Hermann für Frau Mann - Anke Bahr - E-Book

Hermann für Frau Mann E-Book

Anke Bahr

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Beschreibung

Freie Fahrt für freie Liebe! So oder ähnlich könnte eine von Eva Manns Verkehrsregeln lauten. Eine Regel, die jedoch eine grundlegende Prüfung erfährt, als sie Hermann kennenlernt. Was Eva nicht weiß: Ihre Tochter Lilly hat ihn engagiert, um die lebenslustige Mama wieder auf Spur zu bringen. Was Lilly nicht weiß: Eva will das fade Liebesleben ihrer Tochter auf Touren bringen. Freie Fahrt also für große Probleme! »Siegfried ist bei ihr oben. Die beiden haben anscheinend was ...«, wir sind in einer Kinderzahnarztpraxis in Freiburg, nicht in Amsterdam, deshalb flüstert Marlene, »…geraucht.« »Und jetzt?« »Jetzt haben wir das Wartezimmer voller Karies und Frau Doktor liegt zugedröhnt in der Wanne. Ich habe mehrfach versucht, sie dazu zu bewegen, ihren Dienst anzutreten, aber ...« Marlene zieht ihre zarten Schultern bis zu den Ohren: »Fehlanzeige!« Ich werde meinen Stress wegatmen. Ich hab das gelernt. Ich halte die Situation innerlich an und hole tief Luft. Ich bin auf einmal sehr gelassen – denn das sind nicht meine Probleme, sondern die meiner Mama. Na ja, so ganz stimmt das nicht. Schließlich ist Lilly Mann eine Tochter, wie sie im Buche steht, und sorgt sich um ihre, sagen wir mal: unkonventionelle Mutter. Beruflich repariert Eva Mann kariöse Kinderzähne, privat hingegen lässt sie es ordentlich krachen. Eva mag Männer, so ist das eben. Und Lilly? Die liebt ihre Sandkastenliebe Simon. Grundverschieden wie Mutter und Tochter sind, fehlt manchmal einfach das Verständnis für den Lebensstil der anderen. Als Lilly das Angebot für ein Auslandssemester in Göteborg erhält, herrscht Freude – aber auch Sorge: Was tun mit Muttern? So ganz ohne töchterliche Kontrolle? Die Lösung steht an der nächsten Straßenecke: Hermann, ein grundsolider, netter Mann mit der Lizenz zum Taxifahren – eigentlich nichts für Eva, denn die steht eher auf kurzweilige Spritztouren mit kernigen Kerlen. Mit Lilly als Navi kriegt Hermann jedoch die Kurve und Eva, die von der Verkupplungsaktion nichts weiß, steigt ein. Problem gelöst? Na ja, nicht so ganz: Zum ersten Mal in Evas Leben übernehmen tiefe Gefühle das Steuer – ein Umstand, der sie voller Panik zum Sicherheitsgurt greifen lässt. Denn Hermann ist nicht ganz ehrlich. »Hermann für Frau Mann« ist ein rasant erzählter Roman über fürsorgliche Töchter, renitente Mütter und Taxifahrer mit Herz.

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Seitenzahl: 244

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Anke Bahr und Lotte Kinskofer

Hermann für Frau Mann

Roman

Copyright der eBook-Ausgabe © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © privat

ISBN: 978-3-942822-52-7

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Hermann für Frau Mann

Freie Fahrt für freie Liebe! So oder ähnlich könnte eine von Eva Manns Verkehrsregeln lauten. Eine Regel, die jedoch eine grundlegende Prüfung erfährt, als sie Hermann kennenlernt. Was Eva nicht weiß: Ihre Tochter Lilly hat ihn engagiert, um die lebenslustige Mama wieder auf Spur zu bringen. Was Lilly nicht weiß: Eva will das fade Liebesleben ihrer Tochter auf Touren bringen. Freie Fahrt also für große Probleme!

»Siegfried ist bei ihr oben. Die beiden haben anscheinend was ...«, wir sind in einer Kinderzahnarztpraxis in Freiburg, nicht in Amsterdam, deshalb flüstert Marlene, »…geraucht.«

»Und jetzt?« 

»Jetzt haben wir das Wartezimmer voller Karies und Frau Doktor liegt zugedröhnt in der Wanne. Ich habe mehrfach versucht, sie dazu zu bewegen, ihren Dienst anzutreten, aber ...« 

Marlene zieht ihre zarten Schultern bis zu den Ohren:

»Fehlanzeige!« 

Ich werde meinen Stress wegatmen. Ich hab das gelernt. Ich halte die Situation innerlich an und hole tief Luft. Ich bin auf einmal sehr gelassen – denn das sind nicht meine Probleme, sondern die meiner Mama. Na ja, so ganz stimmt das nicht. Schließlich ist Lilly Mann eine Tochter, wie sie im Buche steht, und sorgt sich um ihre, sagen wir mal: unkonventionelle Mutter. Beruflich repariert Eva Mann kariöse Kinderzähne, privat hingegen lässt sie es ordentlich krachen. Eva mag Männer, so ist das eben. Und Lilly? Die liebt ihre Sandkastenliebe Simon. Grundverschieden wie Mutter und Tochter sind, fehlt manchmal einfach das Verständnis für den Lebensstil der anderen. Als Lilly das Angebot für ein Auslandssemester in Göteborg erhält, herrscht Freude – aber auch Sorge: Was tun mit Muttern? So ganz ohne töchterliche Kontrolle? Die Lösung steht an der nächsten Straßenecke: Hermann, ein grundsolider, netter Mann mit der Lizenz zum Taxifahren – eigentlich nichts für Eva, denn die steht eher auf kurzweilige Spritztouren mit kernigen Kerlen. Mit Lilly als Navi kriegt Hermann jedoch die Kurve und Eva, die von der Verkupplungsaktion nichts weiß, steigt ein. Problem gelöst? Na ja, nicht so ganz: Zum ersten Mal in Evas Leben übernehmen tiefe Gefühle das Steuer – ein Umstand, der sie voller Panik zum Sicherheitsgurt greifen lässt. Denn Hermann ist nicht ganz ehrlich.

Ja, der Rahmen war schon fertig

und der Rahmen war nicht schlecht.

Jetzt muss nur noch der Mensch reinpassen

und den biegen wir uns schon zurecht.

Für Nik, Liv und Chris

Anke

I. Mein Simon

Natürlich liebe ich ihn. Ich bin ja nicht bescheuert und teile meine besten Jahre mit einem, den ich nicht liebe. Es gibt wirklich eine ganze Latte an Gründen, weswegen es schön ist, mit ihm zusammen zu sein:

Er sieht erstens gut aus. Sage übrigens nicht nur ich, sondern auch meine Kommilitoninnen. Sehr gut sogar, wenn ich ihn mir so anschaue, wie er gerade strubbelblond im zerbeulten T-Shirt im Bett liegt: der Bizeps definiert, aber nicht aufgeblasen, das Kinn kantig, aber nicht verbissen, die Lippen sinnlich, aber nicht verweichlicht.

Komisch, dass man seine Attraktivität trotzdem nicht gleich bemerkt. Irgendwie muss das an seiner Art liegen. Er ist dieser Typ Mann, der aufgrund von fehlendem Selbstbewusstsein nicht so gut aussieht, wie er könnte. Aber das Äußere ist mir sowieso egal. Mal ehrlich, das geht vorbei mit den Jahren. Gerade bei Männern. Was hab ich von einem faltigen Latin Lover, der unzuverlässig ist und dumpfbackig. Mein Simon dagegen ist unfassbar treu, engagiert, studiert und auch noch umweltbewusst. Er trägt mich auf Händen, kennt den G-Punkt, trennt den Müll. Im Traum haben sich unsere Mütter nicht vorstellen können, dass solche Männer mal real werden - und wir undankbaren Töchter beschweren uns über Langweile! Nein, Simon ist ganz wundervoll. Und er muss jetzt aufstehen.

»Morgen!« Ich schiebe eine lange Ponysträhne zur Seite. Er schlägt die Augen auf, dahinter sanftes Blau. Wie immer steht er sofort Gewehr bei Fuß.

»Ich hol Brötchen.«

»Schon passiert. Ich konnte ab sechs nicht mehr schlafen.«

»Maus ...«, erwidert er nur und legt den Kopf einfühl sam nach rechts.

Zwei Minuten später sitzen wir an seinem Birkenholztisch. Er schaut betreten auf die Bio-Erdbeer-Marmelade, ich in meinen grünen Tee. Früher, also vor fünf Jahren, haben wir stundenlang diskutiert. Oder sagen wir besser: uns ereifert, denn in vielem waren wir uns einig. Seit der Oberstufe sind wir zusammen, haben gemeinsam in der Schülermitverantwortung für unsere Rechte gekämpft, uns die Köpfe zerbrochen über die Bush-Regierung, die Erderwärmung und das lausige Fernsehprogramm. Und jetzt? Sind wir uns so einig, dass wir nicht mal mehr drüber reden? In mir reift der Wunsch, unsere Sprachlosigkeit zu thematisieren. Sofort fährt mein Kontrollsystem hoch: Du hast die perfekte Harmonie, mach sie nicht kaputt!

Ach, scheiß drauf!

»Merkst du eigentlich, dass wir uns gar nichts mehr zu sagen haben?«

Simon reagiert erwartungsgemäß mit betroffener Stille. Und erwidert nach gefühlten dreieinhalb Stunden: »Findest du?«

»Sonst hätt ich's nicht gesagt. Die Frage ist, ob du das findest?«

»Find ich das? Eigentlich nicht. Obwohl...«

Warum hat er keine eigene Meinung? Da muss man als Frau doch wahnsinnig werden.

»Findest du unsere Beziehung langweilig?«

»Wieso denn das?«

»Weil du nicht mehr mit mir redest.«

»Gestern Abend zum Beispiel haben wir doch ganz viel geredet.«

Ich bin betroffen. Nein, ich bin nicht betroffen - ich bin stocksauer: Gestern Abend haben wir uns mit Frank und Alex getroffen, zwei seiner Kommilitonen von der FH. Und wir haben natürlich viel gequatscht, weil man das so macht, wenn jemand da ist. Das ist aber was ganz anderes als das, was ich meine.

