Heimatkinder 2 – Heimatroman - Ute Amber - E-Book

Heimatkinder 2 – Heimatroman E-Book

Ute Amber

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. "Mutti, im Tal unten scheint die Sonne noch nicht. Zuerst kommt sie wieder zu uns auf den Joch-Hof. Weil wir so hoch oben wohnen." Die braunen Augen des kleinen Mädchens strahlten mit der Sonne um die Wette, die jetzt über dem Allgäu aufging. Die junge Bäuerin Lisbeth Bernau lachte. "Ja, Vreneli, und am späten Nachmittag haben wir noch Sonnenschein, wenn es im Tal unten längst schattig ist." Sie legte den Arm um die Schultern ihres Töchterchens.

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Heimatkinder –2–

Als Vreneli wieder lachen lernte

Ein kleines Mädchen hat’s nicht leicht

Roman von Ute Amber

»Mutti, im Tal unten scheint die Sonne noch nicht. Zuerst kommt sie wieder zu uns auf den Joch-Hof. Weil wir so hoch oben wohnen.« Die braunen Augen des kleinen Mädchens strahlten mit der Sonne um die Wette, die jetzt über dem Allgäu aufging.

Die junge Bäuerin Lisbeth Bernau lachte. »Ja, Vreneli, und am späten Nachmittag haben wir noch Sonnenschein, wenn es im Tal unten längst schattig ist.« Sie legte den Arm um die Schultern ihres Töchterchens. Wir haben es eben doch gut hier oben im Joch-Hof, auch wenn wir so einsam leben müssen.« Sie strich Vreneli über das weiche Haar. »Deinem Vater und mir macht das nichts aus, aber du solltest halt wenigstens einen Spielkameraden in der Nähe haben.«

»Ja, das wäre schön, Mutti. Aber es gibt ja keinen Hof in der Nähe. Macht nichts, ich habe ja Troll und Murri.« Vreneli sah zu dem großen braun-schwarzen Schäferhund. Er saß am Rand des Plateaus, auf dem der Joch-Hof stand. Ein Kätzchen sprang übermütig um Troll herum. Es wollte ihn zum Spielen verleiten. Aber dazu schien er jetzt keine Lust zu haben. Er streckte sich aus und genoß die Morgensonne.

Vreneli schmiegte sich an ihre Mutter. »Und dann wird ja bald das Brüderchen oder das Schwesterchen kommen, Mutter. Wie lange dauert es jetzt noch?«

»Vierzehn Tage, Vreneli. Das ist gar nicht mehr lange.« Lisbeth Bernau legte die Hand auf den hochschwangeren Leib.

»Strampelt das Baby wieder, Mutti?« fragte Vreneli. Ihre Augen leuchteten. Zaghaft streckte sie die Hand aus. »Darf ich es spüren?«

»Ja, Vreneli.« Die Mutter lächelte glücklich. Sie führte die Hand des kleinen Mädchens. »Fühlst du es?«

Vrenelis Gesicht rötete sich vor Aufregung. »Sind das die Füßchen, Mutti?«

»Ich denke, ja. Aber jetzt komm, ich muß in den Stall gehen. Die Kühe brauchen frische Streu.«

Vreneli wurde plötzlich sehr ernst. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Mutti, das darfst du nicht machen.« Rasch lief sie über den Hof und schrie: »Vati! Vati!«

Aus einer Scheune kam ein großer kräftiger Mann mit braunem Haar. Er war der Bergbauer Veit Bernau.

»Was ist denn los, Vreneli?« fragte er erschrocken.

Vreneli lief zu ihm. »Mutti will in den Stall gehen. Das hast du doch verboten.«

»Ein Glück, daß du so gut auf deine Mutter aufpaßt, Vreneli.« Die grauen Augen im schmalen sonnengebräunten Gesicht Veit Bernaus sahen besorgt drein. Er ging zu seiner Frau.

»Was wäre schon dabei, wenn ich die Streu auslegen würde, Veit?« fragte sie.

