Die Erbin von Burg Falkenhorst - Ute Amber - E-Book

Die Erbin von Burg Falkenhorst E-Book

Ute Amber

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Beschreibung

»Mutter, Vater, ich habe eine herrliche Überraschung für euch«, jubelte die zwanzigjährige Felicitas Holl. Soeben hatte sie die elterliche Wohnung betreten. Andrea, die knapp sechsjährige Schwester, stand auf und stellte sich erwartungsvoll neben Felicitas. Weniger neugierig schien der siebzehnjährige Bruder Dieter zu sein. Er hatte nur kurz und etwas skeptisch aufgeblickt, jetzt neigte er sich schon wieder über seine Schularbeiten. »Du bist ja ganz aus dem Häuschen geraten.« Die Mutter, Germa Holl, strich ihrer Tochter, dabei liebevoll lächelnd, über das erhitzte Gesicht. »Sogar Vater hast du aus seinem Grübeln gerissen.« »Das wollte ich ja auch.« Die braunhaarige schlanke Felicitas schwenkte einen Brief in der Hand. »Ich habe bei dem Preisausschreiben der großen Illustrierten gewonnen. Seht ihr, wie recht ich hatte, als ich euch prophezeite, daß es dieses Mal klappen werde.« »Das hattest du allerdings schon sehr oft vorausgesagt«, kam es spöttisch von dem Platz Dieters. »Wer weiß, ob deine Ankündigung heute stimmt.« Der Junge strich sich durch das etwas borstige blonde Haar. »Und ob es stimmt!« triumphierte Felicitas. »Trostpreis! Du wirst vor Neid platzen. Lange kannst du gewiß nicht den Überlegenen spielen. Die Ruhe wirst du vollkommen verlieren. Ich spreche überhaupt nicht mehr mit dir. Nur mit den Eltern.« Felicitas umarmte die Mutter und zog sie mit zu dem Platz des Vaters. »Ich habe eine Flugreise nach Rom gewonnen und gleich für zwei Personen. Jetzt im Herbst nach Rom zu fliegen, könnt ihr euch das vorstellen?« »Felicitas, solch ein Glück!« Fassungslos sah die Mutter sie an. »Wen wirst du da bloß mitnehmen?« erklang die Stimme des Bruders wieder. Allerdings war der E-Book 1: E-Book 2: E-Book 3:

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Seitenzahl: 582

Veröffentlichungsjahr: 2016

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4er Liebesroman – 1 –Die Erbin von Burg Falkenhorst

Wer schenkt Felicitas ein neues Glück?

Ute Amber

Das Mädchen im Silberkleid

Roman um die spannende Heimkehr der jungen Beatrix

Roman von Ute Amber

Freiherr Harry von Alberti sah seine Mutter vorwurfsvoll an.

»Mama, du sträubst dich ja nur gegen meine Heirat mit Lola Ferency, weil du meinst, ich dürfe wegen meiner Krankheit überhaupt nicht heiraten. Jetzt gibst du endlich einmal zu, wie wenig du daran glaubst, daß ich jemals noch gesund werde.« Das schmale bleiche Gesicht des Fünfundzwanzigjährigen rötete sich, die hellen Augen sahen vergrämt aus.

»Unsinn, Harry, nach wie vor glaube ich felsenfest daran, daß du wieder gesund wirst. Die Familie Alberti ist ein gesundes Geschlecht, da gab es keine schleichenden Krankheiten. Dein Herzschaden kommt nur von deiner früheren Übertreibung beim Sport. Du konntest ja nie genug kriegen und hast alle unsere Warnungen vor Überanstrengung in den Wind geschlagen. Es ist deine Schuld, daß du nun schon seit Jahren ein so armseliges Leben führen mußt. Aber du solltest zu der einen Dummheit, deine Gesundheit ruiniert zu haben, nicht noch eine größere setzen, nämlich die Heirat mit dieser leichtfertigen Frau. Was ist sie, wer ist sie? Das Kind einer ungarischen Familie, die ihre Heimat verlassen hat und hier völlig mittellos ist.« Die Freifrau Selma von Alberti stand erregt auf. »Soll dieses Mädchen hier auf Schloß Weißenstein einziehen, meine Nachfolgerin werden? Ich habe mir eine andere Schwiegertochter gewünscht, eine von Rang und Namen.«

»Beides haben wir selbst, dazu ein ungeheures Vermögen. Kann ich es mir unter diesen Umständen nicht leisten, eine Frau nach meinem Herzen zu heiraten? Ich liebe Lola, und sie liebt mich. Ich habe ein Recht darauf, frei wählen zu dürfen. Mit Lola an der Seite werde ich auch wieder stark und gesünder werden.«

»Du bist und bleibst ein Phantast. Lola Ferency ist lebenshungrig, sie will im Mittelpunkt stehen, gefeiert werden. Mit ihr kannst du nicht an ein ruhiges Leben denken, wie du es brauchst. Du bist weltfremd geworden, in die erste beste hast du dich verliebt. Ich verfluche den Tag, an dem wir jene Gesellschaft gaben, auf der du Lola Ferency kennenlerntest.«

»Und ich preise ihn, Mama. Sei ehrlich, du hast nur Angst, daß dir deine Vorrechte hier streitig gemacht werden könnten. Ich will dir nicht weh tun, aber heute kann ich es mir nicht versagen, dich daran zu erinnern, wie alles hier unter deinem Regiment zittert. Die Dienerschaft vergleicht dich oft mit Vaters erster Frau, und dieser Vergleich fällt nicht zu deinen Gunsten aus. Seit Vaters Tod hat auf Schloß Weißenstein niemand mehr etwas zu lachen. Du bist knauserig geworden. Ja, Mama, so ist es. Ich spüre doch, daß du sogar an mir sparst. Für wen willst du all das Geld zusammenraffen, warum vermagst du es nicht einmal mit einer Schwiegertochter, die ich dir bringe, zu teilen? Du brauchst doch jetzt nicht mehr zu fürchten, daß Vaters erste Tochter Hedda, deine Stieftochter, dir etwas streitig macht. Sie, die noch vor mir ein Anrecht auf Weißenstein und unser Vermögen gehabt hätte, ist verschollen.«

»Warum sprichst du schon wieder von Hedda? Du weißt, ich kann ihren Namen nicht hören. Sie hat mir genug Sorgen gemacht, solange sie auf Weißenstein lebte.«

»Das war allerdings kurz. Ich kann mich ja an Hedda nur noch wenig erinnern. Sie war immerhin fünfzehn Jahre älter als ich. Aber ich weiß, daß Vater immer sagte, ihr stehe das Erbe vor allen Dingen zu, weil ihre Mutter das Vermögen mit in die Familie gebracht hat. Die Albertis waren vollkommen abgewirtschaftet, als Vater seine erste Frau heiratete.«

»Und ich habe wohl keine Opfer gebracht, was? Vergißt du, daß die erste Frau deines Vaters eine Bürgerliche war? Ich dagegen bin aus einer der ersten Familien unseres Landes, mit meinem Namen konnte ich dem Vater Ehre einlegen. Freilich, gedankt hat er es mir nie. Ich mußte das Kind aus seiner ersten Ehe aufziehen, nie machte ich etwas richtig, immer wurde ich beanstandet. Hedda war schon als Kind kaum zu ertragen, ihre Widerborstigkeit kannte keine Grenzen. Ich habe ja auch die Schande ertragen müssen, daß Hedda mit diesem Windhund von Schriftsteller durchging.«

»Sie liebte Michael Boerner eben. Ich kann Hedda verstehen. Es ist traurig genug, daß sie verschollen ist. Ich wünschte, wir hätten von ihr oder ihrem Mann noch einmal eine Spur gefunden. Hedda war fröhlich; es würde hier ein anderer Ton herrschen, wenn sie in unserer Nähe wäre. So verbittern wir allmählich. Wir kennen nichts anderes mehr, als an unser Geld zu denken, wir prahlen mit unserem Namen. Dabei ist er in der heutigen Zeit nur Schall und Rauch. Warum leben wir wie in längst vergangenen Zeiten, Mama? Es gibt noch mehr Menschen, die von altem Adel sind, aber sie machen daraus nicht so viel, sie arbeiten wie Bürgerliche, sie leisten etwas. Du aber willst, daß wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen. Das heißt, es sind nicht einmal die unserigen, sondern die unserer Vorfahren. Vater war da ganz anderer Ansicht als du. Er hätte auch Hedda ihre Wahl nicht verübelt, wenn du nicht so gegen Michael Boerner gewesen wärest. Wer weiß, wo Hedda elend zugrunde gegangen ist, weil du es schafftest, sie ohne alle Mittel gehen zu lassen. Vater ist aus Gram darüber so früh gestorben. Er konnte es nicht verwinden, von Hedda nichts mehr gehört zu haben. Schließe doch die Augen vor diesen Dingen nicht, Mama, sie müssen auch zwischen uns einmal ausgesprochen werden. Ich kann dich nicht immer nur schonen, sonst nimmt deine Herzenskälte immer mehr zu. Gerade in diesen Stunden, da es um meine Heirat geht, möchte ich dich daran erinnern, wieviel Unglück bei uns schon durch diese deine Hochmütigkeit entstanden ist. Und durch deinen Geiz. Du möchtest alles nur für dich behalten, du vermagst nicht zu teilen. Jetzt bist du sechzig Jahre, was soll das viele Geld für dich allein?«

Das Gesicht Freifrau Selmas hatte sich verzerrt, in ihren graugrünen Augen stieg ein Lodern auf.

