Heimat Erde - Clifford D. Simak - E-Book

Heimat Erde E-Book

Clifford D. Simak

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Beschreibung

Friedhof Erde

Zehntausend Jahre, nachdem ein letzter vernichtender Krieg die Erde als radioaktive Einöde zurückgelassen hat, in der immer noch Kampfroboter die Kontinente auf der Suche nach Gegnern durchstreifen, wird es unter den Nachfahren der Menschen, die sich über die Galaxis ausgebreitet haben, zur Mode, sich auf der Heimatwelt bestatten zu lassen. Die Mother Earth Company verwandelt die Erde in einen schmucken Friedhof, und den irdischen Mutanten wird auf dezente Weise der Garaus gemacht, damit sie die Friedhofsbesucher nicht erschrecken. Fletcher Carson, ein Multimedia-Künstler, der in Begleitung seines Roboters Elmer und seines mobilen Computerinstruments Bronco einen Hauch der „alten Erde“ festhalten will, macht sehr bald die unangenehme Erfahrung, dass die Mother Earth Company alles andere als begeistert ist, als er außerhalb des Friedhofsgeländes herumzuschnüffeln beginnt. Sie scheint einen triftigen Grund dafür zu haben – und die junge Archäologin Cynthia Lansig bestätigt diese Annahme …

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Seitenzahl: 293

Veröffentlichungsjahr: 2017

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CLIFFORD D. SIMAK

HEIMAT ERDE

Roman

Das Buch

Zehntausend Jahre, nachdem ein letzter vernichtender Krieg die Erde als radioaktive Einöde zurückgelassen hat, in der immer noch Kampfroboter die Kontinente auf der Suche nach Gegnern durchstreifen, wird es unter den Nachfahren der Menschen, die sich über die Galaxis ausgebreitet haben, zur Mode, sich auf der Heimatwelt bestatten zu lassen. Die Mother Earth Company verwandelt die Erde in einen schmucken Friedhof, und den irdischen Mutanten wird auf dezente Weise der Garaus gemacht, damit sie die Friedhofsbesucher nicht erschrecken. Fletcher Carson, ein Multimedia-Künstler, der in Begleitung seines Roboters Elmer und seines mobilen Computerinstruments Bronco einen Hauch der »alten Erde« festhalten will, macht sehr bald die unangenehme Erfahrung, dass die Mother Earth Company alles andere als begeistert ist, als er außerhalb des Friedhofsgeländes herumzuschnüffeln beginnt. Sie scheint einen triftigen Grund dafür zu haben – und die junge Archäologin Cynthia Lansig bestätigt diese Annahme …

Der Autor

Clifford D. Simak, geboren 1904 in Millville, Wisconsin, arbeitete nach dem Studium bis zu seiner Rente 1976 als Zeitungsjournalist. Seit er als Kind die Romane von H. G. Wells gelesen hatte, interessierte Simak sich für die Science-Fiction. Er begann Anfang der Dreißigerjahre, seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten in den Magazinen von Hugo Gernsback, vor allem in Wonder Stories und später in Astounding

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

CEMETARY WORLD

Aus dem Amerikanischen von Horst Pukallus

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1972/73 by The Condé Nast Publications, Inc. (ANALOG),

mit freundlicher Genehmigung des Autors und seiner Agentur Mohrbooks

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

1

Der weithin sich erstreckende Friedhof war im Morgenlicht ein Anblick von atemberaubender Schönheit. Die Reihen schimmernder Grabmäler verliefen durch das Tal und über alle Hänge und Hügel. Der Rasen, gemäht und geschnitten mit hingebungsvoller Sorgfalt, glich einem smaragdgrünen Tuch und verbarg die Rauheit des Erdreichs, in das er seine Wurzeln grub. Die stattlichen Kiefern auf den Wegen zwischen den Gräberfeldern bewirkten ein leises, klagendes Ächzen.

»Ergreifend«, sagte der Kapitän des Leichentransporters.

Er pochte sich auf die Brust, um mir genau zu zeigen, wo es ihn ergriff. Er war ein Dummkopf, dieser Kapitän.

»Man erinnert sich der Mutter Erde«, versicherte er mir, »an jedem Tag, den man fort ist, während all der Jahre im Weltraum und auf den anderen Planeten. Man ruft sie sich genau in Erinnerung. Dann landet man, öffnet die Schleuse und betritt ihre Oberfläche, und plötzlich sieht man, dass man sich nur der Hälfte von allem entsonnen hat, dass Mutter Erde zu groß ist und zu schön, um sie ganz im Gedächtnis behalten zu können.«

Hinter uns, im zugewiesenen Areal, zischte der Leichentransporter noch von der Reibungshitze der Landung. Aber die Mannschaft wartete nicht darauf, dass die Hitze wich. In der Höhe schwangen die schwarzen Pfortluken auf, Kräne fuhren aus, deren Ketten klirrten und rasselten, und man schickte sich an, die Fracht zu löschen. Von einem langen, flachen Gebäude, das ich für eine Lagerhalle hielt, kamen Fahrzeuge schnell über das Feld gerollt, um die Särge in Empfang zu nehmen.

Der Kapitän widmete den Vorgängen keine Aufmerksamkeit. Er stand da und starrte über den Friedhof. Er schien wie gebannt davon zu sein. Er vollführte eine alles umfassende Geste.

