Herz aus Feuer - Jude Deveraux - E-Book

Herz aus Feuer E-Book

Jude Deveraux

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Beschreibung

Ein historischer Liebesroman voller Leidenschaft und Dramatik

Über dieses Buch: 1892. Blair Chandler träumt davon, Ärztin zu werden, und ist gleichzeitig in den Verlobten ihrer Zwillingsschwester verliebt. Als sie endlich ihr berufliches Ziel erreicht, erobert sie auch das Herz von Dr. Lee Westfield, ihrem Angebeteten. Doch Lee hat ein Geheimnis. Und während sein Schweigen ihre Liebe gefährdet, würde die Wahrheit ihr Leben bedrohen ...

Über die Reihe: Die Chandler-Schwestern sind wie Eis und Feuer: Die wohlerzogene Schönheit Houston weiß, was sich gehört und was von ihr erwartet wird. Die temperamentvolle Blair hingegen liebt ihre Unabhängigkeit. Doch die Zwillinge eint eine tiefe Leidenschaft, die unterschiedlichen Männern gilt. Eine Leidenschaft, die zu großem Glück führen kann - oder zum Verhängnis wird ...

Wie es Blairs Schwester Houston nach der gelösten Verlobung mit Lee ergeht, erfahren Sie im historischen Liebesroman "Herz aus Eis".

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Über dieses Buch

Über die Reihe

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Die Chandler-Zwillinge

Herz aus Eis

Weitere Titel in Vorbereitung

Über dieses Buch

Ein historischer Liebesroman voller Leidenschaft und Dramatik

Über dieses Buch: 1892. Blair Chandler träumt davon, Ärztin zu werden, und ist gleichzeitig in den Verlobten ihrer Zwillingsschwester verliebt. Als sie endlich ihr berufliches Ziel erreicht, erobert sie auch das Herz von Dr. Lee Westfield, ihrem Angebeteten. Doch Lee hat ein Geheimnis. Und während sein Schweigen ihre Liebe gefährdet, würde die Wahrheit ihr Leben bedrohen …

Über die Reihe

Die Chandler-Schwestern sind wie Eis und Feuer: Die wohlerzogene Schönheit Houston weiß, was sich gehört und was von ihr erwartet wird. Die temperamentvolle Blair hingegen liebt ihre Unabhängigkeit. Doch die Zwillinge eint eine tiefe Leidenschaft, die unterschiedlichen Männern gilt. Eine Leidenschaft, die zu großem Glück führen kann – oder zum Verhängnis wird …

Über die Autorin

Jude Deveraux wurde in Kentucky geboren, studierte Kunst und arbeitete als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Mittlerweile hat sie mehr als 70 Romane veröffentlicht, davon 43 New-York-Times-Bestseller. Ihre Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt und erreichen eine Gesamtauflage von mehr als 60 Millionen Exemplaren. 2013 erhielt sie den Romantic-Times-Pioneer-Award für ihre beeindruckende Karriere.

Viele ihrer romantischen Liebesromane handeln von Mitgliedern der fiktiven Familien Montgomery und Taggert, so auch die gefühlvollen Historicals »Herz aus Eis« und »Herz aus Feuer«.

Nachdem sie in verschiedenen Staaten wie England und Ägypten gelebt hat, wohnt Jude Deveraux derzeit in Florida, USA.

Mehr über die Autorin erfahren Sie auf ihrer Homepage https://judedeveraux.com/.

Jude Deveraux

Herz aus Feuer

Aus dem amerikanischen Englisch von Bodo Baumann

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1985 by Deveraux, Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Twin of Fire«

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 1987/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

unter Verwendung von Motiven © Alan Ayers

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-8106-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Philadelphia, PennsylvaniaApril, 1892

»Bravo!«, scholl es Blair Chandler aus elf Kehlen entgegen, als sie das Esszimmer im Haus ihres Onkels Henry betrat. Sie war eine hübsche junge Frau mit dunkelbraunem Haar, das im Licht rötlich schimmerte, weit auseinanderstehenden blaugrünen Augen, einer geraden, aristokratischen Nase und einem kleinen, vollkommen geformten Mund.

Blair blieb einen Moment unter der Tür stehen, unterdrückte ein paar Freudentränen und sah dann auf die Menschen, die ihr diesen überraschenden Empfang bereiteten. Da waren ihre Tante und ihr Onkel, und neben ihnen Alan, der sie mit liebevollen Augen betrachtete; und im Halbkreis dahinter ihre Studienkollegen – eine Frau und sieben Männer. Und als sie deren strahlende Gesichter bemerkte und den mit Geschenken überhäuften Tisch, schien sie sich kaum noch an die jahrelange Plackerei erinnern zu können, mit der sie sich ihre akademische Würde als Doktor der Medizin erkämpft hatte.

Tante Flo eilte mit der Anmut eines jungen Mädchens auf sie zu. »Nun bleib doch nicht so verdattert an der Tür stehen. Liebes! Alle sterben fast vor Neugierde, deine Geschenke zu sehen!«

»Dieses zuerst!«, rief Onkel Henry und hielt ihr ein großes Paket hin.

Blair glaubte zu wissen, was der Karton enthielt; aber sie wagte gar nicht darauf zu hoffen, als sie die Schnur löste und das Geschenk auswickelte. Und dann, als sie die Ledertasche mit den blitzend neuen medizinischen Instrumenten sah, musste sie sich erst einmal hinsetzen. Sprachlos vor Freude, konnte sie nur immer wieder mit dem Finger über die Messingplatte unter dem Henkel streichen, auf der ihr Name mit ihrem neuen Titel eingraviert war: »Dr. B. Chandler, M. D.«

Alan brach das Schweigen, als sie vor Rührung noch immer keine Worte fand: »Ist das die Frau, die unserem chirurgischen Präzeptor faule Eier in den Schrank legte? Ist das die Frau, die sich gegen den Verwaltungsrat aller städtischen Krankenhäuser in Philadelphia durchgesetzt hat?« Er beugte sich vor und flüsterte neben ihrem Ohr. »Ist das die Frau, die als Beste ihres Jahrgangs das Examen bestand – die erste Frau, die als Assistenzärztin an die St.-Joseph-Klinik berufen wird?«

Es dauerte eine Weile, ehe sie darauf reagieren konnte. »Ich?«, flüsterte sie und blickte dabei mit ungläubig geöffnetem Mund zu ihm hoch.

»Deine Bewerbung ist angenommen«, sagte Tante Flo und nickte ihrer Nichte lächelnd zu. »Du sollst im Juli dort anfangen. Sobald du von der Hochzeit deiner Schwester zurückgekommen bist.«

Blair sah von einem zum anderen. Zwar hatte sie sich sehr um diese Stellung bemüht und sogar einen Tutoren angestellt, der sie auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete; aber man hatte ihr zu verstehen gegeben, dass dieses städtische Krankenhaus im Gegensatz zu Frauenkliniken keine weiblichen Ärzte beschäftigen würde. Sie wandte sich ihrem Onkel Henry zu: »Das habe ich wohl dir zu verdanken, wie?«

Mit vor Stolz geschwellter breiter Brust gab Henry zurück: »Ich hatte nur gewettet, dass sie auf deine Bewerbung gern verzichten dürfen, wenn du nicht mit der höchsten bisher erreichten Note die Prüfung bestehst. Ich habe sogar noch hinzugefügt, dass du deinen Beruf gar nicht erst ausüben, sondern Hausfrau werden und Alan versorgen würdest, wenn du die Stellung nicht bekommst. Ich glaube, dass sie der Chance nicht widerstehen konnten, eine Frau, die Medizin studiert hat, wieder zur Vernunft zu bringen.«

Einen Moment lang war Blair ganz blass geworden. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass von dieser tückischen, drei Tage dauernden Prüfung so viel abhängen würde.

»Du hast es geschafft«, lachte Alan, »obwohl ich mir etwas komisch vorkomme in der Rolle des Trostpreises.« Er legte Blair die Hand auf die Schulter. »Meinen herzlichen Glückwunsch zu deinem Erfolg, mein Schatz. Ich weiß, wie viel dir diese Berufung bedeutet.«

Tante Flo gab ihr den Brief, der ihr bestätigte, dass sie tatsächlich als Assistenzärztin im St.-Joseph-Krankenhaus angenommen worden war. Blair drückte das Papier an ihre Brust und blickte die Leute an, die sie umgaben. Ich sehe jetzt mein ganzes Leben vor mir, dachte sie – und es wird ein schönes und erfülltes Leben sein. Ich werde eine Familie haben und gute Freunde. Ich darf in einem der besten Krankenhäuser der Vereinigten Staaten meine Ausbildung fortsetzen. Und ich habe Alan, den Mann, den ich liebe.

Sie rieb ihre Wange an Alans Hand, während sie die blanken neuen medizinischen Instrumente betrachtete. Sie würde sich ihren Jugendtraum, Fachärztin zu werden, erfüllen und diesen guten, liebenswerten Mann heiraten.

Ehe sie ihre neue Stellung antrat, musste sie noch nach Chandler in Colorado zurückkehren und mit ihrer Zwillingsschwester deren Hochzeit feiern. Nach so vielen Jahren der Trennung freute sie sich auf ein Wiedersehen mit ihr, um das gemeinsame Glück zu feiern, dass sie beide den Mann bekamen, den sie sich gewünscht hatten und ihr Leben sich so gestaltete, wie sie das erhofften.

