Heller Mond in schwarzer Nacht - Beverley Harper - E-Book
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Heller Mond in schwarzer Nacht E-Book

Beverley Harper

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Beschreibung

In einer luxuriösen Safari-Lodge im Etoscha Nationalpark erwarten Hotelangestellte und Ranger die letzte Besuchergruppe des Jahres. Die reichen Gäste aus Europa und Übersee sind verzaubert von der atemberaubenden Landschaft und Tierwelt. Eine umherirrende, aggressive Elefantenkuh zwingt schließlich eine Gruppe von Zoologiestudenten in der Lodge Zuflucht zu suchen, und sie ergänzen die Runde der illustren Gäste. Niemand ahnt, was die kommende Nacht für sie bereithält: Sie alle teilen ein gemeinsames Schicksal, das ihr Leben für immer verändern wird...

Ein dramatischer, spannender und zugleich mitreißender Afrikaroman - vor einzigartiger Kulisse und einer atemberaubenden Tierwelt.

"Unglaublich dicht erzählt, aufregend, spannend und hervorragend recherchiert." Sydney Herald

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Seitenzahl: 838

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INHALT

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumWidmungKarteProlog1 – DIE STUDENTEN2 – DIE RANGER3 – DIE TOURISTEN4567891011121314 – NACHSPIELAnmerkung der AutorinDanksagung

ÜBER DIESES BUCH

In einer luxuriösen Safari-Lodge im Etoscha Nationalpark erwarten Hotelangestellten und Ranger die letzte Besuchergruppe des Jahres. Die reichen Gäste aus Europa und Übersee sind verzaubert von der atemberaubenden Landschaft und Tierwelt. Eine umherirrende, aggressive Elefantenkuh zwingt schließlich eine Gruppe von Zoologiestudenten in der Lodge Zuflucht zu suchen, und sie ergänzen die Runde der illustren Gäste. Niemand ahnt, was die kommende Nacht für sie bereithält: Sie alle teilen ein gemeinsames Schicksal, das ihr Leben für immer verändern wird …

ÜBER DIE AUTORIN

Beverley Harper, geboren in Australien, reist mit sechsundzwanzig Jahren nach Afrika, wo sie ein Jahr bleiben wollte. Es wurden fast zwanzig Jahre, die sie in Botswana, Malawi und Südafrika verbrachte, bevor sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen wieder nach Australien zog. Beverley Harper starb 2002 in Beverley Hills. Ihre Asche wurde nach Afrika gebracht.

Beverley Harper

HELLER MOND IN SCHWARZER NACHT

Aus dem Australischen von Barbara Ritterbach

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2001 by Beverley Harper

Published by Arrangement with Robert Harper.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Titel der Originalausgabe: Jackal’s Dance

Copyright der digitalen Neuausgabe © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Derek R. Audette | Christine Langer-Pueschel | Anna Om | Eduard Kyslynksyy | Marc Witte

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3642-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Robert, Piers, Miles und Adam –

wie immer und für alle Zeit.

Aber ganz besonders für Piers –wegen seiner Sachkenntnisse über afrikanische Ranger.

Und Robert – für das Lektorieren.

Und Miles – dafür, dass er sich um die Tiere kümmert,wenn ich auf meinen Afrikareisen bin.

Und Adam – dafür, dass er seiner Freundinmeine Bücher vorliest.

Ich liebe euch alle wie verrückt.

PROLOG

Die Hitze war extrem, intensiv, weiß glühend. Sie klang wie nichts sonst. Ein beständiges schwelendes Knistern, mit ihrem Gesang beinahe ohrenbetäubend in den Tiefen der Stille. Sie fühlte sich an wie nichts sonst. Sie lag schwer auf der Haut – eine pelzige Decke, erstickte Poren, die gierig versuchten, nach Luft zu schnappen. Sie fanden keine. Die Luft war vertrocknet.

Nichts roch wie die Hitze. Heiße Erde, trockenes Laub und eine Glutofenbrise, die die Verzweiflung von quälender Dürre und Leere mit sich brachte. Ihr Geschmack klebte im Mund, staubig, unangenehm, wie der des Todes. Nicht einmal Salbei konnte ihn vertreiben.

Die zwölf Männer lagen apathisch und benommen da. Sie hatten Schatten gefunden, aber er erlöste sie nicht von den heftigen Kopfschmerzen, den brennenden Augen, den krampfartigen Qualen der Dehydrierung. Sie hatten keinen Grund, sich zu bewegen. Sie hatten auch nicht den Willen, es zu versuchen. Der Tag würde zu Ende gehen, die Nacht würde hereinbrechen und Erleichterung bringen – ein wenig. Bis dahin blieb ihnen nichts als auszuharren.

Einer warf einen müden Blick zum Himmel. »Es gibt Regen.«

Die anderen schauten ebenfalls hinauf. Schwarze Kumuluswolken dräuten im Südwesten.

»Vielleicht später.«

Das war ihre ganze Konversation.

Die Elefantenherde drang in Richtung Norden vor. Unterwegs blieben die Tiere immer wieder stehen, um zu fressen. Eines von ihnen, eine Kuh ohne Stoßzähne, drängelte sich unentwegt vor, um fleischige Wurzelknollen oder abgeblätterte Rinde zu erhaschen, und wurde wütend zurückgestoßen. Die Herde nahm ihre Versuche, ihnen das Futter zu stehlen, sonst gutmütig hin, aber die extremen Temperaturen machten sie reizbar. Ihr Verhalten wurde nicht geduldet. Schließlich schaltete sich die Matriarchin ein und jagte sie fort.

Die stoßzahnlose Kuh trottete hinter der Herde her. Der Hunger rumorte in ihrem Bauch wie der ferne Donner eines herannahenden Gewitters. Sie hatte den ganzen Tag Blätter und Früchte gefressen. Jetzt wollte sie die Knollen, die die anderen ausgegraben hatten. Frustriert schlackerte sie mit den Ohren und stieß ihren Kopf in das faltige Hinterteil des Tieres vor ihr. Der halbwüchsige Bulle reagierte unverzüglich. Er drehte sich um und rammte ihr seine Stoßzähne entgegen. Die Kuh sprang zur Seite, blieb dann jedoch herausfordernd stehen. Der Bulle wich zurück. Sie mochte zwar eine Außenseiterin sein, dennoch nahm sie in der Hierarchie der Herde einen höheren Rang ein als er. Und sie war bekannt für ihre Wutausbrüche.

Sie waren in der Nähe des Flusses und konnten das Wasser bereits riechen. Obwohl sie alle durstig waren, blieben die Elefanten in einem Mopanewäldchen stehen. Sie begannen Zweige abzureißen und sich die Blätter gierig ins Maul zu stopfen. Die Kuh gesellte sich zu ihnen. Sie wussten aus Erfahrung, dass das Wasser am Ende des Tages kühler und erfrischender sein würde.

Das Geräusch brechender Zweige drang deutlich zu den Männern herüber, obwohl sie sich einen guten Kilometer von der Herde entfernt befanden. Einer drehte müde ein Auge in die Richtung, aus der es gekommen war, und lauschte angestrengt. Die anderen taten es ihm nach. Sie waren Eindringlinge, Fremde in einem Land, das ihnen nicht gehörte, und entdeckt zu werden war das Letzte, was sie brauchten. Das Geräusch dauerte zu lange an, um von irgendetwas anderem zu stammen als von grasenden Elefanten. Die zwölf Männer entspannten sich.

Plötzlich frischte die Brise auf. Die Männer wurden wach, dem verheißenen Regen entgegenfiebernd. Der Wind wurde schnell stärker, wechselte ständig seine Richtung. Innerhalb von fünfzehn Minuten sank die Temperatur um etliche Grade.

»Glaubt ihr, wir kriegen was ab?«, fragte einer der Männer.

Ein anderer zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus, als zöge es an uns vorbei.«

Ein paar dicke Tropfen platschten in den Staub, wo sie kleine Krater hinterließen. Der Wind war in kürzester Zeit zum Sturm geworden, der weiter ostwärts drängte. Die wenigen Tropfen waren alles, was er ihnen abgab.

Einen Kilometer entfernt witterte die Herde einen unangenehmen Geruch. Der auffrischende Wind hatte ihn mitgebracht. Ihre Matriarchin drehte sich um und stampfte entschlossen davon, weniger aus Angst als aus Misstrauen und Missbilligung. Sie kannte diesen Geruch. Den Bewohnern des Busches war er fremd, er erregte daher ihren Argwohn.

Die übrigen Elefanten folgten ihrer Anführerin. Alle – bis auf einen.

Die stoßzahnlose Kuh hob ihren Rüssel. Es gab kein Vertun. Ihr Herz brannte vor Hass, ihr Instinkt bestimmte ihr Verhalten. Sie orientierte sich kurz und stürmte dann los durch die sandige Buschlandschaft, beherrscht vom Geruch des Menschen. Der massige Körper gab ihr Sicherheit, ihre Absicht war klar, und nichts warnte sie, sich vorzusehen.

Nachdem sich die Hitze des Tages so plötzlich gelegt hatte, begannen die zu neuem Leben erwachten Männer, sich zu unterhalten.

»Wir sollten heute Abend dichter heranrücken.«

»Warum? Hier ist es sicher.«

»Sicher werden wir erst wieder sein, wenn wir über die Grenze zurück sind.«

Einer, der ein Stück von den anderen entfernt saß, hob den Kopf und sprach. »Wir bleiben so lange hier, bis ich sage, wir brechen auf.« Er sah die anderen der Reihe nach herausfordernd an, aber niemand widersprach. Er genoss die ganze Autorität.

