Herz aus Eis - Jude Deveraux - E-Book
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Herz aus Eis E-Book

Jude Deveraux

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Beschreibung

Er weiß, was er will: Die schöne Houston. Doch wird er sie auch bekommen?

Über dieses Buch: Colorado, 1892. Viele Männer träumen davon, Houston Chandler zur Frau zu haben. Doch nur einer hat sich geschworen, Houston um jeden Preis für sich zu erobern: der Emporkömmling Kane Taggert. Als er ihr in seiner ungehobelten Art einen Antrag macht, weicht sie entsetzt zurück. Doch Kane hat bisher noch immer bekommen, was er wollte - und er will Houston ...

Über die Reihe: Die Chandler-Schwestern sind wie Eis und Feuer: Die wohlerzogene Schönheit Houston weiß, was sich gehört und was von ihr erwartet wird. Die temperamentvolle Blair hingegen liebt ihre Unabhängigkeit. Doch die Zwillinge eint eine tiefe Leidenschaft, die unterschiedlichen Männern gilt. Eine Leidenschaft, die zu großem Glück führen kann - oder zum Verhängnis wird ...

Die Geschichte von Houstons Zwillingsschwester Blair Chandler können Sie im historischen Liebesroman "Herz aus Feuer" lesen - natürlich auch bei beHEARTBEAT, dem Imprint für große Gefühle.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 593

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Chandler-Zwillinge

Herz aus Feuer

Weitere Titel in Vorbereitung

Über dieses Buch

Er weiß, was er will: Die schöne Houston. Doch wird er sie auch bekommen?

Colorado, 1892. Viele Männer träumen davon, Houston Chandler zur Frau zu haben. Doch nur einer hat sich geschworen, Houston um jeden Preis für sich zu erobern: der Emporkömmling Kane Taggert. Als er ihr in seiner ungehobelten Art einen Antrag macht, weicht sie entsetzt zurück. Doch Kane hat bisher noch immer bekommen, was er wollte – und er will Houston …

Über die Reihe

Die Chandler-Schwestern sind wie Eis und Feuer: Die wohlerzogene Schönheit Houston weiß, was sich gehört und was von ihr erwartet wird. Die temperamentvolle Blair hingegen liebt ihre Unabhängigkeit. Doch die Zwillinge eint eine tiefe Leidenschaft, die unterschiedlichen Männern gilt. Eine Leidenschaft, die zu großem Glück führen kann – oder zum Verhängnis wird …

Über die Autorin

Jude Deveraux wurde in Kentucky geboren, studierte Kunst und arbeitete als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Mittlerweile hat sie mehr als 70 Romane veröffentlicht, davon 43 New-York-Times-Bestseller. Ihre Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt und erreichen eine Gesamtauflage von mehr als 60 Millionen Exemplaren. 2013 erhielt sie den Romantic-Times-Pioneer-Award für ihre beeindruckende Karriere.

Viele ihrer romantischen Liebesromane handeln von Mitgliedern der fiktiven Familien Montgomery und Taggert, so auch die gefühlvollen Historicals »Herz aus Eis« und »Herz aus Feuer«.

Nachdem sie in verschiedenen Staaten wie England und Ägypten gelebt hat, wohnt Jude Deveraux derzeit in Florida, USA.

Mehr über die Autorin erfahren Sie auf ihrer Homepage https://judedeveraux.com/.

Jude Deveraux

Herz aus Eis

Aus dem amerikanischen Englisch von Bodo Baumann

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1985 by Deveraux, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Twin of Ice«

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1987/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © Alan Ayers

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-8105-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Die dicke alte Frau mit den schwarzverfärbten Zähnen und den grauen Haarsträhnen unter dem verbeulten Hut schwang sich überraschend leichtfüßig auf den Kutschbock des schweren Fuhrwerks. Hinter ihr lag allerhand frisches Gemüse, von einer mit Wasser getränkten Plane bedeckt.

»Sadie!«

Die Frau blickte nach links. Da stand Reverend Thomas, groß, gut aussehend, eine Sorgenfalte auf der Stirn.

»Du wirst vorsichtig sein? Keine Dummheiten anstellen? Nicht auf dich aufmerksam machen?«

»Ich verspreche es«, sagte Sadie mit einer weichen jugendlich klingenden Stimme. »Ich werde mich beeilen und bald zurück sein.« Dann schnalzte sie mit der Zunge, und die Pferde trabten an.

Es war ein weiter Weg von Chandler in Colorado bis zu der Kohlenmine, die Sadie zu betreuen hatte. Einmal musste sie auf der unebenen, holprigen Straße anhalten, um einen Zug der Colorado and Southern Railroad passieren zu lassen. Jede der siebzehn Kohlenminen in der Umgebung von Chandler hatte ihre eigene Eisenbahntrasse.

Vor der Abzweigung zur Fenton Mine überholte Sadie ein anderes Trödlerfuhrwerk, auf dessen Kutschbock ebenfalls eine alte Frau saß. Sadie hielt kurz ihr Gespann aus vier Pferden an und suchte die Gegend mit den Augen ab.

»Schwierigkeiten?«, fragte sie leise, als die andere Frau neben ihr anhielt.

»Nein, aber das Gerede von einer Gewerkschaft nimmt zu. Bei dir?«

Sadie nickte kurz. »Es gab ein Schlagwetter im Stollen Nummer sechs in der vergangenen Woche. Die Männer finden nicht mehr die Zeit, die Schächte abzustützen, die sie graben. Hast du ein Pfefferminz?«

»Hab’ sie alle verschenkt, Sadie«, sagte die andere und beugte sich näher. »Sei vorsichtig. Die ›Little Pamela‹ ist die schlimmste von allen. Rafe Taggert traue ich nicht über den Weg.«

»Er macht vielen Leuten Angst. Da kommt ein Wagen.« Sadies Stimme wurde tiefer, als sie mit einem lauten Hott und Hü ihr Gespann wieder antrieb. »Wir sehen uns in acht Tagen wieder, Aggie. Lass dir keinen Nickel aus Holz andrehen!«

Sadie fuhr an den Männern vorbei, die ihr auf dem Wagen entgegenkamen, und hob grüßend die Hand. Dann bog sie in die Straße ein, die durch eine Schlucht zur Mine ›Litte Pamela‹ führte.

Der Weg war steil, und sie entdeckte den Wächter erst, als er schon vor ihr stand. Ihr Herz begann laut zu klopfen, obwohl sie doch die Ruhe selbst sein wollte.

»Morgen, Sadie. Hast du Kohlrüben dabei?«

»Große, fette Kohlrüben.« Sie grinste, zeigte ihre Runzeln und verrotteten Zähne.

»Heb mir ’nen Sack von den Dingern auf, ja?«, sagte er, während er das Tor aufsperrte. Von Bezahlen war nicht die Rede. Dass er das Tor aufsperrte, um einen Außenseiter in das geschlossene Lager einzulassen, war Bezahlung genug.

Die Wächter, die um das Lager verteilt waren, sollten dafür sorgen, dass kein Gewerkschaftsvertreter die Mine betrat und die Bergarbeiter organisierte. Wenn sie jemanden antrafen, der sich in dieser Absicht dem Lager zu nähern schien, schossen sie erst und stellten hinterher Fragen. Mit solchen Vollmachten ausgestattet, genügte es, wenn die Wächter sagten, der Erschossene sei ein Gewerkschaftsvertreter gewesen, und sie wurden von jedem lokalen oder staatlichen Gerichtshof freigesprochen. Die Minenbesitzer hatten ein Recht, ihr Eigentum zu schützen.

Sadie hatte alle Hände voll zu tun, ihr Gespann durch die engen, mit Kohlen beschotterten Straßen zu lenken. Zu beiden Seiten standen aus Brettern gezimmerte Baracken, die die Bergarbeiter als Häuser bezeichneten – vier oder fünf winzige Räume, ein Klosett und dahinter ein Verschlag für Kohlen. Wasser wurde mit dem Eimer aus einem mit Kohlenstaub verseuchten Gemeindebrunnen geschöpft.

Sadie lenkte ihr Gespann an dem Bergwerksladen vorbei und nickte dem Inhaber kurz zu. Sie waren natürliche Feinde. Die Minenarbeiter wurden mit Gutscheinen entlohnt, sodass ihre Familien alles, was sie zum Leben brauchten, nur in dem Laden einkaufen konnten, den der Bergwerksbesitzer im Lager eingerichtet hatte. Manche Leute sagten, die Minenbesitzer verdienten mehr Geld mit ihren Läden als mit ihrer Kohle.

Zu ihrer Rechten, zwischen den Bahngeleisen und der steil ansteigenden Bergflanke, war die »Sunshine Row« – eine schiefe Reihe in scheußlichem Gelb bemalter Doppelhäuser. Da gab es weder einen Vorgarten noch einen Hinterhof, nur Aborthäuschen, die knappe fünf Meter von den Wohnungen entfernt lagen. Sadie kannte diese Mischung aus Qualm, Ruß und anderen Gerüchen nur zu gut, und dazu noch der Lärm der Loren und Lokomotiven. Das war die Straße, in der die neu zugezogenen Bergarbeiter wohnten.

Sie hielt mit ihrem Gespann vor einer der größeren Buden.

»Sadie! Ich dachte, du kommst heute nicht mehr«, sagte eine junge hübsche Frau, die aus der Baracke eilte und sich die Hände und Arme an einem dünnen Handtuch abtrocknete.

