Das Gold von Afrika - Beverley Harper - E-Book
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Das Gold von Afrika E-Book

Beverley Harper

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Beschreibung

Spannung, Romantik und Abenteuer vor beeindruckender Landschaft - willkommen in Beverley Harpers Afrika!

Auf der Suche nach ihrem verschollenen Vater reist die Geologin Lana nach Malawi, Afrika. Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben, ihn lebend wiederzusehen. Vor Ort lernt sie den attraktiven englischen Diplomaten Tim Gilbey kennen, der ihr bei den Nachforschungen hilft. Je tiefer Lana bei ihrer Spurensuche in die Vergangenheit eintaucht, umso näher kommt sie auch Tim. Doch schon bald merkt sie, dass sie sich auf ein gefährliches Unternehmen eingelassen hat: Sie wird verfolgt, absichtlich auf falsche Fährten gelockt und sogar überfallen. Offenbar versucht jemand zu verhindern, dass Lana das Verschwinden ihres Vaters aufklärt - um jeden Preis ...

Dieser Roman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Das Gold von Malawi" erschienen.

Für alle Fans von romantischen, mitreißenden Schmökern vor exotischer Kulisse gibt es weitere Afrika-Romane von Beverley Harper als eBook bei beHEARTBEAT, z.B. "Sonne über dunklem Land".

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Seitenzahl: 510

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INHALT

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungKarteKAPITEL EINS - Die Insel Likoma – 1694KAPITEL ZWEI - Am nördlichen Njassasee – 1887KAPITEL DREI - London – Februar 1983KAPITEL VIER - Malawi – März 1983KAPITEL FÜNF - Malawisee – Mai 1983KAPITEL SECHS - London – Mai 1983KAPITEL SIEBEN - London – GegenwartKAPITEL ACHTKAPITEL NEUNKAPITEL ZEHNKAPITEL ELFKAPITEL ZWÖLFKAPITEL DREIZEHNKAPITEL VIERZEHNKAPITEL FÜNFZEHNKAPITEL SECHZEHNKAPITEL SIEBZEHNKAPITEL ACHTZEHNKAPITEL NEUNZEHNKAPITEL ZWANZIGDANKSAGUNG

Über dieses Buch

Spannung, Romantik und Abenteuer vor beeindruckender Landschaft – willkommen in Beverley Harpers Afrika!

Auf der Suche nach ihrem verschollenen Vater reist die Geologin Lana nach Malawi, Afrika. Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben, ihn lebend wiederzusehen. Vor Ort lernt sie den attraktiven englischen Diplomaten Tim Gilbey kennen, der ihr bei den Nachforschungen hilft. Je tiefer Lana bei ihrer Spurensuche in die Vergangenheit eintaucht, umso näher kommt sie auch Tim. Doch schon bald merkt sie, dass sie sich auf ein gefährliches Unternehmen eingelassen hat: Sie wird verfolgt, absichtlich auf falsche Fährten gelockt und sogar überfallen. Offenbar versucht jemand zu verhindern, dass Lana das Verschwinden ihres Vaters aufklärt – um jeden Preis …

Über die Autorin

Beverley Harper, geboren in Australien, reist mit sechsundzwanzig Jahren nach Afrika, wo sie ein Jahr bleiben wollte. Es wurden fast zwanzig Jahre, die sie in Botswana, Malawi und Südafrika verbrachte, bevor sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen wieder nach Australien zog. Beverley Harper starb 2002 in Beverley Hills. Ihre Asche wurde nach Afrika gebracht.

Beverly Harper

Das Gold vonAfrika

Roman

Aus dem Englischen von Karin Dufner

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1998 by Beverley Harper

Titel der englischen Originalausgabe: »Echo of an Angry God«

Originalverlag: Macmillan/Pan Macmillan Australia Pty Limited

Published by Arrangement with Robert Harper

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2011/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieser Roman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel »Das Gold von Malawi«

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Derek R. Audette | Volodymyr Burdiak | Galyna Andrushko | Syda Productions | EcoPrint

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-5975-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Dieses Buch ist meiner Familie gewidmet,

insbesondere Mona und Fairy

Außerdem widme ich es dem Gedenken an

Debbie Gange-Harris

EINS

Die Insel Likoma – 1694

Die dunkle Wasserfläche war fast spiegelglatt. Am Ufer schwankte das Schilf träge im Wind. Ein Fischadler stieß einen schrillen, wilden Ruf aus, der von seiner Gefährtin erwidert wurde. Es war schwül, und Spannung lag in der Luft. Winzige Wellen plätscherten lautlos an den Strand. Im weißen Sand hinterließen sie Spuren, die kaum länger waren als der kleine Finger einer Männerhand.

Der Strand wurde durch runde, glattgeschliffene Sandsteinfelsen von einer kleinen Bucht abgetrennt. Es war ihnen noch anzusehen, dass sie sich früher einmal unterhalb des Wasserspiegels befunden hatten. Im Licht der Abenddämmerung wirkte das Wasser seidig und schwarz, durchzogen von den silbrigen Strudeln verborgener Strömungen.

Diogo Pedago war kein Feigling. Mit seinen achtunddreißig Jahren hatte er schon viele Schlachten geschlagen. Regelmäßig reiste er ins größtenteils unerforschte afrikanische Hinterland, in das kaum ein Mann einen Fuß zu setzen wagte. Er hatte Afrikas schroffe, unberechenbare Küste umschifft, Männer an Krankheiten und Schlangenbissen zugrunde gehen sehen und miterlebt, wie sie im Kampf fielen. Diogo wusste, dass auch er gegen die Fügungen des Schicksals machtlos war, aber für ihn war das Leben eine Folge von Herausforderungen, denen es sich zu stellen galt. Für Reue oder gar Selbstvorwürfe hatte er ebenso wenig Verständnis wie für Hasenfüße und Muttersöhnchen. Seiner Auffassung nach war jeder seines Glückes Schmied, und er war überzeugt davon, gegen jedes Leid gefeit zu sein.

Doch in dieser tiefschwarzen Nacht sollte Diogo Pedago Zeuge eines Ereignisses werden, das ihn in Angstschweiß ausbrechen ließ.

König Lundu war eine imposante Erscheinung, ein Mann, dessen Alter man nur schwer schätzen konnte. Er trug seine Macht mit einer fast übertriebenen Würde und duldete, wie seine Untertanen sehr wohl wussten, keinen Widerspruch. Durch die Fettwülste unter seinem Kinn, an seinen Armen und Beinen und an seinem Bauch wirkte sein nahezu unbehaarter Körper massig und ehrfurchtgebietend. Für seine Untertanen war sein Leibesumfang ein Zeichen gewaltiger Körperkräfte und außergewöhnlichen Mutes. Über sein kleines Reich herrschte er wie alle Könige dieser Zeit – Angst, Gehorsam und rückhaltlose Verehrung waren die Voraussetzungen dafür, am Leben zu bleiben.

Auf ein Zeichen des Königs hin wurden Fackeln entzündet. Ihr flackerndes Licht fiel auf das tiefschwarze Wasser der Bucht und ließ die Schatten derer, die sich um König Lundu versammelt hatten, auf den Felsen tanzen. Auch das große Lagerfeuer oben auf dem Hügel wurde entfacht. Die hoch emporzüngelnden Flammen waren noch auf dem Festland zu sehen. Diogo Pedago erschauderte, obwohl der Abend warm war. Grausiger als das, was gleich geschehen würde, konnte der Tod nicht sein.

Ng’ona hatte die Flammen auch bemerkt. Er lauerte drei Meter unter der Wasseroberfläche, schlug mit dem Schwanz und schwamm im Kreis herum. Seinem kleinen Reptiliengehirn war klar, was das bedeutete: Nahrung. Er wartete. Beim ersten Platschen würde er nach oben schießen und den Körper des Opfers um die Mitte packen wie ein Vogel, der einen Fisch im Schnabel trägt. Er würde sich hintenüberwälzen, auf den Grund des Sees hinabtauchen und seine Beute so lange umklammern, bis sie die sinnlosen Fluchtversuche aufgab. Dann erst würde Ng’ona zu der Stelle hinübergleiten, an der er seine Vorräte aufbewahrte, und die Leiche dort für einige Tage lagern, bis der Verwesungsgeruch ihm verriet, dass sie zerrissen und verschlungen werden konnte.

Diogo Pedago warf einen Blick auf den stolzen, kraftstrotzenden jungen Mann, der das Opfer sein würde. Seine Muskeln spielten im Schein des Feuers unter der tiefschwarzen, schimmernden Haut. Aufrecht und hoch erhobenen Hauptes stand er da. Sein Schicksal war besiegelt, und es blieb ihm nichts, als in Würde zu sterben. Als Diogo das leichte Zittern des Mannes bemerkte, überlegte er, was in diesem Moment wohl in dessen Kopf vorging. Würde er von selbst springen? Oder würde man ihn ins Wasser werfen müssen? Bei seinem Volk war ein Mann, der als Feigling starb, bis in alle Ewigkeit zu einem Geisterdasein verdammt. Obwohl Diogo Mitleid mit anderen eigentlich fremd war, empfand er es als Verschwendung, einen guten, kräftigen Krieger wie diesen Mann zu töten.

Dem Portugiesen Diogo Pedago rann der Schweiß übers Gesicht, doch er wagte nicht, ihn abzuwischen, denn es würde nicht unbemerkt bleiben, wenn er Schwäche zeigte. Für die Eingeborenen war der Mut eines Mannes von großer Bedeutung. Dass Diogo die Opferung des bedauernswerten Kriegers miterleben sollte, war gewiss eine Prüfung. Er war auf die Hilfe des Königs stärker angewiesen als dieser auf seine, und deshalb zwang er sich, nicht auf seine brennenden Augen und die Moskitostiche zu achten.

