Heilsam mit traumatischen Erlebnissen umgehen - Carolyn Yoder - E-Book

Heilsam mit traumatischen Erlebnissen umgehen E-Book

Carolyn Yoder

0,0

Beschreibung

Wie gehen wir heilsam mit traumatischen Erlebnissen um? Wie können wir Resilienz fördern und Kreisläufe der Gewalt überwinden – inmitten einer Welt, die mit Krieg, Ausgrenzung und Rassismus, mit dem Klimawandel, mit Pandemien und Terrorismus konfrontiert ist? Die Traumata unserer Welt gehen über einzelne und einmalige Ereignisse hinaus. Sie sind kollektiv, anhaltend und häufig Folge historischer Ungerechtigkeiten. Wie reagieren wir darauf besonnen und mutig statt unbedacht oder gar gewalttätig? Wie können wir die Resilienz einzelner Menschen sowie die unserer Gesellschaft stärken? Eine hilfreiche Einführung für persönlich Betroffene ebenso wie Verantwortliche in der Sozialen Arbeit, im Bildungs- und Gesundheitswesen, in Seelsorge und Beratung, in der Öffentlichen Verwaltung und in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 169

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Carolyn E. Yoder

Heilsam mit traumatischen Erlebnissen umgehen

Wege zu Resilienz, Frieden und Versöhnung

Aus dem Englischen übersetzt von Eva Weyandt

Für Doreen Ruto Jemutai

Nach dem Bombenanschlag auf die Botschaft der Vereinigten Staaten in Nairobi im Jahr 1998 machte sich Doreen, die bei dem Anschlag ihren Mann verloren hatte, mit ihren zwei kleinen Söhnen auf eine Reise, die sie unter anderem zum Center for Justice and Peacebuilding an der Eastern Mennonite University führte. In ihrem Studium als Fulbright-Stipendiatin konzentrierte sie sich auf Trauma, Resilienz, restaurative Gerechtigkeit und Friedensarbeit.

Nach ihrem Studium kehrte sie in ihr Heimatland Kenia zurück, wo sie die Daima Initiatives for Peace and Development ins Leben rief. Die Gründung dieser Initiative war für sie ein Weg, sich mit ihrem Schmerz und Verlust auseinanderzusetzen und etwas Gutes daraus entstehen zu lassen für andere, die ebenfalls mit Gewalt konfrontiert waren. Viel Gutes hat sie bewirkt, und außerdem machte sie Hunderte, vielleicht sogar Tausende Menschen in Kenia, Ruanda, der Somali-Region und dem Südsudan mit den STAR-Schulungen (Strategies for Trauma Awareness and Resilience) bekannt.

Doreens plötzlicher Tod im 21. Januar 2016 hinterlässt eine Lücke in der STAR-Gemeinschaft und in den Herzen all jener, die sie geliebt haben. Ruhe in Frieden, Doreen.

Aus dem Englischen übersetzt von Eva Weyandt, Berlin

Copyright © 2020 Carolyn E. Yoder

Die englische Originalausgabe dieses Buches erschien erstmals 2005 und dann 2020 in einer überarbeiteten und aktualisierten Ausgabe unter dem Titel The Little Book of Trauma Healing – When Violence Strikes and Community Security Is Threatened im Verlag Good Books

German translation rights arranged with Good Books, an imprint of Skyhorse Publishing, Inc.

All rights reserved

Edition Bienenberg, Band 9

Die Edition Bienenberg erscheint in Zusammenarbeit mit dem Bildungszentrum Bienenberg, Liestal/Schweiz, www.bienenberg.ch

Dieses Buch als E-Book: ISBN 978-3-86256-789-8

Dieses Buch als gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-86256-182-7

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar

Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf JohannsonUmschlagabbildung: photoBeard/Shutterstock.comKorrektorat: Dr. Marcus Weiand, Benjamin Isaak-KraußSatz: Neufeld Verlag

