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Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten E-Book

Hein Bruns

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Beschreibung

Dieses Buch über die nackte Wahrheit der christlichen Seefahrt zu schreiben, habe ich mir wohlweislich überlegt. Ich weiß, dass mich wahrscheinlich das ewige Verdammungsurteil der Reeder treffen wird. Vielleicht wird auch ein Teil meiner Bordkollegen mich verurteilen. Mögen sie! Einmal muss die Wahrheit gesagt werden. In den fast vierzig Jahren, die ich bei der Seefahrt war (und noch bin), habe ich ein wenig hinter die Kulissen sehen können. Vorliegendes Buch ist ein Roman, das darf man nicht außer Acht lassen. Sämtliche auftretenden Personen sind frei erfunden. Mit dem Roman ist auch nicht gesagt, dass beschriebene Zustände auf allen Schiffen so sind, und auch nicht gesagt, dass alle Reeder und deren Angestellte so sind. Ich will mit meinem Roman keinen jungen Menschen, der die Absicht hat, zur See zu gehen, von diesem Schritt abhalten. Aber ich will ihm die Wahrheit gesagt haben. Genauso, wie ich mit meinem Buch den Eltern und Erziehungsberechtigten die Wahrheit gesagt haben will. Ich schreibe aus der Praxis und in der Praxis. Ich opferte die meisten Stunden meiner Freizeit, um das vorliegende Buch zu schreiben. - Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Seitenzahl: 481

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Hein Bruns

Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten

Band 39 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Klappentext der Ausgabe von 1974:

Vorwort des Autors Hein Bruns

Der Seefahrer-Roman – Kapitel 1 – In Bilgen, Bars und Betten

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke

Die gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Weitere Informatonen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten.

In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt und auch die Bücher des Hein Bruns kennen.

Im Februar 1992 begann ich, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“:Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften zu meinem Buch. Diese positiven Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Diese gelbe Zeitzeugen-Buchreihe umfasst inzwischen über zwei Dutzend maritime Bände.

In diesem Band 39 können Sie einen lange vermissten und von vielen Seeleuten immer wieder nachgefragten Klassiker der Seemanns-Literatur neu entdecken: Hein Bruns (Jahrgang 1910) fuhr bis Ende der 1960er Jahre zur See. Er kannte die Seefahrt als Kochjunge, Decksjunge, Kohlentrimmer, Motorenwärter, Heizer, Schmierer, Ingenieur-Aspirant, Vierter, Dritter, Zweiter und Erster Ingenieur. Im Band 36 meiner gelben maritimen Buchreihe berichtet Rolf Peter Geurink von seiner Begegnung mit Hein Bruns 1967 an Bord des MS „RUTH DIETER“. Auch Ernst Steininger, Autor des Bandes 69 dieser maritimen gelben Buchreihe fuhr 1959 auf MS „VEGESACK“ mit Hein Bruns zusammen und berichtet in seinem Buch darüber. Hein Bruns’ abenteuerliches Leben an Land und auf See lieferte den Rohstoff für sein 1966 erschienenes erstes Buch, den Roman „Ein Schmierer namens Valentin“ (Auflage 24 Tausend). Das Buch erschien 1968 auch in den Niederlanden. Im Jahre 1967 wurde „In Bilgen, Bars und Betten“ erstmals verlegt (Auflage bis 1974 14 Tausend). Von Hein Bruns erschien 1968 noch ein nicht maritimes Buch: „Weit unter dem Nullpunkt“. 1979 (10 Jahre nach seinen beiden Erstwerken) brachte er im Selbstverlag heraus: „Der sündige Kurs der Tina-Theresa" – Er ist danach bald gestorben.

Nicht alles, was und wie Hein Bruns schreibt und wie er es oft übertrieben und zugespitzt und in bisweilen auch klassenkämpferischer Weise formuliert, findet meine uneingeschränkte Zustimmung. Nicht wenigen Lesern wird es bei dieser Lektüre, besonders der vielen amourösen Szenen, wie mir ergehen, der ich in kleinbürgerlich-christlicher Sozialisation zu einer Zeit aufgewachsen bin, in der alles Sexuelle tabuisiert und versucht wurde, das animalisch Triebhafte zu sublimieren und zu beherrschen. Schon Sigmund Freud wies uns aber bereits auf die Urkraft der Libido und die Gefahr der Verdrängung hin. In Bezug auf die sehr freizügige Darstellung des Themas Sex bei Hein Bruns wurde ich wieder mal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen“ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und - so schwer es mir fällt - selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören - immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt.“

Hein Bruns’ Texte beschreiben in mancherlei Hinsicht die Gegebenheiten der Seefahrt seiner Zeit in den 1950er und 60er Jahren sehr treffend und sollten daher wieder lesbar sein, auch wenn sich vieles in der Seefahrt inzwischen total verändert hat.

Hamburg, im Februar 2009 / 2014 / 2021 Jürgen Ruszkowski

Klappentext der Ausgabe von 1974:

Klappentext der Ausgabe von 1974

Wie schon in seinem ersten Roman „Ein Schmierer namens Valentin“ dringt Hein Bruns auch mit diesem Buch in die abgeschlossene Welt der „Seeleute unter sich“ ein. Als einer von ihnen führt er seine Leser in die Kammern, Logis, Decks, Bilgen und Kombüsen. Und in die Gedanken und Gefühle derer, die dort leben. Und in die Gassen, Spelunken, Kneipen, Bars und Puffs der Häfen, die „Schnellimbissstuben der Erotik“. Und in die Welt derer, die das ersehnte Vergnügen verkaufen. Männervergnügen gegen Dollars, Peseten, Cruzeiros, Pesos, D-Mark …

Hein Bruns spricht in der Sprache, die seine „Peoples“, „Mackers“, „Barmiezen“ und „Hupfdohlen“ sprechen. Er macht seine Worte nicht landfein, denn sein Roman ist keine Jungfernfahrt für Ehrengäste. Wenn Sie hier anheuern, dann sind Sie dabei: In Bilgen, Bars und Betten.

Schiffe auf See – schwimmende Männer-Inseln. Inseln der Romantik? Sträflingsinseln? Heldeninseln? Schwimmende Männer-Staaten mit einem „König auf der Brücke, einer „Regierung“ mit goldenen Tressen und eigenen Gesetzen. Männergesetzen.

Fast 40 Jahre lang lebt Hein Bruns schon in den schwimmenden Männerstaaten der Schiffe. Lebt nach ihren Gesetzen. Spricht ihre Sprache. Fühlt ihre Gefühle. Männersprache, Männergefühle, isoliert in der frauenlosen Zeit der Von-Hafen-zu-Hafen-Fahrt. Durchwuchert von der Phantasie der Entbehrung. Männerphantasie. Träume von Frauen. Verheißungsvollen Frauen in Bars, eroberten Frauen in Betten. Erträumt in heißen, öldunstigen Bilgen.

In Bilgen, Bars und Betten, dem Kreislauf der schwimmenden Männerwelten der Schiffe, erlebt Melchior Meiler, III. Ingenieur auf MS MISTRAL, das Leben der Großen Fahrt von Heimat zu Heimat.

Wenn einer, der mit Mühe kaum

gekrochen ist auf einen Baum,

schon meint, dass er ein Vogel wär,

so irrt sich der.

Wilhelm Busch

Vorwort des Autors Hein Bruns

Die meisten Bücher über die Seefahrt werden von Leuten geschrieben, die hin und wieder einmal eine Seereise machen. Oder von Schriftstellern, die der Reeder beauftragte. Und zuletzt gibt es noch Seeleute, die vor Jahren schon die Seefahrt an den Nagel hängten und nun vom Schreibtisch aus die ganze Seefahrt verromantisieren und verherrlichen. Bei ihnen trifft das Sprichwort zu: Die besten Seeleute sind an Land!

Dieses Buch über die nackte Wahrheit der christlichen Seefahrt zu schreiben, habe ich mir wohlweislich überlegt. Ich weiß, dass mich wahrscheinlich das ewige Verdammungsurteil der Reeder treffen wird. Vielleicht wird auch ein Teil meiner Bordkollegen mich verurteilen. Mögen sie! Einmal muss die Wahrheit gesagt werden.

In den fast vierzig Jahren, die ich bei der Seefahrt war (und noch bin), habe ich ein wenig hinter die Kulissen sehen können. Vorliegendes Buch ist ein Roman, das darf man nicht außer Acht lassen. Sämtliche auftretenden Personen sind frei erfunden. Mit dem Roman ist auch nicht gesagt, dass beschriebene Zustände auf allen Schiffen so sind, und auch nicht gesagt, dass alle Reeder und deren Angestellte so sind. Ich will mit meinem Roman keinen jungen Menschen, der die Absicht hat, zur See zu gehen, von diesem Schritt abhalten. Aber ich will ihm die Wahrheit gesagt haben. Genauso, wie ich mit meinem Buch den Eltern und Erziehungsberechtigten die Wahrheit gesagt haben will. Ich schreibe aus der Praxis und in der Praxis. Ich opferte die meisten Stunden meiner Freizeit, um das vorliegende Buch zu schreiben.

