Hello, habits - Fumio Sasaki - E-Book

Hello, habits E-Book

Fumio Sasaki

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer sich in seinem Leben bewusst minimalistisch entgegen Konsumwahn und Materialismus auf das Wesentliche beschränken möchte um für sich selbst ein Maximum an Freiheit zu schaffen steht vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Denn das eigene Leben aufzuräumen, Struktur zu schaffen, Dinge loszulassen und den Fokus auf das Wesentliche zu legen fällt vielen Menschen nicht leicht. Umso mehr bewundern wir jene die es geschafft haben. Doch das Talent selbst erfolgsbringende Gewohnheiten zu entwickeln und zu pflegen ist nichts, was uns von einer höheren Macht geschenkt wird und keinesfalls ist es etwas, das nur einem kleinen Kreis Auserwählter vorbehalten ist. Fumio Sasaki, praktizierender Minimalist, bietet eine Methodik zur Entwicklung hilfreicher gesunder Gewohnheiten, die gerade auch jenen hilft, denen es schwerfällt Routinen zu entwickeln. Auf Basis führender Theorien über die Wissenschaft der Gewohnheitsbildung aus der kognitiven Psychologie, den Neurowissenschaften und der Soziologie sowie bewährten Techniken aus seinem eigenen Leben, entlarvt er gängige Missverständnisse über »Willenskraft« und »Talent« und bietet eine Schritt-für-Schritt-Anleitung um erfolgsbringende Gewohnheiten zu entwickeln und zu pflegen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 306

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



hello, habits

FUMIO SASAKI

Ein Wegweiser zu einem minimalistischen besseren Leben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2022

© 2022 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

BOKUTACHI WA SHUUKAN DE, DEKITEIRU

Copyright © 2018 Fumio Sasaki

German translation rights arranged with WANI BOOKS CO., LTD.

through Japan UNI Agency, Inc., Tokyo, and Vicki Satlow of The Agency, srl

Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei W. W. Norton & Company Ltd. unter dem Titel Hello, Habits.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Elisabeth Liebl

Redaktion: Matthias Höhne

Korrektorat: Christine Rechberger

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, München

Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-507-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3- 96092-961-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3- 96092-962-8

Weitere Informationen zum Verlag finden sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Einführung

Kapitel 1

Was ist Willenskraft?

Kapitel 2

Was sind Gewohnheiten?

Kapitel 3

In 50 Schritten zu neuen Gewohnheiten

Kapitel 4

Wir sind unsere Gewohnheiten

Nachwort

Kurz und bündig: 50 Schritte zur Entwicklung neuer Gewohnheiten

Kurz und bündig: 14 Hemmschuhe guter Gewohnheiten

Einführung

Ich dachte immer, ich hätte kein Talent.

Was ich auch versuchte, ich schaffte es nie, längere Zeit am Ball zu bleiben. Weder im Studium noch im Sport erzielte ich nennenswerte Resultate. Als ich aber anfing, mich mit Gewohnheitsmustern zu beschäftigen, sah ich die Dinge plötzlich anders. Es ist nämlich gar nicht so wichtig, ob ich talentiert bin oder nicht.

Talent ist nichts, was uns »in die Wiege gelegt« wird. Es ist sozusagen »hausgemacht«, als Ergebnis beharrlich eingeübter Gewohnheiten.

Es gibt einen Autor namens Kyohei Sakaguchi, den ich sehr schätze. In seinen Geschichten verbinden sich Worte auf eine Art, die so ganz anders ist als die anderer Schriftsteller. Er schreibt auf seiner Gitarre fließende Melodien, und seine Illustrationen können es mit den Arbeiten der besten zeitgenössischen Künstler aufnehmen. Unlängst hat er sogar Stühle gebaut und zu stricken angefangen. Von welcher Seite man sich ihm auch nähert, er scheint einfach überaus begabt zu sein.

Doch nach allem, was ich gehört habe, bekam sogar er von seinem Vater zu hören: »Du hast kein Talent, also lass es.« Und sein Bruder meinte immer nur: »Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, wenn es nur oft genug pickt.« Es gibt einen Satz, den Sakaguchi immer wiederholt wie ein Mantra: »Es liegt nicht am Talent, sondern an der Ausdauer.« Selbst Menschen wie der Baseballstar Ichiro oder der internationale Bestsellerautor Haruki Murakami – und alle, die sich auf irgendeinem Gebiet auszeichnen – behaupten meines Wissens von sich nicht, dass sie besonders talentiert wären.

Andererseits faszinieren uns Geschichten über Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Zum Beispiel Mangas wie Dragon Ball, wo die Kräfte der Protagonisten durch Zorn geweckt werden. Oder Slam Dunk, wo der rauflustige Held plötzlich feststellt, dass er hoch springen und somit Körbe werfen kann. Oder auch Hollywoodfilme wie Matrix, in denen ein Auserwählter sich urplötzlich seiner Fähigkeiten bewusst wird.

Bewegt man sich aber eine gewisse Zeit lang in der echten Welt, dann erkennt man allmählich, dass Talent sich von solchen Geschichten doch ein wenig unterscheidet. Denn wenn Sie sich die begabten Menschen dieser Welt einmal anschauen, so werden Sie feststellen, dass all diese Leute sich redlich anstrengen. Es gibt dazu einen passenden Satz:

Genie ist oft nur das Vermögen, sich kontinuierlich anzustrengen.

ELBERT HUBBARD

Gut, ich hab’s kapiert. Ein Genie ist ein Mensch, der die Fähigkeit besitzt, sich beharrlich zu bemühen. Aber dann dachte ich: Vielleicht fehlt es mir ja an diesem Vermögen, mich kontinuierlich anzustrengen.