»Meilen um Meilen«, sagte er. »Nicht bloß hier in Nordamerika, sondern auch anderswo. Das ist nur ein winziger Teil.«

Er erzählte mir nichts, das ich nicht schon wusste. Ich hatte alle Lektüre gelesen, welche es über die Erde gab. Ich hatte jeden Fetzen Spule, der etwas über diesen Planeten enthielt und den ich in die Hände bekommen konnte, angesehen und angehört. Seit Jahren hatte ich von der Erde geträumt und mir Wissen über sie angeeignet, und endlich war ich hier auf der Erde, und dieser ungeheure Clown von einem Kapitän wollte eine Fremdenführung daraus machen. Als ob sie ihm persönlich gehöre. Vielleicht war das jedoch verständlich, denn er zählte zum Personal.

Natürlich hatte er recht damit, dass dies nur ein winziger Teil war. Die Grabmäler, der samtene Teppich des Rasens und die Reihen stattlicher Kiefern zogen sich über Meilen und Meilen hin. Hier im alten Nordamerika und auf den alten Britischen Inseln und dem europäischen Kontinent, in Nordafrika und China.

»Und jeder Quadratmeter davon«, sagte der Kapitän, »ist so ordentlich und gepflegt, so schön und friedlich und so erhaben wie dieser kleine Ausschnitt.«

»Und was ist mit dem Rest?«, fragte ich.

Verärgert wandte sich der Kapitän mir zu. »Dem Rest?«, wiederholte er.

»Dem Rest der Erde. Nicht alles ist Friedhof.«

»Ich glaube«, sagte der Kapitän mit einem Anflug von Schärfe, »Sie haben die Frage schon einmal gestellt. Anscheinend sind Sie davon besessen. Sie müssen begreifen, dass allein der Friedhof Bedeutung besitzt, sonst nichts.«

Gewiss, das war es eben. In der gesamten neueren Literatur über die Erde – das hieß, die der letzten ungefähr tausend Jahre – fand man nur selten eine Erwähnung des Restes der Erde. Die Erde war ein Friedhof, ließ man die wenigen Orte historischen oder kulturellen Interesses, welche die Pilgrim Tours so hoch anpries und auch förderte, einmal unberücksichtigt, und selbst im Falle dieser Attraktionen der Pilgrim Tours gewann man den Eindruck, dass lediglich der Großmut der Friedhofsverwaltung sie für künftige Generationen ausnahm und erhielt. Davon abgesehen, gab es keine Erwähnung, auch keine flüchtige, irgendeiner anderen Erde – als bestehe der ganze Rest der Erde nur aus Boden, der darauf wartete, dass man ihn dem Friedhof angliederte, als handle es sich bloß um einsames, kahles Gelände, schon so lange unbewohnt, dass es sogar jeglicher Erinnerung an frühere Zeiten ermangelte.

Der Kapitän blieb unfreundlich. »Wir werden Ihre Fracht entladen«, sagte er, »und sie in der Halle lagern. Dort ist sie Ihnen leicht zugänglich. Ich werde die Männer darauf hinweisen, dass man sie von den Särgen getrennt hält.«

»Sehr gütig von Ihnen«, sagte ich. Mein Verhältnis zu diesem Kapitän war längst abgekühlt. Ich hatte genug von ihm – am dritten Tag im Raum hatte ich schon genug gehabt. Ich hatte mich sehr bemüht, ihn zu meiden, aber das ist schwer an Bord eines Leichentransporters und wenn man sozusagen der Gast des Kapitäns ist – allerdings hatte ich ansehnlich dafür bezahlt, es sein zu dürfen.

»Ich hoffe«, sagte er in unverändert leicht verärgertem Tonfall, »dass Ihre Fracht nichts von irgendwie aufrührerischem Charakter enthält.«

»Mir war unbekannt«, erwiderte ich, »dass die Stellung der Mother Earth Inc. Anlass zum Aufruhr bieten könnte.«

»Ich habe Sie nicht gefragt«, sagte er, »weil ich nicht aufdringlich sein wollte. Ich habe Sie für einen Ehrenmann gehalten.«

»Von Ehre war bei unserer Abmachung nie die Rede«, antwortete ich. »Sie war eine Angelegenheit rein monetärer Natur.«

Vielleicht, überlegte ich, hätte ich den Rest der Erde nicht erwähnen sollen. Wir hatten schon einmal davon gesprochen, und da bereits war mir aufgefallen, dass es sich um ein heikles Thema handelte. Aus meiner umfangreichen Lektüre hätte ich mir das denken können und besser den Mund gehalten. Aber sie war etwas, das mich nie losließ, meine Überzeugung, dass Die Alte Erde kein Planet ohne Antlitz geworden sein konnte, selbst in zehntausend Jahren nicht. Jemand, der danach Ausschau hielt, so war ich überzeugt, würde noch alte Narben finden, alte Triumphe, uralte Erinnerungen, niedergeschrieben in Erdreich und Stein.

Der Kapitän hatte sich zum Gehen gewandt, aber ich richtete noch eine Frage an ihn. »Dieser Mann«, meinte ich. »Der Manager. An den ich mich wenden soll.«

»Sein Name«, sagte der Kapitän steif, »lautet Maxwell Peter Bell. Sie finden ihn dort drüben im Verwaltungsgebäude.«

Er wies auf das schimmernde Massiv eines großen, weißen Bauwerks am anderen Ende des Landeplatzes. Eine Straße führte dorthin. Es war eine ziemlich lange Strecke, doch ich dachte, es würde mir gefallen, sie zu laufen. Personenfahrzeuge befanden sich ohnehin nicht in Sichtweite. Alle Fahrzeuge, welche die Lagerhalle verlassen hatten, standen vor dem Schiff aufgereiht und erwarteten die Särge.