Es ist wohl in keinem Wirtschaftszweig so viel Unrecht an der Tagesordnung, wie bei der christlichen Seefahrt. Nur Unrecht gegenüber dem Besatzungsmitglied. Meine Bordkollegen, soweit sie ehrlich sind und noch nicht resigniert haben, werden und können mir das bestätigen.

Von deutschen Autoren gibt es wenige Bücher, die auch einmal die sozialkritische Seite der Seeschifffahrt beleuchten. Und wenige Bücher, die vom Arbeitstag des Maschinenpersonals berichten. Wie ist das zu erklären? Ganz einfach. Immer wird nur die Sonnenseite der Seefahrt gezeigt: weißgescheuerte Decks, glänzende, strahlende Aufbauten, lustig flatternde Flaggen, rauschende Bugwellen, Weite, Bläue. Ewigkeit der Meere und des Himmels, zwischendurch einmal ein Orkan, in der der Held der Geschichte, meistens ein Offizier — seine Männlichkeit beweist. Es präsentieren sich athletische Kapitäne mit vom Wind- und Seewasser gegerbten Gesichtern. Es stolzieren goldärmelige Offiziere mit markanten Profilen auf der Kommandobrücke umher.

Es wird der Matrose, der von seiner Heuer nicht einmal eine Familie ernähren kann, in honigsüßen Schnulzen besungen. Ahoi, ahoi, mein sehnlichster Wunsch war es, Seemann einst zu werden. Das vorliegende Buch wurde von mir geschrieben, weil ich es satt hatte, dass man immer und immer wieder Unwahres schrieb, sei es über den Reeder oder über den Seemann selbst. Dann sollte man doch lieber schweigen oder seine literarischen Ergüsse über Wiesen und Wälder ausschütten statt über die See. In welchem anderen Berufszweig gibt es denn überhaupt diese Verherrlichung? In der Industrie nicht, im Bergbau nicht. Nicht beim Maurer, nicht beim Schlosser oder Schmied oder sonstigen Handwerkern.

Aber bei der Seefahrt, das heißt in der einschlägigen Literatur, gibt es das noch. Man komme mir nicht damit, dass die Seeschifffahrt noch ein Beruf der Romantik sei. Dann waren die Fliegerei und die Fernfahrerei auch romantische Berufe. Aber es wage einmal jemand, das zu behaupten. Bei der Seefahrt gibt es keine Romantik, die hat es nie gegeben. Romantik macht sich jeder selbst, das kommt auf seine Veranlagung an.

Ich schrieb dieses Buch, um die nackte und ernste Seite des Seemannsberufs aufzuzeigen — von der Arbeit, von den Widerwärtigkeiten des Wetters, von Ränkespielen und Quertreibereien an Bord und von den Intrigen der Reeder.

Vom Familienleben des Seemanns wissen die wenigsten Menschen etwas. Wenn man überhaupt von einem Familienleben sprechen kann. Und was wissen die Menschen über seine sexuellen Probleme? Ich blendete ein paar heitere Geschichten ein, denn gelacht wird an Bord auch.

Schreibende Seeleute, so es sie gibt, übersehen zumeist die täglichen Ereignisse und halten sie für zu nichtig, um sie zu erwähnen... Das sagt man Seeleuten nach, und so stand es auch irgendwo einmal geschrieben. Meine Ansicht ist, das hat einen anderen Grund. Der schreibende Seemann darf nämlich nicht alles schreiben. Allerdings sind die täglichen Ereignisse wohl nichtig, so dass sie einen Binnenländer nicht interessieren könnten. Die Nichtigkeiten sind oft mangelhaftes oder schlecht zubereitetes Essen, miserable Unterkünfte, worunter man versteht: verwanzte Logis und Kammern, Kakerlaken, farblose Wände, undichte Bullaugen und mangelhafte sanitäre Anlagen. Noch vor einem Jahr machte ich eine Vertretungsreise auf einem Schiff. Wusch man sich dort die Hände, wusch man die Füße gleich mit; denn das Waschbecken hatte Löcher, nach Aussagen schon jahrelang.

Zu den Nichtigkeiten gehören auch oft die von der Schiffsleitung angeordneten Arbeiten, die angeblich zur Sicherheit des Schiffes dienen und die dann nicht mit Überstundengeld vergütet zu werden brauchen. Und der Nichtigkeiten gibt es viele.

Ja, es kämen ihrer verdammt viele und manche Kleinigkeiten ans Licht, die gewissen Leuten in ihrer Werbung für die christliche Seefahrt nicht passen dürften. An der Küste sagt man: Das passt nicht in ihren Kram!

Ich spreche jeden an und doch niemanden, weil Namen, Personen und Handlungen frei erfunden sind.

Ich habe für den Leser, falls es ihn interessiert, einige Tagebuchauszüge von einem deutschen Schiff zusammengestellt. Die Vorkommnisse passierten alle auf einer Reise von dreimonatiger Dauer. Die Auszüge wurden von der Schiffsleitung für Strafanträge benötigt und auch für Anträge auf Sperrung der Seefahrtsbücher von Matrosen, die für die Seefahrt nicht tragbar schienen. Diese Auszüge sollen den Charakter der einzelnen Leute und das Gesamtbild abrunden.

„Tagebuch Nr. 35, Seite 48: Matrose S. unerlaubt dem Dienst ferngeblieben. Zur festgesetzten Arbeitszeit nicht an Bord zurück. Matrose B., betrunken und zu keiner Dienstleistung mehr fähig, wurde ausfallend gegen den 1. Offizier.

Seite 55: Matrose Z. zum Arbeitsbeginn nicht an Bord.

Seite 62: Leichtmatrose B. verweigert die Arbeit und kommt erst nach Aufforderung des 1. Offiziers an Deck. Er kündigt an, dass er im nächsten Hafen das Schiff verlassen will.

Seite 65: Kochsmaat K. um 09:30 an Bord. K. verweigert die Arbeit und fährt ohne Erlaubnis der Schiffsleitung um 09:35 wieder an Land.

Seite 66: Leichtmatrose B. vom Landgang nicht zurückgekehrt, verweise auf Eintragung Seite 62.

Seite 72: Matrose S. und Leichtmatrose M. zu Arbeitsbeginn nicht an Bord. Leichtmatrose B. verweigert erneut die Arbeit. Kam volltrunken gegen 06:00 an Bord.

Seite 82: B. zum Arbeitsbeginn trotz mehrmaligen Weckens nicht an Deck. Matrose S. in der Mittagspause unerlaubt von Bord und erst zur Abfahrt zurück. Dienstunfähig.

Tagebuch Nr. 36, Seite 18: Leichtmatrose M. trotz mehrfacher Aufforderung kein Berichtsbuch geschrieben. Bericht an den Verein zur Förderung des seemännischen Nachwuchses bleibt vorbehalten.

Seite 68: Leichtmatrose B. betrunken zur Nachtwache erschienen. Nach dem Zugeständnis erst um Mitternacht seine Nachtwache angetreten — und statt sich jetzt schlafen zu legen, ist er wieder an Land gegangen und erst am nächsten Morgen um 08:00 an Bord erschienen.

Tagebuch Nr. 37, Seite 18: Leichtmatrose B. heute zum dritten Male nicht zur Arbeit erschienen. Trotz mehrmaligen Weckens und Aufforderung ließ B. sich nicht bewegen, die Arbeit aufzunehmen. Strafantrag bleibt vorbehalten.

Seite 36: Kochsmaat K. volltrunken.

Seite 37: Kochsmaat K. volltrunken.

Seite 39: Matrose S. wegen Trunkenheit nicht auf Wache erschienen.

Seite 56: Messejunge F. heute wegen Trunkenheit nicht zum Dienst erschienen.

Tagebuch Nr. 38, Seite 78. K., B., M., L. und S. zum Verholen nicht an Bord erschienen, obwohl das Verholen angekündigt war. Um 02:00 fiel der Matrose K. im ausländischen Hafen S. zwischen Pier und Schiff ins Wasser. K. war angetrunken und wollte vom Schiff an die Pier springen. Die Gangway war für eine kurze Zeit eingezogen worden, weil der Kran passieren wollte. Dritte Person trifft kein Verschulden. K. wurde sofort ins Hospital in S. eingeliefert. Matrose K. wurde vorsorglich gekündigt. Diese Kündigung gilt auch als fristgerechte Kündigung.»

So ungefähr geht das seitenlang. Die Strafanträge sind gestellt worden, und die Beteiligten bekamen eine Geldstrafe. Seefahrtsbücher sind nicht eingezogen bzw. gesperrt worden. Vielleicht sind diese Leute für die Seefahrt doch noch tragbar.