Die Elefantenkuh verlor immer wieder die Fährte, setzte ihren Weg jedoch entschlossen fort. Sie trat aus einer Lichtung und blieb mit hocherhobenem Rüssel stehen, unsicher, in welche Richtung sie als Nächstes gehen sollte. Ihr Augenlicht war nicht gut genug, um die Männer zu sehen, die nur zweihundert Meter von ihr entfernt waren, aber sie hörte ihre plötzlich aufgeregten Stimmen. Ohne zu zögern stürmte sie in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Das plötzliche Auftauchen der Elefantenkuh elektrisierte die Gruppe. Chaos brach aus. »Seid still, ihr Idioten«, fuhr der Anführer die anderen an. Er sprang auf, griff nach seiner Kalaschnikow, stellte den Hebel auf Einzelschuss und trat zur Seite. Die Kuh kam wie eine Sturmwolke herangerollt. Der Mann wartete so lange, bis sie nur noch dreißig Meter von der Stelle entfernt war, wo die anderen starr vor Angst standen, dann drückte er den Abzug.

Hass. Hass. Hass.

Er war in ihrem Herzen, eine instinktive Reaktion auf diese zweibeinigen Kreaturen. Irrational und ohne Grund, aber sie war ein wildes Tier und brauchte keinen.

Töten. Töten. Töten.

Ein entsetzlicher Schmerz explodierte in ihrem Knie. Sie taumelte, versuchte weiterzulaufen, stürzte beinahe.

Fliehen. Fliehen. Fliehen.

Verwirrung und Angst trübten ihr die Sinne, alles in ihr schrie nach Flucht. Die Elefantenkuh drehte sich um und humpelte davon, jeder Schritt eine unendliche Qual. Das Bein war plötzlich nutzlos, unfähig, ihr immenses Gewicht zu tragen; es knickte ein, unkontrolliert zitternd. Die Elefantenkuh, die nicht begreifen konnte, was mit ihr geschah, trompetete ihren schmerzerfüllten Protest heraus und schleppte sich weiter. Sie sehnte sich nun verzweifelt nach dem Schutz und der Sicherheit der Herde.

Ihr rechtes Kniegelenk war durch das Geschoss zerschmettert worden. Noch während sie auf der Suche nach ihrer Herde war, ließen sich die ersten Fliegen auf der Wunde nieder.

Der Mensch, ihr verhasster Feind, hatte gerade ihr Todesurteil gefällt.

1

DIE STUDENTEN

Die Zeit vor Sonnenaufgang ist im afrikanischen Busch eine Zeit des Übergangs. Im Etoscha Nationalpark, hoch oben im Norden Namibias, ist es die Zeit, in der die Jäger müde zum Schlafen nach Hause gehen, die Gejagten, die die ganze Nacht wachsam waren, sich entspannen und die Aasfresser sich über die Überreste der Glücklosen hermachen. Beim ersten Tageslicht stoßen Geier zu Dutzenden herab. Es ist die kühlste Stunde des Tages, die Temperatur beträgt knapp zwanzig Grad Celsius. Die unbeständige Brise scheint angesichts des Morgendämmerungschors der Wildnis bewundernd den Atem anzuhalten. Zebras bellen aufgeregt – eine Mischung aus dem Wiehern eines Pferdes und dem Schrei eines Esels. Weißschwanzgnus grunzen in gegenseitigem Einvernehmen. Zebras mischen sich unter die Weißschwanzgnus, zum Schutz gegen Raubtiere. Ihre gemeinsame Sorge erfüllt die Luft und übertönt beinahe alle anderen Geräusche. Nur wenig anderes durchdringt die Kakophonie.

An diesem speziellen Morgen war die Geschichte von Leben und Tod für diejenigen, die die Sprache kannten, deutlich zu vernehmen. In einiger Entfernung stritt eine kleine Gruppe Tüpfelhyänen um die Überreste einer jungen Giraffe, nachdem sie einen ausgewachsenen Leoparden erfolgreich in die Flucht geschlagen hatte. Die Hyänen vertrauten auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit. Nicht viele Raubtiere würden es wagen, ihre Beute gegen die Zähne und den Kiefer einer Hyäne zu verteidigen, die selbst die härtesten Knochen innerhalb von Sekunden zermalmen konnten. Das grausige Kichern der fressenden Tiere war noch in vier Kilometern Entfernung zu vernehmen.

Der Anlass für die Alarmbereitschaft der Zebras und Weißschwanzgnus, ein einzelner schwarzmähniger Löwe, trottete gemächlich an der Herde vorbei. Er hatte in der Nacht eine gute Mahlzeit gehabt. Nun suchte er den Rest seines Rudels mit einem lauten, kehligen Gähnen – ein Zeichen der Zufriedenheit. Ein Kudu antwortete. Das heisere, wachsame Bellen sollte vor der Nähe eines Raubtieres warnen. Die samtene Schwärze der schwindenden Nacht schien zwischen Tod und Erwartung zu schweben.

Der Morgen brach wie ein Peitschenknall herein, scharf und laut. Im einen Moment war es noch schwierig, die Schatten, die ineinander verschwammen und eine formlose, düstere Masse bildeten, von der Realität zu trennen. Im nächsten fiel bereits der erste blasse Lichtstrahl herab, und einzelne Formen sprangen plötzlich in scharfen Kontrasten hervor. Es gab nicht viel Feierliches, keine Zeit für Nettigkeiten in dieser harschen Buschlandschaft mit den vereinzelten, ausgedörrten Grasbüscheln, die sich im Sand irgendwie ans Leben zu klammern schienen. Ein Augenblick der Weichheit, das war alles, als sich die Feuchtigkeit der Nacht aus den staubigen Blättern hob und die frühe Morgenluft für einen Moment mit einem ganz eigenen Geruch parfümierte. Ein lockendes, verführerisches Versprechen, das die Natur nicht halten würde. Noch bevor die Sonne aufging und die erstickende sengende Hitze eines weiteren erbarmungslos heißen Tages mit sich brachte, würde sich der kaum wahrnehmbare Schutzmantel aufgelöst haben und nichts weiter sein als eine Erinnerung.

Gary Fletcher – von allen nur Fletch genannt – hockte sich neben den rußgeschwärzten Kessel, der über den neu entzündeten Kohlen des Feuers der vergangenen Nacht zischend zu kochen begann. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaltete die Taschenlampe aus, um die nur kurz anhaltende Milde des Morgens in sich aufzunehmen. Sieben Emaillebecher, drei mit Teebeuteln, die anderen mit Kaffee, standen auf einem klapprigen Campingtisch bereit. Als die ersten Tropfen kochenden Wassers aus dem Kessel spritzten, erhob sich Fletch und beugte sich über das Feuer. Er benutzte einen Zipfel seines T-Shirts, um den dampfenden Kessel damit hochzunehmen und auf den Tisch zu stellen. Der dünne Stoff würde ihn vor der Hitze nicht ausreichend schützen, das wusste er, aber der Topflappen war dem mysteriösen Lagerphänomen zum Opfer gefallen, das von allen nur AOE-Syndrom genannt wurde, was für »ABWESEND OHNE ERKLÄRUNG« stand. Er war trotz gründlicher Durchsuchung des Lagers und seiner Umgebung nicht wieder aufgetaucht. Spekulationen über seinen Verbleib reichten von der Theorie »Alles findet irgendwann einen Liebhaber« bis zu der, dass der Lappen ein Snack für eine vorbeispazierende Hyäne gewesen sein konnte. Wie auch immer, sein Verschwinden blieb rätselhaft und verursachte nun gewisse Unannehmlichkeiten. Fletchs Hand brannte von der Hitze des Griffs. Er setzte den Kessel hastig ab, was dazu führte, dass der Deckel hinunterflog. Das Scheppern schreckte einen gelben Mungo in der Nähe auf. Er hörte ein Rascheln und sah eben noch den Schatten der Schleichkatze, die rasch davonsprang.

Angela würde sicher wegen der Rußflecken am Geschirrtuch schimpfen, aber das war ihr Problem. Fletch benutzte es trotzdem als Topflappen, um den Deckel wieder aufzusetzen. Fletch zuckte mit den Schultern. Besser, als sich die Hand zu verbrennen. Er wickelte den Stoff um den Griff des Kessels, kochendes Wasser platschte in einen Becher. Drei Teelöffel Zucker folgten. Er verrührte ihn gründlich und machte sich dann rasch, ehe die Emaille zu heiß wurde, auf den Weg zum Zelt des Professors.

Eben Kruger, Professor für Zoologie an der University of the Witwatersrand in Johannesburg, besser bekannt unter dem Namen Wits, mochte seinen Kaffee schwarz, stark, süß und pünktlich. Um vier Uhr fünfundvierzig, um ganz genau zu sein. Viele seiner Studenten kassierten eine barsche Zurechtweisung, weil sie sich verspäteten. Fletch war schon einmal mit dem Professor auf Exkursion gewesen. Eben Kruger war ein herausragender Akademiker, aber wenn es um sein eigenes Wohlergehen ging, besaß er die Dickköpfigkeit eines Kindes. Fletch wusste besser als die anderen, dass ein zu spät oder zu früh gelieferter Kaffee einen unangenehmen Tag mit ständiger Nörgelei und der Zuweisung schlimmster Aufgaben zur Folge haben würde. Mit dem alten Jungen war nicht zu spaßen.

»Prof«, rief er leise, als er vor dem Zelt angelangt war. Eben Kruger hatte es gern, wenn seine Studenten ihn so nannten.