Ich sehe das heute so: Spricht man von »Talent« oder »Anstrengung«, verbindet man diese Begriffe mit gewissen falschen Vorstellungen. Talent ist keine Gabe, die uns von einer gütigen Fee verliehen wird. Und Anstrengung heißt nicht, dass wir uns mit zusammengebissenen Zähnen abrackern. Die Idee von der Gewohnheit hilft uns, Talent und Anstrengung wieder in die Sphäre der Normalsterblichen zurückzuholen. Diese Begriffe beschreiben nichts, was nur von einigen wenigen erreicht werden kann. Vielmehr handelt es sich um Stärken, die wir alle erwerben können, wenn wir wissen, wie. Kurz gesagt:

Talent ist nichts, was Ihnen »in die Wiege gelegt« wird. Talent wird vielmehr geschaffen, wenn Sie sich entsprechend bemühen.

Diese Bemühungen können Sie aufrechterhalten, wenn Sie sie zur Gewohnheit machen.

Die Methoden, die Ihnen zu solchen Gewohnheiten verhelfen, können Sie erlernen.

Mein letztes Buch Das kann doch weg! half mir, meinen Minderwertigkeitskomplex in puncto Geld und Besitz zu überwinden. Dieses Buch wiederum ist mein Versuch, mich von meinen Komplexen hinsichtlich Talent und Anstrengung frei zu machen.

Ich glaube, es wird mein letztes Selbsthilfebuch werden.

Also, legen wir los!

WIE SIE MIT DIESEM BUCH ARBEITEN

Dieses Buch geht genauso vor, wie Sie es tun, wenn Sie eine neue Gewohnheit etablieren: Der Anfang ist der schwierigste Teil. Wollen Sie einfach nur auf schnellstem Weg Tipps, wie man sich etwas zur Gewohnheit macht, dann blättern Sie zu Kapitel 3 vor und lesen nur das.

In Kapitel 1 befassen wir uns mit dem Thema Willenskraft. Wie oft passiert es uns, dass wir eine neue Gewohnheit entwickeln möchten, dann aber nicht durchhalten. Meist sagen wir dann: »Mir fehlt es einfach an Willensstärke.« Wir werden uns damit auseinandersetzen, was diese Willenskraft eigentlich ist, die wir als stark oder schwach bezeichnen.

In Kapitel 2 gehe ich auf die Natur der Gewohnheiten ein und auf das Thema Aufmerksamkeit. Aus meiner Sicht sind Gewohnheiten Handlungen, die wir ausführen, ohne groß nachzudenken. Mit anderen Worten: Gewohnheiten sind Handlungen, die wir ausführen, ohne unsere bewusste Aufmerksamkeit einzuschalten, die wir als unseren Geist betrachten.

In Kapitel 3 erläutere ich dann aufeinander aufbauend die einzelnen Schritte, wie Sie sich konkret neue Gewohnheiten aneignen können. An diesen 50 Punkten können Sie sich immer wieder orientieren, wenn Sie ein bestimmtes Verhalten entwickeln beziehungsweise aufgeben möchten. Über Gewohnheiten wurden schon viele Bücher geschrieben; meine Absicht war es, deren Essenz in einem Buch zusammenzufassen.

In Kapitel 4 definiere ich die Bedeutung der Begriffe »Talent« und »Anstrengung« neu, und zwar vor dem Hintergrund der Einsichten, die meiner Beschäftigung mit dem Thema Gewohnheit entsprungen sind. Zudem gehe ich der Frage nach, wie viel möglich ist, wenn wir Gewohnheiten gezielt erlernen. Gewohnheiten sind nicht nur ein höchst effizienter Weg, um unsere Ziele zu erreichen. Meiner Ansicht nach haben sie noch eine tiefere Bedeutung.

Gewohnheiten sind unsere zweite Natur.

CICERO

Gewohnheiten, eine zweite Natur! Gewohnheiten sind die Natur verzehnfacht.

DUKE OF WELLINGTON

Wir sind, was wir ständig tun. Spitzenleistungen sind nichts, was wir tun, sondern vielmehr das, was uns zur Gewohnheit geworden ist.

WILL DURANT

Kapitel 1

Was ist Willenskraft?

Mein normaler Tagesablauf

»Ich bin genau die Art Mensch, die ich immer sein wollte.« Diesen coolen Satz hat mein Lieblingsregisseur Clint Eastwood einmal so oder so ähnlich von sich gegeben.

Völlig unmöglich, dass ich dasselbe je von mir behaupten könnte. Aber ich verbringe zumindest meine Tage so, wie ich sie immer verbringen wollte. Lassen Sie mich zeigen, wie ein durchschnittlicher Tag bei mir aussieht.

Mein üblicher Zeitplan

05:00

Aufstehen und ein bisschen Yoga machen.

05:30

Meditieren.

06:00

An meinen Texten oder meinem Blog arbeiten.

07:00

Putzen > duschen > Wäsche waschen > frühstücken > Mittagessen vorbereiten.

08:00

Tagebuch schreiben > Englisch lernen > Zeitung lesen oder soziale Medien checken.

09:10

Power Nap (so ein Nickerchen ist ein guter Vorwand, um wieder ins Bett zu gehen).

09:30

In die Bibliothek »übersiedeln«.

11:30

Mittagessen.

14:30

Bibliothek verlassen.

15:00

Zeit für ein Power Nap.

15:30

Ins Fitnessstudio gehen.

17:30

Einkäufe im Supermarkt erledigen, E-Mails beantworten und soziale Medien checken.

18:00

Nach dem Abendessen einen Film anschauen.

21:00

Yogamatte ausrollen und dehnen.

21:30

Schlafen gehen.

Meine Tage laufen im Wesentlichen immer nach diesem Muster ab, und das auch feiertags oder am Wochenende. Eine Ausnahme mache ich nur, wenn ich etwas Besonderes vorhabe wie Freunde besuchen, zu einer Veranstaltung gehen oder verreisen. Pro Woche nehme ich mir ungefähr einen Tag frei. Ich bin jetzt 38 und Single und schreibe von Beruf.

Sie denken vielleicht gerade: »Kunststück. Jeder kann sich so einrichten, wenn er Single ist und freiberuflich arbeitet.« Doch bevor ich die Zeit und die Freiheit hatte, von der ich immer geträumt hatte, sah mein Leben völlig anders aus.

