Hermann - Victor Stein - E-Book

Hermann E-Book

Victor Stein

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Beschreibung

Das Jahr neun wartet mit der Schlacht im Teutoburger Wald als weltgeschichtlichem Kräftemessen auf. Persönlichkeit und Motive des Römerbezwingers Arminius liegen bis heute im Dunkeln. Schon deshalb geistert der Cherusker unter dem von Luther fehlübersetzen Namen Hermann durch den germanischen Urwald. Doch findet auch sein Gegenspieler Varus keine Ruhe. Stark in Rede und Gegenrede mischt sich Hermanns Gemahlin Thusnelda ins Geschehen. Nicht allein zu ihr spricht das Riesenweib als höchst eigenwillige Götterbotin. Unvermeidbar meldet sich auch das für die Vorstellung von der Hermannsgestalt entscheidende 19. Jahrhundert zu Wort. Ernst von Bandel, der dem Teutoburger Wald das Hermannsdenkmal verpasste, gerät mit dem Vater der New Yorker Freiheitsstatue, Auguste Bartholdi, aneinander. Karl Marx besucht - historisch verbürgt - beide Bildhauer im Atelier, setzt sie unter dialektische Hochspannung und führt sie argumentativ aufs Glatteis. Keine Frage, das Lesespektakel ermuntert dazu, deutsche Mythen und Geschichte in ihren Anfängen und Folgen durchzuspielen.

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Seitenzahl: 53

Veröffentlichungsjahr: 2021

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VICTOR STEIN

HERMANN

EIN LESESPEKTAKEL

Victor Stein

hat Germanistik, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie studiert. Seine zahlreichen Veröffentlichungen finden sich in renommierten Print- und Onlinemedien.

Mehr von und über Victor Stein: https://musik-theater-buch.de

Hermann. Ein Lesespektakel.

ISBN

© 2021 Victor Stein

c/o Christine Naumann-Kraak

Lange Straße 4

33790 Halle (Westfalen)

Foto: Hermnannsdenkmal 2014-04-11 2.jpg – von Kaisching Hintergrund modifiziert

CC BY-SA 4.0

Alle Rechte vorbehalten.

Jede öffentliche Vervielfältigung und Verbreitung des Werks oder seiner Teile bedürfen unabhängig von technischem Verfahren und Medium der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Autors. Ebenso Aufführung, Vortrag oder Verfilmung. Für entsprechende Anfragen steht folgender E-Mail-Kontakt zur Verfügung:

[email protected]

VICTOR STEIN

HERMANN

EIN LESESPEKTAKEL

PERSONEN

HERMANN, spät und beiläufig auch SIEGFRIED

THUSNELDA

SEGESTES

VARUS

ERNST v. BANDEL

AUGUSTE BARTHOLDI

KARL MARX, irgendwann und nebenher auch HAGEN

KÖNIG GUNTHER

DAS RIESENWEIB

ZUVOR

(Teutoburger Wald.)

MARX: Ich stehe im Wald. Deutschem Wald. Ich, der Buchen nicht sucht. Der Eichen schon immer meidet.

BANDEL: Niemand missachtet das Eichenlaub ungerochen.

VARUS: Abholzen. Ich sage: „Abholzen!“ Kulturvölker verwerten die Wälder. Wie einst die Griechen, so wir Römer. Zum Schiffsbau. Forste zu Flotten!

BANDEL: Noch immer ragt der Teutoburger Wald. Dank Hermann.

BARTHOLDI: Der deutsche Wald, die Bäume fressen Fleisch.

HERMANN: Verschlingen Römer.

SEGESTES: (Zu Hermann.) Hätte der Wald dich getilgt!

BANDEL: Hermanns blitzendes Schwert züchtigt Besatzer. Germanen fegen Fremdvölker hinweg.

THUSNELDA: Flammen züngeln nach mir. Hermanns Feueratem.