Alan wollte sie in Chandler besuchen, damit sie ihn ihrer Mutter und ihrer Schwester vorstellen konnte. Dann würden sie dort ihre Verlobung offiziell bekanntgeben. Und sobald ihre und Alans praktische Ausbildung am Krankenhaus abgeschlossen war, wollten sie heiraten.

Blair lächelte zu ihren Freunden hinauf. Sie wollte ihr Glück mit allen teilen. Nur noch einen Monat – und alles, was sie sich erträumt und worum sie gekämpft hatte, ging in Erfüllung.

Kapitel 1

Chandler, ColoradoMai, 1892

Blair Chandler stand schweigend in dem prächtigen Salon des Chandlerhauses, umgeben von klobigen dunklen geschnitzten Möbeln mit Spitzenschonerdecken. Es spielte keine Rolle, dass ihre Mutter vor vielen Jahren zum zweiten Mal geheiratet und ihr neuer Ehemann, Duncan Gates, das Haus bezahlt hatte: Die Leute in der Stadt glaubten noch immer, dass es William Houston Chandler gehörte – dem Mann, der es entworfen hatte und bauen ließ, jedoch starb, ehe er die erste Zahlung leisten konnte.

Blair blickte hinunter auf den Boden, damit man nicht das zornige blaugrüne Feuer in ihren Augen aufblitzen sah. Sie war nun schon eine Woche im Haus ihres Stiefvaters und hatte nicht ein vernünftiges Wort mit diesem ungehobelten untersetzten Mann sprechen können. Er brüllte nur mit ihr.

Auf jeden unbeteiligten Zuschauer hätte sie in ihrer weißen Bluse und ihrem dunklen Cordrock, der hinter breiten Tuchfalten die schwellenden Formen ihrer Stundenglas-Figur versteckte, den Eindruck einer sittsamen jungen Frau gemacht. Und ihr Gesicht war von einer so heiteren, liebenswürdigen Schönheit, dass niemand dahinter ein hitziges Temperament vermutet hätte. Doch jeder, der Blair Chandler näher kannte, wusste, wie gut sie sich in einem Streitgespräch zu behaupten vermochte.

Und dafür lieferte Duncan Gates sogleich einen Anlass, weil er von der ersten Sekunde an kein Hehl daraus gemacht hatte, was er sich unter einer »richtigen« Lady vorstellte. Seine Idealvorstellungen von einer Lady schlossen keine jungen Damen ein, die einen medizinischen Beruf ergriffen hatten und sich besonders gut auf die Behandlung von Schusswunden verstanden. Ihm wollte nicht einleuchten, dass Blair ihr Nähtalent ebenso gut zum Flicken von durchlöcherten Gedärmen verwenden konnte wie zum Sticken von Schonerdeckchen.

Seit einer Woche schnauzte und nörgelte er nun schon an ihr herum, bis sie das nicht mehr länger ertragen konnte und anfing, ihm im gleichen Ton zu widersprechen. Nur leider kamen just in diesen Augenblicken immer entweder ihre Mutter oder ihre Schwester ins Zimmer und erstickten jede Diskussion im Keim. Blair hatte nicht lange zu der Einsicht gebraucht, dass Mr. Gates diesen Haushalt und die Frauen, die dazugehörten, mit eiserner Faust regierte. Er durfte sagen, was ihm gefiel; doch keiner Frau war es gestattet, ihre Meinung dazu zu äußern.

»Ich hoffe, dass du noch rechtzeitig zur Vernunft kommen und diesen medizinischen Unsinn aufgeben wirst«, schnauzte Gates sie in diesem Moment an. »Eine Lady gehört ins Haus. Zumal nur ihre weiblichen Funktionen darunter leiden, wenn sie ihren Verstand gebraucht, wie Dr. Clark inzwischen nachgewiesen hat.«

Blair seufzte schwer und warf kaum einen Blick auf das zerlesene Traktat, das Mr. Gates in die Höhe hob. Dr. Clarks Erkenntnisse waren in mehreren Hunderttausend Exemplaren unter das lesende Volk gekommen und hatten den Frauen, die sich bilden wollten, schwer geschadet.

»Dr. Clark hat gar nichts bewiesen«, sagte Blair müde. »Er schreibt, dass er eine einzige vierzehnjährige, flachbrüstige Oberschülerin untersucht habe, und glaubt, aus dem Ergebnis dieser Untersuchung ableiten zu können, dass bei allen Frauen, die studieren, die Fähigkeit, sich fortzupflanzen, verkümmert. Ich kann seine Behauptung nicht für beweisträchtig halten.«

Mr. Gates lief dunkelrot an. »Solche Frechheiten lass ich mir nicht bieten! Nur weil du dich Doktor nennen darfst, hast du noch lange kein Recht dazu, dich ungezogen zu benehmen. Nicht in meinem Haus!«

Dieser Mann überschritt für Blairs Geschmack wieder einmal die Grenze des Zumutbaren. »Seit wann ist das dein Haus?«, brauste sie auf. »Mein Vater hat ...«

In diesem Augenblick trat Blairs Schwester Houston ins Zimmer, stellte sich zwischen sie und warf Blair einen flehenden Blick zu. »Ich glaube, das Abendessen kann jeden Moment serviert werden. Wollen wir nicht schon hinübergehen?«, sagte sie mit ihrer kühlen, reservierten Stimme, die Blair inzwischen genauso auf den Geist ging wie Mr. Gates’ Pöbeleien.

Blair nahm ihren Platz an dem großen Mahagonitisch ein, gab auf die im gereizten Ton vorgetragenen Fragen von Mr. Gates einsilbige Antworten und beschäftigte sich in Gedanken mit ihrer Schwester.

Blair hatte sich auf ihre Rückkehr nach Chandler gefreut, auf ein Wiedersehen mit der Mutter, der Schwester und den Spielgefährten ihrer Kinderzeit. Seit ihrem letzten Besuch zu Hause waren fünf Jahre vergangen. Damals war sie siebzehn gewesen und voller Enthusiasmus, da sie nach ihrem Abstecher nach Chandler mit ihrem medizinischen Studium beginnen sollte. Vielleicht war sie damals zu sehr in ihren eigenen Gedanken versponnen gewesen, um die Atmosphäre wahrzunehmen, in der Mutter und Schwester lebten.

Doch diesmal spürte sie schon den Druck, als sie gerade erst aus dem Zug gestiegen war. Houston hatte sie vom Bahnhof abgeholt, und Blair war überzeugt, in ihrem Leben noch keinem vollkommeneren Beispiel einer harten, frigiden, unbeugsamen Frau begegnet zu sein. Sie glich einem aus Eis geformten weiblichen Schönheitsideal.

Es gab weder eine überschwängliche Begrüßung auf dem Bahnhof noch einen Austausch von Vertraulichkeiten in der Kutsche auf dem Weg zur Villa Chandler. Blair versuchte mit Houston ins Gespräch zu kommen; empfing aber nur einen kühlen, geistesabwesenden Blick. Selbst der Name von Leander, Houstons Verlobten, ließ keine Herzlichkeit zwischen ihnen aufkommen.

Die Hälfte des Wegs saßen sie sich stumm gegenüber, Blair mit ihrer neuen Arzttasche auf dem Schoß, an die sie sich klammerte, als wollte man sie ihr entreißen. Sie blickte durch das Wagenfenster, während sie durch die Innenstadt fuhren.

In den fünf Jahren seit ihrem letzten Besuch hatte sich Chandler gewaltig verändert. Sie hatte das Gefühl, als wäre hier noch alles im Aufbruch und Wachsen begriffen; während die Städte an der Ostküste schon geprägt waren von einem gewaltigen Traditionsbewusstsein.

Die Häuser mir ihren falschen Fassaden – der viktorianischen Architektur des Westens, wie jemand diesen Baustil einmal genannt hatte – waren neu oder noch im Bau. Chandler war nichts als ein hübsches Stück Land gewesen mit reichen Kohlevorkommen dicht unter der Erdoberfläche, als William Chandler hierherkam. Damals hatte es keine Eisenbahn gegeben, kein Stadtzentrum, keinen Namen für die paar Handelsposten, bei denen eine Handvoll Viehzüchter, die sich in der Umgebung niedergelassen hatten, ihre Waren bezogen. Bill Chandler sollte diesen Zustand bald gründlich ändern.

Als sie in die Auffahrt des Chandlerhauses einbogen – oder der Villa Chandler, wie die Leute hier das Haus zu bezeichnen pflegten –, sah Blair mit einem vergnügten Lächeln an der Fassade des dreistöckigen Gebäudes empor. Der Garten, den ihre Mutter angelegt hatte, prangte im üppigen Grün, und sie konnte die blühenden Rosen riechen. Eine Treppe führte nun vom Gehsteig zum Haus hinauf, da der Hügel teilweise eingeebnet worden war, der neuen Pferdebahn wegen; doch sonst hatte sich hier kaum etwas verändert. Sie trat unter das Vordach der breiten Veranda, die sich um das ganze Haus herumzog, und durch eine der beiden Vordertüren.

Blair weilte keine zehn Minuten unter dem Dach dieses Hauses, und sie hatte die Ursache für Houstons verändertes Wesen entdeckt.