»Wir waren ja gar nicht allein!«

»Wir hatten Besuch. Aber das zählt doch auch.«

»Simon, es geht darum, dass wir, wenn wir nur zu zweit sind, wenig miteinander reden. Wir interessieren uns kaum noch für den anderen. Denken, dass wir sowieso alles wüssten, ziehen uns in unsere eigene Erlebniswelt zurück.«

»Das liegt vielleicht daran, dass Männer grundsätzlich nicht so viel...«

»Ach komm, du bist schon länger Mann, und früher hast du mit mir geredet.«

»Ist doch schön, wenn man sich so wohl beim anderen fühlt, dass man sich traut zu schweigen.«

»Aber es ist auch mal ganz schön, nicht zu schweigen.«

»Klar.«

Und dann schweigen wir wieder. Solche Diskussionen haben kaum einen Einfluss auf unser Zusammensein. Außer dass sie Simon noch stärker verunsichern und das dann alles noch schwieriger macht. Weiß ich. Trotzdem muss ich diese Sachen ansprechen. Einer muss ja an der Beziehung arbeiten, sonst wird sie zum lahmen Gaul.

Aber warum immer ich?

»Ich geh los«, seufze ich ihn an.

Du musst doch was frühstücken, kommt jetzt wahr scheinlich.

»Du musst doch was frühstücken vor dem Joggen«, sagt er und sieht inzwischen nicht mehr so gut aus wie vorhin im Bett, als er noch schlief. Das meine ich: dieses Passive, latent Besorgte ist irgendwie unsexy. Lilian Mann - schäm dich! Solche Gedanken musst du dir verbieten. Die sind überheblich und ungerecht. Und das von einer Psychologin. Ist doch lieb, dass er sich sorgt.

»Ich hab noch viel zu tun. Außerdem muss ich meine Klamotten noch zu Hause holen, bevor die Uni losgeht. Und bei Eva nach dem Rechten schauen.«

Auf einmal fruchtet unser Gespräch von vorhin doch.

»Irgendwas Besonderes heute an der Uni?«, hör ich ihn aus seiner Frühstücksecke fragen. Na also!

»Professor Hueck will, dass ich zu ihm komme. Er hat so geheimnisvoll getan, da ist was im Busch.«

»Wow«, kommentiert Simon und räumt den Frühstücks tisch ab.

Kommen noch weitere Fragen? Nein? Okay, dann geh ich jetzt.

Ich hab meine High-Tech-Gelsohlen schon unter den Füßen, da fällt mir noch was ein.

Mein Sorgen-Mantra: »Fahr vorsichtig!«

»Ich muss nur zur FH.«

»Trotzdem.« Lieber einmal zu viel gesagt als zu wenig.

Ich küsse ihn auf den Mund - eine zarte Insel zwischen stoppeligen Dreitageborsten.

Drei Häuserecken weiter bin ich schon an meiner geliebten Dreisam, dem Freiburger Hauptfluss. Bereits als Kind bin ich an den Auenwäldern entlangmarschiert. Strabanzt, würde Eva sagen.

Eva, meine Mama. Manchmal war sie beim Strabanzen dabei, aber mit sechs oder sieben Jahren bin ich meist allein hergekommen, wenn ich an die frische Luft musste. Seit ein paar Jahren stehen hier Hinweisschilder, auf denen die Planeten des Sonnensystems eingehend erläutert werden. Ich habe jetzt keine Zeit für Himmelskörper - ich muss mich auf meinen eigenen konzentrieren: Zwei Schritte einatmen, zwei aus, zwei ein, zwei aus. Ich könnte nie mit jemandem gemeinsam laufen, dann würde ich beim Luftholen total durcheinander kommen ... zwei ein ...

Wie schaffen das andere Menschen ... zwei aus ... ist mir ein Rätsel. Zwei ein ... wie schön die Frühlingssonne jetzt durch die Laubbäume bricht... aus ... Pulsuhrenvergleich ... ein... Mist: über 130. Bin aus dem gesunden aeroben Bereich draußen ... ein, quatsch: aus ... langsamer ... ein ... noch langsamer Lilly ... Seitenstechen, Menno.

Ich muss mich keuchend an einen Baum lehnen. In diesem schwachen Moment überholen mich zwei gutgelaunte Männer.

Sie reden miteinander - mehr noch: sie quatschen regelrecht, sie stellen sich Fragen, sind interessiert, und haben dabei anscheinend kein Seitenstechen. Super!

Aber dieser Tag bringt noch mehr unschöne Überraschungen.

Eine halbe Stunde später keucht mir Marlene, Mamas Sprechstundenhilfe, in der Sprechanlage entgegen: »Lilly! Gut, dass du da bist. Ich mach auf!«

Marlene riecht man, lange bevor man sie hört. Wie eine Katze nimmt sie ihr Revier in Besitz. Sie markiert mit Coco Chanel. Das ist nicht unangenehm, aber es fällt auf - in Zahnarztpraxen duftet es normalerweise nach Zitrus-Airflow und Sterillium.