»Hm.«

»Kaffee.«

Eben grunzte, räusperte sich und antwortete. »Kommen Sie rein.«

Fletch öffnete den Zelteingang und trat ein. Der Professor verabscheute es, den Reißverschluss seiner Schlafkoje zu schließen, bestand jedoch darauf, dass alle seine Studenten sich nachts in ihren sicher einschlossen. Wie üblich roch das Innere seines Zelts nach Schweißfüßen und Alkohol. »Guten Morgen.«

Eben sah verwegen aus, als er aus seinen Laken auftauchte und schläfrig in die Morgendämmerung blinzelte. Er erinnerte Fletch immer an jemanden, der seine Finger in eine Steckdose gesteckt hatte. Sein langes graues, dünnes Haar stand unordentlich in alle Richtungen ab, weiße Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht. Auch seine knochige, eingefallene Brust war weiß behaart.

Letztes Jahr hatte Fletch den Professor einmal ganz nackt gesehen, als er völlig unbekümmert aus dem Waschzelt gekommen war. Die Natur hatte Eben einen Streich gespielt. Sein Schamhaar wuchs nur spärlich, dafür kringelten sich auf seinen Pobacken dichte graue Locken. Der Anblick hatte bei seinem Studenten das unauslöschliche Bild eines großen, pelzigen Etwas hinterlassen, eine Erinnerung, die auch dann lebendig blieb, wenn der Professor bekleidet war.

Fletch stellte den Kaffeebecher vorsichtig auf einen verbeulten Lederkoffer und verließ das Zelt wieder. Frühmorgendliche Konversation war nicht die Vorliebe des Exkursionsleiters – er begegnete jedem Kommunikationsversuch, der nur dadurch übertroffen werden konnte, dass er seinen Kaffee zu spät bekam, mit tiefstem Misstrauen. Außerdem kam sich Fletch beim Anblick des müden, schlaftrunkenen Gesichts mit den bläulichen Lippen, die ohne die schlecht sitzenden falschen Zähne seltsam eingefallen aussahen, zutiefst unfair vor. Eben Kruger besaß einen derart scharfen Verstand, wie Fletch ihn von niemand anderem kannte, und es war schließlich nicht die Schuld des älteren Mannes, dass der dazugehörige Körper mit Anfang sechzig nicht mehr ganz perfekt war.

Der Professor bewohnte das einzige Zelt, in dem man aufrecht stehen konnte. Die Studenten mussten sich mit Ein-Mann-Iglus begnügen, in denen gerade genug Platz für einen Schlafsack, einen kleinen Rucksack sowie Nachschlagebücher, Kameras und Schreibblöcke war.

Megan Ward war die Nächste. Strenges Protokoll. Respekt vor dem Alter, wie es sich gehörte. Megan war ebenso wie Fletch Studentin im dritten Jahr. Er bereitete ihren Tee so, wie sie ihn gern hatte, und trug ihn zu ihr ans Zelt. Sie war bereits wach und öffnete den Zelteingang, als sie ihn kommen sah.

»Morgen.« Fletch gefiel es, wenn sie ihr langes braunes Haar offen trug und nicht wie sonst zu Zöpfen zusammengebunden hatte. Vor allem gefiel ihm, wie sich ihre unglaublich großen Brüste durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds abzeichneten. Die kühle Morgenluft machte sie besonders verlockend. Das wellige Haar fiel ihr bis auf die Schultern und umrahmte weich ihr Gesicht. Megan sah aus wie eine Madonna. Sie war nicht besonders hübsch – ihr Gesicht war zu rund, um wirklich schön zu sein –, aber sie hatte große braune Augen mit dichten Wimpern und ein breites, offenes Lächeln, mit dem sie andere Leute für sich gewann. Wenn jemand Kummer oder ein Problem hatte, ging er damit meist zu Megan.

»Hi.« Megan nahm Fletch die Tasse ab und lächelte. »Es wird wieder ganz schön heiß.«

»Glühend.«

Sie verzog das Gesicht und zog sich in ihr Zelt zurück.

Der einzige andere Student im dritten Jahr, Troy Trevaskis, nahm seinen Kaffee durch den Nebel seiner Morgenzigarette in Empfang. Wie üblich hatte er nackt geschlafen, was er nicht zu verbergen versuchte, ganz gleich, wer morgens Dienst hatte. Troy, ein großer, junger, attraktiver Mann mit einem Körper, den er eisern fit hielt, schien nach dem Grundsatz zu leben »Zeig, was du hast«. Fletch brauchte sich, was seinen Körper anging, auch nicht zu verstecken, aber die Art, wie Troy die meiste Zeit halb nackt herumstolzierte, hatte etwas fast Provozierendes. Er wedelte den blauen Dunst von seinem Gesicht fort. »Morgen.«

»Hi.« Fletch registrierte, dass der Schlafsack nur bis zu Troys Oberschenkeln reichte. »Megan hat morgen Frühdienst. Ich würde dir vorschlagen, dich dann ein wenig bedeckter zu halten. Josie hat sich gestern über dich beschwert.«

Überrascht blickte Troy erst an sich herab und dann zu Fletch. Seit er elf war, war er es gewohnt, nackt zu schlafen, und sein eigener Körper war für ihn so normal, dass es ihm nie in den Sinn gekommen wäre, dass andere daran Anstoß nehmen könnten. »Okay.« Ein bisschen Kaffee schwappte über den Rand seines Bechers, als er plötzlich Rauch in die Kehle und einen Hustenanfall bekam.

Fletch ertappte sich bei dem Wunsch, die heiße Flüssigkeit möge sich über seinen Schoß ergießen. Als er zum Feuer zurückging, war er so ehrlich, sich einzugestehen, dass dieser unchristliche Gedanke etwas mit Troys körperlichen Vorzügen zu tun haben konnte.

Josie Leah, Studentin im zweiten Jahr, war noch tief in ihren Schlafsack vergraben. Fletch stellte den dampfenden Kaffee draußen vor ihrem Zelt auf den Boden und rief laut, um sie zu wecken. Als er zum ersten Mal Weckdienst gehabt hatte, hatte er den Fehler gemacht, den Reißverschluss ihres Zeltes zu öffnen, woraufhin sie fast das ganze Lager zusammengeschrien hatte. Sie war ein seltsames Mädchen, und Fletch, der mit den meisten Menschen zurechtkam, wusste immer noch nicht ganz genau, wie er mit Josie umgehen musste. Es gab keinen Zweifel, dass sie intelligent war und sich mit Leib und Seele dem Naturschutz verschrieben hatte. Sie war Jüdin, was sie beinahe trotzig vor sich hertrug, so als glaubte sie, ihre Religion rechtfertigen zu müssen. Als er ihr zum ersten Mal begegnet war, hatte Troy scherzhaft den abwertenden Ausdruck Kugel benutzt, ein Wort, das einen sehr schmackhaften Auflauf der jüdischen Küche bezeichnete, in Südafrika jedoch auch als Schimpfwort für Yuppie-Jüdinnen aus Johannesburg benutzt wurde. Josie war in die Luft gegangen. Noch immer wahrte sie kühle Distanz zu ihm, sprach ihn nie direkt an, sah ihm nicht in die Augen und strahlte immer etwas Verächtliches aus, wenn sie irgendwie zusammenkamen.

Josie hatte auf Fletchs Weckruf nicht reagiert. »Bist du wach?«

»Ja.« Das Wort wurde von einem tiefen Gähnen begleitet.

»Schlaf nicht wieder ein, ja?«

»Nein.« Es klang gereizt.

Fletch zuckte mit den Schultern und ging davon, um den nächsten Becher zu holen.

Angela Gibbs war ebenso wie Megan bereits wach und sogar schon angezogen, als Fletch kam. Sie stand vor dem Zelt, vornübergebeugt, und bürstete mit festen, entschlossenen Strichen ihr langes blondes Haar. Fletch warf einen bewundernden Blick auf ihre schlanken Beine, die erst knapp unterhalb ihres gut proportionierten Pos in abgeschnittenen Jeans verschwanden. »Kaffee«, verkündete er.

Angela beugte sich noch tiefer hinunter und lächelte ihn zwischen ihren Beinen hindurch an. Selbst auf dem Kopf sah sie atemberaubend gut aus. Sie war freundlich und aufgeschlossen und flirtete, ohne es zu merken mit jedem Mann, der ihr begegnete. Fletch war keine Ausnahme. »Danke. Stell ihn einfach irgendwo ab.« Sie hatte von einem khakifarbenen Baumwollhemd die Ärmel abgetrennt und trug das Kleidungsstück lässig an den Hüften geknotet. Soweit Fletch erkennen konnte, hatte sie sich nicht groß bemüht, es zuzuknöpfen, und sie trug auch keinen Büstenhalter. Angela fasste ihr Haar mit einer Hand zusammen und steckte es mit einer Spange oben am Kopf fest. Bei den meisten anderen Mädchen hätte diese Frisur lächerlich ausgesehen. Zufrieden drehte sie sich zu Fletch um und zupfte an ihrem Hemd, bis es so saß, wie sie es haben wollte. Ja. Genau wie er vermutet hatte. Kein Büstenhalter.

»Ich komme heute nicht mit euch raus. Ich bleibe im Camp.«

»Mach dir keine Hoffnung. Der alte Herr wird das sicher nicht erlauben.«

Angela verzog das Gesicht. »Ich hasse es da draußen. Es ist so heiß.«

»Was hast du denn erwartet, als du dich angemeldet hast?«

Angela starrte auf ihre Fingernägel. Das war ihr einziger Makel – Fingernägel, die bis auf die Haut abgekaut waren. »Ich wünschte, ich hätte es nie getan«, antwortete sie schließlich. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so anstrengend sein würde.«

»Es ist nicht anstrengend, Angela«, sagte Fletch leise. »Langwierig manchmal, ja. Heiß sicher auch, aber niemals anstrengend.«

Fletch hielt es für nötig, Angela zwischendurch immer mal wieder auf Kurs zu bringen. Feldforschung, wie sie sie betrieben, erforderte einen hohen Einsatz. Die Verhaltensforschung bei Tieren bedeutete eine Menge Herumsitzen, eine Menge Warterei. Schakale, die Gegenstand ihrer diesjährigen Exkursion waren, verbrachten viel Zeit damit zu schlafen, aber sobald sie aktiv wurden, war es schwierig, mit ihnen mitzuhalten. Schon bei mehr als einer Gelegenheit hatte Angela etwas Wesentliches verpasst, weil sie gelangweilt irgendwo durch die Gegend spaziert war.

