Im letzten Schein der Sterne - Beverley Harper - E-Book
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Im letzten Schein der Sterne E-Book

Beverley Harper

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Beschreibung

Schottland, 1871: Weil er fälschlicherweise eines schrecklichen Verbrechens verdächtigt wird, ist Robert Acheson gezwungen, seine Heimat und seine große Liebe Lorna zu verlassen. Er flieht von Schottland nach Afrika und lässt sich in der Kolonie Natal nieder. Doch trotz der Liebe zu seiner neuen Heimat, kann er nicht vergessen, was er hinter sich lassen musste. Als ein Krieg zwischen den Briten und den Zulu um das Land entbrennt, muss er sich entscheiden, ob er auf der Seite seiner alten Heimat oder seiner neuen steht. Wird Lorna ihm dann überhaupt noch nach Afrika folgen können? Das Schicksal scheint die Karten wieder neu zu mischen ...

Der erste Band der fesselnden Familiensaga um die Familie Dunn. Die Fortsetzung "Das Flüstern des Windes" ist ebenfalls als eBook erhältlich. Dramatisch und spannend, zum Lachen und zum Weinen, mit Fokus auf ein faszinierendes Land und atemberaubende Natur.

»Beverley Harpers Romane sind atemberaubend und zu Herzen gehend. Der Leser spürt ihre Liebe zu Afrika in jeder Zeile.« Sydney Post

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Seitenzahl: 890

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INHALT

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungKartePROLOG123456789101112131415DANKSAGUNG

ÜBER DIESES BUCH

Schottland, 1871: Weil er fälschlicherweise eines schrecklichen Verbrechens verdächtigt wird, ist Robert Acheson gezwungen, seine Heimat und seine große Liebe Lorna zu verlassen. Er flieht nach Afrika und lässt sich in der Kolonie Natal nieder. Doch trotz der Liebe zu seiner neuen Heimat, kann er nicht vergessen, was er hinter sich lassen musste. Als ein Krieg zwischen den Briten und den Zulu um das Land entbrennt, muss er sich entscheiden, ob er auf der Seite seiner alten Heimat oder seiner neuen steht. Wird Lorna ihm dann überhaupt noch nach Afrika folgen können? Das Schicksal scheint die Karten wieder neu zu mischen …

Der erste Band der fesselnden Familiensaga um die Familie Dunn. Die Fortsetzung »Das Flüstern des Windes« ist ebenfalls als eBook erhältlich. Dramatisch und spannend, zum Lachen und zum Weinen, mit Fokus auf ein faszinierendes Land und atemberaubende Natur.

ÜBER DIE AUTORIN

Beverley Harper, geboren in Australien, reist mit sechsundzwanzig Jahren nach Afrika, wo sie ein Jahr bleiben wollte. Es wurden fast zwanzig Jahre, die sie in Botswana, Malawi und Südafrika verbrachte, bevor sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen wieder nach Australien zog. Beverley Harper starb 2002 in Beverley Hills. Ihre Asche wurde nach Afrika gebracht.

Beverley Harper

IM LETZTEN SCHEIN DER STERNE

Aus dem Australischen von Barbara Ritterbach

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2002 by Beverley Harper

Published by Arrangement with Robert Harper.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Titel der Originalausgabe: Shadows in the Grass

Copyright der digitalen Neuausgabe © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Derek R. Audette | PhotoSky | Krivosheev Vitaly | Sarij | Khomenko Maryna

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3646-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Dieses Buch ist Robert, Piers, Miles und Adam gewidmet,den Felsen in der Brandung meines Lebens – und Yvette,die wie ein Zyklon in das Leben meines Sohnes stürmte, weshalb ich in meinem Roman The Forgotten Seaeinen nach ihr benannt habe; und Jo und meiner EnkelinKayla, die so unschuldig wie die Tiere Afrikas indiese Welt kam und ebenso schön.

PROLOG

Schottland, 1871

Der späte November in Schottland, nasskalt und trüb, gab einen Vorgeschmack auf die Härte des Winters, jene bedrückende Monotonie endloser grauer, feuchter Tage, Wochen und Monate.

Doch ungeachtet aller widrigen Kräfte der Natur schien an diesem Nachmittag beharrlich die Sonne. Die geschlossenen Fenster des Herrenhauses, das aus solidem Sandstein errichtet war, reflektierten ihr Licht mit trügerischer Helligkeit. Es drang vorbei an den schweren cremefarbenen Damastvorhängen eines der oberen Schlafräume und warf einen blassgoldenen Schimmer auf die tiefblaue Brokatbespannung der Wände. Zögernd berührten die Strahlen die kostbaren dunklen Möbel. Wie feine Spinnweben krochen sie über den dicken gewebten Teppich und erzeugten dort ein spektakuläres Schauspiel. Aber bald, viel zu bald schon, würde die kühle Düsterheit zurückkehren.

Das trotzige Aufbäumen der Natur blieb dem Paar, das seit einigen Stunden intensiv mit sich beschäftigt war, verborgen. Ein Kohlenfeuer, von einem der Hausmädchen am Morgen entfacht, glomm im Kaminofen leise vor sich hin. Die spitzenbesetzte Bettwäsche, einst makellos glatt gezogen und sorgfältig arrangiert, war zerknittert und in Unordnung.

Mylady war angeblich indisponiert, und es hatte strikte Anweisung gegeben, sie unter keinen Umständen zu stören. Die zahlreichen Bediensteten – vom Butler über Pagen und Hausdamen bis zu den Küchenmädchen – ließen sich zwar nicht täuschen, aber sie wussten, dass höchstens ein Feuer oder die unerwartete Rückkehr des Hausherrn ein ausreichender Grund war, an ihre Tür zu klopfen.

Lord Robert Acheson war ausgesprochen ansehnlich und von großer Eleganz, ein Mann, wie er nur selten zu finden war. In unbekleidetem Zustand fand ihn die Frau, die momentan seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, atemberaubend. Sein jugendliches Alter sorgte dafür, dass sein Körper straff und muskulös war. Er war einen Meter achtzig groß, hatte ein schmales Gesicht und dunkle Augen. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenossen war er sorgfältig rasiert, was seinen kantigen Kiefer und die lange, kräftige Nase betonte. Sein dunkles lockiges Haar, die dicken Brauen und dichten Wimpern standen im Kontrast zu seiner blassen Haut. Sein Lächeln und der Humor, der aus seinen Augen sprach, gaben ihm einen Hauch von Verwegenheit. Junge Mädchen fanden ihn attraktiv, reifere Frauen erkannten seine Sinnlichkeit.

Robert Acheson war einundzwanzig Jahre alt und stand auf dem Höhepunkt seiner Manneskraft – eine Tatsache, die seiner Geliebten nicht verborgen blieb. Zu ihrer Freude waren Leidenschaft und die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse zwei Dinge, denen er sich mit großer Hingabe und Energie widmete.

Lady Alison de Iongh war nicht die einzige Geliebte, die Robert genoss, aber sie war die erste, die sich der angenehmen Aufgabe unterzogen hatte, ihn in Angelegenheiten der Fleischesfreuden zu unterrichten. Ihre Affäre hielt daher schon weit länger an, als sie beide erwartet hatten. Trotz ausgesprochen guter Gründe, sie zu beenden, war der Mangel an Entschlossenheit stärker als ein williger Geist.

Lord de Iongh verbrachte den größten Teil des Jahres in London. Seine häufige Abwesenheit führte dazu, dass Alison und Robert sich nicht wirklich vor der Aufdeckung ihrer Liaison fürchteten. Hätte Robert sich jedoch die Zeit genommen, über das Gesetz der Wahrscheinlichkeit nachzudenken, wäre er zu dem Schluss gekommen, dass er eine Menge Glück hatte.

Alison war eine Frau, von deren Bekanntschaft die meisten jungen Männer nur träumten. Sie hatte vier Kinder zur Welt gebracht, von denen zwei bei der Geburt gestorben waren, doch Alison war noch immer von schlanker Figur. Allenfalls die leichten Dehnungsstreifen an Bauch und Schenkeln ließen ihre neununddreißig Jahre erahnen. Ihr Gesicht allerdings hatte die Makellosigkeit der Jugend verloren. Um Augen und Mund bildeten sich feine Fältchen, und sie hatte mehrere Zähne verloren. Alisons Haar war goldblond, dick und seidig schimmernd, ohne eine einzige graue Strähne. Sie war mit Recht stolz darauf. Ihre kühlen grauen Augen konnten vor Leidenschaft brennen, ihr Körper reagierte auf die leiseste Berührung.

Im Zustand der Erregung neigte Alison dazu, sich der Sprache der Gossenjungen zu bedienen – sie war dann himmelweit entfernt von der hochherrschaftlichen und eleganten Erscheinung, die in den Salons ihrer zahlreichen Anwesen ihre Besucher empfing. Und sie war eine berauschende Droge für einen jungen Mann, dem gewöhnlich verweigert wurde, was er am meisten begehrte.

Ihre Finger gruben sich in sein Haar. Seine Zunge fuhr in kreisenden Bewegungen langsam erst um die eine, dann um die andere ihrer Brustwarzen. Sie hatten sich bereits zweimal geliebt, aber beide waren bereit zu mehr. Robert presste seine Erektion an ihren Schenkel, und wie er gehofft hatte, griff sie nach ihm. Ihre Finger fuhren sacht auf und ab. Stöhnend rollte er sich auf den Rücken und genoss ihre Berührung.

»Sag mir, was du willst.« Ihre Stimme, heiser und rau vor Leidenschaft, ließ ihn erschauern.

