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Er ist der Prinz der Cosa Nostra und sie die Hexe, die ihm sein Herz stiehlt Venesa Andersen war noch nie gut. Sie war nicht gut genug für ihre Eltern, und sie ist auch nicht gut genug für den Onkel, der sie nach deren Tod bei sich aufgenommen hat. Aber sie ist gerissen. Schön. Gehorsam. Und für einen moralischen Kompass hat sie sowieso keine Zeit. Als ihre weggelaufene Cousine in die südliche Küstenstadt zurückkehrt, bringt sie einen Mann mit ... und Venesa merkt bald, dass er der Einzige ist, der sie je um ihrer selbst willen gesehen hat. Es gibt nur ein Problem: Sie kann ihn niemals haben. Enzo Marino ist tagsüber ein reicher Geschäftsmann und nachts ein Fürst der Unterwelt. Als Unterboss eines berüchtigten Mafia-Syndikats untersteht er niemandem außer seinem Vater, dem mächtigsten Don im Nordosten. Als er mit der Heirat beauftragt wird, überlegt Enzo nicht lange. Bis er die Cousine seiner Verlobten kennenlernt. Venesa ist all das, was er sich nie gewünscht hat, und verzaubert ihn mit ihrer sinnlichen Stimme und ihren geschmeidigen Kurven. Aber Enzo hat schon vor langer Zeit gelernt, dass das Leben für einen Mann wie ihn besser ist ohne die Dinge, die er will. Doch als die Versuchung ihr Sirenenlied singt, müssen sich beide entscheiden, was wichtiger ist: die Pflicht gegenüber ihren Familien oder eine verbotene Liebe, die nie hätte sein sollen. Hexed ist ein düsterer Liebesroman und der sechste, unabhängig lesbare, Teil der Never-After-Serie: einer Sammlung von gebrochenen Märchen, in denen die Bösewichte die Helden sind. Es handelt sich nicht um eine Nacherzählung. Hexed enthält Themen und Inhalte, die möglicherweise nicht für alle Leser:innen geeignet sind. Alle Warnhinweise zum Inhalt findet ihr auf der Webseite der Autorin.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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© Hexed by Emily McIntire 2024
© der deutschsprachigen Erstausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2025
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Birte Mirbach
Redaktion: Antje Steinhäuser
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: zero-media.net, München nach einem Entwurf von Cat/TRC Designs Covermotiv: unter Verwendung von Shutterstock und depositphotos
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Cover & Impressum
Playlist
Widmung
Zitat
Anmerkung der Autorin
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Epilog
Erweiterter Epilog
Steckbriefe
Venesa Andersen
Enzo Marino
Werde Mitglied bei McIncult!
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
»Poor Unfortunate Souls« – Pat Carroll, Disney
»Anti-Hero« – Taylor Swift
»What Was I Made For« – Billie Eilish
»Only Love Can Hurt like This« – Paloma Faith
»Bring Me To Life« – Evanescence
»Kiss Me« – Sixpence None The Richer
»But Daddy I Love Him« – Taylor Swift
»The Loneliest« – Måneskin
»Who I am« – Wyn Starks
»All Of Me« – John Legend
Für alle, die sich schon unbeachtet gefühlt haben.
Aber eine Meerjungfrau hat keine Tränen, und darum leidet sie so viel mehr.
Hans Christian Andersen, Die kleine Meerjungfrau
Hexed ist ein düsterer, zeitgenössischer Liebesroman. Es ist ein gebrochenes Märchen für Erwachsene, keine Fantasy oder Nacherzählung.
Die Hauptfigur ist ein Schurke. Wenn du auf der Suche nach einer ungefährlichen Lektüre bist, wirst du das auf diesen Seiten nicht finden.
Hexed enthält sexuell explizite Szenen, die anschaulich beschrieben werden und nicht für jede Zielgruppe geeignet sind. Es liegt in deinem Ermessen, ob du dieses Buch lesen möchtest. Wenn du eine Liste mit detaillierten Triggern möchtest, findest du sie auf EmilyMcIntire.com.
VenesaEinundzwanzig Jahre alt
»Denkst du je über den Tod nach?«
Es ist eine einfache Frage, aber der Mann, der – an den Holzstuhl der Hotelsuite gefesselt – unter mir sitzt, antwortet nicht. Stattdessen rutscht er hin und her, die Beule in seiner Hose stößt zwischen meine Schenkel. Ich lasse die Finger am Kragen seines Abendhemdes entlang und unter seine schmale, schwarze Krawatte gleiten, und während ich mich vorbeuge, streife ich seinen Oberkörper mit der Brust, und mein Atem trifft auf seine Ohrmuschel.
Sein Körper zittert.
Meiner hingegen versucht, voller Abscheu zurückzuweichen.
Meine Lippen berühre ihn beinahe, aber diesen letzten Millimeter überbrücke ich nicht. Schließlich ist mein Lippenstift rot, und ich darf keinen Beweis meiner Anwesenheit auf seiner Haut hinterlassen.
»Was?«
»Du hast mich gehört«, wispere ich und verstärke den Griff um seinen Schlips, während meine andere Hand jetzt auf seiner Schulter ruht.
»Ob ich über den … Tod nachdenke?« Er senkt den Blick und mustert meinen Busen mit seinen braunen Augen. Mein Kleid ist tief ausgeschnitten und meine Brüste groß, und ich benutze beides, um ihn abzulenken.
Männer sind so simpel.
Ich rutsche hin und her und verlagere mein gesamtes Körpergewicht auf seinen Schoß. Er stöhnt auf und sein Kopf fällt zurück, ob vor Qual oder Vergnügen weiß ich nicht. Wenn er mich nicht darum gebeten hätte, ihm die Hände hinter dem Rücken zu fesseln, würde er mich jetzt vermutlich so fest an der Taille packen, dass er blaue Flecke hinterlässt.
Zu meinem Glück hat Joey hier ein Faible für Fesselspiele.
Ich sehe mich in seiner Präsidentensuite um.
Wir befinden uns mitten im Wohnzimmer. Direkt nach meiner Ankunft habe ich den Stuhl umgestellt und ihn angelächelt, als er mich darum bat, ihn mit seinem mitgebrachten schwarzen Seil zu fesseln. Joey glaubt, ich wäre gekauft und bezahlt, aber in Wahrheit bin ich noch so viel mehr.
Vor uns steht ein großes, braunes Ledersofa, das zum Flachbildschirmfernseher hin ausgerichtet ist, und hinter ihm befinden sich Fenstertüren zum Hauptschlafzimmer. Sie stehen offen und geben den Blick frei auf ein Doppelbett mit kleinen, eingeschweißten Minzschokolade-Quadraten auf flauschigen, weißen Kissen mit dem Logo des Marino-Hotels mitten darauf.
Joey verbringt nicht wirklich die Nacht hier, und das sieht man daran, wie unberührt dieser Raum ist. Das Hotel ist einfach nur ein netter Ort, um ein paar seiner dunkleren Sehnsüchte heimlich auszuleben.
So wie mich.
Auch wenn ich bezweifle, dass er je mit einem solchen Streich gerechnet hätte.
Grinsend zerre ich ihn vorwärts, soweit das seine Fesseln erlauben.
»Genau das«, sage ich gedehnt. »Tod.«
»Nicht besonders.« Er zögert. »Du etwa?«
»Die ganze Zeit.«
Es ist das Aufrichtigste, das ich ihm heute Abend sagen werde.
Er runzelt die Stirn. »Ich habe dich nicht hierhergeholt, um über solche kranken Sachen zu sprechen. Und jetzt setz deine Lippen gefälligst sinnvoll ein.«
»Mmm«, murmele ich und lasse seine Krawatte los, sodass er gegen den Stuhl sinkt. »Und ich hatte gedacht, dass wir uns hier amüsieren würden.«
Sein Körper zuckt so abrupt unter mir, dass ich auf und ab hüpfe.
Langsam zieht sich ein Lächeln über mein Gesicht. »Geht es dir gut? Du wirkst ein bisschen aufgewühlt, mein Lieber.«
Er dreht das Gesicht zur Seite, seine geröteten Wangen werden sogar noch fleckiger. »Mir geht es gut.«
»Wenn du das sagst.«
Es geht ihm nicht gut, aber ich werde ihm noch ein paar Minuten geben, damit er es selbst merkt.
Ich fahre mit den Fingern über mein entblößtes Schlüsselbein und lasse sie in meinem Dekolleté verschwinden, wo ich ein Taschenmesser in meinem BH versteckt habe, und ich spüre seine Anwesenheit so deutlich, als würde das Metall an meiner blassen Haut vibrieren. Normalerweise stehe ich absolut auf Gift bis zum bitteren Ende – es ist kunstvoller, macht mehr Spaß – aber die Anweisungen für diesen Auftrag waren unmissverständlich.
»Was machst du da?« Wieder zuckt er, und diesmal wölbt sich sein Hals krampfhaft. »Verdammt.«
Ich drehe seine Wange wieder zu mir und klopfe mit den Fingerspitzen darauf. »Schsch. Nicht sprechen, Darling.«
»Es reicht mit den Kosenamen«, faucht er.
Ich lächele.
Er ist wirklich ziemlich erbärmlich, wenn er aufgebracht ist.
Beklommenheit huscht über sein Gesicht, und sein Bein zuckt und stößt mich vorwärts, bis meine Brüste an seinen Brustkorb gepresst werden.
