Heimatkinder 5 – Heimatroman - Ute Amber - E-Book

Heimatkinder 5 – Heimatroman E-Book

Ute Amber

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Das kleine, aber schmucke Haus des Tischlers Ferdinand Steininger und seiner Frau Agnes war im weiten Umkreis des Wettersteingebirges bekannt. Jeder sprach nur vom Gnadenhäusl und wusste, was damit gemeint war. Das Ehepaar Steininger, jetzt schon über fünfzig Jahre alt, hatte immer Vollwaisen oder vernachlässigten Kindern, die keiner haben wollte, ein Zuhause geboten, da ihnen eigener Nachwuchs nicht beschieden war. Immer waren die Bewohner des Gnadenhäusl eine Familie gewesen.

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Heimatkinder –5–

Das Dirndl aus dem Gnadenhäusl

Ihre kleine Elfi sollte einen guten Vater haben

Roman von Ute Amber

Das kleine, aber schmucke Haus des Tischlers Ferdinand Steininger und seiner Frau Agnes war im weiten Umkreis des Wettersteingebirges bekannt. Jeder sprach nur vom Gnadenhäusl und wusste, was damit gemeint war. Das Ehepaar Steininger, jetzt schon über fünfzig Jahre alt, hatte immer Vollwaisen oder vernachlässigten Kindern, die keiner haben wollte, ein Zuhause geboten, da ihnen eigener Nachwuchs nicht beschieden war. Immer waren die Bewohner des Gnadenhäusl eine Familie gewesen. So manches der Kinder war aus der Fürsorge herausgewachsen und selbständig geworden. Zu Besuch kamen sie alle noch.

Nur ein Kind hatten die Steiningers adoptiert. Das war Lisa, die der Menkenhof-Bauer schon als Säugling ins Gnadenhäusl gebracht hatte. Still und heimlich, weil das kleine Mädchen aus einem Fehltritt von ihm stammte und die junge Mutter bei der Geburt gestorben war. Sie hatte im Voralpenland gelebt, weit genug vom Menken-Hof entfernt.

Agnes Steininger sprach oft mit ihrem Mann von jener Nacht, als sie Lisa aufgenommen und dem Menkenhof-Bauer versprochen hatten, nie zu verraten, dass er ihr Vater war. Für ihn wäre es fatal gewesen, wenn sein Geheimnis herausgekommen wäre. Er hatte eine Frau und einen damals vierjährigen Sohn. Obwohl der Menken-Hof nicht weit vom Gnadenhäusl entfernt war, hatte sich der Bauer nie um sein Kind gekümmert. Inzwischen war er verstorben. Lisa hatte schon als Achtzehnjährige das Gnadenhäusl verlassen und sich in der Nähe Mittenwalds als Magd ihr Brot verdient. Anfangs war sie oft zu ihren Zieheltern zu Besuch gekommen, aber seit knapp zwei Jahren warteten diese vergeblich auf sie. Sie schrieb ab und zu einen Brief, und im letzten hatte gestanden, dass sie ihre Stelle gewechselt hatte und ein gutes Stück von Mittenwald weggegangen war.

Eines Abends kam das Gespräch des Ehepaars Steininger auch wieder auf Lisa. Sie sorgten sich um das Mädchen, das inzwischen zweiundzwanzig Jahre alt geworden war, und konnten nicht verstehen, warum sie so lange ausblieb.

Agnes Steininger, eine mittelgroße, schmale Frau, der die Gutmütigkeit aus den Augen leuchtete, sagte zu ihrem Mann: »Jetzt warte ich nicht länger zu. Wir wissen ja aus Lisas Briefen, wo sie jetzt arbeitet, ich fahre zu ihr. Vielleicht geht es ihr schlecht, und sie will uns damit nicht belasten.«

Der Steininger-Ferdinand schüttelte den Kopf. »Was du schon wieder befürchtest, Agnes. Meistens melden sich Leute nicht, denen es gutgeht.« Er horchte hinaus. »Wer kommt denn da noch? Das sind doch Schritte vor dem Haus.«

»Ich geh’ nachschauen.« Agnes Steininger stand schon auf und lief an die Haustür. Kaum hatte sie geöffnet, prallte sie zurück. »Das gibt es doch nicht«, staunte sie, »gerade haben wir wieder einmal von dir geredet, Lisa, und jetzt bist du da.«