»Nimm mich in deinen Mund.«

Sie glitt an seinem Körper hinab, ihre Lippen umschlossen seinen erigierten Penis, ihre kleine Zunge schnellte hervor, neckte und spielte mit seiner Erregung, bis er sich vor Verlangen wand. Ganz plötzlich entließ sie ihn, drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. »Bitte«, keuchte sie. »Noch nicht. Ich bin noch nicht so weit.«

Robert beugte seinen Kopf hinunter zu ihrer Scham, suchte und fand die Knospe ihrer Begierde. Er brachte sie, so wie sie es ihm beigebracht hatte, bis kurz vor den Orgasmus. In Ekstase warf Alison den Kopf in den Nacken und hob sich ihm lustvoll entgegen.

»Jetzt«, keuchte sie.

Robert legte sich auf sie, und sie schlang die Beine um seine Schultern. »Ich will dich in mir. Jetzt.«

Er glitt in sie hinein, und Alison stöhnte laut, als sich ihr Orgasmus nicht länger zurückhalten ließ. Sie stieß aufreizende Worte aus, primitivste Gossensprache, die ihn schon lange nicht mehr schockierte. Wieder hob sie ihr Becken, dieses Mal, um ihn ganz in sich aufzunehmen, passte sich Stoß um Stoß seiner Bewegung an. Schon bald würde sie erneut kommen, erschauernd und seinen Namen flüsternd. Robert verlor sich in seiner Lust. Das Gebot der Stille war vergessen.

Hinter der schweren Eichentür neigte ein vorbeikommendes Hausmädchen neugierig den Kopf zur Seite, als es die lustvollen Schreie hörte. Mit wissendem Lächeln bückte sich die Kleine, einen Stapel frischer Wäsche auf den Armen balancierend, zum Schlüsselloch hinab, erhaschte jedoch lediglich einen Blick auf einen einzelnen Samtpantoffel, der wie vergessen auf dem Teppich lag. Sie richtete sich auf und rückte noch ein wenig näher an die Tür heran. Deutlich vernahm sie weibliches Keuchen und männliches Stöhnen, heiseres Flüstern und lang gezogene Seufzer der Befriedigung. So sehr war sie in das vertieft, was sich in Lady de Ionghs Boudoir abspielte, dass sie das verräterische Geklimper des riesigen Schlüsselrings, des Statussymbols einer jeden Haushaltsvorsteherin, überhörte.

Mrs. Kelly, die so genannt wurde, obwohl sie nie verheiratet gewesen war, hatte ständig den säuerlichen Gesichtsausdruck einer Person, die die ganze Last des Lebens auf ihren Schultern trug. Sie missbilligte jeden außer Lord de Iongh, den sie kannte, seit er zehn Jahre alt war. Die einsame alte Jungfer hatte den Jungen mit Liebe überhäuft, war ihm mehr Mutter gewesen als seine leibliche. Als er älter wurde und weniger auf ihre Gesellschaft angewiesen war, tröstete sich Mrs. Kelly mit der Tatsache, dass ihr Zögling perfekt für das Leben als einer der britischen Elitearistokraten geschaffen war.

Mit achtunddreißig Jahren hatte er sich schließlich mit Alison verlobt, die damals erst siebzehn gewesen war. Lord de Iongh war von seiner schönen jungen Verlobten verzaubert gewesen. Mrs. Kelly hatte ein Blick auf das Mädchen genügt, um zu wissen, dass die Beziehung problematisch werden würde. Bereits ein Jahr nach der Hochzeit hatten sich ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Lady de Iongh besaß weder Loyalität noch Anstand, und im Laufe der Zeit begann die alternde Hausdame ihre Herrin zu hassen. Mrs. Kelly war häufig versucht, Seiner Lordschaft einen Hinweis auf Lady de Ionghs Indiskretionen zu geben, aber sie wusste, dass sie dabei den Kürzeren ziehen würde. Lord de Iongh sah nur die sittsame Seite seiner Frau und hielt sie für unfähig, auch nur etwas entfernt Unehrenhaftes zu tun. Außerdem war er ein Mitglied des Hochadels. Sein vollständiger Titel lautete Fünfter Earl von Dalkeith, aber Lord de Iongh gehörte zu den wenigen Aristokraten, die es bevorzugten, anstelle einer geographischen Ortsbezeichnung ihren Familiennamen zu benutzen. Ein Ehrenmann durch und durch, hätte er sich nie so weit herabgelassen, etwas auf das Geschwätz einer Bediensteten zu geben – auch nicht, wenn sie bereits seit fast fünfzig Jahren in seiner Familie lebte. Doch Mrs. Kelly gab die Hoffnung nicht auf, dass Lord de Iongh eines Tages, wie auch immer, die Augen geöffnet würden.

Als sie das junge Hausmädchen mit einem Ohr an der Tür erwischte, tat die Hausdame das, was man von ihr erwartete. Sie zerrte die Kleine fort und hielt ihr, als sie weit genug vom Schlafgemach der Lady entfernt waren, eine Strafpredigt.

»Was erlaubst du dir, Mary? Wie kannst du es wagen, die gnädige Frau zu belauschen?«

Mary war mit ihren dreizehn Jahren zwar noch unschuldig, aber in einer engen Hütte aufgewachsen, wo nur ein Vorhang ihre Schlafmatratze von der ihrer Eltern getrennt hatte. Jäh riss sie ihre Augen auf und täuschte völlige Verständnislosigkeit vor. »Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Kelly, aber ich habe gar nichts mitbekommen.«

Wie Mary gehofft hatte, glaubte die Hausdame ihr. »Natürlich verstehst du das nicht, du dummes Mädchen. Das ist auch nichts für dich. Lass mich dich nicht mehr dabei erwischen. Mylady hatte sicher einen Albtraum.«

Ein Lächeln huschte über Marys Gesicht. »Ich bitte nochmals um Verzeihung, Mrs. Kelly, aber es ist heller Tag.«

Die Hausdame baute sich über dem unverschämten Kind auf. »Kümmere dich um deine Angelegenheiten, Mädchen. Es ziemt sich nicht für deinesgleichen, Mylady zu kritisieren. Wenn du noch einmal lauschst, kannst du auf dem Markt wieder Fisch verkaufen. Und nun fort mit dir. Räum deine Wäsche ein und sieh zu, dass du ins Speisezimmer kommst. Der silberne Tafelaufsatz ist angelaufen. Lady Alison fällt in Ohnmacht, wenn sie ihn so sieht. Und sorg dafür, dass keine Politur auf den Tisch tropft. Ich komme später nach, um deine Arbeit zu kontrollieren. Verschwinde jetzt, du hast hier nichts zu suchen.«

»Ja, Mrs. Kelly.« Mary sauste davon. Sie hatte bei seinem Eintreffen einen Blick auf Lord Acheson erhaschen können und fand, dass er der attraktivste Mann war, den sie je gesehen hatte. Wenn sie ein bisschen Glück hatte und sich Zeit ließ mit dem Putzen des großen Kerzen- und Blumenhalters mit seinen feinen Ziselierungen, Figuren und Klauenfüßen, die alle ihre sorgfältigste Aufmerksamkeit erforderten, konnte sie ihn vielleicht noch gehen sehen.

Lord Robert Acheson und Lady Alison de Iongh lagen eng umschlungen in Alisons Boudoir und genossen das warme Nachglühen ihres Liebesspiels, ohne sich um häusliche Angelegenheiten zu sorgen. Bald würde Robert aufbrechen müssen.

Doch der Schein trog. Robert war keineswegs sorgenfrei – er hatte sich ganz gegen seine Absichten verliebt, wild, leidenschaftlich und ziemlich unklug. Das Schicksal hatte es so gewollt. Er befand sich in einer hoffnungslosen Situation und wusste keinen Ausweg. Unter normalen Umständen hätte er die Affäre mit Alison beendet, ihr seine Gefühle für die wahre Liebe seines Lebens erklärt und glücklich werden können. Aber die Umstände waren ganz und gar nicht normal. Lady Lorna de Iongh, Alisons siebzehnjährige Tochter, wartete in der Remise auf ihn.

Man schrieb das Jahr 1871 in dem Ort Canongate, dem vornehmen Edinburgher Landsitz von Lord und Lady de Iongh. Die Ereignisse dieses Nachmittags waren keineswegs ungewöhnlich.

Robert und Alison waren seit einigen Monaten ein Liebespaar. Da der Earl so häufig in London weilte, genossen sie ihre gegenseitige Gesellschaft an mehreren Tagen in der Woche. Alisons Mann gehörte dem Oberhaus des britischen Parlaments an, und die Sitzungsperiode dauerte normalerweise von Beginn des Jahres bis August. In der Regel kehrte Lord de Iongh nach Edinburgh zurück, sobald sie vorüber war. In diesem Jahr jedoch, in dem das Unterhaus nicht nur an Einfluss gewonnen hatte, sondern auch an öffentlicher Unterstützung, und angesichts eines Vorschlags, dass die Mitglieder des Oberhauses künftig in geheimer Wahl gewählt werden sollten anstatt automatisch das Recht auf gesellschaftlichen Einfluss und Überfluss zu behalten, war Lord de Iongh in London geblieben. Zusammen mit anderen Parlamentariern, die sich wie er ernsthaft darum sorgten, die Geschicke Großbritanniens könnten in Zukunft vom niederen Adel statt vom Hochadel bestimmt werden, würde er sich bei Königin Victoria dafür einsetzen, den Status quo zu erhalten.