In der Halle stand ein Mann von einer Kompaktheit, um die ihn wohl auch ein selbstbewusster Felsblock beneiden musste – und der Blick, mit der er ihr entgegensah, deckte sich mit seiner Erscheinung.

Blair war zwölf gewesen, als sie zu ihrem Onkel und ihrer Tante nach Pennsylvania zog, um sich auf ein medizinisches Studium vorzubereiten. Und mit den Jahren hatte sie offenbar vergessen, was für ein Tyrann ihr Stiefvater war. Schon bei der Begrüßung, als sie ihm mit einem freundlichen Lächeln die Hand reichte, gab er ihr zu verstehen, was für eine schlimme Frau sie sei und dass er ihr nicht erlauben würde, ihre Hexenküche in seinem Haus einzurichten.

Blair hatte ihre Mutter verwirrt und entgeistert angeblickt. Opal Gates war magerer, und ihre Bewegungen langsamer, als Blair sie in Erinnerung hatte, und ehe Blair noch etwas zu Mr. Gates’ Bemerkung erwidern konnte, trat Opal auf sie zu, umarmte kurz ihre Tochter und führte sie dann in das obere Stockwerk hinauf.

Drei Tage lang sagte Blair kaum ein Wort. Sie beschränkte sich auf die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers. Und was sie sah, erschreckte sie zutiefst.

Die Schwester, an die sie sich erinnerte – dieses lachende, lebensfrohe Wesen, das mit ihr gespielt, zuweilen mutwillig mit ihr den Platz getauscht und so manchen Streich mit ihr ausgeheckt hatte, war verschwunden oder so tief begraben, dass keiner sie wiederfinden konnte.

Diese Houston, die immer neue Spiele erfand; diese Houston, die immer so kreativ gewesen war; Houston, die Schauspielerin: Sie war nun durch eine eiserne junge Lady ersetzt worden, die mehr Kleider besaß als alle anderen jungen Damen von Chandler zusammen. Es schien, als beschränkte sich Houstons Kreativität nun darauf, sich jede Woche ein schönes neues Kleid auszusuchen.

Am zweiten Tag ihres Aufenthalts in Chandler erfuhr Blair etwas von einer Freundin, was ihr Hoffnung gab, dass ihre Schwester nicht nur den Sinn ihres Lebens in Oberflächlichkeiten suchte. Jeden Mittwoch verwandelte sich Houston in eine dicke alte Frau und fuhr mit einem Gespann von vier Pferden in die Bergwerkslager in der Umgebung der Stadt, um dort Nahrungsmittel zu verteilen. Dieses Unternehmen war nicht ungefährlich, da diese Lager bewacht wurden, um das Einsickern von gewerkschaftlichen Ideen zu verhindern. Hätte man Houston dabei ertappt, wie sie illegale Waren an die Frauen der Bergarbeiter verteilte – Waren, die nicht aus den Läden der Bergwerksgesellschaft stammten –, hätte man sie dafür vor Gericht stellen können, wenn sie nicht schon vorher von der Bergwerkswache erschossen wurde.

Doch am dritten Tag sank Blairs Hoffnung wieder auf den Nullpunkt; denn an diesem Tag kam es zu einem Wiedersehen mit Leander Westfield.

Als die Westfields nach Chandler zogen, waren die Zwillingsschwestern sechs Jahre alt gewesen; und Blair hatte mit einem gebrochenen Arm in ihrem Zimmer gesessen, als der zwölfjährige Leander mit seiner fünfjährigen Schwester der Familie seine Aufwartung machte. Doch Blair hatte hinterher dann alles von Houston erfahren. Den Befehl ihrer Mutter missachtend, war sie in Blairs Zimmer geschlüpft, um ihr mitzuteilen, dass sie soeben den Mann kennengelernt hatte, den sie zu heiraten gedenke.

Blair Chandler hatte ihr mit großen runden Augen zugehört. Houston hatte schon immer gewusst, was sie wollte, und sich geäußert wie eine Erwachsene.

»Er ist genau die Sorte Mann, die ich mag. Er ist ruhig, intelligent, sehr hübsch und möchte Arzt werden. Ich werde inzwischen herausfinden, was die Frau eines Arztes wissen muss.«

Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Blair die Augen in diesem Moment noch weiter aufgerissen. »Hat er dich gefragt, ob du ihn heiraten möchtest?«, hatte sie geflüstert.

»Nein«, hatte Houston geantwortet und sich die immer noch tadellos weißen Handschuhe abgestreift – wenn Blair solche Dinger trug, waren sie spätestens nach einer halben Stunde kohlschwarz. »So junge Männer wie Leander denken noch nicht ans Heiraten; aber wir Frauen müssen das frühzeitig tun. Ich habe mich bereits entschlossen. Ich werde Leander Westfield heiraten, sobald er mit seiner medizinischen Ausbildung fertig ist. Wozu du natürlich erst deine Zustimmung geben musst. Ich könnte keinen Mann heiraten, den du nicht magst.«

Blair hatte sich geehrt gefühlt, dass Houston ihr so eine große Vollmacht erteilte, und ihre Verantwortung ernst genommen. Sie war ein wenig enttäuscht gewesen, als sie Leander kennenlernte und entdeckte, dass er gar kein Mann war, sondern nur ein hoch aufgeschossener schlanker, gut aussehender Knabe, der selten etwas sagte. Blair hatte immer solche Knaben gemocht, die mit ihr über Wiesen rannten, Steine schmissen und ihr beibrachten, wie man auf zwei Fingern pfeift. Nach ein paar unbefriedigenden Zusammenkünften mit Leander war ihr allmählich klargeworden, was den Leuten so gut an Lee gefiel – nachdem Jimmy Summers von einem Baum gestürzt und sich den Fuß gebrochen hatte. Keiner der anderen Jungen hatte gewusst, was in so einem Fall zu tun war; sie hatten nur zugesehen, wie Jimmy vor Schmerzen weinte. Doch dann hatte Lee das Kommando übernommen und einen Jungen zum Arzt und einen anderen zu Mrs. Summers geschickt. Da war Blair ziemlich beeindruckt gewesen, und als sie sich zu Houston umdrehte, hatte ihre Schwester nur genickt, als wollte sie ihre Absicht, Mrs. Leander Westfield zu werden, noch einmal unterstreichen.

Blair war bereit, Leander ein paar gute Eigenschaften zuzugestehen; doch gemocht hatte sie ihn eigentlich nie. Er war zu selbstsicher, zu sehr von sich eingenommen ... zu perfekt. Natürlich hatte sie Houston nie gesagt, was sie wirklich von ihm dachte. Und sie hatte gehofft, dass er sich vielleicht noch ändern und mit den Jahren menschlicher werden würde. Aber auch diese Hoffnung wurde enttäuscht.

Vor ein paar Tagen hatte Lee Houston zu einem Teekränzchen abgeholt; und da Opal in die Stadt gegangen und Mr. Gates in seiner Brauerei war, hatte Blair Gelegenheit gehabt, sich mit ihm zu unterhalten, während Houston sich umzog – es dauerte eine Ewigkeit, bis man sie in diese Kreationen aus Seide und Spitzen eingeschnürt hatte, die sie immer trug.

Blair glaubte, weil sie beide Ärzte waren, gäbe es doch genügend Ansatzpunkte für ein Gespräch und eine Basis für ein besseres Verhältnis als früher.

»Ich werde im nächsten Monat als Assistenzärztin im St.-Josephs-Hospital in Philadelphia anfangen«, begann sie, nachdem sie im vorderen Salon Platz genommen hatten. »Es soll ein hervorragendes Krankenhaus sein.«

Leander sah sie nur mit diesem durchbohrenden Blick an, den er schon als Knabe gehabt hatte. Es war unmöglich, zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging.

»Ich frage mich, ob es möglich wäre, dich auf deinen Visiten im Krankenhaus in Chandler zu begleiten«, fuhr sie fort. »Vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben, die mir bei meiner praktischen Ausbildung zugutekämen.«

Lee brauchte eine unmöglich lange Zeit, ehe er antwortete: »Ich glaube nicht, dass das ratsam wäre.«

»Ich dachte, dass zwischen zwei Ärzten ...«

»Ich bin mir nicht sicher, ob der Verwaltungsrat des Krankenhauses eine Frau als vollwertige Medizinerin anerkennen würde. Ich könnte dich vielleicht in das Frauenhospital mitnehmen.«

Auf der medizinischen Hochschule hatte man sie gewarnt, dass sie immer auf solche Antworten gefasst sein müsse. »Es mag dich überraschen zu hören, dass ich mich als Fachärztin für Chirurgie ausbilden lasse und mich da auf Unterleibskrankheiten spezialisiere. Nicht alle weiblichen Ärzte wollen bessere Hebammen werden.«

Leander zog eine Augenbraue in die Höhe und betrachtete sie auf eine geradezu unverschämte Weise von Kopf bis Fuß, sodass Blair sich fragte, ob alle Männer in Chandler glaubten, Frauen wären Idioten, die man am besten zu Hause einsperrte.