© 2022 Neufeld Verlag, Sauerbruchstraße 16, 27478 Cuxhaven

Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags

www.neufeld-verlag.de

Bleiben Sie auf dem Laufenden:

newsletter.neufeld-verlag.de

www.facebook.com/NeufeldVerlag

www.neufeld-verlag.de/blog

INHALT

Vorwort von Karen Hinrichs zur deutschen Ausgabe

Vorwort Die Anfänge von STAR

Kapitel 1 Einführung

Kapitel 2 Definition, Ursachen und Arten von Traumata

Kapitel 3 Das traumatische Erlebnis

Das STAR-Modell, Teil I

Kapitel 4 Kreisläufe der Gewalt durch nicht behandelte Traumata

Das STAR-Modell, Teil II

Kapitel 5 Kreisläufe der Gewalt durchbrechen und Resilienz entwickeln

Das STAR-Modell, Teil III

Kapitel 6 Die Anschläge vom 11. September und die Frage nach dem Durchbrechen der Kreisläufe

Das STAR-Modell anwenden

Kapitel 7 Wie also wollen wir leben?

Literaturauswahl

Material zu Gewaltfreiheit

Über die Autorin

Verzeichnis der Abbildungen

DANK

Dieses Buch aus der Reihe Little Books of … wurde möglich, weil viele Menschen ein Stück von sich selbst preisgegeben haben, um ein Werk zu schaffen, das größer ist als die Summe seiner Teile. Viele Personen und Organisationen haben zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Ohne sie würde es das STAR-Programm und dieses Buch nicht geben. Danken möchte ich:

>

Church World Service und Rick Augsburger, Leiter von CWS Disaster Response, für den Auftrag, nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Trauma-Programm ins Leben zu rufen, und für die großzügige finanzielle Ausstattung.

>

Den Dozentinnen und Dozenten sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Center for Justice and Peacebuilding (CJP) an der Eastern Mennonite University. Euer Engagement hat dieses innovative paradigmen- und fachübergreifende Schulungsprogramm möglich gemacht. Danke, Jayne Docherty (Fachbereichsleiterin für Menschliche Sicherheit und Friedensarbeit), Barry Hart (Trauma-Bewältigung und Friedensarbeit), Vernon Jantzi (Friedensarbeit und Fachbereichsleiter), Jannice Jenner (Leiterin des CJP Practice Institute), Ron Kraybill (Friedensarbeit), Lisa Schirch (Menschliche Sicherheit und Friedensarbeit), Nancy Good (Trauma-Bewältigung) und Howard Zehr (Restaurative Gerechtigkeit). Auch viele andere haben zur Entstehung von STAR beigetragen: Elaine Zook Barge, Vesna Hart, Amy Potter Czajkowski, Amela Puljek-Shank, die Co-Direktorinnen des New Yorker Büros Brenda Boyd Bell und Ruth Wenger Yoder sowie den Tausenden Teilnehmenden des STARSchulungsprogramms auf der ganzen Welt, deren Rückmeldungen die Inhalte des Programms weiterhin mitgestalten.

>

Dem Center for Strategic and International Studies in Washington DC (David Steele, Olga Botcharova, Barry Hart, Gerald Shenk) für ihre Konzepte

Sieben Schritte zur Rache

und

Sieben Schritte zur Vergebung

.

>

Der Unterstützung der STAR-Mitarbeitenden: Sharon Forret, Hannah Kelly, Shanti Martin Brown, Marsha Thomas, Kathy Smith und Robert Yutzy.

>

Für das Lesen des Manuskripts: Kristin Rothwell De-Mello und Rick Yoder.

>

Für die Beratung bezüglich des Inhalts: Elaine Zook Barge, Jayne Docherty, Joy Kreider, Donna Minter, Kathryn Mansfield und Howard Zehr.

>

Für das Geschenk eurer persönlichen Erfahrungen: Lam Cosmas und „Anna Kelly“.

>

Dem Herausgeber der Reihe

Little Books of …

Howard Zehr, Good Books und Skyhorse Publishing.

>

Den Korrektoren Cari Dubiel und Jim Clemens.

>

Der Lektorin Marian Sandmier von

The Gentle Pen

, deren Feinschliff genauso gnädig war, wie der Name vermuten lässt.

Vor allem aber danke ich meinem Mann und besten Freund Rick. Seit mehr als vier Jahrzehnten haben deine Liebe und deine ansteckende Begeisterung für das Leben diese Reise belebt und vorangebracht.