Überraschenderweise erwies sich die Königin als hartnäckige Gegnerin der Idee, die Macht in den Händen des Oberhauses zu belassen. Man tuschelte, ihr schlechter Gesundheitszustand sei der Grund hierfür, obwohl Wahlen die Regentin von der Verantwortung entbinden würden, ihr Parlament zu bestimmen. Es gab auch einige, die behaupteten, sie sei zu sehr mit ihrer Liebschaft zu ihrem Highland Servant John Brown beschäftigt, um sich um etwas anderes zu kümmern. Was auch immer der Grund war, Lord de Ionghs fortdauernde Abwesenheit von Schottland ließ Robert und Alison die Freiheit, ihrer gegenseitigen Leidenschaft zu frönen.

Vor einiger Zeit war dieser Zustand durch Lady Lorna de Iongh gefährlich geworden. Sie hatte keine Ahnung, dass Robert der Liebhaber ihrer Mutter war. Ebenso wenig wusste Alison, dass Robert sich in ihre Tochter verliebt hatte.

Die Dummheit, gleichzeitig mit Mutter und Tochter eine Liaison zu pflegen, wurde durch den Umstand, dass Lorna bereits einem anderen versprochen war, zusätzlich verkompliziert. Doch Robert wusste, dass Alison ihm ohnehin nie gestattet hätte, ihre Tochter zu ehelichen. Von ihrer Eifersucht einmal abgesehen, sorgten die schwierigen und starren Regeln der zutiefst klassenbewussten britischen Gesellschaft dafür, dass Robert als Ehepartner für Lorna nicht infrage kam.

Robert versuchte dieses Wissen zu verdrängen und redete sich ein, alles werde sich irgendwie zum Guten wenden. Wie dies jedoch vonstatten gehen sollte, wusste er nicht.

Robert war der vierte Sohn des Earls und der Comtesse von Dalrymple. Damit waren seine Zukunftsaussichten nicht eben sicher. Die Tradition verlangte, dass der erstgeborene Sohn, Thomas oder Vicomte Gilmerton – ihm stand es zu, den untergeordneten Titel seines Vaters zu benutzen – alles erbte: Ländereien, Landhäuser, Stadthäuser und gesellschaftliche Stellung. Und Thomas, der verheiratet war und zwei Kinder hatte, war auf dem besten Weg dazu, sehr alt zu werden und die Traditionen der Familie Dalrymple stoisch zu bewahren.

Boyd, dem Zweitgeborenen, hatte man ein Offizierspatent bei den Scots Guards, einem schottischen Traditionsregiment, erkauft. Um den mageren Soldatenlohn aufzustocken, gewährten ihm seine Eltern ein großzügiges Zusatzgehalt, mit dem er anständig leben konnte. Boyd konnte zwar nicht darauf hoffen, eine Adelstochter zu heiraten, doch sein Stammbaum und sein militärischer Rang garantierten, dass seine zukünftige Ehefrau zumindest die Tochter eines Barons oder eines angesehenen Ritters sein würde.

Der dritte Sohn hatte sich zu einem sensiblen, verträumten jungen Mann entwickelt, der sich der Kirche verschrieben hatte. Glendon hatte nur den einen Wunsch: Gott zu dienen. Er war glücklich damit, Pfarrer zu sein, Gottesdienste abzuhalten, sich um die Kranken zu kümmern und bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen seinen Dienst zu verrichten. Er lebte gut vom Zehnten – dem Zehntel des Einkommens der Angehörigen seiner Pfarrei – und hatte überdies Nutzungsrecht an den Ländereien der Pfarre, auf dem er sein eigenes Getreide anbauen und Vieh halten konnte.

Für Robert war Glendon ein Rätsel. Es bestand kein Zweifel daran, dass er sich ehrlich um das Wohl derer bemühte, die sich in einer weniger glücklichen Lage befanden als er selbst. Von dem Moment an, als er alt genug gewesen war festzustellen, dass es eine direkte Beziehung zwischen sozialer Ungerechtigkeit und genetischer Abstammung gab, befand er sich in dem festen und tiefen religiösen Glauben, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis dieses Ungleichgewicht beseitigt werden würde. Frauen schien er jedoch nicht zu mögen, er machte häufig unchristliche Bemerkungen über sie. Trotzdem war er verlobt mit der sittenstrengen Nichte des Bischofs seiner Diözese. Sie war sieben Jahr älter als Glendon, sah aus wie ein verhungertes Schaf, wie Robert einmal Boyd gegenüber bemerkt hatte, und besaß, soweit Robert dies beurteilen konnte, nicht den Hauch von Persönlichkeit. Aber ihre familiären Beziehungen waren unschlagbar.

Von seinen drei Brüdern war Boyd derjenige, der Robert am nächsten stand. Thomas war spießig und aufgeblasen und bewegte sich von den Familienanwesen in Tayside und Strathclyde kaum einmal fort. Und Glendon mit seiner Liebe zur Poesie und seiner Beziehung zu dieser prüden Langweilerin löste bei Robert den dringenden Wunsch aus, ihn ins nächste Bordell zu schleppen.

Es gab noch eine Schwester, Charlotte, für die Robert schon immer eine große Zuneigung verspürt hatte, aber da sie vier Jahre jünger war als er und gerade erst in die Gesellschaft eingeführt worden war, betrachtete er sie immer noch als ein Kind.

Von den fünf Acheson-Nachkömmlingen war es meist Robert, der die Missbilligung ihres Vaters auf sich zog. Wenn das Kindermädchen Nanny kreischend und voller Panik aus ihrem Zimmer gestürzt kam und etwas von einer Kröte im Bett keuchte, dann richteten sich alle Augen auf Robert. Lord Dalrymple war daher auch nicht überrascht, als sein jüngster Sohn beinahe die Schule wegen eines spektakulären Streichs hätte verlassen müssen, bei dem ein Nachttopf eine Rolle spielte – ein abstoßendes, widerwärtig riechendes Objekt, das man dem Golden Retriever des Direktors abnahm, und der Besuch eines Würdenträgers. Es war weniger der Streich, der Lord Dalrymple so aufbrachte – im Gegenteil, als er davon erfuhr, schloss er sich für einige Minuten in seinem Arbeitszimmer ein, um den hysterischen Drang, in lautes Gelächter auszubrechen, unter Kontrolle zu bringen –, es war vielmehr die Unbekümmertheit seines Sohnes angesichts der Tatsache, dass der überaus wichtige Besucher der Schule von dem Unfug so wenig beeindruckt gewesen war, dass er der Schule seine nicht unerhebliche finanzielle Unterstützung entzogen hatte. Robert war für den Rest des Schuljahres suspendiert worden.

Robert war zunächst beglückt gewesen, er hätte sich gar keine großartigere Strafe vorstellen können. Drei Wochen zusätzliche Ferien waren schließlich nicht zu verachten. Aber Lord Dalrymple bestrafte seinen Sohn, indem er ihn dem obersten Gärtner unterstellte, und zwar nicht nur während seiner dreiwöchigen Suspension, sondern während der gesamten Sommerferien.

Er schien von einem Desaster ins nächste zu schlittern. Das, was Robert als Ulk plante, mündete meist in verheerende Katastrophen. Wer sonst schaffte es, beim Entzünden eines kleinen Feuerchens zum Rösten von Marshmallows eine komplette Scheune abzubrennen? Wer sonst konnte beim Graben einer geheimen Höhle unter der Stützmauer eines Zierteichs diesen so beschädigen, dass sämtliches Wasser abfloss und die kostbaren Goldfische seiner Mutter verendeten? Robert fragte sich manchmal, wieso dies immer nur ihm passierte.

Das einzige Mitglied seiner Familie, dem er sich wirklich verbunden fühlte, war seine Mutter. Auch wenn sie angesichts der Eskapaden ihres Sohnes regelmäßig verzweifelte, schien sie zumindest zu begreifen, dass er nie etwas Böses im Sinn hatte. Als Robert älter wurde, weihte er sie immer seltener in seine Geheimnisse ein; dennoch wusste er, dass zwischen ihnen ein ganz besonderes Band existierte. Allzu persönliche Angelegenheiten wurden nicht mehr diskutiert, aber er sprach mit seiner Mutter darüber, was er mit seinem Leben anstellen sollte. Weder eine Karriere beim Militär noch als Geistlicher schien ihm besonders reizvoll.

»Heirate in ein Anwesen ein«, riet ihm Lady Pamela Dalrymple bei mehr als einer Gelegenheit und meinte das ernst.

Dies war durchaus üblich. Die jüngeren Söhne einer Adelsfamilie, die nichts außer dem Titel erbten, heirateten wohlhabende, adelige, häufig verwitwete Frauen, um sich deren Besitz anzueignen. Das einzige Problem dabei war, dass die infrage kommenden Frauen von Rang und Namen nur deshalb zu haben waren, weil sie entweder eine schwierige Persönlichkeit, ein eher bescheidenes Äußeres, einen schlechten Ruf oder die besten Jahre bereits hinter sich hatten. Bei einigen von ihnen kam sogar alles zusammen. Robert war schlicht nicht interessiert.

»Ich könnte mich ins Bankwesen einarbeiten«, meinte er düster, als alle anderen Möglichkeiten verworfen waren.

»Du willst Handelsgeschäfte machen? Um Himmels willen, nein!«, rief seine Mutter. »Wie entsetzlich vulgär!«

Also machte Robert gar nichts und verbrachte seine Zeit wie viele junge Männer und Frauen aus der privilegierten Schicht damit, sich in einer sozialen Aktivität nach der anderen zu engagieren.

Im Sommer 1871 nahm das Schicksal sich endlich seiner an. Robert ließ sich von Lady Alison de Iongh verführen und von ihrer Tochter Lorna verzaubern. Kurz nach ihrem siebzehnten Geburtstag gab Lorna de Iongh bereitwillig ihre Jungfräulichkeit für ihn auf.