»Bin-binde mich los«, stottert er.
Ich ziehe das Messer heraus und lasse es aufspringen, bevor ich mit meinen blutroten Nägeln über die scharfe Klinge fahre. »Joey, mein Lieber, es steht dir jetzt nicht wirklich zu, Forderungen zu stellen.«
»Binde mich los, du Miststück«, wiederholt er. »Sofort. Weißt du, wer zum Teufel ich bin …«
Er verstummt mitten im Satz, als ein weiteres Zittern ihn erbeben lässt, und ich nutze die Gelegenheit und fahre ihm mit der Metallschneide über die Wange und den Adamsapfel, bevor ich sie am Ansatz seiner Kehle ruhen lasse.
»Vorsicht mit diesem dreckigen Mundwerk«, säusele ich und drücke auf den Messergriff. »Du törnst mich an.«
Er zieht an seinen Fesseln und will zweifellos fliehen, aber das wird ihm nicht gelingen. Als ich fünfzehn war, hat mein Onkel mir beigebracht, wie man diese Knoten knüpft, und seitdem habe ich eine Menge praktische Erfahrung gesammelt. Dennoch verändert die Bewegung den Winkel der Klinge, und ein dunkelroter Blutstrom läuft ihm den Nacken hinunter.
Seine Beine krampfen erneut, und ich schwanke leicht auf seinem Schoß.
»Ich fürchte, deine kleinen … Muskelkrämpfe werden nur noch schlimmer werden, Liebling.«
»Wa-was?«, stottert Joey.
Ich sehe ihn voller Mitleid an. »Wegen dem Strychnin, mit dem ich deinen Drink versetzt habe, als du dein Gesicht an meine Brüste gedrückt hast.«
Seine Atmung beschleunigt sich, bis er um Luft ringt.
Wie aufs Stichwort.
Du kannst dich nie auf einen Mann verlassen, aber dafür immer auf das Gift, das ihn umbringt – oder wie auch immer diese Redewendung lautet.
»Ich weiß nicht, ob du dich jemals mit der Schönheit von Giften beschäftigt hast.« Prüfend sehe ich ihn an. »Wahrscheinlich nicht. Ganz ehrlich, das ist eine vergessene Kunst. Die die Menschen nicht mehr zu schätzen wissen. In meinen Zaubertränken liegt Schönheit.« Ich halte inne und grinse selbstzufrieden. »So nennt mein bester Freund zu Hause meine kleinen Zubereitungen – Zaubertränke, als wäre ich irgendeine Hexe, die dir deine Seele stehlen möchte.«
»Ver… verdammt …«
»Rein technisch gesehen liegt er damit wohl nicht falsch«, sage ich zu mir selbst und blicke dann mit geneigtem Kopf wieder Joey an. »Die Nachtgöttin Nyx wartet schon ungeduldig auf ein Opfer, und auch wenn sie verbrannte und vergrabene Tiere bevorzugt, kann ich mich nie dazu überwinden, ihnen wehzutun, also müssen Menschen dafür genügen.«
Jetzt verarsche ich ihn einfach. Auch wenn ich tatsächlich unheilvolle Magie ausübe, opfere ich den Göttern nicht wirklich Lebewesen. Das tun die wenigsten Hexen.
»Du bist eine ver… verdammte … Ir… Irre.«
Mit einem Seufzen ziehe ich das Messer zurück. »Liebling, ich habe dir doch gesagt, dass du nicht deinen Atem verschwenden sollst. Wenn ich hier bin, dann nur deshalb, weil du einen Pakt mit dem Teufel eingegangen bist, und du kann nichts tun, um dich zu retten.«
»Ich habe ni-nichts getan.«
»Oh, mein Lieber, ich glaube dir ja, tatsächlich, aber du weißt doch, wie es in diesem Geschäft läuft.« Ich winke ab. »Es ist besser, wenn ich nicht wirklich über die Einzelheiten Bescheid weiß.«
Inzwischen zittert sein gesamter Körper und zuckt unkontrollierbar, während er nach Atem ringt.
Ganz ehrlich wird diese ganze Angelegenheit für meinen Geschmack allmählich ein bisschen ermüdend, und ich fange an, mich zu langweilen.
»Hilft es dir, wenn ich dir sage, dass ich es gerne tun würde? Ich meine, dich zu retten. Ich versuche inzwischen, mich zu bessern, weißt du? Den Menschen zu helfen, statt ihnen wehzutun.«
Das stimmt nicht, nicht wirklich. Es ist nur etwas, was ich manchmal sage, weil ich dadurch umgänglicher wirke.
»Du … tu-tust mir … weh, Fotze.«
Mein Lächeln verschwindet. »Stimmt. Jedenfalls, was das Wehtun anbetrifft. Was die Fotze anbetrifft, müssten wir noch darüber diskutieren.«
Ich nehme sein Kinn in die Hand und bohre die Fingernägel in seine Haut, sodass ich Halbmonde darin hinterlasse. »Unglücklicherweise hast du mit jemandem neben mir einen Handel abgeschlossen. Und ein Deal ist ein Deal, Darling, egal, mit wem du ihn eingehst.« Ich verziehe das Gesicht, während ich sehe, wie bleich seine Haut wird, und tätschele ihm die Wange, bevor ich ihn wegschiebe. »Du verstehst das doch.«
Sein Hals zuckt zurück, und sein Mund öffnet sich zu einem langen, schmerzhaften Keuchen.
Schlagartig jage ich ihm das Metall tief in die Halsschlagader.
Joeys Schrei ist laut, aber kurz, in seiner Kehle sammelt sich Flüssigkeit an, und er gibt ein gurgelndes Geräusch von sich. Ganz ehrlich, ich verstehe kein Wort davon.
Nach meiner Erfahrung ist es ohnehin besser, wenn die Männer nicht sprechen können.
Meine Adern sind so voller Adrenalin, dass meine Trommelfelle im Einklang mit meinem Herzen pulsieren.
Joeys starke Zuckungen bringen den Stuhl zum Wackeln, also rutsche ich nach vorne und hoffe, dass mein zusätzliches Gewicht ihn vor dem Umkippen bewahrt. Weiterhin fließt Blut um die Schneide herum heraus und über den gestärkten Kragen seines cremefarbenen Hemdes, und ich fasse den Griff so fest, dass meine Knöchel geisterhaft weiß werden.
Dann reiße ich das Messer heraus, springe von seinem Schoß herunter und ziehe mich zurück, während eine rote Fontäne aus der Wunde spritzt. Ich will nicht, dass etwas davon auf meinen Kleidern landet. Rein vorsichtshalber habe ich mich schwarz angezogen – weil ich mich kenne –, aber es handelt sich um ein neues Kleid, das ich mir zwar nicht leisten konnte, aber einfach haben musste, und ich hoffe wirklich, es noch einmal anziehen zu können. Jetzt kippt der Stuhl tatsächlich um und rumst gegen den Fußboden, und mit kranker Faszination beobachte ich, wie Joeys Stöhnen leiser wird und er leblos auf dem befleckten Teppich zusammensackt.
Langsam und gleichmäßig ausatmend hocke ich mich hin, bis ich sein Gesicht sehen kann. Bei seinem Anblick zucke ich zusammen.
Ja, Gift ist viel sauberer.
Joeys glänzende Augen sind offen und leer, und er blinzelt nicht.
Die Stille lastet so schwer, dass mir die Ohren klingeln.
Er hat nicht geschrien, bis auf den einen kurzen Ausbruch zu Anfang. Wahrscheinlich zu stolz, um Schwäche zu zeigen, selbst in seinen letzten Momenten. Wie so viele Männer von seinem Format.
»Vielen Dank für die herzliche Begrüßung, Joey«, sage ich zu seiner Leiche und wischen meine Klinge am Saum seines Hemdes ab. »Die Kingston-Familie lässt dich grüßen.«
VenesaZwei Jahre später
»Was zum Teufel machst du hier?« Die schrille Stimme meiner Cousine durchschneidet die Luft, während ich ihr an einem einsamen Teil des Hudsons gegenüberstehe.
Es ist dunkel heute Nacht, die Wolken schlucken sogar den Mondschein, weshalb es lange gedauert hat, bis sie mich bemerkte. Zu ihrem Glück bin nur ich es. Es hätte sie jeder finden können, und so wenig, wie sie von ihrem Umfeld mitbekommt, wäre sie schon tot, bevor sie auch nur schreien könnte.
»Hey, Aria. Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Ich grinse sarkastisch und mustere ihre Kleidung.
Ein smaragdgrünes Abendkleid, die scharlachroten Haare zu einer unordentlichen Frisur hochgesteckt, die definitiv schon bessere Zeiten gesehen hat, und an ihren Fingern baumeln zwei Schuhe mit roten Sohlen, einer davon mit abgebrochenem Absatz.
Immer die verwöhnte Prinzessin, selbst wenn sie wie die wandelnde Katastrophe aussieht.
»Auf einem Mitternachtsspaziergang?«, frage ich.
Sie streicht sich eine Haarsträhne aus der glatten Stirn, bevor sie mir einen vernichtenden Blick zuwirft. »Was ich mache geht dich überhaupt nichts an. Woher wusstest du überhaupt, wo ich bin? Und warum bist du in New York?«
»Für ein Mädchen mit kaputten Schuhen und offensichtlichem Todeswunsch stellst du eine Menge Fragen.« Ich weise auf unser Umfeld.
