Herz des Rebellen - Patricia Carlyle - E-Book

Herz des Rebellen E-Book

Patricia Carlyle

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Beschreibung

Vivian riskiert ihr Leben für Amerikas Freiheit –und den Rebellenoffizier, für den ihr Herz schlägt
Der neue historische Roman für Fans von Anna Jacobs

Charleston, 1779: Vivians geliebte Heimatstadt Charleston ist in die Hände der Engländer gefallen, aber die amerikanischen Rebellen kämpfen weiter. Auch Cole, der Rebellenoffizier für den Vivians Herz schlägt, ist einer der Kämpfer. Aber Vivian zögert, ihm ihre Liebe zu gestehen. Während die Rebellion der Amerikaner zu scheitern droht, nimmt auch Vivians und Coles Schicksal eine dramatische Wendung. Die Kämpfe um die Unabhängigkeit der Amerikaner erreichen ihren Höhepunkt – und Cole muss alles auf eine Karte setzen, wenn er Vivian für sich gewinnen will …

Erste Leserstimmen
„Endlich geht es weiter, ich konnte es kaum erwarten und wurde nicht enttäuscht!“
„Ich hab von Anfang an mit Vivian und den Rebellen mitgefiebert ...“
„Auch im zweiten Teil sind die historischen Details wieder super gut dargestellt – einfach toll.“
„Definitiv eins meiner Jahreshighlights!“

Weitere Titel dieser Reihe
Ruf meines Herzens (ISBN: 9783960878728)

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Seitenzahl: 512

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Über dieses E-Book

Charleston, 1779: Vivians geliebte Heimatstadt Charleston ist in die Hände der Engländer gefallen, aber die amerikanischen Rebellen kämpfen weiter. Auch Cole, der Rebellenoffizier für den Vivians Herz schlägt, ist einer der Kämpfer. Aber Vivian zögert, ihm ihre Liebe zu gestehen. Während die Rebellion der Amerikaner zu scheitern droht, nimmt auch Vivians und Coles Schicksal eine dramatische Wendung. Die Kämpfe um die Unabhängigkeit der Amerikaner erreichen ihren Höhepunkt – und Cole muss alles auf eine Karte setzen, wenn er Vivian für sich gewinnen will …

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe September 2019

Copyright © 2020 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-900-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-966-4

Copyright © Juli 2018, Selfpublishing Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits Juli 2018 bei Selfpublishing erschienenen Titels Sehnsucht nach Charleston (ISBN: 1983170593).

Covergestaltung: Cover Up Buchcoverdesign unter Verwendung von Motiven von © pics721/shutterstock.com, © Captblack76/shutterstock.com, © Songdech Kothmongkol/shutterstock.com, © muratart/shutterstock.com, © hbpictures/shutterstock.com, © Lia Koltyrina/shutterstock.com, © faestock/shutterstock.com und © faestock/shutterstock.com Korrektorat: Katrin Gönnewig

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Herz des Rebellen

Prolog

In gleichmütigem Trott bahnten sich die zwei Pferde mit ihrer jeweils doppelten Last ihren Weg auf dem schmalen Pfad, der mit vielen Windungen entlang morastiger Sümpfe nach Lakewood führte.

Auf dem ersten Pferd saß Vivian Darcy hinter Samuel Munroe, einem der beiden Brüder, die zwar glühende Anhänger der Rebellion, aber zu gebrechlich waren, um selbst an den Kämpfen teilzunehmen. Auf dem zweiten Pferd hatte der Ältere der Brüder Georgia zu sich auf den Sattel gesetzt.

Hin und wieder, wenn Vivian nicht in Gedanken ihrem eigenen Kummer nachhing, warf sie besorgte Blicke auf die verstörte, dunkelhaarige junge Frau, die fast so etwas wie eine Schwägerin für sie war. Denn Georgia war verheiratet mit Simon Welsey, einem von drei Brüdern, mit denen zusammen Vivian aufgewachsen war.

Vivian seufzte unterdrückt, von der Sorge geplagt, was aus ihren Freunden geworden sein mochte. Simon war im Kampf um Charleston am Bein verwundet worden, das wusste sie. Trotzdem hatte er sich auf den Weg nach Bellarbres gemacht. Von dort war er wie ein Besessener weiter nach Lakewood geritten, wie Cole ihr erzählt hatte. Vivian malte sich lieber nicht aus, was Simon dabei gefühlt haben musste.

Von Tom und Paul, seinen Brüdern, nahm sie an, dass sie ebenfalls auf Lakewood waren. Tom war schon zu Beginn der Kämpfe um Charleston verwundet worden und zur Plantage seiner Eltern Ann und Herbert gebracht worden, um seine Verletzung dort auszukurieren. Paul hatte sich nach dem Fall Charlestons auf den Weg dorthin gemacht. Sie konnte nur hoffen, dass es beiden Brüdern gut ging und betete, dass ihnen sowie Ann und Herbert auf der Plantage nichts zugestoßen war.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihre trüben Gedanken zu verscheuchen, doch es gelang ihr nicht. Zu schlimm waren die Eindrücke der letzten Tage und Wochen. Erneut betete sie, dass auf Lakewood alles in Ordnung war. Sie konnte es kaum erwarten, endlich dort zu sein. Vor allem sehnte sie sich nach Ann. Ann war die Einzige, der sie ihren Kummer wegen Cole anvertrauen konnte. Ann würde sie nicht verurteilen, und wenn sie sich Cole gegenüber noch so kindisch benommen hatte. Sicherlich lag ihr Vertrauen in Ann auch daran, dass Vivians eigene Mutter schon gestorben war, als Vivian noch ein Kleinkind gewesen war. Ann war als Ersatzmutter eingesprungen, obgleich Vivian weiter im Haushalt ihres Vaters und ihrer englischen Tante Sophie, die zu ihrem Schwager und ihrer Nichte nach Charleston gezogen war, gelebt hatte. Aber vor allem dank Ann hatte Vivian eine unbeschwerte und wohlbehütete Kindheit und Jugend verbracht.

Während sie jetzt auf dem Pferderücken hinter dem Älteren der Munroe-Brüder vor Erschöpfung halb am Einschlafen war, fragte Vivian sich unwillkürlich, ob sie wohl je wieder so fröhlich und glücklich wie in den Tagen ihrer Kindheit sein würde. Vielleicht hätte sie in England bleiben sollen, wohin ihre Tante sie nach dem Tod ihres Vaters vor drei Jahren gebracht hatte. Dort, in der friedlichen Abgeschiedenheit des alten Landsitzes ihres Onkels Sir Frederic hatte es weder Krieg noch Verwundete noch niedergebrannte Plantagen gegeben! Aber schon während sie dies dachte, wusste Vivian, dass sie sich immer wieder für die Rückkehr nach Charleston entscheiden würde. Zwei Jahre hatte sie bei ihren adligen Verwandten in England gelebt und sich immer nur nach Charleston zurückgesehnt. Aber ihr Onkel, Sir William, und ihre Tante Sophie waren gegen ihre Rückkehr in die amerikanischen Kolonien gewesen. Doch unterstützt von ihrer Tante Elise, der Frau ihres jüngeren Onkels, hatte Vivian ihren Kopf durchsetzen können, wofür sie heute noch, allem augenblicklichen Elend zum Trotz, immer noch dankbar war. Im letzten Herbst endlich hatte sie England verlassen dürfen. Auf dem Schiff von Elises sehr viel jüngerem Bruder, dem Reeder John Chapman, war sie voller Freude in See gestochen.

Unwillkürlich fragte Vivian sich, wie es John jetzt wohl gehen mochte. Er hatte sie auf seinem Schiff bis Jamaika gebracht und war ihr ein guter Freund geworden. Sie hoffte, dass er sicher nach England zurückgekehrt war. Sie selbst war auf einem amerikanischen Blockadebrecher weiter nach Charleston gereist. Zu ihrer Überraschung war Robert Maine, ein Neffe von Ann und einer ihrer Jugendfreunde, dort als Offizier an Bord gewesen. Von Robert hatte Vivian immerhin in den letzten Tagen etwas gehört. Obwohl Lieutenant zur See, hatte er an den Kämpfen um Charleston teilgenommen und schlug sich jetzt irgendwo in den Sümpfen herum. Aber zumindest war er am Leben und unversehrt, anders als die vielen Verwundeten, die Vivian während ihrer Arbeit im Lazarett gepflegt hatte.

Bedrückt dachte Vivian an diese schrecklichen Wochen während Charlestons Belagerung durch die Engländer zurück. Obwohl Ann und Herbert vorsorglich die Stadt verließen, war Vivian geblieben und hatte als Krankenschwester verwundete Amerikaner gepflegt, als das Stadthaus der Welseys zum Lazarett umfunktioniert worden war. So viel Leid hatte sie dort gesehen, dass sie manchmal am Sinn des Krieges zu zweifeln begonnen hatte. Doch nicht einmal während dieser schrecklichen Tage war sie so erschüttert gewesen wie beim Anblick von Bellarbres.

Vivian warf einen weiteren bekümmerten Blick auf Georgia und seufzte leise. Genau wie die Welseys hatte auch Georgia Charleston verlassen und Zuflucht auf Bellarbres, der Plantage ihrer Eltern, gesucht, um dort in Ruhe das Kind, das sie erwartete, zur Welt zu bringen. Alle hatten geglaubt, dort, weit weg von den Kämpfen um Charleston, wäre es sicher. Aber Tories, englandfreundliche Amerikaner, hatten die Plantage niedergebrannt, Georgias Eltern und ihren Bruder Brad getötet und Georgia völlig verstört zurückgelassen.