Sie begann mit ihren allmorgendlichen Fitnessübungen, die sie akribisch einhielt. »Ich bin froh, wenn ich wieder nach Hause komme.«

Fletch sah zu, wie sie ihren schlanken Körper zur Seite bog. »Es sind ja nur noch vier Tage.« Er lächelte mitfühlend. Angela war so zerbrechlich und völlig ungeeignet für die Arbeit hier draußen. Sie quälte sich mit der Hitze, ihre helle Haut verbrannte leicht, und sie schien mehr Flüssigkeit zu brauchen als jeder andere von ihnen.

»Vier Tage!«, stöhnte sie. »Das schaffe ich nie.«

Fletch ging zurück zum Feuer. Er fühlte sich leicht erregt – dafür war Angela verantwortlich.

Kalila Mabuka trank Tee. Fletch bereitete die milchige Brühe zu und brachte sie ihr ans Zelt. Vor ein paar Tagen hatte sie ihm vorgeworfen, sie zu benachteiligen, weil sie immer als Letzte an die Reihe kam. Für Fletch bedeutete Benachteiligung in diesem Fall Rassismus – Kalila machte viele Bemerkungen in diese Richtung. Er hatte ihr geduldig erklärt, dass sie nur deshalb als Letzte an die Reihe käme, weil sie die einzige Studentin im ersten Jahr sei. Sie hatte schnippisch dagegengehalten, sie sei nach dem Professor die Älteste im Lager und verdiene daher mehr Respekt. Sie war sechsundzwanzig, also zwei Jahre älter als Fletch. Als Zulu war Kalila es gewöhnt, dass man ihrem Status – ihr Vater war ein Häuptling – Respekt zollte, und es fiel ihr schwer, das seit langem etablierte Protokoll der Universität zu akzeptieren, die bis vor gar nicht langer Zeit das Privileg der weißen Südafrikaner gewesen war. Ihre Augen sahen ihn vorwurfsvoll an, dann nahm sie kommentarlos die Tasse, zog sich in ihr Zelt zurück und ließ Fletch, der sich höflich danach erkundigen wollte, wie sie geschlafen hatte, einfach stehen.

Als er wieder am Feuer war, quetschte Fletch den letzten Tropfen Geschmack aus seinem durchweichten Teebeutel, warf die leere Hülle in die Flammen und setzte sich auf seinen Campingstuhl, um zuzusehen, wie der neue Tag heraufdämmerte. Der Weckdienst war unbeliebt, aber sie wechselten sich alle damit ab, auch Professor Kruger machte mit. Fletch stand nicht gern im Dunkeln auf, aber wenn er einmal auf und angezogen war, genoss er die kühle Luft, die Geräusche, den Geruch von brennendem Holz und die Zeit allein. Für Fletch waren die wenigen privaten Minuten, bis die anderen zu ihm ans Feuer kamen, Balsam für die Seele. So sehr er die Gesellschaft anderer mochte, so sehr hatte er immer – schon als kleiner Junge – Augenblicke der Einsamkeit gebraucht, um seine Batterien aufzufüllen und wieder zu sich selbst zu finden. Zu Hause, am Western Cape, auf dem Familienweingut Devon Valley in Stellenbosch, war es leicht gewesen, sich Zeit für sich selbst zu stehlen. An der Universität bedeutete Privatsphäre einfach nur, die Tür zu schließen und so zu tun, als sei man nicht da. Aber bei Unternehmungen wie diesen war selbst mitten im Nirgendwo immer jemand um einen herum.

Exkursionen waren ein wesentlicher Bestandteil des Studienplans. Eben Kruger verlangte von allen Studenten, die an seinen Veranstaltungen zur Verhaltensforschung bei Raubtieren in ihrem natürlichen Lebensraum teilnahmen, dass sie innerhalb ihres drei- bis vierjährigen Studiums wenigstens an einer Feldforschung teilnahmen. Er ermunterte sie dazu, dies eher am Ende als zu Anfang ihres Studiums zu tun, weil dann, wie er sich gern ausdrückte, ihre Motivation angesichts des unmittelbar in Greifweite gerückten Abschlusses mehr von ihren Köpfen als von ihren Fortpflanzungsorganen gesteuert würde.

Von Fletch war Eben beim letztjährigen Trip so sehr beeindruckt gewesen, dass er ihn gebeten hatte, ihn auch in diesem Jahr wieder zu begleiten, als sein Assistent. Selbstverständlich hatte Fletch sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Er wollte Biologe werden, und da war ihm jede Möglichkeit, Tiere im Busch zu beobachten, willkommen. Sein Spezialgebiet waren Löwen, das Thema der letzten Exkursion, aber da Löwen zu bevorzugten Nahrungsbeschaffern der Schakale gehören, gewährte ihm auch diese Reise einen hervorragenden Blick auf den König der Tiere.

Sie kampierten bereits seit elf Tagen in Etoscha, und Fletch hatte bereits eine Reihe Löwen gesehen, unter anderem einen, den sie im letzten Jahr markiert hatten. Ganz unerwartet hatte er auch großen Respekt vor dem wunderschönen Schwarzrückenschakal entwickelt. Fletch fand, das Tier war der elegante Gentleman des afrikanischen Busches. Mit seinem dunklen Umhang, der am Unterbauch silbern gesprenkelt war, dem buschigen Schwanz, rötlichem Kopf, Flanken und Beinen war der Schwarzrückenschakal ein sehr vornehm aussehendes Tier. Er war ein äußerst anpassungsfähiger Jäger, mutig und furchtlos gegenüber drohenden Gefahren, intelligent und flexibel und seinem auserwählten Partner gegenüber absolut treu.

Ermuntert durch den Professor hatte sich Fletchs Interessensschwerpunkt ausgeweitet. Es gab keinen Grund, fand er, wieso sein Spezialgebiet nicht alle zur Gattung der Hunde und Katzen gehörenden Raubtiere, vom Löwen bis zum Fuchs, umfassen sollte. Eben Kruger stimmte ihm zu; er freute sich über Fletchs Engagement und seine Begeisterungsfähigkeit.

Eben verspürte echte Sympathien für Fletch, was bei ihm nicht häufig vorkam. Der Junge nahm sein Studium ernst, war unter den schwierigen Bedingungen der Feldforschung ein exzellentes Vorbild für seine Kommilitonen und vor allem die geborene Führungspersönlichkeit. Je älter Eben wurde, desto mehr verließ er sich auf die Arbeit seines jeweiligen Assistenten. Und Fletch nahm seine Verantwortung ernst und war am Thema der diesjährigen Exkursion äußerst interessiert. Manche Studenten fanden die weniger eindrucksvollen Raubtiere ein bisschen langweilig. Megan und Josie waren gute Studentinnen, die ihre Arbeit sehr sorgfältig und zuverlässig erledigten. Josie konnte zwar manchmal etwas abweisend sein, dafür besaß Megan mütterliche Eigenschaften, die immer nützlich waren, wenn eine Gruppe fast Fremder drei Wochen lang unter einfachen und manchmal unbequemen Bedingungen zusammengeworfen wurde.

Dann war da noch dieser griechische Junge, Troy. Er konnte manchmal eine Nervensäge sein, aber seine Ambitionen, Tierarzt zu werden, waren echt, und im Busch war er sehr viel umgänglicher. Manchmal zu umgänglich. Und dann musste es auf jeder Exkursion eine Angela geben – eine, die einer romantischen Vorstellung von Wildnis nachhing, es aber vorzog, diese aus der behaglichen Umgebung ihres Wohnzimmers zu betrachten. Eben wollte Angelas Bewerbung eigentlich ablehnen und ihr raten, sich für die Exkursion im nächsten Jahr anzumelden, weil er hoffte, sie würde bis dahin etwas reifer sein, aber ein Kollege hatte ihn gebeten, das Mädchen mitzunehmen. »Sie ist meine Nichte«, hatte er gesagt. »Sie hat sich in den Kopf gesetzt mitzufahren. Sie hat sehr hart gearbeitet und braucht eine kleine Pause.«

Wie üblich hatte Eben nicht widersprochen, sondern war den Weg des geringsten Widerstands gegangen und hatte sie mitgenommen. Dabei war die alljährliche Studienreise nach Etoscha nichts, was er einer Studentin empfehlen würde, die sich ein wenig erholen wollte. Es war mehr als offensichtlich, dass ihr Wunsch, einmal als Rangerin zu arbeiten, ein Traum bleiben würde. Wenn es ein Mädchen gab, das für eine raue Umgebung völlig ungeeignet war, dann Angela. Sie besaß das Konzentrationsvermögen einer Mücke – einer der Lieblingsvergleiche von Eben –, einen Hang zu völlig unangemessener Kleidung und eine Neigung zum Flirten. Davon abgesehen, das musste selbst Eben zugeben, machte sie ihren Job anständig, auch wenn vom ersten Tag an klar gewesen war, dass sie überall lieber war als hier.