»Das andere Gebäude dort«, sagte der Kapitän und streckte nochmals den Arm aus, »ist das von der Pilgrim Tours betriebene Hotel. Wahrscheinlich werden Sie darin ein Quartier bekommen können.«

Dann, nachdem er seine Pflicht und Schuldigkeit getan hatte, entfernte der Kapitän sich gemessenen Schritts.

Das Hotel, ein flacher, nicht mehr als drei Etagen hoher Bau, lag noch ein bedeutendes Stück weiter entfernt als das Verwaltungsgebäude. Abgesehen von den Bauten und dem Schiff, das in seinem Landefeld stand, war das Gelände ringsum frei, und bis auf die Fahrzeuge, die beim Schiff warteten, herrschte kein Verkehr.

Ich machte mich auf den Weg. Es wird angenehm sein, dachte ich, die Beine zu bewegen, gut, festen Boden unter den Füßen zu spüren, gut, nach den Monaten im Weltraum wieder reine Luft zu atmen. Und gut, auf der Erde zu sein. Oftmals war ich schon über der Aussicht, sie vielleicht nie betreten zu dürfen, in Verzweiflung geraten.

Elmer würde höchstwahrscheinlich außer Rand und Band sein, weil ich ihn nach der Landung nicht sofort ausgepackt hatte. Es wäre auch vernünftig gewesen, das zu tun, denn während ich Bell aufsuchte, hätte er, wäre er jetzt ausgepackt, schon den Bronco vorbereiten können. Doch zu diesem Zweck hätte ich hier warten müssen, bis die Kisten ausgeladen und in die Lagerhalle geschafft worden waren, und es verlangte mich danach, etwas zu unternehmen, ich war begierig, die Dinge anzukurbeln.

Ich fragte mich, während ich ausschritt, warum ich bei diesem Maxwell Peter Bell vorsprechen sollte. Nur eine Gefälligkeit, hatte der Kapitän zu mir gesagt, aber das glaubte ich nicht recht. Die ganze Reise hatte verdammt wenig mit Gefälligkeit gemein gehabt, sondern vielmehr mit harter Barzahlung, dem Rest von Elmers Lebensersparnissen. Es schien so, dachte ich, als sei der Friedhof eine Art von Regierung, die von jedem Besucher diplomatische Aufwartung verlangen konnte. Aber das war er nicht im geringsten. Er war ein bloßes Geschäft, seiner Natur nach kalt berechnend und zynisch. Schon lange seit Beginn meiner Studien über Die Alte Erde war meine Meinung von der Mother Earth Inc. die denkbar schlechteste.

2

Maxwell Peter Bell, Manager der Mother Earth Inc., Abteilung Nordamerika, war ein dicklicher Mann, dem daran lag, dass man ihn mochte. Er saß in seinem abgewetzten, schweren, dick gepolsterten Sessel hinter einem wuchtigen, glänzenden Tisch in seinem Büro, das sich innerhalb eines Aufbaus auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes befand. Er rieb sich die Hände und lächelte mich beinahe zärtlich an, und es hätte mich nicht gewundert, wäre das runde, weiche Braun seiner Augen geschmolzen und wie Schokoladenguss über die Wangen gelaufen.

»Hatten Sie eine angenehme Reise?«, fragte er. »Hat Kapitän Anderson für Ihre Bequemlichkeit gesorgt?«

Ich nickte. »So gut wie möglich. Natürlich bin ich dankbar. Ich hatte kein Geld für den Flug auf einem Schiff der Pilgrim Tours.«

»Schweigen Sie von Dankbarkeit«, meinte er sanftmütig. »Wir sind es, die Grund zur Freude besitzen. Nur wenige Leute der Künste entwickeln Interesse an dieser unserer Mutter Erde.«

In seiner netten, glatten Art trug er eine Spur zu dick auf, denn im Lauf der Jahre hatten viele Leute der Künste, wie er sie nannte, der Erde ihre Aufmerksamkeit geschenkt, und zwar ausnahmslos unter der äußerst zuvorkommenden und mütterlichen Anleitung der Mother Earth Inc. selbst. Auch ohne das Wissen um diese Gönnerschaft vermochte man sie zu erraten. Das meiste ihrer Werke klang, las sich oder sah so aus wie hochdotierte Reklamemachwerke zur Werbung für den Friedhof.

»Eine freundliche Gegend hier«, sagte ich, eher gesprächsweise beiläufig als aus besonderem Grund.

Er wusste nicht, dass ich es hören wollte, aber das wollte ich. Er rückte sich bequemer im Sessel zurecht, wie eine Henne, die über ihre Eier das Gefieder plustert, bevor sie sich zum Brüten niederlässt.

»Gewiss haben Sie die Kiefern gehört«, sagte er. »Sie singen ein Lied. Sogar hier oben, wenn man ein Fenster öffnet, vernimmt man ihren Gesang. Auch nach dreißig Jahren kann ich ihnen noch stundenlang lauschen. Es ist das Lied eines ewigen Friedens, den man so vollständig nirgendwo zu finden vermag wie hier auf der Erde. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es nicht bloß ein Lied der Kiefern und des Windes ist, auch nicht allein eins der Erde, sondern das Lied einer über die Galaxis verstreuten Menschheit, die am Ende gemeinsam hier in der Heimat ihre Ruhe findet.«

»Soviel habe ich nicht gehört«, antwortete ich. Mir war das Ächzen und Knarren der Bäume eher wie das Stöhnen unerlöster Seelen erschienen. »Vielleicht fällt es mir mit der Zeit noch auf, wenn ich länger gelauscht habe. Deshalb bin ich ja hier.«

Genauso gut hätte ich schweigen können. Er hörte mir gar nicht zu. Er hatte sein Sprüchlein aufzusagen, so eine großmächtige Leier, und er beabsichtigte das zu tun und sonst nichts.