Ich habe sie auf die gleiche Art wie immer ausfindig gemacht: Mein Onkel hat nicht nur in ihrem Mobiltelefon einen Peilsender installiert, sondern auch in dem Armband, das sie zum sechzehnten Geburtstag bekommen hat.
Ehrlich gesagt steckt wahrscheinlich in allem, was er ihr je geschenkt hat, ein Peilsender, also in ihrem kompletten Kram. Es ist ja nicht gerade so, dass Aria selbst Geld verdient, und er ist mehr als überfürsorglich, wenn es um seine einzige Tochter geht, selbst nachdem sie vor ein paar Jahren Knall auf Fall die Stadt verlassen hat. Manchmal frage mich, ob ihr bewusst ist, dass man es nicht wirklich als »Weglaufen« bezeichnen kann, wenn sie sich ihr ganzes Leben von ihm finanzieren lässt, aber sie scheint soweit glücklich zu sein, und sie hat es schon immer genossen, ein Luxusleben zu führen, also überrascht es mich nicht wirklich.
Aria verschränkt die Arme. »Hat er dich wieder hergeschickt?«
Ich grinse süffisant.
Sie kennt die Antwort bereits.
»Ich bin verdammt noch mal kein Kind mehr! Ich komme allein zurecht. Erinnere ihn auf jeden Fall daran, wenn du wieder nach Hause zurückkehrst.« Sie stampft mit dem Fuß auf und zuckt dann zusammen, bevor sie ihn anhebt, um sich die Fußsohle anzusehen. Ein dünner roter Faden zieht sich darüber hinweg, und sie stöhnt auf. »Na klasse.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, blicke betont auf den abgebrochenen Absatz des Schuhs in ihrer Hand und dann auf die verlassene Gegend, in der wir uns befinden. »Mal ernsthaft, warum krabbelst du in einen tausend Dollar teuren Kleid über feuchte Felsen und durch trübe Gewässer?«
Sie antwortet nicht sofort. Stattdessen wirft sie mir einen sonderbaren Blick zu, als sollte ich bereits wissen, warum sie hier so leichtsinnig herumtobt.
»Ich hatte eine Verabredung«, erwidert sie schließlich. »Es lief nicht gut, und es ist … so friedlich auf dem Wasser.«
Dann setzt sie sich in Bewegung und stolpert an der felsigen Uferlinie entlang zwischen den Steinen hindurch, wobei sie mit ihren zarten Fingern an den größeren davon nach Halt sucht.
»Wo zum Teufel willst du hin, Aria? Willst du gar nicht wissen, was der gute, alte Daddy dir zu sagen hat?« Widerwillig folge ich ihr.
Sie stolpert und stößt ein scharfes Zischen aus.
»Du schneidest dir noch die Füße auf und riskierst eine Infektion«, versuche ich es erneut, nur um sie zu bremsen.
Sie dreht sich zu mir um und bleibt stehen. »Du machst so ein Drama daraus«
»Aus deinem Mund klingt das wie ein großes Lob«, sinniere ich. »Vielleicht sollte ich mein Glück in New York versuchen und diese Gesangssache ausprobieren, und du kannst dann nach Hause gehen und für deinen Daddy arbeiten.«
»Mal ernsthaft.«
»Glaubst du etwa nicht, dass ich mehr Glück damit hätte, Termine fürs Vorsprechen am Broadway zu ergattern?«
Sie schnauft. »Ach bitte.«
Natürlich meine ich das nicht ernst. Ich genieße es, für meinen Onkel zu arbeiten, und ganz besonders, seit Aria vor ein paar Jahren fortgegangen ist und ich nun seine volle Aufmerksamkeit bekomme. Abgesehen davon bin ich davon überzeugt, dass Aria keine Ahnung hat, was ihr Vater tatsächlich ist. Für sie ist er nur der reichste Geschäftsmann im Süden.
Doch was ich für ihn mache, ist so viel mehr als das. Ich helfe ihm dabei, das hohle Vermächtnis zu unterfüttern und sicherzustellen, dass der wahre Ursprung seiner Macht im Verborgenen bleibt.
Korruption kommt mit glänzenden Gebäuden und schicken Anzügen daher, und in Wahrheit ist mein Onkel nicht nur ein respektierter Geschäftsmann, sondern auch der mächtigste Gangster im Süden.
Jedenfalls mache ich Aria keine Vorwürfe, dass sie South Carolina verlassen hat. New York ist etwas Besonderes. Auf der anderen Seite des Hudson, von den dicken Stahlseilen einer Brücke unterbrochen, liegt die Skyline der Stadt, und wenn ich sie sehe, wärmt es mir das Herz.
Es gefällt mir hier sehr gut, aber ich würde das nicht laut aussprechen, weil ich damit praktisch zugeben würde, etwas mit Aria gemein zu haben.
Schon seit unserer Kindheit ist sie von Manhattan besessen. Sie suchte in Zeitschriften nach Bildern, die sie ausschnitt und wie Schaufensterdekoration an ihre Wand heftete, und vermutlich hat ihre Besessenheit auf mich abgefärbt.
Allerdings ist das alles absurd. Es gibt einen Grund, warum Träume nichts weiter sind als eben das: Träume.
Vielleicht begreift sie das eines Tages … oder auch nicht. Was kümmert es mich?
»Nun.« Sie breitet die Arme aus. »Was ist dann los? Spuck es aus, Streunerin. Was will Daddy jetzt von mir? Hat er dich hergeschickt, damit du mir hilfst?«
Ich erwache aus meiner Träumerei und starre Aria finster an wegen des Spitznamens, während ich auf sie zu gehe und mich nach Kräften bemühe, nicht auf den Felsen auszurutschen. »Was meinst du mit dir helfen? Wobei?« Ich sehe sie verdattert an, denn wovon redet sie überhaupt? »Er will einfach nur wissen, ob es dir gut geht.«
Aria blinzelt mich an, und der gleiche verwirrte Ausdruck wie vorhin zieht über ihr Gesicht. »Mehr nicht?«
Ich zucke die Schultern. »Ja. Du kennst ihn doch.«
Natürlich will ich nicht zugeben, dass mein Onkel – der behauptet, ich wäre seine wichtigste Stütze – mich hergeschickt hat, um höchstpersönlich spät abends nach seiner verwöhnten Tochter zu sehen, und ich Ja gesagt habe, weil ich mich verzweifelt nach seiner Anerkennung sehne.
Laut Fisher, meinem besten Freund, ist meine unverbrüchliche Treue meine größte Schwäche, aber da bin ich anderer Meinung.
»Dir geht es also gut? Abgesehen von was auch immer das hier ist?« Ich weise auf ihr katastrophales Erscheinungsbild.
Sie wirft mir einen finsteren Blick zu. »Könntest du bitte die Klappe halten? Himmel, du bist immer so …«
Ein tiefes, leises Stöhnen unterbricht sie mitten im Satz, und ich greife nach ihrem Arm, um sie zum Schweigen zu bringen, während sich mein Herzschlag beschleunigt.
Das klang nach einem Menschen.
Und ich weiß nicht, wieso Aria hier gelandet ist oder in welche Art von Schwierigkeiten sie sich vielleicht gebracht hat, die sie so verhärmt aussehen lassen, aber in einem verlassenen Bereich des Flusses abzuhängen, der für Leichen mit Betonschuhen bekannt ist, steht nicht gerade hoch oben auf meiner To-do-Liste.
Aria sieht sich um und zieht eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch. »Was gehört?«
Als ich ein weiteres Stöhnen höre, wirbele ich herum und mustere die großen, feuchten Felsen und die dunklen Schattenstellen, die den Bereich umgeben.
»Mal ernsthaft, hörst du das nicht?«
»Wen kümmert’s?« Aria blickt auf ihre Fingernägel, als würde es sie überhaupt nicht scheren. »Hör mal, wo du schon da bist, sag Daddy doch, dass ich ein bisschen mehr Spielraum bei meinem monatlichen Unterhalt brauchen könnte.«
Ich ignoriere sie und gehe auf das Wasser zu, um den Ursprung des Geräusches ausfindig zu machen.
Aria stolpert hinter mir her. »Hey! Hörst du mir zu?«
»Wer kann dich mit solch einer Stimme schon ignorieren?«, schnauze ich zurück.
»Du bist erbärmlich, weißt du das? Ich wünschte mir, du würdest dorthin zurückkehren, wo du hergekommen …«
»Klappe«, fauche ich und fokussiere den Blick auf eine Gestalt in der Entfernung.
Bei den Felsen liegt ein Mann, nah genug am Wasser, dass es an seinem Körper leckt, als versuchte es, ihn zu wecken. Aber seine Augen bleiben geschlossen, und jedes Mal, wenn die kleinen Wellen auf ihn treffen, bewegt er sich nur wie eine schlaffe Stoffpuppe.
Na klasse. Sterbende Männer standen heute Abend auch nicht auf meiner Agenda.
Mit einem tiefen Seufzer lege ich den Kopf in den Nacken und starre zum Himmel hoch. Zunehmender Mond. Fantastisch für Neuanfänge. Ich hätte nie behaupten sollen, ein besserer Mensch werden zu wollen. Es wäre ja nicht so, als hätte ich das ernst gemeint. Gut zu sein ist überbewertet.
Und jetzt verspottet das Universum mich.