Eine Weile den Ruhestand genießen

Sämtliche Probleme der Menschheit rühren von der Unfähigkeit her, einfach still allein in einem Raum zu sitzen.

BLAISE PASCAL

2016 verließ ich den Verlag, für den ich als Lektor gearbeitet hatte, und begann freiberuflich mit dem Schreiben. Weil man mir gerade eine Prämie ausbezahlt hatte, musste ich mir erst mal keine Gedanken ums Geld machen. Niemand würde sich über mich aufregen, ganz egal, wie lang ich jeden Tag schlief. Ich war frei, rauszugehen und durch die Gegend zu streifen, während die anderen im Büro saßen. Als Lektor hatte ich zwölf arbeitsreiche Jahre lang gut zu tun gehabt. Da würde es mir nicht schaden, mal ein wenig kürzer zu treten. Das waren in etwa meine Vorstellungen.

Also fing ich an zu tauchen, zu surfen, Marathon zu laufen und mich den vielen Herausforderungen zu stellen, die auf meiner Wunschliste standen. Ich lernte außerdem noch zahlreiche neue Fertigkeiten: Auto fahren, Gemüse züchten und heimwerken. Ich zog von Tokyo nach Kyoto und genoss es, mir unbekannte Orte in der Kansai-Region zu besuchen.

Eine Situation wie diese ist dem Anschein nach perfekt. Vermutlich würden sich viele wünschen, ihre Zeit auf diese Art zu verbringen, wenn sie im Lotto gewinnen oder in Rente gehen: nichts tun, was man nicht tun will, und alles machen, was man immer schon machen wollte.

Wir sind glücklicher, wenn wir nicht zu viel Freizeit haben

Als ich noch als Lektor arbeitete, machte es mir immer viel Freude, wenn ich in den kurzen Pausen, die mir nach dem Mittagessen blieben, ein Buch lesen konnte. Damals dachte ich, dass ich mehr Zeit hätte, meiner Lieblingsbeschäftigung zu frönen, wenn ich irgendwann nicht mehr arbeitete. Die Wirklichkeit sah dann aber anders aus. Man verspürt gar nicht so sehr den Drang zu lesen, wenn man eigentlich den ganzen Tag Zeit zum Lesen hätte.

Die Leute denken oft, dass sie etwas Bestimmtes machen könnten, wenn sie »bloß Zeit dafür« hätten. Doch manchmal kann man das eben deshalb nicht, weil man zu viel Zeit hat.

Es war ganz schön schwer, jeden Tag etwas zu finden, womit ich mich beschäftigen konnte. Ich fand zwar immer irgendeine Aufgabe, die es zu erledigen galt, oder entdeckte irgendeine Sehenswürdigkeit, die ich unbedingt besichtigen musste. Aber am Ende wurde mir das alles langweilig.

Ich verlor mich immer mehr in Tagträumereien. Ich warf meinen Gymnastikball an die Decke und fing ihn wieder auf. Das war aber schon das Einzige, worin ich zuletzt ganz gut geworden war. Einmal ging ich nachmittags in eine Thermalquelle bei mir in der Nähe – und merkte irgendwann, dass mir die ganze Sache, wieso auch immer, überhaupt keinen Spaß machte. Im Grunde war das aber gar nicht so verwunderlich: Ich litt weder unter Stress noch unter Erschöpfung, es gab also nichts, wovon ich mich im Thermalbad hätte erholen müssen.

Einer von der japanischen Regierung durchgeführten Studie zufolge nimmt der Grad unserer Zufriedenheit ab, wenn wir täglich mehr als sieben Stunden Freizeit haben. Dem kann ich nur zustimmen. Ich glaube zwar schon, dass reichlich Zeit und die Freiheit, das zu tun, was man gerne macht, die notwendige Voraussetzung für unser Glück sind. Doch Zeit und Muße im Überfluss zu haben, macht uns nicht glücklich.

Dem Mangel an Freiheit entronnen, überkam mich nun die Qual der Freiheit. Gandhi hat einmal gesagt: »Müßiggang ist ein angenehmer, aber auch recht anstrengender Zustand. Um glücklich zu sein, müssen wir aktiv sein.« Das empfinde ich genauso. Meine Situation hatte ihre beglückenden Seiten, war aber insgesamt äußerst anstrengend. Das Gemüse, das ich gepflanzt hatte, wollte einfach nicht wachsen. Ich schaute mir die Pflänzchen an und dachte: »Irgendwie sind sie genau wie ich.« So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Die Leute schlagen oft vor, etwas zu tun, was uns Spaß macht. Das ist keine schlechte Idee. Aber etwas völlig anderes, als ausschließlich zu tun, was uns Spaß macht.

Ein Sicherheitsnetz namens Minimalismus

Was mich rettete, war der Umstand, dass ich einen minimalistischen Lebensstil pflegte. Bei mir zu Hause gab es nur wenige Dinge, und ich hatte die Angewohnheit, regelmäßig aufzuräumen und sauber zu machen. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen unserem Geist und dem, wie es in unserem Heim aussieht. Ich glaube, die Tatsache, dass ich immer auf Sauberkeit in meinen vier Wänden achtete, war für mich ein Sicherheitsnetz, als die Depression kam. Ich bin wirklich froh, dass ich die Anzahl meiner Besitztümer reduziert habe.

Zum Glück trank ich da schon keinen Alkohol mehr. Ansonsten hätte ich wohl schon am helllichten Tag zu trinken angefangen, nur um mich abzulenken. Was mir fehlte, war das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und mich dabei weiterzuentwickeln. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Die Schule zu schwänzen und dem Unterricht fernzubleiben, kann einen durchaus fröhlich stimmen, wenn man dabei nicht erwischt wird, aber irgendwann ist der Spaß vorüber. Mehr als einmal fühlte ich mich hundeelend, wenn ich aus dem Sekretariat marschierte, nachdem ich mir wieder eine Entschuldigung ausgedacht und sie in die Anwesenheitsliste geschrieben hatte.