»Seit mehr als dreißig Jahren«, sprach er weiter, »verneige ich mich in jedem bewussten Moment vor den großen Idealen der Letzten Heimkehr. Meine Aufgabe zählt nicht zu denen, die man leichten Herzens übernimmt. Viele Männer haben es vor mir getan, viele andere Manager haben schon vor mir auf diesem Platz gesessen, sehr viele, und jeder einzelne war ein ehrbarer und feinfühliger Mensch. Ich bin angetreten, um ihr Werk fortzusetzen, aber nicht nur das. Ebenso muss ich die großen Traditionen wahren, die die Mother Earth während ihrer gesamten Geschichte stets gepflegt hat.«

Er sank im Sessel zurück, und seine braunen Augen blickten womöglich noch sanfter drein und ein wenig wässrig.

»Bisweilen ist das keine leichte Aufgabe«, versicherte er. »Es gibt vielerlei Umstände, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Da sind diese Andeutungen und Flüsterreden und unterschwelligen Vorwürfe, die man verbreitet, aber nie öffentlich ausspricht, so dass man sie widerlegen könnte. Ich nehme an, Sie haben dergleichen auch schon gehört.«

»Etwas davon«, sagte ich vorsichtig.

»Und sie geglaubt?«

»Etwas davon«, wiederholte ich.

»Wir wollen nicht um die Dinge herumreden«, sagte er mit einem Anflug von Schroffheit. »Betrachten wir die Angelegenheit einmal. Man kann unschwer feststellen, dass die Mother Earth Inc. eine Friedhofsgesellschaft ist und die Erde ein Friedhof. Aber sie ist weder ein raffgieriges Schwindelunternehmen noch ein Betrug mit der Frömmigkeit oder eine ausschließlich dem Profit nachjagende Maklerfirma, die aus wertlosem Grund und Boden Riesensummen herausschlüge. Selbstverständlich operieren wir im Rahmen allgemein zulässiger Geschäftsmethoden. Anders ginge es nicht. Nur auf diese Weise können wir der menschlichen Galaxis unsere Dienste bieten. Sie erfordern eine Organisation, die ausgedehnter ist als man sie sich zunächst vorzustellen vermag. Und weil sie so ausgedehnt ist, ist sie zwangsläufig locker. Es gibt keine ständige, straffe Kontrolle des Gesamtunternehmens. Daher besteht immer die Möglichkeit, dass wir hier in der Verwaltung von vielen Handlungen gar nicht erfahren, die wir niemals billigen würden. Wir beschäftigen eine umfangreiche Truppe von Public Relations-Spezialisten, um unser Unternehmen zu fördern. Notwendigerweise müssen wir bis hin zu den entferntesten Winkeln der von der Menschheit besiedelten Gebiete für uns Werbung betreiben. Wir geben gerne zu, dass wir auf jedem von Menschen bewohnten Planeten eine Vertretung unterhalten. Doch all das kann durchaus als normale Geschäftspraxis gelten. Und berücksichtigen Sie – indem wir unser Unternehmen so nachdrücklich führen, erweisen wir der Menschheit einen großen Nutzen, und zwar in wenigstens zweierlei Beziehung.«

»Zweierlei«, sagte ich erstaunt – mehr erstaunt über diesen Mann als über seinen Redestrom. »Ich dachte …«

»Die persönliche Seite«, unterbrach er mich, »daran haben Sie gedacht. Und natürlich ist sie die grundlegende Erwägung. Glauben Sie mir, es liegt eine ganze Welt von Trost in dem Bewusstsein, dass geliebte Menschen, sobald sie gestorben sind, in den heiligen Schoß von Mutter Erde heimkehren. Es liegt eine tiefe Befriedigung im Bewusstsein, dass man selber, wenn die Zeit schließlich gekommen ist, ebenfalls zwischen den Hügeln dieses liebreizenden Planeten zur Ruhe gebettet wird, auf dem die Menschheit ihren Anfang genommen hat. Es ist eine Rückkehr in die Heimat, den Ursprung.«

Unruhig wand ich mich in meinem Sessel. Ich schämte mich für ihn. Er bereitete mir Unbehagen, und ich empfand Widerwillen gegen ihn. Er muss, überlegte ich, mich für einen kompletten Dummkopf halten, wenn er glaubt, dass dieses blumige Geschwätz voller süßlicher Wendungen irgend welche meiner eventuellen Zweifel an der Mother Earth Inc. ausräumen und mich zum Friedhofsbüttel machen könnte.

»Darüber hinaus«, sagte er, »erweisen wir einen zweiten, vielleicht noch wertvolleren Dienst. Wir von der Mother Earth, so glaube ich ernsthaft, dienen als eine Art Bindemittel, das den Rassegedanken aufrecht erhält. Ohne das Wirken der Mother Earth wäre der Mensch ein heimatloser Wanderer geworden. Er hätte längst seine rassische Verwurzelung verloren. Nichts hätte ihn an dies relativ winzige Klümpchen Materie gebunden, das einen ziemlich unbedeutenden Stern umkreist. Gleichgültig, wie dünn das Band sein mag, es scheint von wesentlicher Bedeutung zu sein, dass überhaupt eins existiert, das alle Menschen verbindet, ein Umstand, der allen Menschen eine gewisse Gemeinsamkeit vermittelt. Was könnte dazu besser dienen als ein Gefühl persönlicher Verbundenheit mit dem Ursprungsplaneten ihrer Rasse!«

Für einen Moment zögerte er und starrte mich an. Vielleicht erwartete er irgendeine Reaktion auf diese konzentrierte Darstellung der Edelmütigkeit. Falls er das tat, enttäuschte ich ihn.