»Willst du mich mit solchen Worten an meinen Tod erinnern? Spürst du nicht, wie infam es von dir ist, das zu tun?«

»Aber nein, Mama, das wollte ich natürlich nicht tun. Ich wünsche dir, daß du recht alt wirst und noch viele Jahre dein Leben auf Schloß Weißenstein genießen kannst. Diese Worte meine ich ganz ehrlich. Ich wollte dir nur sagen, daß du eines Tages, und wenn du hundert Jahre alt wirst, doch jemandem anderen den Besitz überlassen mußt. Warum soll ich es nicht sein, wenn Glück und Liebe mich vielleicht zu heilen vermögen? Sollte sich mein Leiden nicht bessern und ich gar früher als du sterben, so wirst du vielleicht glücklich sein, mit meiner Frau und hoffentlich mit meinen Kindern auf Weißenstein leben zu können und ihnen zu hinterlassen, was ich geerbt hätte. Ich spreche doch ganz vernünftig mit dir, Mama, ich will nicht herausfordernd sein. Bitte, glaube mir das.«

»Ich kann mich nicht damit abfinden, daß es gerade Lola Ferency sein soll, die sich hier ins gemachte Nest setzt, ohne uns dafür etwas mitzubringen.«

»Mir ist Lolas Liebe genug, Mama. Sie bedeutet für mich mehr als ein klingender Name oder ein großes Vermögen.«

»Du bist verliebt. Deine fünfundzwanzig Jahre sind keine Gewähr dafür, daß du dich klar entschieden hast, und richtig.«

»Nun, ein Kind bin ich mit fünfundzwanzig Jahren gewiß nicht mehr. Ich fühle mich durch die langen Jahre meiner Krankheit um vieles älter. Ich habe gelernt, wirkliche Werte zu schätzen. Für mich bedeutet es alles, Lola neben mir zu haben. Nichts wird mich davon abbringen, sie so bald wie nur möglich zu heiraten. Bitte, laß das unseren letzten Streit darüber gewesen sein, Mama. Lola wird mich heute nachmittag besuchen, ich möchte mit ihr den Hochzeitstermin bestimmen. Es wird Zeit für Lola, daß sie eine Heimat bekommt, seit Jahren vagabundiert sie mit ihren Eltern umher.«

»Siehst du, nun sagst du es selbst, Harry«, triumphierte Selma von Alberti.

»Aber nicht in negativem Sinn. Ich bedaure Lola. Es ist schließlich nicht ihre Schuld, daß ihre Familie Ungarn verlassen mußte und nun keine Heimat mehr hat. Nein, nein, ich lasse nicht mehr mit mir handeln. Wenn du mir noch Schwierigkeiten bereiten willst, entschließe ich mich, mit Lola von Weißenstein fortzugehen. Ich habe seit meiner Großjährigkeit ein Anrecht auf einen Teil unseres Vermögens, ich lasse es mir von dir nicht mehr vorenthalten. Ich weiß nicht, ob es dir sehr angenehm sein wird, allen Menschen gestehen zu müssen, daß du deinen einzigen kranken Sohn aus dem Schloß seiner Väter vertrieben hast.«

»Du führst eine brutale Sprache, Harry.« Das Gesicht der Freifrau war bleich geworden.

»Du zwingst mich dazu, Mama. Es liegt nicht an mir, ob ich dir meine Entscheidung beweisen muß. Aber noch hoffe ich, daß du einsichtig wirst. Ist es denn so schwer, Lola etwas entgegenzukommen?«

Selma von Alberti war an das Fenster getreten, sie drehte ihrem Sohn den Rücken zu.

Gespannt blickte er auf ihre hohe, hagere Gestalt.

Er wußte, wenn die Mutter schwieg und sich so benahm wie jetzt, dann traf sie eine Entscheidung. Meist eine, die nicht mehr umzustoßen war.

Harrys Hand glitt jetzt immer wieder über die Stirn. Er fühlte dort die aufsteigenden Schweißperlen, sein Herz schlug dumpf und schwer.

Er mußte sich eingestehen, daß es für ihn nicht leicht sein würde, Weißenstein zu verlassen. Er liebte das herrliche Schloß, es war seine Heimat. Sein Herzleiden verbot ihm, irgendeine Tätigkeit auszuüben, also würde er sich draußen in der Fremde sehr verloren vorkommen. Auch mit Lola.

Jetzt drehte sich die Mutter um. Ihre Lippen waren zusammengekniffen, die Lider lagen halb über den Augen.

Freiherr Harry war an die Lehne seines bequemen Rollstuhles zurückgesunken, erwartungsvoll hingen seine Blicke auf dem Gesicht der Mutter.

Endlich öffneten sich ihre Lippen. »Du hast mich eben gezwungen, in deine Heirat einzuwilligen. Nun gut, tu, was du nicht lassen kannst. Aber mache bitte nicht mich dafür verantwortlich, wenn du eine Enttäuschung erlebst.«

Freiherr Harry schien ihre Warnung gar nicht gehört zu haben. Er stand etwas mühsam auf und ging zu seiner Mutter.

Lachend sah er sie an. Jetzt wirkte sein Gesicht jünger, seine Augen waren lebhafter.

»Mama, ich danke dir. Und du wirst Lola so begegnen, wie sie es verdient hat?«

»Ja, Harry, so wie sie es verdient hat.«

Harry von Alberti hörte nicht das Zweideutige aus diesen Worten, er freute sich nur über die Bereitschaft seiner Mutter, das Kriegsbeil endlich zu begraben.

Erwartungsvoll verbrachte er die nächsten Stunden. Es dauerte ihm viel zu lange, bis er vor dem Schloß einen Wagen vorfahren hörte, von dem er annahm, daß ihn Lola benutzt hatte.

Harry trat an das Fenster.

Strahlend vor Glück sah er auf die schlanke Gestalt, die jetzt mit schnellen Schritten über den Vorplatz des Schlosses ging.

Nun hob sich Lolas Hand, sie winkte zu ihm herauf.

»Sie hat mich gleich entdeckt«, murmelte Harry von Alberti und verließ das Zimmer.

Er brauchte die Treppe nicht mehr hinunterzugehen, Lola kam ihm schon entgegen.

Etwas scheu sah sie sich um, als fürchte sie eine ganz bestimmte Begegnung.

»Lola, herrlich, daß du schon so früh gekommen bist.« Harry streckte ihr die Hand entgegen, doch dann legte er seine Arme um das Mädchen und zog es an sich.

Niemand hätte das Erstaunen auf dem Gesicht Lolas übersehen können. Sie mochte es nicht gewohnt sein, so frei begrüßt zu werden.

Ein triumphierendes Lächeln legte sich flüchtig um den stark geschminkten Mund, die schwarzen Augen leuchteten auf.

Gleich darauf waren diese beiden Zeichen der Überraschung von ihrem Gesicht geschwunden, es wurde nur mehr von einer sehr stark zur Schau getragenen Verliebtheit beherrscht.

»Ich mußte ja so früh kommen, Harry, ich habe es vor Sehnsucht nach dir nicht mehr ausgehalten. Muß ich deine Mutter nicht erst begrüßen?« Diese Frage klang sehr scheu, beinahe etwas erschauernd.

»Mama ruht jetzt, sie wird uns nachher in meinem Zimmer besuchen, so habe ich es mit ihr abgemacht.«

Wieder leuchtete das Erstaunen in Lolas Augen auf.

»Es geht dir besser?« fragte sie, während Harry mit ihr in sein Zimmer ging.

Dort war der Rollstuhl entfernt worden. So sehr er ihm sonst nützte, in Lolas Gegenwart haßte er ihn. Nichts sollte in diesen herrlichen Stunden an sein Leiden erinnern, er trug schwer genug daran, nicht als ganz Gesunder vor Lola stehen zu können.

»Ja, es geht mir gut, mein Liebes.« Zärtlich umschlang Harry das Mädchen. »Vor Glück ist es so bergauf mit mir gegangen. Du brauchst dir um mich weiter keine Sorgen zu machen. Die wenigen kleinen Beschwerden werden sicher ganz verschwinden, wenn du erst bei mir auf Weißenstein sein kannst. Und das wird nicht mehr lange dauern.«

»Wie oft haben wir das schon gehofft, Harry, aber immer zerschlug es sich wieder. Ich weiß, daß deine Mutter mit mir als Schwiegertochter nicht einverstanden ist. Wie sollte das auch anders sein? Ich wünschte, ich wäre noch die Tochter meines reichen Vaters und nicht die eines Bettlers.«

»Sei nicht so bitter, Lola. Ich liebe dich. Macht dich das zunächst nicht reich genug?«

»Gewiß, doch«, kam es stockend über die Lippen des Mädchens. »Aber es sah bisher für alle Welt so aus, als würdest du mich nur als Spielball ansehen, gewissermaßen zu deinem Zeitvertreib. Jedesmal stehe ich Todesangst aus, wenn ich hier herauffahre.«

»Das ist jetzt vorbei, ich sagte es doch schon, Lola. Bitte, verzeihe mir, daß wir dich gequält haben. Ich verstehe deinen Stolz. Endlich soll ihm Genüge getan werden. Ich habe mich heute mit meiner Mutter ausgesprochen. Wenn du mich noch willst, können wir in wenigen Wochen heiraten.«

»Ja, ich – ich will«, jubelte Lola.

Der Mann hörte nicht die tiefe Genugtuung aus diesen Worten, er sah nur das strahlende Gesicht, die hektische Freude. Und das alles schien ihm so echt zu sein wie seine Liebe zu Lola Ferency.

Er wußte nicht, wie sehr sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren darauf gewartet hatte, endlich unter die Haube zu kommen. Noch dazu unter eine so vergoldete.