Im Schein der Hauslampe stand eine junge Frau im Dirndlkleid und mit einem Bündel in einer Decke auf dem Arm. »Sie ist mir unterwegs eingeschlafen«, sagte sie. »Ich kann sie kaum noch auf den Armen halten.«

»Sie?«, Agnes Steininger zog Lisa in den Flur, dann schrie sie auf: »Mein Gott, ein kleines Kind. Ja, was soll das bedeuten?«

Ferdinand Steininger, der die Tür der Wohnstube geöffnet hatte, winkte energisch. »Müsst ihr den Tratsch im Flur abhalten? Herein mit euch! Und seid nicht so laut, sonst wachen uns Bärbel und Anderl auf. Lisa, endlich bist du einmal gekommen.« Er sah auf das kleine Mädchen, das sich jetzt in Lisas Armen rekelte. »Sollen wir das Butzerl etwa aufnehmen? Aber du weißt doch, Lisa, dass wir in unserem Alter nicht mehr mit einem Kleinkind anfangen wollen. Man weiß ja nicht, ob wir es noch großziehen können.«

Lisa, die inzwischen mit dem Kind auf den Armen auf das Sofa gesunken war, senkte den Kopf. »Mutter, Vater, ich bringe die Kleine nicht von irgendjemandem, sie ist mein Kind. Ja, meine Elfi.«

»Du hast ein Kind?«, Agnes Steininger setzte sich nun auch. »Warst du deshalb so lange nicht zu Hause?«

Lisa nickte. »Ja, Mutter, ich wollte mich allein mit Elfi durchschlagen, aber ich schaffe es nicht. Dafür, dass man mich als Schwangere aufnahm und später das Kind bei mir sein konnte, haben mich die Bauersleut’ ausgenutzt, und Elfi hatte es nicht gut.«

»Und der Vater, was ist mit dem?«, brummte der Ferdinand, der sah, dass seine Frau schon vor Mitleid zerschmolz.

»Den Vater wollte ich nicht«, platzte Lisa heraus. »Er weiß gar nichts von seinem Kind. Als ich merkte, dass ich schwanger war, habe ich meine erste Stelle verlassen und mit Elfis Vater gebrochen.«

»Warum?«, fragte Agnes Steininger. »Ist er ein Nichtsnutzt?«

»Nein, das nicht. Er ist ein fleißiger Mann, und ich hatte ihn sehr gern, aber was hätte er mir als Forsteleve bieten können?« Jetzt stand Lisa auf und streckte sich. »Ich will einen Mann, bei dem ich vergesse, dass ich so lange nur eine Magd sein musste, am besten einen reichen Bauern.«

»Dirndl, Dirndl!«, Agnes Steininger sah Lisa fast entsetzt an. »Willst du die Hochnäsige spielen? Dazu haben wir dich doch nicht erzogen. In unseren bescheidenen Verhältnissen.«

»Ja, eben«, unterbrach sie Lisa. »Das ist es ja, die kleinen Verhältnisse. Ich will einmal anders leben, und ihr werdet sehen, dass ich das schaffe.«

»Mit einem unehelichen Kind einen reichen Bauern kriegen?«, knurrte der Steininger-Ferdinand in sich hinein. Und dann etwas lauter: »Konntest du mit einem Forsteleven nicht zufrieden sein? Schließlich wird er einmal Förster.«

»Ja, aber wann?«, fragte Lisa fast spöttisch. »Nein, Jonas Hoheneder wäre nicht der richtige Mann für mich gewesen.«

»So heißt der Vater deines Kindes also.« Agnes Steininger hatte sich neben das kleine Mädchen gesetzt und es an sich gezogen. »Du armer Wurm«, sagte sie leise, »an dich denkt deine Mutter wohl gar nicht. Du musst doch jetzt ins Bett. Wir haben noch eins für dich in der Kammer. Dort kannst du erst einmal ausschlafen.«

Das kleine Mädchen, um dessen Kopf sich hellbraune Löckchen ringelten, verstand dieses Mitgefühl, die dunklen Augen sahen Agnes Steininger dankbar an.