Vivian konnte es immer noch nicht fassen, welcher Anblick sich ihren Augen geboten hatte, als sie und ihr treuer Diener Sam auf Bellarbres angekommen waren. Sam und sie waren tagelang durch den Sumpf marschiert, nachdem Vivian Charleston überstürzt hatte verlassen müssen. Einer der englischen Offiziere, die man nach der Niederlage Charlestons im Haus der Welseys einquartiert hatte, war zudringlich geworden, und nur Sams Eingreifen hatte Schlimmeres verhindert. Doch ein Angriff auf einen britischen Besatzungsoffizier, und sei er noch so berechtigt, konnte böse Folgen haben, sodass Vivian und Sam, mit Unterstützung eines anderen englischen Offiziers, vorsorglich aus der Stadt geflohen waren.

Als sie auf Bellarbres nur noch Trümmer vorgefunden hatten, waren sie geschockt. Groß war Vivians Erleichterung gewesen, dass zumindest Georgia noch lebte, und sie hatten sie mitgenommen auf ihrem Weg nach Lakewood, der Plantage der Welseys, ihrem endgültigen Ziel. Doch wenn Vivian geglaubt hatte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, so hatte sie sich geirrt. Denn nur einen Tag, nachdem sie und Sam zusammen mit Georgia aufgebrochen waren, war Sam durch einen dummen Zufall in die Hände der Engländer gefallen. Vivian hoffte inständig, dass er als Kriegsgefangener gut behandelt wurde! Jedoch hatte derselbe Zufall Cole zu ihnen geführt, der sich ihrer angenommen und sie zu einer im Sumpf versteckten Hütte geführt hatte, wo sie die Nacht verbracht hatten.

Vivian atmete tief durch und blinzelte ein paar Tränen fort, die sich bei dem Gedanken an Cole unwillkürlich in ihre Augen schlichen. Sie war so glücklich gewesen, als Cole wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sie sich in seine Arme geworfen hatte! Nach der Niederlage Charlestons hatte sie wochenlang um sein Leben gebangt, da nicht klar war, wer von ihren Freunden die Schlacht überlebt hatte. Und Cole war nicht etwa nur irgendein Freund! Und dennoch hatte sie ihn vor ein paar Stunden erst beschimpft und getobt und ohne ein liebendes Wort zurück in den Kampf geschickt. Und das nur, weil sie es nicht ertragen konnte, dass er sie erst küsste und dann von einer Minute auf die andere wieder verließ. Sie bereute zutiefst, ihn mit ihren bösen Worten verletzt zu haben! Aber der Abschied war so abrupt gekommen, nachdem sie unvermittelt auf die Munroe-Brüder gestoßen waren! Cole hatte versucht, ihr zu erklären, dass er ein Kommando übernommen hatte und dringend bei seiner Truppe zurückerwartet wurde. Aber sie hatte sich im Stich gelassen gefühlt, obwohl seine Gründe, dass er gehen musste, vollkommen berechtigt waren! Und nun war er fort, und sie sehnte sich so entsetzlich nach ihm. Wenn sie doch nur ihre garstigen Worte zurücknehmen könnte! Aber dafür war es zu spät. Wie es schien, lernte sie einfach nicht aus ihren Fehlern. Schon damals, als Cole sich, noch unter seinem falschen Namen Gérard Dupont, geweigert hatte, ihr schützender Begleiter auf der Reise von England nach Jamaika zu sein, hatte sie ihn wild beschimpft, statt einmal darüber nachzudenken, ob er womöglich berechtigte Gründe für sein Verhalten hatte. Später auf John Chapmans Schiff, wo sie sich dann wiederbegegnet waren, hatte sie ihn erneut attackiert, als er ihr tiefe Gefühle gestand. Gewiss, sie war auch heute noch nicht sicher, ob Cole es damals ernst gemeint hatte. Aber hätte sie damals nicht die Chance vertan, mehr über ihn zu erfahren, wäre sie nicht so verzweifelt gewesen, als er kurz nach seiner Liebeserklärung spurlos vom Schiff verschwand. Erst viel später in Charleston, wo sie ihm dann wiederbegegnet war, hatte sie erfahren, dass Cole als Spion in England gewesen war. Sie war so schockiert gewesen, dass er in Wahrheit ein amerikanischer Rebellenoffizier war und kein Franzose, wie sie bis dahin geglaubt hatte, dass sie erneut sein ganzes Verhalten in Frage gestellt hatte.

Das Pferd, auf dem Vivian ritt, machte einen holpernden Schritt, und Vivian merkte, dass ihr die Augen zugefallen waren. Sie riss sie hastig wieder auf und sah sich um. Von feindlichen Engländern oder Tories war weit und breit nichts zu sehen, und doch blieb sie seltsam angespannt. Als Cole sie noch begleitet hatte, dachte sie niedergeschmettert, hatte sie sich nicht so verängstigt gefühlt. Aber Cole war fort, und Vivian empfand erneut die gleiche Leere wie schon bei seinem Abschied. Und während sie diesmal nicht gegen die Tränen ankämpfte, die ihr in die Augen stiegen, wollten ihr nicht die Gedanken aus dem Kopf gehen, die sie gehabt hatte, als Cole fortgegangen war: Cole zog wieder in den Kampf! An der Spitze der Männer, zu denen er stoßen wollte, würde er sich erneut tödlichen Gefahren aussetzen, bereit, für die Ideale, für die sie kämpften, notfalls sein Leben zu geben! Und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als ihn zu beschimpfen!

1

Todmüde und mit schmerzenden Gliedern trafen sie am frühen Abend endlich auf Lakewood ein.

Es war lange her, dass Vivian den Besitz zuletzt gesehen hatte. Er lag abseits der Hauptstraße, nur ein kleiner Seitenweg führte dahin, der aber doch breit genug für Wagen und Pferdefuhrwerke war. Inmitten eines Eichenhains erhob sich auf einem kleinen Hügel das Herrenhaus, ein rotes Backsteingebäude, an dessen Vorderfront eine weißgestrichene Galerie entlanglief. Eine Freitreppe führte zur Galerie hinauf, in deren Mitte sich der Haupteingang befand. Am Geländer der Galerie hingen Blumentöpfe herab, aus denen gelbe Blütenköpfe wie Sterne hervorleuchteten. Auch die Blumen in den Beeten vor dem Haus blühten in den verschiedensten Farben. Zusätzlich zum Haupteingang auf der Galerie gab es auch unten zwei Eingänge, jeweils rechts und links der Treppe. Eine vierte Tür war hinter dem Haus, die von den Bediensteten benutzt wurde und direkt in die Küche führte.

Rund um die Besitzung erstreckten sich weite Waldflächen, die nur hier und da durch vereinzelte Felder unterbrochen wurden, wo die Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf angebaut wurden. Hinter dem Haus waren drei Koppeln, auf denen Herbert seine Zuchtpferde hielt. Links vom Haus ging es hinunter zum Fluss, einem Nebenarm des Cooper River. Dort befand sich auch ein kleines Bootshaus, wo die Welseys einen Schoner und mehrere Ruderboote liegen hatten.

Als Vivian und ihre Begleiter sich jetzt dem Anwesen näherten, erblickte Vivian drei Gestalten auf der Terrasse. Noch konnte sie nicht erkennen, wer es war, aber sie wusste instinktiv, dass eine von ihnen Ann sein musste. Sie kamen näher, und sie sah, dass sie recht gehabt hatte. Und neben Ann saßen Simon und Herbert.

Die Munroes zügelten ihre Pferde und schlugen vor, dass Georgia und Vivian abstiegen, damit die Bewohner von Lakewood sie auf die Entfernung besser erkannten. Und tatsächlich erblickten die drei auf der Terrasse in diesem Moment die Ankömmlinge. Vivian beobachtete seltsam teilnahmslos, wie Ann sich rasch erhob und etwas sagte. Dann stand auch Simon schwerfällig auf. Er schwankte leicht und musste sich am Treppengeländer festhalten. Sekundenlang schien er wie festgewurzelt, dann humpelte er, so schnell sein verletztes Bein es zuließ, die Treppe hinunter und lief ihnen mühevoll quer über die Wiese entgegen.

„Georgia!“, rief er, mit einer Stimme, die zittrig klang vor fassungsloser Freude. „Georgia!“

Georgia, die bis zu diesem Moment wie in Trance neben Vivian und den Munroe-Brüdern hergegangen war, blieb ruckartig stehen und erstarrte. Vivian warf ihr einen besorgten Blick zu, doch da machte Georgia bereits einen ersten vorsichtigen Schritt auf Simon zu, dann noch einen und dann lief sie, so schnell ihre Füße sie trugen. Sekunden später lag sie in Simons Armen.

Einen Augenblick später fielen sich auch Vivian und Ann in die Arme. Während Vivian über Anns Schulter spähte, sah sie, wie Simon seine Frau fest an sich presste und Georgia an seiner Schulter hilflos schluchzte. Und auch Simon liefen Tränen über die Wangen.

Vivian selbst empfand in diesem Augenblick nur eine grenzenlose Erleichterung, endlich angekommen zu sein. Sie war froh, dass die Strapazen ein Ende hatten, und sie freute sich für Simon und Georgia. Die beiden hatten Schreckliches durchgemacht, aber die überwältigende Freude, die jetzt aus ihren Gesichtern leuchtete, war rührend. Unvermittelt überkam Vivian der Wunsch, sich auch in die Arme eines Mannes stürzen zu können und so gehalten zu werden wie jetzt Georgia, und eine widersinnige und dabei kaum erträgliche Sehnsucht nach Cole überkam sie. Aber Cole war fort, fort im Kampf. Und sie hatte ihm noch nicht einmal Glück gewünscht!