»Venesa«, zischt Aria.
Ich ignoriere sie und gehe einen Schritt näher, wobei ich den Kopf schieflege. Er sieht jung aus, aber nicht zu jung, und er kommt mir seltsam vertraut vor, auch wenn das schwer zu sagen ist mit all dem Dreck und Blut in seinem Gesicht.
»Streunerin, was zum Teufel machst du …? Ach du meine Güte«, stößt Aria aus, während sie zu mir aufschließt.
»Mmmm«, nicke ich und mache Inventur.
Er ist definitiv bewusstlos, zumindest zum Teil, und zweifellos ist er verletzt. Wahrscheinlich irgendein Kleinkrimineller, der sich in Schwierigkeiten gebracht hat. Aber da er einen teuren – und komplett ruinierten – Anzug trägt, könnte es auch schlimmer sein. Er könnte ein Mafioso sein.
Ich sollte mich nicht einmischen.
»Wir sollten von hier verschwinden«, flüstert Aria, die blauen Augen weit aufgerissen.
Ich schüttele den Kopf. »Wir können ihn hier nicht einfach liegen lassen.«
»Was?«, zischt sie. »Bist du verrückt?«
»Ich versuche, ein anständiger Mensch zu sein«, fauche ich.
»Dafür ist es ein bisschen zu spät,« murmelt Aria verärgert.
Ich blinzele sie an.
Jetzt macht sie mich echt sauer.
Ich lecke mir über die Lippen und starre sie noch einen Moment an, bevor ich mich wieder in Bewegung setze und direkt neben dem verletzten Fremden stehenbleibe.
Arias Schritte knirschen auf den feuchten, schlammigen Kieselsteinen hinter mir. »Himmel, er sieht halb tot aus. Lass ihn doch einfach für die Fische liegen oder was auch immer. Lass uns verschwinden.«
Sie hat recht, ich weiß, dass sie recht hat, aber dennoch …
Ich sinke auf die Knie, um an seinem Hals nach dem Puls zu suchen. Er ist schwach, aber vorhanden. Aus einer Wunde an seiner Seite sickert Blut auf den feuchten Boden unter ihm.
Er ist definitiv verletzt. Wie es aussieht sogar ziemlich übel. Eine Stichwunde? Schusswunde? In der Dunkelheit lässt sich das nicht erkennen.
Der Mann stöhnt erneut auf, sein Kopf bewegt sich träge vor und zurück, aber seine Augen bleiben geschlossen.
Mir schlägt das Herz bis zum Hals, denn ich sollte wirklich nicht hier sein.
»Venesa, das ist nicht lustig«, knurrt Aria mit leiser Stimme. »Daddy wird dich umbringen, wenn du dich hier einmischst.«
Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu, bevor ich mich wieder auf den verletzten Fremden konzentriere. Was weiß sie schon davon, was ihren Vater wütend macht oder eben nicht?
Auch wenn sie bei diesem Szenario nicht falsch liegt.
Aria stampft mit dem Fuß auf. »Ich gehe.«
»Du meine Güte, entweder hältst du jetzt die Klappe oder tust das, womit du die ganze Zeit drohst«, schnauze ich sie an.
Dann ziehe ich meinen schwarzen Pullover aus und drehe den Mann auf die Seite, damit ich das Kleidungsstück unter ihm durchziehen kann. Ich versuche, ihm den Pullover umzubinden, um die Blutung zu stoppen, aber er ist groß und glitschig vom Blut und vom Schmutz, sodass es nicht funktioniert. Heftig ausatmend entschließe ich mich dazu, den Stoff zusammenzuballen und ihn stattdessen auf die Wunde zu pressen, wobei ich so viel Druck wie möglich ausübe.
Wenn wir jetzt zu Hause wären, hätte ich Schafgarbe, die ich mit Wasser vermischen und als Paste auf die Wunde streichen könnte, aber der Drang, ein guter Mensch zu sein, überkommt mich natürlich nur, wenn ich absolut gar keine Hilfsmittel dabeihabe.
Seine Augenlider zucken, und Panik wirbelt in mir auf wie ein Tornado.
Aria hat recht; Onkel T wird mich umbringen, wenn dieser Kerl tatsächlich zur New Yorker Mafia gehört und ich mich ohne seine spezifischen Anordnungen da hineinziehen lasse.
Aber aus irgendeinem Grund kann ich diesen Fremden auch nicht einfach liegen lassen.
»Hör zu«, sage ich zu Aria. »Bleib hier bei ihm, okay?«
»Scheiß. Drauf.« Sie verschränkt die Arme und schüttelt den Kopf.
Seufzend fahre ich mir mit der Hand durch die Haare. Aria ist schon immer die schwierigste Person auf der Welt gewesen, aber gleichzeitig ist sie unglaublich oberflächlich und liebt es, im Rampenlicht zu stehen. Wenn man sie dazu bringen will, irgendetwas Bestimmtes zu tun, muss man also nur den richtigen Ansatz wählen.
Einen Moment lang starre ich sie an und beiße mir auf die Unterlippe, während ich mir den richtigen Ansatz überlege. »Wahrscheinlich würden dich alle als Heldin feiern.«
Ihre Augenlider flattern, und sie trommelt mit den Fingern auf die Innenseite ihres Ellbogens.
»Denk mal darüber nach. Du weißt besser als jeder andere, wie du eine Geschichte zu deinen Gunsten wenden kannst, und ich weiß, dass du dich nach medialer Aufmerksamkeit sehnst wie damals zu Hause.« Ich weise auf den Mann. »Also nutze die Gelegenheit. Gib der Geschichte eine neue Wendung.«
Sie wirft ihm wieder einen Blick zu, bevor sie mich anschaut, Unentschlossenheit in ihren aufgerissenen blauen Augen.
»Schau mal.« Ich greife rechts in meinen BH und ziehe eine kleine Phiole heraus, die ich für Notfälle dabeihabe.
Sie verzieht das Gesicht. »Was ist das denn?«
»Mit Ammoniak getränkte Watte. Das wird ihn aufwecken.« Ich weise mit dem Kopf auf den Kerl auf dem Boden, mein rechter Arm liegt immer noch auf seinem Körper, während ich den Druck auf seine Seite aufrechterhalte.
»Himmel, du bist verrückt. Du trägst das … einfach so mit dir herum?«
Ich ziehe eine Schulter hoch, denn ja, das mache ich.
Sie zögert, kommt dann aber schließlich zu mir und übernimmt.
»Du musst den Druck auf seine Wunde aufrechterhalten, bis Hilfe kommt. Sonst könnte er verbluten.«
»Igitt, das ist widerlich. Ich werde mich überall mit seinem Blut besudeln.« Sie rümpft die Nase. »Weißt du was? Nein. Ich habe bereits eine Scheißnacht hinter mir, also scheiß auf diesen Kerl und scheiß auch auf dich.«
Sie dreht sich um und geht.
Verärgert lasse ich den Blick zwischen ihr und dem Mann auf dem Boden hin- und herwandern.
Aus irgendeinem Grund fahre ich mit der linken Hand über seine mitternachtsschwarzen Haare. »Was haben sie dir nur angetan?«
Und auch wenn ich nicht erklären kann, warum, beuge ich mich jetzt hinunter und flüstere ihm ins Ohr: »Nicht sterben. Lass die nicht gewinnen.«
Er zuckt, und seine Augen öffnen sich flatternd, ozeanblaue Augen fixieren mich.
In mir breitet sich Panik aus, und ich springe auf und weiche so schnell ich kann zurück.
Wie dumm von dir, Venesa.
Was, wenn er eigentlich tot sein sollte und Onkel T herausfindet, dass ich mich in das New Yorker Geschäft eingemischt habe?
Dann könnte ich mich genauso gut selbst umbringen.
Der Mann schließt die Augen wieder und verliert das Bewusstsein, und ich verschwinde, jogge bis zur Baumgrenze und verstecke mich dahinter, bevor ich auf meine blutbesudelten Hände blicke. Mir auf die Unterlippe beißend verhandele ich mit mir, was ich tun soll, und zupfe dabei mit dem Daumennagel an der Nagelhaut meines Ringfingers – aber zu meiner Überraschung taucht dann Aria wieder an der Uferlinie auf, also beobachte ich stattdessen sie.
»Streunerin«, presst sie mit bebender Stimme hervor und sieht sich um.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, um ruhig zu bleiben.
»Venesa!«, versucht sie es erneut.
Der Mann am Boden stöhnt, und das erregt ihre Aufmerksamkeit.
Aria nähert sich dem Fremden, kniet sich neben ihn hin und greift nach meinem zurückgelassenen Pullover, während sie sich mit einer Grimasse über ihn beugt. »Wehe, du bist nicht gut genug für die erste Seite, hörst du mich?«
Einen Moment lang lässt sie den Stoff los, gerade lang genug, um die Phiole zu öffnen, die ich ihr gegeben habe, und ihm unter die Nase zu halten. Noch einmal sieht sie sich um, vermutlich auf der Suche nach mir.
Ein lautes Keuchen, und der Mann ist wach, er reißt die Augen auf, und die Blicke der beiden treffen sich.
Und in dem Moment hört Aria komplett auf, nach mir zu suchen.
Stattdessen fährt sie mit der Hand durch seine vom Fluss durchtränkten Haare, während sie mit der anderen Hand meinen Pullover auf seine Wunde drückt und zu summen anfängt.