Die Entscheidung, meinem Minimalismusbuch eines über Gewohnheiten folgen zu lassen, hatte etwas Schicksalhaftes. Hätte ich mich nicht mit diesem Thema auseinandergesetzt, wäre mein Geist vielleicht wieder in seine präminimalistischen Trägheitsmuster zurückgefallen.

Bei den Gewohnheiten, die momentan mein Leben bestimmen, ist es natürlich von Vorteil, dass ich Freelancer bin. Und natürlich wäre dieser Lebensstil nicht praktikabel, wenn ich kleine Kinder hätte. Doch entwickelt man Gewohnheiten ja nicht einfach nur, weil man Zeit und Energie im Überfluss hat. Tatsächlich kann sich das manchmal als hinderlich erweisen. Ich glaube aber, dass meine Bemühungen und das, was ich über das Ausbilden von Gewohnheiten gelernt habe, auch Menschen von Nutzen sein kann, die beruflich stark eingespannt sind oder Kinder großziehen.

Warum laufen die meisten Neujahrsvorsätze ins Leere?

Meine guten Vorsätze fürs neue Jahr jedenfalls waren samt und sonders Fehlschläge:

morgens früh aufstehen und ein geregeltes Leben führen

meine Wohnung sauber halten

nicht zu viel essen, nicht übermäßig trinken und auf mein Gewicht achten

regelmäßige körperliche Betätigung

endlich meine Studien- und Arbeitsprojekte anpacken, statt sie weiter auf die lange Bank zu schieben

Schlaf, Hausputz, Ernährung, Sport, Aus- und Weiterbildung sowie Arbeit – die Bereiche, in denen wir uns bessere Gewohnheiten zulegen wollen, sind bei allen Menschen mehr oder weniger dieselben. Das Problem ist herauszufinden, warum es so schwierig ist, unsere guten Vorsätze einzuhalten. Ich bilde da keine Ausnahme. Regelmäßig zu Neujahr habe ich mir bestimmte Ziele gesetzt. Einer Studie zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Ziele bis zum Jahresende auch erreicht haben, bei mageren 8 Prozent. Meine Ziele gehörten regelmäßig zu den 92 Prozent, deren Umsetzung im Sande verlief, während meine Neujahrsvorsätze stets die gleichen blieben.

Ich dachte dann meist, es läge eben an meinem »schwachen Willen«. »Mir fehlt es halt an Willenskraft.« Diesen Satz sagt jeder, der es nicht schafft, einen Vorsatz zu realisieren. Wir glauben immer, die Menschheit teile sich auf in Leute, die einen starken Willen haben, und solche, denen es an Willenskraft fehlt.

Genau diese Willenskraft möchte ich unter die Lupe nehmen. Auch wenn das Folgende vielleicht ein bisschen komplizierter ausfällt, möchte ich die Willenskraft, von der alle reden, ohne wirklich über sie und ihre Funktionsweise Bescheid zu wissen, gründlich durchleuchten.

Aber warum ist es denn so schwer, nützliche Gewohnheiten zu entwickeln? Nun, das liegt daran, dass wir angesichts einer Belohnung, die wir sofort haben können, und einer, die wir erst später bekommen, innerlich in eine Zwickmühle geraten.

Alles eine Frage von »Zuckerbrot und Peitsche«

Da »Belohnung« und »Strafe« für das Erwerben von Gewohnheiten zentral sind, sehen wir uns als Erstes an, wie mögliche Belohnungen aussehen:

gutes Essen

richtig ausschlafen können

gutes Geld verdienen

etwas mit Freunden oder Kollegen unternehmen

in den sozialen Medien »gelikt« werden

All das kann eine Belohnung sein. Verbuchen Sie das einfach unter: »Dinge, die mir ein gutes Gefühl geben«.

Wir dürfen annehmen, dass hinter allem, was wir Menschen tun, die Erwartung steht, dass dabei etwas für uns herausspringt. Problematisch daran ist, dass wir in Sachen Belohnung manchmal in Konflikte geraten.

Es ist eine Belohnung, wenn Sie Süßigkeiten essen, die Sie vor der Nase haben. Sich zu beherrschen und sie nicht zu verspeisen, weil Sie etwas für Ihre Gesundheit oder Ihre Figur tun möchten, ist aber auch eine Belohnung. Und wir können es als Strafe betrachten, wenn uns schlecht wird oder wir zunehmen, weil wir zu viel essen. Mit anderen Worten: Wenn wir immer nur auf unmittelbare Belohnungen aus sind, bringen wir uns damit nicht nur um künftige Belohnungen, sondern werden sogar noch bestraft.

Wir alle wissen im Grunde, wie wir reagieren sollten:

weniger essen und abnehmen

uns bewegen, statt herumzuliegen

morgens früh aufstehen, statt sich bis spät in die Nacht die Zeit zu vertreiben

uns um unsere Arbeit oder unser Studium kümmern, statt Computerspiele zu spielen oder mit dem Smartphone herumzuspielen

Leider ist das mit der konkreten Umsetzung nicht so einfach. Wir wissen zwar, dass wir uns am Morgen in aller Gemütsruhe fertig machen und aus dem Haus gehen können, um vor dem Berufsverkehr zu unserem Zug zu kommen (= Belohnung), wenn wir früh genug aufstehen. Doch können wir einfach nicht der Versuchung widerstehen, noch fünf Minuten im Bett zu bleiben (= Belohnung) und ein ums andere Mal die Schlummertaste zu drücken. Und auch wenn wir ganz genau wissen: »Von dem Zeug krieg ich garantiert wieder einen Kater!« (= Strafe), schenken wir uns doch noch mal Wein nach (= Belohnung). Uns ist bewusst, dass wir todsicher in Panik verfallen (= Strafe), wenn wir Aufgaben vor uns herschieben. Trotzdem können wir uns nicht vom Computerspiel oder dem Smartphone losreißen (= Belohnung).

Der Grund, warum es uns nicht gelingt, nützliche Gewohnheiten zu entwickeln, ist der, dass wir häufig den Verlockungen einer sofortigen Belohnung nicht widerstehen können. Leute, die nicht reflexartig nach der Karotte vor ihrer Nase schnappen, weil sie entweder Strafe vermeiden wollen oder zukünftige Belohnungen anvisieren, solche Leute nennen wir »Menschen mit starkem Willen«.