HERMANN: Waldespracht. Waldesduft. Blätterrauschen.

BANDEL: (Singt den Refrain der „Waldandacht“.) Der Liebe Gott geht durch den Wald.

BARTHOLDI: Die Wälder Frankreichs taugen zu Jagd und Wildbret. Zu Lichtungen, auf denen sich picknicken lässt.

VARUS: Dass wir die Axt nicht an ihre Bäume legten, war der erste Schritt zur Niederlage.

SEGESTES: (Zu Varus.) Jetzt, da Sie tot sind, nützt Ihnen diese Einsicht nichts mehr.

VARUS: (Zu Segestes.) Klügelt da, wer als Pensionär von kaiserlichen Gnaden römische Steuergelder verzehrt?

MARX: Das weltumspannende Proletariat ist nicht wild, sondern klassenbewusst. Der deutsche Wald ist sentimentales Überbleibsel abgelebter Zeiten. Ins Sägewerk mit ihm.

THUSNELDA: Still, ich höre Schritte.

VARUS: Tritte, unter denen der Humus erzittert.

SEGESTES: Weit ausholend wie die von Götterboten.

MARX: Wahn, Wahn! Der pure Wahn! Aberglaube spukt umher.

BARTHOLDI: Das könnte immerhin leichtfüßiger geschehen.

SEGESTES: Tote werfen sich aus ihren Gräbern. Schwerter klirren. Pfeile schwirren.

BARTHOLDI: Hier tobt eine Geisterschlacht.

BANDEL: Nein, ein Festspiel. Hermanns Sieg setzt sich in Ewigkeit fort. Hermann der Cherusker, Deutschlands Befreier. Die Schlacht im Teutoburger Wald. Welch eine Wendung durch Gottes Führung!

VARUS: Abholzen. Alles abholzen. Verwerten.

THUSNELDA: (Zeigt in Richtung der Schritte.) Das Riesenweib.

(Alle - außer Bartholdi - erstarren.)

1

(Bandels Atelier in Hannover. Der fertige Kopf des Hermannsdenkmals. Werkstücke von Rumpf und Extremitäten.)

HERMANN: Der Helm ist ein Witz. Albern. Peinlich. Thusnelda hätte sich vor Lachen gebogen.

BANDEL: Die Schwingen zeigen, wie hoch, Fürst, Ihr Geist, Ihr Gemüt, Ihre Tapferkeit auffliegen. Wie sehr Hermann den Feind überflügelt.

HERMANN: Schwingen an einem römischen Offiziershelm.

BANDEL: Nicht so recht römisch. Der Germane nimmt sich von Rom, was er braucht. Er fügt es dem Eigenen hinzu.

HERMANN: Offen gestanden benötigten wir viel. Fließendes Wasser.

BANDEL: Das Rauschen der Bäche.

HERMANN: Ich meine Wasserleitungen.

BANDEL: Zivilisation. Pah.

HERMANN: Fußbodenheizungen.

BANDEL: Nur am offenen Feuer erzählen sich Heldenlieder wie die von Hermann dem Cherusker.

HERMANN: Sie sind ein Freund des Urtümlichen. Ich bin es nicht.

BANDEL: Worin Sie Rom gewiss nicht nachahmen mussten, war Heldenmut. Den besitzen Sie selbst.

HERMANN: Heldenmut taugt zu nichts, wenn Scharfsinn und List fehlen.

BANDEL: Beide warf Hermann in die Waagschale, als er drei Legionen in die tödliche Falle lockte. Nicht zu unterscheiden, was ihm höheren Ruhm schuf, seine Tapferkeit oder seine Klugheit.

HERMANN: Reißen Sie die Flügel vom Helm.

BANDEL: Fürst, bitte bedenken Sie, es würde den kompositionellen Zusammenhang gefährden. Die Proportionen.

HERMANN: Das sagten die Bildhauer in Rom auch immer, wenn Augustus die Braue lüpfte.