Dennoch wollte sie nicht so weit gehen, den Stab über ihn zu brechen. Schließlich waren sie inzwischen erwachsen und sollten die Animositäten ihrer Kinderzeit vergessen. Wenn er der Mann war, den Houston zum Gatten nehmen wollte, sollte sie ihn haben – sie, Blair, musste ja nicht mit ihm leben.

Doch ein paar Tage später, nachdem sie einige Zeit mit ihrer Schwester verbracht hatte, kamen ihr Zweifel, ob es wirklich eine so gute Idee war, dass aus den beiden Eheleute wurden; denn wenn Houston sich überhaupt noch steifer benehmen konnte, dann in Lees Gegenwart. Sie sprachen selten ein Wort miteinander. Und dass sie gar die Köpfe zusammensteckten und kicherten, wie das verlobte Paare häufig zu tun lieben, erlebte sie bei den beiden überhaupt nicht. Sie und Alan führten sich jedenfalls ganz anders auf, dachte Blair.

Und heute Abend, während sie am Esszimmertisch saßen, schienen die Dinge sich zuzuspitzen. Blair hatte die ständigen Nörgeleien ihres Stiefvaters satt und mochte nicht länger schweigend hinnehmen, dass ihre Schwester in dieser tyrannischen Atmosphäre seelisch verkümmerte. Als Gates schon wieder etwas an ihr auszusetzen hatte, explodierte sie und sagte ihm, es genüge, dass er Houstons Leben ruiniert habe – sie ließe sich das nicht von ihm gefallen.

Blair bedauerte auf der Stelle ihre Worte und wollte sich dafür entschuldigen, als just in diesem Moment Seine königliche Hoheit, Leander Westfield, durch die Tür kam und jeder zu ihm aufblickte, als wäre ein Halbgott ins Esszimmer getreten. Blair sah im Geist, wie Houston diesem kalten, gefühllosen Mann das Opfer ihrer Unschuld brachte. Und als Leander Houston nun noch in einem Ton, als gehörte sie ihm bereits, seine Braut nannte, hielt es Blair nicht länger am Tisch aus, und sie flüchtete mit nassen Augen aus dem Zimmer.

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geweint hatte, als ihre Mutter zu ihr kam, sie in die Arme nahm und wiegte wie ein kleines Kind.

»Sag mir, was dich bedrückt«, flüsterte Opal und strich ihrer Tochter über das Haar. »Plagt dich das Heimweh so sehr? Ich weiß, dass Mr. Gates dir den Aufenthalt nicht besonders angenehm macht; aber er meint es gut. Er möchte, dass du ein Heim hast und Kinder bekommst, und er fürchtet, dass dich kein Mann haben will, wenn du erst mal als Ärztin tätig bist. Du brauchst nicht länger bei uns zu bleiben, wenn du lieber wieder zu Henry und Flo zurückkehren und mit deiner Arbeit im Hospital anfangen möchtest.«

Die Worte ihrer Mutter lösten eine frische Flut von Tränen aus. »Es geht ja gar nicht um mich«, schluchzte sie. »Ich kann dieses Haus jederzeit verlassen; aber Houston nicht. Sie ist in einer so elenden Verfassung, und das ist ganz allein meine Schuld. Ich ging fort und überließ sie diesem schrecklichen Mann. Und nun ist sie so furchtbar unglücklich.«

»Blair«, sagte Opal mit fester Stimme, »Mr. Gates ist mein Gatte, und was er auch sonst noch sein mag – ich respektiere ihn und kann nicht zulassen, dass du so über ihn redest.«

Blair hob ihre feuchten Augen zu ihrer Mutter empor. »Ich meine doch nicht ihn. Ich meine diesen Leander, dem Houston hier in Chandler ausgeliefert ist.«

»Lee?«, fragte Opal ungläubig. »Aber Leander ist doch ein ganz reizender Junge! Weißt du, dass jede junge Dame in Chandler ihr Leben dafür hingegeben hätte, dass sie nur einmal mit ihm tanzen durfte? Und nun bekommt Houston ihn sogar als Ehemann. Du kannst doch nicht im Ernst darüber besorgt sein, dass Houston Lee heiratet, oder?«

Blair löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter. »Ich bin stets die Einzige in der Familie gewesen, die ihn so sah, wie er wirklich ist! Hast du schon einmal Houston beobachtet, wenn sie mit ihm zusammen ist? Sie erstarrt zu Eis! Sie sitzt da, als habe sie Angst vor der Welt und ganz besonders vor ihm. Houston hat früher immer so gern gelacht und sich vergnügt; doch jetzt lächelt sie nicht einmal mehr. Oh, Mutter, in diesem Augenblick wünschte ich mir, dass ich nie von zu Hause weggegangen wäre! Denn wäre ich hiergeblieben, hätte ich Houston davon abhalten können, diesem Mann ihr Jawort zu geben.« Und Blair lief wieder zu ihrer Mutter und vergrub ihr Gesicht in deren Schoß.

Opal lächelte, gerührt von der liebevollen Sorge, auf ihre Tochter hinunter. »Nein, du hättest nicht hierbleiben dürfen«, sagte sie weich. »Sonst wärst du geworden wie Houston, die glaubt, es gäbe nur eine sinnvolle Aufgabe im Leben einer Frau, nämlich ihrem Mann ein Heim zu schaffen. Dann wäre der Welt eine tüchtige Ärztin verloren gegangen. Schau mich an.« Sie hob Blairs Gesicht an.

»Wir können doch gar nicht wissen, wie Houston und Lee zueinander sind, wenn keiner sie beobachtet. Niemand weiß, wie es im Privatleben des anderen wirklich aussieht. Ich kann mir vorstellen, dass auch du ein paar Geheimnisse hast.«

Sogleich musste Blair an Alan denken, und ihre Wangen färbten sich rot. Doch das war nicht der richtige Moment, von Alan zu sprechen. In ein paar Tagen würde er hierherkommen, und dann hatte sie vielleicht jemanden, der ihre Meinung teilte.

»Aber ich sehe doch ihr Verhalten«, blieb Blair hartnäckig. »Sie reden nie, berühren sich nie. Und nicht einmal habe ich beobachtet, dass einer dem anderen einen liebevollen Blick zugeworfen hätte.« Blair stand auf. »Und wenn ich ehrlich bin, habe ich diesen aufgeblasenen, aufrechten und der Stadt zur Zierde gereichenden Bürger Mr. Leander Westfield noch nie ausstehen können. Er ist einer von diesen verwöhnten Söhnen aus reicher Familie, die alles auf dem Silbertablett serviert bekommen. Er kennt Enttäuschung, Entbehrung und Anstrengung nur dem Wort nach, und von dem Wörtchen ›Nein‹ hat er noch nie etwas gehört. Während meines Studiums hat die uns benachbarte medizinische Hochschule für Männer den fünf besten Studentinnen meines Colleges gestattet, ein paar ihrer Kurse zu besuchen. Die Männer waren sehr höflich zu uns, bis wir Frauen anfingen, in den Prüfungen besser abzuschneiden als sie – worauf wir aufgefordert wurden, noch vor Ende des Semesters diese Kurse wieder aufzugeben. Leander erinnert mich an all diese aufgeblasenen jungen Typen, die nicht vertragen konnten, dass wir ihnen Konkurrenz machten.«

»Aber, Liebes, hältst du das wirklich für fair? Nur weil Leander dich an andere erinnert, muss er doch nicht genauso sein wie sie!«

»Ich habe ein paarmal versucht, mit ihm über Medizin zu sprechen; und statt den Mund aufzumachen, starrte er mich nur an. Was passiert, wenn Houston nicht nur seine Strümpfe stopfen, sondern auch noch etwas aus ihrem Leben machen möchte? Er wird noch grausamer über sie herfallen, als Gates das jemals mit mir gemacht hat, und das nicht nur ein, zwei Wochen lang. Und Houston wird sich seiner Tyrannei nicht entziehen können.«

Opal setzte nun ebenfalls ein ernstes Gesicht auf. »Hast du mit Houston darüber geredet? Ich bin sicher, sie kann dir erklären, warum sie Leander liebt. Vielleicht sind sie ganz anders, wenn sie unter sich sind. Ich glaube nämlich, dass sie ihn liebt. Und egal was du sagst – Leander ist ein guter Mann.«

»Das gilt auch für Duncan Gates«, sagte Blair zu sich selbst. Doch inzwischen hatte sie gelernt, dass »gute« Männer die Seele einer Frau abtöten können.

Kapitel 2

Blair bemühte sich sehr, mit Houston zu reden und sie zur Einsicht zu bringen; doch Houston hörte ihr nur mit verschlossener Miene zu und erklärte ihr dann, dass sie Leander liebe. Blair hätte am liebsten losgeheult, so enttäuscht war sie; aber als sie ihrer Schwester wieder ins Erdgeschoss hinunter folgte, begann sich ein Plan in ihrem Kopf zu formen. Sie wollten heute in die Stadt fahren – Blair, um eine medizinische Zeitung abzuholen, die Alan an die Redaktion der ›Chandler Chronicle‹ geschickt hatte mit dem Vermerk, sie dort für sie aufzubewahren; und Houston, um in der Stadt einzukaufen. Und Lee wollte sie beide mit der Kutsche in die Stadt bringen.

Bisher war sie immer höflich zu Leander gewesen – aber was passierte, wenn sie ihn zwang, sein wahres Gesicht zu zeigen? Was passierte, wenn er sich als der unbewegliche, starrköpfige Tyrann entpuppte, der er ihrer Meinung nach war?