»Du kennst mich doch«, sagte Sadie mürrisch, während sie schwerfällig vom Kutschbock stieg. »Ich verschlafe immer, wenn mich mein Mädchen nicht weckt. Sie hat’s heute vergessen. Wie geht’s dir denn so, Jean?«

Jean Taggert grinste die alte Frau an. Sadie gehörte zu den wenigen Privatpersonen, die Zutritt zum Lager hatten; und jede Woche zitterte Jean vor Angst, die Lagerpolizei könnte ihren Wagen durchsuchen.

»Was hast du mitgebracht?«, fragte Jean leise.

»Hustenmedizin, Verbandszeug, ein bisschen Morphium für Mrs. Carson, ein Dutzend Paar Schuhe. Viel kann man ja nicht in so einem Kohlkopf verstecken. Und Spitzenvorhänge für Ezras Braut.«

»Spitzenvorhänge!«, hauchte Jean und lachte dann. »Du hast vermutlich Recht. Spitzen könnten ihr besonders gut stehen. Na, dann wollen wir mal anfangen.«

Es dauerte drei Stunden, bis Jean und Sadie das Gemüse verteilt hatten, für das die Lagerbewohner in Gutscheinen bezahlten, die Jean ihnen später heimlich wieder zurückgab. Weder die Minenbesitzer noch die Lagerpolizei wussten, dass Sadie ihr Gemüse und die darin versteckten Güter gratis verteilte. Selbst die meisten Bergarbeiter wussten das nicht. Das waren stolze Leute, und die hätten es nicht gern gesehen, wenn die Frauen Wohlfahrtsgeschenke annahmen. Doch die Frauen dachten an ihre Kinder und die Schufterei ihrer Ernährer und waren froh über alles, was sie umsonst bekommen konnten.

Es war schon spät, als Sadie und Jean mit dem leeren Wagen wieder vor Jeans Haus standen.

»Wie geht’s Rafe?«, fragte Sadie.

»Er arbeitet zu viel. Wie mein Vater. Und Onkel Rafe stiftet Unruhe. Du musst wieder fahren. Wir dürfen nicht riskieren, dass du auch noch in Gefahr gerätst«, sagte Jean und nahm Sadies Hand. »So eine junge Haut.«

»Unruhe ...?«, begann Sadie verdattert und entzog Jean rasch die Hand. Jean lachte und sagte:

»Dann also in acht Tagen. Und – Sadie, du kannst beruhigt sein. Ich weiß es nämlich schon lange.«

Sprachlos vor Verwirrung stieg Sadie auf den Kutschbock und schnalzte mit der Zunge, um die Pferde anzutreiben.

Eine Stunde später hielt sie auf der Rückseite des alten Pfarrhauses in Chandler. Im späten Licht der Abenddämmerung rannte sie über den Hof, durch die unverschlossene Hintertür und durch einen kurzen Korridor in ein Badezimmer, wo saubere Kleider an einem Bügel hingen.

Sie riss sich die Perücke vom Kopf, wusch sich die Theaterschminke aus dem Gesicht und schrubbte die schwarze Gummimasse von ihren Zähnen. Sie band das viel zu warme, ausgepolsterte Kleid, das ihre Gestalt so unförmig machte, am Hals los und ließ es von ihrem Körper gleiten. Sie zog Unterwäsche und Unterröcke aus feinem Batist an, dann ein weißes Leinenkorsett, das sie vorne verschnürte, und stieg in einen maßgeschneiderten Rock aus blauem Serge. Als sie ihren dunkelblauen Ledergürtel umband, klopfte es.

»Herein.«

Reverend Thomas öffnete die Tür und stand einen Moment auf der Schwelle, um die Frau im Badezimmer zu betrachten. Miss Houston Chandler war groß, schlank und schön, hatte dunkelbraune Haare mit einem Hauch von Rot darin, weit auseinanderstehende blaugrüne Augen, eine gerade, aristokratische Nase und einen kleinen, vollendet geformten Mund.

»Sadie hat sich also wieder für eine Woche verabschiedet«, sagte der Pfarrer lächelnd. »Aber die Miss Houston sollte sich ein wenig beeilen. Dein Vater ...«

»Mein Stiefvater«, verbesserte sie ihn.

»Nun, sicher, aber der Titel ändert nichts an seinem Ärger.«

»Sind Anne und Tia mit ihrem Wagen wohlbehalten zurückgekommen?«

»Vor Stunden schon. Und jetzt marsch, nach Hause!«

»Jawohl, Sir.« Sie lächelte. »Bis zum nächsten Mittwoch«, rief sie über die Schulter, als sie das Pfarrhaus durch die Vordertür wieder verließ und mit beschwingten Schritten den Heimweg antrat.

Kapitel 1

Mai 1892

Houston Chandler ging so unbefangen wie möglich die Straße zu ihrem Haus hinunter und hielt vor einem dreistöckigen roten Ziegelgebäude im viktorianischen Stil an, das jedem in der Stadt unter dem Namen »Villa Chandler« ein Begriff war. Sie glättete sich das Haar, machte ein beherrschtes Gesicht und stieg die Stufen zum Eingang hinauf.

Als sie ihr Parasol in den Porzellan-Schirmständer in der kleinen Vorhalle stellte, hörte sie ihren Stiefvater mit ihrer Schwester brüllen:

»Ich dulde so etwas nicht in meinem Haus! Du glaubst wohl, du hättest ein recht dazu, derartige Ausdrücke verwenden zu können, weil du dich Doktor nennst! Aber nicht in meinem Haus!«

Blair Chandler, die ihrer Schwester so ähnlich sah, wie es Zwillinge nur sein können, funkelte den Mann an, der einen halben Kopf kleiner war als sie und so solide gebaut wie eine Festung. »Seit wann ist das dein Haus? Mein Vater ...«

Houston trat in den Salon und schob sich zwischen Schwester und Stiefvater. »Ist es nicht schon Zeit zum Abendessen? Vielleicht sollten wir ins Speisezimmer hinübergehen.« Sie drehte ihrem Stiefvater den Rücken zu und sah ihre Schwester beschwörend an.

Blair wandte sich von den beiden ab. Man konnte ihr die Wut nur zu deutlich ansehen.

Duncan nahm Houstons Arm und führte sie an der Treppe vorbei hinüber ins Speisezimmer. »Zum Glück habe ich ja noch eine Tochter, die Anstand besitzt.«

Houston zuckte zusammen, als sie diesen Spruch hörte, den er so oft im Munde führte. Sie hasste es, mit Blair verglichen zu werden – besonders, wenn es zu deren Nachteil geschah.

Kaum hatten sie an dem großen Mahagonitisch Platz genommen, jeder vor seinem Gedeck aus Porzellan, Kristall und schwerem Tafelsilber – Duncan am Kopfende, Opal Gates am Fußende und die Zwillinge links und rechts in der Mitte –, als das Gezänk wieder anfing.

»Man sollte doch erwarten, dass du wenigstens auf deine Mutter Rücksicht nehmen würdest«, sagte Duncan mit einem empörten Blick auf Blair, während ein elf Pfund schwerer Rostbraten vor ihm auf den Tisch gestellt wurde. Er ließ sich das Vorlegemesser reichen. »Bist du so egoistisch, dass dir alle anderen Menschen egal sind? Bedeutet deine Mutter dir denn gar nichts?«

Blair blickte mit zusammengepressten Zähnen auf ihre Mutter. Opal wirkte wie eine verblasste Kopie ihrer schönen Töchter. Falls sie einmal so etwas wie Temperament besessen hatte, war es entweder verschüttet oder tief vergraben. »Mutter«, sagte Blair, »verlangst du von mir, dass ich die Medizin an den Nagel hängen, nach Chandler zurückkehren, einen fetten Bankier heiraten und ein Dutzend Kinder bekommen soll?«

Opal lächelte ihre Tochter liebevoll an, während sie sich von der Platte, die ihr das Serviermädchen hinhielt, mit einer winzigen Portion Auberginen bediente. »Ich will, dass du glücklich wirst, mein Liebes, und ich glaube, dass du etwas sehr Nobles tust, wenn du das Leben anderer Menschen retten möchtest.«

Blair warf einen triumphierenden Blick auf ihren Stiefvater. »Houston hat dir zuliebe auf ihr Leben verzichtet. Genügt dir das nicht? Willst du mein Leben auch noch zerstören?«

»Houston«, donnerte Duncan und legte die Finger so fest um den Griff des Vorlegemessers, dass die Knöchel weiß hervortraten, «lässt du dir gefallen, dass deine Schwester so unerhörte Dinge von dir behauptet?«

Houston blickte von ihrer Schwester zu ihrem Stiefvater. Unter keinen Umständen wollte sie für einen der beiden Partei ergreifen. Blair fuhr nach der Hochzeit wieder nach Pennsylvanien zurück, doch sie würde dann noch in derselben Stadt wohnen wie ihr Stiefvater. Mit freudiger Erleichterung hörte sie in diesem Moment das Hausmädchen draußen im Vestibül, das den Besuch von Dr. Leander Westfield ankündigte.