Er ahnte auch nicht, daß die Frau, die er mehr als sein Leben liebte, mit der von ihm bestellten Taxe nur bis in den nächsten Ort hinunterfuhr und dort Platz in einem anderen Wagen nahm. In einem kleinen, bescheidenen. Aber in ihm saß der Mann, dem ihr leidenschaftliches Herz wirklich gehörte – ihr Jugendfreund Bela Zsolni.

Mit ihm fuhr sie ein Stück durch den Wald, bis sie an ein kleines Waldcafé kamen.

Kaum saßen sie an einem der Tische, neigte sich der schwarzhaarige, untersetzte Ungar zu ihr. »Du bist in besonderer Stimmung zurückgekommen, Lola.«

»Ja, ich habe mein Ziel erreicht. Unser Ziel«, verbesserte sich Lola sogleich. »Denke dir, die Gnädige geruhte, mit mir in gewisser Freundlichkeit zu sprechen. Freilich, verbergen konnte sie nicht ganz, daß ihr Sohn sie zu ihrem Einverständnis gezwungen hatte.«

»Zu welchem Einverständnis, Lola?« Bela neigte sich noch nähr zu dem erregten Mädchen.

»Nun, zu welchem wohl? Daß ich in vier Wochen Freifrau von Alberti werde.«

»Es ist also soweit.« Bela Zsolni lehnte sich weit zurück, sein Gesicht war blaß geworden, die Zähne bissen sich jetzt aufeinander.

»Warum erschrickst du? Haben wir nicht lange genug auf dieses Ziel hingearbeitet? Pfui, Bela, du verdirbst mir die Freude.« Beleidigt, kokettierend mit ihrer Entrüstung, lehnte sich auch Lola zurück. »Ich verstehe dich nicht. Ich hatte gehofft, du würdest in einen Freudenschrei ausbrechen.«

»Ganz so abwegig kann ich mich leider noch immer nicht benehmen, Lola. Ich liebe dich und soll in Jubelrufe ausbrechen, wenn dich ein anderer zur Frau bekommt?«

»Aber Liebster, doch nur vorübergehend. Hast du unsere Überlegungen vergessen? Freiherr Harry ist ein schwerkranker Mann. Jeder kann dir das bestätigen. Sein Herzleiden wird ihn nicht allzu lange mehr leben lassen. Die Freifrau ist sechzig Jahre, es sind sonst keine Erben da. Ich werde in den Besitz von Schloß Weißenstein kommen, das große Vermögen wird mir gehören. Und eines Tages auch dir, Bela. Wir werden nicht mehr so bettelarm wie jetzt sein, nicht jeden Cent umdrehen müssen.«

»Nun, was mich anbelangt, war ich es früher auch nicht viel anders gewohnt. Mir ist es gleichgültig, ob ich reich oder arm bin, wenn ich nur dich habe.«

»Ja, du. Aber ich will nicht arm bleiben. Und jetzt habe ich es geschafft. Nun sei schon fröhlich, Bela, du weißt, ich liebe dich allein.«

»Es ist nicht gut, auf den Tod eines Menschen zu warten und darauf sein Glück aufbauen zu wollen.« Die Stimme Belas war noch leiser geworden, so, als spreche er nur mehr seine Gedanken aus.

»Laß diese Sentimentalitäten, Bela.« Jetzt wurde Lola ungehalten. »Harrys Schicksal ist ihm bestimmt, daran ändern wir nichts. Er liebt mich über alles, ich mache ihn ja glücklich. Daß ich dabei auf sein Erbe spekuliere, weiß er nicht und wird es nie erfahren. Die hochmütige Freifrau aber hat es nicht besser verdient, als daß ihr der ganze Reichtum aus der Hand gewunden wird. Ich werde schon für uns sorgen, verlaß dich darauf, Bela. Habe ich es etwa nicht verdient, auf einem Schloß zu wohnen?«

»Doch, ja, niemandem steht das mehr zu als dir, Lola. Mir tut es nur leid, daß ich es nicht sein kann, der dir diesen Rahmen bietet.«

»Was kommt es darauf an. Wir müssen dem Schicksal dankbar sein, daß es uns diese Chance bietet. Glaubst du, unsere Liebe würde diesem Bettlerleben standhalten, das wir jetzt führen? O nein, ich bin keine Träumerin. Ich weiß, daß der Alltag alles zerschlagen kann, wenn er so nüchtern wie der unserige ist.«

»Und ich soll zusehen, wie dich ein anderer liebt? Glaubst du wirklich, daß ich das ertragen kann?«

»Du brauchst nicht hier in der Nähe zu bleiben, Bela. Ich werde dir sehr schnell Geld verschaffen, wenn ich auf Weißenstein lebe. Damit kannst du dir die Welt ansehen. Ich rufe dich dann, wenn es soweit ist. Du bist in Ungarn Jockey gewesen, du hast deinen Beruf geliebt, ich werde dir zu Pferden verhelfen, zu eigenen Pferden, Bela. Ach, es kann doch nichts Schöneres geben, als mit vollen Händen schenken zu können, vor allem dir. Ich liebe dich mehr als mein Leben.«

Sehr nachdenklich sah Bela Zsolni das Mädchen an. Oft konnte man bei Lola nicht unterscheiden, was Wahrheit und was Phrase war. Ihr leidenschaftliches Gemüt zerrte sie hin und her, es ließ sie oft Entschlüsse fassen, die andere nicht verstehen konnten.

Von ihm aber durfte sie verlangen, daß er sie so nahm, wie sie nun einmal war. Ungebärdig und zügellos, glühend in ihrer Liebe, aber kalt und berechnend, wenn es darum ging, sich den Platz zu erobern, von dem sie meinte, daß er ihr unbedingt zukam.

*

Die Hochzeit des jungen Freiherrn wurde auf Schloß Weißenstein in aller Stille gefeiert.

Zwar war das nicht ganz nach den Wünschen der Braut gewesen, aber wie immer hatte sie sich ohne große Auflehnung gefügt.

Zum erstenmal waren die Eltern der Braut mit im Schloß. Ihren Schwiegersohn freilich kannten sie schon. Er hatte in aller Form bei ihnen um die Hand der Tochter angehalten.

Ilona und Paul Ferency waren ein stattliches Paar, man sah ihnen heute noch an, aus welch guten Verhältnissen sie ehemals stammten.

In ihre einzige Tochter waren sie nahezu verliebt. Immer hatten sie sich ihren Wünschen gefügt. Um ihretwillen waren sie am traurigsten darüber gewesen, Heimat und Besitz verloren zu haben. Nun priesen sie das Schicksal, das ihrem Kind so wohl wollte.

Was Lola mit dem Jockey Bela Zsolni verbunden hatte, sahen sie lediglich als Jugendliebe an. Nicht im entferntesten dachten sie daran, welch dreistes Komplott die beiden geschmiedet hatten.

Freifrau Selma hatte die Eltern ihrer Schwiegertochter nicht spüren lassen, wie wenig wenig willkommen sie ihr waren. Sie wußte, hatte sie einmal in den sauren Apfel gebissen, mußte sie ihn aufessen. Aber sie hatte nicht vor, sich ganz auf Weißenstein ausbooten zu lassen. Im Gegenteil, ihre Pläne waren fest geschmiedet, das Zepter nicht aus der Hand zu geben, so lange es nur ging.

Jahrelang war sie dazu verdammt gewesen, zu hören, daß ihre Vorgängerin, Heddas Mutter, das Geld in die Familie gebracht hatte.

Wenige Stunden vor dem Tod ihres Mannes hatte Freifrau Selma ihn dazu umstimmen können, ihr bis auf einen geringen Teil des Barvermögens alles zu vererben. In jenem Testament hatte sich noch die Klausel befunden, daß diese Bestimmung nur in Kraft treten solle, wenn sich Hedda oder einer ihrer Angehörigen nicht melden sollte.

Diese Demütigung hatte Selma von Alberti nie vergessen. All ihre Kraft war seit jenem Zeitpunkt dafür verschwendet worden, Hedda Boerner für tot erklären zu lassen. Es war gelungen. Mit Bestechungsgeldern fanden sich immer wieder Menschen, die eidesstattliche Erklärungen abgaben, anderen zum Nutzen.

Und zum Nutzen war es für die Freifrau geworden, daß sie einen Mann gedungen hatte, der behauptete, Hedda Boerner sei mit ihrem Mann in Australien umgekommen. Er selbst habe das Ehepaar tot gesehen.

Von Australien stammten die letzten Nachrichten der von Selma von Alberti vertriebenen Stieftochter und deren Mann.

Es war nicht anzunehmen, daß das Paar Kinder gehabt hatte, denn niemals war das von Hedda erwähnt worden.

So ließ Freifrau Selma das Ehepaar kinderlos sterben, aber tief in ihrem Herzen saß immer die Angst, eines Tages könne die verhaßte Stieftochter oder doch ein Kind von ihr auftauchen

Daß sich Michael Boerner nicht auf Schloß Weißenstein melden würde, um ein Erbteil zu beanspruchen, dessen war sie sicher. Zu sehr hatte sie diesen Mann gedemütigt. Es war auch nicht schwer gewesen, seinen Charakter zu erkennen. Michael Boerner hatte nie Wert auf Geld und Gut gelegt.

Die Angst, Weißenstein zu verlieren, hatte in Selma von Alberti beinah Verfolgungswahn erzeugt. Sie raffte und wollte besitzen, selbst das, was längst ihrem leiblichen Sohn gebührt hätte.

Seine Krankheit hatte ihn ihr gegenüber nicht stärker werden lassen, immer war er gefügig. Ihm genügte es, auf Weißenstein eine Heimat zu haben, den geborgenen Platz, den er so nötig brauchte. Er fragte nicht nach dem Erbe.