Wenn sie beweisen konnte, dass Lee genauso engstirnig und unduldsam war wie Duncan Gates, mochte Houston vielleicht noch einmal ihren Entschluss überdenken, ihr Leben mit diesem Mann zu teilen.

Natürlich konnte sie sich auch in Lee getäuscht haben. Und wenn das der Fall war – wenn Lee ein so aufgeschlossener und rücksichtsvoller Mann war wie Alan –, dann würde sie bei Houstons Hochzeit am lautesten singen.

Als sie ins Erdgeschoss kamen, wurden sie dort bereits von Leander erwartet.

Stumm folgte sie den beiden, die sich weder ansahen noch bei den Händen fassten, zur Kutsche. Houston ging langsam, weil ihr Korsett vermutlich so eng geschnürt war, dass sie kaum Luft bekam. Sie erlaubte Lee, ihr in seine alte schwarze Kalesche zu helfen.

»Glaubst du, dass eine Frau noch mehr sein kann als Gattin und Mutter?«, fragte Blair, als Lee sie in seine Kutsche heben wollte. Sie beobachtete dabei ihre Schwester aus den Augenwinkeln, damit ihr nicht entgehen sollte, wie sie auf Leanders Antwort reagierte.

»Magst du keine Kinder?«, fragte er überrascht.

»Ich mag Kinder sehr«, gab sie rasch zur Antwort.

»Dann magst du vermutlich keine Männer.«

»Natürlich mag ich Männer – einige jedenfalls. Das ist aber keine Antwort auf meine Frage. Glaubst du, dass eine Frau mehr sein kann als nur Gattin und Mutter?«

»Das hängt meiner Ansicht nach von der Frau ab. Meine Schwester kann zum Beispiel ein Damaszenerpflaumen-Dessert zubereiten, dass dir noch hinterher das Wasser im Mund zusammenläuft«, sagte er augenzwinkernd, fasste sie um die Taille und hob sie mit so viel Schwung auf die Sitzbank hinauf, dass man das schon eher ein Werfen nennen konnte.

Blair musste erst ihren Ärger hinunterschlucken, ehe sie ihre Sprache wiederfand. Seine Antwort war ein Beweis, dass er sie nicht ernst nehmen wollte. Wenngleich, wie sie widerstrebend einräumte, er nicht ganz so humorlos war, wie sie zunächst geglaubt hatte.

Sie fuhren durch die Innenstadt von Chandler, und Blair versuchte, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Die Türen des alten, aus Feldsteinen errichteten Opernhauses waren frisch gestrichen, und sie kamen an mindestens drei Hotels vorbei, die bei ihrem letzten Besuch bestimmt noch nicht dagewesen waren.

Auf den Straßen wimmelte es von Menschen und Fuhrwerken: Cowboys, die eben erst mit ihren Rinderherden in der Stadt eingetroffen sein mussten; gut gekleidete Männer von der Ostküste, die sich offenbar von der aufstrebenden Stadt einen Profit versprachen; ein paar Arbeiter aus den Kohlenminen und alteingesessene Bürger, die den Zwillingen und Leander zuwinkten und -nickten. Rufe wie »Willkommen daheim, Blair-Houston« begleiteten sie auf ihrem Weg durch die Stadt.

Blair warf einen Blick auf ihre Schwester und bemerkte, dass diese nach Westen blickte, wo ein monumentales Bauwerk die Silhouette der Stadt beherrschte, wie man es sich monströser kaum vorstellen konnte. Es war ein riesiges weißes Haus, das auf einem hohen Hügel aufragte, dessen Kuppe ein gewisser Mr. Kane Taggert hatte einebnen lassen, um Platz für seine protzige Villa zu schaffen.

Blair wusste, dass sie dieses Haus nicht unvoreingenommen betrachten konnte, weil seine Entstehung jahrelang die Korrespondenz ihrer Mutter und Schwester beherrscht hatte. Keine Geburt, kein Todesfall, keine Heirat und kein Unfall – nichts, was sich in Chandler ereignet hatte, war wichtig gewesen, wenn es nicht in irgendeiner Beziehung zu diesem Haus gestanden hatte.

Und als das Haus endlich fertig war und der Eigentümer niemanden einlud, seine Wohnung auch von innen zu betrachten, war die Verzweiflung darüber in den Briefen, die Blair von zu Hause erhielt, so herzzerreißend, dass es fast komisch war.

»Reißen sich die Leute noch immer danach, das Haus von innen zu besichtigen?«, fragte Blair, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Wenn Leander sie nicht ernst nahm und ihren Fragen auswich – wie wollte sie dann Houston die Augen öffnen und zeigen, was für ein Mensch sich hinter der hübschen Fassade ihres Verlobten versteckte?

Houston beantwortete unterdessen ihre Frage auf eine seltsam verklärte Weise, als wäre das weiße Haus auf dem Hügel ein Märchenschloss, wo alle ihre Träume in Erfüllung gingen.

»Ich bin mir nicht so sicher, dass die Gerüchte, die die Leute über ihn ausstreuen, nur erfunden sind«, sagte Leander, als Houston Taggerts Namen erwähnte. »Jacob Fenton ist der Ansicht ...«

»Fenton!«, explodierte Blair. »Fenton ist ein korrupter Ausbeuter; ein Mann, der über Leichen geht, um seinen Willen durchzusetzen.« Fast alle Kohlenbergwerke in der Umgebung von Chandler gehörten Fenton, und er sperrte seine Bergarbeiter in Lager ein, als wären sie seine Sklaven.

»Ich bin nicht der Meinung, dass du Fenton dafür allein die Schuld geben kannst«, sagte Lee. »Er hat Aktionäre, die er abfinden, Verträge, die er erfüllen muss. Da reden auch noch andere Leute mit.«

Blair wollte ihren Ohren nicht trauen und blickte ihre Schwester verstohlen von der Seite an. Leander hatte die Kutsche angehalten, um eine Pferdebahn vorbeizulassen, und Blair stellte befriedigt fest, dass Houston ihnen zuhörte. Leander verteidigte die Schlotbarone, und Blair wusste, wie sehr Houston das Wohl der Bergarbeiter am Herzen lag.

»Du hast nie in einer Kohlengrube arbeiten müssen«, sagte Blair. »Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, jeden Tag um das nackte Überleben kämpfen zu müssen.«

»Aber du scheinst das zu wissen, wie?«

»Mehr als du«, fauchte sie. »Du hast ja in Harvard Medizin studieren dürfen. Harvard lässt keine Frau zum Studium zu!«

»Jetzt kommt sie wieder mit dieser Leier«, sagte er seufzend. »Wirfst du das jedem Mediziner vor? Oder bin ich der einzige männliche Kollege, der dafür Schelte bekommt?«

»Du bist der Einzige, der die Absicht hat, meine Schwester zu heiraten.«

Er drehte sich um und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich habe gar nicht gewusst, dass du eifersüchtig bist, Blair! Aber beruhige dich – du wirst eines Tages auch noch den passenden Mann finden.«

Blair ballte die Hände an ihrer Seite zu Fäusten, blickte geradeaus und versuchte sich daran zu erinnern, warum sie mit diesem aufgeblasenen, so schrecklich von sich eingenommenen Mann überhaupt ein Gespräch angefangen hatte. Hoffentlich wusste Houston das Opfer zu schätzen, das sie ihretwegen brachte!

Blair holte tief Luft: »Was hältst du denn von weiblichen Ärzten?«

»Ich mag Frauen.«

»Aha! Du magst Frauen, solange sie dir nicht in der Klinik in die Quere kommen!«

»Ich glaube, das hast du gesagt, nicht ich.«

»Du hast gesagt, ich wäre kein ›richtiger‹ Arzt und könnte deshalb nicht mit dir zusammen Visite in der Klinik machen.«

»Ich habe nur gesagt, dass der Verwaltungsrat der Klinik dir wahrscheinlich nicht erlauben wird, mit mir zusammen Visiten im Krankenhaus zu machen. Besorge dir von ihm eine Genehmigung, und ich zeige dir jeden verdammten Verband, den ich meinen Patienten abnehme oder anlege.«

»Sitzt dein Vater nicht im Verwaltungsrat?«

»Ich habe heute nicht mehr Einfluss auf ihn als früher als Fünfjähriger – vielleicht sogar noch weniger.«

»Ich bin sicher, er denkt genauso wie du – dass Frauen nichts zu suchen haben im ärztlichen Beruf.«

»Soweit ich mich erinnern kann, habe ich mich nicht dazu geäußert, was ich von Frauen halte, die in meinem Beruf tätig sind.«

Blair hatte das Gefühl, dass sie jeden Moment losschreien müsste. »Du redest im Kreis herum. Ich frage dich noch einmal: Was hältst du von Frauen, die dir als Ärztinnen Konkurrenz machen?«

»Ich glaube, das hängt allein von meinen Patienten ab. Wenn ich einen Kranken im Hospital habe, der zu mir sagt, er würde lieber sterben, als sich von einer Ärztin behandeln zu lassen, würde ich eine Ärztin nicht an diesen Patienten heranlassen. Aber wenn ich einem Patienten begegne, der mich anfleht, dass ich ihm eine Ärztin besorgen soll, würde ich vermutlich alles tun, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen.«

Darauf wusste Blair nun nichts mehr zu sagen. Bis jetzt war es Leander gelungen, ihr jedes Wort im Mund herumzudrehen.