Um sich abzulenken, überlegte Diogo, warum der König ausgerechnet diesen Mann als Opfer ausgewählt hatte. Die Entscheidung schien ganz beiläufig gefallen zu sein, als Antwort auf Diogos Frage: »Besteht Gefahr?«. Daraufhin hatte der König mit den Fingern geschnippt, und der Krieger war, ohne zu zögern, vorgetreten. Der junge Mann hatte keine Miene verzogen, als der König ihm befahl zu sterben.

Ein unheilvoller Trommelwirbel kündete davon, dass sein Tod nicht mehr fern war.

Ng’ona, der drei Meter unter der Wasseroberfläche verharrte, spürte die dumpfen Trommelschläge. Träge schwamm er im Kreis herum. Das, was man ihm hin und wieder vorwarf, war leichte Beute und ihm weder an Kraft noch an Geschwindigkeit ebenbürtig. Mit seiner Länge von fünfeinhalb Metern war er stark genug, ein Rhinozeros zur Strecke zu bringen, und so schnell, dass er im Notfall eine ausgewachsene Antilope erlegen konnte. Er war hundertvierundsechzig Jahre alt, mit ein wenig Glück würden ihm noch weitere fünfzig bis sechzig Jahre beschieden sein. Und er konnte mit einem langen Leben rechnen, denn niemand hätte auch nur daran zu denken gewagt, ihm etwas anzutun. Es hieß, er sei der Geist von König Lundus Urgroßvater, der in Gestalt eines Krokodils auf die Erde zurückgekehrt sei, um seinen Urenkel und dessen Getreue zu schützen. Er lebte in einer Höhle unter dem Wasser, herrschte über die kleine Bucht und den umliegenden See und wurde wegen seiner Größe und Kraft gefürchtet, geachtet und verehrt.

Diogo sah zu dem Felsen hinüber. Der Krieger stand allein und unbewacht da. Sicher, der Mann hätte fliehen können, aber wohin? Die Insel Likoma war acht Kilometer lang und nur knapp vier Kilometer breit. Bis zum Festland waren es dreizehn Kilometer. Diogo vermutete, dass der Mann, wie die meisten von König Lundus Untertanen, kaum schwimmen konnte.

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, rosiger Feuerschein spiegelte sich im glatten, schwarzen Wasser. König Lundu erhob sich langsam von seinem Lebensthron. Die Schlange auf seiner mit Perlen verzierten Krone schien im flackernden Licht zum Leben zu erwachen. Hinter ihm bliesen Musiker auf ihren siwas – kunstvoll geschnitzten, in verschiedenen Tonarten gestimmten Elfenbeinhörnern – eine laute, klagende Melodie zu dem Klang der Trommeln. Die Todesbotschaft hallte durch die Nacht. Als der König den Arm hob, trat schlagartig beklommenes Schweigen ein.

Diogo Pedago sah, wie der Mann auf dem Felsen sich zum Sprung bereitmachte. Ohne sich noch einmal nach seiner Familie umzublicken und ohne ein letztes Wort vollführte er einen hohen Sprung, als wolle er den letzten schrecklichen Moment noch hinauszögern. Dann stürzte er sich mit den Füßen zuerst in die schwarze Umarmung des unermesslichen Grauens. Er ging unter, tauchte sofort wieder auf und versuchte, langsam auf die Küste zuzuschwimmen. Seine unbeholfenen Bewegungen zeigten, dass er sich kaum über Wasser halten konnte. Ng’ona packte ihn so heftig um die Mitte, dass beide, Mensch und Tier, fast zwei Meter emporgeschleudert wurden. Schaum spritzte über die lange Schnauze und die gelben Schlitzaugen des Krokodils. Diogo beobachtete, wie der Mann in Todesangst die Augen weit aufriss, als der Schmerz ihn fasste und ihm klar wurde, dass sein Leben unwiderruflich zu Ende war. Noch einen letzten Blick konnte Diogo auf den jungen Mann erhaschen, bevor das Krokodil sich herumwälzte und mit einem fast anmutigen Schwanzschlag verschwand. Flackernder Fackelschein tanzte auf dem Wasser der Bucht. Kurz darauf lag der See wieder spiegelglatt da, so als hätte es nie einen Toten und ein Krokodil gegeben.

Wortlos nahm König Lundu auf seinem Lebensthron Platz, und die sechs Träger hoben die Sänfte vorsichtig an, um ihn nicht zu verärgern. Der König musste die achtundfünfzig steilen, schmalen Stufen, die man in den Fels gehauen hatte, hinaufgetragen werden. Sie führten vom Strand unmittelbar in den größten seiner fünf Höfe oben auf dem Hügel. Die jungen Männer mussten mit größter Sorgfalt zu Werk gehen, damit ihr Herrscher nicht durchgerüttelt wurde oder aus der Sänfte fiel. Ihnen folgten die Priester und Ältesten und Diogo als Ehrengast. Die übrigen Dorfbewohner hielten ehrfürchtig Abstand. Die Familienmitglieder des toten Kriegers gingen als Letzte in der Reihe.

Lampen in Hunderten von Felsnischen beleuchteten den Weg. König Lundus Höfe erstreckten sich bis zum Macholo, dem höchsten Punkt der Insel, und waren ein beeindruckendes Zeugnis der Baukunst und Steinmetzarbeiten seines Volkes. Nachdem die Träger den Aufstieg bewältigt hatten, trugen sie den König über den Audienzhof und eine Arkade entlang. Am Eingang eines seiner Empfangssäle wurde die Sänfte behutsam heruntergelassen. Höflinge traten vor, um den Lebensthron und auch die Schwerter und Sonnenschirme zu entfernen, die der König stets mit sich führte. Während sie die Gegenstände an ihren Platz schafften, wartete Diogo unter der Arkade. Inzwischen war auch sein Übersetzer gekommen.

Der König winkte Diogo zu sich und betrat den Empfangssaal, wo er sich umrahmt von Priestern, Ältesten und Soldaten niederließ. Er wartete ab, bis Diogo und der Übersetzer vor ihm Platz genommen hatten. »Bist du zufrieden?«

»Ja, Allerheiligster. Der Schatz ist sicher.«

»Und wie ist dieser Schatz in deine Hände geraten?«

Der König war allein von der Masse der Halsketten, Schnitzereien, Schalen und Kultgegenstände verschiedenster Formen und Größen beeindruckt gewesen. Einige davon bestanden aus massivem Gold, andere aus vergoldetem Holz. Diogo hatte den gesamten Frachtraum seines Schiffes damit füllen können. Ein zweites Schiff war mit Getreide, Stoffen, Perlen, Elfenbein, lebenden Tieren und Rumfässern beladen – alles Geschenke für den König.

Schon früher hatte Diogo Geschäfte mit dem König getätigt. Bis zum letzten Jahr hatten seine Schiffe rechtmäßig erworbene Handelsware transportiert – Drahtspulen aus Eisen, Kupfer, Bronze und Gold, Blattgold, Goldperlen, goldene, bronzene und kupferne Ketten, Armbänder und Masken, Kupferbarren, kupferne Schmuckstücke, Gongs aus Metall, Statuetten und Schnitzereien, Geschirr aus Speckstein und sogar goldene Werkzeuge. Er hatte von Sofala an der Ostküste bis zum Sambesi im Landesinneren Handel getrieben. Dann war er nach Süden zu den Märkten am Limpopo und am Sabi und nach Groß-Simbabwe im Norden gereist und hatte schließlich den großen See zur Insel Likoma überquert, wo der König seine Waren im Austausch gegen Geschenke für ihn lagerte. Zu guter Letzt wurden die Gegenstände von Sklavenschiffen, die nach Osten fuhren, nach Kilwa und Sansibar geschafft.

Im vergangenen Jahr jedoch hatte der Mambo, der Herrscher von Groß-Simbabwe, sämtliche portugiesischen Händler aus seinem Königreich verbannt. In seiner Säuberungsaktion hatte er auch den Munhu Mutapa und seine Gefolgsleute, die Shona, von der Hochebene vertrieben und sein eigenes Shona-Reich für das Volk der Rozvi gegründet. Die Portugiesen waren zwar auf den Märkten des Munhu Mutapa im Norden immer noch willkommen, doch die goldreiche Hochebene von Groß-Simbabwe war nun für sie verbotenes Gebiet. Eine Weile hatten sich die Portugiesen – so auch Diogo – afrikanischer Zwischenhändler, der Vashambadzi, bedient. Allerdings hatte sich diese Lösung als wenig zufriedenstellend erwiesen, denn für die Vashambadzi war der Handel nur ein Nebenerwerb, sie beschäftigten sich den Großteil des Jahres mit Ackerbau und Viehzucht.

Wie Diogo Pedago wusste, war dem König durchaus klar, dass er durch regulären Handel nie in Besitz dieser Schätze gekommen wäre. Die sprechenden Trommeln Afrikas – ausgehöhlte Baumstämme, bis zu zwei Meter lang, anderthalb Meter dick und im Umkreis von etwa dreißig Kilometern zu hören – hatten ihn binnen Stunden vom Beschluss des neunhundert Kilometer entfernten Mambos in Kenntnis gesetzt. Diogo war ein vorsichtiger Mann. Im unberechenbaren Afrika hatte so mancher Ausländer nur wegen einer unbedachten Bemerkung sein Leben lassen müssen. Er überlegte, wie viel er dem König verraten durfte. In der Vergangenheit war Lundu stets ein zuverlässiger Geschäftspartner gewesen, doch was würde er sagen, wenn Diogo einen Diebstahl zugab? Der König sah ihn abwartend an. Und da Diogo die Vorliebe Lundus und seines Volkes für gute Geschichten kannte, blieb er bei der Wahrheit.