Einen Apfel heute oder lieber morgen zwei?

Angenommen, Billy ist gerade von der Schule heimgekommen und seine Mama sagt zu ihm:

»Hallo, Billy. Wenn du deine Hausaufgaben machst, bevor du rausgehst zum Spielen, backe ich dir heute in einem Jahr einen Kuchen.«

Würde Billy – oder so ziemlich jeder – da nicht sofort abhauen auf den Spielplatz, wo sein Freund schon auf ihn wartet?

Sich künftige Belohnungen vorzustellen, ist schwer. Wir sehen eher die Karotte, die uns direkt vor der Nase baumelt, und entscheiden uns für sie und gegen Belohnungen, die wir erst in der Zukunft einkassieren können. Diesen Sachverhalt hat der Verhaltensökonom Richard Thaler mithilfe von Äpfeln experimentell untersucht. Ich möchte Sie nun bitten, sich die folgenden Fragen durchzulesen und zu überlegen, wie Sie sich entscheiden würden.

Frage 1

Würden Sie lieber

einen Apfel in einem Jahr ab heute bekommen?

zwei Äpfel in einem Jahr und einem Tag ab heute bekommen?

Die meisten entschieden sich hier für Option b). Sie müssen sich ohnehin ein Jahr gedulden, da macht ein Tag länger auch nichts mehr. Also wählten sie die zwei Äpfel. Ändern sich jedoch die Bedingungen …

Frage 2

Würden Sie lieber

heute einen Apfel bekommen?

morgen zwei Äpfel bekommen?

Hier entschieden sich viele, die bei Frage 1 die Option b) gewählt hatten, für Möglichkeit a). Obwohl in beiden Fällen Bedingung und Belohnung gleich sind – einen Tag länger warten, um einen Apfel mehr zu bekommen –, fällt hier die Reaktion anders aus.

Nun ist nicht jeder ein Apfelliebhaber, und nicht jeder empfindet die Aussicht auf einen Apfel als so verlockend wie seinerzeit Adam. Also wiederholte man das Experiment und ersetzte die Äpfel durch Geld, das wohl für jeden interessant ist.

Frage 3

Würden Sie lieber

am Freitag einen bestimmten Geldbetrag erhalten (zum Beispiel 10 Euro)?

am Montag einen 25 Prozent höheren Geldbetrag erhalten (also drei Tage später 12,50 Euro)?

Das Ergebnis war nun interessant. Fragte man die Leute vor Freitag, dann entschieden sich die meisten rational für Option b). Stellte man ihnen die gleiche Frage aber am Freitag, dann änderten 60 Prozent ihre Meinung und nahmen den geringeren Betrag, den sie auf der Stelle bekamen. Vielleicht entscheiden Sie sich in einem abgeklärten Moment, etwa wenn Sie gerade dieses Buch gelesen haben, ja für Option b). Aber was, wenn Ihnen jemand mit einem 10-Euro-Schein vor der Nase herumwedelt?

Sich den Genuss eines Apfels auszumalen, den man erst in einem Jahr bekommen soll, ist schwierig. Also berührt Sie die ganze Angelegenheit nicht sonderlich und Sie entscheiden sich für die Option, noch einen Tag zusätzlich zu warten. Kurz: Je weiter eine Belohnung in der Zukunft liegt, desto geringer scheint ihr Wert zu sein. Diese Einschätzung gilt aber nicht nur für Belohnungen, sondern trifft auch auf Strafen zu. Wenn Sie nicht rechtzeitig mit dem Lernen anfangen, werden Sie kurz vor Ihren Prüfungen massiv unter Druck stehen. Doch als noch genug Zeit gewesen wäre, konnten Sie sich nicht vorstellen, wie Sie sich später fühlen würden.

Sie könnten Lungenkrebs bekommen, wenn Sie weiterhin rauchen. Und Sie könnten zuckerkrank werden, wenn Sie nicht aufhören, Süßigkeiten zu essen. Doch tut man solche möglichen Spätfolgen gern ab, weil man den Genuss, den Nikotin oder Süßigkeiten jetzt im Moment bieten, höher bewertet.

Überbewertung der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung (hyperbolische Diskontierung)

Das brennende Verlangen nach der Karotte vor der Nase

Wir Menschen neigen dazu, wie eben beschrieben, eine unmittelbare Belohnung überzubewerten, während wir den Wert von künftigen Belohnungen oder Strafen zu niedrig ansetzen. In der Verhaltensökonomik wird dieses Phänomen als »hyperbolische Diskontierung« bezeichnet. Der Mensch kann, anders als ein Computer, den Wert einer Sache nicht rational gewichten. Wir wollen den Apfel, den man uns anbietet, sofort essen. Und wir wollen lieber 10 Euro jetzt als 12,50 Euro in drei Tagen. Wir können nicht warten. Und wenn die Belohnung in weiter Ferne liegt, dann können wir uns nicht aufraffen, dafür etwas zu tun. Es ist nun mal nicht so, dass wir morgen gleich ein paar Pfund weniger auf die Waage bringen, wenn wir uns heute diese köstliche Mahlzeit, die schon auf dem Tisch steht, verkneifen oder joggen gehen. Es kann einen oder auch drei Monate dauern, diese lästigen Pfunde loszuwerden.

Das Phänomen der hyperbolischen Diskontierung liefert uns die Erklärung, warum es uns gar so schwerfällt, nützliche Gewohnheiten zu entwickeln wie Diät zu halten, Sport zu treiben, einen geregelten Lebenswandel zu führen oder Arbeiten nicht aufzuschieben.

Warum können wir auf eine Belohnung nicht einfach warten?

