich es endlich geschafft. Flüchte fast schon backstage und bin froh, dass ich sie endlich hinter mir lassen kann. In der Hoffnung, dass ich sie in der nächsten Stadt nicht wiedersehen muss. Ich weiß nicht, wie oft ich ihren Anblick noch ertrage oder ob ich zukünftig mit einer Sonnenbrille auf die Bühne gehen muss, die mich blind macht. Fast schon ein wenig erschöpft von meinem eigenen Gedankenkarussell schlage ich mich mit den Crewmitgliedern ab und schließlich auch mit Timothy, unserem Manager, der backstage bereits auf uns wartet.
Ich lasse mich auf eines der kleinen Sofas fallen und schnappe mir meine Whiskeyflasche. Mit zitternden Fingern schenke ich mir ein Glas ein und bin froh, dass ich den ersten Schluck trinken kann, bevor meine Bandkollegen ebenfalls eintreffen. Nur einer fehlt, Noah, und dass er fehlt, gibt mir irgendwie ein verdammt ungutes Gefühl, aber ich versuche es zu ignorieren und schließe die Augen, kippe den Rest des Whiskeys auf ex und hoffe einfach, dass dieser verdammte Abend vorbeigeht und ich die Frau mit den eisblauen Augen endgültig vergessen kann.
* * *
Ich kann noch immer nicht richtig glauben, dass es tatsächlich schon wieder vorbei ist. Das Konzert hat doch gerade erst angefangen, und zack sind die zwei Stunden einfach vorüber. Zwei Stunden, die viel zu kurz waren, denn ich will noch ewig hier stehen und Nash anhimmeln. Will seine dunklen Augen auf mir spüren und das Gefühl, dass er mich wirklich sieht. Doch ich spüre, dass der Druck in meinem Rücken nachlässt und die Ersten bereits die Arena verlassen. Ich weiß, dass es nicht mehr allzu lang dauert, und Sarah wird auch rumnörgeln und nach Hause oder in irgendeine Bar auf einen Drink wollen.
Aber ich will hier nicht weg, ich will hier bleiben, den Moment genießen und diese winzig kleine Hoffnung in meinem Bauch behalten, dass sie noch einmal zurückkommen und einen weiteren Song, eine weitere Zugabe spielen.
Und all das will ich heute und nicht erst nächste Woche auf dem dritten Konzert!
Sarah wird nicht mit mir nach New York fahren. Dafür Lilly und ich freue mich darauf, sie wiederzusehen und dass wir zwei wundervolle Konzerte miteinander genießen werden.
Ich habe Lilly im letzten Jahr über mein Studium kennengelernt, als ich ein Praktikum in ihrer Firma gemacht habe. Damals hat sie frisch ihr Baby bekommen, und ich konnte einige ihrer Arbeiten übernehmen, wenn sie früher nach Hause musste oder keinen Babysitter hatte. Es war eine tolle Erfahrung, und sie jetzt wiederzusehen und mit ihr zusammen New York zu erkunden, wird ganz fantastisch sein. Ich wollte sie auf jeden Fall in New York besuchen, aber dass ich mit ihr sogar auf zwei Konzerte gehe, ist der absolute Hammer.
»Können wir gehen?«, fragt Sarah, und ich kann nicht verhindern, dass ich genervt die Augen schließe.
Ich habe es bereits erwartet, und doch habe ich gehofft, dass sie mir noch ein paar Minuten länger geben wird.
»Oder wir bleiben noch einen Moment und genießen die Atmosphäre.« Ich lächle ihr zu.
Sie verdreht ebenfalls die Augen, und ich weiß, dass sie meinen Enthusiasmus nicht versteht. Doch noch bevor sie antworten kann, schiebt sich ein Securitymann in unser Sichtfeld. Ein bisschen Angst habe ich, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben, dabei stehen wir doch nur hier und warten auf mehr Musik oder noch eine Zugabe. Seltsamerweise geht mir das auch bei Polizeiautos so. Sobald ich eines in der Ferne sehe, habe ich das Gefühl, einhundert Straftaten begangen zu haben und dafür landesweit gesucht zu werden.