»Der Mambo der Rozvi ist kein Freund der Portugiesen«, begann er. »Im letzten Jahr hat er uns verboten, mit ihm Handel zu treiben.« Diogo spuckte aus. »Er befürchtet, wir könnten ihm sein Königreich wegnehmen.«

König Lundu nickte. »Davon habe ich gehört. Er will mehr Macht.«

»Und dabei schafft er sich Feinde. Sei auf der Hut, Allerheiligster, denn er betrachtet sich als Herrscher über alle Länder Afrikas.«

Der König runzelte die Stirn.

»Wir Portugiesen machen seit Jahrhunderten hier Geschäfte«, fuhr Diogo fort. »Und haben wir etwa versucht, dir das Land wegzunehmen?«

»Der Munhu Mutapa ist nichts weiter als eine Marionette der Portugiesen«, entgegnete der König mit unbewegter Miene.

Diogo musste König Lundu zugestehen, dass er sehr gut unterrichtet war. »Es ist wahr, wir haben dem Munhu Mutapa geholfen und würden auch dem Mambo gern helfen.«

König Lundus fetter Wanst wabbelte, als er sich eine bequemere Sitzposition suchte. »Dann ist der Mambo ein Narr, der nichts für sein Volk tut«, erwiderte er leichthin.

Diogos Hoffnung wuchs. Offenbar würde es den König nicht kümmern, dass der Schatz gestohlen war. »Du bist äußerst weise, Allerheiligster. Der Mambo hat eine Lektion erhalten, die er nicht vergessen wird. Groß-Simbabwe hat keine Schätze mehr, und es war nicht schwer, sie ihm abzunehmen.«

König Lundu zuckte gleichmütig die Achseln. »Warum auch nicht? Sie bauen ihre Städte, ohne an die Verteidigung zu denken. Ein Kind könnte ihnen die Schätze rauben.«

Vorsicht, dachte Diogo. Pass auf, dass er nicht den Respekt vor dir verliert. »Du hast recht, Allerheiligster, selbst ein Kind könnte ihnen die Schätze rauben.« Er hielt inne und fügte dann schlau hinzu: »Aber ein Kind könnte der Rache der Rozvi nicht entgehen. Viele Männer sind beim Kampf ums Leben gekommen. Zum Glück waren es hauptsächlich Rozvi.«

»Sprich«, befahl der König.

Diogo machte eine dramatische Pause und fuhr dann fort. »Die Nacht war dunkel, Allerheiligster. Der Mond war jung und noch nicht aufgegangen. Wir haben uns in den Bäumen vor der großen Festung verborgen und gewartet, bis es still wurde.«

»Wie viele wart ihr?«

»Ich hatte fünfundzwanzig Männer. Und wir hatten noch fast zweihundert Nguni mitgebracht«, fügte er hinzu. Das war der Stamm, zu dem der König selbst gehörte.

Lundu verzog höhnisch das Gesicht. »Dann wart ihr ebenso stark wie der Gegner.«

»Nur um die Schätze zu tragen, Allerheiligster. Die Nguni sind nicht mit uns in Groß-Simbabwe eingedrungen.«

Endlich schien der König beeindruckt.

»Der Schatz befand sich im Turm des Mambo. Wir haben die vier Wachen getötet und alles mitgenommen. Meine Männer und ich sind unzählige Male zwischen Groß-Simbabwe und unserem Versteck hin- und hergelaufen. Niemand hat uns gesehen oder gehört.« Diogo gestattete sich den Anflug eines selbstzufriedenen Lächelns. »Als der Mond aufging, waren wir schon wieder fort.«

»Und der Kampf?«

»Ach, Allerheiligster, es war ein gewaltiges Gemetzel. Vier Tage später, als wir uns dem Sambesi-Fluss näherten, holten die Rozvi uns ein. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, war keiner von ihnen mehr am Leben. Der Fluss war rot von ihrem Blut. Von den Ngoni sind nur zwei Dutzend gefallen.« Diogo erwähnte nicht, dass dreihundert Krieger des Munhu Mutapa ihnen zur Hilfe gekommen waren. Er verließ sich darauf, dass so eine unwichtige Einzelheit dem König nicht zu Ohren gekommen war. Und König Lundus Worte bestätigten diese Vermutung.

»Das ist gut. Und nun segelst du nach Malindi?«

»Am Morgen«, entgegnete Diogo. »Der Schatz bleibt hier, bis für den Transport nach Kilwa gesorgt ist. Ich werde dir Nachricht geben.«

Das Geschäft war unter Dach und Fach, die Geschichte erzählt, und die beiden Männer hatten sich nicht mehr viel zu sagen. Nachdem der König den Empfangssaal verlassen hatte, begab Diogo sich in die Gästeunterkunft.

Drei Tage später brach ein heftiger Sturm los, der die Wogen des Sees aufpeitschte. Diogo Pedagos Schiff sank vor der felsigen Küste von Makanjira Point und riss die gesamte Besatzung mit in den Tod. König Lundu, der auf Nachricht von ihm wartete, vergaß den Schatz bald. Für ihn besaß er keinen Wert, und außerdem wütete in seinem kleinen Königreich die Malaria. Der König und achtzig Prozent seines Volkes erlagen der Krankheit. Die Überlebenden verließen die kleine Insel Likoma und siedelten aufs Festland über. Die riesige Festung, die ihr Zuhause gewesen war, fiel dem wuchernden Busch, den Ameisen und der Witterung zum Opfer. Im Jahr 1886, fast zweihundert Jahre später, als die anglikanische Kirche in ihrer Weisheit beschloss, auf Likoma eine Kathedrale zu errichten, waren sämtliche Spuren von König Lundu und seinem Volk bereits verschwunden. Eine Ironie des Schicksals wollte es, dass die St. Peter Kathedrale in Chipyela erbaut wurde, also genau auf dem Verbrennungsplatz oberhalb des Strandes, von dem aus Diogo Pedago die Hinrichtung des jungen Kriegers beobachtet hatte. Die anglikanische Kirche wollte damit die finstere Vorgeschichte dieser Insel durch gute Werke ungeschehen machen.

Ng’ona lebte weitere dreiundsechzig Jahre. Die Fütterungen durch König Lundu hörten zwar auf, doch im großen See wimmelte es von Fischen. Zufällig starb Ng’ona zu der Zeit, als die Insel wieder besiedelt wurde, diesmal von Fischern vom Stamm der Nguni. Dennoch mieden die Menschen die Bucht, über die einst das große Krokodil geherrscht hatte. Im Jahr 1871 ließ sich wieder ein Krokodil in der Bucht nieder, das allerdings viel kleiner als Ng’ona war. Die geschützte, von Schilf gesäumte Bucht und die geräumige, trockene Höhle, in der sich merkwürdige goldene Gegenstände türmten, eigneten sich großartig als Unterschlupf.

ZWEI

Am nördlichen Njassasee – 1887

Die Frau wusste, dass sie sterben musste. Und ihr war auch klar, dass sie schon zuvor wegen der unbeschreiblichen Qualen den Verstand verlieren würde.

Das heisere Fauchen des Leoparden, der nach einer Gefährtin suchte, war ganz nah. Bedrohlich drang das angsteinflößende Knurren durch die warme afrikanische Nacht. Doch es war nicht die große Katze, die die Frau und den Mann, der neben ihr stand, erstarren ließ.

Geflochtene Mauern aus Pflanzenfasern, verstärkt mit festgestampftem Schlamm aus dem Fluss, umgaben den Hof des Nganga, der von einem gespenstisch flackernden Feuer erhellt wurde. Und hinter diesen Mauern dröhnte das mapondela wie eine Totenglocke, während der Stößel des Mörsers die giftige Rinde des Mwavibaums in einem Gefäß zerstieß.

Angst hatte sich bleischwer über die gesenkten Köpfe der Angehörigen von Häuptling Mbeyas Volk gelegt. Angst vor dem Unbekannten, vor den Zauberkräften des Nganga und davor, auch eines Tages verurteilt zu werden wie der Mann und die Frau, die neben dem Feuer warteten. Denn die Angst beherrschte das Volk der Nkonde und sorgte dafür, dass es nicht aufbegehrte. Wer gegen die Regeln verstieß oder der Gemeinschaft nicht mehr nützlich war, hatte allen Grund, um sein Leben zu fürchten.

Die Dorfbewohner standen dicht gedrängt um die Angeklagten herum. Sie hatten eine Gasse freigelassen, durch die der Nganga treten konnte, wenn er aus seiner Hütte kam. Die Frau versuchte, ihre zitternden Hände ruhig zu halten.

Das hämmernde Geräusch jenseits der Mauer verstummte schlagartig. Ein beängstigendes Schweigen folgte. Dann stimmten die Trommeln einen grausigen Totengesang an und verbreiteten die Nachricht von der Sünde der Frau von Dorf zu Dorf, bis in ganz Zentralafrika bekannt war, dass wieder einmal eine Hexe auf die Probe gestellt werden sollte. Obwohl die Frau zu Boden blickte, spürte sie, dass der Medizinmann aus seiner Hütte gekommen war. Die warme Nachtluft wurde eiskalt, und eine Gänsehaut überlief die Verurteilte.

»Du darfst meine Heiligkeit ansehen.« Der Nganga hatte die brüchige Stimme eines Greises.