»So was Liebes«, sagte sie, »und dir ist es nicht gutgegangen? So etwas gibt’s bei uns im Gnadenhäusl nicht. Da muss es jedem Kind gutgehen, auch wenn wir keine Schätze haben.« Sie wandte sich an Lisa. »Wie alt ist sie denn?«

»Eben ein Jahr geworden, Mutter. Sie kann schon laufen und auch ein paar Worte sprechen, aber dass sie Mama zu mir sagt, das dulde ich nicht.« Jetzt beugte sich Lisa zu ihrer Ziehmutter und legte den Arm um ihre Schultern. »Das soll Elfi zu dir sagen, wie es andere Kinder auch getan haben, die ihr hier aufgenommen habt. Ich meine eben ›Mutter‹, so wie es die Kinder im Gnadenhäusl gewöhnt sind. Bitte, nimm Elfi auf.«

Anges Steininger stellte das kleine Mädchen auf die Füße. »Komm, wir gehen jetzt in die Kammer. Du musst zur Ruhe kommen. Was deine Mutter anscheinend alles auf dem Herzen hat, kann sie uns später sagen.«

Die Kleine trippelte neben Agnes Steininger her. Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkam. »Die Augen sind ihr gleich wieder zugefallen.« Sie setzte sich an den Tisch. »Jetzt kannst du reden, Lisa. Wie stellst du dir das denn nun vor, wenn du verlangst, dass wir das Hascherl aufnehmen?«

Lisa griff nach den Händen ihrer Ziehmutter. »Dass ich mir hier in der Gegend zunächst eine Stelle suche, euch immer etwas Geld für Elfi gebe und ihr niemandem verratet, dass sie mein Kind ist.«

Agnes Steininger sah Lisa entsetzt an. »Du rennst Elfis Vater davon, weil er dir nicht gut genug ist, und jetzt willst du dich nicht zu deinem Kind bekennen? Mein Gott, Lisa, was ist aus dir geworden? Wir haben hier fremde Kinder aufgenommen und ihnen Liebe gegeben, wie aber sieht es in deinem Herzen aus?«

»Eines Tages werde ich mich zu Elfi bekennen, Mutter, aber zuerst muss ich einen Mann haben, wie ich ihn mir wünsche. Ihr habt mich doch immer sehr lieb gehabt, warum könnt ihr meinen Wunsch nicht erfüllen? Bitte, Mutter, Vater!«

Agnes Steininger und ihr Mann sahen einander an. Es stimmte, sie hatten Lisa immer sehr geliebt, sie war ihnen noch mehr ans Herz gewachsen als ihre anderen Schützlinge. Mussten sie ihr jetzt nicht helfen? Hatten nicht auch sie bis jetzt etwas verheimlicht, indem sie sie in dem Glauben gelassen hatten, eine Vollwaise zu sein? Dabei hatte ihr Vater noch viele Jahre gelebt. Da ihre Mutter den Namen des Vaters nicht mehr hatte angeben können, hatte er bei der Adoption keine Rolle gespielt. Wir aber haben ihn gekannt, dachte Agnes Steininger, und sie fühlte sich schuldig dabei. Nun sollen wir wieder bei einem Geheimnis mittun?

Noch einmal sagte Lisa: »Bitte, Mutter, Vater!« Und dann setzte sie hinzu: »Ihr müsst doch auch wollen, dass es mir einmal besser geht. Das schaffe ich aber nur mit einer guten Heirat.«

Sie sprach noch länger darüber, bis das Ehepaar Steininger seiner Liebe zu Lisa unterlag und sich bereit erklärte, auf ihren Wunsch einzugehen. Die kleine Elfi sollte als Kind von weiter entfernt wohnenden Eltern gelten, denen sie es abgenommen hatten, weil sie so arm waren. Im Gnadenhäusl würde niemand gründlich nachfragen, man war es ja gewohnt, dass die Steiningers immer wieder neue Schützlinge hatten.

Lisa umarmte ihre Zieheltern und ging dann noch einmal zu der schlafenden Elfi. »Du wirst es hier gut haben«, flüsterte sie. Dabei drehten sich aber ihre Gedanken schon um die reiche Heirat, die sie sich in den Kopf gesetzt hatte.

*

Es kümmerte sich wirklich niemand darum, dass im Gnadenhäusl doch noch einmal ein Kleinkind aufgenommen worden war. Und keiner wunderte sich darüber, dass Lisa wieder einmal zu Besuch gekommen war. Erst recht nicht, dass sie sich in der Nähe ihrer Zieheltern eine Stelle suchen wollte.

Damit zögerte sie nicht. Eine Woche lang ging sie von Hof zu Hof, um sich als Magd anzubieten. Dann kam sie glückstrahlend nach Hause und verkündete: »Ich habe eine Stelle gefunden und kann sie sofort antreten.«

»Und wo?«, fragte Agnes Steininger.