Später am Abend saßen alle zusammen auf der Galerie. Vivian und Georgia hatten gebadet und fühlten sich, wenn auch müde, so doch einigermaßen erfrischt. Georgia war sehr ruhig und wich nicht von Simons Seite. Es wurde Vivian schnell klar, dass Georgia inzwischen ganz genau wusste, was auf Bellarbres geschehen war. Doch nun, wo sie sich nicht mehr ins Vergessen flüchten konnte, war der Schmerz für sie umso schlimmer. Sie begann erst jetzt richtig zu begreifen, welchen Verlust sie erlitten hatte.

Simon bemühte sich rührend und liebevoll um seine unglückliche Frau, und das, obwohl seine Wunde immer noch nicht ganz ausgeheilt war. Er hatte noch immer starke Schmerzen beim Gehen und sollte Anns Meinung nach eigentlich im Bett liegen. Aber Simon fegte Anns Bedenken mit einem Lächeln beiseite. Und auch wenn er sich fröhlich gab, war nicht zu übersehen, dass er es ebenso wenig ertragen hätte wie Georgia, sich an diesem Abend auch nur einen winzigen Augenblick lang von seiner Frau zu trennen.

Vivian hatte dafür volles Verständnis. Der Schock, der Simon nach seiner Ankunft auf Lakewood an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht hatte, wie sie von Ann erfuhr, zeigte sich noch immer in den tiefen Linien, die sich in den letzten Tagen in Simons schmale Wangen gegraben hatten. Sie waren noch nicht da gewesen, als Vivian Simon im Lazarett besucht hatte, waren also keine Folgen seiner Verwundung, sondern der letzten zwei Tage, die er sich, ohne zu essen, in seinem Zimmer eingeschlossen und niemanden an sich herangelassen hatte. Vorangegangen war ein wilder, verzweifelter Ritt von Bellarbres nach Lakewood, bei dem Simon nur von der Hoffnung aufrecht gehalten worden war, dass Georgia auf Lakewood Zuflucht gesucht hätte. Immer wieder hatten Ann und Herbert voller Sorge versucht, Simon aus seinem Zimmer zu locken. An diesem Nachmittag war es ihnen dann endlich gelungen. Mit hohlen Augen war Simon nach Anns flehentlichen Bitten auf der Terrasse erschienen und hatte sich wortlos neben sie gesetzt. Bis zu Georgias Ankunft hatte er still vor sich hingestarrt und auf jede Frage nur mit Ja oder Nein geantwortet. Die grenzenlose Dankbarkeit, dass Georgia noch lebte und er sie nun fest in den Armen halten konnte, leuchtete ihm daher jetzt umso deutlicher aus den Augen und zeigte sich in jeder kleinen Geste, mit der er seine Frau liebkoste.

Als Simon und Georgia sich schließlich Arm in Arm auf ihr Zimmer zurückzogen, sah Ann ihnen mit einem nachdenklichen Lächeln hinterher.

„Mein Gott, bin ich froh und dankbar, dass Georgia am Leben und halbwegs gesund ist!“, entfuhr es ihr mit einem tiefen Seufzer. „Vivian, du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Angst wir hatten, dass Simon verbittern würde! Er war beinahe wahnsinnig vor Kummer, als er feststellte, dass Georgia nicht auf Lakewood war. Aber jetzt wird alles gut! Um Simon brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu ängstigen, da bin ich sicher. Und Georgia päppeln wir auch wieder auf. Ich hoffe nur, dass sie nicht zu lange braucht, bis sie über den Tod ihrer Familie hinwegkommt. Es wäre wirklich nicht gut, wenn sie bis zur Niederkunft nicht wieder etwas kräftiger wäre.“

„Ich weiß, du wirst deine ganze Energie darauf verwenden“, lächelte Herbert, der bisher nur wenig gesagt hatte. „Das wird schon. Tom hast du ja auch wieder auf die Beine bekommen.“

„Das ist überhaupt nicht zu vergleichen“, widersprach Ann energisch. „Tom hatte eine leichte Wunde, sonst nichts. Georgia ist verstört, das ist etwas ganz anderes.“

„Na, wie du meinst“, seufzte Herbert und erhob sich. „Nehmt es mir nicht übel, aber ich würde gern noch einmal kurz in den Stall gehen und nach der trächtigen Stute sehen. Der Stallbursche meinte, sie würde noch heute Nacht fohlen. Und wahrscheinlich geht ihr ja sowieso bald ins Bett, oder? Vivian sieht schrecklich müde aus.“

„Aber bevor ich schlafen gehe, möchte ich wissen, wie es Paul und Tom geht“, lächelte Vivian. „Ich hatte eigentlich gedacht, die beiden wären auf Lakewood.“

„Oh, Toms Wunde ist bestens verheilt“, lachte Ann, während Herbert sich grinsend entfernte. „Nun will er wieder kämpfen. Als vor drei Tagen Robert mit einigen Rebellen hier auftauchte, waren weder Paul noch Tom zu halten und haben sich ihm angeschlossen.“

„Ich dachte“, warf Vivian verwundert ein, „Paul und Robert hätten bei der Kapitulation Charlestons ihre Entlassung aus der Armee erhalten und sich verpflichtet, nicht mehr zu kämpfen?“

Ann lächelte schief. „Liebe Vivian, diese Entlassung war eine entsetzliche Schweinerei!“

Vivian blieb vor Erstaunen beinahe der Mund offen stehen. Solche Worte aus Anns Munde! „Schweinerei? Wie, um Himmels willen, meinst du das, Ann?“

„Dieser Clinton, oder Sir Clinton, wie er gerne genannt werden möchte, hat bei der Entlassung leider nicht die Wahrheit gesagt“, versetzte Ann mit einem verächtlichen Schnauben. „Damals hieß es, jeder Mann, der die Waffen niederlege, könne nach Hause gehen und in seinem alten Beruf arbeiten. Das stimmt nur leider nicht!“

Verwirrt runzelte Vivian die Stirn. „Aber wieso denn nicht? Ich dachte –“

„Weil Clinton anschließend verlangte, dass jeder Bürger Charlestons und aus der Umgebung den Treueid auf Georg III. leisten muss. Verstehst du, was das bedeutet?“

Vivian schüttelte verständnislos den Kopf. „Nein. Nicht im Geringsten.“

„Es bedeutet“, erklärte Ann grimmig, „dass jeder Mann, der den Eid leistet, verpflichtet werden kann, gegen die Rebellen zu kämpfen. Verstehst du nun? Paul und Simon, die entlassen worden sind, müssten zum Beispiel gegen Tom oder Cole und viele andere ihrer Freunde kämpfen.“

„Aber sie haben diesen Eid doch gar nicht geleistet!“, widersprach Vivian verwirrt.

„Nein, aber sie könnten jederzeit dazu aufgefordert werden, es zu tun. Spätestens, wenn sie nach Charleston zurückkehren wollten, hätten sie keine andere Wahl, als diesen Eid abzulegen. Und dann könnten sie gezwungen werden, auf Seiten der Engländer zu kämpfen.“

„Aber das ist doch unglaublich!“, entfuhr es Vivian mit einem entrüsteten Blinzeln. „Das kann doch niemand verlangen!“

„Oh doch! Clinton schon!“, entgegnete Ann mit einem energischen Kopfnicken. Dann seufzte sie. „Es ist schlimm genug, dass Paul, Tom und Simon und auch alle anderen, die den Treueid nicht leisten wollen, nicht nach Charleston zurückkönnen. Aber noch fürchterlicher ist, dass alle amerikanischen Soldaten, die jetzt noch kämpfen, gehängt werden sollen. Selbst gegen Zivilisten, die sich widersetzen, soll Clinton abschreckende Maßnahmen eingeführt haben.“

„Was denn für Maßnahmen?“, fragte Vivian beunruhigt.

„Nun, Paul sagte, sie würden enteignet werden! Und davon, sagt Paul, war in den Kapitulationsbedingungen niemals die Rede. Dort hieß es lediglich, man dürfte nicht mehr gegen Georg III. kämpfen, aber nicht, dass man für ihn kämpfen muss.“

„Großer Gott!“, stieß Vivian kopfschüttelnd hervor. „Dieser Clinton muss verrückt sein!“

„Ja, verrückt und enorm ehrgeizig“, bekräftigte Ann. Dann atmete sie tief durch und lächelte Vivian aufmunternd an. „Aber nun lass uns besser das Thema wechseln, Kind. Ich werde jedes Mal wütend, wenn ich darüber nachdenke! Erzähl lieber mal, wie es dir während der Belagerung in Charleston ergangen ist. Bisher hat sich ja alles um Georgia und Simon gedreht, aber ich glaube, du hast auch einiges zu erzählen, oder? Bisher hast du uns ja nur ganz grob ins Bild gesetzt, wieso du Charleston verlassen musstest und was unterwegs passiert ist. Ich glaube, das würde ich jetzt gerne mal etwas genauer hören. Vor allem, warum du jedes Mal so ein betretenes Gesicht machst, wenn Coles Name fällt. Habt ihr euch etwa gestritten?“

„Ach, Ann!“, klagte Vivian und ließ niedergeschlagen den Kopf hängen. „Es ist alles so entsetzlich kompliziert!“

„Na, dann lass doch am besten mal hören“, lächelte Ann. „Ich könnte wetten, dass alles viel weniger schlimm ist, wenn du erst darüber gesprochen hast.“

Vivian nickte zögernd. Dann fing sie an, stockend zu erzählen. Sie begann mit der Belagerung von Charleston und endete mit ihrer Ankunft auf Lakewood, ohne dass Ann sie ein einziges Mal unterbrach.