Die Frau hob den Kopf. Eine abscheulich grinsende Hyänenmaske bedeckte das Gesicht des Medizinmannes, im flackernden Feuerschein schien sie zu zucken. Der rhythmische Trommelschlag erreichte einen Höhepunkt und brach dann plötzlich ab. Bis auf das Knurren des Leoparden, der durch die Nacht schlich, war es totenstill. Der Nganga kauerte sich vor der Angeklagten auf den Boden. Die Affenschwänze, die er als Schutz vor bösen Geistern an einem Kupferdraht um die Taille trug, breiteten sich kreisförmig um ihn herum aus.

Er öffnete einen Beutel aus Pavianleder, schüttete die zerstoßene Mwavirinde auf ein Bananenblatt und spuckte Harz des gleichen Baumes darauf. Die Rinde war giftig, das Harz jedoch nicht, doch nur der Nganga wusste das. Dann nahm er das Nyalahorn, das er an einer dünnen Kordel um den Hals trug, und gab daraus eine ordentliche Prise Eulen- und Hyänenkot dazu. Mit den Fingern mischte er eine klebrige Paste, strich das tödliche Gemisch in zwei derbe Lehmgefäße und verdünnte das Ganze mit Wasser.

Als das Gift bereitet war, erhob er sich und betrachtete mit ernster Miene die zwei verängstigten Menschen, die reglos vor ihm verharrten. Dann begann er seinen Prüfungstanz, in den er sich steigerte, bis ihm der Schaum vor dem Mund stand. Wenn er sich in Trance versetzt hatte, würde er mit dem Finger anklagend auf einen oder gar beide der zitternden Verdächtigen zeigen.

Der Tanz dauerte quälende fünfundzwanzig Minuten, und es sah fast so aus, als würde der Nganga vor Erschöpfung zusammenbrechen. Schließlich stieß er einen markerschütternden Schrei aus und deutete mit dem Finger auf den Mann und die Frau. Er hatte ihre Schuld gewittert, und nun war es an ihnen, das Gegenteil zu beweisen.

Niemandem war aufgefallen, dass das eine Gefäß eine viel größere Dosis Gift enthielt als das andere. Denn der Medizinmann war schlau und wollte vermeiden, dass der Mann starb. Gestern war er zwar dem Hof des Nganga zu nah gekommen, doch ein kräftiger junger Bursche wie er konnte dem Volk noch viele Jahre nützlich sein. Die Frau hingegen wurde nicht mehr gebraucht. Sie hatte keinen Mann, der für sie sorgte, und auch keine Eltern und Geschwister. Ihre fünf kleinen Kinder mussten ernährt werden, und deshalb waren sie und ihre Familie für das Dorf nur eine Last. Wenn sie ein wenig umgänglicher gewesen wäre, hätte sie vielleicht einen neuen Mann gefunden, doch sie war wegen ihrer scharfen Zunge unbeliebt. Außerdem musste wieder einmal jemand sterben, damit die Dorfbewohner den Gehorsam nicht verlernten. Beschuldigte der Medizinmann beide Angeklagte der Hexerei, konnte er die Frau unter einem ausgezeichneten Vorwand loswerden und gleichzeitig sein Ansehen

bestätigen.

Die Macht des Nganga war grenzenlos, und niemand stellte sie in Frage. Er herrschte durch Omen, Träume und strenge Verhaltensregeln. Kein Mensch hätte gewagt, ihm zu widersprechen. Die zwei Steine aus dem Fluss, die man in der Hütte der Frau gefunden hatte, waren Beweis genug, dass sie eine Hexe war. Mehr brauchte es nicht.

In großen Dosen verabreicht, führte das Gift zu heftigem Erbrechen, das als Zeichen der Unschuld gewertet wurde. Eine geringe Menge des Giftes verursachte hingegen qualvolle Krämpfe und wirkte stets tödlich.

Der Nganga gab der Frau das Gefäß mit der kleineren Portion.

Mit zitternden Händen führte sie es an die Lippen und trank das übelriechende Gebräu. Die Trommeln begannen wieder zu schlagen. Alle warteten reglos und schweigend. Dann fing der Mann an, sich zu übergeben, und die Frau wusste, was ihr bevorstand. Einer musste immer sterben. Als der erste schmerzhafte Krampf sie ergriff und ihre Glieder zu zucken begannen, drängten die Dorfbewohner heran und überhäuften sie mit Beschimpfungen und Schlägen. Bevor der Todeskampf alle Gedanken auslöschte, sah sie noch, wie ein halbes Dutzend Krieger ihre Hütte stürmte, um ihre Kinder zu töten.

Die übersinnlichen Fähigkeiten des Nganga waren seit unzähligen Generationen vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben worden. Er hatte zwar keine Skrupel, Täuschungsmanöver anzuwenden und die meisten Zeremonien wie ein Spektakel zu inszenieren, aber er besaß tatsächlich das zweite Gesicht. Und wegen dieser Begabung und seiner eindrucksvollen Darbietungen wurde er nicht nur von seinem Volk, sondern auch in den umliegenden Dörfern gefürchtet und verehrt.

Drei Tage nach der Hinrichtung der »Hexe« wurde die schreckliche Prophezeiung wahr, die er in jener Nacht gemacht hatte.

Ferig saß mit einigen anderen Ehefrauen im Schatten einer gewaltigen Platane. Immer wieder blickte sie ängstlich, ehrfürchtig und auch ein wenig angewidert von der Matte auf, die sie gerade flocht, und betrachtete den seltsam aussehenden Mann, der ins Dorf gestürmt war und unbedingt mit dem Häuptling sprechen wollte. Sie fragte sich, wie der Medizinmann das hatte vorausahnen können.

»Ich hatte eine furchtbare Vision«, hatte er verkündet, die Maske abgenommen und die Dorfbewohner, die die zuckende Frau auf dem Boden umringten, durchdringend angeschaut.

Ferig schauderte. In seiner letzten Vision hatte er Tod durch Wasser prophezeit. Vier Tage später war der Fluss über die Ufer getreten. Zwölf Menschen waren ertrunken.

»Sicher habt ihr schon von den Männern gehört, deren Haut so weiß ist, dass sie in der Sonne verbrennt.« Der Nganga klapperte mit den drei Stäben in seiner Hand, um sich und die anderen vor dem Bösen zu schützen, das vom weißen Mann ausging. »So ein Mann wird bald hierherkommen. Er wird uns vor Gefahren für das Land der Nkonde warnen.«

Häuptling Mbeya, der sich ebenso vor dem Medizinmann fürchtete wie der Rest des Stammes, trat vor. Nie traf er einen wichtigen Entschluss, ohne zuerst den Nganga zu Rate zu ziehen. »Was will dieser Mann von uns?«

»Er wird uns auffordern, in das große Dorf zu gehen, in dem er wohnt, und behaupten, uns schützen zu können.«

Die Männer scharrten verdrießlich mit den Füßen. Sie brauchten den Schutz des weißen Mannes nicht.

»Und was soll ich ihm antworten?«

»Du bist der Häuptling. Du wirst ihm das antworten, was dein Herz dir sagt.« Damit hatte Nganga die Verantwortung abgegeben. Wenn Häuptling Mbeya sich richtig entschied, würde es heißen, der Nganga habe es so gewollt. Entschied der Häuptling sich falsch, hatte er allein die Folgen zu tragen. Ganz gleich, wie die Sache ausging, dem Ruf des Nganga konnte es nicht schaden. Außerdem hatte er die Dorfbewohner weggeschickt, bevor der Häuptling Zweifel äußern konnte.

Und nun war ein weißer Mann ins Dorf gekommen, wie der Nganga es verkündet hatte.

Für die wenig welterfahrenen Bewohner des abgelegenen Dorfes war Monteith Fotheringham tatsächlich ein merkwürdiger Anblick. Sein Gesicht hatte dieselbe Farbe wie sein struppiger, roter Bart. Sonst konnte Ferig nur die Haut seiner Hände sehen, die Kuheutern ähnelten, und sie fragte sich, ob wohl Milch herausspritzen würde, wenn man die Finger drückte. Seinen Körper hatte der Fremde in die Häute von Tieren gehüllt, die Ferig noch nie gesehen hatte – sie erkannte nicht, dass es sich um Stoff handelte. Ein sehr merkwürdiges Tier musste das sein, dachte sie, das die Farbe von Feuer und Milch hatte.

Ferig selbst trug nichts weiter als einen kurzen Lendenschurz aus Rinde wie die anderen Frauen auch. Die Kleidung der Männer bestand nur aus einem Kupferdraht um die Taille. Was mochte der weiße Mann nur zu verbergen haben, dass er sich von Kopf bis Fuß einwickeln musste?

Die Wankonde, die zum Stamm der Nkonde gehörten, lebten in kleinen Dörfern verstreut auf einer fruchtbaren Ebene, welche sich vom großen Wasser aus nach Norden, Süden und Westen bis hin zum südlichen Ende des Großen Grabens von Afrika erstreckte. Einige von ihnen siedelten am Ufer des Njassasees, andere, wie Ferig, zwei Tagesmärsche vom großen Wasser entfernt.

Nur eine Handvoll Bewohner von Häuptling Mbeyas Dorf hatten je einen weißen Mann zu Gesicht bekommen. Doch der Anstand gebot, sich ihm weder zu nähern noch ihn anzustarren, zu verspotten oder ihn gar anzugreifen.

Der Weiße befand sich in Begleitung dreier Nkonde-Männer, die aus der Stadt Karonga stammten. Ferig und ihre Freundinnen lockten einen von ihnen mit dem Versprechen weg, ihm etwas zu essen zu geben, und überhäuften ihn mit Fragen. Er erzählte, der Weiße werde hinter seinem Rücken »Donner und Blitz« genannt, ein passender Name, denn seine Stimme klang wie eine Mischung aus Knistern und Grollen. Gerufen wurde er Montisi, weil niemand den Namen Monteith aussprechen konnte.