Carolyn Yoder, Harrisonburg, Virginia/USA

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Im Nordosten Nigerias, umgeben von den Spuren der Verwüstung, die die Terroristen von Boko Haram hinterließen, habe ich die englische Ausgabe dieses Buches von Carolyn Yoder im Sommer 2018 das erste Mal in der Hand gehabt. Mitglieder der Kirchenleitung der Kirche der Geschwister (EYN), die zwei Jahre zuvor an den zerstörten Sitz nach Kwarhi zurückgekehrt waren, berichteten von der Arbeit, die sie mithilfe dieses Buches in ihren Gemeinden und in den Camps für Binnenflüchtlinge begonnen hatten. Einige der Pfarrer und Mitarbeitenden dieser Friedenskirche hatten sich zuvor in Ruanda zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Traumabegleitung ausbilden lassen. Bis heute ist diese Arbeit bitter nötig, denn die Erfahrungen von Terror und Gewalt, Verfolgung und Vertreibung belasten die Frauen und Männer, die Kinder und Jugendlichen meist für ihr ganzes Leben.

Im Herbst 2019 begegnete mir das Buch als Unterrichtsmaterial wieder, als ich im Rahmen eines Forschungssemesters in den USA am Grundkurs und Aufbaukurs des STAR-Trainings in Minneapolis bzw. an der Eastern Mennonite University in Harrisonburg teilnehmen konnte (STAR: Strategies for Trauma Awareness and Resilience – Strategien zur Traumawahrnehmung und Resilienz). Die beiden Kurse gehören zu den besten Fortbildungen, die ich in meinem beruflichen Leben gemacht habe. Die Teilnehmenden kamen aus sehr unterschiedlichen Ländern, Berufen und kulturellen Kontexten. Sie waren beispielsweise Sozialarbeiterin, Bürgermeister, Lehrerin, Polizist, Leiterin eines indigenen Frauenzentrums, Mitglied einer Menschenrechts-Initiative oder Jugendrichterin. Viele waren für das STAR-Training aus Kriegs- und Post-Konfliktregionen in Nord- und Westafrika, aus Kongo, Kolumbien, Indonesien, Kanada angereist oder aus verschiedenen Städten in den USA, die sehr von Gewalt geprägt sind.

So verschieden die Situationen und Handlungsfelder waren, alle Teilnehmenden teilten das Anliegen, Verantwortung für Frieden und damit für die Überwindung von Zirkeln der Gewalt und Gegengewalt zu übernehmen. Die meisten wollten das Training zuhause nutzen, um besser mit den kollektiven Traumata und Gewalterfahrungen in ihrer Stadt umzugehen und selbst Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu schulen. Wir waren fast alle psychologische Laien, so dass die in den Kursen verwendeten Texte und Grafiken aus Yoders Buch und die praxisorientierten Erläuterungen der wissenschaftlichen Grundlagen der Traumaforschung eine große Hilfe waren.

Noch gibt es in Deutschland keine vergleichbaren Trainings wie STAR, bei dem Strategien der Traumabearbeitung und zur Stärkung von Resilienz mit Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung kombiniert werden. Einen Bedarf für diese Form der Friedensarbeit sehe ich durchaus, denn die Konfliktpotenziale in unserer Gesellschaft nehmen nicht erst seit der Pandemie spürbar zu. Für Verantwortliche in der Sozialen Arbeit, im Bildungs-und Gesundheitswesen, in Seelsorge und Beratung, in der Öffentlichen Verwaltung und in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit geht es darum, zu lernen, wie Menschen nach traumatisierenden Erfahrungen wie Gewalt, Krieg, Flucht und anderen Katastrophen das Erlebte bearbeiten können und welche Unterstützung gebraucht wird.

So kann diese deutsche Ausgabe des Buches einen wichtigen Anstoß geben, sich im Selbststudium oder in Lerngruppen mit den hier vorgestellten Wegen zu Resilienz, Frieden und Versöhnung vertraut zu machen.

Karen Hinrichs, Pfarrerin und Geschäftsführende

Direktorin des Friedensinstituts Freiburg

VORWORT

DIE ANFÄNGE VON STAR

„Ihr retraumatisiert die Menschen, wenn ihr über diese Friedensdinge redet.“

Warnung einer Gesprächsgruppe, noch unter dem Einfluss der Anschläge vom 11. September 2001, die den Lehrplan von STAR noch vor der ersten Schulungseinheit durchgearbeitet hat.