„So, und jetzt hast du Cole also gesagt, er soll sich zum Teufel scheren“, lächelte Ann, als sie ihren Bericht schloss. „Und meinst du das ernst?“

„Natürlich nicht!“, jammerte Vivian. „Eigentlich tut es mir schrecklich leid, was ich gesagt habe, aber … aber siehst du, Ann, es ist einfach alles so verwirrend! Und ich werde nicht schlau aus Cole! Er spricht von Freundschaft, und dann küsst er mich, als ob … Oh, es ist schrecklich!“

„Aber du hast ihn gern.“

Vivian nickte verlegen. „Ja, schrecklich gern. Aber … ich weiß einfach nicht, ob ich ihm trauen kann!“

„Wieso solltest du Cole denn nicht trauen können?“, wunderte sich Ann mit einem erstickten Lachen.

„Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll“, seufzte Vivian und lehnte sich müde gegen ihre Stuhllehne. „Verstehst du, im Grunde vertraue ich Cole ja. Ich weiß, dass er jederzeit für mich da wäre, genau wie für jeden anderen von euch. Er ist rechtschaffen und anständig und ehrenhaft, und ich würde ihm jederzeit mein Leben anvertrauen. Aber …“

„Aber?“, hakte Ann nach, als Vivian unschlüssig verstummte.

„Nun, er … er hat mir doch schon einmal etwas vorgemacht! Er war so überzeugend als … als Gérard Dupont. Und dabei war alles nur eine Täuschung! Woher soll ich denn wissen, dass er jetzt ehrlich ist? Ich meine, nicht im Allgemeinen natürlich, aber … aber was seine Küsse angeht und so.“

„Und so?“, lachte Ann, doch dann streichelte sie verständnisvoll Vivians Hand. „Vivian, was sagt dir denn dein Gefühl?“ Und als Vivian sich errötend auf die Lippen biss, setzte sie lächelnd hinzu: „Weißt du, Vivian, ich denke, du solltest auf dein Gefühl hören. Du weißt doch ebenso gut wie ich, warum Cole dich damals ein wenig anschwindeln musste. Und wenn du mich fragst, hat er es bestimmt nicht gern getan. Davon abgesehen, steht ihm doch ins Gesicht geschrieben, was er für dich empfindet. Ich glaube nicht, dass er dir da etwas vormacht.“

„Ach, ich hoffe es so sehr“, gestand Vivian hoffnungsvoll, nur um gleich darauf stirnrunzelnd hinzuzusetzen: „Trotzdem, Ann, da ist noch etwas. Du kennst Cole doch schon länger. Hältst du ihn für … für einen Schürzenjäger?“

„Kind, was stellst du für Fragen!“, amüsierte sich Ann und schüttelte den Kopf.

„Ja, ich weiß, es ist albern, aber … oh, bitte Ann, ich muss es wissen! Glaubst du, dass Cole … dass Cole in der Lage wäre, sich nur für eine einzige Frau zu interessieren?“

Ann lachte laut auf. „Da habe ich nicht den geringsten Zweifel! Ich gebe zwar zu, Cole und Simon haben sich früher gern mal amüsiert. Irgendwie haben die beiden immer die hübschesten Mädchen am Arm gehabt! Aber Simon hat Georgia gefunden, und Cole … nun, seit du in Charleston bist, habe ich ihn mit keiner anderen Frau mehr gesehen. Wie Simon bei anderer Gelegenheit einmal so treffend festgestellt hat: Der arme Kerl hat doch nur noch Augen für dich!“

„Meinst du?“, seufzte Vivian. „Aber er sieht so gut aus! Und er versteht sich viel zu gut aufs –“

„Vivian“, lächelte Ann, „lass das Grübeln. Gib Cole doch wenigstens eine Chance!“

Vivian runzelte die Stirn. „Ach, Ann, du glaubst nicht, wie sehr ich das möchte, aber …“

„Lieber Himmel, Vivian!“, stöhnte Ann lachend. „Warum wartest du nicht einfach ab, wie sich die Dinge zwischen dir und Cole entwickeln? Dann wirst du schon feststellen, ob er es ernst meint. Wovon ich absolut überzeugt bin!“

„Wahrscheinlich hast du recht, Ann, aber–“

„Vivian“, lachte Ann, „lass es sein!“

Vivian blinzelte, lächelte verlegen und nickte.

2

Georgias Tochter wurde in der letzten Juliwoche geboren, an einem strahlend heißen Nachmittag. Ann und Vivian standen Georgia bei der Geburt bei, die erstaunlich leicht und schnell verlief. Schon nach wenigen Stunden lag das neugeborene kleine Mädchen im Arm seiner glücklich strahlenden Mutter.

Georgia hatte sich in den letzten Wochen vor der Geburt zumindest zum Teil erholt. Wenn sie an ihre Familie und die schrecklichen Ereignisse auf Bellarbres dachte, fing sie noch immer an zu weinen, aber zu aller Freude geschah das im Laufe der Zeit immer seltener. Simons liebevolle Fürsorge hatte ihr gutgetan, und sie hatte bald angefangen, lebhafter zu werden. Einzig, als Simon wieder in den Kampf zog, gab es einen kleinen Rückschlag. Nachdem er wieder völlig hergestellt war, hatte Simon es auf Lakewood nicht mehr ausgehalten. Nach dem, was die Tories Georgias Familie angetan hatten, war ein abgrundtiefer Hass gegen diese abtrünnigen Amerikaner in ihm gewachsen. Er wollte gegen sie kämpfen, jetzt noch mehr als früher. Hatten ihn vormals politische Gründe zur Waffe greifen lassen, so war er nun getrieben von dem Wunsch nach Rache. Vivian konnte gut verstehen, dass Georgia es lieber gesehen hätte, wenn Simon nicht wieder in den Kampf gezogen wäre, doch Simons Entscheidung war unumstößlich. Nicht einmal die Bitten seiner Frau konnten etwas daran ändern. Aus seiner Sicht war er es seiner Frau schuldig, dass er gegen die Mörder ihrer Familie kämpfte. Dass Georgia das anders sah, hielt ihn nicht auf.

Georgia fand sich nur schwer damit ab, dass Simon Lakewood verließ, und Vivian und Ann fürchteten schon, dass sie sich erneut vor ihnen verschloss. Doch nun, nach der Geburt ihrer Tochter, schien Georgia nach und nach aufzublühen. Sie lächelte wieder, fing an, ihrem Baby beruhigende Melodien vorzusingen, und nahm an dem Leben um sie herum teil. Vivian fiel, genau wie Ann und Herbert, ein Stein vom Herzen.

Ann ihrerseits war eine stolze Großmutter, wie Vivian voller Belustigung feststellte. Noch nie hätte sie ein so hübsches Baby gesehen wie ihre erste Enkelin, verkündete sie jedem, der es hören wollte. Sie war schon jetzt überzeugt, dass die kleine Gwen einmal eine Schönheit werden würde. Sie hoffte inständig, erklärte sie lachend, dass auch ihre anderen beiden Söhne bald heiraten und Kinder zeugen würden, da sie sich ein ganzes Heer von Enkelkindern wünschte.

Auch Vivian beschäftigte sich oft und gern mit der kleinen Gwen. Es machte ihr Spaß, sie zu wickeln und im Arm zu halten. Sie war von Anfang an ganz vernarrt in den mit ungewöhnlich vielen schwarzen Locken geborenen Säugling und dachte inzwischen oft darüber nach, wie schön es sein müsste, ein eigenes Kind zu haben. Zwangsläufig schlich sich bei diesen Überlegungen fast jedes Mal auch Cole in ihre Gedanken, was ihr immer wieder schmerzlich zu Bewusstsein brachte, dass sie nach wie vor nicht wusste, wie sie in Zukunft mit ihm umgehen sollte. Das wiederum erinnerte sie daran, dass sie ihn bei ihrer letzten Begegnung ausgesprochen schändlich behandelt und verabschiedet hatte, weswegen sie noch immer ein zutiefst schlechtes Gewissen hatte. Obendrein vermisste sie ihn entsetzlich und hielt beinahe täglich nach ihm Ausschau, in der irrwitzigen Hoffnung, dass er seine Ankündigung, sie auf Lakewood zu besuchen, trotz ihrer garstigen Worte wahrmachen würde. Jedoch wusste sie nur zu genau, dass Cole so schnell nicht kommen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Wie er selbst gesagt hatte, war er als erfahrener Offizier bei den anstehenden Kämpfen wahrscheinlich unersetzlich. Nichtsdestotrotz wünschte sie, dass sie zumindest gewusst hätte, ob und wo er im Augenblick kämpfte. Und vor allem hätte sie gerne gewusst, dass es ihm gut ging.