Inzwischen bin ich besorgt, nein: in Panik. Ich sause am Wartezimmer vorbei, in dem sich mehrere Zwerge mit samt ihren Müttern in den Haaren liegen, und falle weich in Marlenes Oberweite.

»Langsam, langsam - es ist unschön, aber nicht dramatisch«, empfängt mich nun auch ihre warme Stimme.

»Was? Waaas? Waaaaas?«

»Siegfried ist bei ihr oben. Die beiden haben anscheinend was ...«, wir sind in einer Kinderzahnarztpraxis in Freiburg, nicht in Amsterdam, deshalb flüstert Marlene, »geraucht.«

»Und jetzt?«

»Jetzt haben wir das Wartezimmer voller Karies und Frau Doktor liegt zugedröhnt in der Wanne. Ich habe mehrfach versucht, sie dazu zu bewegen, ihren Dienst anzutre ten, aber...«

Marlene zieht ihre zarten Schultern bis zu den Ohren »Fehlanzeige!«

Ich werde meinen Stress wegatmen. Ich hab das gelernt. Ich halte die Situation innerlich an und hole tief Luft. Ich bin auf einmal sehr gelassen - denn das sind nicht meine Probleme, sondern die meiner Mama.

Und dann raste ich ganz gelassen aus: »Kann mir mal einer sagen, wie alt meine Mutter ist?«

»Lilly!«

»Ich meine, sie holt uns diesen nichtsnutzigen pubertären Hünen, diesen Siechfried ins Haus, vergisst ihren Job, ihre Reputation, nur um mit ihm am Freitagmorgen in der Wanne zu ...«

»Lilly!«

Inzwischen umringen uns mehrere rotwangige Rotznasen, um zu erfahren, was ihre geliebte Frau Dr. Mann ein Stockwerk höher in der Wanne macht, aber ich werde es ihnen nicht sagen - so viel Anstand muss sein. Im Grunde will ich es selbst nicht wissen, aber ich befürchte, ich werde es bald erfahren, denn ich muss jetzt da hoch.

2. Im Evakostüm

Ich kenne diesen Blick. Ich kenne ihn nur zu gut, sehe ihn ja oft genug. Er bedeutet: Wie kannst du mir das antun? Wann wirst du endlich erwachsen? Schämst du dich denn gar nicht?

So, wie normalerweise Mütter ihre Töchter ansehen.

Bei uns ist das umgekehrt. Ich ernte diese vorwurfsvollen Blicke immer von meiner Tochter Lilly.

Natürlich habe ich sie die Treppe raufrennen hören. Wie sie ins Bad stürmt, aber außer einer Wanne voll mit Wasser und zusammengefallenem Schaum nichts mehr vorfindet. Der schöne Siegfried und ich hatten uns längst wieder in mein Schlafzimmer zurückgezogen. Sie klopft nur höflichkeitshalber und stürmt sofort herein. Sie hat Glück, wir sind gerade nicht leidenschaftlich verstrickt. Wir befassen uns mit Kunst.

Ich, Eva Mann, liege im Evakostüm auf meinem Bett. Siegfried steht im Siegfriedkostüm an der Staffelei und malt an einem Bild, das mich darstellen soll. Okay, die Haarfarbe hat er ganz gut getroffen, vielleicht ein bisschen zu blond. Und die Mähne viel zu lang. Wenn ich so aussähe wie auf seinem Bild, dann könnte ich mir die Haare um die Hüfte schlingen. Geht leider nicht, sie sind nur schulterlang. Ich fühle mich auch etwas gestaucht auf seinem Bild. Kürzer als in Wirklichkeit und dicker. Er hat im ersten Schwung den Oberkörper etwas größer skizziert, vor allem meine Oberweite. Schließlich mussten meine Beine dran glauben. Siegfried hat sie quasi geknickt. Das soll lässig aussehen, wirkt aber eher so, als könnte ich damit nie wieder gehen.

Wenigstens sehe ich sehr jung aus. Gut, das höre ich öfter, dass ich wirke wie Mitte 30. Aber auf dem Bild, das ist wohl eher eine Abiturientin, mit märchenhaft langem Haar und verbogenen Beinen. Eine Meerjungfrau vielleicht?

Siegfried betrachtet mich und malt. Ich betrachte ihn und erfreue mich an diesem Anblick. Ich rauche. Er raucht. Manchmal brauchen wir das.

»Schämst du dich denn gar nicht?«

Auch diese Frage kenne ich. Von meiner Mutter. Jetzt höre ich sie von meiner Tochter. Was habe ich nur falsch gemacht bei der Erziehung?

Lilly kommt auf mich zu, nimmt mir die Zigarette aus der Hand, zerdrückt sie im Aschenbecher und wischt sich die Hände angeekelt an einem Papiertaschentuch ab, das sie aus ihrer Jogginghose zieht. Siegfried und seinen schönen Körper würdigt sie keines Blickes.