Er schob sie ins Haus. »Damit wird nichts, Lisbeth. Nimm endlich Vernunft an. Ich werde mit der Arbeit schon allein fertig.« Jetzt zog er seine Frau an sich und gab ihr einen Kuß. »Für dich bleibt im Haus noch genug zu tun. Und für das Kind wirst du auch noch etwas vorzubereiten haben.«

»Nein, für das Baby haben wir alles fertig«, meldete sich Vreneli von der Haustür. »Aber heute kommt doch Schwester Berta, da muß mich Mutti noch fein machen.«

»Na also, Lisbeth, da bist du beschäftigt genug.« Veit Bernau verließ wieder das Haus. »Wie ich unsere Schwester Berta kenne, ist sie spätestens in einer Stunde hier. Sie ist eine Frühaufsteherin. Aber anders wäre es auch nicht möglich, daß sie mehrere Einödhöfe an einem Tag besucht.«

»Bei uns bleibt Schwester Berta aber immer lange«, rief Vreneli hinter dem Vater drein. Dann ging sie in die große, gemütlich eingerichtete Wohnstube.

»Mutti, ich will mein rotes Schürzchen anziehen. Das hat Schwester Berta noch nicht gesehen. Vati hat es mir doch erst vorgestern aus Oberstdorf mitgebracht. Er ist wirklich lieb«, sagte Lisbeth Bernau versonnen. Sie ging in das Nebenzimmer und kam mit einem roten, lustig gemusterten Schürzchen zurück. »Es ist wirklich sehr schön. Also komm, dann werde ich dich feinmachen.«

»Zöpfe mußt du mir auch flechten, Mutti, damit ich nicht so zerzaust bin.«

Lisbeth lachte vergnügt. »Also weißt du, Vreneli, für Zöpfe reicht dein Haar wirklich noch nicht. Das habe ich dir schon so oft gesagt.«

»Jetzt bin ich bald sechs Jahre und habe noch immer keine Zöpfe.« Vreneli schmollte. Sie hob sich auf die Zehenspitzen und sah in den Spiegel. »Und Sommersprossen habe ich auch auf der Nase und auf den Wangen.«

»Du siehst mit deinen Sommersprossen ganz lustig aus, Vreneli«, tröstete sie die Mutter und bückte sich zu ihr. »Schau, ich habe auch Sommersprossen.«

»Aber nicht so viel wie ich, Mutter. Du bist so schön.« Vreneli sah ihre Mutter bewundernd an. Dann sagte sie leise: »Alle Muttis sind schön. Und ganz lieb.« Sie streckte die Arme aus. »Und du bist ganz gewiß die allerliebste Mutti.«

Lisbeth drückte ihr Kind an sich. »Und du bist unser liebes, tüchtiges Vreneli. Deshalb werde ich dir jetzt auch zwei schöne rote Schleifen ins Haar binden. Die Rattenschwänzchen stehen dir auch ganz gut. Es müssen

ja nicht immer gleich Zöpfe sein.«

Davon war Vreneli wenig später auch überzeugt, als sie noch einmal in den Spiegel sah.

»Darf ich Schwester Berta ein Stückchen entgegengehen, Mutti, oder brauchst du mich?«

»Geh nur, Vreneli. Aber willst du nicht Schuhe anziehen?«

Vreneli schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist doch so warm draußen.« Barfuß lief sie hinaus und rief noch zurück: »Ich nehme Troll mit.«

Das kleine Mädchen brauchte nicht weit zu gehen. Als es mit dem Schäferhund auf dem Steig war, der quer über den Steilhang unterhalb des Joch-Hofes führte, sah sie schon die Gemeindeschwester Berta. Es war der älteren Frau anzusehen, welche Mühe ihr der zwei Stunden lange Weg von Oberstdorf herauf gemacht hatte. Ihr volles Gesicht war gerötet, mit dem Handrükken wischte sie sich den Schweiß von der Stirn.

Vreneli sprang ihr entgegen. »Hast du heute einen so schweren Rucksack, Schwester Berta?« fragte sie.

»Ja, der ist wirklich schwer. Und recht zappelig geht es in meinem Rucksack zu.« Sie drehte sich um.

Da begann Troll schon laut zu bellen, so daß Vrenelis Freudenschrei kaum zu hören war.

»Kusch dich, Troll«, rief sie.

Der Schäferhund gehorchte, aber er knurrte noch verhalten.