Dennoch war ihr klar, dass sie so schnell nichts von ihm hören würde, da sie auf Lakewood völlig abgeschieden von der Außenwelt lebten. Sie wussten nicht, was um sie herum vorging, ob und wo gekämpft wurde. Hin und wieder fragte Vivian sich, ob es überhaupt richtig war, dass die Männer weiterkämpften. Nach der Niederlage Charlestons war Süd-Karolina praktisch komplett von den Engländern besetzt, und Vivian überlegte, ob die Männer, die jetzt noch kämpften, sich nicht sinnlos den Gefahren aussetzten. Bei der Übermacht der Briten hatten sie wahrscheinlich kaum noch eine Chance, den Kampf zu gewinnen, und riskierten ihr Leben für nichts. Aber dann dachte sie wieder an die Ereignisse auf Bellarbres und an Sam, der in britischer Gefangenschaft war. Das waren Gründe genug, den Kampf nicht aufzugeben, wie sie fand.

Dann, eines Tages im August, tauchte Robert Maine auf Lakewood auf. Endlich gab es einmal gute Neuigkeiten, denn Robert brachte die Nachricht mit, dass General Washington Truppen aus dem Norden geschickt hätte, die den Rebellen in Süd-Karolina zu Hilfe kommen sollten. Diese Truppen seien jetzt bereits in Nord-Karolina unterwegs, und er, Robert, sei auf dem Weg zu ihnen. Auch Simon und Tom wollten sich ihnen anschließen.

„Das sind großartige Nachrichten!“, strahlte Vivian, während sie Robert die dritte Tasse starken Kaffee reichte. „Dann gibt es also doch noch eine Chance, dass wir den Krieg gewinnen!“

„Klar gibt es die“, lachte Robert. „Und wir werden diese Chance mit beiden Händen ergreifen, verlasst euch drauf! Eine größere Schlacht steht unmittelbar bevor! Und da können die verdammten Rotröcke Fersengeld geben!“

„Was ist mit Paul?“, fragte Ann mit einem besorgten Stirnrunzeln. „Wieso ist er nicht mehr bei euch?“

„Oh, der ist in den Wäldern mit der Beschaffung von Pferden beschäftigt“, entgegnete Robert kauend und langte nach einem weiteren Hühnerschenkel. „Pauls Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir immer genug Pferde haben. Was zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist, jetzt, wo die Briten überall Pferde beschlagnahmen.“

„Hoffentlich kommen sie nicht auch nach Lakewood“, brummte Herbert, und Vivian konnte ihm insgeheim nur zustimmen.

Anschließend erzählte Robert weiter, dass Clinton das Oberkommando in Charleston inzwischen an Cornwallis abgegeben und sich wieder auf den Weg nach New York gemacht habe. Und Cornwallis, bestrebt aus Clintons Schatten herauszutreten, habe sofort danach Torytruppen ausgesandt, um neue Männer anzuwerben. Auf was für eine Art und Weise das geschehen würde, wäre ja wohl allen klar.

Charleston selbst, berichtete Robert schließlich, sei von Cornwallis gründlich zur Verteidigung vorbereitet worden. Sobald Cornwallis erfahren hätte, dass sich Rebellentruppen aus dem Norden näherten, hätte er ein Verbot erlassen, die Stadt ohne gültigen Passierschein zu verlassen. Diese Passierscheine gab es natürlich nur für die treuesten Tories und Kaufleute, welche die Stadt mit Lebensmitteln versorgten.

„Gütiger Himmel, das ist doch alles nicht zu fassen!“, stöhnte Ann. „Aber woher weißt du das alles, Robert? Du kannst doch unmöglich selbst in Charleston gewesen sein!“

„Gewiss nicht“, lachte Robert. „Aber wir haben genug Spione, die auf die abenteuerlichsten Weisen in die Stadt hinein- und wieder hinauskommen. Wie sie das machen, frag mich nicht. Vielleicht gibt es Geheimgänge, vielleicht auf den Wagen der Kaufleute, ich weiß es nicht. Aber sie kommen raus und rein, und ihre Informationen sind für uns mehr als wertvoll.“

„Du meine Güte“, staunte Vivian.

Robert grinste. „Übrigens, in Charleston soll es jetzt im Allgemeinen recht munter zugehen. Der neue Gouverneur, ein gewisser Balfour, feiert angeblich ständig Feste zu Ehren der tapferen Sieger. Dass die Tories dahin gehen, ist ja klar. Aber es soll sogar einige frühere Rebellen geben, die sich nicht schämen, mitzufeiern und sich ausgelassen im Kreise von Rotröcken und Tories zu vergnügen.“

„Das ist unfassbar“, befand Ann ein weiteres Mal, und Robert nickte.

„Allerdings. Viele Leute glauben offenbar wirklich, zumindest hier in Süd-Karolina wäre der Krieg jetzt vorbei und sie wären wieder Untertanen des Königs. Eine Schande ist das! Aber Gott sei Dank kommen ja Washingtons Truppen. Ihr werdet sehen, in weniger als einem Monat sind wir diese verdammten Rotröcke los! Und die Tories können gleich mit ihnen verschwinden!“

Vivian runzelte skeptisch die Stirn. „Na ja, aber … selbst wenn Washingtons Armee siegt – ob dann wirklich gleich alle Briten gehen?“

„Denen wird gar nichts anderes übrig bleiben“, versetzte Robert scheinbar leichthin, doch Vivian entging nicht der leicht verunsicherte Ausdruck in seinen Augen.

„Warten wir es ab“, brummte Herbert. „Ich glaub das erst, wenn die Briten wirklich fort sind.“

Robert zuckte die Achseln. „Wir werden´s bald wissen. Ich jedenfalls kann es kaum abwarten, dass Charleston endlich wieder in unserer Hand ist. Es ist frustrierend, dass ich nicht einmal meine Mutter besuchen kann.“

„Hast du eine Möglichkeit, sie wissen zu lassen, wie es dir geht?“, erkundigte Ann sich stirnrunzelnd.

„Hin und wieder“, nickte Robert. „Aber nicht so oft, wie ich gerne würde. Aber zumindest weiß ich, dass es ihr gut geht. Sie geht angeblich sogar hin und wieder mit ihren früheren Freundinnen ins Teehaus.“

„Teehaus?“, fragte Ann verwundert.

„Ach ja, richtig, das wisst ihr ja noch gar nicht. Die Gilberts sind zurück in Charleston. Allerdings ist ihr Kaffeehaus jetzt ein Teehaus. Auch Geschäftsleute müssen Zugeständnisse an die britische Herrschaft machen.“

„Ich bin froh, dass es den Gilberts gut geht“, lächelte Vivian.

„Da wäre noch etwas, Vivian“, bemerkte Robert mit einem abrupten Themenwechsel. „Könnte ich dich vielleicht noch kurz allein sprechen?“

„Ja, natürlich“, entgegnete Vivian verblüfft und folgte Robert unter den neugierigen Blicken der Welseys nach draußen in den Garten vor dem Haus, wo sie Robert erwartungsvoll ansah. „Also, was ist es, was du mir nicht vor den anderen sagen konntest?“

„Ich habe eine Nachricht für dich“, versetzte Robert mit einem unterdrückten Grinsen. „Von Cole.“

„Von Cole!“, entfuhr es Vivian mit einem leichten Beben in der Stimme. Sie spürte, wie sich ihr Pulsschlag unwillkürlich beschleunigte. „Ihm … ihm ist doch hoffentlich nichts passiert?“

Robert lachte. „Cole? – Nein, beileibe nicht! Er ist einer der besten Kämpfer, die wir haben. Dem passiert so schnell nichts! – Nein, ihm geht´s bestens, aber von einem bestimmten Engländer kann man das nicht mehr behaupten!“

Irritiert runzelte Vivian die Stirn. Wieso glaubte Robert, sie würde sich für das Schicksal irgendeines Engländers interessieren? „Was meinst du damit?“

Robert grinste. „Na komm, Vivian, kannst du dir nicht denken, wen ich meine? – Cole hat mir von diesem Lieutenant Milford erzählt! Und er lässt dir ausrichten, dass dieser Widerling dich nicht mehr belästigen wird. Er ist jetzt unser Gefangener.“

„Euer Gefangener!“, rief Vivian überrascht aus. „Aber ich dachte, Milford wäre in Charleston stationiert!“

„Keine Ahnung. Cole und seine Leute haben ihn jedenfalls geschnappt, als er eine Nachricht von Cornwallis an Clinton überbringen sollte. Da hat Cole wohl zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Allein schon die Botschaft war von Bedeutung. Aber als Cole dann den Namen des Boten hörte, erinnerte er sich sofort an das, was dieser Milford getan hat. Einer von Coles Männern erzählte mir, er habe noch nie erlebt, dass Cole so grob mit einem Gefangenen umgegangen wäre. Milford kann vermutlich froh sein, dass er in ein Gefangenenlager überstellt worden ist und nicht unter Coles Aufsicht bleiben musste.“

„Was meinst du mit grob? Cole ist doch wohl nicht gewalttätig geworden? Dieser Milford hätte es zwar verdient, aber dann würde Cole doch bestimmt Ärger bekommen!“

„Vivian“, grinste Robert, „der Einzige, der Ärger bekommen hat, ist Milford! Und zwar von Cole! Glaub mir, Cole ist kein gewalttätiger Mensch, aber in seine Gefangenschaft möchte ich nicht geraten, wenn ich dir das angetan hätte, was Milford versucht hat. Cole soll so wütend gewesen sein, dass er beinahe Feuer gespuckt hat, und ich kann´s ihm nicht verdenken.“

„Oh“, hauchte Vivian und blinzelte. Lebhaft stellte sie sich einen wütenden Cole vor. Sie konnte geradezu sehen, wie seine blauen Augen vor Zorn blitzten, und es war ein merkwürdiges Gefühl, dass sie der Grund sein sollte, dass Cole so in Rage geriet.