»Unten warten Kinder mit Zahnschmerzen und du vergnügst dich mit Hasch und Bettgeschichten.«

»Habe ich dich nicht aufgeklärt? Das hier nennt man nicht Sex, sondern Modellstehen. Oder vielmehr Modell liegen.«

»Außerdem bin ich kein Sexobjekt, sondern eine Beziehung«, mischt sich Siegfried völlig unnötigerweise in die Mutter-Tochter-Diskussion ein. Dazu sage ich nichts. Für mich ist Siegfried ein entspannendes Geschenk der Natur. Aber davon gibt es mehrere. Und bislang gab es keinen Grund, warum ich auf die anderen verzichten sollte, nur weil dieser eine nun wirklich besonders gut aussieht und ganz sympathisch ist.

»Du nimmst Drogen und behandelst danach kleine Kinder!«

Dieser vorwurfsvolle Unterton. Ich kann ihn kaum ertragen.

»Das war eine ganz normale Zigarette - und es ist eine Ausnahme! Du weißt, dass ich eigentlich nicht mehr rauche. Und Siegfried braucht das Kiffen für seine künstlerische Arbeit.«

Warum rechtfertige ich mich eigentlich? Was geht es meine strenge Tochter an, was ich tue und lasse? Ist sie nicht volljährig? Könnte sie nicht längst ausziehen?

Stopp. Das ist ein böser Gedanke. Denn eigentlich lieben wir uns, auch wenn man's oft nicht merkt. Lilly kann so nett sein. Lachen, witzig und geistreich reden, manch mal sogar zeigen, dass sie mich mag. Ab und zu ist sie sogar eine wundervolle Tochter. Wenn sie nicht versucht, mich zu erziehen.

Siegfried hält Lilly seine Tüte hin. Offenbar vermutet er, dass sie uns um unser Privatvergnügen beneidet. Ich will ihn noch warnen, weil ich schon befürchte, dass sein Joint diesen Angriff nicht übersteht. Tut er auch nicht. Wandert in den Aschenbecher zu meiner Zigarette.

»Hehe!« Siegfried ist richtig sauer. Zu recht.

»Deine Patienten!« Das ist Lilly. Sie redet mit mir.

»Deine Tochter spinnt!« Das ist Siegfried. Redet auch mit mir.

»Sie haben Schmerzen und du ...«

»Ist die eigentlich adoptiert?«

»Wirf ihn raus, das ist ja nicht mal ein Homo sapiens.«

»Lieber Urmensch als Maschine.«

»Mama, du kannst nicht zulassen, dass der Kerl mich beleidigt.«

»Sag deiner Tochter mal...«

Ich halte mich dezent raus, auch wenn sie beide mit mir sprechen. Ich ziehe mich an.

Ein Blick auf die Uhr: Lilly hat wieder völlig umsonst Panik gemacht. Offiziell ist erst seit zehn Minuten Sprechstunde. Dass nicht nur die kleinen Patienten mit Termin samt Müttern da sind, sondern noch ein paar unangemeldete, das ist nicht meine Schuld. Aber mein Verdienst. Sehen wir es doch mal so: Alle Kinder lieben mich. Die Mütter nicht. Manche Väter schon. Aber das ist wiederum den Müttern nicht recht. Doch sie können nicht anders, als zu mir kommen. Denn bei anderen Zahnärzten machen die Kinder den Mund nicht auf.

Ja, alle Kinder lieben mich. Alle? Bis auf eine. Meine eigene Tochter liebt mich nicht. Zumindest nicht immer. Sie hätte gern eine andere Mutter gehabt. Eine, die so streng, genau, mahnend, kontrollierend ist wie die anderen. Die die Pausenbrote beschriftet, die schimpft, wenn sie diese wieder mit nach Hause bringt. Die ihr den Hintern versohlt, weil sie hingefallen und die neue Hose zerrissen ist. Die sie pünktlich ins Bett schickt und bestraft, wenn sie heimlich wieder aufsteht. Diese Mutter war ich nie. Meine Tochter liebte mich nicht mal als Kinderzahnärztin. Mit Lilly bin ich bis nach Stuttgart gefahren. Von mir ließ sie sich nie behandeln und vor den Freiburger Kollegen war mir das peinlich, dass meine Tochter mich schon mit zwei Jahren als Ärztin ablehnte, weil sie mir das nicht zutraute. Weil ich ja aus ihrer Sicht alles andere auch nicht auf die Reihe bekam.

Das Wortgefecht zwischen Siegfried und Lilly hat inzwischen die Zimmerlautstärke überschritten.

Ich lasse die beiden allein, sollen sie selbst sehen, wie sie klarkommen. Noch schnell durch die schulterlange Mähne fahren, Hände waschen. Schminken verschiebe ich auf später. T-Shirt mit lustigem Aufdruck, bunte Hose, die Kinder mögen das. Und die Mütter sind mir egal.

Ich höre sie im Erdgeschoss mahnen und tadeln und zurechtweisen. Sie reden darüber, was ihre Kinder schon alles können.