Und das Zulu-Mädchen? Kalila war eine nette junge Frau, sie war begabt und ganz sicher auch interessiert, aber sie hielt stolze Distanz zu den anderen. Ihr Verhalten führte zu völlig unnötigem Stress, etwas, was sie alle nicht brauchten. Eben hatte kein Problem damit, dass sie schwarz war. Und soweit er das erkennen konnte, verschwendete, abgesehen von Troy, der sich über jedes Mitglied der Gruppe lustig machte, keiner auch nur einen einzigen Gedanken an ihre Hautfarbe. Kalila war arrogant, ja, aber das konnte auch Ausdruck ihrer Unsicherheit sein. Normalerweise hätte Eben Kruger die Bewerbung einer Studentin aus dem ersten Jahr automatisch abgewiesen. Aber Kalila war eine Studentin reiferen Alters, und sie hatte bewiesen, dass sie den Anforderungen einer Exkursion durchaus gewachsen war. Und wenn sie sich weiter so entwickelte, dachte Eben, würde er sie vielleicht fragen, ob sie ihn nächstes Jahr als Assistentin begleitete. Wenn sie sich nicht so abweisend verhalten würde, hätte er das längst getan.

Eben trank von seinem Kaffee. Ich werde zu alt für so was, dachte er bitter. Zu diesem Schluss war er schon vor zehn Jahren gekommen. Er krümmte sich jäh nach vorn, als er ein vertrautes Engegefühl in der Brust verspürte, und griff mit einer Hand unter das Kissen nach seinem Sauerstoffgerät. Eben wusste, was nun kommen würde. Seine Bronchien verkrampften sich, und wenn er nicht rasch handelte, würde er gleich nach Luft ringen. Das Asthma begleitete ihn schon sein ganzes Leben. Vor Jahren hatten die Ärzte festgestellt, dass er allergisch auf die kleinen Schuppen- und Staubpartikel auf der Haut, dem Haar oder den Federn von Tieren reagierte. Da er sich nicht in einer sterilen Umgebung einschließen konnte, war ihm keine andere Wahl geblieben, als zu lernen, damit zu leben. Eben hatte es gelernt. Aber er verabscheute es. Die Anfälle kamen ohne Vorwarnung, sie machten ihm Angst, schwächten ihn und waren ihm peinlich. Das Schlimmste war, wenn es im Hörsaal passierte, vor seinen Studenten.

Wie viele Akademiker, die über große Fachkenntnisse verfügten, zeichnete auch Eben ein gewisses Maß an Eitelkeit aus. Auf dem Gebiet der Verhaltensforschung bei Tieren fühlte er sich den meisten anderen überlegen. Es wirkte arrogant. Eben war ein Meister, wenn es darum ging, Theorien abzustreiten, die sich von seinen unterschieden, mochten sie auch noch so gut belegt sein. Er genoss es, Gewalt über Erfolg und Misserfolg seiner Studenten zu haben. Er besaß eine außerordentliche Gabe, viel sagende Pausen zu machen, und schon viele unglückselige Studenten waren Ebens Schweigeminuten zum Opfer gefallen, weil sie seiner Meinung nach eine falsche Frage gestellt hatten, schlecht informiert waren oder einfach nur dumm. Im Hörsaal war Eben der König. Er lief gebieterisch auf und ab, ein großer dünner Mann, der leicht gebeugt ging und dessen langes graues Haar wirr vom Kopf abstand. Seine grauen Augen strotzten vor Autorität, während er sich über ein Thema ausließ, bis dann ganz plötzlich ein Anfall erfolgte und ihn in Sekundenschnelle zu einem schwachen, verletzbaren Wesen degradierte.

Nach einem solchen Vorfall entschuldigte Eben sich jedes Mal und verließ den Hörsaal, floh vor all den gesunden, jungen Augen, die, da war er sich sicher, ihn entweder mit Abscheu, Unverständnis oder, schlimmer noch, mit Mitleid betrachteten. Die Anfälle waren nur kurz, kamen jedoch immer ohne Vorwarnung. Fast alle seine Studenten erlebten zu irgendeinem Zeitpunkt mindestens einen davon.

Sein Atem war nun wieder normal. Eben fuhr sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn, dann griff er zitternd nach der Cognacflasche und goss sich einen großzügigen Schuss in den Kaffee. »Nur einen«, sagte er sich. Aber der vorwurfsvolle Blick im Gesicht seiner Exfrau tauchte in Gedanken vor ihm auf, und er fügte trotzig »ein kleines Schlückchen« an. Derart gestärkt wappnete sich Eben für einen weiteren Tag mit unerträglicher Hitze, lästigen Insekten und seinen Studenten. Er zog sich dicke Jeans an, grobe Socken, Stiefel und ein langärmeliges Hemd. Die Mühe, sich zu kämmen, machte er sich nicht, setzte nur seinen Hut auf und schmierte sein Gesicht mit einer billigen Sonnencreme ein, ehe er schließlich seine falschen Zähne aus dem Glas fischte, um sie saugend und schmatzend in die richtige Position zu bringen.

Eben ignorierte den kleinen Rasierspiegel. Er wusste, wie er aussah. Er war nie ein attraktiver Mann gewesen, und das Alter war nicht nett zu ihm. Nicht, dass ihn das gestört hätte. Er hatte sich nicht sonderlich um sein Äußeres geschert, seit Ilsa ihn vor fünfzehn Jahren verlassen hatte. Er dachte kaum noch an sie. Merkwürdig. Er konnte sich nicht mehr richtig an ihre Züge erinnern, aber ihr ständig nörgelnder Gesichtsausdruck war ihm noch klar vor Augen. Bevor sie geheiratet hatten, war sie das Licht seines Lebens gewesen – klug, witzig, warm, liebevoll und siebenundzwanzig Jahre jünger als er –, eine Studentin, in die Eben sich zu verlieben gewagt hatte. Ilsa war nicht die erste Frau gewesen, die Eben gefallen hatte. Er war ein sehr schüchterner Mensch und durchaus bereit, das Mädchen aus der Ferne anzuhimmeln, wie er es auch bei den anderen getan hatte. Aber Ilsa hatte andere Vorstellungen gehabt. Niemand war mehr überrascht gewesen als Eben, als sie die Schwärmerei bemerkte, die er für sie hegte. Mit großer Geduld und Reife, wie man sie bei einer so jungen Frau nie für möglich gehalten hätte, sann sie nach Möglichkeiten, mit ihm allein zu sein. Ganz langsam wuchs sein Vertrauen in sie, trotzdem war er davon überzeugt, dass sich aus ihrer Freundschaft nichts Ernstes entwickelte. Jeder Schritt nach vorn ging von Ilsa aus, bis die Achtzehnjährige Eben so betört hatte, dass er nicht mehr klar denken konnte. Ihre Hochzeit führte dazu, dass man sich in der gesamten akademischen Welt Südafrikas die Mäuler zerriss.

Im tiefsten Herzen wusste Eben, dass Ilsa emotional anfällig war. Von Anfang an hatte sie Zeichen von Nervosität, Unbeständigkeit und Unsicherheit gezeigt. Sie prahlte mit seiner fast hündchenartigen Zuneigung, wenn sie sich in Gesellschaft anderer befanden, selbst gegenüber Universitätspersonal wie Kanzler oder Vizekanzler. Eben war viel zu verliebt, um ein völlig übersteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit in seiner jungen Liebe zu erkennen. Ilsa war diejenige gewesen, die vorgeschlagen hatte zu heiraten. Er hatte nur wenig Widerstand geleistet, ihr Interesse hatte seiner Eitelkeit und Arroganz viel zu sehr geschmeichelt.

Eben seufzte. Es hatte keinen Zweck, an Ilsa zu denken. Die Ehe hatte achtzehn Monate gehalten, ehe sie mit einem Kommilitonen davongelaufen war. Eben gab dem Jungen die Schuld daran, seine Frau verführt zu haben. Für ihn war es ausgeschlossen, dass sein eigenes Verhalten der Grund dafür gewesen sein könnte. Aber seine aufbrausende Art, die auf das Asthma zurückzuführen war, sowie seine Liebe zu einem regelmäßigen »Schlückchen« waren die Hauptgründe für Ilsas Abkehr gewesen. Eben, der es gewohnt war, dass ihm die Jugend bedingungslos gehorchte, hatte sich schlicht geweigert zuzuhören, wenn sie sich über seine schlechte Laune beklagte, und von ihr verlangt, damit zu leben. Was blieb ihr übrig? Schließlich war sie seine Ehefrau. Und Ehefrauen wurden von ihren Ehemännern besessen und kontrolliert, so einfach war das.

Ilsa, die nur der Wunsch, die Frau eines Universitätsprofessors zu werden, zur Hochzeit getrieben hatte, wachte eines Tages auf und sah der Wahrheit ins Gesicht. Sie war gefangen mit einem launischen, unansehnlichen, Cognac trinkenden alten Mann mit Schweißfüßen. Da es ihr an Verehrern nicht mangelte, begann Ilsa eine Affäre mit einem Kommilitonen. Eben war völlig ahnungslos, dabei waren die Eskapaden seiner Frau auf dem Campus allgemein bekannt. Ein paar Monate vor Ilsas zwanzigstem Geburtstag kam Eben nach Hause und fand eine kurze Notiz vor, die mit den Worten endete: Ich weiß, dass du uns beiden viel Glück wünschst. Ungefähr ein Jahr später kam ihm zu Ohren, dass sie den Studenten für einen noch Jüngeren, den Sänger einer erfolglosen Rockband, verlassen hatte. Aber auch das kümmerte Eben nicht.