Jetzt aber, da eine junge, schöne und lebenshungrige Frau im Schloß lebte, war die Angst in Selma von Alberti wieder erwacht, frühzeitig alles hergeben zu müssen.

Bald nach der Heirat des Sohnes konnte sie feststellen, daß mehr Geld verbraucht wurde. Lola bekam von Harry Geschenke, weit höher im Wert, als Selma von Alberti ihr zugebilligt hätte.

Noch wagte sie nicht, warnend den Finger zu erheben. Sie wollte sich Lola nicht offen zur Feindin machen. Daß diese ihr nicht jene Achtung zollte, wie sie äußerlich immer tat, spürte Selma von Alberti.

Zwei Intrigantinnen standen einander gegenüber, eine belauerte die andere. Beide hatten sie das gleiche Ziel, ein Erbe anzutreten, um das es sich zu kämpfen lohnte. Und beide wußten durch eigenes Handeln, daß sie einander mißtrauen mußten.

Dieser Kampf spielte sich im stillen ab, Harry merkte davon nichts.

Er schien die Vorteile aus dieser zugedeckten Feindschaft zu ziehen, denn beide Frauen bemühten sich besonders liebevoll um ihn. Keine wollte ihr wahres Gesicht zeigen, jede hatte etwas zu verlieren, was ihr das Erstrebenswerteste auf dieser Welt war – Reichtum.

Lola von Alberti besaß ihn noch nicht, sie mußte zäher kämpfen. Und sie tat es mit den Mitteln, die ihr in die Hand gegeben waren. Sie spielte ihrem Mann Zärtlichkeit und Liebe vor, daß kaum jemand ihre Falschheit merken konnte.

Eigentlich gab es außer Selma von Alberti, die Lola grundsätzlich mißtraute, nur einen einzigen Menschen, der der jungen Freifrau skeptisch gegenüberstand.

Es war der beste Freund Harrys – Arnim Junker.

Er leitete seit kurzem das Werk seines Vaters, eine Seidenspinnerei, ganz in der Nähe von Weißenstein, in dem kleinen Städtchen Geroldsried.

Harry und Arnim waren Schulfreunde, sie hatten jahrelang miteinander Sport betrieben, beide waren gute Leichtathleten.

Aber weder Harry noch Arnim konnten sich mehr ihrem Hobby widmen, der eine, weil Krankheit ihn daran hinderte, der andere wegen seiner Arbeit.

Aber Arnim Junker hatte immer wieder Zeit gefunden, seinen kranken Freund auf Weißenstein zu besuchen. Harry wußte, daß er ohne die Hilfe des Freundes schon oft verzweifelt wäre. Besonders zu Beginn seiner Bettlägerigkeit. Er hatte nicht einsehen wollen, daß gerade er auf so vieles verzichten sollte, was ihm das Leben annehmbar gemacht hatte.

Inzwischen war er ruhiger geworden, die Hoffnung, wieder zu gesunden und neue Kraft zu bekommen, wuchs gerade in letzter Zeit immer stärker in ihm.

Die Triebfeder dazu war seine junge Frau. Ihr wollte er mehr bieten, als daß sie mit ihm die Zeit im Schloß verbrachte. Sie sollte auf große Gesellschaften gehen, und er wollte dort auf sie stolz sein.

Harry gefiel alles an Lola, es gab nichts, was er an ihr auszusetzen gehabt hätte. Am meisten schmeichelte ihm ihre Stimme, der ungarische Akzent. Er fand Lola verführerisch und hielt sie für seine gute Kameradin.

Dieser Meinung aber war sein Freund Arnim Junker keineswegs. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte Harry diese Verbindung mit aller Kraft ausgeredet. Bevor er jedoch dazu kam, seine Einwendungen geltend zu machen, hatte sich Harry schon fest gebunden.

Arnim Junker war ein sehr gut aussehender Mann. Groß, schlank, mit gebräuntem schmalem Gesicht, das sehr lebhafte graue Augen beherrschten, war er so ganz das Idealbild eines sportlichen eleganten Mannes, dem die Frauenherzen zuflogen.

Trotzdem hatte sich Arnim Junker noch nicht gebunden. Er wußte, daß sein Vater sehnlichst auf eine Schwiegertochter wartete, aber diesen Gefallen hatte er ihm noch nicht tun können.

Auch die Zweisamkeit, in der Harry sich mit seiner jungen Frau anscheinend so wohl fühlte, konnte Arnim nicht dazu verlocken, sich ebenfalls schnell zu binden.

Seine wachen Augen erkannten die Verliebtheit des Freundes, sahen, wie er sich an das Gefühl klammerte, glücklich sein zu dürfen.

Aber Arnim erkannte auch, daß Lola eine Maske trug. Er hatte sie schon zu oft dabei überrascht, wie gleichgültig sie war, wenn Harry sie nicht beobachten konnte. Ja, ihr Gesicht wirkte dann gelangweilt und verdrossen. Ihre Liebesbeweise waren zu deutlich und offenkundig, daß Arnim daran hätte glauben können.

Es tat ihm weh, daß er der Frau seines besten Freundes nicht mehr vertrauen konnte, aber er konnte sich gegen seine Abneigung nicht auflehnen. Nur Harry zuliebe wahrte er den guten Ton, war äußerlich höflich zu Lola, ging ihr aber aus dem Weg, so oft er das, ohne aufzufallen, vermochte.

Dabei hatte er längst gemerkt, daß Lola von Alberti sehr gern in seiner Nähe war. Sie zeigte sich dann immer von der besten Seite. Trotzdem war es ihm lieber, wenn er mit seinem Freund allein sein konnte.

Arnim entwickelte viel Geschicklichkeit im Ausspionieren jener Tage, in denen Lola von Alberti nicht auf Weißenstein war.

Harry hatte nichts dagegen, daß sie oft zu ihren Eltern fuhr. Er selbst begleitete sie nur selten. So sehr es in den ersten Wochen seiner Ehe den Anschein hatte, daß es ihm gesundheitlich besserging, er mußte sich doch noch sehr schonen.

Weder er noch Arnim konnten ahnen, daß Lola nicht aus Liebe zu ihren Eltern wegfuhr, sondern um den Mann zu treffen, dem ihre ganze Leidenschaft gehörte.

Nur einige Wochen hatte es Bela Zsolni auf Reisen ausgehalten, längst hielt er sich wieder in Lolas Nähe auf.

Aber Lola erlebte nicht viele der erhofften schönen Stunden mit Bela. Bela war meist in zerrissener Stimmung, er meinte es nicht ertragen zu können, Lola als die Frau eines anderen Mannes zu sehen. Immer wieder forschte und quälte er, alles sollte ihm Lola genau erzählen, jede Kleinigkeit in ihrem Zusammenleben mit Freiherr Harry interessierte Bela.

Oft war Lola jetzt nahe daran, Bela den Laufpaß zu geben. Sie konnte nicht begreifen, daß sie ein solch entscheidendes Abkommen mit ihm getroffen hatte. Die gute Zeit auf Weißenstein, der sie sich mit Wohlbehagen hingab, wurde ihr durch Belas ständige Fragen vergällt. Sein Drängen zehrte an ihren Nerven, sie fürchtete, sich bei Harry zu verraten.

Sobald sie sich aber von Bela getrennt hatte, zog es sie wieder zu ihm zurück.

Längst hatte sie sich mit dem Arzt Harrys, Doktor Möller, vertraut gemacht. Er war ohne jeden Argwohn, er hatte es begrüßt, daß Freiherr Harry durch seine Heirat neuen Lebensmut bekam.

Doktor Möller wußte, daß sein Patient nie mehr ganz gesund werden würde, aber er sah keine Gefahr, daß dessen Leben zu früh verlöschen könne. Immer wieder jedoch riet der Arzt zu größter Schonung.

Harry hörte solche Ermahnungen vor seiner jungen Frau nicht gern. Aber sie kam nie darauf zurück. Im Gegenteil, sie ermunterte ihn zu größeren Ausflügen, fuhr mit ihm weite Strecken über Land und regte ihn zu langen Spaziergängen an. Sie schien gar nicht zu merken, daß er danach erschöpft war, daß er oft stehen bleiben und nach Atem ringen mußte.

Sie selbst hatte es übernommen, ihm seine Medikamente zu geben.

Während Doktor Möller und Harry von Alberti davon überzeugt waren, daß die vorgeschriebenen Dosen verabreicht wurden, unterließ das Lola.

Sie beruhigte ihr Gewissen damit, daß sie ja Harry nicht töten wolle, weil sie ihm keine zu großen Dosen gab. In ihren Augen waren nur solche Menschen Mörder, die versuchten, ein Menschenleben mit Gewalt auszulöschen. Sie ging mit allen Medikamenten, die aufbauend sein sollten, so sparsam um, daß deren Wirkung verpuffte.

Nach wenigen Monaten schon schüttelte Doktor Möller über den Zustand seines Patienten besorgt den Kopf. Für den Arzt war es nicht zu begreifen, daß seine Medikamente nicht die erwartete Wirkung erzielten. Er griff zu andern Mitteln, aber auch mit ihnen blieb ihm der Erfolg versagt.

Für Harry von Albertis Umgebung hatte es den Anschein, daß seine junge Frau rührend um ihn besorgt war. Sie wich kaum von seiner Seite, sie duldete nicht, daß jemand anderer ihn bediente.

Ihn bedrückte diese Aufopferung, er begann darüber zu klagen, daß er ihr nicht mehr bieten konnte. Er überschüttete sie mit noch mehr Geschenken, um seine vermeintliche Schuld gutzumachen.