»Das ist Houstons Traumhaus«, sagte Leander, offenbar bemüht, das Thema zu wechseln, als die Pferdebahn vorbeigezogen war. »Wenn Houston mich nicht hätte, würde sie sich wahrscheinlich in die Schlange der Frauen einreihen, die sich um Taggert und das Haus dort oben prügeln.«

»Ich gebe zu, dass ich mir sein Haus gern von innen ansehen würde«, sagte Houston verträumt und bat Lee, sie vor Wilsons Kaufhaus abzusetzen.

Nachdem Houston sich von ihnen getrennt hatte, sah Blair keine Veranlassung mehr, ihr Gespräch mit Leander fortzusetzen. Zwar hätte sie ihn gern noch über die Klinik ausgefragt; aber sie hatte genug von seinen kleinen geistreichen Bemerkungen.

Sie ließ sich vor dem Verlagshaus des ›Chandler Chronicle‹ absetzen und blieb noch eine Weile auf dem Bürgersteig stehen, um mit Leuten zu plaudern, die sie schon seit ihrer Kindheit kannten und sie mit ›Blair-Houston‹ anredeten, weil sie die Zwillingsschwestern nicht auseinanderzuhalten vermochten. Sie musste sich erst wieder an diesen Doppelnamen gewöhnen, den sie seit sieben Jahren nicht mehr gehört hatte, und fragte sich, wie Houston sich wohl dabei vorkam, wenn man sie nie als ein selbstständiges Wesen, sondern immer nur als ›halbe‹ Person anredete.

Sie holte sich ihr medizinisches Journal am Anzeigenschalter ab und ging dann den Bohlensteg der Third Street zu Farrells Haushaltswarengeschäft hinunter, wo sie sich wieder mit Houston und Leander treffen sollte.

Lee wartete dort allein, gegen das Geländer gelehnt, neben sich das große weiße Pferd mit den braunen Flecken, das seine Kutsche zog. Von Houston war weit und breit nichts zu sehen, und Blair überlegte gerade, ob sie nicht im Schuhgeschäft auf der anderen Straßenseite auf ihre Schwester warten sollte, als Lee ihrer ansichtig wurde und brüllte, dass es die ganze Stadt hören musste: »Ziehst du jetzt den Schwanz ein und flüchtest?«

Blair drückte das Kreuz durch, überquerte die staubige Straße und trat zu ihm.

Er grinste sie so unverschämt an, dass sie sich wünschte, sie wäre ein Mann und könnte ihn zum Duell herausfordern.

»Ich glaube nicht, dass sich das, was du gerade denkst, für eine feine Dame schickt. Was würde wohl Mr. Gates dazu sagen?«

»Nichts, was er mir vermutlich nicht schon längst gesagt hat.«

Lees Miene veränderte sich sofort. »Houston hat mir erzählt, dass er dich ziemlich grob behandelt«, sagte er ernst. »Wenn ich dir da in irgendeiner Weise behilflich sein kann, brauchst du mir das nur zu sagen.«

Einen Moment blickte Blair ihn verwirrt an. Sie war überzeugt gewesen, dass er sie verachtete, und nun bot er ihr seine Kavaliersdienste an. Ehe sie etwas sagen konnte, kam Houston mit einem roten Kopf und einem sehr nachdenklichen Gesicht auf die beiden zu.

»Was für ein Glück für deine Schwester, dass du gerade noch rechtzeitig gekommen bist, um sie vor einem Schicksal zu bewahren, das für sie schlimmer gewesen wäre als der Tod. Sie hätte mir nämlich etwas Angenehmes sagen müssen.«

»Pardon«, murmelte Houston, »was sagtest du eben?«

Lee nahm sie beim Ellenbogen und führte sie zur Kutsche: »Ich sagte gerade, dass du jetzt lieber wieder nach Hause fahren und dich auf den Empfang beim Gouverneur vorbereiten solltest.«

Er hob Houston in die Kutsche und reichte dann Blair die Hand, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein.

Blair blickte ihre Schwester an. Sie musste unbedingt noch einmal den Versuch machen, Houston den wahren Charakter ihres Verlobten zu zeigen.

»Ich habe den Eindruck«, sagte sie laut, »dass auch du zu den Anhängern von Dr. Clarks Theorien gehörst, der behauptet, dass Frauen ihren Verstand nur sparsam gebrauchen sollen, weil das Denken ihrer Gesundheit schadet.«

Leander, die rechte Hand an ihrer Hüfte, stutzte, blickte sie dann von Kopf bis Fuß an, lächelte und sagte: »Ich denke, da kannst du ganz unbesorgt sein, Blair. Soviel ich sehe, hast du an den richtigen Stellen genügend Verstand.«

Blair saß wie versteinert in der Kutsche, hörte Leander leise lachen und dachte, dass keine andere Frau sich ihrer Schwester zuliebe so viel bieten lassen würde wie sie.

Als sie aus der Stadt fuhren, kamen zwei große, kräftige Männer in einer Kalesche an ihnen vorbei, die so schäbig aussah, dass sich kein Farmer, der etwas auf sich hielt, in so einem Vehikel in die Stadt getraut hätte. Sie riefen Leander zu, er möge einen Moment anhalten, und der Dunkelhaarige, der das Gespann lenkte – ein bärtiges, ungepflegt aussehendes Individuum –, redete Houston auf eine so unverschämte Weise an, wie sie sich das bisher von keinem Mann hatte gefallen lassen. Denn wenn Houston etwas beherrschte, dann war es die Kunst, zudringliche Männer mit einem Blick oder Wort in die Schranken zu weisen.

Doch diesmal nickte Houston nur höflich, und das ungepflegte Individuum brüllte seinen Pferden etwas zu und rollte in einer Staubwolke davon.

»Was für ein seltsames Benehmen«, sagte Leander. »Ich wusste ja gar nicht, dass du diesen Taggert kennst!«

Ehe Houston antworten konnte, rief Blair: »Das war der Besitzer des Hauses, das Houston so gefällt? Kein Wunder, dass er niemanden einlädt, seine Wohnung zu besichtigen. Er weiß genau, dass keiner die Einladung annehmen würde. Mich wundert nur, wie er uns auseinanderhalten konnte.«

»An den Kleidern«, sagte Houston rasch. »Ich habe ihn eben erst in Wilsons Kaufhaus kennengelernt.«

»Wie ich Houston kenne«, sagte Lee, »würde sie sich nicht einmal durch die Pest davon abschrecken lassen, das Haus zu besichtigen, wenn sie dazu eingeladen würde.«

Blair beugte sich vor und fragte über den Kopf ihrer Schwester hinweg: »Hast du auch Briefe von ihr bekommen, in denen nur von diesem Haus die Rede war?«

»Ich wäre Millionär, bekäme ich für jedes Wort, das sie über dieses Haus gesprochen hat, einen Dollar.«

»Millionär wie er«, sagte Blair und blickte zu dem Haus auf dem Hügel hinüber, das die Silhouette der Stadt beherrschte. »Was mich betrifft, kann er seine Millionen gern für sich behalten und diesen Dinosaurier von Haus dazu.«

»Wie ich höre, sind wir jetzt schon zum zweiten Mal der gleichen Meinung«, sagte Lee, den Erstaunten spielend. »Sollte das etwa zur Gewohnheit werden?«

»Das glaube ich nicht«, gab Blair mit scharfer Stimme zurück. Aber in ihrem Herzen regte sich der Zweifel. Sollte sie die Qualitäten dieses Mannes unterschätzt haben?

Doch keine zwanzig Minuten später war sie um die Zukunft ihrer Schwester besorgter denn je zuvor. Sie hatte sich von den beiden im Rosengarten ihrer Mutter getrennt; aber dann war ihr eingefallen, dass ihr medizinisches Journal noch in der Kutsche lag. Also lief sie wieder in den Garten zurück, um Lee noch abzufangen, ehe er wieder nach Hause fuhr, und dabei wurde sie Zeuge eines kleinen Dramas zwischen den beiden Verlobten.

Als Leander die Hand ausstreckte, um eine Biene, die um Houstons Kopf schwirrte, zu verscheuchen, zuckte Houston zusammen. Obwohl Blair die Szene aus einiger Entfernung betrachtete, konnte sie Houstons Reaktion kaum missverstehen: Ihre Schwester schreckte vor einem Körperkontakt mit ihrem Verlobten zurück.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, hörte sie Leander mit tödlich beleidigter Stimme sagen, »dass ich dich anfasse.«

»Das wird sich ändern«, gab Houston mit kläglicher Stimme zurück, »wenn wir erst einmal verheiratet sind. Ganz bestimmt.«

Aber er gab ihr keine Antwort mehr, lief an Blair vorbei aus dem Garten und fuhr eilig in seiner Kutsche davon.

Leander stürmte in das Haus seines Vaters, warf die Tür hinter sich zu, dass die Butzenscheiben fast aus ihren Bleifassungen fielen, jagte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und bog dann links in den Korridor ein, der zu seinem Zimmer führte, das er aufgeben würde, sobald er Houston heiratete und mit ihr in das Haus zog, das er für sie gekauft hatte.