»Auf dem Menken-Hof.« Lisa strahlte über das ganze Gesicht. »Ich habe mit dem jungen Bauern verhandelt, dem Hannes. Ihn kenn’ ich zwar nur flüchtig aus der Zeit, als ich noch bei euch war, aber wir haben uns gleich sehr gut verstanden. Er ist nur vier Jahre älter als ich, aber als Hoferbe schon selbständiger Bauer seit dem Tod seines Vaters.«

Agnes Steininger war auf einen Stuhl gesunken und hatte die Hände gefaltet. »Mein Gott«, stöhnte sie, »doch nicht auf den Menken-Hof.«

»Warum nicht, Mutter?«, fragte Lisa. »Das ist doch der stattlichste Hof in der Umgebung, und ich werde Großmagd sein. Hannes hat mir auch einen guten Lohn geboten.«

Aber er ist dein Halbbruder, hätte Agnes Steininger am liebsten herausgeschrien. Doch da war das Versprechen, das sie und ihr Mann dem alten Menkenhof-Bauern gegeben hatten, nie zu verraten, dass Lisa sein Kind war.

Auch Ferdinand Steininger war zu Tode erschrocken. Was er und seine Frau auch versuchten, Lisa diese Stelle auszureden, es glückte ihnen nicht. Sie bereitete sich schon darauf vor, am nächsten Tag auf dem Menken-Hof ihre Arbeit aufzunehmen. Zwischendurch fragte sie: »Werdet ihr bestimmt nicht verraten, dass Elfi mein Kind ist? Ihr wollt mir doch nicht schaden.«

Nein, das wollten die Zieheltern nicht. Am Abend, als Lisa schon im Bett lag, flüsterten sie miteinander noch über das, was nun geschehen war. Ferdinand Steininger war etwas ruhiger geworden. Er sagte: »Nun reg dich nicht mehr so auf, Agnes. Mir wäre es auch lieber, Lisa hätte eine andere Stelle gefunden, aber sie wird auf dem Menken-Hof nichts anrichten können. Du weißt, dass Hannes bereits in festen Händen ist. Er und die Ronacher-Veva sind sich einig, und die Menkenhof-Bäuerin freut sich auf diese Schwiegertochter, obwohl sie ein armes Mädchen ist.«

»Ja«, meinte Agnes Steininger, »die Veva hat es nie leicht gehabt. Sie hat ihre Mutter früh verloren und immer für ihren Vater gesorgt, als er krank wurde. Vor kurzem hat sie mir erst erzählt, wie schwer es sie belastet, dass sie ihn in ein Pflegeheim geben musste. Ein Glück, dass sie das kleine Haus behalten hat und sich dort ihr Brot als Strickerin verdienen kann. Ihre Handstrickarbeiten werden von den Geschäften gern gekauft. Darben braucht sie nicht, aber auf dem Menken-Hof wird es ihr um vieles besser gehen, und ich bin sicher, dass sie Hannes eine gute Bäuerin wird.« Jetzt wurde Agnes Steininger doch wieder unsicher. »Hoffentlich verdreht Lisa dem Hannes nicht so den Kopf, dass er sich …«

Ihr Mann unterbrach sie. »Dass er von der Veva lässt? Du scheinst von der Liebe auf einmal gar nichts zu halten. Ich bin sicher, dass sich Veva und Hannes lieben. Und noch etwas – vielleicht ist es nur ein verrückter Gedanke von unserer Lisa, sich einen reichen Bauern angeln zu wollen. Bei so jungen Leuten darf man nicht alles ernst nehmen, was sie daherreden. Komm, lass uns auch zu Bett gehen, der Tag beginnt wieder früh für uns. Ich hab’ in der Werkstatt viel zu tun, und nachdem zu Bärbel und Anderl noch das Hascherl Elfi dazugekommen ist, wirst auch du kaum Zeit zum Ausruhen haben.«

»So war es doch im Gnadenhäusl immer, Ferdinand, aber es hat uns auch viel Freude gemacht. Der Herrgott möge uns helfen, dass das so bleibt.«

Das Ehepaar ging zur Ruhe, während Lisa noch wach lag. Sie sah immer wieder den stattlichen Hannes Menken vor sich. Dass seine Mutter Kreszenz nicht so freundlich gewesen war wie er, störte sie nicht. Sie war sicher, auch bei ihr noch Gefallen zu finden.

*