»Seit gestern schreibt er seinen Namen. Und das mit zweieinhalb.«

»Da hat meiner schon die ersten Sätze notiert.«

»Unserer hat gestern eine Arie des Don Giovanni mit gesungen, als ich die CD anhörte - mit drei.«

»Ach, Ihr Sohn ist Bariton?«

»Ihre Tochter ist ja ganz entzückend, wie sie da Ihre Handtasche ausleert und diese hübschen Kleinigkeiten zutage fördert...«

»Laura, lass das!«

Warum darf ich nicht die Mütter aussperren, wenn ich die Kinder behandle?

Bei mir warten die Kleinen gern. Denn in meinem Wartezimmer dürfen die Kinder wieder Kinder sein.

Ich höre sie schreien und klopfen. Sie haben Spaß. Sie spielen Zahnarzt. Sie wissen ganz genau, wie es geht. Am liebsten würden sie bei sich selbst den Bohrer ansetzen, nachdem sie zuvor erfahren haben, wie viel Spaß es machen kann, in einem halbhohlen Baumstamm herum zuwerkeln.

Ich weiß, wie viel Arbeit Marlene hat. Jeden Tag zieht sie den kleinen Nachwuchs-Zahnärzten die Kittel an, gibt ihnen, sofern sie neu sind, eine kleine Einweisung in die Kunst der Zahnmedizin. Meist muss sie auch zwei oder drei Kinder verpflastern, weil sie zu intensiv mit den Werkzeugen in dem morschen Baumstumpf herumgebohrt haben. Natürlich sind die Werkzeuge stumpf, wenig gefährlich. Trotzdem passiert manchmal was. Den Kindern ist das egal. Viel Spaß und gelegentlich aua, das ist besser als weder-noch.

Ich höre sie an dem angeblich kariösen Baum herum bohren, meißeln, hämmern, ich weiß, dass manche ihn auch ausgiebig mit dem großen Spiegel betrachten. Einige runzeln nur die Stirn, schütteln gedankenvoll den Kopf und sagen: »Der ist ja ganz faul!«

Andere sehen den Baum mahnend an: »Du musst öfter Zähne putzen!«

Aber die meisten greifen gleich zum Werkzeug.

»Guten Morgen«, rufe ich strahlend in die Runde.

Drei Kinder hängen an meinem T-Shirt, was es noch mehr ausleiert. Aber Kittel kommt nicht infrage.

Mahnende Blicke der Mütter. Eine sieht sehr auffällig auf die Uhr. Die andere macht sofort klar, dass sie die Erste war, und außerdem muss ihr Kind um neun Uhr in der Begabtenförderung sein. Die dritte meint, ihre Tochter habe die größten Schmerzen und müsse dringend vorgezogen werden. Die Tochter strahlt mich an, als wisse sie gar nicht, was Zahnweh ist.

»Alle drei kommen mit«, entscheide ich und höre Marlene hinter mir seufzen. Sie kennt das.

Marlene sucht die Puppen heraus. Für kleine Stammkunden habe ich Gipsköpfe modelliert, die ihnen ähnlich sehen. Die Kleider näht mir Marlene, nähen kann ich nämlich nicht. Die Patienten, die zum ersten Mal kommen, werden mit irgendeiner Handspielpuppe aus der Sammlung konfrontiert. Die meisten akzeptieren das widerspruchslos. Marlene hat die Figuren für die ersten drei Patienten schon bereitgelegt.

»So, wer will zuerst?«

Ben klettert den Stuhl hoch. Ich nehme die Puppe in die Hand.

»Dr. Ben sieht sich das mal an. Mund auf!«

Hätte ich gar nicht sagen müssen. Denn der Ben auf dem Stuhl reißt den Mund gaaaaaanz weit auf. Er wird von sich selbst behandelt. Das ist meine Erfindung. Das Kind wird von jemandem behandelt, dem es ganz und gar vertraut. Oder zumindest vertrauen sollte. Schließlich muss man mit sich selbst ein ganzes Leben lang auskommen.

Dr. Ben, Dr. Anna und Dr. Antonia gucken abwechselnd in kleine Münder, stellen Diagnosen, sind besorgt, dann wieder erleichtert, beruhigen, trösten und greifen in einem Fall sogar zu einem kleinen Bohrer. Ich könnte ohne Probleme mit der Puppe in der Hand bohren, so sehr habe ich mich daran gewöhnt. Aber die Mütter sind ja dabei, jederzeit bereit, die Kinder oder auch mich zurechtzuweisen, wenn ihnen die Behandlung ein wenig aus den Fugen zu geraten scheint.

Natürlich sehe ich, dass meine Tochter ins Behandlungs zimmer lugt. Sie ist ganz still. Die Aufregung hat sich gelegt. Ein kurzer Blick, sie sieht müde aus. Am liebsten würde ich jetzt den Bohrer aus der Hand legen, auf sie zugehen und sie in den Arm nehmen. Ihr sagen, wie lieb ich sie habe, dass sie das Leben leichter nehmen soll, dazu ist es doch da, dass man Freude daran hat. Aber ich fürchte, sie würde mir nicht glauben.