„Sag, Robert, hat Cole auch vor, sich dieser Armee von Washington anzuschließen?“

„Ja, allerdings. Wir wollen uns bald treffen. Wo, darf ich dir natürlich nicht sagen.“

„Ihr wollt euch treffen?“, horchte Vivian auf. „Dann … dann könntest du Cole etwas von mir ausrichten?“

„Klar“, lächelte Robert, mit einem amüsierten Glitzern in den Augen. „Und was?“

„Nun ja, ich … ich habe mich unverzeihlich kindisch benommen, als Cole und ich uns das letzte Mal gesehen haben“, gestand Vivian mit einem verlegenen Blinzeln. „Und es tut mir entsetzlich leid, was ich zu ihm gesagt habe. Es … es wäre schön, wenn du Cole sagen könntest, dass ich … dass ich es nicht so gemeint habe. Und dass ich mich wahnsinnig freuen würde, wenn er irgendwann nach Lakewood kommen könnte.“

Mit einem erstickten Lachen entgegnete Robert: „Na, da bin ich ja froh, dass du das sagst. Als Cole mich bat, dir von Milfords Gefangennahme zu erzählen, meinte er nämlich, es gäbe zwei Möglichkeiten, wie du reagieren würdest, wenn ich dir eine Nachricht von ihm brächte. Und ich muss sagen, ich bin unendlich froh, dass du nicht auf die zweite Art reagiert hast.“

„Die zweite Art?“, lachte Vivian verunsichert.

Robert zwinkerte ihr zu. „Mich von Lakewood fortzuschicken, sobald ich Coles Namen in den Mund nehme.“

„Gütiger Himmel! Das kann er doch nicht ernst gemeint haben!“, entfuhr es Vivian entgeistert. „Und was ist die erste Möglichkeit?“

„Dass du dir Sorgen um ihn machst und erleichtert wärst, zu erfahren, dass es ihm gut geht.“ Unvermittelt lachte Robert. „Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass Cole die zweite Möglichkeit je ernsthaft in Erwägung gezogen hat, auch wenn ihm der Streit mit dir ganz offensichtlich auf dem Magen lag. Aber du bist ihm nicht mehr böse, oder? Ich meine, du hast ihn doch gern, oder?“

Vivian lächelte verlegen. „Mehr, als ich sagen kann.“

„Darf ich ihm das sagen?“, fragte Robert mit einem breiten Grinsen.

„Untersteh dich!“, stöhnte Vivian.

„Wie du meinst“, lachte Robert. „Vielleicht sagst du es ihm ja auch besser selbst. Cole hat nämlich vor, nach Lakewood zu kommen, sobald wir die Schlacht, auf die wir uns jetzt alle vorbereiten, hinter uns haben.“

„Er will wirklich kommen? Hierher?“, strahlte Vivian.

Robert lachte schallend. „Ja, in der Tat! Und zumindest davon wirst du mich nicht abhalten, dass ich ihm erzähle, wie sehr du dich freust, dass er kommen will! Es wird ihm guttun, das zu hören, so vernarrt, wie er in dich ist. Aber wie auch immer, ich fürchte, ich muss jetzt los.“

„Oh, lieber Himmel!“, stöhnte Vivian und verdrehte die Augen. Mit einem verlegenen Lachen begleitete sie Robert zu seinem Pferd.

Mit einem schnellen Satz war Robert im Sattel, kaum dass Vivian ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. „Wünsch uns Glück, Vivian“, forderte er sie mit einem wehmütigen Lächeln auf, als er sich zum Abschied noch einmal zu ihr herunterbeugte. „Wir können es wirklich gebrauchen.“

„Von ganzem Herzen!“, beteuerte Vivian, unvermittelt beklommen. „Und pass auf dich auf, ja?“

„Klar“, lächelte Robert. „Du auch.“

Mit einem zittrigen Lächeln winkte Vivian ihm hinterher, als er in einem leichten Galopp davonritt. Auch wenn ihre Gefühle für Robert nicht mit denen für Cole zu vergleichen waren, so hatte sie ihn doch gern, und es bekümmerte sie, dass er wieder in den Kampf zog. Sie wünschte von ganzem Herzen, dass er die bevorstehende Schlacht heil und gesund überlebte. Und sie wünschte einen Sieg für Washingtons Armee. Nicht nur, damit die Engländer verjagt wurden, sondern vor allem, damit sie sich keine Sorgen mehr um Cole und ihre Freunde zu machen brauchte. Wer konnte wissen, wen sie nach dieser Schlacht noch wiedersehen würde. Wenn sie Robert richtig verstanden hatte, würde es eine bedeutende Schlacht werden. Beinahe alle ihre Freunde würden dabei sein. Und Cole wäre dabei. Lieber Gott, betete sie, lass uns diese Schlacht gewinnen, und vor allem: Lass niemandem etwas geschehen!

Tagelang hörten sie dann wieder nichts von der Außenwelt. Als Folge davon und den Nachrichten, die Robert gebracht hatte, lebten sie in einem Zustand ständiger Anspannung. Selbst Georgia vernachlässigte zuweilen die kleine Gwen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Auch Ann war, anders als es ihrer Gewohnheit entsprach, in diesen Tagen höchst reizbar. Sie hatte zwei Söhne, die an der Schlacht teilnahmen, und ihr dritter Sohn führte ein gefährliches Leben im Sumpf. Das waren Gründe genug, nervös zu sein. Und doch bemühte Ann sich immer wieder um Gelassenheit, wofür Vivian sie insgeheim bewunderte.

Vivian selbst gelang es deutlich schlechter, ihre bohrenden Ängste unter Kontrolle zu bekommen. Tag und Nacht war sie von kribbeliger Sorge erfüllt, vor allem um Cole. Die Vorstellung, dass ihm in der Schlacht etwas geschehen könnte, bereitete ihr schlaflose Nächte und ruhelose Tage. Gewiss, sie wäre in jedem Fall betroffen, wenn einem ihrer Freunde etwas zustieße. Aber der Gedanke, dass Cole verwundet oder getötet werden könnte, war am erschreckendsten. Von einer seltsamen Ahnung drohenden Unheils erfüllt, sehnte sie den Tag herbei, da er endlich auf Lakewood auftauchen würde, wie er es angekündigt hatte. Immer wieder versuchte sie sich einzureden, dass ihre Sorgen und Ängste unbegründet waren. Aber zu ihrem Kummer wusste sie nur zu genau, dass die Gefahr für ihn, wie auch alle anderen Rebellen, nur zu real war.

Um ihre Unruhe zu bekämpfen, griff sie irgendwann nach Nadel und Faden und nähte jede Menge kleiner Kleidchen für Gwen. Außerdem veränderte sie die Kleider, die sie von Ann erhalten hatte, um sie für sich passend zu machen. Sie brauchte diese neuen Kleider dringend, da ihre eigenen Sachen zum Teil in Charleston geblieben waren und sie den anderen Teil auf Sams Floß zurückgelassen hatte. Zu ihrem Verdruss jedoch beanspruchte das Nähen kaum ihren Geist, sodass ihre Gedanken immer wieder auf Wanderschaft gingen.

Andere Möglichkeiten sich zu beschäftigen gab es indessen kaum. Zwar war jetzt Hochsommer, und im Garten wäre eigentlich genug zu tun gewesen. Aber obwohl es heiß war, regnete es an manchen Tagen so stark, dass der Boden aufgeweicht und sumpfig war. Sogar die tiefer gelegenen Felder der Welseys unten am Fluss waren überschwemmt. Damit waren sie für die diesjährige Ernte unbrauchbar. Aber dann ließ der Regen schließlich nach, und die Tage wurden wieder heiß und trocken.

An einem besonders heißen Tag spät im August beschloss Vivian, ihr Nähzeug liegenzulassen und spazieren zu gehen. Sie konnte ihre nervöse Unruhe kaum noch unter Kontrolle bekommen und hatte das Gefühl, vor Angst und Sorge zu zerplatzen, wenn sie sich nicht endlich etwas bewegte. Inzwischen war es über zwei Wochen her, dass Robert auf Lakewood gewesen war, ohne dass auch nur das Geringste an Neuigkeiten zu ihnen durchgedrungen wäre. Immer stärker wurde die dunkle Vorahnung, dass die lange Stille nichts Gutes zu bedeuten hatte. Und immer stärker wurde Vivians Sorge um Cole. Sie betete, dass ihre Sorge sich als unbegründet herausstellte, doch in ihrem Inneren nagte die Angst. Auch als sie an diesem Vormittag in Richtung Fluss losmarschierte, wurde sie das beklemmende Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Noch nervöser als sonst folgte sie dem feuchten und morastigen Weg, der durch die Regenfälle der vergangenen Tage kaum noch passierbar war. Immer wieder versank sie bis zu den Knöcheln im Schlamm. Schließlich gab sie es auf und kehrte zu einer Weggabelung zurück, wo ein abzweigender Weg in den Wald hineinführte. Doch auch hier war es nicht wesentlich besser. Nachdem sie sich mindestens eine halbe Stunde lang durch schlammigen Waldboden gekämpft hatte und feststellen musste, dass sie dabei kaum vorangekommen war, kehrte sie frustriert um.