Aber wieso haben wir Menschen eigentlich dieses lästige Verhalten namens hyperbolische Diskontierung an uns? Nun, der Grund ist einfach der, dass der moderne Mensch sich nicht großartig unterscheidet von den Jägern und Sammlern früherer Zeiten. Unsere Zivilisation ist gerade mal 5000 Jahre alt, das sind lediglich 0,2 Prozent der gesamten Menschheitsgeschichte. Über 99 Prozent der körperlichen und geistigen Entwicklung von uns Menschen zielten auf die Optimierung unserer Fertigkeiten als Jäger und Sammler ab. Damit eine Spezies sich höher entwickeln kann, braucht es mehrere Zehntausend Jahre. Wir setzen also unbewusst immer noch Strategien ein, die entwicklungsgeschichtlich nützlich waren.

Was in jenen Zeiten oberste Priorität hatte, war die Beschaffung von Nahrung, um das eigene Überleben sicherzustellen. Wenn man aber nicht wusste, wann man das nächste Mal an Nahrung kommen würde, war es sicher eine sinnvolle Strategie, sich den Bauch zu füllen, sobald man etwas Essbares gefunden hatte.

Heute ist die Situation eine ganz andere. In hoch entwickelten Ländern wie Japan ist es nur selten ein Problem, den eigenen Nahrungsbedarf zu decken. Supermärkte und Lebensmittelläden bieten mehr als genug köstliche, hochkalorische Nahrungsmittel. Heute ist es eher nötig, diesen Verlockungen so weit wie möglich zu widerstehen und den Kalorienüberschuss durch Sport wieder abzubauen. Dies ist das neue Geheimnis für Gesundheit und ein langes Leben.

Der beste Weg zu einem guten Leben wäre eigentlich, nicht mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als man tatsächlich braucht, und dann zu schlafen wie eine Katze. Doch leider haben wir Menschen, anders als Katzen, eine Gesellschaft geschaffen, in der wir nicht überleben, wenn wir den Großteil der Zeit mit Schlafen verbringen. Darüber hinaus ist die Arbeit, die der Einzelne verrichtet, hochgradig komplex geworden. Das wiederum verlangt von uns, dass wir uns durch eintönige Ausbildungen quälen und uns schwierigen Prüfungen unterziehen, um Qualifikationen zu erwerben, die uns beruflich einen Vorsprung verschaffen und ein gutes Einkommen sichern.

Die Menschen der Frühzeit, die jeden Moment von einem Säbelzahntiger angegriffen und verspeist werden konnten, hatten vermutlich nicht viel Zeit für romantische Gefühle oder dafür, die Freuden des Singledaseins zu genießen. Ich bin mir sicher, dass ein Mann damals gleich zur Sache gekommen wäre und Nachwuchs gezeugt hätte, sobald eine Frau dazu bereit war. Diese Art von Mann würde heute vermutlich wenig Begeisterung hervorrufen.

Die Regeln, nach denen unsere Gesellschaft jetzt spielt, haben sich dahingehend verändert, nicht mehr sofort nach der Karotte vor der Nase zu schnappen, sondern die Bedürfnisbefriedigung auf später zu verschieben. Nur hat sich die Natur der Spieler nicht entsprechend geändert. Darum müssen wir uns mit so ärgerlichen Phänomenen wie der hyperbolischen Diskontierung herumschlagen.

Über Kinder, die es irgendwie schaffen, auf ihre Marshmallows zu warten

Trotzdem gibt es Leute, die imstande sind, sich den veränderten Spielregeln schnell anzupassen. Menschen mit »eisernem Willen«, die nützliche Gewohnheiten aufrechterhalten und alles Nötige tun, um ihre Ziele zu erreichen. Was aber unterscheidet die Menschen, die unweigerlich nach der Karotte schnappen, von denen, die auf ihre Belohnung warten können?

Eine Antwort auf diese Frage kann uns der berühmte Marshmallow-Test liefern, den der Psychologe Walter Mischel erdacht hat. Bitte lesen Sie das Folgende aufmerksam, denn die Erkenntnisse aus dem Marshmallow-Test sind eines der zentralen Themen in diesem Buch.

Dieser Test wurde in den 1960er-Jahren mit vier- bis fünfjährigen Kindern aus der Bing Nursery School, dem Kindergarten der Universität Stanford, durchgeführt. Als Erstes sollten sich die Versuchsteilnehmer aussuchen, welchen der folgenden Snacks sie am liebsten haben wollten: Marshmallows, Kekse oder Salzbrezeln. Der gewählte Snack – im Folgenden spreche ich der Einfachheit halber immer von Marshmallows – wurde dann auf das Tischchen gestellt, an dem das Kind saß. Dann sagte man dem Kind, es solle sich für eine der beiden folgenden Optionen entscheiden (ein wirklich einfaches Experiment):

Das Marshmallow auf dem Tisch sofort essen.

Das Marshmallow nicht sofort essen und höchstens 20 Minuten darauf warten, dass der Versuchsleiter zurückkommt. Kann das Kind so lange warten, bekommt es zwei Marshmallows.

Neben dem Marshmallow stand ein Glöckchen. Die Kinder konnten das Glöckchen läuten und das Marshmallow essen, wenn sie nicht warten wollten. Die Kinder, die sich beherrschen konnten und nicht aufstanden beziehungsweise das Marshmallow nicht aßen, bevor der Versuchsleiter wieder da war, sollten zur Belohnung zwei Marshmallows bekommen.

Der eigentliche Knackpunkt an diesem Test ist, dass er untrüglich Aufschluss darüber gibt, ob jemand die Fähigkeit besitzt, zugunsten einer größeren Belohnung in der Zukunft den Versuchungen der sofortigen Bedürfnisbefriedigung zu widerstehen – eine Fähigkeit, die für das Entwickeln nützlicher Gewohnheiten nötig ist.

Die Kinder in diesem Test schnupperten versonnen an ihrem Marshmallow, taten so, als würden sie hineinbeißen, oder schleckten das süße Puder vom Marshmallow in ihrer Hand ab, während sie warteten. Die Mehrheit der Kinder, die ihre Augen nicht von der Süßigkeit abwenden konnten, schafften es nicht, das Ding nicht zu essen. Sobald sie sich erlaubt hatten, es abzulecken, konnten sie sich nicht mehr beherrschen. Das Verhalten, das sie anschließend zeigten, unterschied sich in nichts von dem der Erwachsenen: Sie legten die Hände an die Wangen und machten ein unglückliches Gesicht, weil sie es nicht fertiggebracht hatten, dann zu essen, wann sie es wollten.