EnzoEin Jahr späterNeunundzwanzig Jahre alt
Alle erwarten von mir, dass ich heirate.
Der »angemessene« nächste Schritt für einen Mann meiner Stellung und familiären Herkunft. Damals als Kind hatte ich mich darauf gefreut. Sogar davon geträumt.
Als ich noch richtig klein war, wurde ich nachts davon wachgehalten, dass meine Mama wie ein Schulmädchen kicherte und Paps schmutzige Worte flüsterte, gedämpft durch die dünnen Wände unseres kleinen Dreizimmerappartements in Trillia in Brooklyn.
Üblicherweise stand ich am nächsten Morgen für ein großes Frühstück mit Würstchen und Eiern und duftendem Kaffee auf, während Paps alles ignorierte und die Nase in der Tageszeitung vergrub. Damals hatte Mama immer so einen gewissen Gesichtsausdruck. Ihre Wangen waren gerötet und ihre blauen Augen, die ich von ihr geerbt habe, leuchteten. Paps zwinkerte ihr zu und spielte Hinterngrapscher, wenn sie an ihm vorbeiging, und sie strahlte dabei wie ein Kind im Süßigkeitenladen. Wärme machte sich dann in mir breit und sorgte für ein stabiles, verlässliches Wohlbefinden.
In jeder anderen Hinsicht war mein Paps knallhart. Doch wenn es um meine Mutter ging, war er der Inbegriff der Turteltaube, genauso wie sie. Sie so zu sehen überzeugte mich davon, dass die wahre Liebe – so eine Liebe wie die ihre – irgendwo da draußen auf mich wartete.
Aber als ich älter wurde und Paps in den Rängen des Syndikats aufstieg, verwandelte sich Mamas Gekicher in Streitereien, die von seinem Geschrei und ihrem Kreischen unterstrichen wurden. Und eines Tages dann schluckte sie zu viele von diesen Pillen, die Paps mit nach Hause brachte, um »sie zu beruhigen«, und Stille löste die Schreie ab.
Mein Glaube an die Liebe war verdorben, wie ein Geruch, der alte Gefühle weckt, die ich lieber vergessen möchte.
Liebe war gleich der Schmerz über den Tod meiner Mutter.
Dass Paps für mich eine Heirat mit der Frau arrangiert, die ich das vergangene Jahr lang gevögelt habe, war für mich also keine große Sache.
Nichts weiter als ein Stück Papier.
Ich blicke auf mein Smartphone hinunter.
Giovanni: Dein Dad will, dass du ihn anrufst. Irgendwas von wegen, dass er wieder beobachtet wird.
Mit einem Stöhnen überlege ich, was ich antworten soll. Mein Vater hatte schon immer Probleme damit, Menschen zu vertrauen, aber seit dem Tod meines Bruders vor drei Jahren ist er besonders labil geworden und einer Art von Paranoia verfallen, wo er sich nicht beruhigen lässt und man ganz allgemein nie weiß, wie er reagieren wird.
»Babe, hörst du mir überhaupt zu?«
Ich werfe meiner Verlobten Aria einen Blick zu, die im Wagen neben mir sitzt. Mein Blick wandert ihre Gestalt hinunter, über die Enden ihrer knallrot gefärbten Haare, ihre kleine, aber spitze Brust und dann zu diesen Killerbeinen, die aus einem pastellrosa Rock herausragen. Ihre Haut ist glatt wie Butter und unglaublich hell, obwohl sie halbe Italienerin ist und sich zu Hause am Swimmingpool auf dem Dach meines Penthouses in der Sonne braten lässt. Als ich ihr in die babyblauen Augen sehe, verschwindet meine Verärgerung darüber, dass sie mich unterbrochen hat.
Sie schnipst mit den Fingern, wobei die dünnen goldenen Armbänder an ihrem Handgelenk klirren, und schon verwandeln sich meine sanften Gefühle in Stein.
Ich ergreife ihre Hand, ziehe sie mir vors Gesicht und küsse sie auf den Handrücken. »Natürlich, Prinzessin.«
Ihre verkniffenen Züge glätten sich, und sie grinst, wobei sie eine Augenbraue hochzieht. »Und was habe ich gerade gesagt?«
In meinen Schläfen pulsiert es, und ich lasse ihre Finger los und ziehe an den Wurzeln meiner tintenschwarzen Haare, um die aufkeimenden Kopfschmerzen in Schach zu halten. »Himmel, Aria, was soll das? Das Zwanzig-Fragen-Spiel?«
Sie lässt sich in ihren Sitz zurücksinken, verschränkt die Arme und wirft mir ein bezauberndes Lächeln zu. »Du brauchst nicht so schnippisch zu sein. Du weißt doch, dass ich dich nicht ärgern wollte. Ich wollte einfach nur etwas Aufmerksamkeit, mehr nicht.«
Ich spanne den Kiefer an und blicke nach vorne, wo ich im Rückspiegel meinem jüngeren Cousin Scotty in die Augen blicke. Ich glaube nicht, dass er wirklich gern hier sein, sich häusliche Streitereien anhören und für die nächsten paar Wochen meinen glorifizierten Chauffeur spielen möchte, aber er ist ein Cugine, ein einfacher Soldat, der versucht, sich seine Sporen zu verdienen, während er darauf wartet, dass die Mafia neue Vollmitglieder aufnimmt, also ist er mitgekommen.
Schnell wendet er den Blick ab, aber ich sehe irgendetwas darin aufblitzen und unterdrücke ein Stöhnen. Scotty ist schon immer ein verdammtes Klatschmaul gewesen, und dass er Paps erzählt, dass ich mich Aria gegenüber wie ein Arschloch verhalte, ist das Letzte, was ich brauchen kann.
Aus irgendeinem Grund liebt er sie. So sehr, dass er von mir verlangt hat, sie auf jeden Fall zu heiraten. Aria weiß nichts davon. Oder dass ihr Vater dem Arrangement sofort zugestimmt hat.
Schuldgefühle machen sich in mir breit, als ich daran zurückdenke, dass ich ohne Aria gar nicht mehr hier wäre. Ich verdanke ihr mein Leben. Sie zu heiraten ist das Mindeste, was ich für sie tun kann.
Es ist ja nicht so, als wäre ihr Anblick unerträglich.
Sie ist auch ganz gut im Bett.
Arias bereits plüschige Körperhaltung wird noch weicher, als ich mich über sie beuge und ihre Wange in die Hand nehme. Mit dem Daumen reibe ich über die wenigen Sommersprossen auf ihrer Nase, und sie lehnt sich in meine Handfläche wie ein Kätzchen, das sich verzweifelt nach meiner Berührung sehnt. Sie sieht wunderschön aus, ihre Haut frisch und die scharf geschnittenen Kanten ihres Gesichts werden von der sanften pastellfarbenen LED-Beleuchtung hier im Inneren des Mercedes Maibach perfekt betont.
»Prinzessin, tun wir nicht so, als wärest du mit mir zusammen, weil ich so gut zuhören kann«, sage ich.
Sie schnauft. »Sei kein Idiot, Babe. Ich bin mit dir zusammen, weil ich dich liebe.«
Ich weiß nicht, warum ich mich so mies verhalte, insbesondere, wo sie doch nichts getan hat, um das zu verdienen. Vielleicht hoffe ich darauf, dass sie mir wenigstens einmal Widerworte gibt. Mich etwas fühlen lässt, während ich in einem spießigen, tausend Dollar teuren Anzug feststecke und so tue, als wäre ich ein aufrechter Bürger, der gleich den Vater seiner Braut kennenlernt.
Es ist schon lange her, dass ich irgendeine Art von Feuer verspürt habe.
Ich lehne mich zurück und rücke meine Manschettenknöpfe zurecht. »Komm schon, Aria. Du wusstest, wer ich bin, als du meinen Antrag angenommen hast.«
Sie schnauft und dreht das Gesicht zum getönten Fenster, aber sie widerspricht mir nicht. Ich weiß, dass sie sich für verliebt hält, aber für mich ist diese Heirat nichts anderes als ein Geschäft. Das ihr das verschafft, was sie haben will, und meinen Vater beschwichtigt.
Ich stehe bei beiden in der Schuld.
»Ach, komm schon, nicht diese Schnute.« Ich zeige auf ihren Flunsch. »Was soll ich deiner Ansicht nach denn tun?«
»Wie wäre es mit einer Entschuldigung für den Anfang?« Sie hebt das Kinn und schnieft.
Ich lache leise. Wir beide wissen, dass sie keine bekommen wird. »Wie wäre es stattdessen mit dem neuen Ring, dem du schon den ganzen Monat lang hinterherschmachtest?«
Sie sieht mich aus dem Augenwinkel an. »Der rosa Diamant?«
Mein Smartphone vibriert in meinem Schoß, aber ich lasse es liegen. Stattdessen halte ich den Blick auf Aria gerichtet.
»Wie viel kostet der noch mal?«, frage ich.
Sie lässt die Arme sinken. »Spielt das eine Rolle?«
Ja. Geld spielt immer eine Rolle, aber ich weiß, dass der Weg zu Arias Herz nicht über Schmeicheleien und Entschuldigungen führt. »Für dich, Prinzessin? Nein.«
Und mehr braucht es nicht.