»Miss?« Er spricht tatsächlich mich an.
Überrascht schaue ich mich um, um mich zu vergewissern, ob er wirklich mich meint.
»Ja?«, frage ich unsicher und wechsle einen Blick mit Sarah, die genauso ratlos aussieht, wie ich es bin.
»Eines der Bandmitglieder hat Sie eingeladen backstage zu kommen. Interesse?«
Meine Kinnlade klappt nach unten, und ich sehe Sarah an, dass es ihr ebenfalls geht.
»Ich?« Meine Stimme klingt quietschig.
Er nickt. Dann deutet er mit dem Kinn auf Sarah. »Deine Freundin kannst du natürlich mitnehmen.«
»Ich … äh«, stammle ich. »Wir gehen doch, Sarah, oder? Oder wir gehen doch?«, frage ich stotternd und nicke die ganze Zeit, als hätte ich irgendeine Art epileptischen Anfall.
Auf Sarahs Gesicht erscheint ein breites Grinsen. »Natürlich gehen wir. Genau deswegen sind wir doch hier, oder etwa nicht?«
Ich erwidere ihr Grinsen. »Und ob.«
Meine Hände zittern, als ich nervös und mit Hilfe des Securitys über die Absperrung klettere. Die Frauen neben mir hätten mir wohl gerne die Augen ausgekratzt oder mir zumindest eine Axt in den Rücken geschlagen. Da bin ich mir sicher, aber es ist mir so was von egal. Jetzt gerade in diesem Moment wird mein absoluter Traum wahr. Mein Herz pumpt unfassbar schnell in meiner Brust, und meine Hände sind schweißnass. So nass, dass es mir leidtut, sie dem Security-Typen in die Hand drücken zu müssen, aber wahrscheinlich wird er das schon gewöhnt sein.
Hysterische Fans backstage bringen zu müssen scheint eine seiner Aufgaben zu sein, denn er ist keineswegs überrascht oder aus dem Konzept, sondern es fühlt sich so an, als würde er genau das jeden Tag tun. Und selbst wenn, es kümmert mich nicht. Ich freue mich einfach nur darauf, endlich mein Idol hautnah kennenzulernen. Meine Knie sind weich wie Pudding, als er uns den schmalen Gang entlang in den Backstagebereich führt. Mein Herz überschlägt sich fast, und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Am liebsten hätte ich den Typ an der Jacke gepackt, geschüttelt und gefragt, wo das nächste Badezimmer ist, damit ich mich noch etwas frischmachen kann. Ich will mein Make-up kontrollieren, mein T-Shirt geraderücken und meine Brüste in Position bringen, damit sie auf jeden Fall Nashs Aufmerksamkeit erregen.
»Kneif mich mal«, flüstere ich Sarah zu und stupse sie mit dem Ellenbogen an. »Kneif mich. Ich bin mir sicher, dass das gerade nicht wirklich passiert.«
Sie lacht leise. »Es passiert wirklich. Glaub mal, ich kann es selbst nicht fassen, aber es passiert wirklich. Ich habe dich immer wegen dieser Hoffnung für verrückt gehalten, aber es passiert. Du hattest recht, Süße.«
Sie klingt fast so aufgeregt, wie ich es bin, obwohl sie doch überhaupt kein Interesse an den Heartbreakern hat. Ich bin das verrückte Huhn, das nicht genug von ihnen bekommt. Wahrscheinlich werde ich jeden Moment hyperventilieren. Mein Herz rast, meine Atmung geht viel zu schnell, und mein ganzer Körper fühlt sich an, als wäre er aus Pudding. So schwabbelig und wabbelig, als könnte ich keine Sekunde länger aufrecht stehen.
Ich versuche ruhiger zu atmen, damit ich nicht keuchend wie nach einem Marathonlauf im Backstagebereich ankomme. Aber es ist völlig aussichtslos. Ich bin so aufgeregt, dass es gut möglich ist, dass ich irgendwann in der nächsten Sekunde einfach umkippe. Ebenfalls im Bereich des Denkbaren wäre, dass ich bei Nashs Anblick in Ohnmacht falle, als wäre ich eine von diesen mittelalterlichen Damen mit viel zu engem Korsett.