Diesem Buch zugrunde liegt das STAR-Konzept, Strategien zur Traumawahrnehmung und Resilienz (Strategies for Trauma Awareness and Resilience); ein Ansatz, der stark von Gerechtigkeits- und Konfliktfragen getragen wird und zur Bewältigung von Traumata nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entwickelt wurde. Während der Rauch von den Trümmern der Zwillingstürme noch in die Luft stieg, hatte der Church World Service des Staates New York bereits erkannt, dass Maßnahmen nötig werden würden, die über materielle Hilfe hinausgingen. Die Organisation stellte dem Center for Justice and Peacebuilding (CJP) der Eastern Mennonite University finanzielle Mittel zur Verfügung, um für Verantwortliche aller Gemeinschaften weltweit, die von den Anschlägen betroffen waren, ein Schulungsprogramm zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Das Ziel dieses Programms sollte sein, den Auswirkungen, die die Anschläge unweigerlich haben würden, entgegen zu wirken.

Ich bekam den Auftrag, diese noch nicht ausgereifte Initiative zu leiten, als ich gerade von meiner Arbeit mit Traumapatienten im Mittleren Osten und Afrika zurückkam. Mir hätte nichts Besseres passieren können. Ich war skeptisch, ob ein westlich geprägtes psychologisches Paradigma für Traumata von Gemeinschaften und in Gegenden außerhalb (und manchmal sogar innerhalb) der westlichen Welt dafür geeignet wäre. Und zugleich war ich davon überzeugt, dass die Neurowissenschaft, die zunehmend an Bedeutung gewann, die Energetische Psychologie und Körperzentrierte Traumatherapien relevant waren für die Konflikte und die Gewalt, deren Zeugin ich geworden war. Mir wurde klar, dass die Suche nach gewaltfreien Wegen zu Sicherheit und Gerechtigkeit genauso zur Trauma-Intervention gehörte wie tiefes Atmen und eine kognitive Neuausrichtung. Ebenso hilfreich waren auch Kenntnisse in Konflikttransformation, um die strukturellen und beziehungsmäßigen Probleme aufzudecken, die der Gewalt und dem Trauma zugrunde lagen. Meine Erkenntnisse ergänzten und vervollständigten die Sachkenntnis und Erfahrung der Lehrenden des CJP.

Gemeinsam entwickelten wir den ersten Entwurf für eine einwöchige Schulung. Da wir keinen theoretischen Rahmen finden konnten, der dem entsprach, was wir im Sinn hatten, konzipierten wir einen eigenen. Grundlage dafür war ein vom Center for Strategic and International Studies in Washington DC entwickeltes Modell, das sich mit den Folgen des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien beschäftigte.1 Dieses Modell haben wir erweitert und angepasst. Das gemeinsame Projekt, ein innovatives, evidenzbasiertes Paradigma und Schulungsprogramm zu entwickeln, war getragen von dem Glauben an die große Bedeutung von STAR und das Gute, das es bewirken würde. Eigene Bestrebungen und Bedürfnisse hatten in diesem Projekt keinen Raum. Keiner von uns hätte dieses Programm allein entwickeln können.

Abb. 1:

Der STAR-Ansatz integriert diverse Konzepte

Der STAR-Ansatz verbindet Konzepte aus traditionell getrennten Forschungs- und Praxisgebieten miteinander: Neurobiologie, Psychologie, Menschliche Sicherheit, Restaurative Gerechtigkeit, Konflikttransformation und Glaube/Spiritualität. Diese Disziplinen, auf die wir uns bezogen, sind dem Gebiet der Friedensarbeit zuzordnen. Die Expertin für Menschliche Sicherheit Lisa Schirch definiert Friedensarbeit als das Bemühen, „Gewalt in allen Erscheinungsformen zu verhindern, zu reduzieren und umzuwandeln – sogar strukturelle Gewalt, die noch nicht zu gesellschaftlichen Unruhen geführt hat – und Menschen Hilfestellung zu geben, sich davon zu erholen.“2

> TRAUMAGEN

Ein potentiell traumaauslösendes Ereignis bei der Mehrheit der Menschen, die einem Angriff ausgesetzt sind, sowohl bei den Angreifern als auch den Zeugen des Angriffs.