Ein strahlendes Lächeln zieht sich über ihr Gesicht, und sie dreht sich zu mir um. Es ist jedes Mal wieder die gleiche Lösung: Ich biete ihr ein neues Schmuckstück für ihre Sammlung von Krimskrams an, und sie schmilzt dahin wie Butter in der Sonne.
»Ich bin einfach nur nervös, wie alles ablaufen wird«, sagt sie. »Daddy ist … er und ich haben uns nicht … nun, ich will einfach, dass ihr beiden euch mögt.«
In Momenten wie diesem wird mir schmerzhaft bewusst, dass sie mich nicht kennt, und das, obwohl wir schon seit einem Jahr zusammen sind.
Ursprünglich hatte ich nicht mehr als ein paar befriedigende Nächte mit meinem Schwanz in ihrer engen, kleinen Pussy im Sinn gehabt. Eine nette Art, um ihr dafür zu danken, dass sie mich aus dem Hudson gerettet hatte, als mich jemand zum Sterben dort zurückgelassen hatte, wobei ich absolut keine Ahnung habe, wer das gewesen war.
Ich erinnere mich an rein gar nichts von dieser Nacht, außer ans Aufwachen.
Wie sich herausstellte, ist Aria Kingston ein Medienliebling, und als in den Nachrichten darüber berichtet wurde, dass sie mir das Leben gerettet hatte, wurden wir zu dem Paar in New York. Und nachdem mein Vater herausgefunden hatte, wer ihr Vater ist, war es beschlossene Sache.
Unsere Familie mit den Kingstons im Süden zu verbinden bedeutet mehr Macht und Einfluss für ihn, und heutzutage scheint das alles zu sein, was ihn interessiert.
Wenn er nicht so verdammt furchterregend wäre, würden die anderen Familien der Cosa Nostra es deutlicher ansprechen, wie er unserer Sache einen Bärendienst erweist.
Alles ruiniert, wenn man den Gerüchten Glauben schenken will.
Allerdings hat niemand den Mut, sich ihm entgegenzustellen, insbesondere nachdem er im Heck eines Autos hinter seinem eigenen Consigliere saß und ihm in den Kopf schoss, weil er »so ein Gefühl« hatte, das der ihn gleich verraten würde.
Er hat ihn auch nie ersetzt. Stattdessen lasten die Pflichten seiner Vertrauensperson jetzt allein auf meinen Schultern, und dieses Vertrauen schwindet mit jedem Tag dahin, einfach nur wegen seiner Paranoia.
Insbesondere seit dem misslungenen Anschlag auf mich.
Dieser Mordversuch hat weiter nichts erreicht als die Bestie aufzustacheln, und trotz der Veränderung in seinen geistigen Fähigkeiten bin ich absolut loyal, also passiert das, was Carlos Marino sagt. Abgesehen davon ist es nie meine Aufgabe gewesen, meinen Paps zur Vernunft zu bringen. Das war immer Peppinos Aufgabe, und nach dem Mord an meinem Bruder habe ich immer noch nicht herausgefunden, wie ich in seine Rolle schlüpfe.
Mit einem erzwungenen Lächeln greife ich nach Arias Oberschenkel.
Sie legt ihre Hand auf meine, den Blick auf unsere Finger fixiert, und stellt sich wahrscheinlich schon das unglaublich teure Schmuckstück vor, das sie bald zu ihrer Sammlung hinzufügen wird.
Ein paar Sekunden gesegneten Schweigens vergehen, bis Aria meine Hand loslässt, um den kompakten Kühlschrank zu öffnen, der hinter den Rücksitzen versteckt ist, und eine gekühlte Flasche Sekt herausholt. Sie gießt mir etwas von dem Blubberwasser in eine der Kristallsektflöten und reicht sie mir dann.
»Mut in flüssiger Form?« Ich hebe das Glas an die Lippen und nehme einen Schluck, wobei ich das Gesicht zu einer Grimasse verziehen möchte. Tatsächlich mag ich den Geschmack von überteuertem Müll nicht, aber nachdem ich in den letzten Jahren Sekt schlürfen musste, um die aufgeblasenen Arschlöcher zu beschwichtigen, mit denen ich legale Geschäfte mache, toleriere ich den Geschmack inzwischen.
»So etwas in der Art.« Sie blickt zum Fenster hinaus und dreht das Glas in ihren Händen. »Diese Reise wird gut für dich sein … für uns. In Atlantic Cove geht es gemächlicher zu. Wir können uns entspannen, die Verlobungsfeier genießen, und du lernst die Gegend kennen.«
Ich trinke einen weiteren Schluck. »Wir werden nicht hierherziehen.«
»Was? Himmel, nein. Schon seit ich Laufen gelernt habe, wollte ich nichts lieber, als diesen Ort hinter mir zu lassen.«
»Dennoch bestehst du darauf, hierher zurückzukehren«, erwidere ich.
»Daddy will eine Verlobungsparty für uns schmeißen, und ich versuche, ein paar Gräben zu überwinden«, korrigiert sie mich mit einem Schulterzucken.
»Aha.«
Es ist mir scheißegal, wo die Verlobungsfeier stattfindet, auf die ihre Familie besteht, denn alles, was auch nur annähernd von Bedeutung ist, wird sich in New York abspielen. Ich leere das Sektglas und beantworte die Nachricht von Giovanni, meiner rechten Hand.
Ich: Sag ihm, er soll sein Mobiltelefon nehmen und lernen, es zu benutzen, so wie jeder andere. Irgendwelche Neuigkeiten zu dem Ort in Brooklyn?
Wir kennen einander schon seit Kindertagen, und nachdem Peppino sich hat umbringen lassen und ich seine Geschäfte übernommen habe – wobei ich als neuer Unterboss meiner Familie Teil der Mafia-Verwaltung wurde – habe ich Giovanni vom Soldato zum Caporegime befördert. Jetzt führt Gio meine Crew, während ich hinter kugelsicherem Glas in schicken Gebäuden stecke, wo ich wie ein Weichei über Immobilienhandel spreche.
Trotzdem ist es in diesem Leben wichtig, sich mit Menschen zu umgeben, denen du vertrauen kannst, und er genießt als Einziger mein Vertrauen.
Ganz ehrlich, ich halte das Immobiliengeschäft für sterbenslangweilig.
Ich bin schon immer eher der handfeste Typ gewesen. Mich in einen gesetzestreuen Geschäftsmann zu verwandeln, um uns die Bundespolizei vom Hals zu halten, interessiert mich nicht, aber ich habe schon früh gelernt, dass das mit dazu gehört. Du musst dir zumindest den Anschein geben, dass dein Geld aus ehrlichen Quellen stammt. Und heutzutage stimmt das tatsächlich zu einem großen Teil. Aber eben nicht bei allen Einnahmen.
Und wie wir zu den meisten unserer Verträge kommen, ist bestenfalls fragwürdig.
Ich streiche mit dem Daumen über die Knöchel meiner anderen Hand und erinnere mich daran, wie es sich immer angefühlt hat, wenn ich sie als Ventil nutzen konnte und in den frischen Schnitten und Hämatomen schwelgte, die noch lange, nachdem ich das klargestellt hatte, was ich hatte klarstellen wollen, schmerzten.
Gio: Will sich jetzt tatsächlich gerade um diese Situation kümmern. Wie ist South Carolina?
Ich blicke zum Fenster hinaus. Momentan fahren wir anscheinend mitten durch das Zentrum von Atlantic Cove, wobei wir ein großes, weißes Riesenrad und ein paar kleine Geschäfte passieren, die sich an der Promenade entlangziehen, mit dem Ozean gleich darunter. Sie werden von angepflanzten Palmen, Hotels und Wohngebäuden umgeben; hohe, glasige Wolkenkratzer verschwinden in den tief hängenden Wolken, die den Himmel bedecken. Es ist eine seltsame Mischung aus Alt und Neu, ein Kampf zwischen der Bewahrung der Geschichte und der Gentrifizierung. Ich frage mich, auf welche Seite Trent Kingston steht: Reißt er die Gebäude ab oder schützt er sie?
Eine lange Holzbrücke führt nach draußen ins Wasser, geschmückt von einem schmiedeeisernen Bogen mit der Aufschrift »Atlantic-Cove-Promenade« in verblasster Stahlschrift und ganz oben drauf einer Muschel in lebhaftem Pink. Während wir weiterfahren, sind die Kinder unübersehbar, die mit einem riesigen Lächeln in ihren jungen, rotzverschmierten Gesichtern über den Sandstrand laufen.
Mir zieht sich die Brust zusammen, und ich reibe mir über den dumpfen Schmerz, bevor ich Giovanni eine Antwort schicke.
Ich: Frou-frou.
Gio: Was zum Teufel bedeutet frou-frou?
Ich: Was bin ich, ein Wörterbuch? Schlag es nach.
Gio: Stronzo
Ich schmunzele darüber, dass er mich als Arschloch bezeichnet.
Aria wippt mit dem Fuß, und auch wenn ich die rhythmische Bewegung nur aus dem Augenwinkel sehe, nervt sie mich total.
»Es wird schon alles gut gehen«, lächele ich breit und versuche, ihre Anspannung zu mildern. »Eltern lieben mich.«
Sie entspannt sich und erwidert mein Grinsen. »Ich liebe dich, und das ist alles, worauf es ankommt.«
Ich antworte ihr nicht.