Seit Ilsa fort war, ließ Eben sich gehen. In den achtzehn Monaten, in denen sie zusammen waren, hatte er ein wenig an Gewicht zugenommen, aber dann hatte er sich rasch wieder seiner Flüssignahrung zugewandt und alles verloren. Sein stark wachsendes Haar hatte er sich während seiner Ehe mit Ilsa regelmäßig schneiden lassen. Auf das Drängen seiner Frau hin hatte er sich sogar die Haare in Nase und Ohren sorgfältig entfernt, eine schmerzhafte Angelegenheit, die er für sie jedoch gern in Kauf genommen hatte. Damit war jetzt Schluss. Sie durften wieder ungehindert wachsen. Sportshirts und Leinenhosen, zu denen Ilsa ihn überredet hatte, verschwanden in den Tiefen des Kleiderschranks, und Professor Eben Krugers Outfit bestand ab sofort wieder aus Jeans und verknitterten Hemden. Der alte Professor war wieder da – einem kleinen Schlückchen noch etwas häufiger zugeneigt, emotional ein wenig angeschlagen und sehr viel vorsichtiger. Es war, als sei Ilsa eine Rüttelschwelle in seinem spröden akademischen Leben gewesen, ein unvermeidbares Hindernis, das er zu schnell angegangen war. Er war eine kurze Zeit geflogen, war unsanft gelandet und nun wieder mit beiden Beinen fest am Boden. Und je unattraktiver er aussah, desto geringer war die Chance, dass sich noch einmal eine Frau für ihn interessierte. Das war ihm recht. Frauen brachten nur Probleme.

Eben sah sich in seinem Zelt um und überprüfte alles, was er im Laufe des Vormittags brauchen würde. Dabei sah er weder das zerknitterte Laken noch den Haufen schmutziger Kleidung oder den unordentlichen Stapel Notizen mit den Kaffee- und Cognacflecken. Wenn sein langjähriges Hausmädchen in Südafrika nicht so fleißig wäre, sähe es in seiner Wohnung genauso aus. Eben registrierte das Durcheinander nicht einmal. Sein analytischer Verstand nahm es nicht wahr, sondern war ganz und gar auf den akademischen Diskurs und das wissenschaftliche Experiment konzentriert. Es interessierte ihn nicht im Geringsten, dass sein Zelt ein Paradies für Schlangen und Skorpione war. Die Studenten vergangener Jahre waren zu dem Schluss gekommen, dass es nur an dem durchdringenden Geruch seiner Füße liegen konnte, dass er noch nie gebissen worden war.

Eben nahm Kaffeebecher, Fernglas, Kamera, Notizblock und Stifte, verließ das Zelt und ging in seiner eigentümlich ruckartigen Art zu laufen zum Lagerfeuer.

Megan Ward kleidete sich wie üblich, um sich zu verstecken. Ein übergroßes Männerhemd mit aufgerollten Ärmeln verbarg, wie sie glaubte, ihre übergroßen Brüste. Megan hasste ihre Brüste. Sie erinnerten sie an Ballons kurz vor dem Zerplatzen. Eines Tages würde sie sich ihre Brüste verkleinern lassen, das hatte sie sich fest vorgenommen. An ihrem rechten Bein hingegen war nichts zu machen. Die Folgen einer Kinderlähmung konnten nicht rückgängig gemacht werden. Muskeln, die so weit gelähmt und funktionsuntüchtig waren, dass sämtliche Reflexe verloren gegangen waren, hatten zu einer Verkürzung geführt, sodass sie nun stark hinkte. Die Ärzte waren erleichtert gewesen, dass die schleichende Lähmung sich nur auf ein Bein beschränkt hatte. Im schlimmsten Fall, so hatten sie ihren Eltern erklärt, hätte auch die Atemmuskulatur betroffen sein können, was ihren sicheren Tod bedeutet hätte.

Bei Megan hatte man die Impfung ganz einfach versäumt. Sie war ein Einzelkind, ihre Mutter war bei ihrer Geburt bereits zweiundvierzig gewesen, sodass die Informationsmechanismen, die unter jungen Müttern üblich waren, nicht gegriffen hatten. Die Kinder befreundeter Familien waren bereits im Teenageralter, deren Eltern hatten die Babyzeit längst vergessen. Im Alter von fünf Jahren, als die Auffrischungsimpfung fällig gewesen wäre und man möglicherweise festgestellt hätte, dass ihr der Grundschutz fehlte, lag Megan mit Windpocken im Bett. Sie war neun, als die Kinderlähmung zuschlug. Mit elf war das eine Bein so viel schneller gewachsen als das andere, dass das Gehen nicht mehr nur ein bloßes Hinken war, sondern eher ein mühsames Dahinschleppen. Die Krankheit hatte sich so schleichend entwickelt, dass Megan es gar nicht bemerkt hatte, bis sie eines Tages ihr Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe sah. Und als Megan in die Pubertät kam, stand außer Zweifel, dass sie ihr Leben lang anders sein würde als die anderen. Sie zog sich zurück und wurde schwierig.

Die Wards bemühten sich, das schwindende Selbstbewusstsein ihrer Tochter auszugleichen, indem sie sie auf ihre Vorzüge hinwiesen – ihr dickes braunes Haar, das einen wunderschönen Glanz hatte, große braune Augen und Wimpern, die so lang und dicht waren, dass sie jeder darum beneidete, ihre schlanke Figur, ihr hübsches Lächeln. Aber Megan ließ sich nicht täuschen.

Trotz ihres von Natur aus sonnigen Wesens beschäftigte sie ihr Äußeres für einige Jahre, ehe sie ihre Traurigkeit endlich abschüttelte und beschloss, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Es gab keine Möglichkeit, ihre Gehbehinderung zu verstecken, aber sie konnte die Ursache vor neugierigen Blicken schützen. Sie trug fast immer lange Hosen – sie besaß nicht einen einzigen Rock oder ein Paar Shorts.

Megan spürte bald, dass Fremde zwar meist verlegen oder mitleidig wegschauten, wenn sie ihren unsteten Gang bemerkten, ihre Freunde sich aber in ihrer Nähe wohl zu fühlen schienen. Sie war an allen Mädchengesprächen beteiligt, wurde zu allen Partys eingeladen – auch wenn sie nie jemand zum Tanzen aufforderte –, und die Jungs saßen nur allzu gern bei ihr und unterhielten sich mit ihr. Sie konnte keinen Sport treiben, dafür machten ihr Freizeitbeschäftigungen wie Schachspielen und Gitarrespielen großen Spaß, außerdem diskutierte sie gern. Megan war ein ausgeglichenes, ehrliches und durch und durch nettes Mädchen. Diejenigen, die sie kannten, wunderten sich, wie gut sie mit ihrer, wie sie fanden, beträchtlichen Behinderung zurechtkam.

Durch äußere Umstände hatte Megan schon früh in ihrem Leben etwas erfahren, was manche Menschen nie lernten – dass körperliche Perfektion zwar etwas Schönes war, jedoch kein Ersatz für eine aufrichtige und liebevolle Persönlichkeit. Sie war überaus beliebt, vor allem wegen ihres Talents, anderen zuzuhören. Mit zweiundzwanzig vertrauten selbst Menschen, die viel älter waren als sie, sich ihr bedingungslos an. Megan kannte genug Geheimnisse, um mehrere Bücher zu schreiben, doch nicht ein einziges Mal hatte sie das Vertrauen gebrochen. Sie arbeitete eisern für ihren Abschluss in Naturschutz, war in den Vorlesungen und Seminaren aufmerksam, erfüllte ihre Aufgaben immer pünktlich und hatte ein aktives, wenn auch vergleichsweise unspektakuläres Sozialleben.

Es fehlte ihr nicht an männlicher Gesellschaft – ein paar Freundschaften hatten sich zur Romanze entwickelt. Megan hatte bald begriffen, dass niemand über ihre Behinderung sprach, wenn sie es selbst nicht tat. Tatsächlich war ihr die Größe ihrer Brüste unangenehmer, als ihr verkümmertes Bein es je würde sein können.

Im Moment befand Megan sich gerade zwischen zwei Beziehungen. Die letzte Freundschaft war von ihr beendet worden, weil der Junge zwar nett gewesen war, sie jedoch geistig zu wenig gefordert hatte. Megan wusste, dass manche jungen Männer wegen ihrer körperlichen Beeinträchtigung ihre geistigen Qualitäten unterschätzten, aber das war deren Problem, nicht ihres. Oberflächlichkeit stand ganz oben auf ihrer Liste ungeliebter Eigenschaften.

An den meisten Abenden, wenn sie zusammen am Feuer saßen, baten die anderen Megan, Gitarre zu spielen. Sie war eine sehr gute Musikerin, zu ihrem Repertoire gehörte Klassisches ebenso wie Modernes und Folk, und sie schrieb sogar eigene Stücke. Megan hatte eine schöne, klare Stimme, und wenn Fletch mit seinem durchaus akzeptablen Tenor mit einstimmte, verstummten die anderen und hörten dem Duo andächtig zu.

Nachdem sie ihren Tee ausgetrunken hatte, bürstete sich Megan die Haare und band sie mithilfe von Gummibändern zu Zöpfen zusammen. Dann suchte sie die Ausrüstung zusammen, die sie benötigte, und verließ ihr Zelt.

Troy Trevaskis war für seine beinahe legendäre Libido bekannt. Er hatte einmal irgendwo gelesen, dass Männer mindestens alle zwanzig Minuten einmal an Sex dachten. Unfug! Das Thema beherrschte Troy unentwegt, und sein Körper reagierte entsprechend. Vor allem frühmorgens. Einer seiner Freunde hatte ihm geraten: »Geh pinkeln. Das funktioniert bei mir.« Aber bei den Gelegenheiten, bei denen er allein aufwachte, zog Troy es vor, sich auf seine eigene Art um seine Erektion zu kümmern.