Hein Bruns

Der Seefahrer-Roman – Kapitel 1 – In Bilgen, Bars und Betten

Der Seefahrer-Roman – Kapitel 1 – In Bilgen, Bars und Betten

Roman von Hein Bruns

Das Bürohaus der Reederei Balduin Bollage brennt in der Januarsonne. Das Bürohaus der Reederei Balduin Bollage sieht protzig und neureich auf den alten konservativen Hafen. Das Haus ist fest gebaut, aus Beton und Stahl, als wolle es Generationen überdauern. Bis an die Fenster des Erdgeschosses prahlt es in Marmormosaik, als Schutz gegen den Urin der Hafenhunde und der Schauer- und Seeleute.

Die große zweiflügelige Tür aus edlem Holz und reliefeingearbeiteten Hafen- und Schiffsmotiven sagt dem Besucher und Bittsteller, Lieferanten und Laufjungen: Hier bin Ich, hier ist mein Reich, hier regiere Ich. Ich, der Reeder Balduin Bollage. Besitzer einer Schiffswerft, Eigner von zwanzig Schiffen. Befehlshaber über tausend Angestellte und Arbeiter, Kapitäne, Offiziere, Steuerleute, Ingenieure, Maschinisten, Köche, Stewards, Matrosen, Leichtmatrosen, Jungmänner, Decksjungen und Gastarbeiter. Seht her, ihr, das bin Ich, der Reeder Balduin Bollage. So sagt die Tür aus edlem Holz. Die Fenster des Reedereigebäudes werfen den fahlen Sonnenbrand der Januarsonne über den Hafen wie Straßenjungen, die mit Spiegeln Passanten ärgern.

Der Hafen brummt wie ein Bär. Giraffenhalsig schwingen die Kräne von den Schiffen zu den Schuppen, von den Schuppen zu den Schiffen. Ein- und ausgehende Ladung. Der Hafen stinkt. Polizei- und Zollboote dümpeln langweilig. Ein Pegel zeigt den Wasserstand an. Besoffene Seeleute den Alkoholstand. Hell ist der Januarhimmel.

Die Schneelaken auf den Lagerschuppen sind dreckig. In den Büroräumen der Reederei Balduin Bollage klappern die Schreibmaschinen, ratschen die Rechenmaschinen. Flinke Mädchenfinger spielen das Klavier der Zeit. Vom Erdgeschoß bis in die oberen Stockwerke läuft ein endloses Fahrstuhlband und betet einen endlosen Rosenkranz.

Im Hafen gellt eine Sirene. Anbiet. Die Kaffeeklappen füllen sich mit Hafenarbeitern. Kräne schwingen nicht mehr, auch die Kranführer machen Anbiet. Der Hafen ist tot. Und auch im Personalbüro der Reederei Balduin Bollage ist Anbiet. Aus ihren Schreibtischfächern kramen die Mädchen belegte Brote. Kaffee ist schon vorher gekocht. (Es wird überhaupt viel Kaffee gekocht und getrunken hier im Personalbüro. Kein Wunder, zollfrei.) Herr Seifert in seinem Glaskasten, Personalchef des Reeders Balduin Bollage und die Schlange genannt, trinkt eine Flasche Bier, die er sich aus der Aktentasche hantelt. Seifert kam eben von einem eingehenden Schiff der Reederei und so ging auch die Flasche Bier ein. Es scheppert so verdächtig, hat Herr Seifert noch „harte Sachen“ in seiner Aktentasche? Herr Seifert muss sich ein bisschen vor Herrn Wagenfeld in Acht nehmen; denn Herr Wagenfeld, die Wanze genannt, ist nicht echt. Herr Wagenfeld spekuliert auf den Posten des Personalchefs und hat dementsprechend auch schon beim Chef ganz gute Anläufe gefahren: Herr Seifert ist nicht pünktlich. Herr Seifert war gestern und vorgestern und davor auch betrunken. Herr Seifert war mit Kapitän Suhrmann unterwegs. Herr Seifert hat Nutten an Bord der TORNADO gesehen und nichts unternommen. Herr Seifert hat... Herr Seifert hat... und was Herr Seifert alles noch nicht hat. Herr Wagenfeld, die Wanze, blinzelt in die Sonne, kaut an seiner Stulle, blinzelt auch zum Glaskasten hin und lässt dann die Augen auf den Knien eines Büromädchens weiden. Die Wanze ist Junggeselle und kennt nur das örtliche Bordell, aber das ausgiebig. Herr Dohle, der Wurm, ist harmlos, er kümmert sich weiter um nichts und schlängelt sich so durch. Die Hauptsache ist, dass seine Kasse stimmt. Die Glaskastenempfangsdame im Erdgeschoß macht auch Anbiet. Blättert dabei in der Boulevardzeitung. Sie ist blond und hübsch.

Grün und üppig sind die Gewächse in den großen Fenstern. Blank sind die Anker, Bullaugen, Drähte und Relinge der Schiffsmodelle, die in Luftaquarien auf schmiedeeisernen Beinen die Vor- und Empfangshalle möblieren. Und warm, schön warm ist es hier auch. Die Empfangsdame sieht ein wenig unwillig auf, ein etwa dreißigjähriger großer, breitschultriger Mann steht am Glaskasten und wartet, bis das Fräulein sich bequemt. Und es bequemt sich: „Wohin möchten Sie?“ und sieht in ein unfarbiges Gesicht und in feste graue Augen. „Zur Personalabteilung!“ – „Wie ist Ihr Name... und in welcher Angelegenheit?“ – „Mein Name ist Meiler, genügt Ihnen das? …denn die Angelegenheit soll Sie nicht interessieren!“ Eigentlich ja, wenn man’s genau nimmt; denn letzten Endes ist das Mädchen ja dafür da, und es hätte wohl auch eine Antwort bereit gehabt, aber die festen grauen Augen ließen das nicht zu. „Nehmen Sie einen Augenblick dort drüben Platz... ich melde Sie an. Die Herren haben gerade eine Besprechung.“ Schöne Besprechung, Anbiet haben die. Meiler setzte sich in einen der Sessel, die sich anbieten wie Hoheklassenutten, steckte sich eine Zigarette an, und blätterte gelangweilt in den ausliegenden Prospekten und Zeitschriften.

Soll er getrost eine Weile braten, der da drüben im Sessel, denkt die Blonde, allein schon für die Antwort: Angelegenheit soll Sie nicht interessieren. Außerdem ist Anbiet. Hin und wieder schielt sie über die Boulevardzeitung zu ihm hin, aber der junge Mann macht keine Anstalten, den Blick zu erwidern. Und sie ist es doch so gewohnt, dass die Männer ihr Stielaugen zuwerfen. Der ist sauer, denkt sie. Was er wohl ist? Offizier oder Ingenieur?

Die Sirene schwingt ihren Ton durch den Hafen. Anbiet beendet. Jetzt, denkt Meiler, wird sich auch die Pflanze da drüben in ihrem Affenkäfig rühren. „Sie können nach oben gehen, Herr Meiler, die Besprechung ist beendet!“ Meiler legt die Prospekte und Zeitschriften wieder ordnungsgemäß zusammen, zerdrückt die Zigarette im Aschenbecher und geht mit einem Kopfnicken, das wohl ein kurzer Dank sein soll, an dem Glaskasten vorbei, nach oben.

Nur zur Aushilfe, so hatten sie doch gesagt, nur eine kurze Vertretung als Dritter Ingenieur. Und ob er das machen wolle, so fragten sie ihn, und so war ’s doch, nicht? Eine Reise nur… nur eine Reise. Aber Reisen können verflucht lang sein. Jawohl, sehr lang. Es gibt Reisen von vier Wochen und von sechs Wochen. Reisen, die vier Monate und sechs Monate dauern. Jahresreisen, Zweijahresreisen und Fünfjahresreisen. Es gibt auch Reisen ohne Ende, und das sind die längsten. Es kommt nur darauf an, was man unter Reisen versteht. O ja, Reisen können verdammt lang sein. Sie fragten ihn (das war doch erst gestern), sie: die „Wanze“, der „Wurm“ und die „Schlange“, die verfluchten Handlanger des Reeders mit Inspektorenallüren. So ist es aber, dessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing. Ja, ja, sie fragten ihn, und er sagte zu, weil ihm das Wasser bis zum Halse stand. Das mit dem Wasser, das sagt man so. Was ist das für Wasser? Ach so, Wasser und Strohhalm, so war das doch, nicht? Die Wanze drückte ihm 50 Mark in die Hand, beim Wurm musste er unterschreiben und sich von der Schlange verabschieden und aufgetragen wurde ihm noch, dem Kapitän an Bord Grüße vom Kontor auszurichten. „Die fünfzig Mark sind für die Reise, rechnen Sie darüber mit dem Kapitän ab; ja?“ Das sagten sie auch noch. Lächerliche fünfzig Mark, damit sollte er 200 Kilometer reisen. Und rasch reisen solle er, sich nirgends aufhalten, und nicht etwa in Hamburg noch einen Reeperbahnbummel machen und sich auch nicht besaufen. Das letzte rief die Wanze noch hinter Meiler her und wanzte sich wieder in seinen Büroschemel, und der Strahl der Wintermorgensonne traf falsche Augen und brandrote Haare. Arschlöcher die; besaufen, wovon wohl? Aber die können sich jeden Abend besaufen, diese Heinis, die können klug schnacken. Trotzdem, das mit dem Besaufen, das lass man meine Sorge sein, dreckige Wanze, du. Über die fünfzig Mark will man eine Abrechnung, und genau, versteht sich, auf den Pfennig genau. Fünfzig Mark, er hätte sie ja tatsächlich versaufen können, also waren sie doch großzügig. Vertrauen ehrt.