Als der Arzt zu einer Kur in einem Sanatorium riet, sträubte sich Lola mit Händen und Füßen dagegen. Sie hatte in Harry einen Kampfgenossen. Auch er wollte nach den wenigen Monaten seiner Ehe nicht ohne Lola sein müssen. Und sie verstand es mit Tränen und Zärtlichkeiten, ihn davon zu überzeugen, daß sie keine einzige Stunde mehr ohne ihn leben wollte.

Freifrau Selma hatte immer wieder Gelegenheit, mit ihrem Sohn beisammen zu sein. Mit verbissenem Gesicht verfolgte sie die Zweisamkeit und machte ihm Vorhaltungen, ein Verschwender geworden zu sein. Aber Harry tat das alles nur mit einem Lächeln ab.

Freifrau Selma hatte oft das Gefühl, daß die jüngeren Dienstboten bereits ganz auf seiten Lolas standen. Einzig und allein der Schloßverwalter Justus Kranz und seine Frau Dorothea waren ihr noch treu. Bei diesen beiden Alten aber mochte das auch nur daran liegen, daß sie schon Jahrzehnte ihrer Herrschaft dienten und sie, Selma von Alberti, besonders fürchteten.

Niemand anders als Dorothea durfte sich um Freifrau Selma kümmern.

Es war im Spätherbst, als die alte Dorothea zu ihrer Herrin in das Zimmer trat und ihr meldete, daß ein junges Mädchen sie zu sprechen wünsche.

»Wer ist es?« Ungehalten sah Selma von Alberti von den Büchern auf, über die sie sich gerade geneigt hatte.

Die alte Dorothea kannte diese Bücher sehr gut, sie brauchte gar nicht besonders hinzuschauen, um zu wissen, daß Freifrau Selma wieder einmal über ihrer Vermögensaufstellung brütete.

Dorotheas Mann wußte ein Lied davon zu singen, wie genau die Herrin Rechenschaft über alle Beträge forderte, die auf Weißenstein ein und aus gingen. Ihr unerträglicher Geiz machte ihm das Leben besonders schwer.

»Sie will ihren Namen nicht nennen.« Dorothea sah sich hilflos um.

»Dann kann ich sie auch nicht empfangen. Was sind das für Zustände auf Weißenstein, daß du mir jemanden meldest, ohne mir sagen zu können, wer es ist?« Die Augen der Freifrau sahen Dorothea ärgerlich an.

»Ich habe mich bemüht«, stammelte die Alte. »Aber es ist aus dem Mädchen nichts herauszukriegen.«

»Also eine Bittstellerin vermutlich, Dorothea «

»Das könnte sein, ja. Aber Sie sollten vielleicht doch nicht so abweisend sein. Das Mädchen sieht sehr mitgenommen aus, es ist ein ganz junges Ding. Ich konnte ihr auch nicht widerstehen.«

»Das merke ich.« Schon neigte sich Freifrau Selma wieder über ihre Aufstellungen.

Dorothea aber stand noch immer an der Tür und wartete. – Als Selma von Alberti das sah, stand sie zornig auf.

Aber Dorothea hatte einen Blick, der es doch ab und zu vermochte, ihrer Herrin Zügel anzulegen und etwas von ihr zu erpressen, was diese gar nicht tun wollte.

»In Gottes Namen, dann schicke die Kleine herauf, Dorothea. Aber mache dir keine Hoffnungen, daß ich lange für sie Zeit habe oder Wohltäterin spiele.«

Die Tür hatte sich schon hinter Dorothea geschlossen.

Am liebsten wäre Selma von Alberti jetzt noch auf den Flur hinausgegangen und hätte ihr Nachgeben rückgängig gemacht.

Aber da hörte sie schon Schritte draußen, die Tür wurde wieder geöffnet, Dorothea erschien und schubste ein junges Mädchen herein.

Mit großen, fragenden Augen starrte die Freifrau auf dieses Mädchen, ihre Hand strich über die Stirn, immer wieder, als wolle sie gewaltsam etwas verscheuchen.

Sie waren nun allein im Zimmer.

»Was wollen Sie von mir, wer sind Sie? Jetzt werden Sie hoffentlich geneigt sein, mir Ihren Namen zu verraten.« Nur mühsam kamen diese barschen Worte über die Lippen der Frau.

Die zarte, schlanke Gestalt stand wie angewurzelt, das schmale, blasse Gesicht rötete sich jetzt ein wenig.

Freifrau Selma sah in ein braunes Augenpaar, in dem jetzt die Verlegenheit und Bedrückung zu weichen schien, es wurde lebhaft, goldene Funken begannen darin zu tanzen.

»Sie dürfen – du darfst – raten. Sehe ich nicht jemandem sehr ähnlich?« erklang eine helle, immer sicher werdendere Stimme.

Statt auf das Mädchen zuzugehen, wich die Freifrau einige Schritte zurück, ihr Gesicht verlor alle Farbe, in ihren Augen stand das Erkennen immer deutlicher. Trotzdem sagte sie:

»Was soll der Unfug? Ich weiß nicht, wer Sie sein könnten. Aber Sie scheinen zu verkennen, wo Sie sich befinden. Eine Freifrau von Alberti läßt keine albernen Scherze mit sich machen.«

Jetzt kam Bewegung in die Gestalt des Mädchens, es lief auf Selma von Alberti zu.

»Nein, das will ich auch nicht. Ich bitte um Verzeihung. Aber ist es so schwer zu erraten, wer ich bin? Sehe ich meiner Mutter nicht ähnlich? Meiner Mutter, der Freiin Hedda von Alberti?«

»Hedda!« Selma von Alberti schlug die Hände vor das Gesicht, sie fiel auf einen Stuhl. »Dachte ich es mir doch«, kam es tonlos über ihre Lippen.

Das Mädchen aber hatte diese Worte verstanden, erlöst atmete es auf.

»Ja, alle haben gesagt, daß ich meiner Mutter ähnlich sehe, deshalb wollte ich hier die Probe machen. Bei dir – Großmutter.« Sie hatte sich zu der alten Frau geneigt.

Deren Hände sanken jetzt vom Gesicht, ihr Mund verzerrte sich, die Augen glühten vor Haß. »Ich bin nicht Ihre Großmutter. Ich verbitte mir diesen Namen.«

Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen, fassungslos sah es die entrüstete Frau an.

»Ja, natürlich nicht meine richtige Großmutter, aber darf ich dich nicht so nennen? Auch wenn du die Stiefmutter meiner geliebten Mama warst?« Tief holte das Mädchen Atem. »Ich weiß schon, du bist noch immer ärgerlich, weil ihr euch wegen der Heirat Mamas zerstritten habt. Aber das ist doch so lange schon her, kannst du das nicht vergessen?«

»Wo ist deine Mutter?« stieß die Freifrau hervor.

Der Kopf des Mädchens senkte sich. Sie konnte sich jetzt über das spontane Du der alten Frau nicht freuen.

»Meine Mutter ist vor einem Jahr gestorben.«

»Vor einem Jahr?« Entsetzt stierte Selma von Alberti das Mädchen an, ihre Gedanken überschlugen sich. Vor einem Jahr sollte Hedda gestorben sein? Dann würde herauskommen, daß bei ihrer gewaltsamen Todeserklärung wegen des Erbes falsche Angaben gemacht worden waren. Dieses Mädchen hier würde alles aufdecken. Nein, noch mehr, es stand als Tochter der erbberechtigten Hedda hier.

»Weshalb bist du zu mir gekommen? Was soll das alles? Ich hatte keine Verbindung mehr mit deiner Mutter. Ich weiß von dir überhaupt nichts. Es ist mir ganz neu, daß Hedda ein Kind hatte.«

»Das habe ich gefürchtet, Großmutter. Meine Eltern sprachen von Schloß Weißenstein nur wenig. Ich habe gehört, daß Mama nicht mehr schrieb, daß ihr verfeindet wart. Ich konnte das nie begreifen. Mama hat auf ihrem Totenbett noch von Schloß Weißenstein gesprochen, von ihrem verstorbenen Vater, von dir und von ihrem Bruder Harry, den sie sehr geliebt haben muß.«

»Aber das alles ist kein Grund, daß du mich jetzt behelligst.«

»Ich wußte nicht, daß ich dir so ungelegen kommen würde. Ich habe gehofft, du hättest vergessen. Du bist jetzt alt geworden. Ist es nicht beruhigend für dich zu wissen, was aus meinen Eltern wurde? Ich stehe ganz allein in der Welt, aber ich habe doch einen Platz, auf den ich gehöre. Mama hat mir gesagt, daß eigentlich Weißenstein meine Heimat sein müßte, daß das Schloß ihr zugefallen wäre.«

»So, das hat deine Mutter gesagt. Ich denke, sie liebte ihren Bruder Harry so. An ihn hat sie wohl bei solchen Worten und Ansprüchen nicht gedacht?«

»Doch, sie sagte immer, sie hätte mit Harry alles geteilt, weil er ja der Sohn ihres Vaters ist. Mama wollte überhaupt nicht mehr kämpfen, sie hatte keine Hoffnung, in die Heimat zurückzukommen. Sie hat viel Schweres erlebt, seit meiner Geburt war sie leidend. Sie vertrug das Klima in Südafrika so schlecht.«

»In Südafrika? Aber sie war doch mit ihrem Mann nach Australien ausgewandert, von dort hat sie anfangs noch an ihren Vater geschrieben.«

»Ja, das mag stimmen. Meine Eltern haben mir erzählt, daß ihr Ziel zunächst Australien war. Aber dort sind sie nicht lange geblieben. Ich bin bereits in Südafrika geboren.«

»Herumzigeunert ist sie also. Genau, wie ich sie und ihren Mann eingeschätzt habe.«