»Ein kleiner weißer Hund«, rief Vreneli. Sie blickte strahlend auf den dicken weißen Hundekopf, der aus dem Rucksack Schwester Bertas heraussah. »Ist der für mich?«

»Was meinst du, für wen ich ihn sonst hier heraufgeschleppt hätte?«

»Wird das ein Spitz, Schwester Berta?«

Die Gemeindeschwester lachte.

»Das ist noch nicht ganz heraus. Dieses Bärle hat keine reine Rasse. Deshalb wollte ihn auch der Wirt vom Hotel ›Nebelhorn‹ ertränken. Da habe ich mir gedacht, drei kleine Hunde werde ich doch noch unterbringen. Das Bärle hat nämlich noch zwei Geschwister. Für die habe ich schon einen Platz gefunden.«

»Und das Bärle kann bei uns auf dem Joch-Hof bleiben, Schwester Berta. Ich freu mich ja so. Und Bärle ist ein schöner Name. Komm schnell, Schwester Berta, damit Vati und Mutti das Bärle gleich sehen können.« Vreneli griff nach der Hand der Gemeindeschwester.

»So schnell geht es bei mir nicht mehr, Vreneli.« Schwester Berta stützte sich auf einen Stock. »Es wird Zeit, daß ich ins Mutterhaus zurückgehe und einer jüngeren Schwester den Platz räume.«

Vreneli blieb stehen und sah Schwester Berta erschrocken an. »Aber was sollen wir denn machen, wenn du nicht mehr zu uns heraufkommst, Schwester Berta? Wir brauchen dich doch so nötig.«

»Deinem kleinen Geschwisterchen werde ich schon noch helfen, auf die Welt zu kommen, Vreneli. Du weißt ja, wenn es soweit sein wird, bleibe ich ein paar Tage bei euch. Für eine Vertretung habe ich schon gesorgt. Das lasse ich mir nicht nehmen, deiner Mutter noch einmal zu helfen. Ich war ja auch auf dem Joch-Hof, als du zur Welt kamst. Und deine Mutter habe ich schon gepflegt, als sie die Masern hatte. Damals, auf dem Einödhof ihrer Eltern. Ja, ja, die Zeit ist schnell vergangen.«

Lisbeth Bernau kam Schwe­ster Berta und Vreneli bis zu einem großen Ahornbaum unterhalb des Plateaus entgegen.

Vor dem Haus wartete der Bergbauer.

Lisbeth und Veit Bernau machten glückliche Gesichter. Schwester Berta war allen der liebste Gast. Sie kam einmal in der Woche. Bei jedem Wetter und ob jemand auf dem Joch-Hof krank war oder nicht. Immer brachte sie irgendeine Überraschung für Vreneli mit.

Heute war es der kleine Hund. Nachdem ihn die Eltern gebührend bewundert hatten, zog sich Vreneli mit ihm in die Scheune zurück. Es dauerte nicht lange, bis ihnen das rötlich-weiße Kätzchen Murri nachkam. Es streifte im großen Bogen um den dicken kleinen Hund herum. Als er an ihre rote Milchschüssel ging, fauchte sie.

Vreneli mußte laut lachen. »Du bist vielleicht dumm, Murri, unser Bärle tut dir doch nichts. Paß auf, der wird viel öfter mit dir spielen mögen als Troll.«

Sie hatte jetzt eine große Aufgabe, weil sie dafür sorgen mußte, daß sich Troll und Murri, ihre beiden Lieblinge, mit dem neuen Kameraden anfreundeten.

Das hatte sie geschafft, als Schwester Berta am frühen Nachmittag den Joch-Hof wieder verließ. Einträchtig saßen der große Troll und das kleine weiße Bärle mitten auf dem Hof. Murri versuchte, sich zwischen die beiden zu drängen. Aber das ließ der Schäferhund nicht zu. Er rückte noch näher an Bärle heran.

»Siehst du, Schwester Berta, Troll will Bärle schon beschützen«, sagte Vreneli stolz. Sie begleitete die liebe Besucherin noch bis zum Ahornbaum.