Wir fahren am Strand entlang, bis sich der Tourismus ausdünnt und die Menschenmengen kleiner werden und schließlich ganz verschwinden. Die Wolkenkratzer werden von kleinen, einstöckigen Häusern mit Mobilheimen dazwischen abgelöst, und kurz darauf gibt es gar nichts weiter zu sehen. Schließlich erreichen wir eine große Toreinfahrt mit einer gewundenen Auffahrt dahinter.
Aria rollt das Fenster hinunter und hält ihr Gesicht in die Kamera, und dann öffnet sich das Tor. Perfekt gestutzte Bäume säumen zu beiden Seiten den windigen Pfad, bis wir die kreisförmige Auffahrt vor einem altmodischen Herrenhaus mit großen Läden an den Fenstern und großen, weißen Pfeilern erreichen, die eine umlaufende Veranda umrahmen. Ich sehe einen Steinbrunnen mit einer Meerjungfrauenskulptur direkt in der Mitte, aus deren Mund und Händen kontinuierlich Wasser in das Becken darunter fließt.
»Hier bist du also aufgewachsen?«, frage ich Aria.
Ich kann nicht wirklich sagen, warum mich das überrascht. Sie wurde in ein Luxusleben hineingeboren, was ehrlich gesagt nur ein weiterer Riesenunterschied zwischen uns ist. Meine Familie hat ihren Reichtum und ihre Macht von Grund auf aufgebaut, aber erst als ich in den Zwanzigern war und Paps zum Capo di tutti Capi wurde, lebten wir wirklich wie Könige. Vorher war ich einfach nur das Kind eines Soldato, das durch die Straßen von Brooklyn lief und Ärger machte und dann den Namen meines Paps nutzte, um mich da herauszuwinden.
Aria summt mit einem Nicken.
Ich trete vom Wagen zurück und nehme mir einen Moment Zeit, um den Meerjungfrauenbrunnen anzustarren, bevor ich um den Wagen herum zu Aria gehe, der Scotty gerade beim Aussteigen hilft.
»Bring bitte unsere Taschen ins Haus«, sage ich ihm.
Er nickt und klopft mit seinen dünnen Fingern auf seinen Oberschenkel, während er sich umsieht. »Verstanden, Boss. Soll ich danach hier draußen einfach warten, oder …?«
»Hol dir was zu essen oder was auch immer. Checke in der Frühstückspension ein, die ich für dich gebucht habe.« Ich winke ab. »Halte einfach nur das Telefon griffbereit.«
»Bist du bereit, Babe?«, fragt Aria mich mit funkelnden Augen, während sie nach meiner Hand greift.
Mit einem Nicken winde ich meine Finger aus ihrem Todesgriff und lege die Handfläche auf ihr Kreuz, während wir zwischen den weißen Pfeilern hindurchgehen, die die breiten Betonstufen umgeben, und zur schmiedeeisernen Doppeltür hoch.
Mein Mobiltelefon klingelt, und ich ziehe es aus der Tasche und sehe Giovannis Namen auf dem Display aufblitzen.
»E…«, setzt Aria an.
»Lass es. Ich komme gleich nach.«
Einen Augenblick lang steht sie still, Trotz in ihrem Blick, bevor sie nachgibt und das Haus ohne mich betritt. Ich beiße die Zähne zusammen, während ich sie gehen sehe, und dann wische ich über das Display meines Smartphones und steige die Stufen wieder hinunter.
»Frou-frou«, bemerkt Gio, bevor ich auch nur Hallo sage. »Wird als von schlechtem Geschmack betrachtet, weil es grell oder gefühlsduselig ist, wird aber manchmal auf ironische oder wissende Art eingesetzt … was auch immer das zum Teufel bedeuten soll.«
»Und dein Dad hat gesagt, dass du es nie weit bringen würdest.«
»Nun ja, was weiß der schon?!«, erwidert Gio.
»Ich gehe davon aus, dass du mich anrufst, weil du gute Nachrichten hast.«
»Rufe ich dich jemals mit schlechten Nachrichten an?«
Da hat er nicht ganz unrecht. In unserem Geschäftsbereich können wir schlechte Nachrichten nicht am Telefon überbringen, insbesondere heutzutage, wo man überall abgehört werden könnte.
»Sie haben unser Angebot für diese Lokalität in Brooklyn Heights angenommen«, fährt Gio fort.
»Ausgezeichnet.«
»Und dein Vater nervt mich damit, dass du ihn anrufen sollst.«
»Ja, ja. Ich werde ihn anrufen.« Seufzend fahre ich mir wieder mit einer Hand durch die Haare. »Sobald ich hier richtig angekommen bin.«
»Gut. Weißt du, es macht mich nervös, wenn er mich benutzt, um dir eine Lektion zu erteilen.«
»Er erteilt mir keine Lektion, du verdammter Idiot. Er hakt einfach nur nach.«
»Ach!« Gio stößt ein Lachen aus. »Ich meine ja nur, ich bin eben nicht gerne der Mittelsmann. Dein Paps ist dieser Tage nicht immer ganz da, weißt du?«
»Vorsicht«, warne ich ihn.
»Wie läuft es draußen überhaupt?«
»Definiere es.« Ich blicke zu dem protzigen Herrenhaus hoch und erschaudere.
Kleine Kieselsteine knirschen unter meinen Schuhen, als ich einen Schotterweg erreiche, der zur Rückseite führt. Ich kneife die Augen zusammen und spähe in die Ferne, wo ich einen riesigen Infinity Pool erblicke, der mit nichts als dem Ozean dahinter ausläuft, aber links davon gibt es etwas, das wie ein zweistöckiges Gästehaus aussieht und größer ist als alle Häuser in dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin.
»Fangen wir einmal mit dem Ding an, das du heiraten wirst.« Seine Stimme hat einen neckenden Tonfall, aber ich höre die Wahrheit zwischen den Worten heraus. Giovanni ist nie ein Fan von Aria gewesen und behauptet, sie wäre oberflächlich und nicht vertrauenswürdig. Was vermutlich auch zutrifft, um fair zu sein. Aber tief in ihr drin ist sie ein guter Mensch. Schlechte Menschen retten keine Fremden, die an einem Ufer zu verbluten drohen.
Abgesehen davon, was kümmert es mich, wenn sie oberflächlich ist? Ich heirate sie nicht, um tiefschürfende Gespräche mit ihr zu führen; sie braucht nichts weiter zu tun, als die Klappe zu halten und die Beine zu spreizen, sich von mir ein paar Kinder einpflanzen zu lassen und in der Öffentlichkeit an meinem Arm gut auszusehen.
»Beruhige dich«, erwidere ich.
»Sie ist eine eitle Tussi mit einer lieblichen Stimme und Killerbeinen. Weswegen sollte ich mich da beruhigen?«
Ich grinse. »Du sagst das, als wäre das etwas Schlechtes.«
Ein eigenartiges Geräusch dringt in mein Bewusstsein ein, und mein Herz macht einen Sprung. Ich blicke auf und drehe mich wieder zum Herrenhaus um. Dort ist nichts zu sehen, aber als ich wieder nach vorne schaue, erkenne ich in der Entfernung eine Gestalt.
Es handelt sich um eine Frau, die sich an die Backsteinmauer des Gästehauses lehnt, und sie starrt mich direkt an. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, als sich unsere Blicke treffen, und sie richtet sich auf und fährt mit den Nägeln vorne über ihr langes, enges, schwarzes Kleid.
Sie ist … Ich weiß nicht einmal, wie ich es ausdrücken soll. Ihre langen Haare sind so hellblond, dass sie schon wieder silberweiß sind, und ihre Haarspitzen umschmeicheln ihr üppiges Dekolleté perfekt, und als sie auf mich zu geschlendert kommt, wirkt alles, was ihre Haut berührt, wie Seide, die ihren unglaublich schönen Körper hinunterfließt.
Herr im Himmel.
Giovanni murmelt mir etwas ins Ohr, aber ich höre ihm definitiv nicht zu.
Die Frau bleibt ein paar Schritte vor mir stehen, und ihre blutroten Lippen verziehen sich langsam zu einem Lächeln, das die Grübchen in ihren Wangen betont.
»Hat dein Anruf irgendeinen Grund, Gio?«, unterbreche ich Giovannis Schwafelei.
»Hör zu, du grobes Arschloch …«
»Der Empfang ist hier schlecht«, erwidere ich, wobei ich den Blick immer noch auf die geheimnisvolle Frau gerichtet halte. Ihre Augen funkeln wie zwei wirbelnde Strudel, die mich einsaugen, bis ich keine Luft mehr bekomme.
Sie leckt sich über die Unterlippe, und mein Blick fällt auf ihren Mund.
Bevor Gio noch etwas sagen kann, lege ich auf.
Und dann stehen wir beide einfach nur da, stumm, beobachten einander, und es ist absolut sonderbar, aber ich schwöre, dass die Luft jedes Mal, wenn einer von uns atmet, sich anspannt wie ein Gummiband und sich ausdehnt und zieht, bis es kurz vor dem Zerreißen steht.
»Kein Grund zur Eile am Telefon nur meinetwegen«, sagt sie schließlich.
Die Art, wie sie jede Silbe langsam und kontrolliert artikuliert, lässt ihre Stimme wie eine Hitzewelle über mich hinwegziehen. Ihr Südstaatenakzent ist ausgeprägt, und ich weiß nicht, warum mich das überrascht, außer vielleicht weil Aria überhaupt keinen Akzent hat.