Houston erhob sich rasch von ihrem Stuhl. »Susan«, sagte sie zum Serviermädchen, »legen Sie noch ein Gedeck auf.«

Leander kam bereits mit langen, selbstbewussten Schritten in das Speisezimmer. Er war ein großer, schlanker, dunkelhaariger, sehr gut aussehender Mann – mit grünen Augen, für die man sein Leben hingeben könnte, wie eine Freundin einmal Houston im Vertrauen gesagt hatte. Dabei strahlte er eine solche Selbstsicherheit aus, dass Frauen auf der Straße stehen blieben und ihn anstarrten. Er begrüßte Mr. und Mrs. Gates.

Leander lehnte sich über den Tisch und gab Houston rasch einen Kuss auf die Wange. Frauen öffentlich zu küssen – selbst wenn es die eigene Frau war –, verstieß gegen alle guten Sitten; aber Leander hatte so eine Art, dass man ihm gern nachsah, was man anderen Männern nie verziehen hätte.

»Möchtest du mit uns essen?«, fragte Houston höflich und wies auf den Platz neben sich.

»Danke, ich habe bereits gegessen; aber vielleicht trinke ich hinterher mit euch eine Tasse Kaffee. Guten Abend, Blair«, sagte er, während er sich ihr gegenübersetzte.

Blair warf ihm als Antwort nur einen Blick zu und stocherte dann in dem Gemüse herum, das sie sich auf den Teller gelegt hatte.

»Blair, kannst du Leander nicht guten Tag sagen, wenn er dich begrüßt?«, schnaubte Duncan am Kopfende.

»Aber sie kann doch nicht mit vollem Mund sprechen, Mr. Gates«, sagte Leander heiter, während er Blair ein wenig verwundert ansah. Dann blickte er Houston an und meinte lächelnd: »Du siehst heute so hübsch aus wie eine Braut.«

»Braut!«, zischte Blair, sprang vom Tisch auf, sodass ihr Stuhl fast umgekippt wäre, und eilte aus dem Zimmer.

»Da hört sich doch alles auf ...« begann Duncan, legte seine Gabel weg und wollte sich von seinem Platz erheben.

Doch Houston verhinderte es mit den Worten: »Bitte nicht. Irgendetwas muss sie schrecklich aufgeregt haben. Vielleicht vermisst sie auch ihre pennsylvanischen Freunde. Leander, wolltest du nicht mit mir über die Hochzeit reden? Könnten wir das nicht gleich besprechen?«

»Aber natürlich.« Leander eskortierte sie schweigend zu seinem Einspänner, der vor der Tür wartete, trieb das Pferd an, fuhr mit ihr die Second Street hinauf und parkte in einer der vielen Sackgassen von Chandler. Es wurde schon dunkel, und ein kalter Wind kam von den Bergen herunter. Houston zog sich in den hintersten Winkel der Kutsche zurück.

»Nun erzähl mir mal, was los ist«, sagte Leander, wickelte die Zügel um die Bremskurbel, zog die Bremse fest und drehte sich zu ihr um. »Du scheinst genauso aufgebracht zu sein wie Blair.«

Houston hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Es tat ihr gut, mit Lee allein sein zu können. Er war ihr so vertraut. Bei ihm fühlte sie sich sicher. Er war eine Oase der Vernunft in ihrem Leben. »Es ist Mr. Gates. Er behandelt sie schlecht, erzählt ihr ständig, wie unnütz sie sei, erinnert sie daran, dass er sie schon als kleines Kind für einen hoffnungslosen Fall gehalten habe, und verlangt immer wieder von ihr, dass sie die Medizin aufgeben und in Chandler bleiben solle. Und nie versäumt er, mich als Vorbild hinzustellen, Lee.«

»Ja, Sweetheart«, sagte Lee und zog sie in seine Arme, »du bist eben perfekt. So süß und gut und anschmiegsam und ...«

Sie rückte von ihm weg. »Anschmiegsam? Vergleichst du mich etwa mit einem Sahnebonbon?«

»Nein«, antwortete Lee lächelnd, »ich wollte damit nur ausdrücken, dass du eine hübsche, süße Frau bist und ich es für einen guten Zug von dir halte, wenn du dir so große Sorgen um deine Schwester machst; aber ich denke, Blair, hätte auf Kritik vorbereitet sein müssen, als sie Ärztin wurde.«

»Du würdest doch nicht verlangen, dass sie die Medizin aufgibt, oder?«

»Ich habe keine Ahnung, was deine Schwester tun sollte. Ich bin nicht für sie verantwortlich.« Er zog sie wieder an sich. »Warum reden wir eigentlich von Blair? Wir müssen an uns denken, an unsere gemeinsame Zukunft.«

Dabei zog er sie noch fester an sich und begann, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.

Das war der Teil seiner Brautwerbung, den Houston gar nicht mochte. Lee war so gut zu haben, war ihr so vertraut wie kein anderer. Schließlich waren sie schon ein ›Paar‹, als sie erst sechs und zwölf Jahre alt gewesen waren. Sie konnte jetzt als Zwanzigjährige auf eine lange Zeit zurückblicken, die sie mit Leander Westfield verband und hatte eigentlich schon immer gewusst, dass sie eines Tages Mrs. Westfield sein würde. Ihre ganze Schulausbildung, alles, was sie bisher gelernt hatte, waren eine Vorbereitung auf den Tag dieser Hochzeit.

Doch vor ein paar Monaten, als er von seinem Studium in Europa zurückgekommen war, hatte er damit angefangen, sie zu küssen, sie auf den Sitz des Einspänners zu drücken, nach ihren Kleidern zu grapschen; und alles, was Houston dabei empfand, war der Wunsch, er möge mit dieser Fummelei aufhören. Das brachte Lee dann in Harnisch, und er nannte sie eine Eisprinzessin und brachte sie nach Hause.

Houston wusste, wie sie auf Lees Annäherungen reagieren sollte. Trotz ihres Rufes, eine sittenstrenge Stadt zu sein, war Chandler in Colorado eine aufgeklärte Stadt – jedenfalls, was ihre Frauen betraf –, doch Houston empfand einfach nichts, wenn Lee sie anfasste. Sie hatte sich deswegen schon manches Mal nachts in den Schlaf geweint. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemanden mehr lieben könne als Leander; aber sie spürte keine Erregung, wenn er sie anfasste.

Er schien ihre Gedanken zu lesen und zog sich von ihr zurück, während seine Augen seinen Ärger verrieten.

»Es sind keine drei Wochen mehr bis dahin«, sagte sie mit hoffnungsvoller Stimme. »Bald sind wir verheiratet, und dann ...«

»Und was dann?«, fragte er mit einem schrägen Blick auf sie. »Dann schmilzt die Eisprinzessin?«

»Ich hoffe es«, flüsterte sie, mehr zu ihrer als seiner Beruhigung. »Keiner erhofft sich das so sehr wie ich.«

Sie schwiegen einen Moment.

»Hast du dich schon auf den Empfang vorbereitet, den der Gouverneur morgen gibt?«, fragte Lee, zog eine lange, dünne Zigarre aus der Westentasche und zündete sie an.

Houston lächelte zaghaft. Die ersten Minuten, nachdem sie ihn abgewiesen hatte, waren immer die schlimmsten. »Mein Worth-Modellkleid hängt schon frisch gebügelt im Schrank.«

»Der Gouverneur wird sich in dich verlieben. Davon bin ich überzeugt.« Er lächelte sie an, aber sie spürte, dass es ein gezwungenes Lächeln war. »Eines Tages werde ich die schönste Frau dieses Staates an meiner Seite haben.«

Sie versuchte, sich zu entspannen. Der Empfang eines Gouverneurs war für sie kein Problem. Das war etwas, für das sie ausgebildet worden war. Vielleicht hätte sie einen Kursus belegen sollen, wie man nicht zu einer frigiden Ehefrau wird. Sie wusste, dass manche Männer der Meinung waren, Frauen sollten keinen Gefallen am Sex finden; aber sie wusste auch, dass Leander eine Ausnahmeerscheinung unter den Männern war. Er erwartete, dass sie Freude haben sollte an den körperlichen Beziehungen zu ihm, wie er ihr ausdrücklich erklärt hatte, und Houston redete sich ein, dass es auch so kommen würde; doch meistens fühlte sie sich eher abgestoßen, wenn er sie küsste.

»Ich muss morgen in die Stadt«, sagte er, ihren Gedankengang unterbrechend. »Möchtest du mitkommen?«

»Nur zu gern. Oh! Blair wollte kurz bei der Redaktion der Zeitung vorbeischauen. Ich glaube, jemand hat ihr ein neues medizinisches Journal aus New York geschickt.«

Houston lehnte sich in das Polster zurück, während Leander das Pferd wieder antrieb, und überlegte, was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass seine ›anschmiegsame‹ Zukünftige einmal in der Woche etwas unternahm, was als ungesetzlich galt.

Blair lümmelte sich gegen das Kopfende der Bettstelle aus reich verziertem Nussbaum, einen Fuß auf dem Boden, das andere Bein angewinkelt, dass man den Zwickel ihrer türkischen Hose sah. Ihr großes, in Weiß und Blau gehaltenes Zimmer befand sich im zweiten Stock, mit einem herrlichen Ausblick auf den Ayers Peak durch das Westfenster. Sie hatte anfangs ein Zimmer im ersten Stock bei der anderen Familie gehabt, doch nachdem sie im Alter von zwölf Jahren Chandler verlassen hatte, wurde Opal schwanger, und Mr. Gates hatte Blairs Zimmer in eine Säuglingsstation mit Bad verwandelt. Opal verlor ihre Leibesfrucht, und nun stand das Kinderzimmer leer, bevölkert mit Puppen und Spielzeugsoldaten, die Mr. Gates schon während der Schwangerschaft gekauft hatte.