»Das darfst du nicht sagen. Meine Eltern hatten keine Heimat, meine Mutter wollte nicht zu euch bitten kommen, so mußte sie sich mit Vater einen festen Platz suchen. Leider haben sie ihn nie gefunden. Es ist ihnen nicht gutgegangen. Eigentlich hatten wir nichts als unser Familienleben, Großmutter, aber das war innig, wir hielten fest zusammen und haben den Jahren herrliche Stunden abgewonnen. Mein Vater konnte sich als Schriftsteller in der Ferne nicht sein Brot verdienen, er schloß sich immer wieder Expeditionen an, meine Mutter begleitete ihn oft. Sie haben viel wertvolle Arbeit geleistet.«

»Das interessiert mich alles nicht. Ich habe für das Vagabundieren nichts übrig. Was du mir bis jetzt erzählt hast, beweist nur, wie recht ich mit der Ablehnung deines Vaters hatte. Er hat also nie seine Familie richtig ernähren können. Kein Wunder, er war ja ohne Beruf.«

»Vater war sehr klug.«

»War? Er lebt also auch nicht mehr?«

»Das weiß ich nicht.« Tränen rannen jetzt über das Gesicht des Mädchens. »Vater konnte Mamas Tod nicht verschmerzen. Er war vollkommen verändert. Vor einem halben Jahr hat er sich einer Expedition in die Urwälder Südafrikas angeschlossen. Die anderen sind ohne ihn zurückgekommen. Sie haben ihn verloren. Es gibt wohl kaum eine Hoffnung mehr, daß er noch am Leben ist. Ich bin ganz allein. Hörst du, Großmutter, ganz allein. Ich konnte es in Johannesburg nicht mehr aushalten. Ich bin dort noch zur Schule gegangen. Wir hatten kaum Freunde und Bekannte, die mir helfen konnten. Das wenige Ersparte meiner Eltern zerrann mir unter den Fingern, ich wußte nicht mehr aus und ein. Deshalb bin ich gekommen. Eben weil Mama sagte, hier sei meine eigentliche Heimat.«

So unglücklich und verbittert die Stimme des Mädchens eben noch geklungen hatte, die letzten Worte wurden sehr fest ausgesprochen.

»Und nun meinst du, hier bleiben zu können? Schloß Weißenstein ist kein Obdachlosenasyl, auch nicht für Gestrandete aus der Familie.«

»So hart kannst du doch nicht sein. Ein Freund meines Vaters war mir bei den Reisevorbereitungen behilflich, er sagte, ich müsse einen festen Platz haben, und hier würde ich ihn finden. Es sei bestimmt im Sinne meiner Eltern, wenn ich nach Deutschland gehe. Ich habe mir das Reisegeld leihen müssen, Großmutter, ich stehe ohne alle Mittel vor dir.«

»Unfaßbar – unfaßbar – diese Zumutung«, murmelte Selma von Alberti. Sie stand auf. »Nein, und nochmals nein, ich bin nicht gewillt, unter alles einen Strich zu machen und dich hier aufzunehmen. Ich weiß nichts von dir, du kannst auch eine Schwindlerin sein.«

Das Gesicht des Mädchens hellte sich auf. »O nein, Großmutter, ich kann beweisen, wer ich bin. Ich habe alle Papiere meiner Eltern mitgebracht. Willst du sie sehen?«

»Nein.« Freifrau Selma meinte allmählich, den Verstand verlieren zu müssen. Mit dieser für sie so furchtbaren Überraschung hatte sie nicht mehr gerechnet.

Sie haßte schon jetzt das Mädchen.

»Wie heißt du übrigens?«

»Beatrix, Großmutter. Meine Eltern haben mich aber meist Trixi genannt. Du kannst das auch zu mir sagen.« Schon wieder klang Hoffnung durch diese Worte, die braunen Augen verloren den trüben Schein, bittend sahen sie die Großmutter an.

»Und wie alt bist du?«

»Vor wenigen Tagen bin ich achtzehn Jahre geworden, Großmutter. Es war schrecklich, auf der Überfahrt mußte ich meinen Geburtstag feiern. Oder besser nicht feiern. Immer wieder erinnerte ich mich meiner Geburtstage in den vergangenen Jahren. Mama konnte Feste so herrlich feiern. Wenn es irgend ging, waren wir an diesem Tag beisammen.« Man hörte, daß in Beatrix’ Stimme schon wieder Tränen aufstiegen.

Aber Selma von Alberti hörte kaum zu. Sie hatte nur eines erfaßt, daß dieses Mädchen gekommen war, um alte Rechte geltend zu machen.

Sie hatte schon von Harry gesprochen. Ihr nächster Weg würde sicher ihm gelten.

Erschauernd sah sich die Freifrau um.

Harry würde Beatrix ihr Recht nicht versagen, ja, er würde sie mit offenen Armen aufnehmen und glücklich darüber sein, wenigstens Heddas Tochter im Schloß haben zu dürfen.

Nein, nein, das durfte alles nicht geschehen, niemand sollte von dem Auftauchen dieses Mädchens etwas erfahren.

Es mußte Wege geben, das zu verheimlichen.

Ein Blick in Beatrix’ fragende und wieder sicher gewordene Augen sagte Selma von Alberti, daß sie es nicht riskieren konnte, in dem eingeschlagenen Ton weiter zu sprechen.

Aber wie sich verhalten, wie das Richtige treffen, das nachher nicht zurückschlug?

Eines wußte die Freifrau genau, daß sie noch zäher als bisher darum kämpfen würde, den Besitz für sich zu erhalten, so lange sie lebte. Niemand sollte davon mehr haben, als ihm zustand. Harry seinen Teil, das er bereits genoß und verschwenderisch mit Lola teilte, und dieses Mädchen Beatrix?

Nein, sie durfte nichts, aber auch gar nichts erhalten, sie mußte weiterhin für ihre Familie hier nicht existieren, sie durfte keine Gelegenheit haben, mit Hilfe anderer Menschen über ein Gericht Ansprüche geltend zu machen.

»Ich war sehr überrascht, Beatrix, das wirst du verstehen können. Für uns hier galten deine Eltern als verschollen, von deiner Existenz wußte niemand etwas. Ich muß mich erst zurechtfinden.«

»Es tut mir leid, daß ich dich erschreckt habe, Großmutter«, ging Beatrix sofort auf diesen ihr schon angenehmeren Ton ein. »Aber nun bin ich hier, du siehst mich leibhaftig vor dir, es wird dir nicht mehr schwerfallen, an meine Existenz zu glauben.« Ein Lächeln machte sich auf dem schönen Gesicht breit, die Augen blitzten.

Wieder dachte Selma von Alberti: Sie ist so frei und selbstbewußt, sie läßt sich gewiß nicht überlisten oder unterkriegen.

»Ja, ja, du hast recht, Beatrix. Wir müssen überlegen, was aus dir werden soll.«

»Oh, ich arbeite gern mit hier im Schloß. Ich bin nicht ungeschickt, ich habe oft den Haushalt führen müssen, trotz meiner Schularbeiten. Ich spreche perfekt englisch und französisch, Großmutter, du brauchst dich meiner nicht zu schämen. Daß ich keinen adeligen Namen mehr habe, sondern nur ganz schlicht Beatrix Boerner heiße, wird in der heutigen Zeit nicht mehr so wichtig sein wie bei der Heirat meiner Mutter. Die Welt hat sich doch sicher auch hier in den letzten Jahren stark verändert. Bei uns in Südafrika konnte überhaupt niemand verstehen, daß meine Mutter von ihrer Familie verstoßen wurde, weil sie keinen Aristokraten heiratete. Ja, Großmutter, richtig gelacht hat man darüber. Dort unten gilt nur der etwas, der sich behauptet und tüchtig ist. Und das habe ich gelernt. Deshalb sehe ich die Dinge ja auch so nüchtern an. Ich gehöre nun einmal durch meine Mutter zu eurer Familie. Ich konnte Mama nie verstehen, daß sie einen so merkwürdigen Stolz hatte, sich nicht mehr an euch zu wenden. Schließlich haben doch ihre Vorfahren das hier alles mit erarbeitet. Und ihre Mutter ist aus einer sehr vermögenden und angesehenen Familie gewesen.«

»Ja, und sie hat das Geld nach Weißenstein gebracht. Hat dir das vielleicht deine Mutter auch eingehämmert?« entfuhr es der Freifrau. Ihr Gesicht zeigte hektische rote Flecken.

Aber Beatrix verstand diese Erregung nicht, sie lachte nur.

»Ja, das hat mir Mama flüchtig erzählt. Sie schämte sich beinah, das sagen zu müssen. Sie behauptete, anders hätte sie einen leichteren Stand auf Weißenstein gehabt, dann wäre sie nicht immer als die eigentliche Erbin angesehen worden. Sie verübelte es ihrer Mutter, daß diese die Bestimmung getroffen hat, ihr Vermögen müsse sich weiter auf Mama vererben. Ich finde das gar nicht sonderbar. Gute Rechnung erhält die Freundschaft, denke ich mir immer, und in Geldsachen sollte man so nüchtern wie nur möglich sein. Für den Bruder Harry wäre ja noch genug geblieben, und du hast sicher einen festen Platz auf Weißenstein, den dir niemand streitig machen kann.«

Selma von Alberti meinte, sie werde einen Gallenanfall bei solchen Worten bekommen.