Sie war noch ungefähr eine Viertelstunde Fußmarsch vom Haus entfernt, als sie plötzlich undeutlich fremde Stimmen und Geräusche vernahm. Je mehr sie sich dem Haus näherte, desto lauter wurde es. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihr Atem ging schneller. Nie und nimmer waren das friedliche Besucher! Vivian merkte, wie sie zu zittern anfing. Bilder von Bellarbres schossen ihr durch den Kopf, die sie mit eiserner Willenskraft zu verscheuchen versuchte, doch es gelang ihr nicht. Von den entsetzlichsten Vorstellungen gepeinigt, raffte sie ihre Röcke und begann zu laufen, so schnell es der Morast zuließ.

Je näher sie dem Haus kam, desto mehr erkannte sie, dass es sehr viele Leute sein mussten, die sich auf dem Anwesen versammelt hatten. Sie hörte inzwischen heraus, dass es sich bei den lauten Stimmen um Männerstimmen handelte, doch konnte sie nicht verstehen, was gesagt wurde. Bald darauf begriff sie, dass Befehle gebrüllt wurden. Noch konnte sie nichts sehen, da der Blick auf das Haus vom Wald verdeckt wurde, aber der Tonfall der Männer klang bedrohlich. Wenn es nun wirklich Tories waren wie auf Bellarbres? Oder Plünderer?

Atemlos und mit schweißnasser Stirn erreichte sie schließlich den Waldrand, wo sie anhielt und sich hinter einem dichten Busch niederkauerte. Aus ihrer Deckung heraus blinzelte sie fassungslos auf das Geschehen auf dem Vorplatz des Hauses.

Vor dem Haus hatte ein Reitertrupp von etwa vierzig Mann Position bezogen. Ihre roten Röcke wiesen sie als Angehörige der britischen Armee aus. Die Dienerschaft Lakewoods hatte sich auf dem Vorplatz versammelt und starrte mit ängstlichen Mienen auf die Soldaten. Ein Sergeant und ein Offizier, ein Major, soweit Vivian erkennen konnte, standen Ann und Herbert auf der Terrasse gegenüber. Wie vom Donner gerührt hörte Vivian, wie der Sergeant mit erhobener Stimme ein Dokument verlas: „Im Namen Seiner Majestät, Georgs III., König von …“

Die nächsten Worte verhallten ungehört. Völlig entgeistert schlug Vivian sich eine Hand vor den Mund. Engländer auf Lakewood! War das nun besser oder schlimmer, als wenn Tories gekommen wären? Mit Wellen der Übelkeit kämpfend, versuchte sie angestrengt, die weiteren Worte zu verstehen:

„… wird der Lakewood genannte Besitz hiermit konfisziert, nachdem erwiesen ist, dass sich Tom Welsey, Sohn des Herbert Welsey, während der gegenwärtigen Rebellion in der Kolonie Süd-Karolina des Verrats an der Krone schuldig gemacht hat. Die Familie des Verräters wird hiermit aufgefordert, den konfiszierten Besitz zu verlassen und alles, mit Ausnahme einzelner persönlicher Dinge, zurückzulassen.“

Der Sergeant sagte noch einiges mehr, aber Vivian war zu geschockt, um weiter hinzuhören. Minutenlang hockte sie wie versteinert da, unfähig zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte. Sobald ihr Verstand wieder anfing zu arbeiten, fragte sie sich, was größer war: ihre Erleichterung, dass Lakewood nicht geplündert und seine Bewohner getötet wurden, oder ihr Entsetzen, dass sie jetzt alle ihr Heim verloren. Dann ging es ihr durch den Kopf, dass der Sergeant von Tom gesprochen und ihn einen Verräter genannt hatte. Dass die Engländer seinen Namen kannten, konnte nur bedeuten, dass sie ihn entweder gefangen genommen oder getötet hatten. Ein fürchterlicher Gedanke, den Vivian lieber nicht zu Ende dachte. Und wie erst musste Ann und Herbert zumute sein?

Ein Wimmern unterdrückend, riss sie sich zusammen und richtete sich langsam auf. Es hatte keinen Sinn, sich länger im Dickicht zu verstecken. Das Einzige, was sie tun konnte, war, sich Ann und Herbert anzuschließen und Lakewood so schnell wie möglich mit ihnen zusammen zu verlassen. Zaghaft machte sie einen ersten Schritt, um aus dem Schutz des Waldes hinauszutreten. Doch im selben Augenblick teilte sich das Gebüsch neben ihr, und eine wilde Gestalt kroch daraus hervor.

Vivian hätte vor Schreck fast laut aufgeschrien. Im letzten Moment presste sie die Hand vor den Mund und schluckte den Schrei hinunter.

„Robert! Um Himmels willen!“, keuchte sie, woraufhin Robert sofort warnend einen Finger auf die Lippen legte.

Vivian nickte zittrig und musterte Robert voller Entsetzen. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn, er war bleich und abgemagert, und die Kleidung zerrissen und blutbeschmiert. Er richtete sich schwankend auf, offenbar kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten.

„Vivian, oh Gott, bin ich froh, dass ich dich gefunden habe!“, japste Robert. „Du musst mir helfen!“

„Robert, um Gottes willen, was ist los? Bist du verletzt?“

„Nein, ich nicht, aber … Vivian, bitte, du musst mit mir kommen!“

„Mitkommen?“, wiederholte Vivian verständnislos. „Um Himmels willen, wohin?“

Er lehnte sich erschöpft gegen einen Baum, sah sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an und entgegnete sehr leise: „Vivian, es geht um Cole. Er ist schwer verletzt. Er braucht unbedingt Hilfe!“

Vivian hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihre Knie schienen sie nicht mehr tragen zu wollen, sodass sie sich an Roberts Arm klammerte, um nicht zu fallen.

„Wo … wo ist er?“, brachte sie heiser mit einer ihr völlig fremden Stimme hervor.

„In Herberts Jagdhütte“, flüsterte Robert. „Ich wollte ihn nach Lakewood bringen, aber … Gott, bin ich jetzt froh, dass ich es nicht getan habe! Coles Wunde brach immer wieder auf, und ich konnte ihn nicht so weit tragen, also wollte ich ein Boot nehmen, aber auf dem Fluss wurde es zu gefährlich, es wimmelt dort im Moment nur so von Rotröcken. Kein Wunder, jetzt weiß ich ja auch, wo sie hinwollten.“

Vivian setzte zu sprechen an, doch es wollte kein Wort herauskommen. Wie gelähmt starrte sie Robert an, ohne sich bewusst zu sein, dass ihr Gesicht sämtliche Farbe verloren hatte. Robert schüttelte sie leicht. „Vivian, um Gottes willen, reiß dich zusammen! Cole braucht so schnell wie möglich ärztliche Hilfe!“

„Ärztliche Hilfe?“, wimmerte sie, verzweifelt bemüht, ihre sieben Sinne zu sammeln. „Aber … um Himmels willen, Robert, woher denn? Selbst wenn es einen Arzt in der Nähe gäbe, könnten wir ihn doch nicht zu einem verletzten Rebellen bringen! Wir –“

„Es gibt keinen Arzt in der Nähe, Vivian, selbst wenn Cole kein Rebell wäre!“, unterbrach Robert ungeduldig. „Die Einzige, die ihm helfen kann, bist du!“

„Oh, Gott!“, stöhnte sie und atmete tief durch, verzweifelt bemüht, ihre aufsteigende Panik unter Kontrolle zu bekommen. „Robert, wie … wie schlimm ist Cole verwundet? Ist … ist er bei Bewusstsein?“

Niedergeschmettert schüttelte Robert den Kopf. „Er war besinnungslos, als ich ihn zurückließ. Ihm steckt eine Kugel im Oberschenkel, Vivian, und er hat viel Blut verloren. Ich fürchte, die Wunde ist entzündet, denn er hat hohes Fieber und ist in einem Zustand … Vivian, du hilfst ihm doch?“

Vivian schluckte und kämpfte gegen die Tränen an, die ihr die Kehle zuzuschnüren drohten. „Kannst … kannst du mich zu ihm bringen?“, flüsterte sie.

Robert atmete auf und ergriff ihren Arm. „So schnell es nur geht! Komm!“

Vivian nickte und wollte ihm folgen, doch dann blieb sie abrupt stehen. „Gütiger Himmel, Robert! Was ist mit Ann? Sie wird sich Sorgen machen, wenn ich nicht zurück–“

„Ann weiß Bescheid“, krächzte Robert zu ihrer Überraschung. „Ich erklär´s dir, sobald wir etwas weiter von den Rotröcken entfernt sind. Und nun komm und versuch, so leise wie möglich aufzutreten. Und gleichzeitig so schnell wie möglich. Es wird Zeit, dass Cole Hilfe bekommt.“

Vivian stellte keine weiteren Fragen und nickte. Je eher sie bei Cole war, desto besser, denn die Angst um sein Leben war schier unerträglich.

Schleichend führte Robert sie vom Anwesen der Welseys fort. So vorsichtig es ging, setzten sie einen Fuß vor den anderen, um auf keinen Ast zu treten, der knacken könnte. Erst als sie weiter weg waren, wagten sie, wieder zu reden. „Ich war im Haus bei Ann und Herbert“, nahm Robert den Faden wieder auf. „Sie sagten mir, dass du spazieren gegangen wärst. Aus Sorge um Cole wollte ich keine Zeit verlieren, also bin ich dir gefolgt, unmittelbar bevor die Rotröcke auftauchten. Gütiger Himmel, wenn ich nur zwei Minuten später das Haus verlassen oder auf deine Rückkehr gewartet hätte … Nun, wie auch immer. Ich habe Ann und Herbert natürlich gesagt, worum es geht. Wenn du nicht zurückkommst, werden sie sich denken können, dass ich dich gefunden habe und du mit mir gekommen bist.“

„Gott sei Dank“, wisperte Vivian.