»Ich kann wirklich nicht einsehen, warum wir mit Leander in die Stadt fahren müssen«, sagte Blair zu Houston, die sehr gerade auf einem weißen Brokatsessel saß. »Ich habe dich ein paar Jahre nicht gesehen, und jetzt muss ich dich mit ihm teilen.«

Houston zeigte ihrer Schwester ein kleines Lächeln. »Leander hat uns gebeten, ihn zu begleiten, nicht umgekehrt ich ihn. Ich habe manchmal den Eindruck, dass du ihn nicht leiden kannst. Ich verstehe nur nicht, wie das möglich ist. Er ist freundlich zu dir, rücksichtsvoll, hat eine Position in der Gemeinde und ...«

»... und er besitzt dich vollkommen!«, explodierte Blair und sprang vom Bett herunter. Houston war erschrocken über die Heftigkeit ihrer Reaktion. »Verstehst du denn nicht, dass ich auf der Hochschule mit Frauen zusammengearbeitet habe, die so waren wie du? Frauen, die so unglücklich waren, dass sie mehrmals versuchten, sich umzubringen?«

»Umbringen? Blair, ich habe keine Ahnung, wovon du überhaupt redest. Ich habe nicht die Absicht, mich selbst zu töten.« Houston war jetzt von der Heftigkeit ihrer Schwester sogar peinlich berührt.

»Houston«, fuhr nun Blair, die das zu merken schien, mit ruhiger Stimme fort, »ich wünschte, du würdest selbst erkennen, wie sehr du dich verändert hast. Du warst früher so fröhlich, und jetzt bist du nur noch reserviert. Ich verstehe ja, dass du dich Gates anpassen musstest, aber warum willst du unbedingt einen Mann heiraten, der so ist wie er?«

Houston stand auf, legte die Hand auf Blairs Frisierkommode aus Nussbaum und strich mit den Fingerspitzen über Blairs in Silber gefasste Haarbürste hin. »Leander ist nicht so wie Mr. Gates. Tatsächlich ist er ganz anders. Blair« – sie sah ihre Schwester im großen Spiegel über der Kommode an –, »ich liebe Leander. Ich liebe ihn schon seit vielen Jahren, und ich hatte nie einen anderen Wunsch, als ihn zu heiraten, Kinder zu bekommen und für eine Familie zu sorgen. Ich habe nie etwas Großes oder Nobles vollbringen wollen, wie du das offensichtlich willst. Kannst du nicht sehen, dass ich glücklich bin?«

»Ich wünschte, ich könnte dir glauben«, sagte Blair aufrichtig. »Aber etwas hindert mich daran. Ich hasse vermutlich die Art, mit der Leander dich behandelt, als wärst du bereits sein Eigentum. Wenn ich euch zusammen sehe, wirkt ihr auf mich wie ein Ehepaar, das bereits zwanzig Jahre verheiratet ist.«

»Wir sind schon sehr lange zusammen.« Houston drehte ihrer Schwester wieder das Gesicht zu. »Was soll ich in einem Ehemann wohl anderes suchen als Übereinstimmung?«

»Mir scheinen die besten Ehen jene zu sein, wo sich die Eheleute gegenseitig interessant finden. Du und Leander – ihr seid euch zu ähnlich. Wäre er eine Frau, stellte er eine perfekte Dame dar.«

»Wie ich«, flüsterte Houston. »Aber ich bin nicht immer eine Lady. Es gibt Dinge, die ...«

»Sadie zum Beispiel?«

»Wieso weißt du davon?«, fragte Houston.

»Meredith hat es mir erzählt. Was, denkst du wohl, wird dein teurer Leander sagen, wenn er erfährt, dass du dich jeden Mittwoch in Lebensgefahr begibst? Und wie stünde es einem Chirurgen mit seinem Ruf zu Gesicht, wenn er mit einer Kriminellen zum Traualtar ginge?«

»Ich bin keine Kriminelle. Ich tue etwas, was nur zum Vorteil dieser Stadt ist«, sagte Houston temperamentvoll und beruhigte sich dann wieder. Sie machte eine Bewegung, als würde sie eine unsichtbare Haarnadel in den sauber geschlungenen Haarknoten über ihren Nacken stecken. Sorgsam arrangierte Locken rahmten ihre Stirn unter einem Hut, der mit blauen irisierenden Federn geschmückt war. »Ich weiß nicht, was Leander dazu sagen würde. Vielleicht erfährt er es nie.«

»Ha! Dieser aufgeblasene, verwöhnte Mann wird dir verbieten, dich an irgendetwas zu beteiligen, was mit gewöhnlichen Bergwerksarbeitern zu tun hat, und du, Houston, bist so sehr an Gehorsam gewöhnt, dass du genau das tun wirst, was er dir sagt.«

»Vielleicht würde ich die Rolle von Sadie sowieso aufgeben, wenn ich ihn geheiratet habe«, sagte Houston mit einem Seufzer.

Plötzlich fiel Blair vor Houston auf die Knie und ergriff deren Hände. »Ich mache mir Sorgen um dich. Du bist nicht die Schwester, mit der ich aufgewachsen bin. Gates und Westfield haben dir deine Vitalität genommen. Als wir noch Kinder waren, hast du mit den kräftigsten Jungen Schneeballschlachten veranstaltet. Heute benimmst du dich, als würdest du dich vor der ganzen Welt fürchten. Selbst wenn du etwas so Wunderbares tust, wie als Trödlerin verkleidet in die Minenlager zu fahren, machst du das heimlich. Oh, Houston ...«

Sie brach ab, als es an der Tür klopfte.

»Miss Houston, Dr. Leander Westfield ist hier.«

»Ja, Susan, ich komme gleich hinunter.« Houston strich ihren Rock glatt. »Es tut mir leid, dass du mich so zu meinem Nachteil verändert findest«, sagte sie steif. »Aber dennoch sagt mir meine Seele, dass ich Leander heiraten will, weil ich ihn liebe.« Damit rauschte sie aus dem Zimmer und ging nach unten.

Houston tat ihr Möglichstes, Blairs Worte aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen, doch das gelang ihr nicht. Sie wirkte zerstreut, als sie Leander begrüßte, und nahm nur verschwommen war, dass Lee und Blair sich stritten. Aber sie hörte eigentlich nur ihre eigenen Gedanken.

Blair war ihre Zwillingsschwester. Sie standen sich näher, als das bei normalen Geschwistern die Regel war, und Blairs Sorgen waren echt. Aber wie konnte Houston jemals daran denken, Leander nicht zu heiraten? Als Leander acht Jahre alt war, beschloss er, Arzt zu werden – ein Chirurg, der anderen Menschen das Leben rettete –, und mit zwölf Jahren lernte er dann Houston kennen. Lee las damals bereits Fachbücher, die er sich von einem Vetter auslieh. Houston beschloss, herauszufinden, welche Voraussetzungen man als Frau eines Arztes erfüllen musste.

Keiner der beiden wich von seinem Entschluss ab. Lee ging nach Harvard, um dort Medizin zu studieren, dann nach Wien, um dort seinen Facharzt zu machen; und Houston ging nach Virginia und dann in die Schweiz, um sich entsprechend zu bilden.

Houston zuckte noch heute bei der Erinnerung zusammen, wie heftig sie sich mit Blair wegen der Schulen gestritten hatte, bei denen sie sich bewarben. »Du willst auf einen ordentlichen Schulabschluss verzichten, nur um zu lernen, wie man einen Tisch deckt und mit einer fünfzig Meter langen Schleppe durchs Zimmer geht, ohne auf die Schnauze zu fallen?«

Blair ging nach Vassar, dann zur medizinischen Hochschule, während Houston Miss Jones Internat für junge Damen besuchte, wo sie eine dreijährige sehr strenge Ausbildung in einer Vielzahl von Fächern genoss. Sie reichten von den Anfangsgründen des Blumensteckens bis zu der hohen Kunst, Männer davon abzuhalten, sich am Abendbrottisch zu streiten.

Nun nahm Lee ihren Arm, als er ihr in den Einspänner half. »Du siehst so gut aus wie immer«, sagte er dicht an ihrem Ohr.

»Lee«, sagte Houston, »glaubst du, dass wir einander ... interessant fänden?«

Mit einem Lächeln ließ er seinen Blick an ihrem Körper herabgleiten, betrachtete angelegentlich das Kleid, das sich wie eine zweite Haut über ihre übertrieben geschnürte Stundenglas-Taille legte. »Houston, ich finde dich faszinierend.«

»Nein, ich meine, ob wir beide auch genügend Gesprächsstoff haben werden?«

Er zog die Braue in die Höhe. »Es ist ein Wunder, dass mir überhaupt noch etwas zum Reden einfällt, wenn ich in deiner Nähe bin«, antwortete er, während er ihr auf den Sitz des Einspänners half. Dann fuhr er mit den beiden Schwestern sechs Häuserblocks weit in die Innenstadt von Chandler.