Er hatte in Karonga ein großes Haus gebaut, in dem er viele wertvolle Gegenstände aufbewahrte, die sich wiederum gegen andere Waren tauschen ließen. Die Männer brachten ihm die Stoßzähne erlegter Elefanten. Ferig konnte sich nicht vorstellen, warum man so etwas tun sollte. Sie war zufrieden. Die Wankonde ernährten sich fast ausschließlich von Bananen und Rindfleisch. Die Bananen wurden zu Mus zerstampft. Die Blätter dienten verschiedenen Zwecken, beispielsweise zum Dachdecken oder als Teller, Handtücher und Brennmaterial. Das Harz wurde zu Seife verarbeitet, und aus den kräftigen Fasern flocht man Körbe und Matten.

Der Mann berichtete Ferig und den anderen Frauen auch, dass Montisi einen Donnerstock besaß, der einen schrecklichen Lärm machte. Wenn man mit diesem Stock auf jemanden zeigte, fiel derjenige tot um; der Knall war so laut, dass er Löcher in den Körper bohrte. Allerdings hatte Montisi sich offenbar durch eine Medizin vor diesem Lärm geschützt, denn er war der Einzige, der immer stehen blieb, wenn andere fielen.

Für Ferig war der weiße Mann so seltsam und so anders als alle Leute, die sie kannte, dass sie sich fragte, ob er wirklich ein menschliches Wesen oder gar ein Gott war, der aus dem Land jenseits des großen Wassers stammte. Sie hatte sich noch nie weiter als einen Tagesmarsch von ihrem Dorf entfernt, und sie hatte niemals ein Wort mit einem Mann oder einer Frau gewechselt, die nicht zu ihrem Volk gehörten. Den weißen Mann betrachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu. Sein Aussehen und sein grobes Benehmen machten den Dorfbewohnern Angst, und statt zu sprechen, stieß er seltsam unverständliche Knurrlaute aus. Außerdem war er dem Häuptling den nötigen Respekt schuldig geblieben und hatte den Nganga keines Blickes gewürdigt. In einer Gesellschaft, in der es üblich war, Höflichkeiten auszutauschen, und Eile als Zeichen von Furcht oder Schuldbewusstsein galt, wirkte das Verhalten des weißen Mannes höchst verdächtig.

Nun machte der weiße Mann auf dem Absatz kehrt und stapfte genauso hastig davon, wie er gekommen war. Den Häuptling ließ er einfach stehen. Ferig beobachtete ihn durch halbgeschlossene Augenlider, während ihre Finger emsig weiterflochten. Als der weiße Mann die Stelle erreicht hatte, wo die Frauen saßen, hielt er inne und sah Ferig an. Sie schaute auf und erwiderte seinen Blick, und es schien ihr, als sei er in Gedanken ganz weit weg. Dann schüttelte er den Kopf, sagte etwas in seiner Sprache und marschierte weiter.

Wie alle Wankonde hatte Ferig ägyptisches Blut in den Adern. Anders als die Stämme in Zentralafrika, deren Mitglieder dunkelhäutig und gedrungen sind, waren die meisten Wankonde hochgewachsen und hatten bronzefarbene Haut, fein geschnittene Gesichter und eine stolze Haltung. Die Worte des weißen Mannes hatten Ferig erschreckt, obwohl sie sie nicht verstanden hatte – zum Glück, denn sonst hätte sie wohl Todesangst gehabt.

Monteith Fotheringham war von der Schönheit der Wankonde begeistert. Besonders die junge Frau, aus deren Miene er Unschuld, Ruhe, Selbstbewusstsein, aber auch Furcht gelesen hatte, machte einen tiefen Eindruck auf ihn. »Na, Kleine, du wirst den Hof des Sultans zieren, noch ehe das Jahr vorüber ist. Denk an meine Worte«, hatte er vor sich hin gemurmelt und noch im Gehen finster hinzugefügt: »Falls du es überlebst.«

Die Frauen mussten warten, bis die Männer von der Jagd zurückkamen, um zu erfahren, was der weiße Mann gewollt hatte. Der Häuptling wandte sich nämlich nie unmittelbar an die Frauen, sondern sprach durch ihre Ehemänner, Väter und Brüder zu ihnen. Pambuka, der Mann, mit dem Ferig seit fünf Monaten verheiratet war, erklärte ihr, was der Häuptling gesagt hatte.

»Der Häuptling des Dorfes Mpata hat einem Fremden erlaubt, dort eine kleine Stadt zu bauen.«

Ferig blickte ihn an. Sein ebenmäßiges Gesicht wirkte ernst im Schein der zuckenden Flammen. »Mpata ist sehr weit von hier.«

Pambuka nickte langsam. »Richtig.« Er schob ein Stück Holz ins Kochfeuer und schmunzelte, als Ferig es zurechtrückte. Es machte ihm Spaß, sie zu necken, denn es freute ihn, wenn sie ihn in ihrer sanften Art zurechtwies. »Der Mann heißt Mlozi und ist ein schlechter Mensch. Er ist ein Freund der Ruga-Ruga.«

Bei der bloßen Erwähnung dieses Namens erschauderte Ferig, obwohl sie die Ruga-Ruga nie selbst gesehen hatte. Einst hatten sie das gesamte Zentralafrika beherrscht. Sie galten als wild, grausam und erbarmungslos, und man sagte sogar, sie hätten sich mit bösen Geistern verbündet und fräßen ihre Gefangenen bei lebendigem Leibe auf. Man erzählte zwar viel über die Ruga-Ruga, doch – wie die meisten Wankonde – hielt Ferig sie für Märchengestalten. »Dieser Mlozi muss ein leibhaftiger Teufel sein.«

Pambuka beugte sich vor. »Hör gut zu, Frau. Mlozi und die Ruga-Ruga haben begonnen, die Wankonde zu Sklaven zu machen. Der weiße Mann berichtet von so vielen Gefangenen, dass sie eine Kette um unser ganzes Dorf bilden könnten. Mlozi will unser Land für die Wahenga erobern. Wer nicht als Sklave verkauft wird, wird getötet. Der weiße Mann ist gut. Er erzählt von schrecklichen Greueln und von Sklaven, die so abgemagert sind, dass ihnen die Knochen herausstehen. Die Frauen werden von den Ruga-Ruga geschändet, und wer nicht gehorcht, kriegt den kurbash zu spüren.« Pambuka holte tief Luft. »Sie sind weit gereist, um unser Volk gefangenzunehmen. Der weiße Mann will, dass wir nach Karonga ziehen, wo wir in Sicherheit sind.«

Ferig schwieg. Solche Angelegenheiten waren Männersache, sie würde sich fügen.

»Unser Häuptling hat sich geweigert.« Der Stolz war Pambuka deutlich anzumerken. Die Wankonde waren zwar ein friedliches Volk, aber keine Feiglinge. Außerdem hatte der Nganga dem Häuptling geraten, auf sein Herz zu hören, wenn er dem weißen Mann antwortete. Also war es eine Entscheidung des Nganga, und Pambuka hätte nicht im Traum daran gedacht, sie in Frage zu stellen.

Allerdings war Pambuka nicht nur ein treuer Gefolgsmann seines Nganga, sondern außerdem glücklich verheiratet, und er wollte seine Frau beschützen. »Wenn in unserem Dorf wirklich etwas Schreckliches geschieht und ich ums Leben kommen sollte, musst du mir versprechen, dich zu töten.« Er strich Ferig über die samtweiche Wange. »Glaub mir, Frau, es ist besser, du stirbst von eigener Hand.«

Ferig starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse. Was verlangte er da von ihr? Wer sich selbst das Leben nahm, war dazu verurteilt, ewig ruhelos als Geist umherzuwandern.

»Versprich es mir«, flüsterte Pambuka und sah sie eindringlich an.

Ferig nickte zögernd. »Ich verspreche es dir, mein Mann.«

Pambuka lächelte erleichtert. Er wusste, dass er viel von ihr forderte, aber er musste sichergehen, dass sie verstanden hatte. »Ich weiß, dass dein Blut nicht mehr fließt, Frau. Seit zwei Monden warst du nicht mehr in der Frauenhütte.«

Verlegen senkte Ferig den Kopf. Es schickte sich nicht, über weibliche Blutungen zu sprechen, nicht einmal unter Eheleuten. Wenn eine Frau blutete, musste sie in einer gesonderten Hütte schlafen, um ihr Heim nicht zu vergiften.

»Sieh mich an, Frau.« Pambuka war klar, dass er sich ungebührlich betrug. Aber er hatte noch etwas auf dem Herzen. Auch wenn er bereit war, im Kampf gegen die Ruga-Ruga zu sterben, hatte er Angst um Ferig. Sie war die schönste Frau im Dorf, und der weiße Mann hatte bei seinen Schilderungen kein Blatt vor den Mund genommen. Das Schicksal, das einer Frau bei einem Überfall bevorstand, war schlimmer als der Tod. »Wenn die Ruga-Ruga kommen, nachdem unser Kind geboren ist, werden sie es töten.«

Gnadenlos fuhr er fort: »Sie werden unser Kind umbringen und dich verschleppen. Sie werden dich weit wegbringen, Frau, in ein fernes Land, wo du das Weib eines Fremden werden musst. Doch zuvor werden dich die Ruga-Ruga wie ihr Eigentum behandeln. Sie sind grausam, Frau. Sie tun Frauen schreckliche Dinge an, und sie sind wie die Tiere. Verstehst du?«

Ein derartiges Grauen hatte Ferig sich bis jetzt nicht einmal auszumalen gewagt. »Ich werde deinen Wunsch erfüllen, mein Mann. Niemand darf mich so berühren, wie du es tust. Lieber werde ich ein ruheloser Geist.«

Pambuka nickte zufrieden. »Was wird aus unserem Essen, Frau?«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Soll ich etwa bis zum Morgen warten?«

Am nächsten Morgen versammelten sich die Frauen des Dorfes. Alle waren außer sich vor Entsetzen.