1

Einige Monate zuvor

Die Londoner Saison brachte alle zusammen, die Rang und Namen hatten, und noch ein paar weitere, die über genügend Geld oder Ehrgeiz verfügten, sich Rang und Namen zu verschaffen. Jedes Jahr strebten ungefähr fünfzehnhundert Familien von ihren Landsitzen in ihre Residenzen im Westend. Einige trafen bereits Weihnachten ein, vor allem die Familien der Parlamentarier, aber die eigentliche Saison begann erst nach Ostern.

Robert und seine Schwester Charlotte, die in diesem Jahr in die Gesellschaft eingeführt werden sollte, reisten Anfang April mit dem Earl und der Comtesse von Dalrymple mit der Eisenbahn an. Es war ein ungemütlicher Tag: Der Himmel verhieß noch einmal Schnee- oder zumindest Graupelschauer, und hartnäckige Ostwinde führten kalte Luftmassen von der Nordsee herauf. Die einzige Möglichkeit, das Erste-Klasse-Abteil zu beheizen, bestand aus metallenen Fußwärmern, die von einem Schaffner mit heißem Wasser gefüllt wurden. Mit warmen Pelzen gegen die Kälte und eingehüllt in dicke Wolldecken fühlte sich die Familie einigermaßen wohl.

Es war bereits das dritte Mal, dass Robert die Reise von Edinburgh nach London mit dem Zug unternahm. Er mochte diese Art des Reisens nicht besonders. Es gab keine Gänge, die die einzelnen Wagen miteinander verbanden. Wenn man einmal saß, saß man. Es gab keine Beleuchtung – Kerzen mussten von zu Hause mitgebracht werden. Auch für die Verpflegung musste man selbst sorgen.

Das Schlimmste war, dass es keine Toiletten gab. Einige Frauen, vor allem diejenigen, die sich in alleiniger Gesellschaft von Angehörigen des eigenen Geschlechts befanden, hatten Nachttöpfe für Notfälle dabei, die sie diskret in einem Korb versteckten. Männer konnten eine lange Röhre erwerben, die sie an einem Bein festbanden und unter ihren Hosenbeinen verbargen. Wie die meisten fanden Lord Dalrymple und seine Familie diese Lösungen unbefriedigend und bevorzugten es zu warten, bis der Zug an einem Bahnhof anhielt, um dort zusammen mit allen anderen in uneleganter Eile auf die öffentlichen Toiletten zu strömen.

Um sich zu unterhalten, wechselte sich die Familie mit Lesen und Kartenspielen ab. Charlotte schwatzte unaufhörlich über ihr Debüt. Es war eine aufregende Zeit für ein Mädchen, das im engen Schutz von Klasse und Konventionen heranwuchs. Von dieser Saison an würde sie zur Gesellschaft dazugehören, die Aufmerksamkeit der jungen Männer genießen, sich wie eine Lady kleiden und wie eine Erwachsene behandelt werden. Ihre beste Freundin, Lady Lorna de Iongh, würde ebenfalls in die Gesellschaft eingeführt, und Robert fragte sich, was die Gesellschaft wohl aus den beiden machen würde.

Charlotte war begeisterungsfähig und ließ sich von Lorna leicht beeinflussen, die, wie Robert und alle anderen fanden, ihre Umwelt gern schockierte. Als Lorna sechs Jahre alt war, hielt sie sich eine Sammlung lebender Schnecken in ihrem Schlafzimmer, veranstaltete regelmäßige Wettrennen mit ihnen und beschwatzte ihre Freundinnen, ihr Taschengeld auf deren Ausgang zu verwetten. Als ihre Mutter von dieser Praxis erfuhr, gebot sie ihr Einhalt, denn sie hielt dieses Benehmen bei einer jungen Lady für unziemlich.

Lorna, die sich bei Robert regelmäßig über die ungleiche Behandlung von Jungen und Mädchen beklagte, ließ ihrem Ärger wie üblich freien Lauf. »Warum ist das unziemlich? Ich darf doch auch auf dem Boden sitzen und Karten spielen. Meine Knie waren bedeckt.«

Mit zehn hatte Robert ihr diese Frage noch nicht beantworten können, aber er wagte eine Vermutung. »Vielleicht, weil du während des Rennens eine Geldbörse in den Händen gehalten hast.«

Lorna schüttelte den Kopf. »Und? Man konnte meine Knie trotzdem nicht sehen.« Und dann zog sie ihre Röcke empor, um ihm die zwei knochigen kleinen Ausbeulungen zu zeigen, die sie für die Ursache des Verbots hielt. Robert starrte sie an. Er verstand nicht, was daran unziemlich sein sollte. In diesem Moment kam Lornas Kindermädchen Beth ins Zimmer. Das anschließende Theater verdankten sie hauptsächlich ihrer lebhaften Schilderung der Ereignisse. Lorna wurde unverzüglich nach Hause gezerrt. Robert sah nicht, was er Schlimmes getan haben sollte, und weder er noch Lorna verstanden die Antwort auf ihre Frage, warum sie noch Monate später ständig von einer Anstandsdame bewacht wurden: Es ist nur zu eurem Besten.

Als sie älter wurden, trösteten sie sich häufig gegenseitig, wenn sie das Gefühl hatten, eine Strafe für einen angeblichen Verstoß gegen die Etikette sei zu hart ausgefallen. Ihre Unfähigkeit, sich anzupassen, verband sie und machte sie zu Freunden.

Als Robert in die Pubertät kam, informierte seine Mutter ihn aus Gründen, die er nicht nachvollziehen konnte, dass Lorna und er »zu seinem Besten« erneut mit einer Anstandsdame vorlieb nehmen müssten. Er führte es auf eine der vielen verwirrenden Regeln und Sitten des Lebens zurück und wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass der Tag, an dem man ihn beim Betrachten von Lornas Knien erwischt hatte, der Grund dafür sein könnte. Die ständige Anwesenheit des Kindermädchens war eine Herausforderung. Robert und Lorna erdachten sich oft Wege, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen. Irgendwann kamen ihre Eltern dann zu dem Schluss, dass die beiden gute Freunde waren, sonst nichts, und gestatteten ihnen etwas mehr Freiheit.

Und nun würde der kleine Wildfang aus seiner Kindheit zusammen mit seiner Schwester in die Gesellschaft eingeführt werden. Gott möge den jungen Freiern beistehen, dachte Robert. Vor allem Lornas.

Die Reise dauerte zwölf Stunden. Als der Zug endlich in London einfuhr, waren sie steif und durchgefroren, verglichen mit den schniefenden, frierenden und durchnässten Dritte-Klasse-Reisenden, die in offenen Waggons fahren mussten, jedoch immer noch in einem guten Zustand. Es war eine Erleichterung, ihren vertrauten Kutscher wieder zu sehen, der sie vom Zug abholte, und ihr beachtliches Gepäck zwei Stallburschen und zwei Lakaien übergeben zu können. Das Gepäck reiste in einer Kutsche, die Familie bestieg eine zweite.

»Jetzt sind wir bald da, meine Lieben.« Lady Dalrymple gähnte geziert, als sich das Gefährt in Bewegung setzte. »Ich kann es kaum erwarten, meine Beine wieder ausstrecken zu können.«

Ihr Stadthaus befand sich an der Park Lane, dem Teil des Londoner Westends, der zurzeit sehr in Mode war. Einige Jahre zuvor hatte der Vater des Earls eine weitere Residenz nebenan erworben, und anstatt das hohe, schmale Gebäude in seinem ursprünglichen Zustand beizubehalten wie die meisten, hatte er die beiden Häuser vereint und den Dalrymples somit ein recht exklusives Domizil verschafft. Küche, Spülküche und Waschküche lagen ebenso wie die Zimmer des Kochs, der Hausdame und des Butlers im Souterrain. Auf Straßenniveau befand sich eine eindrucksvolle, mit Holz vertäfelte Eingangshalle, Speisezimmer und Salons und ein Wintergarten, der sich über die gesamte Rückseite der beiden ursprünglichen Häuser erstreckte. Darüber gab es ein Billardzimmer, eine Bibliothek und eine Galerie. Im zweiten Stock lagen drei große Schlafzimmer, im dritten vier weitere. Weitere Bedienstetenzimmer und Abstellräume befanden sich im vierten Stock und auf dem Speicher.

Trotz ihrer späten Ankunft – es war beinahe Mitternacht, als sie vor dem Haus vorfuhren – stand das gesamte Personal in der Eingangshalle, um die Familie zu begrüßen. Der Koch hatte ein spätes Abendessen vorbereitet, und heißes Wasser stand bereit, damit diejenigen, die ein Bad nehmen wollten, dies tun konnten. Lady Pamelas persönliche Zofe – ein junges französisches Mädchen mit guter Erziehung, von außergewöhnlicher Schönheit und lebhafter Ausstrahlung – wartete, um sich um das Gepäck der gnädigen Frau zu kümmern. Der Diener des Earls stand ebenfalls für Seine Lordschaft bereit. Robert stand ein Hausmädchen zur Verfügung, und Charlotte wurde von ihrer Gouvernante empfangen.

Da man das Londoner Personal mehrere Monate nicht gesehen hatte, mussten die privilegierten älteren Dienstboten zunächst richtig begrüßt werden, und auch den anderen wurde Anerkennung gezollt. Lady Pamela war sehr geschickt, wenn es darum ging, Lob, Zuspruch und hier und da eine sanfte Zurechtweisung zu verteilen.

Es war bereits nach zwei Uhr morgens, als sich die Familienmitglieder endlich zurückziehen konnten.