Kapitel 2

Chandler in Colorado war eine Kleinstadt, hatte nur achttausend Einwohner, doch ihre Industrie – Kohle, Rinder, Schafe und Mr. Gates’ Brauerei – machte sie zu einer reichen kleinen Stadt. Sie verfügte bereits über Elektrizität und ein Telefonsystem, und da drei Hauptstrecken der Eisenbahn durch den Ort führten, konnte man von hier aus bequem die größeren Städte Colorado Springs und Denver erreichen.

Die elf Häuserblocks, aus denen das Herz von Chandler bestand, setzten sich aus fast neuen Gebäuden zusammen, die alle mit Steinen aus den Chandler Stone Works errichtet worden waren. Diese grünlich grauen Quader wurden oft mit kunstvollen Verzierungen versehen und gehörten zu den bevorzugten Ornamentsteinen von Gebäuden, die im viktorianischen Stil westlicher Prägung errichtet wurden.

Die Häuser, die sich außerhalb der Stadt im Gelände verteilten, waren ein Gemisch verschiedener Stilrichtungen – vorwiegend Queen Anne und High Victorian. Am nördlichen Ende der Stadt, auf einem kleinen Hügel, stand Jacob Fentons Haus – ein großes aus Ziegeln errichtetes Gebäude im viktorianischen Stil, bis vor ein paar Jahren das größte Haus am Platz.

Am Westende der Stadt, nur ein kurzes Stück von der Villa Fenton entfernt, stand auf dem eingeebneten Gipfel einer Anhöhe, welche früher die meisten Einwohner der Stadt bereits zu den Rocky Mountains gerechnet hatten, das Haus von Kane Taggert. Die Villa Fenton würde in den Weinkeller des Taggertschen Hauses hineingepasst haben.

»Versucht die ganze Stadt immer noch, das Haus von innen zu besichtigen?«, fragte Blair ihre Schwester und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Anhöhe, auf der das Haus hinter Bäumen kaum zu sehen war. Aber was da »kaum sichtbar« durch die Bäume schimmerte, war gewaltig genug, dass man es fast überall in der Stadt sehen konnte.

»Jeder«, antwortete Houston lächelnd. »Aber als Mr. Taggert alle Einladungen ignorierte und auch selbst keine verschickte, begannen die Leute, wie ich fürchte, schlimme Gerüchte über ihn auszustreuen.«

»Ich bin nicht so sicher, dass alles, was sich die Leute über ihn erzählen, Gerüchte sind«, sagte Leander. »Jacob Fenton erzählte mir ...«

»Fenton!«, explodierte Blair. »Fenton ist ein betrügerischer, heuchlerischer ...«

Houston mochte nicht zuhören, lehnte sich in das Polster der Kutsche und blickte durch das Rückfenster im Verdeck auf das Haus über der Stadt. Lee und Blair zankten sich, während die Kutsche vor den Geleisen der neuen Pferdebahn halten musste, um eines dieser Vehikel vorbeizulassen.

Houston hatte keine Ahnung, ob die Geschichten, die man sich von Mr. Taggert erzählte, stimmten oder nicht; aber ihrer Meinung nach übertraf das Haus, das er sich gebaut hatte, an Schönheit alles, was ihr bisher in ihrem Leben vor Augen gekommen war.

Niemand in Chandler wusste viel von Mr. Taggert; aber vor fünf Jahren waren über hundert Bauarbeiter aus dem Osten mit einem Güterzug voll Material hier eingetroffen. Und einige Stunden später hatten sie bereits das begonnen, was einmal ein Haus werden sollte.

Natürlich war jeder neugierig – tatsächlich erheblich mehr als neugierig. Jemand erzählte damals, dass keiner von den Bauarbeitern auch nur eine Mahlzeit selbst bezahlen musste, weil alle Frauen von Chandler sie durchfütterten in dem Versuch, Informationen über den Bauherrn zu erhalten. Doch ihre Bemühungen waren umsonst. Niemand wusste, wer das Haus bauen ließ und warum es unbedingt hier stehen musste – im Nirgendwo von Colorado.

Es dauerte drei Jahre, bis es fertiggestellt war – ein wunderschönes, weißes U-förmiges Gebäude mit einem roten Ziegeldach. Die Größe dieser Anlage war für die meisten Einwohner der Stadt ein nie versiegender Gesprächsstoff. Ein Ladenbesitzer im Ort schätzte, dass alle Hotels von Chandler im Erdgeschoss Platz finden würden, und wenn man bedachte, dass Chandler der wichtigste Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Norden und Süden Colorados war und dann alle Hotels in der Stadt zusammenrechnete, konnte man nur noch stumm sein vor Ehrfurcht.

Nach der Fertigstellung des Hauses trafen ein Jahr lang Güterwagen mit Kisten ein, die zum Haus hinauftransportiert wurden. Sie hatten Aufkleber aus Frankreich, England, Spanien, Portugal und aus anderen transozeanischen Ländern.

Nur vom Eigentümer war immer noch nichts zu sehen.

Dann, eines Tages, stiegen zwei Männer aus dem Zug –beides große, stattliche Erscheinungen - der eine blond und von angenehmem Aussehen, der andere dunkelhaarig, bärtig und finster blickend. Sie trugen beide die übliche Bergmannskluft – Segeltuchhosen, blaue Cambrai-Hemden und Hosenträger. Als sie die Straßen hinuntergingen, rafften die Frauen ihre Röcke zusammen, damit sie nicht mit ihnen in Berührung kamen.

Der Dunkelhaarige begab sich zu Jacob Fenton, und jeder nahm an, er wollte dort um eine Arbeit in den Minen bitten, die Fenton gehörten. Stattdessen sagte er nur: »Nun, Fenton, ich bin zurück. Gefällt Ihnen mein Haus?«

Erst als er durch die ganze Stadt gewandert, den Hügel hinaufgestiegen, die Haustür aufgesperrt und hindurchgegangen war, begriffen sie endlich, dass er dieses Haus gemeint hatte.

Ein halbes Jahr lang, so wusste Duncan Gates zu berichten, verwandelte sich Chandler in einen Kriegsschauplatz. Witwen, Ledige und Mütter von jungen Frauen, die vor ihm die Röcke zur Seite gerafft hatten, bliesen nun zur Attacke auf die Hand dieses Mannes, damit er sie ihnen zum Ehebund reichen sollte. Schneider und Schneiderinnen trafen dutzendweise aus Denver ein.

Binnen einer Woche hatten die Frauen seinen Namen herausbekommen, und von diesem Moment an wurde Mr. Taggert belagert. Einige Versuche, seine Aufmerksamkeit zu erregen, waren reichlich gewöhnlich; so war es zum Beispiel erstaunlich, wie viel Frauen in seiner Nähe in Ohnmacht fielen. Doch es gab auch gute Einfälle, und alle fanden, dass Carrie Johnson den Ersten Preis in dieser Hinsicht verdient hatte, als sie als hochschwangere Witwe an einer Strickleiter vom Dach bis in Mr. Taggerts Schlafzimmer hinunterkletterte und in seinem Bett die ersten Wehen bekam. Sie glaubte, er würde sie von ihrem Baby entbinden, sich dabei natürlich leidenschaftlich in sie verlieben und sie dann bitten, seine Frau zu werden. Aber Taggert war in diesem Moment nicht zu Hause, und die ganze Hilfe, die sie bei ihrer Niederkunft erhielt, beschränkte sich auf eine Wäscherin, die zufällig am Schlafzimmer vorbeikam.

Nach sechs Monaten hatte fast jede Frau in der Stadt eine Närrin aus sich gemacht, ohne Erfolg allerdings, und nun begannen sie, von sauren Trauben zu reden. Wer wollte schon einen Mann, der nicht wusste, wie man sich richtig anzog, auch wenn er noch so reich war? Und seine Grammatik – der geringste Cowboy konnte besser reden und schreiben. Was sollte das überhaupt für ein Englisch sein: »I’m back – ich bin zurück!«?

Jemand tat einen ehemaligen Diener von Jacob Fenton auf, der sich daran erinnerte, dass Kane Taggert mal Stallbursche bei Fenton gewesen war, bis er ein Techtelmechtel mit Pamela Fenton, Jacob Fentons junger Tochter, anfing. Jacob jagte ihn von seinem Grundstück – und recht hatte er gehabt!

Das lieferte der Stadt wieder neuen Gesprächsstoff. Für wen hielt dieser Taggert sich eigentlich? Was für ein recht hatte er dazu, ein so ausgefallenes, protziges Haus so hoch hinauf zu bauen, dass die ganze friedliche, hübsche kleine Stadt Chandler es sich anschauen musste? Plante er etwa, an dem teuren Jacob Fenton Rache zu nehmen?

Abermals begannen die Frauen, ihre Röcke beiseite zu raffen, wenn er an ihnen vorbeiging.

Doch Taggert schien das alles nicht zu bemerken. Er blieb die meiste Zeit in seinem Haus und fuhr einmal pro Woche mit seiner alten Kalesche in die Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. Manchmal trafen Männer mit dem Zug in Chandler ein, fragten, wie man zu seinem Haus gelangte, und verließen noch vor Sonnenuntergang wieder die Stadt. Von diesen Männern abgesehen, gingen nur noch Taggert und der Mann, den er Edan nannte und der ihm fast nie von der Seite wich, in dem großen Haus aus und ein.