Ich stecke das Mobiltelefon ein. »Nun, Sie machen auf mich den Eindruck einer Frau, die meine volle Aufmerksamkeit erfordert.«
Sie grinst.
Mein Magen krampft sich zusammen.
»Enzo Marino«, stellt sie fest.
Normalerweise hasse ich es, wenn mich jemand bei meinem vollen Vornamen nennt. Es erinnert mich daran, wie ich noch ein Kind war und meine Mutter schrie, dass ich mich an ihre Regeln halten müsste, solange ich meine Füße unter ihren Tisch steckte.
Aber so wie diese Frau ihn ausspricht, fühlt es sich an wie Honig, der mir auf die Haut tropft.
»Ich glaube, ich bin hier im Nachteil«, bemerke ich.
Sie kommt einen Schritt näher und sieht mich durch ihre langen, schwarzen Wimpern an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Sie jemals im Nachteil ist.«
Ich weiß nicht, ob sie damit meinem Ego schmeicheln oder meinen Status beleidigen will, also sage ich ihr das auch.
Sie zuckt die Schultern. »Ist vermutlich Auslegungssache.«
Mein Mundwinkel zuckt, und ich mustere sie erneut, nehme die weichen Konturen ihres Körpers in mir auf und wie selbst die Brise an ihren üppigen Kurven zu haften scheint.
»Sie sind interessant«, bemerke ich.
»Genau das sagen sie mir auch«, erwidert sie.
»Sie?«
»Exakt.«
Ich lasse die Hände in die Hosentaschen gleiten und wippe auf den Absätzen. »Enthalten Sie denen Ihren Namen ebenfalls vor oder bin ich etwas Besonderes?«
Sie lacht, und das zieht mich an. »Sie sind ein Mann, Schätzchen. Es tut mir leid, aber Ihr Kerle seid nichts Besonderes.«
Mit einem Grinsen komme ich näher, und der Raum zwischen uns summt wie eine Saite, die angeschlagen wird, bis sie tief und dunkel vibriert. »Klingt so, als hätten Sie noch nicht den richtigen Mann getroffen.«
Sie erwidert mein Lächeln, und ihre Augen tanzen vor Heiterkeit. »Klingt nach etwas, was der falsche Mann sagen würde.«
Mein Grinsen wird breiter, auch wenn sich ein Anflug von Schuldgefühlen in den Augenblick zu drängen versucht. Es ist nicht meine Art, einer anderen Frau gegenüber so dreist zu sein, wenn ich in einer Beziehung mit einer anderen bin, aber sie … Sie hat etwas an sich, dem ich einfach nicht widerstehen kann. »Sagen Sie mir Ihren Namen, piccola sirena.«
Ihre Pupillen weiten sich, aber der Klang von Rädern, die auf losem Kies knirschen, unterbricht unseren Moment, und sie sieht über meine Schulter hinweg und richtet den Blick auf etwas in der Ferne. Die Spannung löst sich, und ich fühle mich, als hätte diese Frau, die mir den Atem geraubt und die Lunge gequetscht hat, mir gerade einen Schlag in die Magengrube verpasst.
»Wir sehen uns, Lover Boy.«
Dann geht sie an mir vorbei.
Ich drehe mich um, um ihr hinterherzuschauen, überrascht, dass sie meinen Spitznamen kennt, und irritiert darüber, wie das mein Interesse erregt.
»Sagen Sie mir Ihren Namen«, rufe ich ihrem Rücken zu.
Sie dreht sich leicht um und schenkt mir ein strahlendes, weißes Lächeln, ihre Augen leuchten vor Heiterkeit.
Und dann verschwindet sie um die Ecke herum und aus meinem Blickfeld.
Venesa
Mein Nagellack ist an einer Stelle abgeplatzt. Überall sonst ist das Rot glatt und perfekt, nur nicht da, nicht an meinem kleinen Finger. Und das auch noch direkt an der Nagelhaut, der schlimmsten Stelle für einen Makel. Meine Gedanken rasen, wie sie das so gerne tun, während ich überlege, wann das passiert ist. War das, bevor ich das Methylbromid angemischt habe oder danach? Vielleicht war es, nachdem ich es vorbereitet hatte, aber bevor ich es verwendet habe. Oder vielleicht war es auf den Weg zum vierzig Hektar großen Anwesen meines Onkels, als ich mir im Bus am Sitz die Hand gestoßen habe.
Höchstwahrscheinlich war es aber nach meinem Zusammenstoß mit Enzo Marino, der über das Gelände stolzierte, als gehörte es ihm.
An meiner Nagelhaut herumzuzupfen, wenn ich nervös bin, ist eine schlechte Angewohnheit, die ich nie so ganz ablegen konnte, und so ungern ich es auch zugebe, macht Enzos Anwesenheit mich nervös.
Aus verschiedenen Gründen, auch wenn ich sie niemals laut aussprechen würde.
»Du hättest es wie einen Unfall aussehen lassen sollen.« Onkel Ts Stimme dröhnt durch den Raum und reißt mich in die Gegenwart zurück.
Ich lasse die Hand in den Schoß sinken, überschlage die Beine und drücke mich tiefer in den Schalensessel gegenüber von seinem Schreibtisch hinein. Er erwidert meinen Blick mit seinen stechenden himmelblauen Augen, und ganz offensichtlich ist er verärgert darüber, wie ich mein letztes Projekt abgewickelt habe. Sein Pokergesicht war schon immer erbärmlich; die Löcher seiner breiten Nase weiten sich und die Falten auf seiner Stirn werden tiefer, wenn er aufgebracht ist.
»Na ups aber auch.« Ich zucke die Schultern und schenke ihm ein breites Lächeln.
Onkel T schlägt mit der Faust auf das Kirschholz, sodass der Krimskrams auf seinem Schreibtisch zu klappern beginnt: ein Kristalltumbler voller Kentucky Bourbon, eine maßgeschneiderte gravierte Schatulle für seine besten kubanischen Zigarren. Ein gerahmtes Bild seiner verstorbenen Frau Antonella und ihrer ach so perfekten Tochter.
»Verdammt, Venesa, das hier ist kein Spiel. Wenn ich sage, dass es wie eine Überdosis aussehen soll, dann sorgst du dafür, dass es wie eine Überdosis aussieht.«
Scham überkommt mich, trifft genau die Stelle in mir, wo ich mich nach seiner Anerkennung sehne. »Das weiß ich, es ist nur …« Ich verstumme, denn warum sollte ich meinen Atem verschwenden und etwas zu erklären zu versuchen, das keine Erklärung erfordern sollte? Ich habe das getan, worum er mich gebeten hat, und das sollte das Ende der Geschichte sein.
Offensichtlich ist er anderer Meinung, und zu meinem Unglück liegt mir immer noch einiges an seiner Anerkennung. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ist das alles, woran mir überhaupt etwas liegt.
Aber ich bin immer noch vom Sternzeichen und Aszendent her Löwe, und deshalb brennt das Bedürfnis, meinen Standpunkt klarzumachen, in dem Moment so hell, dass ich den Mund nicht halten kann.
»So war es besser«, verteidige ich mich. »Jetzt leidet er unter einem dauerhaften Hirnschaden, hat sein Leben lang ernsthafte Probleme.«
»Wenn er überlebt.«
Nach kurzem Zögern nicke ich. »Korrekt.«
Mit seinen stumpfen Fingernägeln trommelt er klack, klack, klack auf dem Schreibtisch herum, während er mich beobachtet. »Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass ich gar nicht wollte, dass er überlebt?« Er schüttelt den Kopf und zieht seine dicken, grau melierten Augenbrauen zusammen. »Jetzt muss ich mir Sorgen darüber machen, ob dieser idiotische Bezirksstaatsanwalt mir im Nacken sitzen wird.«
Ich schnaube. »Ach bitte, der Bezirksstaatsanwalt schert sich doch einen Scheißdreck um den Atlantis Motorcycle Club oder seine erweiterte Familie.«
Um ehrlich zu sein wird das Gesetz in dieser Gegend von einem Haufen Gutmenschen aufrechterhalten, die ihre goldenen Heiligenscheine wie Ehrenabzeichen tragen, aber die meisten von ihnen haben einen Preis – den ich schnell genug herausfinde, wenn ich mit ihnen verhandele, damit sie schweigen und wegschauen.
Dem Schwager des neuesten MC-Präsidenten eine Nadel in den Arm zu schieben war eine Botschaft: Entweder ihr arbeitet weiterhin mit uns zusammen, oder es werden Menschen verletzt. Abgesehen davon, wenn wir nicht dafür sorgen, dass sie spuren, müsste das Gesetz das übernehmen, und dessen Vollstrecker sind echt scheiße darin.
Ganz ehrlich, der Bezirksstaatsanwalt sollte sich bei uns bedanken.
Aber eine Überdosis? Das nenne ich einfallslos.
»Ich hätte die Aufgabe jemand anderem übertragen sollen«, murmelt er.
Ich schnaufe. »Wem denn?«
Er hebt die Hand und lässt sie dann wieder sinken. »Bas vermutlich.«
Sein Vorschlag ist lächerlich. Mag sein, dass Bastien offiziell Onkel Ts Stellvertreter ist, aber seine Stärke ist eher die brutale Folter, also das genaue Gegenteil von Subtilität. Ich liebe Bastien wie einen Bruder, aber für eine Aufgabe wie diese wäre er nicht der Richtige gewesen.