Kurz grüßend, abwesend und schon vorwesend, ging Meiler an der Blondine im Glaskasten vorüber und trat aus der Wärme des Reedereigebäudes in den kalten Januartag. Mit Hassaugen sah Meiler auf die Schiffe, die vertäut an der Pier lagen. Morgen, ja, ja, morgen. Scheiße! Aber noch ist heute, noch eine Nacht mit Mira. Die Nacht, die letzte Nacht mit Mira. Wohl eine Nacht mit Höhen und Tiefen, mit Gipfeln und Tälern. Eine Nacht, die schon mit Vorschau auf Schiff und Wasser und Weite geschwängert sein wird, die schon den Lärm der Maschinen und Motoren in sich trägt und das Jaulen der Pumpen, das Singen der Generatoren und Heulen der Turbinen.

Und sie trägt weiter in sich das Wissen um den Alltag, um die Trennung, um die Probleme und was es auch immer sei, was den Menschen rüttelt, bewegt, anspricht, so zwei Menschen, Mann und Frau, die sich trennen müssen. Menschen, die sich dann eine Zeitspanne nicht sehen und fühlen. Wieso aber die letzte Nacht? Es gibt keine letzte Nacht, außer der letzten Nacht vor dem Tod, worauf die endgültig letzte Nacht folgt.

Meiler hatte seinen Mantelkragen hochgeschlagen, als wolle er sich einkapseln, isolieren. Meiler ging am Zollposten vorüber. „Nichts dabei!“ Meiler. „Danke!“ Der Zöllner. Da, eine Telefonzelle, innen verkippt und vermatscht. Die Vermittlung im Krankenhaus meldete sich. „Kann ich Schwester Mira sprechen?“ – „Einen Moment, verbinde zur Männerstation!“ „Du, Mira, morgen geht’s los!“ – „Ach, morgen schon?“ – „Ja, leider... morgen früh... aber nur für eine Reise!“ – „Wie lange dauert die Reise, Mel?“ – „Ja, wie lange dauern Reisen? ... Och, nicht lange, Mira, ich mache nur eine Vertretung!“ – „Wann sehen wir uns, Mel, Liebling? Ich komme um fünf von der Station!“ – „Dann komm zu mir für die letzte Nacht! Sieh, ich muss noch packen und habe sonst noch allerhand zu tun. Im Schwesternheim ist zuviel Rummel, dort bist du mir zu kabbelig. Du kannst mich ja morgen früh zur Bahn bringen, wenn du willst. Ist es dir so recht, Mira? Kleines, liebes Mädchen, du!“ – „Ach ja, mir ist alles recht. Morgen, morgen, gäbe es doch nur kein Morgen, Mel!“

Nun hat der Abend seine Augen aufgetan. Die Ruhe in der Winternacht ist wie ein dunkler Vorhang, dahinter quälen oder beglücken sich Menschen. Alle Konturen sind verwischt. Nicht aber die Konturen von Miras Gedanken, auf ihnen zeichnet sich die Landschaft seines Gesichtes, das wie die See ist, lebendig, stürmisch bewegt und manchmal zerrissen. Und nur manchmal, so sein Gesicht ganz still ist, spricht aus dem Innern die See. Dabei kennt sie die See nicht, aber sie versteht die Sprache so gut, und sie findet sich darin zurecht. In dreimonatigem Zusammensein, in dreimal dreißig Nächten hat sie die Sprache der See erlernt… „Du, deinen Schlafanzug habe ich nicht mitgebracht, er bleibt in meinem Zimmer im Schwesternheim... so habe ich noch etwas von dir!“

Die Weggefährten auf dieser Nachtstrecke wirken zunächst nichtssagend, da aber auch das Nichts etwas aussagt, sagten auch die Nichtssagenden etwas aus - alles aus. Zusammengekuschelt und zusammengeglückt liegen sie auf der geflachten Schlafcouch, ohne Bewegung, nur in der Bewegung ihres Atems, ihres Herzschlages, der von Hand zu Hand leise pocht und pulst. Von der Straße her kriechen weiter Geräusche, die sie berühren. Der Warnruf eines Wintervogels. Das Gekreisch eines Gatters. Der Fall einer zuschlagenden Tür. Der Start eines Kraftwagens.

Und Melchior Meiler richtete sich auf, werbend umflüsterte er ihr Gesicht. Umfasste zärtlich ihre nackten Schultern, zeichnete ihre Augenbögen, ihre Ohrmuscheln mit seinen Fingernerven. Vier Augen hielten einander fest und dunkle glitzernde Sonnen sprühten, versprühten Lust und Zärtlichkeit. Sie sahen und hörten und spürten nicht mehr die Nacht, die kalte und helle und geräuscharme, sahen, hörten und spürten nur sich. Sahen die Lust in dem anderen, so unbekümmert wie die Natur, rein und schön. Ein feines Sirren steigt auf, es ist der Sekt, der zart das geschliffene Glas harft. Sie umarmen sich noch einmal, liegen Leib an Leib, Mund in Mund. Augen in Augen. Versunken, vertieft... ineinander. Eingekapselt im Abschiedsschmerz, dann einsam, verloren. Und doch bot der Herold des Abschieds abschneidend Liebe und Freude und Schmerzesstunde, bot er Wärme und eine unausgesprochene Aussage ihr beider Innern. Mira war wie eingeschlossen in einem Traum, in dem sie hätte eingeschlossen sein mögen für immer. Niemals mehr auftauchen. Niemals mehr denken müssen an das Gewesene, an das Kommende... nie mehr an morgen. Ob er wohl im Abschnitt des Abschieds etwas von allem, was in ihr war oder ist oder sein wird, spürt oder gespürt hat? Oder ist sie allein in ihrem Denken und Fühlen? Einen Augenblick glaubte sie es nicht zu sein. Es war der Augenblick. War es eine Illusion? Gott, was weiß man schon in Wirklichkeit von dem anderen? Man legt Gutes oder Schlechtes in einen Menschen hinein und weiß nichts von dem, was wirklich in ihm ist. Vielleicht darum, weil man stets sich selbst in den anderen hineinlegt und glaubt, sich selbst im anderen zu begegnen. Selbst Menschen, die sich sehr nahe sind, begegnen sich in ihrem Innern nur selten. Aber dass sie sich manchmal begegnen im Zentrum ihres Soseins, im Mittelpunkt ihres Fühlens, im Zenit ihrer Erfüllung, so glaubt Mira, das sei der Liebe höchste Form... der so vielen Arten der Liebe. Nur Stunden der Nacht bleiben ihnen, knappe, karge Stunden, die auch ein wenig das Gesicht des Schlafes tragen müssen. Alles Ungesagte sollte gesagt werden, alles Ungesagte der verflossenen Monate. Alles Ungesagte wurde nicht gesagt. Menschen wollen das aber immer. Menschen wollen anders sein als in Briefen. Menschen wollen im Abschied, in der Trennungsspanne nachholen, wollen überholen, verbessern, ja, das wollen die Menschen. Tun sie es? Das dunkle Tuch der Trennung, der schwarze Schleier des Scheidens lässt Gedanken und Worte in Höhlen und Irrgärten der Hirne. Gedanken und Worte nähern sich nur wie Tropfsteine und berühren sich nur manchmal, wie es Tropfsteine auch nur manchmal tun. Ist es in einem Irrgarten anders? Die Gedanken eilen voraus, eilen in Maschinenräume und Operationssäle und an Seziertische. Hängen in Schiffsbetriebsgängen und auf Männerstationen. Sind und verweilen bei kranken Maschinen und bei kranken Menschen.

Kapitel 2

Frostklarer Tag. Die Kälte knackt wie Krakauer Wurst. Quirlend flockt Weiß aus grauem Himmelstopf. Schnee knarrt und stöhnt unter Fußtritten. Vorortbahn. Ein Mädchen, sein, Meilers Mädchen, blieb zurück. Winkte und winkte, bis auch das Tuch eine Flocke war. Schön waren die Tage bei ihr, und noch schöner die Nächte, ja, die Nächte. Verflucht, die Nächte waren gut. Scheiße, jetzt nicht dran denken, bin sowieso leer wie meine Brieftasche. Nicht dran denken. Kann man auf See machen, wo man zum Nachdenken Zeit hat, auf langen Wachen und so. Dann kann man sich die Beine und Brüste und Mund und Augen wieder herbeiholen. Dann hat man auch was davon, und man kann was davon machen, so man keinen Hafen und keine Frauen hat. Aber jetzt, nee!