Unter gewöhnlichen Umständen wären die Geschichten von dem seltsamen Besucher so lange weitergegeben und ausgeschmückt worden, bis sich Dichtung nicht mehr von Wahrheit unterscheiden ließ.

Die ungeheuerlichen Dinge, die der Häuptling ihren Männern mitgeteilt hatte, vergrößerten die Aufregung noch. Die Frauen hatten verschiedene Ratschläge erhalten. Einigen hatte man gesagt, sie sollten fliehen, anderen, sie müssten sich verteidigen oder sich fügen, um ihr Leben zu retten. Nur Ferig hatte die Anweisung erhalten, sich zu töten.

Das Versprechen, das Pambuka ihr abgenommen hatte, war für die Frauen fast so furchtbar wie die Bedrohung durch die Ruga-Ruga. »Was bildet dein Mann sich eigentlich ein?«, wollte eine der Frauen ärgerlich von Ferig wissen. »Ahnt er überhaupt, was er da von dir verlangt?«

»Ja.« Ferig sprang für ihren geliebten Mann in die Bresche. »Ihm ist klar, dass es Sünde ist. Doch wie ihr alle wisst, ist er weise. Er würde mich nicht darum bitten, wenn er es nicht für das Beste hielte.«

Die anderen Frauen nickten und fragten sich, warum ihre Männer sie nicht so liebten, wie Pambuka Ferig liebte.

Die Tage vergingen, und die eindringlichen Warnungen des weißen Mannes gerieten in Vergessenheit. Schließlich hatte man alle Hände voll zu tun. Man musste Ställe ausmisten, Hütten fegen, Matten flechten und Essen kochen. Im Dorf kehrte wieder der Alltag ein.

Seit dem Besuch des weißen Mannes waren drei Wochen verstrichen; es war die Stunde vor Tagesanbruch. Die Dorfbewohner, auch Ferig und Pambuka, schlummerten tief, um Kräfte für den neuen Tag zu sammeln. Einige Kochfeuer glühten noch. Ihr Rauch erhob sich über die Bananenfelder und die sauberen Hütten aus Lehmziegeln und Bambus und stieg in die kühle Luft der Livingstone-Berge hinauf. Den Njassasee kräuselten winzige Wellen.

Eng umschlungen lagen Ferig und Pambuka da.

Draußen in den Umzäunungen, die vor nächtlichen Räubern schützen sollten, wurde das Vieh unruhig.

Fünf Minuten später gellte ein Schrei durch die Stille. Es war das laute, grausige Kriegsgeheul der Ruga-Ruga, das den Dorfbewohnern das Blut in den Adern gefrieren ließ. Erschrocken fuhren die Schlafenden hoch, im ersten Moment wussten sie nicht, was das zu bedeuten hatte. Auch Pambuka rieb sich benommen die Augen. Sein Herz klopfte wild. War es ein Traum? Der Schrei eines verwundeten Raubtiers?

Doch dann wurde es ihm schlagartig klar. Schüsse und Gebrüll hallten durcheinander. Pambuka wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.

Weinend vor Angst klammerte Ferig sich an ihn. »Vergiss dein Versprechen nicht, Frau«, zischte er. »Ich werde meine Liebe zu dir mit dem Speer verteidigen. Geh, wohin die Geister dich tragen. Ich werde dich finden.«

Ferig wurde von Schluchzern geschüttelt.

Pambuka hörte, wie sein Freund und Nachbar in der Hütte nebenan seinen Namen rief. Er umarmte Ferig noch einmal fest, rappelte sich auf und machte sich bereit, sein Dorf zu beschützen. »Tu es rasch«, stieß er hervor und stürmte aus der Hütte.

Die Ruga-Ruga erwarteten ihn schon zu beiden Seiten der Tür. Pambuka wurde mit einem Knüppel erschlagen. Starr vor Angst saß Ferig da und hörte das grausige Geräusch, mit dem die Waffe auf den Kopf ihres Mannes niedersauste. Eigentlich hätte sie jetzt Pambukas Befehl ausführen sollen, doch ihr Kopf war wie leer gefegt. Um sie herum herrschten Tod und Zerstörung. Und dabei hatte sie sich noch vor wenigen Augenblicken an den warmen Körper ihres Mannes geschmiegt und seinen leisen Atem gehört. Dann vernahm sie ein Rascheln an der Tür, und sie wollte nach Pambukas Speer greifen. Aber sie hatte zu lange gezögert. Der Ruga-Ruga packte sie und schleppte sie nach draußen.

Verwirrt klammerten sich die Kinder an ihre Mütter. Zwischen den Frauen standen einige Männer, die Köpfe vor Scham gesenkt, weil sie nicht im Kampf um ihr Dorf ihr Leben gelassen hatten. Auch der Nganga war dabei, und mit einem Mal wurde Ferig klar, wer er wirklich war: ein kleiner, magerer Greis, der angesichts des Todes ebenso vor Angst zitterte wie alle übrigen. Der Häuptling war nirgendwo zu sehen. Grob wurde Ferig zu den anderen gestoßen.

Sie bebte von Kopf bis Fuß, und die Tränen rannen ihr über die Wangen. Nun begriff sie, was ihr drohte, und diese Erkenntnis war so entsetzlich, dass sie laut zu klagen begann.

»Sei still, dummes Ding«, zischte eine ältere Frau neben ihr. »Oder willst du, dass sie dich töten?«

»Ja, das will ich.« Einen besseren Ausweg konnte Ferig sich nicht vorstellen. Also nahm sie all ihren Mut zusammen, riss sich von den anderen Frauen los und stürmte geradewegs auf die Ruga-Ruga zu.

Sofort wurde sie von kräftigen Händen gepackt und zu Boden geschleudert. Sie lag da und erwartete die Hiebe ihrer Knüppel oder dass sie von Speeren durchbohrt würde. Stattdessen hörte sie eine laute, drohende Stimme, und sie sah, wie die schmutzigen, nackten Füße der Ruga-Ruga sich schlurfend entfernten. Plötzlich tauchte neben ihr ein anderer Fuß auf, der in einer Sandale steckte. Er schob sich unter sie und drehte sie herum, dass sie auf dem Rücken lag. Ferig blickte hinauf in die kältesten Augen, die sie je gesehen hatte.

Der Mann trug ein knöchellanges, weißes Gewand und eine rote Schärpe über der Schulter. Auf seinem kahlrasierten Kopf saß eine kleine, weiße Kappe. Ferig wurde von einer namenlosen Furcht ergriffen, die ihr den Magen zusammenkrampfte.

Mlozi! Der Mann, der sich mit Teufeln verbündet. Sein Gesicht verriet, dass sowohl arabisches als auch afrikanisches Blut in seinen Adern floss. Mit seinem gepflegten Bart und den vorstehenden Schneidezähnen wirkte er fast freundlich. Doch sein finsterer, stumpfer Blick strafte diesen Eindruck Lügen. Ferig erstarrte.

Er brüllte einen Befehl in einer fremden Sprache, worauf die Ruga-Ruga vorsprangen und sie auf die Füße zerrten. Auf eine ungeduldige Handbewegung von Mlozi hin zerrissen sie die Kordel, die ihren Lendenschurz zusammenhielt, sodass sie nackt vor ihm stand.

Mlozi ging langsam um sie herum. Ferig wusste zwar nicht, wie schön sie war, aber der bewundernde Blick des Mannes war unverkennbar. Sie war sicher, dass er sie fressen würde.

Allerdings stand Mlozi der Sinn nicht nach kulinarischen Genüssen, sondern eher nach Profit. Diese Frau war ein Prachtstück und würde um einiges mehr einbringen als eine gewöhnliche Sklavin. Für eine so schöne und gleichzeitig demütige Frau würde der Sultan von Sansibar sicher ein ordentliches Sümmchen bezahlen. Mlozi hoffte, dass sie die Reise überstehen würde, keine unbegründete Sorge, denn ihre Reize waren auch den Ruga-Ruga nicht verborgen geblieben, und er konnte nichts tun, um sie zu beschützen. Er machte sich die wilde Horde zwar mit Geld, Lebensmitteln und Sklavinnen gefügig, hatte aber wie alle anderen insgeheim Furcht vor ihnen.

Als Mlozi nickte, wurde Ferig wieder zwischen die eng zusammengedrängten Dorfbewohner gestoßen, die schweigend und ängstlich dastanden. Dann nickte er noch einmal und fuhr sich mit dem Finger über die Kehle, eine Geste, die nicht misszuverstehen war. Grinsend und unter lautem Gelächter zerrten die Ruga-Ruga nacheinander jeden Einzelnen der Gefangenen aus der Menge. Nickte Mlozi, wurde der Bedauernswerte zur Seite geführt. Schüttelte er den Kopf, metzelten die Ruga-Ruga ihn an Ort und Stelle mit Knüppeln und Speeren nieder.