Hooker und Czajkoski, 2013

Der STAR-Ansatz erweitert deutlich die traditionelle Herangehensweise, die sich weitgehend auf psychologische Erkenntnisse und die Behandlung von Einzelpersonen durch Fachleute für psychische Erkrankungen konzentriert. Doch angesichts der Anzahl von Menschen, die traumagenen Erfahrungen ausgesetzt sind,3 ist es auch dringend nötig, dass es Hilfe zur Traumabewältigung nicht nur in Sprechzimmern gibt, sondern auch draußen in Schulen, in Kirchen und Moscheen, in Sporthallen und Bürgerhäusern. Die allgemeine Öffentlichkeit muss unbedingt umfassender über das Thema Trauma informiert werden: Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeitende von humanitären und Entwicklungsorganisationen, Geistliche, Fabrikarbeiter, medizinisches Personal, Eltern, Regierungsmitarbeitende, Journalistinnen, Bürgermeister und Soldaten. Unser Verständnis von Traumabehandlung und -intervention muss dringend erweitert werden.

Inzwischen haben Tausende die STAR-Seminare in über 60 Ländern besucht, die meisten davon keine professionellen Therapeuten, sondern Menschen, die in ihren Familien, Organisationen oder ihrer Gesellschaft täglich mit traumatisierten Einzelpersonen oder Gruppen in Kontakt kommen. Nicht selten haben sie selbst ein Trauma erlebt. Im Fokus steht die Arbeit in Gemeinschaften, aber viele der Erkenntnisse, Fertigkeiten und Hilfsmittel sind problemlos auf Einzelpersonen anwendbar. Der STAR-Ansatz basiert auf der Verknüpfung von persönlichem Verständnis und Traumabehandlung mit gesellschaftlichen und strukturellen Reaktionen, die sich mit den Ursachen und Konsequenzen von Konflikten und Gewalt beschäftigen.

STAR begann als ein zweijähriges Projekt für eine Welt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer vorherrschend von Weißen besuchten, an Frieden und Gerechtigkeit orientierten mennonitischen Universität in den Vereinigten Staaten und ist im Laufe der Jahre von Tausenden Seminarteilnehmenden in der ganzen Welt weiterentwickelt worden. Zu Beginn war der Plan für STAR, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um mindestens vier Teilnehmenden aus Ländern, die von Gewalt betroffen waren, die Teilnahme an den einwöchigen monatlichen Workshops zu ermöglichen. Zusammen mit Teilnehmenden aus Randgruppen in den Vereinigten Staaten haben sie dazu beigetragen, die Ereignisse rund um den 11. September ins richtige Licht zu rücken. Sie stellten schwierige Fragen darüber, was es bedeutet, in traumagenen Systemen und unter traumagenen Bedingungen zu leben: Tag für Tag, Jahr für Jahr und Jahrzehnt für Jahrzehnt.

Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten und Ländern empfanden den evidenzgestützten STAR-Ansatz als hilfreich bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen: historisches Leid,4 Naturkatastrophen,5 sexuelle und häusliche Gewalt,6 Diskriminierung,7 die Zeit nach einem schweren Konflikt8 und mehr.

Und trotz unserer anfänglichen Befürchtung, wir könnten die Teilnehmenden unserer Seminare retraumatisieren, wenn wir über gewaltfreie Reaktionen auf Bedrohung und Leid sprechen, war das Gegenteil der Fall. Die Reaktionen in den Seminaren und die anschließenden Bewertungen zeigten, dass tief im Innern von vielen Menschen etwas zum Klingen kommt, wenn die klassische Therapie ergänzt wird durch die Themen Gerechtigkeit, Sicherheit und Konflikttransformation. Tatsächlich war dieses „Friedenszeug“ in den Anfangsjahren in New York City das am stärksten gefragte Thema für Aufbaukurse.