Weißwattige Rauchballen liegen auf nadelspitzen Industrieschornsteinen. Glühend brennt ein Feuer ein rotes Loch in das Schneegrau des Himmels: die Abgasflamme einer Ölraffinerie. Melchior Meilers fadenscheinige Koffer aus Fiber, Farbe und Pappe stachen im zermatschten Schnee des Abteils. Ein Zuchthaus gleitet vorüber, und in den Zellen brennt Licht. Schmutziggelbe Fleckenquadrate im Ziegeldunkel der Steine. Schmutziggelbe Flecken, von schwarzer Gitterschrift aufgeteilt. Schachbrettmuster der Unfreiheit. Die Zuchthauskapelle aber hat keine Flecken, morgens geht noch keiner beten. Die haben es gut, die da im Knast, haben zu essen, sind im Warmen und brauchen nicht zur See zu fahren. Vor Meiler, gegenüber, pult sich eine kopfbetuchte Frau in der Nase. Derjenige, der den Knetgummi erfunden hat, oder derjenige, der die Plastikbombe erdacht hat, hat bestimmt mit Nasenpopeln angefangen. Hat die Popel mit spitzen Fingern und bohrenden Nägeln aus der Nase geholt und die grünschwarzen Dingerchen zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her gedreht, gerollt, gewalzt zu Kugeln, zu Würsten, zu Walzen. Hat sie eingekniffen und sich vor Augen gehalten. So ist er auf Knetgummi gekommen, heute ein beliebtes Spielzeug für Kinder. So ist er auf die Plastikbombe gestoßen, heute ein beliebtes Spielzeug für Attentäter und Widerständler. Eigentlich müsste er an sein Mädchen denken, statt an Nasenpopel. Fünfzig Mark hatte Meiler schon nicht mehr. Taxe. Fahrkarte. D-Zug, versteht sich, er sollte ja schnell reisen. Doppelter Zuschlag, weil Fern-D-Zug. Er sollte ja schnell reisen. Die Zuschlagkarten machten schon einen feinen Mann aus ihm, es fährt nicht jedermann mit einem Fern-D-Zug, weiß Gott nicht. Einen feinen Mann, wenn auch die Koffer Pappkoffer sind, pah, was macht das schon? Junge und ältere Mädchen und Frauen, schlanke und dralle, steigen zu. Schnatternd, schnackend, gackernd, lachend, albern kichernd. Toupiert vergrößert. Gehackt vergrößert. Gemalt verschönt. Verkäuferinnen. Büroangestellte. Arbeiterinnen. Die Stadt frisst sie gleich, frisst und schluckt sie gleich, mit all der Farbe auf Gesichtern und Fingern. Mädchen und Frauen, die die Stadt gleich schluckt und die sie abends wieder auswirft, als sei sie ihrer überdrüssig. Keine Sorge aber um die Farbe, denn vor dem großen Auswurf treten der Pinsel und der Farbstift wieder in Tätigkeit. Nur der Glanz der Augen ist geschwächt. Der Glanz des herben Wintermorgens in den Augen der Mädchen, der ist abends stumpf. Den Glanz hat die Stadt behalten. Und den Tribut fordert sie täglich, bis die Augen ganz stumpf sind, so stumpf wie Milchglas. Aber daran haben die Wanze und der Wurm und die Schlange nun wirklich keine Schuld, nein, nein, daran nicht. Aber es gibt noch vielmehr Wanzen und Würmer und Schlangen in der Stadt, nicht nur bei den Reedereien, o nein. Und abends nach dem Auswurf werden die Mädchen und Frauen nicht mehr gackern und kichern und schnacken und schnattern, denn sie sind müde und abgekämpft. Sie haben den Glanz aus ihren Augen verloren, nur die Farbe ist frisch.

Meiler wird heute noch, heute Nacht noch von einem Schiff gefressen, mit Koffern aus Farbe, Fiber und Pappe. Und doch sind die Gedanken bei Mira, dem Mädchen der vergangenen Tage und Nächte. Dem Mädchen mit den glatten Gliedern. Mist, nicht dran denken. Fernbahnhof. Umsteigebahnhof. Im Wartesaal der unteren Klasse, am bespuckten Tresen, trank Meiler ein paar Glas Bier. Untere Klasse? Aha, es gibt also doch noch Klassen. Er möchte sich wohl besaufen..., denn es stand ein Mädchen allein auf dem zugigen Bahnsteig, und das Tuch war eine große Schneeflocke, und die kleinen Schneeflocken, die richtigen und wirklichen und weißen und nassen, zogen einen wirbelnden Schleier vor des Mädchens Augen. Deswegen möchte er sich besaufen, aber dafür haben „Die“ ihm kein Geld gegeben, dafür nicht.

Die Arbeitskraft, Personalausweisnummer D 3920206, Melchior Meiler, hat fünfzig Mark bekommen, damit die Arbeitskraft vom Schiff gefressen wird. Die fünfzig Mark müssen doch irgendwie wieder reinkommen, sicher doch. Nein, es wird einem nichts geschenkt. Wieso auch? Besoffen an rohen Holztischen. Mief. Rauch. Schweiß und Füße. Bier und Fuseldunst. Rauch. Bratwurstqualm. Besoffene an rohen Holztischen; denn für Besoffene legt man keine Tischdecken auf. Kellner in schmuddeligen Jacken; denn für diese Gäste braucht man keinen Frack. Schankmädchen, mürrisch und ungefällig, für diese Gäste braucht man kein Lächeln, keine Verbindlichkeiten. Ein Landgewächs steckt sich ungeübt und linkisch eine Zigarette an, zieht daran mit roten Lippen und gelben Zähnen. Stößt den Rauch in den Rauch und in den Schweiß und in den Bratwurstdunst. Verbirgt den Glimmstängel in seinem Handteller... es könnte doch wohl jemand aus dem Dorf hier sein. Zwischen ihren nach einwärts gerichteten Füßen räkelt sich ein blattgrünes Einkaufsnetz, aus dem es beißend und eindringlich herausschreit: HERTIE — HERTIE — HERTIE. Gott ja, das Mädchen will einmal eine Dame sein, und sei es im Wartesaal unterster Klasse, im Wartesaal mit Besoffenen an Holztischen, mit Rauch und Schweiß und Ausdünstungen und Bratwurstqualm. Im Wartesaal unterster Klasse eines Fernbahnhofes. Fünfzig Mark hatte Meiler nicht mehr.