Warum ist sie geworden, wie sie ist, überlege ich wie der einmal in meiner kurzen Kaffeepause. Sie nimmt das Leben ernst, gönnt sich wenig, gibt der Pflicht den Vorzug.

Vielleicht ist es wirklich schlimm, eine Frau wie mich zur Mutter zu haben. Aber sie weiß nicht alles über mich. Vor allem nicht, warum ich das Leben in vollen Zügen genießen will, mit allem, was dazu gehört - und wie dann doch von Zeit zu Zeit nachts die quälenden Gedanken wieder kommen.

Raus ins Wartezimmer. Wieder zwei Kinder, die an meinem T-Shirt hängen. Die mich anstrahlen mit ihren kariösen Zähnen. So hat meine Tochter mich selten angelächelt. Ich kenne sie fast nur mit diesem fragenden Blick: Warum bist du nicht wie andere Mütter?

Dabei habe ich eines mit all diesen anderen, übermotivierten, tüchtigen, nervigen Müttern gemeinsam: Ich wollte alles richtig machen. Nur eben anders.

Als ich mit den beiden Kids um die Ecke biege, stoße ich fast mit Lilly zusammen.

3. Termin mit Früchtchen

Das war knapp - fast hätten wir zwei Streithähne uns auch noch die Birne eingerannt.

»Ich muss zur Uni, Mama. Kommst du klar?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, dass es nicht so ist.

»Ich bin schon klargekommen, bevor du auf der Welt warst.«

Logisch!

»Ich seh das eben alles etwas lockerer als du.«

Sicher!

»Und das klappt auch!«

Und wie! Denke ich, sage aber nur: »Wär schön, wenn du mal ein bisschen solider werden könntest.«

Was für ein Morgen. Ich bin froh, dass ich wieder raus komme an die frische Luft, in die Straßenbahn steigen und langsam Richtung Innenstadt zuckeln kann. Ich liebe diese Momente. Nur für mich verantwortlich. Mein Adrenalinspiegel senkt sich, und mir fällt ein, worüber ich mir an diesem Tag eigentlich Gedanken machen wollte: Was will Professor Hueck von mir?

Ich meine, ich weiß, was er wollen würde, wenn er dürfte, aber darum geht es hier nicht. Er ist ein hervorragender Psychologe, dekoriert mit allerlei akademischen Auszeichnungen, aber er ist auch ein selbstverliebter Dozent mit peinlichen Ausschweifungen. Meine Freundin Marie hat sich auf ihn eingelassen, wild geknutscht und wer weiß, was noch alles - und doch nichts davon gehabt. Bei mir hat er's auch probiert. Ich habe natürlich signalisiert, dass das mit mir nicht läuft. Professor Hueck ist eine charismatische Silberschläfe, aber eine von der Sorte: Ich bin so umwerfend, ich werd gleich verrückt und das kann ich nicht ab. Dann doch lieber ein Simon, der nicht weiß, wie schön er sein könnte, wenn er wüsste, wie schön er ist.

Wie auch immer: Hueck ist mein Betreuer, da muss ich durch.

Am Bertoldsbrunnen steige ich aus der Bahn. Es ist halb elf - den Weg bis zum Institut schaffe ich locker zu Fuß. Es geht über die Gleise, dann rein in den Stühlinger.

Im Gegensatz zu meiner Mutter bin ich meist zu früh dran, fange ich an zu sinnieren, verbiete mir aber die Schleife im Kopf: Hier ist Eva-freie-Zone: Denk an was anderes - zum Beispiel: Ich spüre die Maiwärme, die endlich wieder aus dem Asphalt kriecht, ich rieche die Erdbeerschnittchen, die in die Glasvitrinen geschoben werden, heute hat der Konditor an der Ecke zum ersten Mal seine Fenster geöffnet. Denken mit allen Sinnen. Das hilft gegen das Gedankenkarussell. Mir bringt es heute wenig: Immer wieder schiebt sich meine Mutter in meinen Temporallappen.

Das Institut für Psychologie rückt näher. Es wirkt ausgestorben. Selbst auf dem Platz der Begegnungen, dem Meeting-Point, passiert nichts, was den Namen rechtfertigen würde. Ich bin anscheinend tatsächlich so einsam, wie ich mich in diesem Moment fühle. Keine Ahnung, was hier los ist: kein Großbrand, kein Bombenalarm, keine Prüfungswochen, kein Dauerregen, kein Hochwasser. Vielleicht ist es einfach nur die Trägheit des Frühlings, die alle lähmt.

Als ich um Punkt elf den sechsten Stock des Hauptgebäudes erreiche, überfällt mich meine Höhenangst. Ich atme tief durch. Nur nicht aus den Fenstern gucken! Immer schön am inneren Rand des Flures laufen.

Kurz darauf betrete ich ein wenig taumelnd das Hueck-All: Ein riesiger Designer-Schreibtisch, darauf seine Kommandozentrale mit Schwarzbeer-Handy, Apfel-Rechner und ergonomischer Bananentastatur, dahinter er. Termin mit Früchtchen.