»Das ist Houstons Traumhaus«, sagte Leander, als die Pferdebahn vorbeigefahren war, und holte damit Houston in die Gegenwart zurück. Er hatte mittlerweile seinen Streit mit Blair beendet – oder unterbrochen – und setzte mit einem nachsichtigen Lächeln hinzu: »Wenn Houston mich nicht hätte, würde sie sich vermutlich dem streitbaren Heer der Frauen angeschlossen haben, die um Taggert und sein großes Haus kämpften.«

»Ich würde mir gern mal das Haus von innen anschauen«, sagte sie mit größerem Verlangen, als sie eigentlich zu zeigen gewillt war. Und dann, um ihre Verlegenheit zu verdecken, setzte sie hinzu: »Du kannst mich hier vor dem Kaufhaus Wilson absetzen, Lee. Wir treffen uns dann in einer Stunde bei Farrell.«

Kaum hatte er sie vor dem Kaufhaus abgesetzt, stellte sie fest, wie erleichtert sie war, seinen Sticheleien entronnen zu sein.

Wilsons Kaufhaus gehörte zu den vier großen Geschäften in Chandler, wo man außer Lebensmitteln alle Artikel des täglichen Bedarfs unter einem Dach vereinigt fand. Die meisten Leute kauften all dies in dem neueren, etwas moderneren Kaufhaus Famous ein. Aber Mr. Wilson hatte noch Houstons Vater gekannt.

An den Wänden standen hohe Vitrinen aus Nussbaum mit Glastüren und dazwischen Tische mit Marmorplatten, auf denen allerlei Waren ausgestellt waren. Hinter einem Pult saß Davey Wilson, Mr. Wilsons Sohn, vor sich ein aufgeschlagenes Kontobuch; aber sein Füllfederhalter bewegte sich nicht.

Tatsächlich schienen sich weder die drei Kunden noch die vier Verkäufer von der Stelle zu rühren. Es herrschte eine unnatürliche Stille. Sogleich entdeckte Houston auch die Ursache dieser außergewöhnlichen Betriebsruhe: Kane Taggert stand vor einem der Ladentische, den Rücken den wenigen Leuten im Laden zugewandt.

Auf Zehenspitzen ging Houston zu einer Vitrine und betrachtete eine Auswahl vielseitig verwendbarer Heilmixturen, für die sie überhaupt keinen Bedarf hatte; aber sie spürte, dass sich hier etwas anbahnte.

»Oh, Mama«, jammerte Mary Alice Pendergast mit ihrer hohen Stimme. »Das kann ich doch unmöglich tragen; darin würde ich doch wie die Braut eines Bergarbeiters aussehen. Die Leute würden denken, ich wäre ein Niemand ... ein Dienstmädchen, eine Tellerwäscherin, die nach Höherem trachtet. Nein, nein, Mama, das kann ich unmöglich anziehen.«

Houston spürte Wut in sich aufsteigen. Diese beiden Frauen wollten Mr. Taggert reizen. Da er allen Frauen in der Stadt einen Korb gegeben hatte, glaubten sie wohl, jetzt sei die Zeit gekommen, es ihm auf ihre Art heimzuzahlen. Sie warf einen Blick zu ihm hinüber und konnte in diesem Moment sein Gesicht in einem Reklamespiegel hinter dem Ladentisch sehen. Zwar verdeckte der Backenbart fast ganz seine Züge, doch er ließ die Augen frei, und an der steilen Falte darüber merkte sie, dass er Mary Alice’s boshafte kleine Bemerkungen sehr wohl mitbekommen hatte und sie ihn ärgerten.

Der Vater von Mary Alice war eine Seele von Mann, sanft wie ein Kaninchen, aber Houston wusste aus der Erfahrung mit ihrem Stiefvater, was friedfertige Männer im gereizten Zustand alles sagen und tun konnten. Sie kannte zwar Mr. Taggert nicht, aber sie glaubte in seinen dunklen Augen Gewitterwolken aufziehen zu sehen.

»Mary Alice«, sagte Houston, »wie fühlst du dich heute? Du siehst ein bisschen blass aus.«

Mary Alice blickte überrascht hoch, als bemerkte sie Houston erst jetzt. »Wieso, Blair-Houston, ich fühle mich großartig. Mir fehlt überhaupt nichts.«

Houston betrachtete eine Flasche mit einem die Leber anregenden Elixier. »Ich dachte nur, du könntest vielleicht wieder einmal in Ohnmacht fallen«, sagte sie anzüglich und blickte jetzt Mary Alice durchbohrend an. Mary Alice war zweimal hintereinander vor Mr. Taggert in Ohnmacht gefallen, als er gerade acht Tage in der Stadt war.

»Wie kannst du nur –! Was erlaubst du dir –!«, fauchte Mary Alice.

»Komm, Kind«, sagte ihre Mutter und schob sie auf die Ladentür zu. »Wir wissen, wo wir unsere Freunde zu suchen haben.«

Houston ärgerte sich jetzt ein wenig über sich selbst, nachdem Mary Alice und deren Mutter den Laden verlassen hatten. Sie würde sich später bei ihnen entschuldigen. Sie zog rasch ihre Handschuhe über und wandte sich ebenfalls dem Ausgang zu, als sie noch einen Blick in die Richtung von Mr. Taggert warf und sah, dass er sie im Spiegel beobachtete.

Er drehte sich in diesem Moment um. »Sie sind doch Houston Chandler, nicht wahr?«

»Die bin ich«, sagte sie kühl. Sie hatte nicht vor, ein Gespräch mit einem Mann zu beginnen, den sie nicht kannte, Was, in aller Welt, hatte sie nur dazu bewogen, Partei für diesen fremden Mann zu ergreifen, den sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte?

»Wie kommt es dann, dass diese Frau Sie Blair genannt hat? Ist das nicht Ihre Schwester?«

Ein paar Schritte entfernt hüstelte Davey Wilson hinter seinem Pult. Außer Houston und Kane befanden sich jetzt nur noch die vier Verkäufer im Laden, die alle am Boden festgenagelt schienen.

»Meine Schwester und ich sind identische Zwillinge, und da uns keiner auseinanderhalten kann, werden wir in der ganzen Stadt nur Blair-Houston genannt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, Sir ...« Sie wandte sich wieder dem Ausgang zu.

»Sie sehen nicht so aus wie Ihre Schwester. Sie sind hübscher als Blair.«

Da hielt Houston mitten im Schritt inne und sah ihn verdattert an. Nicht einer hatte sie bisher auseinanderhalten können! Als sie ihren momentanen Schock überwunden hatte, setzte sie ihren Weg zum Ausgang fort.

Aber als ihre Hand die Türklinke berührte, stürmte Taggert quer durch den Laden und packte sie beim Arm.

Houston hatte ihr Leben lang in einer Stadt gewohnt, in der sich Bergarbeiter, Cowboys und Leute aus einem Bezirk tummelten, von dessen Existenz sie eigentlich nichts wissen durfte. Viele Frauen nahmen ein gutes, derbes Parasol zum Einkaufen, das nicht so leicht kaputtging, wenn man es einem Mann über den Kopf haute. Doch Houston konnte Blicke werfen, die einen Mann in Eis verwandelten.

Mit so einem Blick bediente sie nun Mr. Taggert.

Er zog zwar seine Hand von ihrem Arm zurück, blieb aber neben ihr stehen. Sie kam sich ganz klein vor in seiner Nähe. Er war mindestens einen Kopf größer als sie.

»Ich wollte Sie nur etwas fragen«, sagte er jetzt mit gedämpfter Stimme. »Wenn Sie nichts dagegen haben, heißt das«, fügte er mit einem lachenden Unterton hinzu.

Sie antwortete mit einem kurzen Nicken, aber sie würde ihn keinesfalls zu einem Gespräch ermuntern.

»Ich habe mich gefragt, wo Sie doch eine Lady sind, was für Stoffe Sie aussuchen würden, wenn Sie Vorhänge für mein Haus nähen müssten – Sie wissen schon, das weiße auf dem Hügel. Also – was würden Sie von dem Zeug da drüben nehmen?«

Sie gab sich nicht die Mühe, zu den Regalen mit den Stoffrollen hinüberzusehen, auf die er mit dem Finger zeigte. »Sir«, sagte sie etwas von oben herab, »wenn ich Ihr Haus besäße, würde ich speziell dafür gewebte Stoffe aus Lyon in Frankreich bestellen. Und jetzt – guten Tag, Sir.«

So rasch, wie es ihr möglich war, schlüpfte sie nun durch die Ladentür und ging unter den gestreiften Markisen, die die Südseite der Straße beschatteten, in östlicher Richtung davon. Ihre Absätze klapperten über den breiten Bohlenstieg. Es waren viele Leute um diese Zeit in der Innenstadt, und sie nickte und blieb ein paarmal stehen, um mit Bekannten zu reden.

Als sie die Ecke erreichte, wo sich die Third Street mit der Lead Street kreuzte, spannte sie ihr Parasol auf, um sich vor der grellen Gebirgssonne zu schützen und strebte Farrells Gemischtwarenladen zu. Sie konnte Lees Einspänner sehen, der bereits vor dem Laden parkte.

Sie war gerade an Freyers Drogerie vorbei, als sie den Schritt verlangsamte und über ihr Zusammentreffen mit dem unnahbaren Mr. Taggert nachzudenken begann.