»Die Erde ist also ein riesiger galaktischer Friedhof«, fuhr er fort, als feststand, dass ich auf seine bisherigen Äußerungen nicht eingehen wollte. »Man muss jedoch bedenken, dass er weit mehr ist als eine normale Begräbnisstätte. Er ist zugleich Ort des Gedenkens und Denkmal und das Band, das die gesamte Menschheit eint, wo auch das einzelne Individuum sich befinden mag. Ohne unsere Arbeit wäre die Erde längst aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden. Es ist keineswegs unvorstellbar, dass der Planet, worauf die Menschheit ihren Aufstieg begann, unter anderen Umständen zum Gegenstand rein akademischen Interesses und sinnloser Diskussionen herabgesunken wäre, auf dem Expeditionen blindlings nach schemenhaften Beweisen forschten, die die Vermutung zu untermauern hülfen, dass der Ursprung der Menschheit in diesem Sonnensystem zu suchen ist.«

Er beugte sich in seinem Sessel vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Langweile ich Sie, Mr. Carson?«

»Beileibe nicht«, erwiderte ich. Und ich sprach die Wahrheit. Er langweilte mich nicht. Er faszinierte mich. Mir schien es unglaublich, dass er bei gesundem Verstand all diesen blühenden Unsinn glauben konnte.

»Mr. Carson«, wiederholte er. »Aber der Vorname? Entschuldigen Sie, aber Ihr Vorname fällt mir im Moment nicht ein.«

»Fletcher«, sagte ich.

»O ja, Fletcher Carson. Und Sie haben diese Geschichten natürlich gehört. Darüber, wie wir die Leute betrügen würden, dass unsere Preise zu hoch seien, und wie …«

»Einige solcher Geschichten«, gestand ich, »habe ich kennengelernt.«

»Und Sie dachten, sie könnten wahr sein.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »mir entgeht wirklich der Sinn …«

Er unterbrach mich. »Manche unserer Repräsentanten haben sich gewisse Exzesse geleistet«, bekannte er. »Es kann sein, dass der Enthusiasmus unserer Spezialisten zu etwas übertriebenen Werbemethoden geführt hat, die dem widersprechen, was der gute Geschmack vorschreibt. Doch im großen und ganzen haben wir uns stets aufrichtig Mühe gegeben, um eine allgemeine Lauterkeit zu gewährleisten, wie die Verantwortung sie uns abverlangt, die auf unseren Schultern ruht. Jeder Pilger, der unsere Mutter Erde besucht hat, wird bestätigen, dass nichts schöner ist als die fertigen Resultate unseres Projekts. Die Friedhofsgelände sind landschaftsmäßig angelegt, in der geschmackvollsten Weise, mit Immergrün und Eiben, der Rasen wird mit liebevoller Sorgfalt gepflegt, und die Blumenbeete sind höchst exquisit … aber Sie haben das ja selbst gesehen, Mr. Carson.«

»Einen winzigen Teil«, sagte ich. »Und flüchtig.«

»Um die Art von Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, einmal zu illustrieren, will ich Ihnen folgendes erzählen«, sagte er, anscheinend in einer plötzlichen Regung von Vertrauen, als hätte ich irgendwie Verständnis geäußert. »Einer unserer Verkaufsvertreter in einem abgelegenen Sektor der Galaxis brachte vor mehreren Jahren das Gerücht in Umlauf, dass der Mother Earth der Platz ausgehe, die Erde bald voll belegt sei, so dass jene Familien, die ihre Toten dort zu begraben wünschten, gut daran täten, sich unverzüglich die wenigen noch verbliebenen Grabstellen reservieren zu lassen.«

»Und das Gerücht konnte natürlich nicht den Tatsachen entsprechen«, bemerkte ich. »Oder doch, Mr. Bell?«

Selbstverständlich wusste ich, dass es das nicht konnte. Ich wollte ihn lediglich sticheln, aber anscheinend entging das ihm.

Er seufzte. »Freilich ist es nicht wahr. Auch die Leute, die es gehört haben, hätten das wissen müssen. Sie hätten wissen müssen, dass es sich nur um ein bösartiges Gerücht handelt und die Achseln darüber zucken sollen. Aber eine Menge von ihnen beschwerte sich, und es gab eine höchst peinliche Untersuchung des Falls, die uns endlosen Ärger bescherte, sowohl nervlich wie auch finanziell. Das Schlimmste ist, dass das Gerücht noch immer durch die Galaxis geistert. Auf manchen Planeten flüstert man's sich noch heute zu. Wir versuchen es zu unterdrücken. Wann immer wir darauf aufmerksam werden, wenden wir uns dagegen. Wir haben es stets mit allem Nachdruck dementiert, aber allem Anschein nach nutzt das nichts.«

»Womöglich verkaufen Sie dadurch noch immer zusätzliche Grabstellen«, bemerkte ich. »An Ihrer Stelle würde ich mir nicht zu große Mühe machen, um es zu unterdrücken.«

Er blies seine Wangen auf. »Sie verstehen mich nicht«, sagte er. »Fairness und äußerste Korrektheit gehören seit jeher zu unseren Geschäftsprinzipien. Und unter Berücksichtigung dieser Tatsache sind wir der Auffassung, dass man die Schuld am Verhalten dieses einen Verkaufsmitarbeiters nicht uns anlasten darf. Infolge der Entfernungen und Kommunikationsprobleme ist unsere Organisation – aus reinem Sachzwang – ziemlich lockerer Art.«

»Das leitet uns zu der Frage des Restes der Erde«, behauptete ich, »des Teils, der nicht Friedhof ist. Wie ist er wohl beschaffen? Ich bin sehr neugierig, zu …«

Er winkte mit seiner plumpen Hand ab und missachtete nicht nur die Fragestellung, sondern sogar den Rest der Erde.