So begann die Saison. Robert verbrachte die meisten Tage mit einem frühmorgendlichen Ausritt im Hyde Park, um dann zu einem späten Frühstück nach Hause zurückzukehren. Die Nachmittage und Abende bestanden aus einer gesellschaftlichen Verpflichtung nach der anderen: Lunch im Club, Besuche von Freunden, Dinner, Soireen, Opern, Konzerte, Kunstausstellungen, Bälle, das Derby und Ascot, die Henley-Regatta, Kricket-Matches zwischen Oxford und Cambridge oder Eton und Harrow, sogar Besuche in der Regent Street, um unverheiratete Damen zu treffen, die freizügiger waren als die streng bewachten jungen Mädchen, deren Mütter sich auf dem Heiratsmarkt umzusehen begonnen hatten.

Roberts Wege und die der de Ionghs kreuzten sich häufig. Lady de Iongh und seine Mutter kannten sich gut, auch wenn Lady Dalrymple hin und wieder fand, Alison sei einen Hauch zu frivol, was, soweit Robert es einschätzen konnte, bedeutete, dass sie zu viel flirtete. Er selbst war mit Charles, Lornas Bruder, befreundet. Und die beiden Earls kannten sich ebenfalls.

Nachdem Charlotte und Lorna im St. James’s Palace Königin Victoria vorgestellt worden waren, waren sie offiziell in die Gesellschaft aufgenommen. Über Nacht wurden die beiden Mädchen zu jungen Damen; als solche konnten sie die Aufmerksamkeiten potenzieller Freier entgegennehmen.

Als Robert Lorna nach ihrer Einführung zum ersten Mal wiedersah, konnte er kaum glauben, wie sehr sie sich verändert hatte. Die Gelegenheit war ein Ball, den seine Eltern gaben – oder genauer gesagt, seine Mutter. Ihr Hauptanliegen war es, Charlotte geeigneten jungen Männern vorzustellen. Die Einladungen waren bereits einen Monat zuvor versandt und das Haus an der Park Lane für das Ereignis auf den Kopf gestellt worden. Die Flügeltüren zwischen dem Billardzimmer und der Galerie im ersten Stock waren geöffnet worden, um einen großen Tanzsaal zu schaffen. Lord Dalrymples Bibliothek auf demselben Stockwerk war zu einem Erfrischungsraum umgestaltet worden. Ein Orchester – Kornett, Flügel, Violine und Cello – befand sich in einer Ecke des Ballsaals, diskret abgeschirmt durch einen wahren Wald aus Zimmerpflanzen.

Im Speisesaal standen die feinsten Speisen bereit, um mehr als zweihundert Gäste zu sättigen, während in einem der Salons eine Kartenspielecke hergerichtet worden war für jene älteren Gäste, die eine Partie Whist oder Bridge dem munteren Treiben auf der Tanzfläche vorzogen. Zwei Schlafzimmer auf der zweiten Etage dienten als Garderoben.

Lady Pamela und Charlotte hatten Wochen damit zugebracht, das Menü, die Dekorationen, die Musik und ihre Kleidung zu planen. Robert und sein Vater hatten sich so gut es ging zurückgehalten. »Ich weiß gar nicht, was das ganze Theater soll«, brummte der Earl. »Jeder, der nicht ganz blind ist, sieht doch, dass der junge de Iongh absolut vernarrt in Charlotte ist.«

Robert wusste, dass Charles de Iongh seiner Schwester sehr zugetan war. Das war er schon seit Jahren, lange bevor die Etikette es zugelassen hatte. Nun, da sie in die Gesellschaft eingeführt war, war es ihm gestattet, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Da er der einzige Sohn war, war Charles’ Erbe gesichert, was ihn für ehrgeizige Mütter, die sich nicht scheuten, ihre Töchter in seine Richtung zu drängen, überaus interessant machte. Charles hatte die freie Auswahl. Aber er wollte sie nicht. Charlotte war seine Auserwählte, und seine einzige Sorge galt nun der Frage, ob sie ihn akzeptierte.

Um acht Uhr am Abend des Balls standen Robert und Charlotte mit ihren Eltern am Eingang, um die Gäste willkommen zu heißen. Die Familie de Iongh kam wie die meisten zu spät, was augenblicklich in Mode war.

Lady Alison drückte ihre kühle Wange an Roberts und murmelte: »Wie gut Sie aussehen.«

Robert, der die Comtesse seit Jahren kannte, hörte aus ihren Worten keine Anzüglichkeit heraus. Sie war nicht viel jünger als seine eigene Mutter und gehörte einer anderen Generation an.

Wie es üblich war, trugen die meisten Frauen im Saal Weiß. Lorna sah bezaubernd aus. Ihre üppigen blonden Locken waren gezähmt worden und zu einer komplizierten Flechtfrisur hochgesteckt. Um den Hals trug sie ein Band aus tiefgrünem Samt, das mit unzähligen Perlen bestickt war, deren Farbe kaum von ihrer blassen Haut ablenkte. Kleine Smaragdohrstecker schmückten ihre Ohren.

Lieber Himmel!, dachte Robert und starrte sie geradezu an. Was ist mit ihr geschehen?

Und dann stand sie plötzlich vor ihm. »Guten Abend, Lord Acheson.«

Die Etikette verlangte, dass er den Gruß erwiderte, sich über ihre Hand beugte und sich dann dem nächsten Gast zuwandte. Doch stattdessen beugte er sich vor und flüsterte: »Bist du es wirklich?«

Die Lorna, die Robert kannte – das Kind, das sie vor ein paar Wochen noch gewesen war –, hätte mit einem verschmitzten Lächeln und einigen frechen Worten geantwortet. Die junge Lady, die jetzt vor ihm stand, der man die Anstandsformen beigebracht hatte, die vom Moment ihrer Einführung in die Gesellschaft von ihr erwartet wurden, schlug die langen blonden Wimpern über ihren kühlen grauen Augen nieder, wedelte mit ihrem Fächer und bot ihm ihre wohl manikürten Fingerspitzen. Verwirrt beugte sich Robert über ihre Hand. Warum hämmerte sein Herz so? Eine kurze Zeremonie und ein paar Worte von der Königin konnten doch nicht eine solche Veränderung bewirkt haben! Das war die Kleine, die ihn erst letztes Jahr mit Pferdedung beworfen hatte.

Er hatte zu lange über ihrer Hand verharrt und wurde sich jäh bewusst, dass sie versuchte, sie zurückzuziehen. Er richtete sich auf und sah in ihre Augen, und zum ersten Mal sah er, dass die graue Iris von einem dunkleren Farbton umgeben war. »Ich bin entzückt«, stieß er mühsam hervor. Er kam sich albern vor.

Lorna senkte höflich den Kopf und wandte sich dann von ihm ab.

Die de Ionghs gingen hinauf. Charlottes und Roberts Blicke folgten ihnen. »Verdammt, sie ist wunderhübsch«, flüsterte Robert.

»Was?« Charlotte war noch immer bei Charles.

»Nichts.« Robert schüttelte innerlich den Kopf. Das geht nicht. Reiß dich zusammen, Mann.

Er stieß seine Schwester an. »Mama beobachtet dich.«

Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu, ehe sie sich dem nächsten Gast zuwandte. Leise flüsterte sie ihm zu: »Er ist so ein feiner Gentleman.«

»Psst, Charlotte. Charles denkt ebenso über dich. Halte dich zurück, dann wirst du bekommen, was du dir wünschst.«

Glänzende Augen bestätigten das, was Robert bereits vermutet hatte – dass Charlottes Bewunderung für Charles eine Reflexion seiner Gefühle für sie war. Wie glücklich sie sich schätzen konnten. Wenn nur … Aber nein. Lorna würde etwas viel Besseres zustehen als ein viertgeborener Sohn mit einem Ehrentitel und bescheidenen Aussichten. Sie war unerreichbar für ihn. Er zwang sich zur Ruhe und konzentrierte sich wieder auf den stetigen Strom der eintreffenden Gäste.

Um halb neun übernahm der Butler die Begrüßungszeremonie. Er würde die wenigen empfangen, die noch später eintrafen. Lady Pamela Dalrymple und Lady Charlotte gingen hinauf in den Ballsaal, um ihre nächste Pflicht zu erfüllen, die Vorstellungen. Ungeachtet der Tatsache, dass sich fast alle kannten, mussten die Gentlemen, die mit den diesjährigen Debütantinnen tanzen wollten, offiziell vorgestellt werden.

Robert folgte seiner Mutter und seiner Schwester die geschwungene Treppe hinauf und fragte sich, wie lange Charles und Charlotte sich wohl zurückhalten mussten, ehe sie zum ersten Mal zusammen tanzen durften. Ganz sicher noch nicht bei der Eröffnungsquadrille. Seine Schwester würde sie mit dem an zweithöchster Stelle im Rang stehenden Gast tanzen müssen – vermutlich mit diesem abscheulichen Neffen Ihrer Majestät. Nein, sie würden bis zum zweiten oder dritten Walzer warten müssen. Und Lorna? Er konnte zumindest mit ihr tanzen, das wurde von ihm verlangt. Aber nur ein einziges Mal. Beim zweiten Mal würde bereits getuschelt werden.

Die Aufgabe des Earls bestand darin, sich den Gästen, vornehmlich den älteren Männern, zu widmen. Bis zu einem gewissen Maß erwartete man das auch von Robert, zugleich musste er immer einen Blick auf die jungen Mädchen halten, die einen Tanz aussetzten, um ihnen gegebenenfalls zu Hilfe zu kommen.