Und genau das tat er gerade. Um ein wenig nachzuhelfen, dachte er dabei an Angela Gibbs. Als er fertig war, dachte er immer noch an sie.

Das Mädchen war einfach unglaublich. Als sie sich zu der Gruppe gesellt hatte, die auf den Universitätsbus gewartet hatte, der sie die zweitausend Kilometer von Johannesburg zum Etoscha Nationalpark bringen sollte, hatte Troy keine Zeit verschwendet und sich sofort vorgestellt.

Bis dahin hatte Troy, der sich sehr auf diese Exkursion gefreut hatte, nur einen müden Blick auf Kalila, Josie und Megan geworfen. Keine von ihnen war sein Typ. Er war bereits zu dem bedauerlichen Schluss gekommen, dass ihm drei Wochen Zölibat bevorstanden – seine Freunde würden sich totlachen, wenn sie das erfuhren –, als Angela auftauchte. Blond, schlank, eine Figur und ein Gesicht, für das man sterben konnte. Der bevorstehende Trip war plötzlich noch um einiges verlockender geworden. Troy machte sich sofort an Angela heran. Sie reagierte darauf, indem sie mit ihm flirtete, und sie saßen während der dreitägigen Fahrt zusammen. Troy war davon überzeugt, dass er zuschlagen konnte, sobald sich auch nur eine halbwegs anständige Gelegenheit ergab. Und er machte den Fehler, das laut auszusprechen. »Ich kann es gar nicht erwarten, mit dir allein zu sein, jede Stelle deines Körpers zu küssen.«

Ein super Spruch! Normalerweise funktionierte er immer. Aber Angela zeigte ihm seither die kalte Schulter, und Troy zermarterte sich das Hirn, was schief gelaufen sein konnte. Das Problem konnte auf keinen Fall bei ihm liegen, und als er sie weiter flirten sah, zuerst mit Fletch und dann mit dem Professor, kam er zu dem Schluss, dass sie ein Schwanzlocker war. Fletch schien ihre Signale nicht zu bemerken, und der alte Mann runzelte nur die Stirn und ging davon. Das störte Angela nicht. Sie ignorierte Troy weiterhin und umgarnte die beiden anderen.

Je mehr sie ihm aus dem Weg ging, desto schärfer wurde er auf sie. Er war eine solche Abfuhr nicht gewohnt, und sie wurde zum Objekt seiner sexuellen Fantasien.

Nachdem Troy seine frühmorgendliche Übung hinter sich hatte, suchte er die Kleenex-Box, nahm sich eine Hand voll Tücher heraus und trocknete sich. Als er an seinem Körper hinabschaute, verspürte er wie üblich größte Zufriedenheit. Braun gebrannt – er arbeitete das ganze Jahr an seiner Sonnenbräune –, flacher Bauch, muskulös und durchtrainiert, die Behaarung setzte dicht unter seinem Nabel ein und gab den Mädels eine Vorstellung davon, was sie weiter unten erwartete, und ein Penis, der immer wieder bewundernde Blicke auf sich zog, wenn Troy nach einem Rugbyspiel zusammen mit der Mannschaft duschte. Er war gut ausgestattet und an Kommentare wie »Jesus! Mit dem Ding stößt du sicher an manche Wirbelsäule!« gewöhnt. Er war knapp über eins achtzig groß, hatte dichtes schwarzes Haar, dunkle Augen, eine Nase, die viele Mädchen als süß bezeichneten, und einen sinnlichen Mund: Seine griechische Herkunft ließ sich nicht verleugnen. Die Mädchen machten die Beine breit, wenn er sie auch nur ansah. Troy Trevaskis war nun zweiundzwanzig und seit acht Jahren sexuell aktiv, nachdem ihn eine Freundin seiner Mutter in die Lehre genommen hatte. Dieses Erlebnis, ebenso wie ihr offensichtlicher Widerstand, die Affäre zu beenden, hatten ihn darin bestätigt, dass er alles besaß, was Frauen sich wünschten.

Wenn er nicht an Sex dachte, was nicht gerade häufig vorkam, konnte Troy sich dazu verleiten lassen, für das Rugby-Team der Wits University zu spielen oder sich gar auf sein Studium zu konzentrieren. Sein Ziel war es, Tierarzt zu werden, einer, der sich auf Tiere in freier Wildbahn spezialisierte. Seinen Freunden fiel es schwer, den Playboy mit diesem Beruf in Verbindung zu bringen; sie gingen davon aus, dass es sich um eine Spinnerei handelte, die vorübergehen würde. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Troy ein Leben im Busch dem hellen Rampenlicht vorziehen würde, das er ansonsten zu bevorzugen schien. Manche warfen ihm vor, die Privilegien zu verspielen, mit denen er geboren worden war. Sie glaubten, das Leben bedeute für Troy, das zu tun, wozu er Lust hatte, und viele schienen der Ansicht zu sein, Troy sei mit einer ganzen Schublade voller Silberlöffel im Mund geboren.

Er entstammte einer wohlhabenden Familie und hatte zur großen Enttäuschung seines Vaters keinerlei Interesse an dessen Anwaltskanzlei, die Troy immer als »Die Fabrik« bezeichnete. Zusätzlich zu seinem Aussehen und seinen Schlafzimmerqualitäten besaß er noch eine Reihe anderer Attribute, auf die die Mädchen flogen – einen schicken Sportwagen, tolle Klamotten, Geld, mit dem er um sich warf, ein luxuriöses Penthouse und gelegentlichen Zugang zum Privatflugzeug seines Vaters.

Man hätte meinen können, Troy sei ein verwöhnter Bengel, und in gewisser Weise war er das auch. Er war schrecklich faul, wenn es darum ging, Pflichten zu übernehmen, das war nicht nur im Camp so. Er war nicht besonders erpicht auf harte Arbeit, es sei denn, er hatte eine Chance, dabei seine Muskeln zu zeigen. Überdies besaß er die nervende Angewohnheit, anderen Leuten kleine Streiche zu spielen: Elefantenhaufen in Josies Schlafsack zu deponieren, eine gebackene Bohne in Megans Tee fallen zu lassen, was sie zu Tode erschreckt hatte, weil sie glaubte, sie habe einen Käfer verschluckt, eine überreife, matschige Zwiebel in einen von Fletchs Stiefeln zu stecken – all diese Dinge. Harmlos, aber angesichts der Hitze und ihrer oft unbequemen Arbeit verdammt nervend.

Doch dieser junge Mann hatte noch eine andere Seite. Irgendwo in Troys genetischem Material verbarg sich eine ganz besondere Eigenschaft. Wenn seine Hände ein Tier berührten, waren sie so sanft wie bei einer Frau. Die Familienkatze, ein fettes, hinterlistiges Biest, das jeden unschuldigen Arm zerkratzte, wenn es sie überkam, ließ sich von Troy über die Schulter legen und durchs Haus tragen. Sie lag rücklings in seinem Schoß und gestattete es, dass er ihr den Bauch kraulte. Bösartige Hunde benahmen sich in seiner Nähe wie herumtollende Welpen. Tiere vertrauten ihm instinktiv, und Troy liebte sie.

Auch Kinder mit ihrer spontanen Art vergötterten ihn. Älteren Menschen gegenüber benahm er sich gut erzogen; er gehörte zu den wenigen jungen Menschen, die Respekt vor dem hatten, was die ältere Generation zu sagen hatte. Er war ein unheilbarer Romantiker, und selbst wenn seine Aufmerksamkeitsspanne Frauen gegenüber nur von geringer Dauer war, wurden sie bei ihm reichlich entlohnt, solange sie in seiner Gunst standen.

Außerdem war Troy, zur Überraschung der Professoren und Tutoren, überdurchschnittlich intelligent – wenn er sich die Mühe machte, sich auf etwas zu konzentrieren. Während seines ersten Studienjahrs waren seine Leistungen so erstaunlich, dass manche vermuteten, andere hätten seine Arbeiten geschrieben. Es stellte sich rasch heraus, dass das nicht stimmte. Er gehörte zu jenen glücklichen Menschen, die behielten, was sie einmal gehört oder gelesen hatten. Daher war er in der Lage, ohne größere Anstrengung sehr gute Leistungen zu bringen.

Er reckte sich und gähnte. Troy hätte gern noch ein paar Stunden geschlafen. Stattdessen machte er mühelos drei Dutzend Sit-ups und zwang sich, aufzustehen und sich dem neuen Tag zu stellen.

Er zündete sich noch eine Zigarette an, zog sich ein Paar grüne Shorts über seinen knappen schwarzen Slip und schlüpfte in ein weißes T-Shirt. Darüber ein ausgeblichenes Hemd, aber nur deshalb, weil er Taschen brauchte. Er ließ das Hemd offen. Das war es. Kein Hut, kein Sonnenschutz. Seine mediterrane Haut absorbierte die Sonnenstrahlen einfach. Das dichte Haar schützte seinen Kopf. Er dachte kurz nach, ob er nichts vergessen hatte. Sie wollten heute bei einer Schakalfamilie Ohrmarkierungen anbringen. Troys Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass sie genügend Narkosemittel und Markierstreifen hatten. Er griff in seine Tasche, kontrollierte, ob er alles hatte, trank seinen inzwischen lauwarmen Kaffee aus und kroch aus dem Zelt.

Josie Leahs Periode hatte mitten in der Nacht begonnen. Krämpfe hatten sie geweckt, und sie hatte im Dunkeln gekramt, um ein Tampon zu finden. Sie hatte ein beinahe zwanghaftes Bedürfnis, in dieser Zeit des Monats sauber zu sein, daher erfüllte sie die Vorstellung, den ganzen Tag nicht duschen zu können, mit Grauen. Aber es ging nicht anders. Wasser, so hatte Josie schnell mitbekommen, nachdem sie sich angemeldet hatte, musste mitgebracht werden. Eine schnelle Wäsche war alles, worauf sie hoffen konnte, und auch die würde nicht vor nachmittags möglich sein. Josie blutete in den ersten zwei Tagen immer besonders stark.