»Lilian Mann! Wie schön.«

Er sieht fantastisch aus: Dunkler Rolli, so hauteng am Hals, dass sein Kehlkopf verheißungsvoll am Kaschmir reibt. Seine Hände groß und kräftig wie von Michelangelo. Und die braunen Augen singen ein Schlupflied. Für einen kurzen Moment bin ich hin und weg. Aber nach unserer Begrüßung verheddert sich seine Schönheit wie immer in seinem Narzissmus.

»Lilian, Sie wissen ja, wie sehr mein Departement hier im Haus geschätzt wird. Sehr häufig werde ich gebeten, meine herausragenden Studenten und vor allem -innen in die Welt zu schicken, um unser Wissen und unser Know-how zu verbreiten.«

»Aha.« Sinnstiftenderes fällt mir dazu nicht ein. Ich befürchte, ich sage es mit dämlich offenem Mund, denn er schaut mir lüstern auf die Lippen.

»Jetzt ahnen Sie sicher, was ich mit Ihnen machen will.«

Schluck: »Nein.«

»Ich werde Sie dick einpacken und nach Göteborg schicken. Auslandssemester. Mindestens eins - eher zwei. Erasmus-Stipendium. Voll angerechnet auf die Studien dauer. Sie kommen zurück, schreiben ihre Bachelorarbeit bei mir und machen dann ihren Master. Ein Hoch auf Bologna!«

Du liebe Güte, wie genial, großartig, gigantisch! Meine Gedanken überschlagen sich. Ich werde rot und blass im Wechsel und dann beides gleichzeitig: Schweden! Immer schon wollte ich da hin.

»Sie freuen sich?«

Und wie! Aber ich gönne ihm den Gönner nicht, des halb frage ich nur: »Wann geht's denn los?«

»Anfang Oktober.«

»Schon? Schön«, sage ich gebremst, diesmal nicht, weil ich Hueck eins auswischen will, sondern weil gerade ein kleiner hässlicher Film in meinem Kopf eingespult wird. Und der geht so: Lilly in Göteborg, sie sitzt lachend mit anderen Studenten in der Mensa, die langen fuchsfarbenen Haare glänzen, sie wird bewundert, verstanden, geliebt, plötzlich klingelt ihr Handy, Schnitt. Am anderen Ende kreischt Marlene in den Hörer: »Deine Mama ist verschwunden.«

»Mit Siegfried?«

»Sie sind beide weg, nachdem die Polizei gestern da war. Sie haben von dem Dope Wind bekommen.«

Das sind Fantasien, ich weiß. Das wahre Leben ist belang- und harmlos. Aber leider nicht immer.

»Je früher, desto besser, oder?«, unterbricht Hueck meine Fantasien.

»Ich hab noch so viel zu erledigen.«

»Das Semester beenden und weg, Lilly!«

»Und mein Job bei der Eheberatung?«

»Wenn Sie zurückkommen, werden sich die gleichen Paare immer noch in den Haaren liegen - keine Sorge.«

»Aber die Beziehungen zu meinen Liebsten werden sich verändern.«

»Steht denn was auf der Kippe?« Hueck knackst mit seinen Fingergelenken.

Ich will eigentlich nicht mit ihm darüber reden, aber so kann ich das nicht stehen lassen, also entwischt mir: »Nicht die zu meinem Partner. Die zu meiner Mutter.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie braucht mich.«

»Ist das nicht diese unkonventionelle Zahnärztin?«

»Richtig!«

»Die frische, attraktive, positive, die viel jünger aussieht, als sie ist?«

»Jaaaa!«

»Die ist doch lebenstüchtig. Gut, vielleicht braucht sie mal einen Mann, der ihr das Wasser reichen kann, aber doch keine Dauerbetreuung von der Tochter!«, gockelt er vor sich hin.

Warum kann ich meine Klappe nicht halten. Hueck ist der Letzte, mit dem ich über Eva reden mag.

»Ich kann gern nach ihr schauen, wenn Sie weg sind«, schiebt er nach. Jetzt reicht's - ich muss diesem Macho hier Einhalt gebieten. Eines hab ich dann doch von Mama geerbt: Wenn etwas zu weit geht, muss ich den Mund auf machen. Hueck wird das hier nicht gern hören: »Ich denke nicht, dass Sie ihr Typ sind.«

Er reagiert cooler, als ich dachte: »Wieso?« Dabei grinst er vor sich hin.

»Sie steht eher auf unreife Männer.«

Hueck fühlt sich erwartungsgemäß geschmeichelt: »Damit kann ich tatsächlich nicht dienen, obwohl ich mich ja verstellen könnte. Aber was reden wir hier - ich will Ihrer Mutter doch gar keine Avancen machen. Ich wollte einfach nur nach ihr sehen. Was hat sie denn für ein Problem? Kann sie nicht mit Geld umgehen, lässt sie den Herd an, isst sie Dosenfutter«, lacht er.

Das alles und noch viel mehr, denke ich. Aber stattdessen lächle ich tapfer zurück.