Sie konnte es kaum erwarten, ihren Freundinnen von ihrem Gespräch mit ihm zu berichten und dass er sie gefragt hatte, ob sie wüsste, welches Haus ihm gehörte. Vielleicht hätte sie doch auf seine Bitte eingehen, seine Fenster ausmessen und Vorhänge für ihn bestellen sollen. Auf diese Weise wäre sie wenigstens mal in sein Haus gekommen und hätte es von innen besichtigen können.

Sie lächelte vor sich hin, als eine Hand plötzlich ihren Oberarm packte und sie auf ziemlich derbe Weise in eine dunkle Gasse hinter dem Chandler-Opernhaus hineinzog. Ehe sie schreien konnte, drückte ihr eine Hand den Mund zu, und sie wurde gegen eine Mauer gedrückt. Mit ängstlichen Augen blickte sie zu Kane Taggert hinauf.

»Ich will Ihnen nichts tun. Ich wollte nur mit Ihnen reden, aber ich merkte, dass Sie vor den anderen nicht mit mir sprechen wollten. Sie werden nicht schreien?«

Houston schüttelte den Kopf, und er nahm die Hand von ihrem Mund, blieb aber dicht vor ihr stehen. Sie wollte ruhig bleiben, aber ihr Atem ging ziemlich schwer.

»Aus der Nähe betrachtet, sind Sie noch hübscher.« Er bewegte sich nicht und seine Augen wanderten an ihrem eng sitzenden grünen Wollkleid hinunter. »Und Sie sehen wie eine Lady aus.«

»Mr. Taggert«, sagte sie so gelassen, wie es ihr möglich war, »ich habe etwas dagegen, dass man mich in dunkle Gassen schleppt und gegen Mauern drückt. Wenn Sie mir etwas sagen wollen, tun Sie das bitte.«

Er blieb vor ihr stehen und stützte seine Hand neben ihrem Kopf gegen die Mauer. Da waren kleine Fältchen neben seinen Augen, seine Nase war schmal, und eine volle Unterlippe schimmerte durch die Masse seiner Barthaare.

»Warum haben Sie vorhin im Laden meine Partei ergriffen? Weshalb haben Sie diese Frau daran erinnert, dass sie schon mal vor mir in Ohnmacht gefallen ist?«

»Ich ...« Houston zögerte. »Ich glaube, weil es mir nicht gefällt, wenn man jemandem wehtut. Mary Alice hat sich vor Ihnen närrisch benommen, und Sie haben das nicht einmal bemerkt ...«

»Oh, doch«, sagte er, und seine Unterlippe kräuselte sich lächelnd. »Edan und ich – wir haben uns halb tot gelacht.«

»Das war nicht sehr höflich von Ihnen«, sagte Houston steif. »Ein Gentleman sollte nicht über eine Lady lachen.«

Er schnaubte leise – ihr mitten ins Gesicht –, und statt sich über diese Unhöflichkeit zu beschweren, dachte Houston darüber nach, wie angenehm sein Atem roch und wie sein Gesicht unter den vielen Haaren aussehen mochte.

»Ich glaube, alle diese Frauen haben sich nur so aufgeführt, weil ich reich bin. Mit anderen Worten: sie machten Huren aus sich, und deshalb können sie auch keine Ladies sein. Also musste ich auch nicht den Gentleman spielen und sie vom Boden aufheben, wenn sie in Ohnmacht fielen.«

Houston zuckte ein paarmal bei den Worten zusammen, die er benützte. So drastisch hatte sich noch kein Mann in ihrer Gegenwart ausgedrückt.

»Wieso haben Sie sich eigentlich nicht an diesem Spiel beteiligt? Wären Sie nicht auf mein Geld scharf?«

Das befreite Houston von ihrer momentanen Fassungslosigkeit. Sie merkte, dass sie sich an die Wand lehnte, als wollte sie es sich hier bequem machen. Sie schnellte in die Höhe. »Nein, Sir, ich habe es nicht auf Ihr Geld abgesehen. Und jetzt muss ich gehen. Wagen Sie es ja nicht, mich noch einmal auf der Straße anzusprechen.« Damit machte sie auf den Absätzen kehrt und ließ ihn in der Gasse stehen. Sie hörte, wie er leise hinter ihr her lachte.

Sie merkte, wie wütend sie war, als sie die breite, staubige Straße überquerte und dabei fast unter die Räder eines Fuhrwerks gekommen wäre, das mit stinkenden Häuten beladen war. Zweifellos bildete Mr. Taggert sich ein, ihr Auftritt heute Morgen gehörte auch zu diesen Spielchen, die man seines Geldes wegen mit ihm trieb.

Lee sagte etwas zur Begrüßung, aber sie hörte es nicht, weil sie mit ihren Gedanken woanders war.

»Entschuldigung – ich habe dich nicht verstanden.«

Lee nahm ihren Ellenbogen und geleitete sie zum Einspänner. »Ich sagte, du solltest jetzt lieber nach Hause fahren, damit du genügend Zeit hast, dich auf den Empfang des Gouverneurs heute Abend vorzubereiten.«

»Ja, natürlich«, sagte sie geistesabwesend, während er ihr in die Kutsche half.

Houston war diesmal sogar froh, dass Blair und Lee sich auf der Heimfahrt wieder stritten, weil sie ungestört über das Geschehen des Morgens nachdenken konnte. Es kam ihr manchmal so vor, als sei sie ihr Leben lang nur Miss Blair-Houston gewesen. Auch Blairs Abreise hatte daran nichts geändert. Man hatte sich in der Stadt an den Doppelnamen gewöhnt. Doch heute hatte ihr jemand zum ersten Mal gesagt, dass sie ihrer Schwester überhaupt nicht ähnlich sei. Natürlich wollte er damit nur angeben. In Wahrheit konnte auch er sie nicht auseinanderhalten.

Als sie in westlicher Richtung aus der Innenstadt fuhren, richtete Houston sich plötzlich sehr gerade im Polster auf: Mr. Taggert und Edan, der ihn überallhin begleitete, waren im Begriff, sie mit ihrem alten Vehikel zu überholen.

Kane zügelte plötzlich sein Gespann und rief gleichzeitig: »Westfield!«

Erschrocken hielt Lee die Pferde an.

»Ich wollte den Damen nur einen guten Morgen wünschen. Miss Blair«, sagte er, an Blair gewendet, die außen saß, »und Miss Houston«, setzte er mit etwas weicherer Stimme hinzu, während er Houston direkt in die Augen sah, »ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.« Dann krachte seine Peitsche über die Köpfe seiner vier Gespannpferde hin, und das Vehikel rollte davon.

»Was sollte das denn bedeuten?«, fragte Leander kopfschüttelnd. »Ich habe ja gar nicht gewusst, dass du Taggert kennst!«

Ehe Houston ihm antworten konnte, sagte Blair: »Das war der Mann, der dieses Haus dort oben gebaut hat? Kein Wunder, dass er keinen in sein Haus bittet. Er weiß genau, dass er nur Absagen bekäme. Was mich wundert ist, wie er uns auseinanderhalten konnte.«

»Unsere Kleider«, antwortete Houston ein wenig zu rasch. »Er hat mich heute Morgen im Kaufhaus gesehen.«

Blair und Leander setzten ihr Streitgespräch fort, doch Houston hörte kein Wort von dem, was sie sagten. Sie dachte über die Begegnung dieses Morgens nach.

Kapitel 3

Die Villa Chandler stand auf einem Grundstück von der Größe eines halben Morgens, hatte auf der Rückseite eine aus Ziegeln gemauerte Remise und einen Garten mit Spalierobst gleich neben der breiten Veranda, die sich über drei Wände hinzog. Mit den Jahren hatte Opal ein Juwel aus dem Garten gemacht. Ulmen, die gepflanzt worden waren, als das Haus neu war, standen nun im vollen Wuchs über den Rasenflächen und schützten das üppige Grün und die Blumen vor der nach Feuchtigkeit lechzenden Colorado-Sonne. Da waren kleine Ziegelplatten-Stege zwischen den Rabatten, Statuen aus Stein und Badewannen für die Vögel, die sich hinter Blumen versteckten. Zwischen Wohnhaus und Remise war ein Kräutergarten angelegt, und Opal sorgte dafür, dass im Haus immer Vasen mit frischen Schnittblumen standen.

»Nun hör mir mal einen Augenblick zu«, sagte Blair, während sich Houston über einen Rosenbusch an der Nordwestecke des Anwesens beugte. »Ich möchte wissen, was sich da anspinnt.«

»Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst.«

»Kane Taggert.«

Houston verharrte einen Moment in regungsloser Haltung, eine Hand um den Stiel einer Rose gelegt. »Ich traf ihn zufällig in Wilsons Kaufhaus, und später wünschte er uns dann einen guten Morgen.«

»Das kann doch nicht alles gewesen sein.«

Houston drehte sich ihrer Schwester zu. »Ich hätte mich vermutlich nicht einmischen sollen. Aber Mr. Taggert sah aus, als würde er jeden Moment explodieren, und ich wollte einen Streit verhindern. Leider geschah das auf Kosten von Mary Alice.« Sie erzählte Blair, was für hässliche Bemerkungen Miss Pendergast im Laden gemacht hatte.