Als er Lady Bloomsdale auf sich zukommen sah, sank sein Herz. Sie war eine plumpe Frau, die aussah wie ein Schiff unter Segeln. Zudem war sie die Mutter der unattraktivsten Tochter von ganz London. Lady Bloomsdale hatte trotz ihres ungeheuren Vermögens, das vollständig an ihre Tochter Bernice gehen würde, und trotz ihrer beständigen und hartnäckigen Bemühungen bisher noch keinen geeigneten Kandidaten für das arme Mädchen gefunden. Männer, selbst die, die in finanziellen Engpässen steckten, flohen regelrecht vor Lady Bloomsdales wenig subtilen Annäherungsversuchen. Bernice war inzwischen Mitte zwanzig und würde, wenn nicht von irgendwo ein blinder Vermögensjäger auftauchte, wahrscheinlich unverheiratet bleiben. Das hielt ihre Mutter jedoch nicht davon ab, es weiter zu versuchen.

»Lord Acheson«, trompetete sie mit einer Stimme, die so laut war wie ein Nebelhorn. »Seien Sie so gut und tanzen Sie mit Bernice. Ich fürchte, ihre Reserviertheit schüchtert die jungen Männer ein.«

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihrem Wunsch zu entsprechen. Robert wappnete sich innerlich gegen die Tortur, mühsam Konversation mit Bernice zu machen – eine wahre Herausforderung, denn das Mädchen war praktisch taub vor Nervosität und neigte zur Hysterie – und erfüllte seine Pflicht. Es war eine Qual. Sie trat ihm mehrere Male auf die Füße, errötete ununterbrochen und beantwortete seine Fragen mit kaum mehr als einem Nicken oder Kopfschütteln. Zu allem Überfluss löste die Nervosität bei ihr starke Transpiration aus, und als der Walzer schließlich dem Ende zuging, waren ihre Handschuhe durchnässt, und der Schweiß lief ihr auf abstoßende Weise über Gesicht und Hals, verschwand in ihrem tiefen Dekolletee und durchweichte das Mieder ihres Kleides. Sie fühlte sich an wie ein nasser Schwamm.

Das Ende der Musik bedeutete nicht das Ende der Tortur. Robert musste mit Bernice am Arm über die Tanzfläche promenieren und sie anschließend fragen, ob sie eine Erfrischung wünsche. Glücklicherweise sagte sie Nein.

Erleichtert gesellte sich Robert zu Lord de Iongh, Charles und Lorna.

»Der junge Acheson«, rief de Iongh dröhnend. »Wo ist Ihr Vater, mein Junge?«

»Er muss irgendwo in der Nähe sein, Mylord. Ich habe ihn noch vor wenigen Minuten in einer Unterhaltung gesehen.«

»Gut, gut.«

Die Konversation mit Lord de Iongh gab Robert unweigerlich das Gefühl, etwas Wesentliches verpasst zu haben. »Wünschen Sie vielleicht, dass ich nach ihm suche, Mylord?«

»Danke! Das ist nicht nötig. Ein schöner Ball!«

»Danke, Mylord.«

»Was war noch einmal der Anlass? Die Comtesse erwähnte es vorhin, aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr erinnern.«

»Meine Schwester, Mylord.«

»Guter Gott! Ist sie schon so alt?« Lord de Iongh hatte offenbar vergessen, dass er Charlotte bei seinem Eintreffen begrüßt hatte und sie genauso alt war wie seine eigene Tochter.

Robert antwortete geduldig. »Siebzehn, Mylord!« Aus einem Augenwinkel sah er, dass Lorna ihn beobachtete. Als er zurückschaute, senkte sie den Blick, errötete und versteckte sich hinter der massigen Gestalt ihres Vaters.

»Siebzehn?«, meinte Lord de Iongh nachdenklich. »Ich schwöre, diese jungen Mädchen wachsen heutzutage zu schnell heran.«

»Bestimmt«, antwortete Robert und schaute weiter dorthin, wo Lorna sich verborgen hielt. Sie konnte einem weiteren Blick nicht widerstehen, dieses Mal war er begleitet von einem winzigen Lächeln und einer leichten Kopfbewegung, ehe sie sich wieder zurückzog. Robert richtete seine gesamte Aufmerksamkeit wieder auf ihren Vater.

»… und ehe man sich versieht, findet man sich auf einmal auf ihren Hochzeiten wieder.«

Robert nahm an, dass sie noch immer über Charlotte sprachen. »Zweifellos wird sie sich schon bald verloben.«

»Ja, natürlich.« Lord de Ionghs Kapazität für geselliges Geplauder war erschöpft. Er hatte das Interesse verloren und kam nun rasch auf sein Lieblingsthema zu sprechen. »Haben Sie schon gehört? Dieser verfluchte Ponsonby besaß die Frechheit, die Arbeitsleistung der Queen in Zweifel zu ziehen. Der Mann ist wahnsinnig. Er setzt sich einfach über jeden medizinischen Rat hinweg. Der Gesundheitszustand Ihrer Majestät ist seit dem Tod Alberts sehr angeschlagen.«

»Nun, Sir William müsste es am besten wissen«, meinte Robert, der die manchmal etwas indiskrete Art des Lords zu sprechen schon gewohnt war, vorsichtig, obwohl er persönlich der Meinung war, dass der Leibarzt der Queen dazu neigte, das zu sagen, was man von ihm verlangte.

»Verdammt richtig, Acheson. Gut erkannt.«

Robert entspannte sich. Er war davon ausgegangen, dass Lord de Iongh ein Royalist war, und seine Rechnung war aufgegangen.

Der ältere Mann starrte nachdenklich in die Ferne und wippte mit hinter dem Rücken verschränkten Händen auf den Absätzen auf und ab. Robert erhaschte einen kurzen Blick auf Lorna. Neben ihrem stämmigen, rotgesichtigen Vater wirkte sie wie eine zarte Blume.

Lord de Iongh räusperte sich, und Robert fragte sich, ob der Mann sich weiter in Rechtfertigungen über den Palast und seine Bewohner ergehen würde. Er hätte der Einstellung de Ionghs gern widersprochen, war jedoch zu höflich, es zu tun. Es war nun einmal eine Tatsache, dass die Popularität von Königin Victoria und des gesamten Königshauses in den letzten Jahren zusehends abnahm, und in der Frage, ob die Kosten, die der Nation durch die großzügige und üppige Lebensweise der Königsfamilie entstanden, noch gerechtfertigt waren, war die Öffentlichkeit durchaus gespalten. Da die Monarchin sich weigerte, sich öffentlich zu zeigen, und ihr Sohn, der Prinz von Wales, es vorzog, seinen Vergnügungen nachzugehen, fanden viele, dass sie für ihr Geld nichts mehr bekamen. Die Republikaner wurden sogar noch deutlicher. Sie verlangten, genau zu erfahren, wie die Zivilliste, der zur Bestreitung des königlichen Haushaltes bewilligte Betrag von 385.000 Pfund im Jahr, gerechtfertigt sein könne, zumal die Queen für ihren Geiz bekannt war. Der Prinz von Wales entpuppte sich mehr und mehr als verantwortungslos, indiskret und galt als unfähig, die Thronfolge zu übernehmen. Der Französisch-Preußische Krieg hatte Spekulationen genährt, die Monarchin sympathisiere mit Deutschland. William Gladstone, der Premierminister, war zunehmend besorgt über die »Royalitätsfrage«, wie er sie nannte – die Frage, wie er Königin Victoria davon überzeugen konnte, sich ihrem Volk mehr präsent zu machen. Es war schwierig zu erfahren, wer die Queen unterstützte und wer nicht.

»Haben Sie von der Rede dieses Hornochsen Dilke in Newcastle gehört?«, fragte Lord de Iongh plötzlich, und sein gerötetes Gesicht nahm den Ausdruck von Verachtung an.

Robert, der klar im Nachteil war, weil er nicht die geringste Ahnung hatte, konnte nur den Kopf schütteln.

»Er hat behauptet, das Königshaus würde die Nation eine Million Pfund im Jahr kosten. Eine Million! Was für ein Unsinn! Er hat sich sogar erdreistet, es als Unrecht zu bezeichnen!«

»Das ist wirklich unglaublich, Sir.«

Der ältere Mann beugte sich mit verschwörerischem Gesichtsausdruck zu Robert herunter. »Die Queen hat um vierhundert Pfund im Jahr für John Brown gebeten.« Auch wenn seine Loyalität zum Thron nicht infrage stand, verachtete Lord de Iongh, wie die meisten anderen im Land, den Mann, der als Stallbursche in Balmoral begonnen hatte, von der Queen zum Diener erhoben und dann, 1864, erneut befördert worden war: zum Highland Servant Ihrer Majestät. Brown irritierte jeden mit seiner barschen Art und der Tatsache, dass seit dem Tod ihres geliebten Gemahls er, und nur er allein, die unumschränkte Aufmerksamkeit – oder sogar mehr – der Königin genoss. Hinter vorgehaltener Hand raunte man sich sogar zu, sie habe den Mann heimlich geheiratet. Niemand sonst wagte es, mit Ihrer Majestät so zu sprechen wie Brown. Bei einer Gelegenheit wollte man sogar mit angehört haben, dass er ihr Äußeres kritisiert hatte. Sein Einfluss auf Victoria war inzwischen so groß, dass sie über ihn Botschaften an die weitergab, die zuvor direkten Zugang zu ihr gehabt hatten.