»Übrigens, wie geht es Mamas Bruder? Ich freue mich schrecklich darauf, ihn kennenzulernen. Ist er inzwischen verheiratet? Das wäre so ganz nach meinem Geschmack, wenn er eine junge reizende Frau hätte, die mich ein wenig als Freundin akzeptiert. Dann würde ich mich schnell heimisch fühlen. Wenn ich so allein bin, dann überkommen mich immer die schrecklichen Erinnerungen. Ich denke an meine geliebte Mama und Vater. Sei nicht böse, Großmutter, aber ich sehne mich nach jemandem, der nicht sehr viel älter als ich ist. Wird mein Onkel Harry mich mögen? Was meinst du? Er ist doch nur einige Jahre älter als ich. Vielleicht will er gar nicht, daß ich Onkel zu ihm sage. Nein, ganz sicher wird er sich das verbitten.« Erschrocken schlug Beatrix die Hand auf den Mund. »Jetzt habe ich in einem fort gesprochen, du siehst mich mit Recht vorwurfsvoll an, Großmutter. Aber bitte, verstehe mich. Ich möchte viel, alles von euch hier wissen und ich habe so lange mit niemandem richtig sprechen können. Alle waren mir fremd.«

»Harry ist krank, er wird kein Interesse an dir haben. Seine junge Frau ist mit seiner Pflege beschäftigt«, stieß Selma von Alberti hervor. Sie kam sich diesem temperamentvollen Mädchen gegenüber immer hilfloser vor.

»Er ist krank? Oh, das tut mir schrecklich leid. Aber doch hoffentlich nichts Ernsthaftes. Ach ja, jetzt erinnere ich mich, daß Mama sagte, Harry sei immer ein wenig anfällig gewesen, schon als Kind. Darf ich ihn gleich besuchen, Großmutter? Ich fühle mich ganz frisch dazu.«

»Nein, jetzt geht es nicht. Ich muß mir erst überlegen, wie wir das alles arrangieren. Nimm bitte Rücksicht auf mich, ich habe dich schon einmal darum gebeten. Bitte, bleibe in diesem Zimmer. Ich befehle dir, es nicht zu verlassen. Wo hast du dein Gepäck?«

»Noch auf dem Bahnhof. Es ist ja so umständlich, nach Schloß Weißenstein zu kommen, da ließ ich mein Reisegepäck lieber zurück. Ich nahm eine Taxe hier herauf, dazu reichte mein Geld gerade noch.« Beatrix hatte sich niedergelassen. Sie schien willens zu sein, der Großmutter zu gehorchen, auch wenn sie sie nicht ganz begriff.

»Gut, dann werde ich das Gepäck holen lassen. Also, verhalte dich still. Ich will ein Stündchen in einem anderen Zimmer ruhen und werde dann zu Harry gehen. Ich hole dich, wenn es an der Zeit ist.« Mit unsicheren Schritten verließ die sonst so selbstbewußte Freifrau das Zimmer.

*

Dorothea begegnete in der Halle Selma von Alberti.

Diese wollte zuerst an ihr vorbeigehen, ohne von Dorothea Notiz zu nehmen, doch plötzlich verharrte sie.

»Ich habe dir doch gesagt, daß es eine lästige Bittstellerin sein wird, Dorothea. Nächstens halte mir solche dreisten Personen gefälligst vom Leib. Wohin komme ich, wenn ich mich mit jedem abgebe, der meint, hier unterstützt zu werden?«

»Das Mädchen fuhr mit einer Taxe vor. Und dann –« Dorothea stockte, ihr Blick wurde unsicher.

»Und was noch?« fragte die Freifrau gespannt.

»Verzeihung, das Mädchen sah jemandem so sehr ähnlich. Ich wage es nicht auszusprechen. Ist es Ihnen nicht aufgefallen?«

»Ich weiß nicht, was du meinst. Nun, wir haben uns genug mit dieser Besucherin befaßt. Sie ist fort, und ich möchte nicht mehr an sie erinnert werden. Sie war sehr zudringlich.«

»Sie ist fort?« Dorothea sah ihre Herrin an, als könne sie ihr nicht glauben.

»Ja.« Mit diesem entschiedenen Wort schritt Selma von Alberti weiter.

Sie suchte wirklich ein Zimmer auf, in dem sie hätte ruhen können. Aber sie tat es nicht. Wacher als je zuvor arbeitete ihr Hirn, entschieden schmiedete sie ihren Plan, so zu leben, als sei heute nicht die Tochter Heddas in das Schloß gekommen.

Eine halbe Stunde später trat Selma von Alberti in das Zimmer ihres Sohnes.

Er saß in seinem Rollstuhl. Nur am Anfang seiner Ehe hatte er diese Hilfe abweisen können, längst wußte er sie wieder zu schätzen.

Wie immer, saß Lola neben ihm. Sie las ihm vor.

Sie und Harry sahen nicht gerade freundlich aus, als sie die Mutter begrüßten.

»Ich störe euch?«

»Bleibe nur, Mama. Wir können nachher weiter lesen. Für Lola wird die Unterbrechung gut sein, sie opfert sich auf für mich. Mein schlechtes Gewissen gibt mir schon keine Ruhe mehr. Sieh nur, Lola ist ganz blaß und sieht angegriffen aus, weil sie kaum mehr an die frische Luft kommt. Dieses schlechte Herbstwetter bekommt mir nicht, so müssen wir im Zimmer bleiben. Übrigens, Mama, wir haben beschlossen, für die Wintermonate in den Süden zu reisen. Doktor Möller ist ganz damit einverstanden. Ich hoffe, daß du dich nicht wieder dagegen sträubst.«

Es wird also abermals Geld hinausgeworfen, dachte Selma von Alberti. Diese Reise soll ja nicht zum Nutzen Harrys sein, sondern Lola will sich vergnügen. Sie wird das Geld mit vollen Händen hinauswerfen.

Schon verflogen aber diese ärgerlichen Gedanken, Selma von Alberti erinnerte sich des Mädchens Beatrix.

Es paßte gut in ihre Pläne, daß Harry und Lola das Schloß für längere Zeit verlassen wollten. Bis sie zurückkehrten, würde sie Klarheit um diesen ungebetenen Besuch geschaffen haben.

»Warum sollte ich mich gegen etwas sträuben, was für deine Gesundheit von Nutzen sein kann, Harry?«

Der Sohn sah erstaunt auf, Lolas dunkle Augen wurden mißtrauisch.

Dieses ungewohnte Einverständnis für einen ihrer Pläne machte das Paar stutzig.

»Ja, ja, es stimmt. Ich bin auch sehr beunruhigt, daß deine Gesundheit angegriffener als je zuvor ist.«

»Ich glaube, wir lernen uns allmählich auf Weißenstein verstehen.« Harrys Hand hielt die seiner Frau fest, dankbar sah er zu seiner Mutter. »Ich verspreche mir viel von diesen Monaten im Süden, Mama. Wir haben Ägypten ausgewählt. Übrigens, hast du vorhin Besuch gehabt? Lola sah eine Taxe vor dem Schloß halten. Sie meinte, ein junges Mädchen aussteigen zu sehen.«

»Ja, ja, es war jemand bei mir.« Die Freifrau bemühte sich, ohne Aufregung zu sprechen. Gerade das hatte sie wissen wollen, ob Harry oder Lola Beatrix gewahr geworden waren.

Selma von Alberti mußte sich Mühe geben, nicht einen zornigen Blick auf die Schwiegertochter zu werfen. Ihr entging nichts, was sich im Schloß abspielte. Seitdem sie hier war, konnte man keinen Schritt tun, ohne beobachtet zu werden. Immer hatte es den Anschein, als spioniere ihr Lola nach.

»Es war ein junges Mädchen, irgendein heruntergekommenes Ding, das von dem Schloß angelockt worden sein mag. Es suchte eine Stelle. Dorothea wird schon zu alt, um mir noch die richtigen Dienste leisten zu können. Sie hat es doch tatsächlich fertiggebracht, mir dieses Mädchen zu melden und in mein Zimmer zu bringen. Ich war sehr empört.«

»Kommen jetzt Stellungssuchende schon mit der Taxe?« lachte Harry. »Ich muß sagen, wir leben in einer modernen Zeit.«

»Du hast das Mädchen wieder fortgeschickt, Mama?« fragte Lola mit gerunzelten Brauen.

»Ja.«

»Da sieht man, wie wenig du an unsere Belange denkst. Hast du dich nicht daran erinnert, wie lange ich schon eine Zofe suche?«

Bedauernd sah Harry seine Frau an, dann blickte er vorwurfsvoll zu seiner Mutter.

»Ja, Mama, Lola hat recht. Vielleicht wäre dieses Mädchen für solche Dienste zu verwenden gewesen. Lola ist dauernd mit mir beschäftigt, sie braucht endlich ein Mädchen, das ganz allein für sie da ist. Schließlich möchte ich meine Frau auch schön und gepflegt neben mir sehen.«

»Dieses Mädchen war zur Zofe vollkommen ungeeignet. Ein solches Urteil könnt ihr getrost mir überlassen.« Selma von Alberti erhob sich. »Jetzt ist es zu spät, ich habe dieses unverfrorene Ding natürlich gleich fortgeschickt. Ich weiß nicht einmal, wie das Mädchen heißt. Ich finde außerdem, wenn Lola unbedingt eine Zofe braucht, müssen wir eine solche nicht von der Straße nehmen. Wann wollt ihr reisen?«

»Nächste Woche, Mama. Lola bereitet schon alles vor. Da, sieh, wir haben Stöße von Reiseprospekten.«

»Es ist gut.« Damit verließ Freifrau Selma das Zimmer.

Gefolgt von den Blicken aus einem leicht zusammengekniffenen Augenpaar.