Meiler schob seine Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe in das Abteil des Fernzuges. Und seine Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe hob er ins Gepäcknetz. Setzte sich selbst in die erste Ecke des Abteils, gleich links. Saß hineingedrückt, als hätte ihm die Verlegenheit einen Schubs gegeben. Saß, als hätten ihn die mitleidigen Polster herabgezogen und in sich aufgenommen, gnädigst. Saß, als hätten ihn der Rauch und der Schweiß und der Bratwurstdunst hier hineingeraucht, hineingeschweißt in diese vornehme Luft. Und die Luft ist vornehm in einem Abteil der oberen Klasse, stinkvornehm ist die. Die Dame am Fenster ist vornehm. Sie hat sich ihren Pelzmantel lose um die Schultern gehängt und sieht gelangweilt aus dem Fenster. Ihre Koffer im Netz stinken nach Schweinsleder. Aber diese Dame popelt sich nicht in der Nase, weiß Gott nicht, zumindest aber nicht öffentlich, denn die Dame ist vornehm. Und der Herr, Meiler gegenüber, ist auch vornehm. Seine Hosenbeine hat er hochgezogen, und die Bügelfalten sind scharf wie ein Paprikaschnitzel. Ist bestimmt teurer Stoff, aus dem der Anzug geschneidert ist, ein Stoff, worin sich auch Bügelfalten wohl fühlen. Ja, der Herr ist vornehm. Musste Meiler sich da nicht in eine Ecke drücken, in die erste beste, in das mitleidige Polster hinein? Aber er hat doch auch eine Fern-D-Zug-Zuschlagkarte, warum ist er eigentlich nicht vornehm? Ach ja, Entschuldigung, die Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe, die machen es wohl, dass er nicht vornehm ist. Ja sicher, die sind das auch, …denn an ihren Koffern sollt ihr sie erkennen. Meiler nahm die Boulevard-Zeitung - und erschrak sich. Er erschrak, weil die Zeitung beim Entfalten raschelte. Nein, er erschrak nicht, weil die Zeitung raschelte, sondern er erschrak vor den Blicken seiner Gegenüber. Wie konnte er auch so unhöflich sein und hier mir einer Zeitung rascheln? Das tut man nicht. Das Rascheln vertreibt nämlich die Vornehmheit. Das Rascheln wirkt zerstörend und zersetzt die Feinheit. Und das Rascheln verjagt Gedanken und könnte das Schweinsleder angreifen, das kann man alles nicht wissen. Das Rascheln könnte die Bügelfalten beleidigen. Außerdem ist das Rascheln proletisch. Bloß nicht wieder rascheln. „Deutscher in der Zelle vergessen!“ „Staatspräsident von Togo ermordet!“ „Genossen unter sich!“ „Sie starb durch einen Brieföffner!“ „Europas riesige Eiszapfen!“ Vorsichtig wieder zusammenfalten, die Zeitung, ja, ja, vorsichtig. Die Schweinslederne rührt sich nicht. Die Bügelfalten zittern nicht. Keine Blickpfeile schwirren. Gut gemacht, alter Knabe, wirst langsam vornehm. Dass ihm nun, nachdem die Zeitungsgeschichte einigermaßen klar gelaufen war, die Blase drückte, das war äußerst unangenehm und auch sicher nicht vornehm. Verfluchter Mist war das nun auch wieder. Die Vornehmen müssen nie, komisch ist das auch. Die sitzen und sitzen und scheinen auf dem Gebiet überhaupt keine Gefühle zu haben. Die sitzen, und er muss - und nötig, so nötig. Kommt von dem verdammten Bier im Wartesaal der unteren Klasse. Er kniff die Beine zusammen und schlug sie - und das ganz sachte, behutsam und geräuschlos - übereinander. Nur die Bügelfalten nicht berühren, bloß das nicht. Er meinte die Bügelfalten gegenüber, Meiler hatte ja keine. So ist das aber auch, wenn man keine Bügelfalten hat, kann man auch nicht vornehm sein, und wenn man Bügelfalten hat, drückt einem auch sicher nicht die Blase. Das wird nächstens anders. Ganz bestimmt. Aber Meiler muss trotzdem, muss nötig. Verfluchter Mist! Schob sich an den Bügelfalten vorbei. Tür ganz leise zur Seite rollen, damit die Schweinslederne nicht aufsieht und tastete sich durch den schaukelnden Gang dahin, wo dransteht: WC. Für Herren und auch für Damen. Hier müsste die Schweinslederne auch hin, wenn sie müsste, und die Bügelfalten auch, wenn sie müssten. Das ist man gut, gibt es doch hier wenigstens keine Klasseneinteilung. Nicht mal eine Trennung der Geschlechter. Aber müssen die überhaupt? Wahr ist das aber auch, zuerst zerstörte er die vornehme Luft mit seinen Koffern, dann raschelte er mit der Zeitung „Sie starb durch einen Brieföffner!“ Und zuletzt drückte auch noch die Blase. Nein, nein, aus Meiler wird wohl nie ein feiner Mann werden. Im Gang, an der Tür zur Einsamkeit und des Wasserfalls stand ein Mädchen und wartete darauf, dass die grausamen schwarzen Buchstaben: BESETZT im Messingfutteral verschwinden... so mit klack. Das Mädchen musste auch. Ist es nun vornehm, zu warten, dass jeder Mann und jede Frau und er sehen, dass das Mädchen muss? Ist es vornehm, zu warten, um die Müssenden an sich vorbeidrängen zu lassen, Auge in Auge fast, um sich selbst dann in Klausur zu begeben? Meiler stellte sich in den mannshohen Ziehharmonikabalg, der immer balgt, stets Wind hat und fortwährend Musik macht, und kam sich vor wie in der Reichsmark-Zeit... Schlangestehen mit Muttern. Klack. BESETZT fällt in den Messingkeller und FREI weist auf eine Erlösung. Eine Dame duftet vorbei. Der Nächste... nein, die Nächste. Meiler ist noch nicht dran. Die Duftende hätte er doch nicht so ansehen dürfen. Klack. BESETZT. Wieso besetzt? Dann müsste es ja eigentlich noch ein Schild geben, für Männer: BESTEHT. Ach nein, das kann auch besetzt heißen, es kommt ganz drauf an. Meiler stand und trat von einem Bein auf das andere. Der Balg der Ziehharmonika schwabbelte hin und her, und die rollenden Räder schlugen stoßenden Takt. Klack. FREI. Die Schlangesteherin schämte sich vorbei. Die Schlangesteherin hätte er auch nicht so ansehen dürfen. Die Brille war noch warm, er fühlte es, als er sie anhob. Schade, dass er sich nicht zu setzen brauchte. Pisste und ließ dann Wasser in das Waschbecken. Mögen weitere Müsser und Müsserinnen draußen warten, keine Rücksicht, er musste es auch, als er musste. Eine warme Brille hinterließ er nicht. Behandelte den Seifenspender nach Vorschrift: Die Klappe einmal rechts herum, und wie aus einer Pfeffermühle der Pfeffer raspelt, so auch die gekörnte Seife. Duftet gut. Schöner Schaum. Papierhandtuch mit DB eingeblaut, kreppig, griffig. Verdammt, doch ein Genuss, so auf der Gangway der Vornehmheit zu balancieren. Ist die Gangway auch schmal und wackelig, Meiler hatte es gewagt. Ja, und diese Gangway führte ihn in den Speisewagen und er riskierte was: wagte sich flüsternd eine Flasche Bier zu bestellen. Die Kellner sind Grafen. Und die Speisewagengäste stinken auch alle nach Vornehmheit. Tranken Sachen, die er nie getrunken, aus Gläsern, die er nie sah. Hier wurden von Hornbrilligen und Maßanzügen Gespräche geführt, die er nie hörte. Von Transaktionen und Projekten, von Aktien und von Haussen und Baissen wurde geredet, aber Trinkgelder bekamen die Kellner nicht. Merkte er sich, Trinkgelder geben ist nicht vornehm. Vielleicht ist Trinkgeldgeben proletisch, weil es wohl so aussieht, als wolle man sich die Gunst der Grafen erkaufen. Merkte er sich, Trinkgeld geben ist nicht vornehm. Man soll den Grafen auch gar nicht erst ein Trinkgeld anbieten, sie könnten sich beleidigt fühlen.

Wieder ein Fernbahnhof. Umsteigeplatz. Die Koffer aus Farbe, Fiber und Pappe schleppten sich von Gleis vier nach Gleis neun. Leichtfüßige Mädchen, hochgehackt, hochtoupiert. Junge Männer, röhrenhosig, cäsarenköpfig. Alte Ehepaare, reisewütig. Arbeiter, Angestellte, eilend, hastend. Heilsarmisten, singend, sammelnd. Bahnbeamte, wichtig tuend, von Fahrplänen und Fahrzeiten, Ankünften und Abfahrten redend. Am neonbewehrten Imbissstand aß Meiler eine Wurst, lauwarm, teuer.

Der nächste Zug, ein Eilzug, ratterte ihn der Küste näher. Warm gedeckte Bauernhäuser. Weiß gedeckte Wiesen. Lichternde Lichter. Weißbesprenkelte Hänge. Kleinstadtbahnhöfe. Dorfstationen. Wiesen und Knicks. Es waren nur vier ganze peoples und Meiler, die um Mitternacht am Endbahnhof aus dem Zuge krabbelten. Der Ost hatte auch hier an der Küste seine Messer geschliffen. Im Wartesaal war es warm und leer. Hier wartete Meiler auf ein Taxi. Der Bierhahn stammte aus dem vorigen Jahrhundert. Eine Biersäule blitzte blank und schnörkelte in grün-weißem Porzellan. War nur eine Attrappe, denn es gab Flaschenbier. Der Wirt sparte mit Licht und sah aus wie ein Hobbyist, Briefmarkensammler, Taubenzüchter oder so. Das Taxi kam. Der Fahrer roch nach Schnaps, er wurde durch Meiler in einer Geburtstagsfeier gestört. Die kleine Stadt schläft. Es schläft auch das Licht. Die Bürger liegen mit ihren Frauen in warmen Betten. Durch die Gassen schneidet der Ost. Da und dort ein Fensterlicht, blank oder hinter Gardinen. Ein krankes Kind? Ein Sterbender? Eine Liebesstunde? Wer weiß!