»Da ist überhaupt nichts«, sagte er. »Bloß Wildnis. Nichts als Wildnis. Allein der Friedhof besitzt auf diesem Planeten Bedeutung. Die Erde ist praktisch ein Friedhof.«

»Nichtsdestotrotz«, widersprach ich, »würde ich gerne …« Aber er unterbrach mich erneut und setzte seine Belehrung über die Führung des Friedhofsunternehmens fort.

»Ständig erhebt sich die Problematik unserer Preisgestaltung«, erläuterte er, »immer im Zusammenhang mit der Unterstellung, die Preise seien viel zu hoch. Aber lassen Sie uns einmal für einen Moment die anfallenden Kosten begutachten. Die Kosten für den bloßen Unterhalt einer Organisation wie der unseren übersteigen die Grenzen der Vorstellungskraft. Addieren Sie zu diesen Kosten jene für den Betrieb unserer Flotte von Sargtransportern, die unaufhörlich rundum all die vielen Planeten anfliegen und die Leichname kürzlich Verstorbener einsammeln, um sie heim zur Erde zu befördern. Nun addieren Sie noch die Kosten hinzu, die uns hier auf unserer Mutter Erde entstehen, und sie erhalten eine Gesamtsumme, welche unsere Preise sehr wohl verständlich macht. Nur wenige Verwandte, müssen Sie wissen, nehmen die Unbequemlichkeit auf sich, die es zwangsläufig bedeutet, ihre lieben Toten an Bord der Sargtransporter zu begleiten. Selbst wenn die Bereitschaft bestände, könnten wir ihnen kaum eine bequeme Reise bieten. Sie waren selbst ein paar Monate lang unterwegs und wissen, dass ein Raumflug an Bord eines Sargtransporters keine Luxuskreuzfahrt ist. Die Kosten für Charterschiffe sind zu hoch, außer für sehr Wohlhabende, und die Pilgerschiffe, auf denen ein Flug nicht billig ist, treffen in der Regel nie zur gleichen Zeit wie die Sargtransporter ein. Da also die Angehörigen zumeist verhindert sind, der Feierlichkeit des Begräbnisses im heiligen Boden beizuwohnen, müssen wir für alle traditionellen Gepflogenheiten sorgen. Natürlich ist es undenkbar, jemanden der Mutter Erde zu übergeben, ohne ihm ein entsprechendes Maß eines Ausdrucks von Trauer und schmerzlichen Verlusts zu entbieten. Aus diesem Grund müssen wir eine große Truppe von Sargträgern und Trauergästen beschäftigen. Außerdem braucht es Floristen und Grabarbeiter, Steinmetze und Gärtner, nicht zu vergessen die Pastoren. Die Pastoren sind ein Fall für sich. Es gibt, wie Ihnen klar sein dürfte, eine ganze Menge von Pastoren. Während die Menschheit sich zu den Sternen ausbreitete, haben ihre Religionsgemeinschaften sich immer wieder gespalten, und nun existieren mehrere Tausend Sekten und Glaubensbekenntnisse. Trotzdem jedoch kann die Mother Earth voller Stolz auf die Tatsache verweisen, dass kein Verstorbener in sein Grab gebettet wird, ohne dass das korrekte Begräbniszeremoniell genau jener besonderen Sekte vollzogen wird, welcher der liebe Tote angehörte. Um das gewährleisten zu können, müssen wir eine hohe Anzahl von Pastoren unterhalten, von denen jeder in seinem Bekenntnis Amt und Würde besitzt, und viele davon sind Mitglieder eher obskurer Sekten, so dass wir ihre Dienste nicht häufiger als zweimal im Jahr beanspruchen müssen. Dennoch, damit sie zur Verfügung stehen, sobald ein solcher Fall eintritt, zahlen wir ihre Gehälter ganzjährig. Natürlich stimmt es, dass wir gewisse Einsparungen machen könnten. Es ließen sich erhebliche Einsparungen durch den Einsatz von Erdbewegungsmaschinen zum Ausheben der Gräber realisieren. Aber wir stehen unerschütterlich fest in einer großen Tradition, und folglich zählen unsere Grabarbeiter nach Tausenden. Ferner ergäbe sich eine Ersparnis aus dem Gebrauch metallener Grabsteine, doch auch in dieser Hinsicht erkennen wir die Tradition an. Jeder Grabstein auf dem gesamten Friedhof ist aus dem Fels von Mutter Erde selbst handgemeißelt. Es gibt einen weiteren Aspekt, den viele verständnislos zu ignorieren geneigt sind. Einmal wird der Tag anbrechen – in ferner Zukunft, aber er wird kommen –, da Mutter Erde voll ist, wenn jeder Fußbreit Boden den lieben Verstorbenen als letzte Ruhestätte dient. Dann wird unser Einkommen fortfallen, wogegen uns die Pflicht und die Kosten der weiteren Pflege verbleiben. Deshalb müssen wir, im Hinblick auf dieses Ende, alljährlich unseren Fond der Ewigen Pflege aufstocken, um sicherzugehen, dass niemals, so lange die Erde besteht, die Monumente des Ewigen Gedenkens, welche hier errichtet wurden, dem Vergessen und dem Verfall preisgegeben und ausgelöscht werden.«

»Das ist alles sehr schön«, meinte ich, »und ich freue mich darüber, dass Sie's mir erzählt haben. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu verraten, warum?«