Dort schickte Schwester Berta sie zurück. »Geh ins Haus, Vreneli, jetzt wird es schon kühl. Du darfst dir keinen Schnupfen holen. Den können wir nicht brauchen, wenn dein Geschwisterchen kommt.« Sie strich dem kleinen Mädchen über den Kopf. »In einer Woche bin ich wieder oben, Vreneli.«

»Bleibst du dann schon ein paar Tage, Schwester Berta?«

»Nein. Erst beim übernächsten Mal. Deiner Mutter geht es ja gut. Aber trotzdem will ich nächste Woche noch einmal nach ihr sehen.«

*

Lisbeth Bernau vergingen die Tage jetzt viel zu langsam. Sie war das Untätigsein nicht gewohnt. Und sie wußte, wie nötig ihr Mann ihre Hilfe brauchte. Nach der Geburt des Kindes würde sie ihm auch bald wieder zur Seite stehen können. Sie hatte ja Vreneli. Das kleine Mädchen war es schon längst gewohnt, im Haushalt mitzuhelfen. Und darauf, ihr Geschwisterchen betreuen zu dürfen, freute es sich ganz besonders.

Als Schwester Berta wieder auf den Joch-Hof kam, war Veit Bernau nicht zu Hause. Er arbeitete auf einem weit entfernten Holzschlag. Schon jetzt im Sommer mußte man hier oben dafür sorgen, daß die Bäume gefällt und die Stämme zersägt wurden. Im Winter fuhr man sie dann mit den Hörnerschlitten ins Tal. Diese Arbeit war ein zusätzlicher Verdienst des Bergbauern.

Schwester Berta blieb heute nicht lang. Sie wollte noch zu zwei anderen Einödhöfen, wo sie nötig gebraucht wurde.

Beim Abschied sagte sie: »Für die Zeit, in der ich bei dir bleiben werde, Lisbeth, habe ich eine junge Schwester als Vertretung bekommen. Sie heißt Constanze Rotter und stammt aus München. Zuerst war ich skeptisch, als ich hörte, daß sie die Tochter eines Arztes ist und gerade die Schwesternausbildung hinter sich hat. Ich dachte, da hat wieder einmal jemand Flausen im Kopf. Das gibt es ja immer wieder, daß es sich junge Mädchen so ideal vorstellen, hier in den Bergen Gemeindeschwester zu sein. Dabei ist das ein harter Dienst. Aber Schwester Constanze gefällt mir sehr gut. Gar zu jung ist sie auch nicht mehr. Achtundzwanzig Jahre.«

»Dann hat sie sich aber spät dazu entschlossen, Schwester zu werden«, sagte Lisbeth Bernau. Sie machte ein bedrücktes Gesicht. »Ich kann es mir gar nicht vorstellen, Schwester Berta, daß einmal jemand anderes als Sie zu uns kommen soll. Sie gehören doch schon zu uns.«

»Ja, gegen das Alter ist kein Kraut gewachsen, Lisbeth.« Schwester Berta wollte lachen, aber es fiel ihr schwer. »Vielleicht schaffe ich es in den nächsten Jahren noch manchmal, euch zu besuchen. Aber jetzt wollen wir erst mal abwarten, wie in einer Woche alles geht bei dir. Ich wünsche mir ja, dir noch einen Jungen in den Arm legen zu können. Wenn du in den nächsten Tagen etwas spüren solltest, was dich beunruhigt, dann schicke deinen Mann zu mir. Ich würde auch früher kommen, wenn es nötig ist.«

Vreneli begleitete Schwester Berta noch ein Stück, dann holte sie sich einen Rechen und ging auf die Matte neben dem Joch-Hof. Dort hatte der Vater Gras gemäht, ehe er weggegangen war. Die Mutter rechte es zusammen. Als Vreneli zu ihr kam, sagte sie: Wir sind spät dran, Vreneli. Die Arbeit hätten wir am Vormittag schon machen sollen.«

»Wir werden jetzt auch noch fertig, Mutti.« Vreneli stemmte sich fest auf den steilen Hang und begann zu rechen.

Plötzlich drehte sie sich um. Und schon schrie sie entsetzt: »Mutti!«

Lisbeth Bernau war ausgerutscht. Verzweifelt versuchte sie, sich an den Grasstoppeln festzuhalten. Aber es trieb sie immer weiter hinunter.

»Der Felsen, Mutti!« schrie Vreneli mit weit aufgerissenen Augen. Sie setzte sich und rutschte der Mutter nach. Das war jetzt die schnellste Art, um zu ihr zu kommen.

Dem leichten, wendigen Kind fiel es nicht schwer, dem Felsen auszuweichen und sich an den Kiefern daneben festzuhalten.