Insgeheim gefiel Robert der grobschlächtige Brown. Er hoffte, dass der Schotte tatsächlich den Weg in Victorias Bett gefunden hatte – das würde ihre säuerliche Miene etwas aufhellen. Solche Gedanken konnte man Lord de Iongh gegenüber jedoch nicht äußern. »Er hat eine große Verantwortung zu tragen, Mylord«, antwortete Robert und fügte, als er den Unmut in Lord de Ionghs Gesicht sah, rasch hinzu: »Aber nicht so groß, fürchte ich, wie sein Interesse am Einfluss über Ihre Majestät.«

Er wurde mit dröhnendem Gelächter belohnt. »Verflucht, Acheson, Sie wären ein guter Politiker.«

Nun konnte Robert endlich das Thema wechseln, ohne unhöflich zu erscheinen. »Mit Ihrer Erlaubnis, Mylord, gestatten Sie, dass ich Lady Lorna zum Tanz bitte?«

»Natürlich«, antwortete de Iongh jovial. »Wenn meine Tochter noch Platz auf ihrer Karte hat.« Er drehte sich um und sprach mit jemand anderem, und Robert sah sich plötzlich Lorna gegenüberstehen.

»Wenn es Ihnen angenehm ist, Mylady, wäre ein Tanz eine große Ehre für mich.«

Ihr Bruder, dem das plötzliche Interesse seines Freundes an seiner Schwester entgangen war, lachte. »Sie hat einen Tanz für jemand ganz Besonderen freigehalten, nicht wahr, Schwesterherz?«

Lorna runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht. Ich sehe nur nicht ein, wieso ich jede Aufforderung annehmen sollte.«

Robert zog die Augenbrauen hoch. »Wer ist der Glückliche? Ich werde ihn sofort herausfordern.«

Sie kicherte, dann besann sie sich auf ihr Benehmen, wedelte mit ihrem reich verzierten Fächer und konsultierte die Tanzkarte, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

Mit sieben Jahren hatte Lorna ihrer Gouvernante erklärt, dass sie eines Tages Lord Robert Acheson heiraten würde – und nie verstanden, wieso das unmöglich war. Mit zwölf Jahren kannte sie zwar die komplizierten Regeln, nach denen ein geeigneter Ehemann ausgesucht werden musste, aber heimlich schwärmte sie noch immer für Lord Dalrymples vierten Sohn. Als sie nun das Funkeln in seinen Augen sah, fühlte sie sich sehr geschmeichelt. Auf ihrer Karte war noch ein Platz frei. Sie zeigte sie Robert. »Hier.«

Er zog in vorgespielter Überraschung die Augenbrauen hoch. »Nur einen Tanz?«

»Ich denke, Sir, das dürfte genügen.«

Robert beugte sich über ihre Hand und verbarg ein Lächeln. »Dann soll einer genügen. Ich werde die Minuten bis dahin zählen.«

Lorna hatte große Mühe, ein erfreutes Lächeln zurückzuhalten. Sie nickte anmutig und rückte einen Schritt näher in Richtung ihres Vaters.

Charles, der glaubte, Robert würde seine Schwester aufziehen, raunte diesem zu: »Sie hat immer noch ein teuflisches Temperament, alter Junge. Sie nimmt die Saison zu ernst. Wenn du dich über sie lustig machst, bist du nachher derjenige, der einstecken muss.«

Auch wenn Charles ein enger Freund war, konnte Robert ihm seine wahren Gefühle nicht anvertrauen. Er verzog das Gesicht und lenkte geschickt die Unterhaltung in eine andere Richtung. »Kannst du glauben, wie erwachsen die beiden geworden sind?«

Charles räusperte sich und zupfte verlegen an seinem gestärkten Hemdkragen. »Deine Schwester ist sehr schön.«

»Das ist sie«, stimmte Robert zu.

»Dann weißt du also, wie ich für sie empfinde, nicht wahr, alter Junge?«

»Ich habe bemerkt, dass deine Augen einen verräterischen Glanz bekommen, sobald sie den Raum betritt.«

Charles lächelte unsicher. »Natürlich werde ich zuerst mit Lord Dalrymple sprechen.«

»Ich würde dir raten, zuerst mit Charlotte zu sprechen«, antwortete Robert grinsend.

»Ja … natürlich.« Charles hüstelte nervös. »Wenn ich ihr meine Aufwartung mache, glaubst du, sie empfängt mich?«

»Letzte Woche hätte ich noch Ja gesagt, aber sie ist nun eine Frau.« Robert zuckte die Achseln. »Es steht mir nicht zu, für sie zu sprechen.« Dann hatte er plötzlich Mitleid mit seinem Freund und fügte hinzu: »Ehrlich gesagt, ich würde noch immer dasselbe sagen.«

Erleichtert machte sich Charles auf die Suche nach Charlotte, und Robert nutzte die Gelegenheit, Lorna ein strahlendes Lächeln zu schenken. »Gestatten Sie, dass ich Ihnen sage, dass Sie ein ganz entzückendes Kleid tragen?«

»Danke.« Eine leichte Röte legte sich auf ihr Gesicht.

»Wann kehren Sie nach Edinburgh zurück?«

»Mama möchte gern nächste Woche aufbrechen.«

»So bald!«

Lorna zog einen Schmollmund. »Alle, die ich kenne, bleiben, bis die Moorhuhn-Saison eröffnet wird. Es ist wirklich dumm, dass Mama so früh fahren möchte.« Sie fächelte sich Luft zu und neigte den Kopf, als jemand an ihr vorbeiging. »Charlotte bleibt noch, nicht wahr?«

»Warum fragen Sie nicht, ob Sie bei uns bleiben können? Ich bin mir sicher, Ihre Mama würde es erlauben.«

Lornas Gesicht hellte sich auf. »Was für eine wunderbare Idee. Ich werde beim Dinner mit Charlotte sprechen.« Sie sah ihn offen an. »Werden Sie auch hier sein?«

Die Tatsache, dass sie die Zuneigung erwiderte, die er für sie empfand, entging Robert nicht. Aber was nutzte das schon? Sowohl seine als auch ihre Familie würden der Entwicklung einer Beziehung, die ins Nichts führte, rasch Einhalt gebieten. »Leider nicht. Papa möchte mich bei sich in Schottland haben, damit ich ihm bei den Vorbereitungen für die diesjährige Fasanenjagd behilflich bin. Werden Sie Ihre Eltern in diesem Jahr nach Tayside begleiten?«

Sie verbarg ihre Enttäuschung geschickt. »Natürlich.«

»Dann freue ich mich, Sie dort wiederzusehen.«

Die Musik setzte ein, und der nächste junge Mann erschien und führte Lorna fort.

Eine Woche später fuhren Robert und Lady de Iongh mit dem Zug in Richtung Norden. Lord de Iongh hatte Robert darum gebeten, seine Frau in ihrer Kutsche zu begleiten. »Ihr Mädchen ist krank. Der Himmel weiß, warum sie jetzt schon fahren muss – sie sagt, es hätte etwas mit einem Kirchenfest zu tun. Sie arbeitet viel zu hart für diese Wohltätigkeitsdinge, wenn Sie mich fragen.« Lord de Iongh schien sich offenbar nicht weiter dafür zu interessieren, wieso seine Frau die Saison in London so abkürzte, seine Sorge galt allein der Tatsache, einen passenden Reisegefährten für sie zu finden. Sowohl Charles als auch Lorna würden noch für einige Wochen in London bleiben. Der Earl, den wichtige politische Gründe zum Bleiben zwangen, würde nur kurz nach Schottland zurückkehren, wenn am 1. Oktober die Fasanenjagd begann.

Da sich Lady Dalrymple sowohl um Lorna als auch um Charlotte kümmern musste und Lord Dalrymple die Gicht plagte, war Robert der Einzige, den Lord de Iongh bitten konnte, seine Frau zu begleiten.

Robert willigte höflich ein, wie es von ihm erwartet wurde. Zumindest hatte er Gesellschaft, und er wusste, dass Lady de Iongh leidlich gut Karten spielte, eine willkommene Abwechslung auf der quälend langen Reise.

Er war froh, London verlassen zu können. Robert hatte Lorna zu jedem Ereignis begleiten müssen, für das sie keine andere Begleitung hatte. Es war eine höllische Woche gewesen. Manchmal hatte er das Gefühl gehabt, seine Zuneigung zu ihr nicht länger zurückhalten zu können. Ein flüchtiger Abschiedskuss auf die Wange hatte in ihm das brennende Verlangen ausgelöst, sie in den Armen zu halten.

In ruhigeren Momenten redete Robert sich ein, seine Gefühle würden dadurch verstärkt, dass er sich etwas wünschte, was er nicht haben konnte. Als er schließlich mit Lady de Iongh in den Zug stieg, hatte er sich selber davon überzeugt, dass Lorna für ihn nichts weiter war als die Freundin, die er schon immer gekannt hatte. Er war froh darüber. Es wäre unerträglich, zwölf Stunden lang mit ihrer Mutter zusammenzusitzen und leidenschaftliche Emotionen für Lorna zu hegen.

Als sie sich zum Abschied zuwinkten, war Robert stolz auf seine Zurückhaltung. Es war ehrenhaft. Er war ein Gentleman. Sein Gewissen war rein.

Die Flasche Wein und die zwei Gläser, die aus einem Reisekorb gezaubert wurden, sobald der Zug seine Reisegeschwindigkeit erreicht hatte, hatte er nicht erwartet.

»Die Reise ist so langweilig«, erklärte Lady de Iongh, »leisten Sie mir Gesellschaft.«

Und dann passierte etwas vollkommen Unerwartetes. Die Comtesse brachte Robert aus dem Gleichgewicht. Sie beugte sich vor, berührte sein Knie mit ihrem Fächer, schnitt Themen an, die man gewöhnlich in einer höflichen Unterhaltung nicht besprach. Beim Kartenspiel streiften ihre Finger einige Male seine Hand, dabei tat sie so, als bemerke sie es nicht. Als es draußen langsam dunkel wurde, fühlte sich Robert sowohl verunsichert als auch erregt. Er hatte keine Ahnung, was Lady de Iongh im Schilde führte, er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt irgendwelche Absichten hatte.