An der Bunkerstation lag das Schiff. Eine Eisburg. Decklast: Holz. Begossen und emailliert. Glasur des Winters. Eine gefährliche Glasur. Todesschlitten. Auf- und Niedergänge, Relinge, Verschanzungen trugen Eisbärte. Wanten, Antennen, Stagen, Drähte, Tampen, Reeps und Festmacher waren in Eis gepackt, als hätte man sie durch Zuckerguss gezogen. Gleißende, brennende Augen der Bogenlampen. Unheimlich glitzernde, funkelnde Eisburg Schiff. Von der Bunkerstation zum Schiff windet sich durch die Schneewatte eine tiefschwarze Schlauchschlange, eben atmend. Die Eisburg säuft das kalte Blut der Schlange. Vermummte Männer an Deck, fast in Lumpen, über Eisglasspiegel balancierend. Flüche, Geschimpfe. Arschloch. Idiot. Blödmann. Albernes Gelächter. Eine vereiste Leiter sprosst sich an Deck. Die Koffer schaffen es und sind jetzt in einer angemessen Umgebung, passen nun wie ein Maßanzug. Das Schiff frisst Meiler. Der Bierhahn war nur eine Attrappe. Das ganze Leben ist eine Attrappe. Das Schiff, das Holz, das Eis, alles ist nur Attrappe. Alles ist morgen tot, ist morgen nicht mehr. Alles stirbt, ist immer am Sterben. Alles Geborene, Gewordene, Bestehende stirbt schon bei seiner Entstehung... ist Attrappe. Nur die Menschen meinen, sie seien keine Attrappen, keine Schaupackungen. In der Winternacht verschwand das rote Schlusslicht des Taxis, und ihn fraß ein Schiff mit Koffern, mit seinem ganzen Besitz. Meiler wurde von Augenpaaren scharf und hart und schnell gemustert, von Vermummten in Pelz und Pudelmützen, von Gestalten in Lumpen und Latschen. Leise und dünn fragte Meiler, wo wohl der Kapitän anzutreffen sei. Im Salon, wurde ihm geantwortet. Stets schüchtern fragen, niemals aufdringlich, arrogant, anfeindend. Sich selbst ein bisschen schwächlich machen, verkleinern, verleitet den anderen dazu, zu fühlen oder als bereitwilliger Helfer aufzutreten, wenn nicht sogar Mitleid zu empfinden. Im Salon gern etwas forscher auftreten, damit reiht man sich selbst gleich ein. Oh, auf Schiffen kannte Meiler sich aus, da machte ihm niemand etwas vor, das ist anders als an Land oder im Fernzug, ganz bestimmt. Die Tür vom Salon stand auf. In einem Stuhl hing lederjackig und breitschulterig ein Wasserschutzpolizist. Wichtig schrieb der Maklerclerk in seinen Papieren, und der dritte, das war der Kapitän. Meiler klopfte an die offene Tür und trat gleich ein. „Mein Name ist Meiler, Meiler Melchior, ich bin der neue Dritte Ingenieur.“ Der Kapitän stand auf und gab Meiler schnell und hastig die Hand, sagte lispelnd und leise seinen Namen, Rischer oder so ähnlich. Mein Gott, dachte Meiler, ist das eine nervöse Nudel, der Alte. Seine Augen flatterten und flogen wie Kolibriflügel. Die Hände zitterten, wie die eines Berufsonanisten, als der Alte Meilers Seefahrtsbuch entgegennahm. Die üblichen Fragen lispelnd, belanglose Bemerkungen machend: Funker schläft schon! Funker schläft viel! Sprungfederhaft hopste ein Kanarienvogel in seinem Käfig auf und ab. Der Lispeler wandte sich von Meiler ab. Holzauf, holzab hopste der Vogel und piepste. „Ja, mein Murki, jaja... ßoviel Aufregung für dich... gehst gleich ßlafen, nicht? Nicht, mein Murki? Sind ßuviele Menschen hier, nicht, mein Murki? Ja, ja!“ Meiler kam es vor, als bedaure der Alte sich selbst. „Schönes Tier!“ sagte der Polizist und spekulierte auf den nächsten Schnaps. „Ja, ein schöner Vogel“, meinte der Clerk, „singt er auch?“ Der Clerk musste ja auch was sagen. „Und wie!“ sagte der Alte. „Nicht, mein Murki, nicht, du ßingst doch ßön, nicht?“ Scheiß auf deinen Murki, dachte Meiler, sag mir lieber, wie das nun weitergeht. Von Murki zu Meiler. „Melden Szie ßich beim Ersten Ingenieur, er wohnt ein Deck tiefer.“ Erster Ingenieur, wie sich das anhört. Wer schimpft sich bei der Seefahrt nicht alles Ingenieur? Oberhalb der Kammertür sind wohl kleine Schildchen angebracht, beschriftet: I. Ing., II. Ing., III. und IV. Ing. Das steht da wohl, aber sind es auch Ingenieure, die in diesen Kammern wohnen? Selten genug, meistens sind es Seemaschinisten. Das hat der Reeder geschickt gemacht und dabei gut spekuliert, denn welcher Schlossergeselle mit ein oder zwei Semestern Technikumausbildung lässt sich nicht gern als Ingenieur bezeichnen? Gib den Menschen einen Titel und dafür weniger Gehalt.