Bei diesem Test schafften die Kinder es im Durchschnitt, sechs Minuten zu warten. Zwei Drittel der Kinder waren nicht fähig zu warten, bis der Versuchsleiter zurückkam. Sie verputzten das Marshmallow vor ihrer Nase. Ein Drittel konnte sich beherrschen und bekam die versprochenen zwei Marshmallows.

Lässt sich mithilfe des Marshmallow-Tests die Zukunft vorhersagen?

Jetzt wird der Versuch erst so richtig spannend. Eine Langzeitstudie begleitete die Kinder aus dem Marshmallow-Test und brachte ein überraschendes Ergebnis: Je länger die Probanden als Vorschüler hatten warten können, desto besser schnitten sie beim SAT ab, einem US-amerikanischen Studierfähigkeitstest.

Diejenigen, die sich als Kinder 15 Minuten gedulden konnten, erzielten beim SAT ein um 210 Punkte besseres Ergebnis als jene, die ihr Marshmallow innerhalb von 30 Sekunden verdrückt hatten.

Die beherrschteren Kinder waren darüber hinaus bei ihren Altersgenossen und Lehrern beliebter und bekamen besser bezahlte Jobs. In mittleren Jahren wurden sie nicht übergewichtig, ihr BMI lag unter dem Durchschnitt. Auch das Risiko eines Drogenmissbrauchs war geringer. Ein bisschen unheimlich ist es schon, wenn ein Test, den Kinder mit vier oder fünf Jahren machen, Vorhersagen ermöglicht, wie ihr Leben ein paar Jahrzehnte später verlaufen wird.

Eine andere Langzeitstudie, bei der 1000 Neuseeländer von der Geburt bis zum Alter von 22 Jahren begleitet wurden, brachte ähnliche Ergebnisse. Die Kinder, die schon früh mehr Selbstbeherrschung zeigten, waren als Erwachsene seltener übergewichtig, bekamen weniger sexuell übertragbare Krankheiten, hatten gesündere Zähne und wiesen generell ein besseres Allgemeinbefinden auf.

Fragen, die sich aus dem Marshmallow-Test ergeben

Sieht man sich Ergebnisse wie diese an, dann geht einem vielleicht folgender Gedanke durch den Kopf: »Na gut. Es steht also schon von Geburt an fest, ob ein Kind fähig ist, seine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung aufzuschieben, um in der Zukunft dafür belohnt zu werden. Jetzt weiß ich, warum ich es einfach nicht schaffe, nützliche Gewohnheiten zu entwickeln. Na klasse.« Und dann gibt man auf. Aber selbst wenn das Ergebnis klar scheint, so ergeben sich aus diesem Experiment aus meiner Sicht dennoch einige Fragen. Speziell die folgenden haben mich beschäftigt:

Die Kinder, die warten konnten, nutzten so etwas wie Willenskraft, um der Versuchung des Marshmallows zu widerstehen. Wie funktioniert eine solche Willenskraft nun, sofern es sie überhaupt gibt? (Wenn es stimmt, wie alle behaupten, dass man nützliche Gewohnheiten nur durch einen »starken Willen« erwirbt, dann verhilft das Verständnis der Willenskraft uns auch zu einem besseren Verständnis der Gewohnheiten.)

Steht diese Willenskraft bereits im Alter von vier oder fünf Jahren fest? Ist es nicht möglich, auch später noch einen starken Willen zu entwickeln?

Der Radieschentest oder: Schwächt es unsere Willenskraft, wenn wir sie gebrauchen?

Als Erstes möchte ich mich mit Frage 1 befassen: Wie funktioniert diese Willenskraft, die manche Kinder anscheinend besessen haben, sodass sie der Versuchung vor ihrer Nase widerstehen konnten?

Der »Radieschentest« ist das bekannteste Verfahren zur Prüfung der Willenskraft. Diesen Namen verdankt das Experiment, das von dem Psychologen Roy Baumeister durchgeführt wurde, den Radieschen und Schokokeksen, die man dabei einsetzte.

Eine Gruppe von hungrigen Studenten sollte an einem Tisch Platz nehmen, auf dem Kekse und eine Schale mit Radieschen standen. Während der süße Duft von frisch gebackenen Keksen den Raum erfüllte, wurden die Studenten in drei Gruppen aufgeteilt:

Gruppe A: Studenten, die von den Keksen essen durften

Gruppe B: Studenten, die nur die rohen Radieschen essen durften

Gruppe C: Studenten, die weder Kekse noch Radieschen essen durften und hungern mussten

Den bedauernswerten Versuchsteilnehmern in Gruppe B wurden die Kekse mit der Begründung verweigert, dass diese noch für ein anderes Experiment gebraucht würden. Auch wenn keiner von ihnen die verbotenen Kekse verspeiste, so war doch klar, dass sie gerne davon genascht hätten, weil sie den Duft einsogen oder einen Keks nahmen und ihn dann »versehentlich« fallen ließen.

Anschließend wurden die Studenten in einen anderen Raum geführt, wo sie ein paar knifflige Aufgaben lösen sollten. Das Gemeine an diesen Kopfnüssen war nun, dass sie gar nicht zu knacken waren. Die Studenten sollten auch gar nicht auf ihren IQ oder die Fähigkeit, Denksportaufgaben zu lösen, getestet werden. Das Ziel war vielmehr herauszufinden, wie schnell sie aufgeben würden.

Die Studenten aus Gruppe A (mit Keksen gestärkt) und Gruppe C (noch immer hungrig) versuchten sich im Durchschnitt 20 Minuten an den unlösbaren Aufgaben, während die Radieschenesser aus Gruppe B im Schnitt schon nach acht Minuten aufgaben.