»Deine Mutter ist die merkwürdigste Frau, die ich je kennengelernt habe. Mit diesem Mädchen stimmt doch etwas nicht, ist dir das nicht aufgefallen?«

»Ich habe nicht sonderlich aufgepaßt, Lola. Mir war es allein wichtig, daß Mama nicht wieder Einwände gegen einen unserer Entschlüsse geltend machte.«

»Du läßt dich zu viel von ihr gängeln, Harry.«

»Aber darüber kannst du doch jetzt nicht mehr klagen, Lola. Als ich allein war, tat ich, was Mama wünschte. Ist das ein Wunder? Seit meiner Krankheit war ich ganz auf sie angewiesen, ich hatte außer Arnim niemanden, der mir die Zeit vertrieb und sich mit mir unterhielt. Sollte ich da noch Streit und Hader mit Mama heraufbeschwören? Jetzt, da ich dich habe, möchte ich das Mama nicht so sehr spüren lassen. Sie ist alt und einsam, da wird man leicht verbittert, wenn man sich verlassen vorkommen muß.«

»Sie wünscht sich sicher, einsam zu sein. Sie ist ein Mensch, der den anderen nicht braucht. Ich habe oft das Gefühl, daß wir beide ihr im Weg sind.«

»Aber Lola, ich bitte dich, so etwas darfst du nicht sagen.«

»Deine Mutter ist herrschsüchtig und geizig. Warum soll ich es nicht aussprechen? Sie kann es nicht ertragen, daß du mich beschenkst, daß ich mit auf Weißenstein lebe. Sie wird es mir zeitlebens verargen, daß ich kein Vermögen mit in die Ehe gebracht habe.«

»Laß diese alten Geschichten, Lola. Es geht nur um uns beide. Wir lieben einander und werden uns das Leben so einrichten, wie es uns behagt.«

»Aber du solltest darauf dringen, daß dir Weißenstein endlich überschrieben wird. Nicht um meinetwillen, bitte, nimm das um Himmels willen nicht an. Ich will bei der Überschreibung gar nicht genannt werden. Aber du sollst endlich hier Herr sein. Ich ertrage es nicht, daß du noch immer wie ein unmündiges Kind behandelt wirst. Mit sechzig Jahren kann eine Mutter getrost zu Gunsten ihres Sohnes zurücktreten.«

»Mich drängt es nicht danach, Lola. Freilich, wenn ich einmal sterbe, hätte ich dich gesichert, dann würdest du mein Erbe antreten. Vielleicht hast du recht, mich daran zu erinnern, daß ich dir deine Liebe lohnen müßte. Du sollst nicht noch einmal heimatlos werden.«

Hastig schlug Lola die Lider über die Augen. Sie wußte, jetzt konnte sie den Triumph über diese Einstellung ihres Mannes nicht verbergen. Sie beugte sich über ihn, legte ihren Kopf auf seine Brust und umschlang seine Schultern. »Bitte, Harry, sprich so etwas nicht aus. Nie, hörst du, nie sollst du von deinem Tod sprechen. Du wirst gesund werden. Das jetzt ist nur ein Rückfall. Doktor Möller baut doch auf den Aufenthalt im Süden, und ich auch. Was soll ich mit deinem Erbe, wenn ich dich nicht mehr habe? Nur für dich wollte ich Unabhängigkeit von deiner Mutter.«

»Das weiß ich, Lola. Trotzdem muß ich dir gegenüber verantwortungsvoller sein. Sprich nicht mehr davon. Ich werde Mama dazu bewegen können, endlich Klarheit zu schaffen. Es wird und muß uns gelingen, ohne daß wir sie zu sehr verletzen. Ich möchte niemandem hier weh tun, ich will in Harmonie und Frieden leben und es auch den anderen gönnen.«

Lola hörte sich solche Ausbrüche gelangweilt an. Oft meinte sie, dieses eintönige Leben, dieses Dasein wie die Turteltauben nicht mehr ertragen zu können. Uneins mit sich selbst, fühlte sie sich auf die Folter gespannt. Jetzt erst erkannte sie, wie leicht sie sich dieses Spiel vorgestellt hatte.

An diesem Abend bat Lola ihren Mann, zu den Eltern fahren zu dürfen.

Schon vorher hatte sie mit Bela Zsolni telefoniert. Sie wußte genau, wo sie ihn antreffen konnte, und war immer gewiß, ihn nicht zu verfehlen. Er tat nichts anderes mehr, als auf sie zu warten.

Wieder trafen sie sich in einem kleinen, versteckt gelegenen Gasthof, weit entfernt von Weißenstein. Sie mußte immer mehr auf der Hut sein, nicht überführt zu werden, zu viele Menschen kannten sie jetzt schon als junge Herrin vom Schloß.

Wieder steckte sie Bela eine größere Summe Geldes zu.

»Ich ertrage das nicht mehr, Lola«, stöhnte er und wollte das Geld wegschieben.

»Sei nicht albern.« Lola war heute sehr gereizt und ärgerlich. »Du weißt ja noch gar nicht, wofür das Geld ist. Du wirst nach Kairo fahren, mein Lieber. Ich folge in wenigen Tagen.«

»Du gehst weg von Weißenstein?«

»Nicht so, wie du schon wieder hoffst. Hast du unsere Pläne vergessen, soll ein halbes Jahr der Opfer umsonst gewesen sein? Nein, ich werfe die Flinte nicht ins Korn. So gut müßtest du mich kennen. Harry und ich fahren für den ganzen Winter nach Ägypten. Dort werden wir beide uns treffen und endlich mehr Freiheiten als hier haben.«

Lola neigte sich noch näher zu Bela Zsolni, ihre Stimme wurde geheimnisvoll, beschwörend.

Als sie sich von ihm trennte, hatte sie ihr Ziel wieder einmal erreicht. Bela und sie würden sich in Kairo treffen. Es konnte gar nichts mehr schiefgehen.

Als Lola vor dem Schloß hielt, war es schon stockdunkel.

Nur wenige Fenster des Schlosses waren beleuchtet. Natürlich jene in Harrys Zimmer. Er wartete ja auf sie und würde den Blick nicht von der Uhr gelassen haben.

Ein höhnisches Lachen legte sich auf das Gesicht Lolas.

Jetzt sah sie zum Turm des Schlosses. Sie meinte sich zu irren, als sie dort ein Licht aufflammen sah.

Es war auch schon erloschen.

Lolas Hand glitt über die Augen. Sicher war sie einer Täuschung erlegen. Wer sollte in dem kleinen, verkommenen Turmzimmer sein? Niemand betrat den Turm je. Er war schon seit Jahrzehnten durch eine im Erdgeschoß befindliche Eisentür verschlossen, damit niemand in Versuchung kam, die baufällige Wendeltreppe zu betreten.

Sie, Lola, hatte der Turm deshalb gar nicht interessiert, so sehr sie alle anderen Räume des Schlosses mit Beschlag belegen wollte.

Harry hatte ihr erzählt, daß sie als Kinder noch ab und zu in der Rumpelkammer ganz oben unter dem Dach gespielt hatten. Aber das war ihnen von den Eltern bald verboten worden.

Mit schnellen Schritten ging Lola jetzt die Freitreppe hinauf zum Portal des Schlosses. Der Turm interessierte sie auch heute nicht, der helle Schimmer mochte der Widerschein irgendeines Lichtes aus anderen Fenstern gewesen sein.

Eines der Mädchen ging durch die Halle und knickste tief vor Lola.

»Waren Sie bei meinem Mann, Elvira?« fragte die junge Frau.

»Nein, ich suche nur die gnädige Frau, sie wird am Telefon von einer Freundin verlangt, aber ich finde sie nirgends.«

Auch das interessierte Lola nicht. Sie mußte jetzt schnell zu Harry gehen, um ihm von dem Besuch bei den Eltern etwas vorzuflunkern.

Als Lola an der Balustrade im ersten Stock angekommen war, hörte sie in der Halle Schritte.

Unwillkürlich sah sie hinunter.

Die Schwiegermutter war aufgetaucht. Wo sie nur hergekommen war? Diese kleine Seitentür dort führte zu einem Stichflur, aus dem man ins Freie und zu der verschlossenen Tür des Turmes kam.

Obwohl Lola gleich hatte weitergehen wollen, blieb sie jetzt wie gebannt stehen.

Die Tür zum Turm – das vermeintliche Licht im Turm!

Aber was sollten diese Kombinationen?

Ärgerlich über sich selbst, eilte Lola zu ihrem Mann.

*

Schon unterwegs nach Ägypten spürte Harry von Alberti, daß er sich zu viel vorgenommen hatte. Er litt unter Atemnot, die Medikamente halfen ihm nicht.

Erst auf der Überfahrt über das Mittelmeer verabreichte ihm der Schiffsarzt einige Injektionen, die ihm bekamen.

Lola stand Angst aus, daß Harry sich nun an dieses Mittel klammern würde. Injektionen mußte ihm der Arzt verabreichen, da gab es für sie keine Möglichkeit, ihrem Mann das heilende Medikament vorzuenthalten.

In Kairo schaffte sie es, dem behandelnden Arzt einzureden, daß ihr Mann eine Abneigung gegen Spritzen habe, daß sie sich immer nachteilig für ihn auswirkten.

Lolas Charme fiel es nicht schwer, den ägyptischen Arzt von ihrem Wunsch zu überzeugen, ihren Mann vor Injektionen zu verschonen. Wieder bekam sie es in die Hand, Tabletten verschwinden zu lassen, nur wenige, sich nicht bemerkbar machende Tropfen von Medikamenten in das Wasserglas zu träufeln.

Freilich band sie dieses Beginnen auch mehr an das Hotel, als sie vorgehabt hatte.

Längst war sie mit Bela Zsolni zusammengetroffen, gerne hätte sie diese Zeit der Freiheit mehr genutzt.

In ihrer Gier, nichts zu versäumen, riskierte Lola von Alberti noch mehr.

Sie brachte ihren Mann und Bela im Hotel zusammen, sie arrangierte kleine Ausflüge mit den beiden.