Und dann öffnet der Securitymann eine Tür, auf der der Name der Band steht. Dahinter warten also alle vier Bandmitglieder.
Oder vielleicht nur einer?
Nein.
Oder?
Das würde er nicht machen. Wir würden doch jetzt einfach nur eine Backstage-Party feiern und danach vielleicht in sein Hotelzimmer gehen … und dann nach Vegas fliegen, und wir würden heiraten und siebzehn Kinder bekommen. Mein Plan für heute Nacht.
Grinsend schüttle ich über meine wirren Gedanken selbst den Kopf und kann nicht fassen, was ich mir da oben zusammenspinne, aber ich bin einfach total durch den Wind.
»Hey hey, da seid ihr ja.« Noah springt von seinem Platz auf.
Noah. Nicht Nash.
Ich bin einen Moment verwirrt, aber dann schlägt er sich mit dem Security ab. »Danke, Mann, genau, das ist sie.«
Noah legt mir einen Arm um die Schultern und zieht mich in den Raum, in dem ein paar niedrige Sofas stehen und kleine mit Flaschen und vollen Aschenbechern überladene Beistelltische. Dort gibt es ebenfalls Schalen mit Erdnüssen, und überall zwischen dem ganzen Krimskrams liegen unzählige Erdnussschalen.
Mir gegenüber sehe ich West, der auf einem der Sofas nach hinten gelehnt dasitzt, sich die Nüsse in den Mund schmeißt und die Schalen dann einfach zu Boden fallen lässt oder auf den Tisch wirft.
»Hey Ladys«, sagt er kauend und grinst uns frech an.
Noah zieht mich weiter in den Raum. Nervös klammere ich mich an Sarahs Hand fest. Nur Noah, ich meine, natürlich ist Noah auch ein Rockstar, und er ist heiß, aber er ist nicht Nash, und ich bin ganz eindeutig in Nash verknallt.
Verwirrt blicke ich zu Noah auf und scanne den Raum dann nach Nash ab. Da ist er. Krampfhaft versuche ich in Nashs Augen zu erkennen, was in ihm vor sich geht, aber er weicht meinem Blick aus. Er starrt auf den Boden, dann greift er nach einer Whiskeyflasche und füllt sein Glas.
»Wie heißt du, Süße?«, fragt Noah und drückt meine Schulter.
Es dauert einen Moment, bis seine Frage bei mir ankommt. Verpeilt blicke ich zu ihm auf.
»Ähm … Joy. Mein Name ist Joy.« Im Augenwinkel sehe ich, wie Nash zusammenzuckt.
»Hast du gehört, Nash? Kumpel, schau sie dir an. Das ist Joy, Joy mit den schönen Augen … den vier schönen Augen«, sagt Noah anzüglich und lacht dann. »Setzt euch, Ladys, was wollt ihr trinken?«
Er schiebt uns zu dem leeren Sofa auf der linken Seite, und ich lasse mich sofort auf den freien Platz links von Nash fallen. Diese Chance kann ich mir nicht entgehen lassen, auch wenn meine Freundin keinen Platz mehr neben mir hat. Sarah wirkt ein wenig verloren, aber setzt sich schließlich auf das zweite Sofa.
»Hi«, sage ich und höre selbst, wie zittrig meine Stimme ist. »Ich bin Joy.«
Er hebt nur langsam den Kopf, und als sein Blick auf meinen trifft, verhaken sie sich wieder ineinander. Es ist genauso wie dieser eine Moment, als wir uns das erste Mal gesehen haben. Ein Kribbeln jagt durch meinen gesamten Körper, und ich habe das Gefühl, dass er bis in meine Seele schauen kann.
»Joy«, sagt er mit rauer Stimme, als müsste er meinen Namen ausprobieren. Seine Lippen bewegen sich dabei auf dieselbe Art, wie wenn er seinen Songs Leben einhaucht. Das Kribbeln, das gerade noch meinen Rücken auf- und abgelaufen ist, sammelt sich zwischen meinen Beinen.