In diesem Buch werden die grundlegenden Konzepte von STAR vorgestellt. Aber die experimentellen Anwendungsübungen in den Schulungen, die zu Hause durchgeführt werden können, und die lebensverändernden Aha-Momente können in einem Buch nicht vermittelt werden. Kommen Sie doch persönlich zu uns, um das zu erleben!

www.emu.edu/star

Endgültige Antworten und Lösungen werden Sie in diesem Buch nicht finden. Vielmehr werden Theorien und Fragen vorgestellt, die sich aus der Anwendung von STAR in Hunderten Seminaren auf sechs Kontinenten ergaben. Die Übertragung von Trauma- und Resilienzprinzipien und -übungen auf unsere Gemeinschaften ist ein Paradigmenwechsel. In einem Buch ist es unmöglich, jeden einzelnen Aspekt abzudecken: Probleme von andauernden oder sich wiederholenden Traumata, Missbrauch und Leid sind benannt, aber viele der Beispiele werden sich auf Traumata konzentrieren, die durch Gewalt und unvorhersehbare Katastrophen hervorgerufen werden. Und Achtung, Triggerwahrung: Hier geht es um Traumata, darum könnten einige Beispiele heftige Reaktionen auslösen.

Denken Sie während des Lesens darüber nach, wie Sie das Gelesene auf Ihr eigenes Leben, Ihre Gemeinschaft, Organisation und Ihre Nation anwenden können. Traumata anzusprechen und Kreisläufe der Gewalt in turbulenten Zeiten zu durchbrechen oder zu verhindern, ist ein komplexes Thema. Aber Veränderung beginnt, wenn wir zuhören, beobachten, nachdenken, unsere Fantasie spielen lassen, beten, ausprobieren und dann mitteilen, was wir erkannt haben. In diesem Geist wurde dieses Buch geschrieben. Lassen Sie uns anfangen!

Anmerkungen

1

Botcharova, Olga, „Implementation of Track Two Diplomacy“ in:

Forgiveness and Reconciliation

, Hrsg., Helmick, Raymond G. und Peterson, Rodney L., Radnor 2001.

2

Schirch, Lisa,

The Little Book of Strategic Peacebuilding: A Vision and Framework for Peace With Justice

, Intercourse 2004, S. 9.

3

Anderson Hooker, David, und Czajkowski, Amy,

Transforming Historical Harms

, Eastern Mennonite University, Center for Justice and Peacebuilding,

https://emu.edu/cjp/docs/transforming-historical-harms.pdf

(aufgerufen am 2.9.2022).

4

Ebenda.

5

Das „Wozo“-(Resilienz)-Programm auf Haiti ist eine langfristige kontextualisierte, landesweite Initiative als Reaktion auf das Erdbeben von 2010. Garly Michel, Harry Thelusma, Adley Dumay und Lydie Mia Legitime-Vil gründeten federführend ein Netzwerk von Fachleuten, die Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinschaften Unterstützung bieten. Ressler, Everett M., „Evaluation of the Trauma Healing Program, ‚Twomatizasyon ak Wozo‘ STAR Haiti Programme“. Unveröffentlichtes Papier, The Konterra Group, 17. Juni 2013.

6

Oudshoorn, Judah, Jackett, Michelle, und Stutzman, Lorraine,

The Little Book of Restorative Justice for Sexual Abuse: Hope through Trauma

, New York 2015.

7

Coming to the Table (CTTT),

https://comingtothetable.org/

, bringt Nachkommen von Familien, die Sklavinnen und Sklaven gehalten hatten, mit den Nachkommen der versklavten Menschen zusammen. Diese Zusammenkünfte finden im Rahmen des STARProgramms statt. Will Hairston, ein Nachfahre einer der größten Sklavenhalterfamilien im Süden der USA, hat zusammen mit dem Center for Justice and Peacebuilding diese Initiative entwickelt und finanziert. Siehe DeWolf, Tom und Geddes, Jodie,

The Little Book of Racial Healing: Coming to the Table for Truth-Telling, Liberation and Transformation

, New York 2019.

8

Das Green String Network macht Trauma-informierte Friedensarbeit mit Hilfe eines angepassten STAR-Modells in Ostafrika. Dabei werden Volksmärchen, Fallstudien und Kunst eingesetzt,

https://green-string.org/

.