»Es gefällt mir nicht, dass du jetzt mit ihm in Verbindung gebracht wirst.«

»Du sprichst wie Leander.«

»Ausnahmsweise hat er diesmal recht!«

Houston lachte. »Vielleicht sollten wir diesen Tag in der Familienbibel anstreichen. Blair, ich verspreche dir, dass ich nach dem heutigen Abend den Namen Taggert nie mehr erwähnen werde.«

»Dem heutigen Abend?«

Houston zog ein Stück Papier aus dem Ärmel. »Schau dir das an«, sagte sie eifrig. »Ein Bote hat das gebracht. Er hat mich zum Dinner in sein Haus eingeladen.«

»So? Ich dachte, du wolltest heute Abend mit Leander zu einem Empfang gehen. Oder etwa nicht?«

Houston ignorierte die letzte Bemerkung. »Blair, du scheinst nicht zu wissen, was für ein Wirbel in der Stadt um dieses Haus gemacht wurde. Praktisch jeder in der Stadt hat sich darum bemüht, eine Einladung zur Besichtigung dieses Hauses zu bekommen. Aus ganz Colorado strömten die Leute herbei, um das Haus zu sehen, doch keiner durfte es auch von innen betrachten. Einmal wurde sogar von einem englischen Herzog, der sich auf der Durchreise befand, die Bitte an Mr. Taggert herangetragen, ob er in seinem Haus absteigen dürfe, doch Mr. Taggert wollte die Delegation nicht einmal anhören. Und nun bin ich in sein Haus eingeladen worden.«

»Aber du musst heute Abend doch zum Empfang. Der Gouverneur erwartet dich dort. Das ist doch viel wichtiger, als die Besichtigung von irgend so einem Haus.«

»Du kannst das nicht verstehen«, sagte Houston mit einem entrückten Blick in den Augen. »Jahrelang haben wir die Züge hier ankommen sehen, die Einrichtungsgegenstände für sein Haus brachten. Mr. Gates sagte, der Besitzer habe sich nur deswegen kein Geleis bis zu seinem Haus verlegen lassen, weil er wollte, dass die ganze Stadt die Kisten und Möbel sehen sollte, die er für sein Haus bestellt hat. Aus der ganzen Welt trafen Kisten hier ein. Oh, Blair, die Räume müssen überquellen vor Möbeln. Und die Wandvorhänge erst – Gobelins aus Flandern und Brüssel!«

»Houston, du kannst nicht an zwei Stellen zugleich sein. Du hast versprochen, auf den Empfang zu gehen, und du musst dein Versprechen halten.«

Houston spielte mit den Rosenblättern. »Als wir Kinder waren, konnten wir immer an zwei Stellen zugleich sein.«

Blair brauchte ein paar Sekunden, ehe sie verstand. »Du verlangst, dass ich einen Abend mit Leander verbringe, so tue, als wäre ich in ihn verliebt, während du zu einem Lüstling in die Wohnung gehst?«

»Wie kommst du dazu, Kane einen Lüstling zu nennen?«

»Kane? So weit geht das schon? Ich dachte, du kennst ihn kaum.«

»Schweif jetzt nicht vom Thema ab. Bitte, Blair, tausch den Platz mit mir. Nur für einen Abend. Ich würde ja gern an einem anderen Tag sein Haus besichtigen, aber ich fürchte, das würde mir Mr. Gates nicht erlauben, und ich bin nicht sicher, ob Leander das so angenehm wäre. So eine Gelegenheit bekomme ich nie wieder. Nur noch eine letzte Eigenmächtigkeit, ehe ich unter die Haube komme.«

»Du sagst das so, als wäre die Heirat ein Begräbnis. Außerdem würde Leander sofort erkennen, dass ich nicht du bin.«

»Nicht, wenn du dich entsprechend verhältst. Du weißt, dass wir beide gut schauspielern können. Denke daran, dass ich jeden Mittwoch so tue, als wäre ich eine alte Frau. Doch deine Rolle ist viel einfacher – du musst nur still sein, darfst keinen Streit mit Lee anfangen und nicht über die Medizin reden. Und schreiten wie eine Lady, nicht rennen, als wäre irgendwo ein Feuer ausgebrochen.«

Blair brauchte lange zu einer Antwort. Doch Houston konnte ihr ansehen, dass sie schwach wurde. »Bitte, bitte, Blair. Ich bitte dich selten um etwas.«

»Nur, dass ich ein paar Monate im Haus unseres Stiefvaters verbringen soll, obwohl du weißt, dass ich ihn verabscheue. Und mir wochenlang die selbstgefälligen Reden eines Mannes anhören muss, den du zu heiraten beabsichtigst. Und dass ...«

»Oh, Blair, bitte«, flüsterte Houston. »Ich möchte das Haus so gern von innen sehen.«

»Ist es nur das Haus, das dich interessiert, oder auch der Besitzer?«

Houston wusste, dass sie gewonnen hatte. Blair versuchte, die Widerstrebende zu spielen, aber aus irgendeinem verborgenen Grund war sie doch mit dem Wechsel einverstanden. Sie hoffte nur, Blair würde Lee nicht dazu überreden, ihr das Krankenhaus zu zeigen.

»Um Himmels willen!«, rief Houston. »Ich habe Hunderte von Dinner-Partys besucht, und nicht einer von den Gastgebern hat mir den Kopf verdreht. Zudem werden ja noch andere Gäste zugegen sein.« Wenigstens hoffte sie das. Sie wollte nicht noch einmal gegen eine Wand gedrückt werden.

Blair lächelte mit einem Mal. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich nach deiner Hochzeit Leander erzähle, dass er einen Abend mit mir verbracht hat? Allein schon das Gesicht zu sehen, das er dann machen wird, würde mich für alles entschädigen.«

»Natürlich darfst du ihm das später erzählen. Lee hat Sinn für Humor. Ich bin sicher, er wird herzlich darüber lachen.«

Houston warf ihrer Schwester die Arme um den Hals. »Lass uns gleich mit den Vorbereitungen für heute Abend beginnen. Ich werde etwas anziehen, was zu dem Haus auf dem Hügel passt; und du wirst mein blaues Worth-Modellkleid tragen müssen.«

»Ich würde ja gern meine Knickerbocker anziehen; aber dann wüsste Leander wohl gleich, mit wem er es zu tun hat, nicht wahr?«, sagte Blair, ein schelmisches Funkeln in den Augen, als sie ihre Schwester ins Haus begleitete.

Was nun folgte, war eine Orgie der Unentschlossenheit. Houston packte die gesamte Garderobe aus, die für ihre Hochzeit vorbereitet worden war, um das richtige Kleid für diesen Abend zu finden.

Schließlich entschied sie sich für ein Kleid aus malven- und silberfarbenem Brokat mit Hermelinbesatz am tiefen Ausschnitt und an den Puffärmeln. Sie würde das Kleid in einer ledernen Reisetasche verstecken – Blair schleppte immer dicke Ledertaschen voll medizinischer Instrumente mit sich herum – und sich in Tias Wohnung umziehen.

Sie mochte nicht das Telefon benützen, aus Angst, jemand könnte mithören; und so bezahlte sie einem der Jungen von Randolph einen Penny, damit er ihrer Freundin Tia Mankin, deren Haus sich unweit von Kanes Auffahrt befand, eine Botschaft zustellte. Sie sollte sagen, dass Blair bei ihr sei, wenn jemand Fragen stellte.

Blair fing wieder an zu quengeln, als verlangte Houston Unmögliches von ihr. Und sie beklagte sich zwanzig Minuten lang über das enge Korsett, das ihr fast die Luft abdrückte, weil sie sonst mit ihrer Taille nicht in das Modellkleid von Worth hineingepasst hätte. Aber als sich dann Blair im Spiegel betrachtete, sah Houston ein Funkeln in ihren Augen und wusste, dass sie mit ihrem Aussehen sehr zufrieden war.

Die wenigen Minuten, die Houston im Salon mit ihrer Mutter und Mr. Gates verbrachte, waren eine Freude für sie. Blairs bequeme Kleider forderten einen geradezu heraus, den Wildfang zu spielen, und sie zankte sich ununterbrochen mit Mr. Gates.

Und als Leander kam, genoss sie es nicht weniger, ihn zu necken. Lees kühle Reserviertheit, sein überlegenes Gehabe, das von keinem noch so frechen Wort zu erschüttern war, gingen ihr so auf die Nerven, dass sie froh war, als sie vor Tias Haus aussteigen konnte und Blair mit ihm allein weiterfuhr.

Sie traf sich mit Tia im Schatten eines Cottonwood-Baumes und folgte ihr über die Hintertreppe ins Zimmer.

»Blair«, flüsterte Tia, während sie Houston beim Umziehen half, »ich hatte gar nicht gewusst, dass du unseren geheimnisvollen Mr. Taggert kennst. Ich wünschte, ich könnte dich heute Abend begleiten, und ich wette, Houston wünschte sich das auch. Sie ist in dieses Haus verliebt. Hat sie dir erzählt, was sie damals ...? Vielleicht sollte ich dir das lieber nicht erzählen.«

»Vielleicht solltest du mir das wirklich nicht erzählen«, pflichtete ihr Houston bei. »Aber jetzt muss ich gehen. Halt mir die Daumen.«

»Und erzähl mir morgen, wie es gewesen ist. Ich möchte, dass du mir jedes Möbelstück beschreibst, jeden Teppich, jede Wand und jede Decke«, sagte Tia, die ihre Freundin die Treppe hinunterbegleitete.