Fast hätte er auch noch seinen Vater umgerannt; aber er blieb nicht stehen, um sich dafür zu entschuldigen.

Reed Westfield blickte seinen Sohn an, während er sich an der Korridorwand in Sicherheit brachte, sah dessen wutentbranntes Gesicht und ging ihm nach. Leander warf wahllos ein paar Kleidungsstücke in eine Reisetasche, als Reed im Türrahmen auftauchte.

Reed verharrte einen Moment auf der Türschwelle und studierte seinen Sohn. Äußerlich betrachtet, hatten sie wenig gemeinsam: Reed war ein untersetzter, kräftiger Typ mit einem Gesicht, das die Sensibilität einer Bulldogge ausstrahlte. Doch in ihrem Wesen fanden sich viele gemeinsame Züge. So musste schon eine Menge zusammenkommen, ehe einem Westfield der Kragen platzte.

»Was ist los, Junge – ein Notfall in der Klinik?«, fragte Reed, während er zusah, wie sein Sohn Kleidungsstücke in die Reisetasche auf dem Bett warf und in seiner Wut meistens das Ziel verfehlte.

»Nein«, fauchte dieser mit zusammengepressten Zähnen, »diese Frauen machen mich noch verrückt!«

Reed versuchte, sein Lächeln hinter einem Hustenanfall zu verstecken. In seiner Anwaltskanzlei hatte er gelernt, sich nie anmerken zu lassen, was er über seine Klienten dachte.

»Hast du dich mit Houston gezankt?«

Leander drehte sich mit wutentbranntem Gesicht zu seinem Vater um: »Ich habe mich noch nie mit Houston gezankt, gestritten oder in irgendeiner Sache irgendwelche Meinungsverschiedenheiten mit ihr gehabt. Houston ist absolut perfekt – die vollkommene Frau.«

»Ah – dann ärgerst du dich also über ihre Schwester. Jemand erzählte mir, dass sie dir heute mächtig auf den Geist gegangen sein soll. Du brauchst ja nicht mit deiner Schwägerin zusammenzuleben.«

Lee unterbrach einen Moment das Packen. »Blair? Was hat sie denn damit zu tun! Seit ich verlobt bin, habe ich mit keiner Frau so viel Spaß gehabt wie mit ihr. Es ist Houston, die mich in den Alkoholismus treibt. Genauer gesagt, vertreibt sie mich aus dieser Stadt.«

»Nun halte mal einen Moment die Luft an«, sagte Reed und nahm seinen Sohn bei der Hand. »Ehe du in einen Zug springst und deine Patienten dem sicheren Tod überlässt, könntest du wenigstens erst mal mit mir reden. Also setz dich hier hin und erzähl mir, was dich so in Harnisch gebracht hat.«

Lee ließ sich in einen Sessel fallen, als wöge er eine Tonne, und es dauerte eine Weile, ehe er sich zu der Frage aufraffte: »Hast du eine Ahnung, warum ich Houston gebeten habe, mich zu heiraten? Ich muss doch einen Grund gehabt haben, sie um ihre Hand zu bitten; nur scheine ich ihn inzwischen vollkommen vergessen zu haben.«

Reed setzte sich seinem Sohn gegenüber aufs Bett. »Lass mich mal nachdenken, Junge – ja, wenn ich mich recht entsinne, ist es nichts anderes als die pure, reine, altmodische Fleischeslust gewesen. Kaum bist du von deinem letzten Studiensemester nach Hause zurückgekehrt, als du dich schon den zahllosen jungen und alten Männern angeschlossen hast, die diese überaus reizvolle Miss Houston Chandler auf Schritt und Tritt verfolgten und sie anbettelten, sie zu irgendeiner Party zu begleiten – irgendwohin, um in ihrer Nähe sein zu können. Ich glaube mich zu erinnern, wie du ihre Schönheit gepriesen und mir berichtet hast, dass jeder Mann in Chandler sie bereits gebeten habe, ihn zu heiraten. Und ich erinnere mich auch noch an den Abend, wo du ihr ebenfalls einen Antrag machtest, den sie angenommen hat. Danach bist du eine Woche lang im Haus herumgelaufen, als würdest du auf Wolken schweben.«

Er legte eine kurze Pause ein. »Beantwortet das deine Frage? Sagt dir jetzt dein Verstand, dass deine Fleischeslust nach der lieblichen Miss Houston abgestorben ist?«

Leander blickte seinen Vater ernst an. »Mein Verstand sagt mir, dass ihre Erscheinung und ihr Gang, die den erwachsenen Männern dieser Stadt den Schlaf raubten, nur reines Blendwerk sind. Diese Frau ist ein Eisblock. Sie ist vollkommen frigide, bar aller Gefühle. Ich kann keine Ehe mit einer Frau eingehen, die nichts für mich empfindet, und bis ans Ende meiner Tage an sie gefesselt sein.«

»Ist das alles, was dich an ihr stört?«, fragte Reed, offensichtlich erleichtert. »Gute Frauen müssen so sein. Warte nur ab, bis du mit ihr verheiratet bist. Dann wird sie sich für dich erwärmen. Auch deine Mutter ist so kühl zu mir gewesen, als wir noch Verlobte waren. Sie zerschlug sogar eines Abends ihren Sonnenschirm auf meinem Kopf, weil ich ihr zu leidenschaftlich wurde. Doch später, nach der Hochzeit ... nun, da wurde es besser – viel besser sogar. Verlass dich auf das Wort eines Mannes, der in dieser Hinsicht mehr Erfahrung hat als du. Houston ist ein gutes Mädchen und hat jahrelang unter der Fuchtel dieses bigotten Gates gestanden. Kein Wunder, dass sie nervös und ängstlich ist.«

Leander hörte seinem Vater aufmerksam zu. Er hatte nie die Absicht gehabt, sein Leben in Chandler zu verbringen. Vielmehr wollte er in einer Großstadt zunächst als Stationsarzt in einem großen Krankenhaus arbeiten, sich schließlich eine eigene Praxis einrichten und viel Geld verdienen. Doch es hatte nur ein halbes Jahr gedauert, ehe er seine Pläne wieder umstieß und beschloss, nach Hause zu kommen, wo er dringend gebraucht wurde und wichtigere Fälle behandeln musste als die Hysterie reicher Frauen.

Während seiner Abwesenheit hatte ihm Houston fleißig geschrieben – geschwätzige Briefe, die von den Ereignissen in der Stadt berichteten und ihren Fortschritten in der Schule. Er hatte sich immer auf ihre Briefe gefreut und auf das Wiedersehen mit dem kleinen Mädchen, das sie verfasste.

An dem Abend, als der »verlorene« Sohn endgültig zurückgekehrt war, gab sein Vater ihm zu Ehren eine Party, und das »kleine Mädchen« trat ins Zimmer. Houston war inzwischen zu einer jungen Frau erblüht – mit einer Figur, dass Leander ganz feuchte Hände bekam. Und während er sie mit offenem Mund angaffte, gab ihm ein alter Freund einen Rippenstoß.

»Sinnlos, alter Knabe. Ich kenne keinen ledigen Mann in der Stadt, der sie nicht schon um ihre Hand gebeten hätte – oder um sonst etwas, von dem sie sich vielleicht gern trennen möchte –; aber sie will keinen von uns haben. Ich glaube, sie wartet auf einen Märchenprinzen oder den Präsidenten der Vereinigten Staaten.«

Leander hatte ihn selbstbewusst angegrinst. »Vielleicht wisst ihr nur nicht, wie man eine Frau bitten muss. Ich habe da ein paar Tricks gelernt, als ich in Paris studierte.«

Und so war er als Mitkonkurrent in den lokalen Wettlauf der Freier um das Jawort von Miss Chandler eingetreten. Er wusste auch heute noch nicht genau, was dann geschehen war. Er hatte sie zu ein paar Gesellschaften mitgenommen, und es musste bei der dritten Party gewesen sein, wo er um ihre Hand angehalten hatte, indem er sich dem Sinn nach folgendermaßen ausdrückte: »Ich glaube nicht, dass du mich heiraten würdest – aber fragen kostet ja nichts.« Er hatte natürlich mit einem Nein gerechnet. Dann hätte er mit den Männern in seinem Club lachen und sagen können, er habe es auch versucht, sei aber leider wie sie mit einem Korb bedient worden.

Zu seiner maßlosen Überraschung hatte Houston seinen Antrag sofort angenommen und gefragt, ob ihm der zwanzigste Mai als Termin für die Trauung genehm sei – alles im selben Atemzug. Am nächsten Morgen hatte er dann in der Zeitung sein Bild gesehen, mit dem er der Öffentlichkeit als Verlobter von Houston vorgestellt wurde, und darunter einen Vermerk, dass das glückliche Brautpaar noch an diesem Vormittag den Ring für sie aussuchen würde. Danach hatte er nie mehr Gelegenheit gehabt, sich zu überlegen, was er mit seinem Antrag angerichtet hatte. Wenn er nicht im Krankenhaus arbeitete, war er entweder bei einem Schneider zur Anprobe oder gab seine Zustimmung zu den Stoffen, die Houston für die Vorhänge des Hauses aussuchte, zu dessen Kauf er sich plötzlich entschlossen hatte.