KAPITEL 1

EINFÜHRUNG

„Verletzte Menschen verletzen andere Menschen.“

(Quelle unbekannt)

„Veränderte Menschen verändern andere Menschen.“

Richard Rohr, OFM

Wir leben in herausfordernden Zeiten. Gemessen an der Zahl der Menschen, die von Gewalt betroffen sind, könnte das vergangene Jahrhundert zu den brutalsten der Geschichte der Menschheit gehören.1 Auch in diesem neuen Jahrtausend erleben wir und unser Planet Konflikte, Trennung, Ungleichheit, Nationalismus und Terrorismus. Über allem schwebt die Klimakrise wie eine allgegenwärtige Wolke, für einige von uns alarmierend sichtbar und von anderen ignoriert oder geleugnet.

Während unsere Weltfamilie verzweifelt nach Antworten sucht, wird kaum etwas gesagt über den Zusammenhang von Trauma und Gewalt. Politiker, Unterhändler, Menschen, die sich um den Frieden bemühen, und die allgemeine Öffentlichkeit sind sich der Traumata heute vermutlich bewusster als noch vor einem Jahrzehnt, aber für viele sind sie immer noch eine psychologische Angelegenheit, die starke Menschen schnell überwinden. Nach einem Erdbeben oder einem Massaker in einer Schule werden vielleicht für kurze Zeit Initiativen zur Förderung psychischer Gesundheit finanziell unterstützt, aber insgesamt ist die Ansicht weit verbreitet, dass sie wenig zu tun haben mit Realpolitik und der Reduzierung von Gewalt. Doch es gibt einen integralen Zusammenhang zwischen Trauma und Gewalt: Verletzte Menschen verletzen andere Menschen. Gewalt zieht häufig ein Trauma nach sich, und umgekehrt kann ein nicht behandeltes Trauma zu weiterer Spaltung, Gewalt und dem Verlust von Sicherheit führen.

> VERLETZTE MENSCHEN VERLETZEN ANDERE MENSCHEN.

Der Trauma-Experte Bessel van der Kolk vertritt die Meinung, dass Trauma das häufigste Gesundheitsproblem in den Vereinigten Staaten ist, die größte Bedrohung des nationalen Wohlbefindens.2 Ein Trauma wirkt sich negativ auf unseren ganzen Körper aus, auch auf unsere Fähigkeit, komplexe und integrierte Abläufe des Gehirns zu steuern. John Gottman beschäftigt sich in seiner Forschung mit Indikatoren für den Erfolg oder das Scheitern von Ehebeziehungen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der rationale Teil unseres Gehirns aus dem Takt gerät, wenn sich unsere Pulsfrequenz auch nur um zehn Schläge erhöht.3 Dann wird unser Reden und Verhalten aus dem unteren Teil unseres Gehirns gesteuert, wo unsere automatisierten Überlebensinstinkte angesiedelt sind.

Wenn diese physiologische Veränderung schon bei Diskussionen darüber, wer die Küche aufräumt, entstehen, was geschieht dann erst im Körper und Gehirn von nationalen Führungspersonen, die auf strukturelle Gewalt oder einen terroristischen Anschlag reagieren müssen? Was geschieht, wenn Menschen, die jahrelang Ungerechtigkeit und der Missachtung ihrer Würde ausgesetzt waren, erneut beleidigt werden? Wenn Gruppen in höchstem Maße polarisiert werden? Wenn Unterhändlerinnen am Verhandlungstisch sitzen und über strittige Fragen diskutieren?

Die Aufklärung über Trauma – das Wissen, was ein Trauma ist, und die Kenntnis der physiologischen, emotionalen, mentalen und geistlichen Auswirkungen auf uns – ist eine wichtige Hilfe, um ein breites Spektrum an Phänomenen zu erklären, wie zum Beispiel das Gefühl der Unsicherheit, den Verlust der kulturellen Identität, Rassismus, Polarisierung, Gleichgültigkeit gegenüber der Klimaveränderung und Gewalt insgesamt.

Aber es geht nicht nur darum, zu wissen, was ein Trauma ist. Wenn wir einen Schritt weitergehen und lernen, uns mit gegenwärtigem, transgenerationellem und historischem Trauma auseinanderzusetzen, dann erschließen wir uns die Möglichkeit, Wunden zu heilen und Einzelpersonen, Gemeinschaften und Gesellschaften zu verändern. Wir erweitern unsere Fähigkeit, kreativ zu denken, mitfühlend zu reagieren und gemeinschaftlich für das Wohl aller tätig zu sein. Wir nehmen Verbindung auf zur in uns vorhandenen Resilienz.