»Nun«, antwortete er in leichtem Erstaunen über meine Frage, »nur um Missverständnisse auszuräumen. Um das Bild zurechtzurücken. Damit Sie eine Vorstellung von den Problemen bekommen, vor denen wir stehen.«

»Und somit Ihr tiefes Pflichtgefühl und Ihre unerschütterliche Hingebung kennenlerne.«

»Ja, das ebenso«, antwortete er ohne jede Verlegenheit und ohne jede Scham. »Wir möchten Ihnen alles zeigen, das es hier zu sehen gibt. Die hübschen kleinen Dörfer, worin unsere Arbeiter wohnen, die Schönheit unserer zahlreichen Waldkapellen, die Werkstätten, wo man die Grabsteine herstellt.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »um an einer Fremdenführung teilzunehmen, bin ich nicht hier. Ich bin kein Pilger.«

»Aber sicherlich werden Sie die geringfügige Unterstützung und die kleinen Gefälligkeiten nicht ausschlagen, welche wir Ihnen zu unserer Freude zukommen lassen können.«

Ich schüttelte den Kopf, wie ich hoffte, nicht zu störrisch. »Ich muss alles selbst erledigen. Es geht nur auf diese Weise. Ich und Elmer und der Bronco.«

»Sie und Elmer und der was?«

»Der Bronco.«

»Der Bronco? Ich verstehe Sie nicht.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »um es richtig zu verstehen, müssten Sie die Geschichte der Erde kennen, einige der alten Legenden.«

»Wegen dieses – Broncos?«

»Bronco ist eine alte irdische Bezeichnung für ein Pferd. Eine besondere Art von Pferd.«

»Dieser Bronco ist ein Pferd?«

»Nein, das nicht«, entgegnete ich.

»Mr. Carson, ich bin mir wirklich nicht länger dessen sicher, ob ich weiß, wer Sie sind oder was Sie beabsichtigen.«

»Ich bin Kompositor-Operateur, Mr. Bell. Ich beabsichtige eine Komposition des Planeten Erde zu schaffen.«

Er nickte mit weiser Miene. Jeder Zweifel schien von ihm gewichen zu sein. »Ach, ja, eine Komposition. Ich hätte es mir denken sollen. Sie besitzen eine Ausstrahlung von Einfühlsamkeit. Und Sie hätten keinen besseren Gegenstand oder besseren Ort wählen können. Hier auf unserer Mutter Erde werden Sie eine Inspiration erhalten wie sonst nirgendwo. Dieser Planet weist eine gewisse – wie soll ich sagen? – flüchtige Eigenschaft auf, die sich bisher der Beschreibung entzogen hat. Jeder Hügel und jedes Tal klingt von eigener Musik wieder …«

»Nicht Musik«, meinte ich. »Nicht Musik.«

»Sie wollen sagen, eine Komposition ist keine Musik?«

»Nicht in diesem Sinn. Eine Komposition ist wesentlich mehr als nur Musik. Sie ist eine totale Kunstform. Sie schließt Musik ein, aber ebenso umfasst sie das geschriebene und gesprochene Wort, Bildhauerei, Malerei, Gesang.«

»Sie meinen, das alles machen Sie?«

Ich schüttelte den Kopf. »In Wirklichkeit mache ich das wenigste. Bronco leistet die Hauptsache.«

Er klatschte in die Hände. »Ich fürchte«, sagte er, »nun komme ich ganz durcheinander.«

»Bronco ist ein Kompositor«, erklärte ich. »Er absorbiert die Stimmung, die visuellen Eindrücke, die unterschwelligen Nuancen, die Geräusche und Formen, die Gestalt. All das nimmt er auf und verarbeitet es zu einem Produkt. Keinem restlos fertigen Produkt, doch den Grundzügen und Grundstoffen des Produkts. Damit setze ich dann die Arbeit fort. Wir beide arbeiten zusammen. Zeitweise – so kann man, wie ich glaube, wohl sagen – werde ich zu einem Teil von ihm. Er sammelt die Basismaterialien, und ich liefere die Interpretation, allerdings nicht die ganze. Das machen wir ebenfalls arbeitsteilig. Es wird nun, fürchte ich, ein bisschen schwierig zu erläutern …«

Er schüttelte den Kopf. »Von so etwas habe ich noch nie gehört. Das ist mir völlig neu.«

»Es handelt sich in der Tat um eine ziemlich neue Methode«, verriet ich. »Erst vor zwei Jahrhunderten wurde sie auf dem Planeten Alden entwickelt, und seitdem unterliegt sie einem ständigen Prozess der Verfeinerung. Keine zwei Instrumente sind jemals einander gleich. Immer lässt das nächste sich irgendwie verbessern. Es ist ein Projekt mit ungewissem Ausgang, wenn man sich anschickt, einen Kompositor zu konstruieren. Das ist übrigens ein misslicher Name dafür, aber ein besserer ist noch keinem eingefallen.«

»Aber dieses Instrument nennen Sie Bronco. Der Name muss doch irgendeinen Sinn …«

»Es verhält sich so«, sagte ich, »dass der Kompositor sehr groß ist und schwer. Er ist ein komplexer Mechanismus mit zahlreichen höchst empfindlichen Teilen, die starken Schutz benötigen. Ich kann ihn nicht bei mir tragen. Er muss sich aus eigener Kraft bewegen. Während wir mit ihm unterwegs sind und die Landschaft durchstreifen, um unsere Eindrücke zu sammeln, montieren wir einen Sattel auf, so dass man darauf sitzen kann.«

»Womit Sie, vermute ich, sich und Elmer meinen. Wieso hat Elmer Sie nicht zu mir begleitet?«