Robert hatte bisher nur begrenzt Erfahrungen sammeln können, aber eines wusste er schon: Es gab nur zwei Möglichkeiten – entweder die Frauen taten es, oder sie taten es nicht. So einfach war das. Denen, die es nicht taten, musste man mit Achtung vor ihrer Tugendhaftigkeit begegnen. Die, die es taten, arbeiteten entweder in Etablissements, die speziell zu diesem Zweck geschaffen waren, oder sie boten sich offen auf der Straße an. Und dann gab es natürlich noch die dritte Art, die schwieriger zu durchschauen war. Gelangweilte hochwohlgeborene Ehefrauen, die nach einer Abwechslung suchten. Bei Alison de Iongh verschwammen die Grenzen. Er war unsicher und fragte sich, was sie von ihm wollte.

Ganz bestimmt erwartete er keine zweite Flasche Wein.

»Ich hasse es, allein zu trinken.« Sie öffnete die obersten Häkchen ihres Mieders. »Es ist schrecklich heiß hier drin. Kommen Sie! Trinken Sie noch ein Gläschen mit mir!«

Unklugerweise hielt er ihr sein Glas hin.

Sie hielt seine Hand mit ihrer ruhig und lachte perlend. »Dieser Zug schaukelt so.«

Robert nippte vorsichtig, aber Lady de Iongh leerte ihr Glas rasch. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Robert, aber ich verspüre Kopfschmerzen. Ich muss mein Haar herunterlassen.« Sie stand auf, entfernte etliche Silberkämme, und dann fielen ihr die goldblonden Locken auf die Schultern. »So ist es viel besser«, stieß sie atemlos aus und warf den Kopf in den Nacken.

Robert wusste nicht, wo er hinschauen sollte. Es war so ein intimer Akt.

In diesem Moment legte sich der Zug ganz unerwartet in eine Kurve, Lady de Iongh verlor das Gleichgewicht und saß plötzlich neben ihm.

Robert rutschte nervös auf seinem Sitz herum.

Sie machte keine Anstalten, wieder aufzustehen. Ihr Blick hielt ihn fest. Robert hatte das Gefühl, in ihren Augen zu ertrinken. »Schockiere ich Sie?«

»Ich … Nein, natürlich nicht.«

Sie lächelte. »Und ob ich das tue. Ich schockiere die meisten Menschen. Haben Sie von William Acton gehört?«

Robert zuckte zusammen. Der Wechsel des Themas beruhigte ihn keinesfalls. »Der Arzt?«

Alison nickte, und er sah fasziniert zu, wie ihr die Locken ins Gesicht fielen. »Er hat ein Buch geschrieben.«

»Tatsächlich?« Was hätte er sonst sagen sollen? Lady de Iongh sah ihn gespannt an. »Was für ein Buch?« Er wusste genau, was es für ein Buch war. Halb Großbritannien hatte es gelesen.

»Über Sex«, antwortete Alison unverblümt. »Der Mann behauptet, Damen von Rang hätten keine sexuellen Bedürfnisse.«

»Oh.« Robert griff sich an den Hemdkragen. Er fühlte sich plötzlich so eng an.

»Er irrt sich.« Sie legte eine Hand auf sein Knie und sah ihn erstaunt an, als er zusammenzuckte. »Der Earl ist viel in London unterwegs. Er ist wesentlich älter als ich. Selbst wenn er einmal zu Hause ist …« Sie hob viel sagend die Schultern. »Verstehen Sie?« Ein Hauch von Verzweiflung lag nun in ihrer Stimme.

Robert hörte es. »Ich … ich denke schon.« Sie ist Lornas Mutter, um Himmels willen!, dachte er, der Verzweiflung nahe.

»Finden Sie mich attraktiv?«

Darüber hatte er noch nie nachgedacht. »Sie sind sehr schön.«

Das Aufglimmen in ihren Augen erinnerte Robert an das einer zufriedenen Katze.

Jetzt oder nie, fuhr ihm durch den Kopf. Sein Herz hämmerte wild. Die Chance, etwas falsch zu machen, betrug fünfzig zu fünfzig, ganz gleich was er tat. Ihr Gesicht war ihm ganz nah. Das geöffnete Mieder enthüllte ihre üppigen milchig weißen Brüste. Robert spürte, wie seine Erregung wuchs. Zögernd beugte er sich vor, und sie öffnete die Lippen. Robert wagte es. Ihre Reaktion übertraf seine kühnsten Träume.

Alison de Iongh, Lady de Iongh, Comtesse de Iongh, Ehefrau eines Earls, eines Mannes, der ein respektiertes Mitglied des englischen Oberhauses war und Königin Victorias Vertrauen genoss, stieß einen kurzen Schrei aus, presste sich an ihn, schlang beide Arme um ihn und flüsterte mit rauer Stimme: »Du kannst mit mir machen, was du willst.«

Als der Zug an ihrem Ziel schließlich pfeifend und ruckelnd zum Stehen kam, befand sich Robert in einer Art Trancezustand. Alison hatte ihn erobert … Nein, nicht sein Herz. Die Vernunft und der Anstand sagten ihm, dass er mit dem Feuer spielte. Doch jegliche Besonnenheit war von einem grundlegenderen Bedürfnis zunichte gemacht worden – die Versuchung war einfach unwiderstehlich gewesen. Seine Rechtfertigungsversuche schienen so dürftig: Er war Lorna nicht untreu, sie würde für ihn immer unerreichbar sein; es war nur ein einziges Mal, der Earl würde es niemals herausfinden; es handelte sich offensichtlich nicht um Alisons erste außereheliche Begegnung und ganz sicher auch nicht um ihre letzte; und außerdem musste ein Mann ja schließlich irgendwie seine Erfahrungen sammeln.

Robert hatte erwartet, dass Alison sich in kühler Distanziertheit zurückziehen würde und es sich bei dem Vorfall um einen nie zu erwähnenden oder zu wiederholenden Akt handelte, daher war er überrascht und einigermaßen erschrocken, als er merkte, dass sie andere Vorstellungen hatte.

»Freitag«, flüsterte sie, ehe sie aus dem Zug stiegen. »Komm um elf nach Canongate.«

Freitag! Nur noch zwei Tage. Was sollte er nur tun?

Robert wusste, dass es falsch war, was er tat. Er war sich bewusst, dass die Bediensteten über sie tuschelten. Sie würden irgendwann erwischt werden. Aber es kümmerte ihn nicht. Alison war wie eine Droge, sie betäubte seine Sinne. Jedes Mal verließ er ihr Bett mit dem Schwur, nie wieder zurückzukehren, doch wenn der Zeitpunkt ihres nächsten Rendezvous’ heranrückte, wurde er ungeduldig und sehnsüchtig und konnte das Feuer des Verlangens, das in ihm brannte, einfach nicht verleugnen. »Nur noch ein einziges Mal«, sagte er sich wieder und wieder.

Schuldgefühle machten sich in seinem Herzen breit. Dennoch konnte er die Beziehung ebenso wenig beenden, wie er fliegen konnte.

Als Roberts Affäre mit Lady de Iongh einen Monat währte, wurde Lornas Verlobung mit dem Marquis von Dumfries bekannt gegeben. Lord Dumfries war ein Witwer ohne Erben. Er war ein mürrischer und humorloser Mann, der angrenzend an den Landbesitz der de Ionghs in Dumfries und Galloway riesige Ländereien besaß, und er war acht Jahre älter als Lornas Vater. Der Marquis hatte nicht einen einzigen Blick auf die junge Lady de Iongh geworfen, als er beschloss, sie zu ehelichen. Stattdessen hatte er dem Earl erklärt, dass die Verbindung zwischen ihren Familien sie beide stärken würde. Was ihn betraf, sollten aus der Eheschließung Erben hervorgehen, im Gegenzug würde Lorna den Status einer Marquise genießen. Ein perfektes Arrangement.

Ohne seine Tochter zu fragen oder wenigstens seine Frau, stimmte Lord de Iongh Lord Dumfries’ Vorschlag zu. Er war sinnvoll. Lorna würde den alten Mann um viele Jahre überleben. Mit etwas Glück würde sie zum Zeitpunkt seines Todes einen männlichen Nachfolger geboren haben, der das Anwesen und den Titel erbte. Solange er jung war, würden Lord de Iongh oder sein eigener Nachfolger, Charles, gehörigen Einfluss auf den Burschen haben und die Verwaltung beider Anwesen kontrollieren.

Lorna war entsetzt. »Nein, Papa, bitte. Er ist so alt.«

Als sie ihren Zukünftigen zum ersten Mal traf, war sie noch verzweifelter. Lord Dumfries hatte ein blasses, knochiges Gesicht mit stechenden Augen und blutleeren Lippen. Er war nicht besonders groß, seine Beine waren seltsam gekrümmt. Er hatte in Lornas Augen etwas Reptilienhaftes. Der Marquis ging nicht auf Lornas Einwände ein, sondern verkündete laut und grob, dass sie alle Eigenschaften einer exzellenten Zuchtstute habe.

Lornas Mutter, die gleichermaßen entsetzt darüber war, dass ihr Mann sich so sehr über die Wünsche ihrer Tochter hinwegsetzte, versuchte verzweifelt, das Mädchen, mittlerweile nach Edinburgh zurückgekehrt, zu trösten und setzte so unbewusst etwas in Gang, das weit reichende Folgen haben würde. »Beruhige dich doch, liebes Kind. Es geht vielen Frauen so wie dir. Schenk dem alten Wrack ein Kind und sieh dich woanders nach Liebe und Vergnügen um.«