So, immer dem Geräusch und dem Geruch der Maschine nach, arbeitete sich Meiler mit einem Koffer den steilen Niedergang zum nächsten Deck hinunter. Dort lagen die Ingenieurskammern. Weiß Gott, möglichst kurze Wegstrecke von der Kammer zur Arbeitsstätte, zum Maschinenraum. Das ist auch ein Prinzip. Am liebsten würden die Reeder ja doch sehen, dass das Maschinen-Personal seine Kojen im Maschinenraum aufschlagen würde. Es ist ja auch jammerschade um den vergeudeten Raum für Wohnzwecke, wie gut könnte man noch den Laderaum vergrößern und somit mehr Ladung mitnehmen. Wie würde sich doch der Profit steigern. Motorengeräusche. Dumpfe Wärme. Stickige, verbrauchte Luft kroch durch den Betriebsgang, den Meiler ging, um zur Kammer des „Ersten“ zu gelangen. Die Wände waren verdreckt wie öffentliche Bedürfnisanstalten. Licht, so müde wie Kinderaugen. Meiler meldete sich beim Ersten Ingenieur, an Bord Chief genannt. Vor ihm stand ein kleines mickeriges Männchen, Meiler überragte es um einen Kopf. Hängeschultrig, hornbebrillt. Seine starken Augenbrauen tanzten über den dicken Brillengläsern einen Boogie, und die Hände spielten fingerig mit einem verschmierten Putzlappen. Meiler stand groß und breit in der Tür. „Ihre Kammer ist drüben auf der Backbordseite. Ziehen sie sich man gleich um, Sie müssen gleich auf Wache, der Zweite Ingenieur ist besoffen!“ Er sagte tatsächlich Zweiter Ingenieur. Nette Aussichten für Meiler, gleich Wache zu gehen, also mit dem Schlafen schon Scheiße. Ja, klein war der Chief, so klein. Klein geworden durch den Maschinenlärm. Kleingemacht durch die Aufregungen und die Arbeit. Kleingehalten durch die vitaminarme Kost. Konserven. Konserven... Futterkartoffeln abzugeben, an Mästereien und Reedereien. Für Schiffsgebrauch noch gut genug. Kleingehalten durch den Kapitän: ...dann muss ich das der Reederei berichten… Kleingehalten durch die Reedereischreiben: ...uns ist es unverständlich, dass Sie... und so weiter. Besonders klein gehalten durch die Drohungen der Handlanger des Reeders: ... und wenn es Ihr Gesundheitszustand nicht zulässt, dann tut es uns leid, dann müssen Sie… und so weiter. Klein wird er immer bleiben, der Chief. Und nach seiner Pensionierung noch kleiner werden, soweit ihm die Reederei einen kleinen Zuschuss zu seiner Rente gibt. So wird er weiter kriechen bis zu seinem Ende vor dem Reeder und seinen Handlangern. Weiterkriechen, bis er ganz klein in seiner Holzkiste liegt. Ein Beileidsschreiben an die Witwe, und der Zuschuss hört auf. Nach seiner Pensionierung werden ihm die Angst und der Respekt vor dem Reeder und seinen Handlangern bis an sein Lebensende in den Knochen liegen. Er wird immer vor den Handlangern und von den Handlangern in devoter Unterwürfigkeit sprechen. Er weiß auch, dass der Stift, der Lehrling im Reedereikontor, einen längeren Arm hat als er. Was hat der Chief von seinem Leben, insbesondere von seiner Familie eigentlich gehabt? Nichts. Aber er hat des Reeders Besitz vermehrt… und dass der Reeder mehr Schiffe bauen konnte. Er hat auf sein Familienleben verzichten müssen, er sah seine Kinder kaum, denn in einem Hafen, wo die Maschinenreparaturen anfallen, Besprechungen mit den Inspektoren nötig sind, hat er Bestellungen von Gasöl und Schmieröl, von Ersatzteilen, Werkzeugen, Farben, Pinseln und was so eine Maschinenanlage alles an Kleinkram für eine Reise benötigt, aufzugeben und in Empfang zu nehmen. Zumindest aber dafür verantwortlich zu zeichnen. Denn er soll damit fahren, er soll damit arbeiten, und ihn fasst man ans Maul, wenn draußen auf See oder in einem überseeischen Hafen etwas fehlt oder vergessen wurde und teuer eingekauft werden muss... uns ist es unverständlich... Und seine Frau sitzt in der Kammer und sieht ihren Mann nur zu den Mahlzeiten, manchmal auch dann nicht mal. Und sie liest und handarbeitet und macht sich Sorgen um die Kinder, die vielleicht bei einer Nachbarin untergebracht sind. Sie liest und handarbeitet, und das macht sie unter anderem zu Hause auch. Aber hier hat sie doch ihren Mann: Hat sie ihn? Ja, sie hat ihn, er ist gar nicht so weit von ihr entfernt, ach was, so weit wirklich nicht... nur unten in der Maschine kraucht er herum, verschmiert und verschwitzt und verärgert. Und setzt er sich einmal ein paar Minuten zu ihr, dann wird auch sie ihre Sorgen nicht los, denn er hört gar nicht zu. Kann sich einfach nicht in ihre Gedankengänge hineinfinden, tritt nicht in ihren Kreis. Hat nur seinen Kreis, das Schiff und die Maschinenanlage. Hat seine Besprechungen mit Werftingenieuren und Bunkerfritzen, mit Inspektoren oder sonstigen Heinis... und die Frau sitzt dabei und liest oder handarbeitet und wünscht jeden Türenklopfer und Besprecher zum Teufel. Und kommt der Abend... Herrgott, ist das ein Abend... wunderschöner Abend. Nun sollte ja eigentlich das Eheleben beginnen, so ist es doch wohl, nicht? Aber wie kläglich sieht das aus, wie traurig. Dann raffen sie sich zu einem hysterischen Geschlechtsakt auf, ohne Freude, ohne seelische und manchmal sogar ohne besondere körperliche Vorbereitung. Müde und abgespannt fällt er dann in die Kissen zurück und schläft, und die Frau liegt wach. Hellwach. Ach ja, das wollte ich ihm auch noch sagen, mit dem Ältesten, das geht nicht mehr, der wird so frech, und die Zensuren in der Schule lassen nach. Da müsste doch was unternommen werden. Aber was unternehmen, was? Und das wollte die Frau auch noch sagen, dass es mit der Kleinen gesundheitlich gar nicht mehr geht, dass sie sich fortwährend erbricht und über Schmerzen im Rücken klagt und dass kein Arzt weiß, was es ist, aber sie beobachten oder sie zur weiteren Beobachtung in eine Kinderklinik überweisen will. Dass es Oma auch nicht gut geht und dass sie wohl nicht mehr lange mitmacht und dass die Frau sie pflegen muss. All das wollte die Frau noch sagen. Ach, das kann ich ihm auch morgen sagen und fällt dann in einen unruhigen Schlaf. Wird wieder aufgescheucht durch Gegröle und Gesinge und Weiberkreischen, und durch die Gänge geht eine wilde Jagd, werden schweinische Witze gerissen. Die Mannschaft oder sonst wer kommt von Land zurück und hat sich Dockschwalben und Schluckeulen und Pissnelken auf die Hörner geladen... vielleicht auch in drei Tagen einen Tripper. Ja, das kann ich ihm alles morgen sagen, morgen ist es dann wohl etwas ruhiger. Denkste. Morgen ist es genauso. Morgen ist es nicht ein Tüttelchen anders. Gewiss, da unten in der Maschine läuft das jetzt, die Hilfsdiesel und die Arbeit, aber dann kommt was anderes. Kommt ein Ingenieurassistent und möchte einen freien Tag. Kaum ist der aus der Tür, will ein anderer abmustern. Bei dem oder dem Reiniger stimmen die Überstunden nicht, der andere will zum Arzt. So ist das ein Klopfen und Kommen und Gehen und Klopfen. Was wollte die Frau nicht noch alles sagen? Vieles, vieles wollte sie sagen. Aber was sagt sie denn? Nichts! Nichts sagt sie, jedenfalls nichts zu Ende. Ja, Meiler weiß das alles, kennt den Laden und auch die Leute. Aber scheißegal, hier ist es wenigstens warm, und hier ist es nicht vornehm, hier kann man auch getrost mit einer Zeitung rascheln. Hier gibt es keine Bügelfalten und keine schweinsledernen Koffer. Hier müssen die Sinne wach und die Nerven gespannt sein. Hier kommt man nicht zum Denken, vorläufig jedenfalls nicht, über das einsame Mädchen auf dem Bahnsteig. Los, los, ran, und stell dich nicht so an, du kennst den Laden doch, bist doch kein Seekalb. Tu doch nicht so, als wäre es auf anderen Schiffen anders. Ein Kanarienvogelkapitän, ein gnomiger, kleingemachter und klein gehaltener Chief können dich noch lange nicht aus den Latschen kippen. Hoh, hoh. Ja, ja... aber wenn das Mädchen auf dem Bahnsteig nicht wäre. Ach, geht auch vorbei, legt sich alles, lass nur erst einige Tage vergehen, gewöhne dich man erst mal ein, sollst sehen... wird alles seinen Gang gehen. Kannst dich nur nicht vom süßen Leben an Land trennen, von warmen Betten und weichen Brüsten. Legt sich alles, verlass dich drauf. In der Matrosenmesse, an der er vorbei musste, stand das Lied vom Mädchen fürs Geld genauso fest wie der Rauch und der Schnapsdunst. Des Reeders Leibeigene feiern. Und sie dürfen feiern und sie können es auch. Der Schnaps ist billig, und Schnaps bekommen sie, Schnaps betäubt und trübt die Sinne. Denn der Seemann darf nicht denken, sonst könnte er vielleicht den hellen Gedanken haben, doch lieber an Land zu bleiben. Bis zu seiner Kammer nahm Melchior Meiler noch eine Hürde.

Backbordgang standen drei lederjackige Wasserschutzpolizisten vor der verschlossenen Kammertür des Kochs und forderten, der Koch solle die Tür öffnen. Spitz und grell schrie ein Kind. Zeterte eine Frau. Fluchte ein Mann. Zersplitterte die Füllung einer Tür... Polizeistiefel sind benagelt. Bierflaschen rollten, liefen schäumend leer. Schlachtermesser scheppern an Deck. Faustschläge. Schreie. Der Koch wurde verhaftet. Schreie, Faustschläge. Das Kind in der Koje. Die Frau mit offenen Haaren und Bluse. Eine junge Frau. Du Schwein. Du Hund. Knips machte die stählerne „Acht“, einfach knips, hässlich knips und ab. Jetzt brauchte der Koch für sich und seine Familie vorerst nicht zu sorgen. Er schrie nach seiner Frau, nach seinem Kind. Trat, schimpfte, fluchte, spuckte. Die Frau gebärdete sich wie eine Furie. Die Frau lag eine Stunde später mit einem Matrosen im Bett und machte eine Nummer. Das Kind spielte auf dem Sofa. Es war mal wieder ganz nett bei der christlichen Seefahrt. Die nächste Hürde. So schnell frisst ein Schiff nun auch nicht. III. Ingenieur. Das kleine weiße Kunststoffschild oberhalb der nächsten Kammertür, das mit den schwarzen Buchstaben III. Ingenieur, bat Meiler, doch hier einzutreten. Deckenlampe. Weißes Licht. Ein Tisch und auf durchgefettetem Zeitungspapier ein zerfetzter Bückling. Kopf halbiert, die Kiemen wie verrostete Zahnräder. Boulevardzeitungsruf: Kugel im Kopf und nichts gemerkt. Sofa, in die Ecke gehauen, gelbinselig gefleckt. Zwei Bullaugen. Blind. Grünspan. Matratzen auf der Koje boten Seegras feil. Waschbecken vollgekotzt. Bücklingsreste, einmal runter, einmal rauf und raus. Zwei Wasserhähne, für Kalt- und Warmwasser, ausgerichtet wie zwei preußische Grenadiere. Welcher Komfort. Unter dem Tisch ein Mann. Hose und Träger. Perlonhemd. Der Mann schlief und war besoffen. Und draußen, außerhalb des Raumes, oberhalb der Tür ein kleines Kunststoffschild mit schwarzen Buchstaben: III. Ingenieur. Die Matrosen sangen: „Denn es kann ja nichts Schöneres geben, als in Hamburg ein Mädchen fürs Geld.“ Eine „Kugel“ rollte sich in die Kammer, eine „Kugel“ in einem verdreckten Overall, sie wurde von Meilers Koffer gestoppt. „Wer sind Sie denn? ... Ach so... Sie... Sie sind der neue Dritte, nich? ... Ich... sehen Sie mich an, ... ich bin der Zweite Ingenieur hier... oder haben Sie was dagegen?“ „Nö“, sagte Meiler, „aber es kommt drauf an und kann noch kommen.“ „So?... Das sehen wir dann schon... aber erst sehn Sie man zu, dass Sie den da hochkriegen... der muss von Bord… kann ja nix vertragen… das Arschloch. Ach, lass man, mach ich!“ Fußtritte halfen, dass das Bündel sich an Tischkante und Zeitung hochhantelte. Das Bündel lehnte sich an die Kugel und den Tisch, sie rissen die Zeitung mit dem Bückling zu Boden, sie küssten sich, sie zertraten und zerstampften den Bückling. Nun war Melchior Meiler vom Schiff verschlungen.

Draußen knisterte eine Winternacht. Fuhr ein Taxi zurück. Schlief eine Stadt. Glänzte, schimmerte wohl noch ein Licht. Zuckten Sterne am Winterhimmel. Trugen Fernzüge die Nacht in den Morgen. Weit, weit über zwei Fernbahnhöfe hinaus auf langen stählernen, eisigen Schienen entlang, lebt ein Mädchen - sein Mädchen.

Kapitel 3

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