»Elmer ist ein Roboter«, teilte ich ihm mit, »und liegt gegenwärtig in einer Kiste. Er ist als Fracht an Bord des Raumschiffes gegangen.«

Bell wand sich beunruhigt und erhob Einspruch. »Aber, Mr. Carson, Sie müssen das doch wissen. Bestimmt wissen Sie es. Roboter sind auf unserer Mutter Erde nicht erlaubt. Ich fürchte sehr, dass wir …«

»In diesem Fall haben Sie keine Wahl«, sagte ich. »Sie können ihm den Aufenthalt nicht verweigern. Er ist ein Eingeborener der Erde, und das können weder Sie von sich, noch ich von mir behaupten.«

»Ein Eingeborener? Das ist ausgeschlossen! Sie müssen scherzen, Mr. Carson.«

»Nicht im geringsten. Hier ist er hergestellt worden. In den Tagen des Letzten Krieges. Er half beim Bau der letzten großen Kriegsmaschine. Später erhielt er den Status eines Freien Roboters, und nach Maßgabe der galaktischen Gesetze besitzt er – mit wenigen Ausnahmen – die gleichen Rechte wie ein Mensch.«

Bell schüttelte den Kopf. »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte er. »Ich bin mir wirklich nicht sicher …«

»Sie brauchen sich dessen auch nicht sicher zu sein«, gab ich zur Antwort. »Ich bin es. Ich habe die Rechtslage mit größter Sorgfalt geprüft. Elmer ist nicht allein ein Eingeborener, sondern im Sinne des Gesetzes sogar ein natürlicher Eingeborener. Nicht fabriziert. Geboren. Auf Alden befindet sich ein amtliches Dokument, welches das bestätigt, und ich habe eine Kopie dabei.«

Er bat nicht darum, die Kopie sehen zu dürfen.

»Elmer gilt in jeglicher Hinsicht als Mensch«, ergänzte ich.

»Aber der Kapitän muss sich doch erkundigt haben …«

»Dank der Bestechungssumme, die ich dem Kapitän gezahlt habe«, sagte ich, »war ihm alles gleichgültig. Und für den Fall, dass Ihnen das Gesetz nicht genügt, möchte ich auf die Tatsache hinweisen, dass Elmer zwei Meter groß ist und außerordentlich schwer. Schlimmer noch, er ist leicht reizbar. Er wollte sich nicht abschalten lassen, als ich seine Kiste zugenagelt habe. Ich wage gar nicht daran zu denken, was geschehen könnte, würde jemand anders als ich die Kiste öffnen.«

Bell musterte mich mit beinahe schläfrigen Augen, doch hinter der Schläfrigkeit lauerte Wachsamkeit. »Nanu, Mr. Carson«, fragte er, »denken Sie so schlecht von uns? Wir begrüßen Ihren Besuch, Ihr Interesse an uns. Die Mother Earth wird Ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten jede Hilfe leisten, sobald Sie nur sagen, welche Sie brauchen. Sollte es finanzielle Schwierigkeiten geben …«

»Selbstverständlich gibt es finanzielle Probleme. Aber wir verzichten auf Unterstützung.«

Er blieb verstockt. »Gelegentlich haben wir schon anderen Künstlern finanzielle Zuwendungen gemacht. Schriftstellern, Malern …«

»Ich habe so einfach wie ich's kann«, sagte ich, »klarzustellen versucht, dass wir mit der Mother Earth oder dem Friedhof keine Verbindungen einzugehen wünschen. Dennoch verharren Sie absichtlich in Ihrem Missverständnis. Muss ich mich deutlicher ausdrücken?«

»Nein«, antwortete er. »Ich glaube, das ist nicht erforderlich. Sie arbeiten unter der romantischen, aber falschen Voraussetzung, auf der Erde gäbe es mehr als den Friedhof, doch ich sage Ihnen, Mr. Carson, nichts anderes existiert. Die Erde ist wertlos. Vor zehntausend Jahren wurde sie zerstört und verlassen, und ohne unser Wirken wäre sie schon längst in Vergessenheit geraten. Wollen Sie's sich nicht überlegen? Es wäre für alle Beteiligten von gegenseitigem Vorteil. Ich bin sehr interessiert an dieser neuen Kunstform, die Sie da beschrieben haben.«

»Hören Sie zu«, sagte ich, »damit Sie mich endlich richtig verstehen. Ich beabsichtige nicht den Friedhof zu verherrlichen. Mir ist keinesfalls daran gelegen, mich als Public Relations-Agent an die Mother Earth zu verdingen. Ich schulde Ihnen nichts. Ich habe Ihrem ehrenwerten Kapitän für den Flug fünftausend Kredits bezahlt und …«

»Das war weniger, als Sie auf einem Pilgerschiff bezahlt hätten«, sagte Bell verärgert. »Und ein Pilgerschiff hätte nicht Ihre gesamte Fracht an Bord genommen.«

»Ich habe das Entgelt«, versicherte ich, »als ausreichend erachtet.«

Ich widmete ihm kein Abschiedswort. Ich drehte mich um und ging. Als ich die Treppe vor dem Eingang des Verwaltungsgebäudes hinabschritt, sah ich vor den Stufen, innerhalb der Verkehrszone, einen Wagen geparkt. Er war das einzige Fahrzeug in Sichtweite. Die Frau, die darin saß, blickte mir entgegen, als habe sie gewusst, dass ich mich im Gebäude befinde, und auf mich gewartet.

Der Wagen war schreiend grell rosafarben, und diese Farbe, das Rosa, lenkte meine Gedanken zurück nach Alden, wo alles begonnen hatte.

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