Nur die Stärksten durften überleben. Greise, schwangere Frauen, Kranke, Krüppel und Säuglinge wurden getötet. Der einst allmächtige Nganga wurde mit einem Hieb auf den Kopf niedergestreckt und sank zu einem Knochenbündel zusammen. Der Anblick war für diejenigen, die er früher in Angst und Schrecken versetzt hatte, ein solcher Schlag, dass sie sich willenlos abschlachten ließen. »Bitte, ich will sterben«, flehte Ferig lautlos. Sie wünschte, es wäre schon deutlicher zu sehen, dass ein Kind in ihr wuchs. Doch sie wurde zu den wenigen gebracht, die man ausgewählt hatte. Man legte ihr einen gegabelten Ast, ein goree, wie ein Joch um den Hals. Das lange Ende ragte nach hinten, vorne wurde die Gabelung von einer Metallklammer zusammengehalten. Das Joch war so eng, dass es ihre Haut wundscheuerte. Das hintere Ende wurde mit einem weiteren goree verbunden, das um den Hals eines Leidensgenossen lag, diesmal andersherum, sodass sich die Gabelung schmerzhaft an der Kehle des Gefangenen rieb. Mit Seilen um die Taille wurden die etwa vierzig Erwachsenen zu einer Kolonne zusammengebunden. Die Kinder versah man mit Halseisen und kettete diese an das Verbindungsstück zwischen zwei gorees.

Rasch bemerkten die Gefangenen, dass jede Bewegung große Qualen hervorrief oder ihnen die Luft abschnürte. Zitternd vor Angst verharrten sie in einer Reihe. Das Blutbad um sie herum hatten sie noch immer nicht ganz erfasst.

Ferigs Dorf wurde niedergebrannt.

Die Ruga-Ruga waren von Kopf bis Fuß mit frischem Blut beschmiert und fletschten grausam die Zähne. Endlich schienen sie ihre Mordlust gestillt zu haben, und Mlozi wusste, dass sie ihm nun wieder gehorchen würden. Er brüllte einen Befehl. Plötzlich hörte Ferig ein Zischen, gefolgt von einem lauten Knall und einem Schmerzensschrei. Der arabische kurbash in Mlozis Hand sauste durch die Luft, sein nadeldünnes Ende hinterließ einen blutigen Striemen auf der Haut des Geschlagenen, und die Sklaven ahnten, dass ihnen nichts anderes übrigblieb, als sich widerspruchslos in Bewegung zu setzen,

Sie marschierten den ganzen Tag. Neben ihnen schritten die Ruga-Ruga, die Trommeln schlugen, die Gefangenen mit dem kurbash quälten und sie verhöhnten. Auf die Frauen hatten sie es besonders abgesehen. Nur wenige erwachsene Männer hatten den Angriff überlebt.

Der erste Teil der Reise war ein Albtraum. Da es bergab ging, zerrte der vordere Sklave immer am Joch seines Hintermannes. Inzwischen hatten sich die Abschürfungen an Ferigs Hals in blutende Wunden verwandelt.

Die Ruga-Ruga gaben sich keine Mühe, den dornigen Akazien auszuweichen. Ferigs Arme und Beine waren von oben bis unten zerkratzt. Das Blut zog die Fliegen an, die der kläglichen Karawane in dicken, schwarzen Schwärmen folgten und ohnehin schon wunde Haut mit juckenden Stichen übersäten. Wasser oder Essen bekamen die Gefangenen nicht.

Am Abend war Ferig so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als die Sonne hinter den Bergen unterging, befahl Mlozi eine Rast. Die Ruga-Ruga nahmen den Gefangenen die Joche ab und legten ihnen Halseisen an, deren rostige, scharfe Kanten sich schmerzhaft in die wundgescheuerte Haut gruben. Doch nun konnten die Sklaven wenigstens die Köpfe bewegen. Niemand murrte.

Dann verteilten die Ruga-Ruga ein wenig Essen: Harte, ungekochte Maiskörner wurden vor jeden Gefangenen in den Sand geschüttet. Die Sklaven waren so ausgehungert, dass sie die Furcht, die kleinen gelben Perlen könnten vergiftet sein, in den Wind schlugen und sie gierig verschlangen.

Zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme zwang sich Ferig, die Ruga-Ruga genauer anzusehen. Ihre Haut war sehr schwarz, und ihre Augäpfel waren gelblich; bei den Anwohnern des großen Wassers, wo die geheimnisvolle Wasserkrankheit umging, war das nicht selten. Zeremonielle Narben entstellten ihre Gesichter und Körper. Sie stanken nach Aas und waren von oben bis unten mit Blut und Farben beschmiert. In ihrem zottigen, fettigen Haar steckten schmutzige, zerrupfte Federn. Um den Hals trugen sie Ketten aus Menschenzähnen, die bei jeder Bewegung klapperten.

Ferig erinnerte sich an Pambukas Worte. »Sie werden dich schänden.«

»Nie werde ich zulassen, dass jemand mich so berührt, wie du es tust«, hatte sie darauf geantwortet. Aber wie sollte sie das verhindern? Sie betrachtete Makeba, Pambukas Schwester, und fragte sich, ob sie dieselben Ängste quälten.

Makeba las ihre Gedanken. »Ruh dich aus, Schwester. Wenn es Nacht wird, wird es noch schlimmer.«

Doch die Ruga-Ruga warteten nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit, sondern stürzten sich auf die Gefangenen wie ausgehungerte Hyänen auf einen Zebrakadaver.

Ferig wusste, dass sie bald an der Reihe sein würde. Sie betete, dass es bald dunkel werden möge, damit sie nicht sehen musste, wer sie schändete. Doch die guten Geister erhörten ihr Flehen nicht. Ferig wurde dreimal vergewaltigt, bevor sich über die widerwärtig grinsenden Fratzen der Täter die Nacht senkte.

Das fahle Morgenlicht enthüllte das Ausmaß der Verheerung. Einige Kinder waren nicht mehr am Leben, andere zu schwer verletzt, um weiterzumarschieren. Mlozi, der sich nicht an dem wüsten Treiben beteiligt hatte, nahm die Schäden in Augenschein. Wer nicht mehr mithalten konnte, wurde einfach mit dem Speer niedergestochen.

Gestern hatte Ferig sich noch geweigert, die Hoffnung aufzugeben, und Wut und Trauer hatten ihr Kraft verliehen. Während sie, das schmerzende Joch um den Hals, dahingestolpert war, hatte sie sich an den Gedanken geklammert, Pambuka sei nicht wirklich tot und würde sie retten. Vielleicht würde auch der fremde weiße Mann kommen, um sie alle zu befreien. Möglicherweise würden sich auch die Wankonde aus den anderen Dörfern auf die Ruga-Ruga stürzen, sie abschlachten und die Gefangenen retten.

Doch nach den Grauen dieser Nacht hatten sie und ihre Leidensgenossen alle Zuversicht verloren, und sie empfanden nur noch dumpfe Verzweiflung.

Am dritten Tag erreichten sie Mlozis Lager in Mpata, wo die Sklaven festgehalten wurden, bis genügend beisammen waren, um sie in Dhaus über den See zu schaffen. Bis jetzt hatten die etwa sechzig Überlebenden aus Häuptling Mbeyas Dorf Trost beieinander gefunden. Im Lager wurden sie von weiteren Stammesmitgliedern der Nkonde erwartet, die sich, nach Dörfern geordnet, zusammendrängten. Sie waren in einem ebenso kläglichen Zustand wie die Neuankömmlinge. Mlozi beschloss, dass die Anzahl der Gefangenen nun reichte, um einige der Dhaus zu füllen. Die insgesamt sechshundert Wankonde wurden in verschiedenen Gruppen zusammengetrieben, wobei Ferig ihre Freunde aus den Augen verlor. Sie wusste nicht, dass sie mit fünf anderen Frauen für den Harem des Sultans von Sansibar ausgewählt worden war.

Die sechs wurden in eine schmutzige Zelle gesperrt, in der es nach Angst, Tod und menschlichen Exkrementen roch.

Nachts machten sich die Ruga-Ruga wieder über sie her. Am nächsten Morgen waren zwei der Frauen tot. Die vier Überlebenden litten solche Schmerzen, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnten. Und in jener Nacht verlor Ferig auch Pambukas Kind und damit das Letzte, was sie mit ihrem früheren Leben verband. Zum ersten Mal war sie mutterseelenallein. Als sie das Schluchzen der anderen Frauen hörte, wusste sie, dass es ihnen ebenso erging. Doch sie waren alle so verängstigt und zerschunden, dass sie einander keinen Trost spenden konnten.

Am späten Vormittag brachte man die vier Frauen in ein anderes Gebäude und befahl ihnen zu baden. Als Ferig sich ins warme, weiche Wasser sinken ließ, erwachte ihr Wille wieder, und sie musste daran denken, dass sie ihr Versprechen an Pambuka nicht gehalten hatte. Während sie sich Kot, getrocknetes Blut, Staub und die widerwärtigen Spuren der Ruga-Ruga vom Körper schrubbte, sah sie sich nach etwas um, das sie benutzen konnte. Doch im Raum gab es nichts weiter als raue Handtücher, die zu klein und zu dick waren, um sie zu einem Seil zu drehen. Obwohl sie wusste, dass es zwecklos war, tauchte sie in dem Zuber unter. Aber die beiden Wahenga-Soldaten, die sie bewachten, hatten so etwas schon öfter erlebt und zerrten sie aus dem Wasser.

Ferig schluchzte so verzweifelt, dass sie die Ohrfeigen kaum spürte, mit denen man sie bestrafte. Nachdem man sie hastig abgetrocknet hatte, stieß man sie in den Nebenraum, wo ihre drei Leidensgenossinnen warteten. Jede wurde von zwei Männern bewacht.

Die Frauen waren allesamt außergewöhnlich schön und hatten die edle Haltung ihrer ägyptischen Vorfahren. Man streifte ihnen Gewänder aus weichem, weißem Stoff über die Köpfe. Bis jetzt hatte keine von ihnen je etwas anderes als einen Lendenschurz getragen. Und da sie Frauen waren, hellte sich ihre Stimmung sogleich auf, als sie einander bewundernd ansahen und die glatte Seide auf ihrer Haut spürten.