Sie trank an ihrem Kaffee und überlegte sich, was sie im Busch mit den benutzten Tampons tun sollte. Sie war eine so leidenschaftliche Kämpferin für die Umwelt, dass sich ihr der Gedanke verbot, sie irgendwo zu vergraben. Ein Schakal oder eine Hyäne konnten sie ausgraben. Der Professor hatte eine Abneigung gegen Plastiktüten, sie waren im Lager tabu. Josie hatte zwar ein kleines Täschchen dabei, in dem sie ein paar Medikamente aufbewahrte, aber das konnte sie schlecht mit in den Busch nehmen. Die anderen würden sofort merken, was mit ihr los war. Und zuzugeben, dass sie ihre Tage hatte, war für Josie ungefähr so, als müsse sie auf einem Seil über die Victoriafälle balancieren. Sie konnte es einfach nicht.

Josie kam aus einer extrem wohlhabenden jüdischen Familie, die mehrere Juweliergeschäfte in Südafrika besaß. Ihre viel beschäftigte Mutter hatte die Erziehung ihrer einzigen Tochter einem schwarzen Kindermädchen überlassen. Intime und vertrauensvolle Mutter-Tochter-Gespräche hatte es kaum gegeben. Josie hatte von Freundinnen erfahren, wie der weibliche Körper funktionierte. Und da diese Diskussionen hinter vorgehaltener Hand immer von Gekicher und Ammenmärchen begleitet waren, war Josie in der Überzeugung herangewachsen, die Menstruation einer Frau sei etwas Widerwärtiges, über das man einfach nicht sprach. Sie fühlte sich jedes Mal schmutzig, wenn ihre Periode kam, als hätte sie etwas Unverdientes und ziemlich Unappetitliches heimgesucht.

Mit vierzehn hatte Josie festgestellt, dass es einen deutlichen Knick in ihrer Sexualität gab. Sie begann plötzlich, für eine ihrer Lehrerinnen zu schwärmen, und war erleichtert, als sie merkte, dass es der halben Klasse ebenso erging. Aber zwei Jahre später, als die anderen über Filmstars, Popsänger und die Jungs aus der Nachbarschule tuschelten, drehten sich Josies Fantasien noch immer um Mädchen.

Mit siebzehn, als sie wild entschlossen war, ein für alle Mal herauszufinden, wo ihre Neigungen lagen, verlor sie ihre Jungfräulichkeit an einen Freund ihres älteren Bruders, der ihr immer zu verstehen gegeben hatte, dass er sie anziehend fand. Es war ein schreckliches Erlebnis. Seine Beteuerungen, es würde beim zweiten Mal besser werden, erschienen ihr nachvollziehbar. Nichts würde je wieder so wehtun können. Er behielt Recht. Aber es war trotzdem schrecklich. Folglich hatte Josie ein Problem. Sie kannte keine Lesben. Das Dilemma wurde gelöst durch eben die Lehrerin, für die die halbe Klasse drei Jahre zuvor geschwärmt hatte. Die ältere, erfahrenere Frau erkannte eine potenzielle Partnerin auf Anhieb.

Josie war mit offenen Augen in die Beziehung gegangen und mit dem verzweifelten Wunsch, endlich die Wahrheit über ihre eigene Sexualität herauszufinden. Sie rechnete nicht damit, sich zu verlieben. Als sie schließlich feststellte, dass genau das geschehen war, war wenigstens diese Frage beantwortet. Die Beziehung hielt nicht, aber als sie endete, wusste Josie mit Bestimmtheit, dass sie homosexuell war. Nur um ganz sicherzugehen ließ sie sich noch einmal mit dem Freund ihres Bruders ein. Er war ein wenig erstaunt über ihren Gesinnungswandel, verbuchte ihn jedoch unter der Launenhaftigkeit von Frauen und willigte erfreut ein. Es wurde zu einem Desaster.

Also gut, hatte sie sich daraufhin gesagt. Du bist homosexuell. Gewöhn dich an den Gedanken. Das war nicht schwierig gewesen, aber bisher waren die, mit denen sie im Bett gewesen war, die Einzigen, die es wussten. Und seit einiger Zeit überlegte sich Josie, warum ihr Körper eigentlich diese lästige monatliche Heimsuchung erdulden musste, wenn ihre Hormone vertauscht waren, sie also im Grunde ein Mann sein sollte.

Das Jüdischsein war für Josie eine größere Belastung als ihre sexuellen Vorlieben. Beides machte sie zu einer Außenseiterin, aber sie konnte ihre Abstammung nicht verleugnen. Im Gegensatz zu anderen Menschen, die dem jüdischen Glauben angehörten, bedeutete Josie die Gesellschaft von Gesinnungsgenossen nichts. Irgendwann erschien ihr die Suche nach lesbischen Jüdinnen müßig, auch wenn sie vermutete, dass es in Südafrika eine Menge von ihnen gab. Daher warf sie ihr Netz weiter aus, und dabei stellte sie fest, dass für lesbische Christinnen – die nun wirklich wissen sollten, wie schwer es war, anders zu sein – ihr Glaube ein Hindernis war. Dabei lag es gar nicht so sehr an Josie selbst, sondern vielmehr an ihren Eltern Ozzie und Yonina, die mit ihrem Akzent, ihrem Äußeren und ihrer Konzentration aufs Geld alle Klischees auf sich vereinten, sodass andere Josie als eine komplett fremde Spezies betrachteten.

Eines Tages würde sie eine Frau kennen lernen, jüdisch oder auch nicht, mit der sie sich verbinden und ihr Leben teilen konnte. Bis dahin blieb Josie eine Einzelgängerin, die sich in der Gesellschaft von Frauen ebenso unbehaglich fühlte wie in der von Männern und die ihre Periode für ein unpassendes und lästiges Übel hielt.

Josie zog sich Khaki-Shorts und ein schwarzes T-Shirt über und löste das Tamponproblem, indem sie sich ein paar Papiertücher in die Tasche stopfte, in die sie ihn später einwickeln würde. Dann konnte sie das Ganze anschließend im Camp entsorgen. Sie fuhr sich mit den Fingern noch einmal durch ihr kurzes schwarzes Haar, setzte sich einen australischen Akubra-Hut auf und verließ ihr Zelt, um zu den anderen zu gehen.

Angela Gibbs hatte es nicht eilig. Langsam und mit großer Konzentration machte sie ihre allmorgendlichen Übungen. Ihr Körper war perfekt proportioniert und besaß die Elastizität der Jugend, doch Angela glaubte fest, dass dies nur an ihrem Training lag. Das Gleiche galt für Haut und Haare. Angela hatte jedes auf dem Markt erhältliche Hautpflegemittel ausprobiert. Erstaunlicherweise hatten ihre Bemühungen um ihr äußeres Erscheinungsbild nichts mit Eitelkeit zu tun. Sie hatte einfach das tiefe Bedürfnis, so lange sie konnte, so gut wie möglich auszusehen. Mit ihrem strikten Schönheits- und Körperprogramm ließ Angela ihre großzügigen Attribute genauso, wie die Natur es vorgesehen hatte. Das lange blonde Haar wurde weder künstlich gefärbt noch gelockt, sondern nur kräftig gebürstet sowie regelmäßig geschnitten und gepflegt. Gesicht und Hals wurden mit Feuchtigkeitscremes, Hautölen, Anti-Falten-Seren und Gesichtsmasken behandelt und wirkten dann ohne zusätzliche Schminke. Was ihren Körper anging, hätte Angela auch in einem Kartoffelsack gut ausgesehen.

Angela hatte eine sehr schlechte Meinung von sich selbst, was merkwürdig war, denn trotz ihres Erscheinungsbildes entsprach sie nicht entfernt dem Klischee des blonden Dummchens. Sie schien sich nicht darüber im Klaren zu sein, wie viel sie tatsächlich zu bieten hatte. Niemand ahnte das.

Im Innern war sie orientierungslos, unsicher und verwirrt – keine glückliche Kombination für ein einundzwanzigjähriges Mädchen. Ihr Aussehen hatte sie von ihrer Mutter, die einmal ein bekanntes Fotomodell gewesen war. Unglücklicherweise galt das Interesse der Frau ausschließlich ihrem Aussehen, ihrem Auftreten und ihren Bemühungen, einen reichen Ehemann zu finden. Angela hatte ihren Verstand von einem Vater geerbt, der Schönheit und Erfolg anbetete, in dieser Reihenfolge. Er war ein unglaublich erfolgreicher Börsenmakler gewesen. Eine schöne Frau und Tochter und seine Rolle als Ehemann und Vater hatte er darin gesehen, für Wohlstand zu sorgen. Für seine Frau hatte das gereicht, für Angela, die ihn nie richtig gekannt hatte, jedoch nicht. Für sie war er eher ein entfernter Verwandter als ihr eigener Vater.

Als Angela verkündete, dass sie zur Universität gehen und Umweltmanagement studieren wollte, fand ihre Mutter, das sei eine gute Idee. Sie sagte: »Dort wirst du die Führungspersönlichkeiten von morgen kennen lernen, Darling. Aber warum müssen es unbedingt Naturwissenschaften sein? Du solltest eher Politik oder Wirtschaft nehmen.« Ihr Vater hatte etwas Unverständliches gemurmelt, den Scheck ausgeschrieben, ihr ein Auto gekauft und ihr jeden Monat einen großzügigen Unterhalt versprochen.