„Ja, Gott sei Dank“, stimmte Robert grimmig zu. „Denn wenn ich nicht vorher bei ihnen gewesen wäre und sie dich suchen lassen würden, wären wir geliefert. Aber das wird nicht geschehen. Übrigens bin ich heilfroh, dass du spazieren gegangen bist. Denn ich weiß nicht, ob wir es geschafft hätten, rechtzeitig zu verschwinden, wenn du im Haus gewesen wärst.“

„Woher wusstest du, wohin ich gegangen bin?“

„Ann meinte, du wolltest zum Fluss runter. Als ich dich auf dem Weg nicht gefunden habe, dachte ich mir, dass du wegen des Schlammes einen anderen Weg eingeschlagen haben musstest, und bin wieder umgekehrt. Beinahe zu spät, denn so wie es aussah, warst du drauf und dran, zu den verdammten Rotröcken rüberzugehen.“

„Lieber Himmel, das stimmt“, stöhnte Vivian. „Dann hättest du mich niemals holen und zu Cole bringen können!“

„Ich hoffe nur, wir kommen nicht zu spät“, versetzte Robert unheilverkündend, sodass Vivian ein kalter Schauder der Angst über den Rücken jagte. „Dass ich Cole in seinem Zustand in der Hütte allein zurücklassen musste …“

„Werden die Engländer die Hütte nicht finden, wenn sie schon einmal in der Gegend sind?“, flüsterte Vivian.

„Glaub ich nicht. Sie liegt gut versteckt im Dickicht.“

„Wie weit ist es noch?“

„Nicht weit. Eine Stunde vielleicht.“

Vivian beschleunigte ihre Schritte. Es war ihr egal, dass ihr Kleid mehrere Male am Buschwerk hängenblieb und zerriss. Die bohrende Sorge um Cole verdrängte jeden anderen Gedanken. Endlich hatten sie die Hütte erreicht, und Vivian stürzte hinein und an Coles Seite.

Cole lag auf einem Lager aus Felldecken, auf dem er sich unruhig hin und her wälzte. Seine Augen waren geschlossen, aber die Lider flackerten zuweilen, so als phantasiere er. Vivian hatte das Gefühl, eine eisige Hand griffe nach ihrem Herzen, als sie sich neben ihm niederkniete und ihm gemeinsam mit Robert vorsichtig die blutdurchtränkte Hose auszog. Bis zum Knie hinunter war Coles linker Oberschenkel mit einem notdürftigen Verband umwickelt, durch den zu Vivians Entsetzen noch immer ein feiner Strom frischen Blutes sickerte. Bekümmert ließ Vivian ihren Blick zu Coles aschgrauem Gesicht wandern und strich sanft eine Haarsträhne aus seiner glühend heißen Stirn.

„Wir … wir müssen den Verband wechseln“, brachte sie endlich hervor. „Die Blutung muss irgendwie zum Stillstand gebracht werden.“

„Die Kugel steckt noch drin, Vivian, das habe ich dir doch gesagt! Die Wunde wird immer wieder aufbrechen und bluten, wenn die Kugel nicht herausgeholt wird. Oder die Entzündung bringt ihn um!“ Robert packte ihren Arm und zwang sie, ihren Blick von Cole abzuwenden und ihn anzusehen. „Vivian, du musst die Kugel herausholen! Du hast doch im Lazarett gearbeitet!“

„Aber ich hab doch noch nie operiert!“, schrie Vivian in Panik auf. „Wirklich, Robert, ich kann das nicht!“

„Du musst! Oder Cole stirbt!“

Cole durfte nicht sterben, nur das nicht! Vivian rang verzweifelt die Hände. Sie hatte Dr. Melling und Dr. Wilson bei vielen Operationen assistiert, aber doch nie selbst eine Kugel aus einer Wunde geholt! In der Theorie wusste sie, wie es ging, aber in der Praxis? Oh Gott! Und hier ging es um Cole! Wenn sie nun etwas falsch machte? Ein Würgen stieg ihr die Kehle hoch, aber sie kämpfte dagegen an. Sie musste jetzt ruhig bleiben, bloß ruhig bleiben. Auf keinen Fall durfte sie jetzt die Nerven verlieren!

Sie spürte, wie ihre Lippen unkontrolliert bebten, während sie tonlos flüsterte: „Leg Tücher und Laken bereit! Und heißes Wasser!“ Dann schoss es ihr siedend heiß in den Kopf: „Aber Robert, woher sollen wir denn überhaupt Verbandszeug nehmen?“

Robert lächelte matt, unendlich erleichtert über Vivians Entschluss, die Operation durchzuführen. „Dies ist eine Jagdhütte, Vivian. Herbert hat hier allerlei deponiert, um Vorsorge für einen Jagdunfall zu treffen. Er hat hier eine richtige Hausapotheke.“

Vivian atmete unmerklich auf. „Dann … dann bereite alles vor. Ich nehme in der Zwischenzeit den Verband ab.“

Robert tat, wie ihm geheißen, und Vivian machte sich mit zittrigen Fingern ans Werk. Behutsam begann sie, den Verband zu entfernen, aber sie war wohl nicht vorsichtig genug, denn Cole zuckte zusammen, stöhnte leise und öffnete einen Spaltbreit die Augen.

Verwirrt blinzelte er zu ihr hoch. Für einen Augenblick glaubte Cole, dass die liebreizende Erscheinung neben seinem Krankenlager nur ein Wunschbild seiner Phantasie sein konnte. Er wusste, dass er Fieber hatte, denn ganz sicher stand sein Krankenlager nicht in Flammen, auch wenn es ihm bei jedem Erwachen so schien. Wenn ihm nur nicht so heiß wäre, vielleicht wären dann auch die unbarmherzigen Schmerzen in seinem Bein erträglicher und es würde ihm leichter fallen, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Vermutlich war er im Delirium und alles, was er wahrzunehmen glaubte, nur ein Fieberwahn. Aber andererseits fühlten sich die Tränen, die auf sein Gesicht tropften, sehr real an, genau wie die herrlich kühlen Hände, die zärtlich seine heiße Wange streichelten. Durch den Schleier von Schmerz und Qual drang Vivians geliebte Stimme zu ihm durch, und ihm wurde schlagartig klar, dass er sich ihre Anwesenheit keineswegs nur einbildete. Er war überwältigt, dass sie bei ihm war und wie liebevoll sie ihn ansah, und wollte es ihr sagen, aber so sehr er sich auch anstrengte, seine Stimme wollte ihm offenbar nicht gehorchen und war kaum zu hören.

„Kleine … Lady … Vivian … Wo …?“

Vivian schluckte und musste gegen die Tränen ankämpfen, die ihr den Hals zuschnürten, aber sie lächelte tapfer dagegen an und strich ihm zärtlich die dunklen Haare aus der schweißnassen Stirn. „Wir sind in einer von Herberts Jagdhütten. Robert sagt, es wäre hier sicher. Du … du kannst hier in aller Ruhe gesund werden, mein Liebster.“

Er spähte blinzelnd zu ihr hoch, und für einen sehr kurzen Augenblick verschwand der schmerzvolle Ausdruck aus seinen Augen, und ein überraschtes Lächeln zuckte um seine blassen Lippen.

Da Robert inzwischen bemerkt hatte, dass Cole wach war, kam er mit einem Becher in der Hand zu ihnen herüber und hielt ihn Vivian hin. „Etwas Wasser wird ihm guttun. Ist frisch aus dem Brunnen hinter der Hütte. Ich hol jetzt die anderen Sachen, die du brauchst.“

Vivian nickte. Dann stützte sie behutsam Coles Kopf. Bekümmert stellte sie fest, dass selbst das Schlucken Cole so sehr anzustrengen schien, dass er erschöpft die Augen schloss, während sie ihm nach und nach ein paar Tropfen Wasser einflößte. Als sie den Eindruck hatte, dass er genug getrunken hatte, ließ sie ihn vorsichtig aufs Lager zurückgleiten.

Die Augen öffnend, runzelte er schwach die Stirn, schaute zu ihr hoch und flüsterte angestrengt: „Kleine Lady, wie … kommst du … nur … hierher …?“

Vivian ergriff seine Hand und hielt sie fest, wobei sie erschrocken war, wie heiß und kraftlos Coles Hand in ihrer lag. „Ich dachte … du würdest dich vielleicht freuen, mich zu sehen“, entgegnete sie sanft, sich daran erinnernd, dass Cole das einmal zu ihr gesagt hatte.

„Kann dir … gar nicht sagen … wie sehr.“

„Ich … ich muss mich jetzt nur noch ein wenig um dein Bein kümmern, Cole. Und dann wird alles wieder gut.“

„Beste … Krankenschwester … von ganz … Charleston“, keuchte er mühsam, aber mit einem unbezwingbaren Zwinkern in den Augen. Vivian hatte einen Kloß im Hals, aber sie brachte ein Lächeln zustande und drückte seine Hand. Schwach erwiderte er ihren Händedruck, doch dann fielen ihm die Lider über die Augen, und seine Hand fiel schlaff herunter.

Vivian wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und fuhr vorsichtig mit dem Entfernen des Verbandes fort. Cole stöhnte unterdrückt und warf den Kopf zur Seite, als sie die Bandagen zaghaft von dem verkrusteten Blut löste.

„Es tut mir so leid“, flüsterte Vivian heiser. „Ich wünschte, ich müsste dir nicht so wehtun.“