Lange Zeit war die Standarderklärung für dieses Ergebnis die folgende: Die Radieschenesser aus Gruppe B hatten bereits einen großen Teil ihrer Willenskraft dafür aufgewendet, keine Kekse zu essen. Das Lösen der Testaufgaben verlangte ebenfalls Willenskraft, daher hatten sie schneller aufgegeben. Anders formuliert: Willenskraft wurde als begrenzte Ressource betrachtet. Je mehr man davon aufwendet, desto geringer sind die verbleibenden Reserven. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse kann man sich Willenskraft tatsächlich gut als endliche Ressource vorstellen. Willenskraft wäre demnach so etwas wie eine begrenzte spirituelle Energie, vergleichbar mit den Magiepunkten, die man in bestimmten Rollenspielen zum Zaubern braucht.

Jeder Zauber verbraucht mehr oder weniger vom Energievorrat der Spieler. Sollte die Welt der Rollenspiele Ihnen fremd sein, stellen Sie sich Willenskraft vor als Tankfüllung Ihres Autos, die immer weiter sinkt, je länger Sie fahren.

Dieses Modell scheint die perfekte Erklärung dafür zu liefern, warum wir immer wieder wie unter Zwang bestimmte Dinge tun.

Wenn wir zum Beispiel dauernd Überstunden machen, halten wir auf dem Heimweg irgendwo an, um uns mit Süßigkeiten zu versorgen oder Unmengen Alkohol in uns hineinzukippen. In diesem Zustand genügt dann schon eine Kleinigkeit, um uns explodieren zu lassen.

Bei einem anderen Experiment wurde das Verhalten von Studenten unter Stress untersucht: Die Teilnehmer trieben keinen Sport mehr, rauchten mehr, konsumierten mehr Junkfood und wurden nachlässig beim Zähneputzen beziehungsweise Rasieren. Zudem schliefen sie länger und tätigten mehr Impulskäufe. Vermutlich sind diese Dinge jedem von uns gut bekannt. Zumindest kommt dergleichen bei mir nur allzu oft vor. Willenskraft scheint also tatsächlich etwas zu sein, das man aufbrauchen kann. Niemand kann sich endlos lange mit schwierigen Berechnungen beschäftigen oder an anstrengenden Projekten arbeiten, die seine ganze Kreativität fordern. Irgendwann ist tatsächlich unsere Energie alle, und wir müssen uns ausruhen oder ein Nickerchen machen.

Willenskraft ist keine Energie, die sich leicht verbraucht

Angesichts dieser Beispiele kamen nun einige Leuten auf die Idee, dass Willenskraft vielleicht einfach nur eine Frage unseres Blutzuckerspiegels ist. Um diese Hypothese zu überprüfen, führte man ein Experiment durch, bei dem die Probanden »richtige Limonade« (mit echtem Zucker) oder »künstliche Limonade« (mit Süßstoff) zu trinken bekamen. Bei den Leuten aus der Süßstoffgruppe stieg der Blutzuckerspiegel nicht, und sie brachen außerdem den Test ab. Nun weiß ja jeder, dass man zu keinerlei Aktivitäten Lust hat, wenn einem der Magen knurrt.

Ist es also gerechtfertigt, Willenskraft als Ergebnis unserer Blutzuckerwerte zu betrachten beziehungsweise als Energie, die verbraucht werden kann? Ich glaube nicht, denn die erwähnten Experimente lassen zu viele Fragen ungeklärt.

In meinem Tagebuch zum Beispiel gibt es einige Einträge wie diesen: »Ramen-Nudeln gegessen > dann über Kartoffelchips hergemacht > zu guter Letzt noch ein Eis.« So nach dem Motto: Wenn ich schon Ramen-Nudeln esse, kann ich mir auch gleich noch Kartoffelchips und ein Eis reinpfeifen! Auf diese Weise essen und trinken wir zu viel.

Da ich mir nicht verboten hatte, Ramen und Kartoffelchips zu essen, musste ich auch nicht von meiner Willenskraft Gebrauch machen, sodass sich mein Blutzucker problemlos wieder hätte einpendeln können. Warum konnte ich die aufgesparte, regenerierte Willenskraft aber nicht dazu verwenden, mich vom Eis fernzuhalten?

Wenn wir nach dem Training aus dem Fitnessstudio kommen, dürften wir Hunger haben, und unsere Willenskraft müsste zu 100 Prozent aufgeladen sein. Doch selbst wenn ich dann auf dem Heimweg bei einem Supermarkt anhalte, habe ich kein Verlangen nach ungesundem Essen. Hänge ich andererseits bloß faul herum, während ich ständig daran denke, dass ich eigentlich zum Sport gehen sollte, dann greife ich auch eher zu Junkfood.

Willenskraft, die sich durch Nichtstun verbraucht

Wenn Willenskraft tatsächlich eine Energie ist, die durch ihren Einsatz weniger wird, sollte es doch eigentlich eine gute Idee sein, diese Ressource möglichst zu schonen. So ähnlich wie Kaede Rukawa in Slam Dunk, der sich beim Basketball in der ersten Spielhälfte rausnimmt, um sich dann voll auf die zweite Hälfte zu konzentrieren.

Das würde heißen, dass Sie Ihre Willenskraft effektiver nutzen könnten, wenn Sie bis in die Puppen schlafen und zu Besprechungen immer erst in letzter Minute auftauchen. Aber gibt es wirklich Leute, die, wenn Sie es morgens langsamer angehen lassen, sagen: »Vielleicht hält er/sie sich heute Vormittag ja einfach ein wenig zurück«? Menschen, die am Vormittag eine ruhige Kugel schieben, tun das gewöhnlich auch am Nachmittag.

Wenn ich morgens nicht zur rechten Zeit aufstehe, kann ich mich oft nicht richtig auf meine Arbeit oder mein Training konzentrieren, weil ich mir Vorwürfe mache, dass ich nicht getan habe, was ich sollte. Das wiederum hindert mich daran, die Aufgabe anzupacken, die als Nächstes ansteht. Kurz: Willenskraft wird also nicht nur durch Aktivität reduziert, sondern eben auch durch Nichtstun.

Der Einfluss der Gefühle auf die Willenskraft