Und nun, ein paar Wochen vor der Trauung, kamen ihm plötzlich Bedenken. Jedes Mal, wenn er Houston anfasste, zuckte sie zurück, als habe er etwas Ekelerregendes an sich. Natürlich kannte er Duncan Gates’ Ansichten über Frauen und wusste, dass er keine Gelegenheit vorübergehen ließ, sie in die »Schranken« zu weisen. Sein Vater hatte ihm vor ein paar Jahren geschrieben, dass Gates einen Antrag beim Magistrat gestellt hatte, Frauen den Besuch der Eisdiele zu verbieten, die soeben in der Stadt eröffnet worden war, und zwar mit der Begründung, dass diese sie nur zur Faulheit, Geschwätzigkeit und zum Flirten ermuntern würde, was zum Entzücken der Männer alles eingetroffen sei, wie sein Vater am Schluss seines Briefes vermerkte.

Leander holte eine lange, dünne Zigarre aus der Tasche und zündete sie an. »Wie du vorhin schon richtig sagtest, habe ich nicht viel Erfahrung mit ›guten‹ Mädchen. Hattest du denn keine Angst, dass meine Mutter sich nicht ändern würde nach eurer Hochzeit?«

»Angst? Ich hatte schlaflose Nächte ihretwegen. Ich habe damals sogar meinem Vater gesagt, dass ich mich weigern würde, sie zu heiraten, weil ich nicht mein Leben an der Seite einer Frau verbringen wollte, die ein Herz aus Stein in der Brust hat.«

»Du hast es dir dann aber wieder anders überlegt. Warum?«

»Nun ja«, sagte Reed mit einem kleinen, entschuldigenden Lächeln, »ich hatte ...«, er blickte ganz verlegen in eine Zimmerecke. »Ich glaube, wenn sie heute noch lebte, würde sie mich jetzt ermuntern, dir die Wahrheit zu sagen. Also – ich habe sie verführt, mein Sohn. Ich habe ihr zu viel Champagner eingeflößt, ihr stundenlang süße Worte ins Ohr geflüstert und sie dann verführt.«

Er wandte sich wieder abrupt seinem Sohn zu. »Aber ich rate dir nicht, diesem Beispiel zu folgen. Ich empfehle dir nur, etwas aus meiner Erfahrung zu lernen. Du kannst dich dabei nämlich gründlich in die Nesseln setzen. Ich glaube nämlich noch heute, dass du zwei Wochen früher, als es sich gehörte, auf die Welt gekommen bist.«

Leander studierte seine glühende Zigarrenspitze. »Mir gefällt dein Rat, und ich glaube, dass ich ihn befolgen werde.«

»Vielleicht hätte ich dir das doch nicht erzählen sollen. Houston ist ein reizendes Mädchen und ...« Er hielt mitten im Satz inne und warf einen forschenden Blick auf seinen Sohn. »Ich verlasse mich auf dein Urteilsvermögen. Verhalte dich so, wie du es für richtig hältst. Wirst du zum Abendessen hier sein?«

»Nein«, sagte Lee leise, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. »Ich gehe mit Houston heute Abend zum Empfang des Gouverneurs.«

Reed öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder und verließ stumm das Zimmer. Vielleicht wäre er noch einmal umgekehrt und hätte ihm doch noch gesagt, was ihm auf der Zunge lag, wenn er gewusst hätte, dass sein Sohn anschließend zum Telefon ging und in einem Nachtlokal vier Flaschen französischen Champagner bestellte, die in sein neues Haus gebracht werden sollten. Dann bat er die Haushälterin, ein Dinner vorzubereiten, das mit Austern begann und mit einer Schokoladenspeise endete.

Kapitel 3

Blair saß in ihrem Zimmer im obersten Stockwerk der Villa Chandler und versuchte sich auf einen Artikel über Peritonitis zu konzentrieren, sah sich aber ständig von ihrer Schwester abgelenkt, die im Garten unter ihrem Fenster Rosen schnitt. Blair beobachtete, wie Houston leise vor sich hin summte, ihre Nase in die Blüten steckte und sich überhaupt recht wohlzufühlen schien.

Blair wurde aus ihrer Schwester nicht mehr klug. Hatte sie nicht eben noch mit ihrem Verlobten gestritten, der wütend aus dem Garten gelaufen war? Aber das erschütterte sie offenbar überhaupt nicht.

Und dann diese merkwürdige Geschichte auf der Fahrt hierher. Blair hatte noch nie erlebt, dass Houston einen Mann grüßte, der ihr nicht in aller Form vorgestellt war. Houston, die immer so großen Wert auf Umgangsformen legte, hatte dieses haarige Individuum, diesen Taggert, so zuvorkommend behandelt, als wären sie seit Jahren befreundet.

Blair legte ihr medizinisches Journal beiseite und ging hinunter in den Garten.

»Hör mal«, sagte sie, als sie neben ihre Schwester trat, »ich möchte jetzt wissen, was du dir dabei gedacht hast.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.« Houston sah so unschuldig aus wie ein Baby.

»Kane Taggert«, antwortete Blair und versuchte dabei, in Houstons Gesicht zu lesen.

»Wir trafen uns zufällig in Wilsons Kaufhaus, und später wünschte er uns einen guten Morgen.«

Blair entdeckte eine unnatürliche Röte auf Houstons Wangen, als wäre diese Begegnung nicht so harmlos verlaufen, wie ihre Schwester sie darstellte.

»Du verschweigst mir etwas.«

»Vielleicht hätte ich mich nicht einmischen sollen; aber Mr. Taggert sah so wütend aus, und ich wollte einen Streit verhindern. Nur ging es leider auf Kosten von Mary Alice.« Und nun erzählte Houston ihrer Schwester die Geschichte von Mary Alice Pendergast, die Taggert im Kaufhaus unmöglich machen wollte, ihn mit einem Grubenarbeiter verglich und die Nase über ihn rümpfte. Und Houston hatte für Taggert Partei ergriffen.

Blair war sprachlos. Wie kam Houston dazu, sich in eine Affäre einzumischen, die sie überhaupt nichts anging! Schlimmer noch – sie hatte sich auf die Seite dieses Taggert gestellt, dem Blair nicht über den Weg traute. Dieser Mann sah aus, als wäre er zu allem fähig. Was erzählte man sich nicht alles von ihm und seinen Busenfreunden – von solchen Männern wie Vanderbilt, Jay Gould und Rockefeller! »Es gefällt mir nicht, dass du dich mit so einem Mann wie Taggert einlässt.«

»Du sprichst wie Leander.«

»Ausnahmsweise hat er diesmal recht!«, schnappte Blair.

»Vielleicht sollten wir diesen Tag in der Familienbibel anstreichen. Blair, ich schwöre, dass ich nach dem heutigen Abend den Namen Taggert nie mehr erwähnen werde.«

»Dem heutigen Abend?« Blair hatte so ein Gefühl, als müsste sie sich rasch in Sicherheit bringen. Als sie noch Kinder waren, hatte Houston es immer wieder verstanden, sie in irgendwelche Projekte zu verwickeln, die durchwegs unglücklich ausgingen und stets Blair angelastet wurden. Niemand traute nämlich diesem süßen Unschuldsengel Houston eine Ungezogenheit zu.

»Schau dir das an. Ein Bote hat es eben gebracht. Er hat mich zum Abendessen in sein Haus eingeladen.« Houston zog ein Billett aus dem Ärmel und gab es Blair.

»So? Solltest du nicht heute Abend mit Leander irgendwo anders hingehen?«

»Blair, du scheinst nicht zu begreifen, was für einen Wirbel es um dieses Haus in der Stadt gegeben hat! Ich kenne nicht einen in Chandler, der sich nicht darum bemüht hätte, das Haus besichtigen zu dürfen. Aus ganz Colorado reisten die Leute an, um das Haus zu bewundern; doch keinem wurde erlaubt, es auch zu betreten. Selbst ein englischer Herzog, der hier durchreiste, bemühte sich vergeblich, in Taggerts Haus übernachten zu dürfen. Taggert wollte die Delegation, die seine Bitte überbrachte, nicht einmal anhören. Und nun hat er mich in sein Haus eingeladen!«

»Aber du hast doch eine Verabredung«, hielt Blair ihr vor. »Der Gouverneur erwartet dich heute Abend bei seinem Empfang. Du willst doch nicht behaupten, dass dir die Inneneinrichtung von so einem ollen Haus wichtiger ist als der Erste Mann dieses Staates!«

Houston machte wieder dieses eigenartig verklärte Gesicht wie am Vormittag, als sie das Haus auf dem Hügel betrachtet hatte.

»Du kannst das nicht verstehen. Du hast nicht miterlebt, wie wir jahrelang die Waggons hier eintreffen sahen mit den Einrichtungsgegenständen für sein Haus. Mr. Gates behauptete, er habe nur deswegen keinen Gleisanschluss bis zu seiner Villa verlegen lassen, weil er wollte, dass jeder in der Stadt die Kisten sehen sollte und die Packzettel, die daran hingen. Die Sachen wurden ihm aus der ganzen Welt zugeschickt. Oh, Blair, ich weiß, dass die Kisten mit den kostbarsten Möbeln angefüllt sein mussten. Und mit Wandteppichen! Gobelins aus Brüssel!«