Die Wunden, die Joch, Peitsche, Dornen und die schmutzigen Fingernägel der Ruga-Ruga hinterlassen hatten, wurden mit Heilsalbe behandelt. Dann bestrich man ihnen die Lippen mit einer roten, fettigen Paste. Als Ferig die anderen Frauen betrachtete, stellte sie erstaunt fest, wie sehr sich ihr Aussehen dadurch verändert hatte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die Paste schmeckte recht angenehm, aber man verbot ihr, sie abzulecken.

Sie wurden in einen Raum gebracht, in dem Mlozi sie erwartete, um sie wie ein stolzer Vater in Augenschein zu nehmen. Dann ließ er ihnen ein scharf gewürztes Mahl aus verschiedenen Fleischsorten und Maismehl vorsetzen. Es schmeckte so fremdartig, dass Ferig befürchtete, es könnte vergiftet sein. Doch der Hunger siegte über ihre Zweifel.

Nach dem Essen schnippte Mlozi mit den Fingern. Die Leibwächter kamen herein, rissen den Frauen die Gewänder vom Leib und schleiften sie wieder zurück in die Zelle, wo als grausige Mahnung noch die starren Leichen ihrer beiden Leidensgenossinnen lagen.

Die Ruga-Ruga ließen sich in jener Nacht nicht blicken. »Ich bin Chikanga«, sagte eine Frau schließlich schüchtern.

»Ich heiße Ferig.«

Eine nach der anderen nannte ihren Namen.

Sie sprachen über ihre Angst und erzählten von ihren Dörfern, ihren Erfahrungen auf dem Marsch in Mlozis Lager, von Ehemännern, Kindern, Müttern, Vätern, Brüdern, Schwestern, Freunden und Verwandten, die alle ermordet oder verschleppt worden waren.

Obwohl sie jeden Augenblick mit einem Überfall der Ruga-Ruga rechneten, fielen sie schließlich in einen unruhigen Schlaf. Sie alle träumten von wilden Männern und von Augen, die in das Reich der bösen Geister gehörten.

Bei Tagesanbruch wurden sie geweckt und hinaus ins Freie getrieben.

Die Schmerzensschreie, die durch das Lager hallten, ließen Ferig ahnen, dass ihr ein neues Grauen bevorstand. Und nach einer Weile wurde ihr klar, was ihr drohte: Jeder Sklave wurde mit einem Brandzeichen versehen, das zeigte, zu welcher Klasse er gehörte. Frauen zitterten und schluchzten, als der Geruch versengten Fleisches durch das Lager zog, und immer mehr Menschen stimmten in die Klagelaute ein. Die Sklaven versuchten, einander zu trösten, sangen Lieder von ihrer geplünderten und verwüsteten Heimat, von Bergen und einem Himmel, den sie nie wiedersehen würden, und von geliebten Menschen, die nun in der Geisterwelt weilten. Doch rasch gewann die Verzweiflung die Oberhand, und bald war im Lager nur noch herzzerreißendes Weinen zu hören.

Ferig bekam ihr Brandzeichen auf die Brust. Andere Frauen wurden an der Schulter oder am Gesäß gezeichnet. Während sie immer noch vor Schmerzen stöhnten, wurden sie der Reihe nach von Mlozi gemustert. Wer seinen Ansprüchen nicht genügte, wurde umgehend von den Ruga-Ruga getötet.

Da jeder nun ein Brandzeichen trug, bestand kein Grund mehr, die Sklaven voneinander zu trennen. Man legte ihnen Halseisen an und kettete sie in Gruppen zu je vierzig zusammen. Sie alle – Männer, Frauen und Kinder – mussten gewaltige Elefantenstoßzähne auf den Köpfen tragen. Einen Sklaven konnte Mlozi zwar für fünf englische Pfund verkaufen, doch der Handel mit Elfenbein war ebenso gewinnbringend. Und da Mlozi ein schlauer Geschäftsmann war, nutzte er den letzten Marsch hinunter zum See zum kostenlosen Transport des Elfenbeins. Manche der Stoßzähne wogen bis zu hundert Pfund. Die Sklaven waren von Hunger und Angst geschwächt, sie hatten unglaubliche Grausamkeiten von den Ruga-Ruga erdulden müssen und trauerten um ihre ermordeten Angehörigen. Dennoch blieb ihnen der Fußmarsch zum See nicht erspart, der einen halben Tag dauerte und den sie im Takt der Trommeln zurücklegen mussten. Dort angekommen, wurden sie wie Vieh in Pferche getrieben. Immer noch zusammengekettet, warteten sie darauf, in die Dhaus verladen zu werden, um die dreitägige Reise über den See nach Losefa anzutreten. Dort würden sie mit weiteren Sklavenkolonnen, die aus Makanjira und Mponda kamen, zusammentreffen. Und dann stand ihnen noch ein Fußmarsch von achthundert Kilometern bis zum Hafen von Kilwa bevor.

Da der nächste Morgen gutes Wetter versprach, wollte Mlozi die Sklaven so schnell wie möglich verstauen. Zuerst jedoch mussten sie das schwere Elfenbein an Bord schaffen. Die Stoßzähne füllten eine ganze Dhau.

Mlozi überwachte das Verladen und hakte jeden Stoßzahn, der durch das flache Wasser getragen und der Besatzung übergeben wurde, auf einer Liste ab. Hin und wieder wechselte er ein paar Worte mit dem arabischen Kapitän, der neben ihm am Strand stand. Nachdem alles verstaut war, übergab der Kapitän Mlozi ein Stück Papier, auf dem die Anzahl der Stoßzähne, ihr geschätztes Gewicht und das Datum vermerkt waren. Mlozi war darauf als Besitzer genannt und er selbst als Zwischenhändler. Der Kapitän würde das Elfenbein von den Sklaven zur Küste tragen lassen, es an Händler verkaufen, seinen Anteil abziehen und das Geld Mlozi überbringen. Die beiden Männer tätigten häufig Geschäfte miteinander, und deshalb waren sie gezwungen, einander zu vertrauen.

Als Nächstes wurden die Sklaven an Bord geschafft. Sie mussten sich so dicht nebeneinander aufs Deck legen, dass sie weder Arme noch Beine rühren konnten. Danach wurden die Kinder zwischen die Erwachsenen gedrängt. Darüber senkte man eine Plattform aus Bambusstäben und belud auch diese mit Sklaven. Erst als sich die Ladung hoch über die Bordwand türmte, befand der Kapitän, dass das Höchstgewicht erreicht war. Mlozi überwachte diese Arbeit genauso sorgfältig wie das Verladen des Elfenbeins. Vier Boote wurden auf diese Weise zur Abfahrt bereitgemacht. Dann verglichen Mlozi und der Kapitän ihre Aufzeichnungen. »Wir haben keinen Platz für Wasser und Lebensmittel«, warnte der Kapitän. »Es wird Tote geben.«

Mlozi zuckte die Achseln. Mit so etwas musste man rechnen.

Am ersten Tag kamen die fünf Dhaus gut voran. Der Kapitän, der sich an Bord des Bootes mit dem Elfenbein befand, war erleichtert. Denn wenn die Sklaven erst einmal verladen waren, mussten sie bis zur Landung in Losefa in dieser Stellung verharren. Obwohl der Kapitän stets einen Abstand von fünfzig Metern zu den Sklavenbooten hielt, war der Geruch nach Exkrementen, Tod und Krankheit ekelerregend. Wenn eine frische Brise wehte, war es einigermaßen erträglich, doch einmal hatte drei Tage lang Flaute geherrscht. Am dritten Tag hatte der Kapitän den Gestank nicht mehr ausgehalten und die Sklavenboote anstecken lassen. Der Geruch nach brennendem Fleisch war bei weitem nicht so unangenehm.

Zwei Tage lang hatten sie ausgezeichnetes Wetter gehabt, doch am Abend bemerkte der Kapitän einen hellen Streifen unter einer Front von Gewitterwolken, ein Anblick, der ihm gar nicht gefiel. Die Berge im Westen und Osten bildeten einen natürlichen Trichter, in dem sich ein Wind binnen kürzester Zeit zu einem gewaltigen Sturm auswachsen konnte. Und da die Boote ohnedies überladen waren, verhießen die Gewitterwolken nichts Gutes.

Dagegen war der Kapitän machtlos. Wenn sich über dem See ein Gewitter zusammenbraute, geschah das meistens so schnell, dass jeglicher Versuch zu entkommen zwecklos war.

Der aufkommende Wind, in dem die Boote schwankten, brachte den Sklaven nur größeres Leid. Viele wurden seekrank, und da sie sich nicht bewegen konnten, erstickten einige an ihrem Erbrochenen.

Ferig betete zu den guten Geistern, sie ebenfalls zu sich zu holen. »Ich will sterben«, sagte sie. »Ich will bei Pambuka sein.« Das Boot schlingerte heftig. Der Wind frischte auf, und Wasser schwappte über diejenigen, die ganz unten lagen. Ferig hörte Schreckensschreie, Husten und Würgen. »Bitte, holt mich zu euch«, flehte sie.

Kurz nach dem Dunkelwerden brach genau über ihnen das Gewitter los.

Ferigs Gebete wurden erhört. Sie empfand keine Angst, nur einen unendlichen Frieden, und sie lächelte, als das kühle Wasser des Sees über ihrem Kopf zusammenschlug.

DREI

London – Februar 1983

John Devereaux widerstand der Versuchung, schon wieder auf die Uhr zu sehen. Er kochte vor Wut.