BANDEL: Betrachten Sie Ihr erzenes Antlitz. Den Zug ins Größte. Jede Einzelheit trägt zum Erhabenen des Ganzen bei. Weite und Helligkeit allerorten. Das sonnenhafte Auge. Die Nase, die jeden Dunst durchsticht, um den Feind zu wittern. Der Mund, bereit zu befehlen, anzufeuern, Ihr Volk zu einen.

HERMANN: Diese Mienen unterschlagen Entscheidendes. Die List und Tücke, die es braucht, um einen weit überlegenen Gegner zu vernichten.

BANDEL: List und Tücke sind für die Monumentalplastik keine Kriterien. Der Held ist eindimensional.

HERMANN: Wo ist das Modell des gesamten Denkmals? Lassen Sie sehen.

BANDEL: Es ist zu gering für Ihre Größe.

HERMANN: Oder warten Sie etwa mit weiteren Scheußlichkeiten vom Schlag des Flügelhelms auf?

BANDEL: Könige zollen mir Lob.

HERMANN: Zeigen Sie her. „Non cunctans. Stante pede.“ Das Lateinische ist prägnanter als das Cheruskische, die germanischen Sprachen überhaupt. Germanische Idiome neigen zur Geschwätzigkeit.

BANDEL: (Fährt das Modell des Hermannsdenkmals auf einem Servierwagen herein. Enthüllt es.) Ihre Apotheose, Fürst.

HERMANN: Ein römischer Muskelpanzer. Ein germanisches Langschwert. Meine Apotheose? Ich werde zur Karikatur. Sie verspotten mich! (Geht auf Bandel los.) Du Wicht! Den ich beim Zottelbart packe!

BANDEL: (Kreischt vor Angst.) Wie der listenreiche Odysseus schützte Hermann den Römer vor, um ihn mit germanischem Stahl niederzustrecken.

HERMANN: (Besänftigt. Blickt neuerlich auf das Modell.) Im kurzen Röckchen. Das trug ich nur in Rom. Hier in Germanien ging ich in Hosen. Selbst die römischen Besatzer taten das. Vorwitzig wie sie war, hätte mir sonst Thusnelda unter den Mini geschaut. Jetzt hat sie die Möglichkeit dazu. Ich danke Ihnen.

BANDEL: Bewahre. Der deutsche Recke ist keusch. Ich werde keine unziemlichen Einblicke gestatten.

HERMANN: Sie hätten der Fürstin einen großen Gefallen erwiesen.

BANDEL: Doch würden die vielen Pilger zur nationalen Weihestätte Anstoß daran nehmen.

HERMANN: (Erneut vom Furor gepackt.) Wehe, jemand erklärt für anrüchig, was Thusnelda gefällt.

BANDEL: Bewahre, doch gönne ich der Fürstin Privatissima, die allein ihr vorbehalten sind.

HERMANN: (Betrachtet das Modell nochmals.) Die Kostümierung insgesamt ist grässlich. Aber mit der Haltung, in der ich auf dem Sockel stehe, kann ich mich anfreunden.

BANDEL: Eben darauf kommt es an, die Haltung. Dafür werden Hermann – wie jeder vaterländisch Gesonnene einst und heute - noch fernste Generationen preisen.

HERMANN: Ich kann damit leben. Varus konnte es nicht.

BANDEL: Der Schändliche.

HERMANN: Eitel bis in die Knochen. Dennoch ein erfahrener Diplomat. Aber kein Feldherr. Kein Mann, um Germanien bis an die Elbe zu erobern. Eine glatte Fehlbesetzung. Wer von uns hoffte, mit den Römern über die Nachbarstämme herzufallen, sie auszurauben, zu plündern, brandzuschatzen, sah sich getäuscht.

BANDEL: Kollaborateure unter Cheruskern? Ein klägliches Häuflein. Rasch auszumerzen.