Hexenfinsternis - Melanie Bayer - E-Book

Hexenfinsternis E-Book

Melanie Bayer

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Beschreibung

Verunsichert durch die Tatsache, dass ihre Zukunft wohl vorbestimmt ist, muss sich Willow Thomsen der Realität stellen: Sie ist das neue Oberhaupt des Hexenvolks. Enttäuscht von Ravena, die sie nicht eingeweiht hatte, stürzt sich die junge Frau zusammen mit ihren Gefährten in ein gefährliches Abenteuer im 15. Jahrhundert (die Zeit der Inquisition). Als Willow jedoch fast ihre Liebe verliert, muss sie über sich hinaus wachsen, denn die schier unmögliche Aufgabe alle Hexen und Menschen vor dem rachsüchtigen Dämon Belial zu retten, kann sie nicht alleine bewältigen. Aber was ist Willow bereit dafür zu opfern?

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Melanie Bayer

Hexenfinsternis

Die Mutige

Band 2

Über die Autorin

Melanie Bayer (heute Pilz), Jahrgang 1984, lebt mit ihrer Frau in Österreich.

„Hexenfinsternis“ ist ihr Roman-Debüt.

Sie arbeitete seit über zehn Jahren in der Altenpflege bevor sie sich den Traum von der Selbstveröffentlichung erfüllte.

Für ihre Kurzbiografie „Affen in meinem Kopf“ erhielt sie nur positive Kritik.

Weitere Informationen zur Autorin und ihren Büchern unter www.melaniebayer.vpweb.de.

Für meine beste Freundin Sarah

Kapitel 1

Eine grüne und weite Hügellandschaft, vereinzelte Tannenbäume, üppige Blumenwiesen und ein schmaler Bach, der sich seinen Weg zwischen den Hügeln hindurch schlängelte; umgeben von hohen Bergen. Willow Thomsen war noch nie in direkter Nähe von hohen Bergen gewesen. Es war Ehrfurcht einflößend sie nur ein paar Kilometer entfernt vor sich zu haben. Seltsam, aber eigentlich war alles seltsam an diesem fremden Ort. Nach den bestandenen Prüfungen, dem Verschwinden der Großen Vier und Willows Ernennung zur neuen Oberhexe, hatte sich das Leben der 17-jährigen wieder komplett verändert. Jetzt war sie nicht nur eine Hexe des Zirkels, sondern sogar dessen Oberhaupt. Und als wäre dies nicht schon genug, worüber man sich den Kopf zerbrechen müsste, hatten die Großen Vier ihr noch eine Aufgabe zugewiesen: den Einfluss der Kirche schwächen, indem sie dessen Oberhaupt, den Papst von einer bösen Macht befreien solle. Somit würde die immer noch andauernde Inquisition beendet sein und die Menschen könnten wieder an Magie und das Gute glauben. Aber vorrangig ging es darum, dass keine Hexe mehr sterben oder sich verstecken müsste. Es gäbe dann endlich Frieden.

Wenn es sonst nichts ist? Mach ich doch mit links!, dachte Willow ironisch und schüttelte den Kopf.

Sie begriff immer noch nicht, wie sie in diesen Schlamassel geraten konnte. Vor nicht mal fünf Monaten war noch alles gut gewesen. Sie musste sich lediglich mit ihrer Tante und ihrem Onkel um ihre Zukunftsplanung streiten. Dies war jedoch ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Unwetter, dass Willow erahnte. Ein Unwetter fatalen Ausmaßes. Die junge Frau seufzte, löste ihren Blick von der unberührten Natur und drehte sich zu ihren Gefährten um. Da war ihre beste Freundin Kate, die sich freiwillig für diese irrwitzige Mission gemeldet hatte. Warum nur? Nicht genug, dass sich Willow um sich selbst sorgte, ob sie allem gewachsen war und alles schaffen würde. Nein, jetzt musste sie auch noch Sorge dafür tragen, dass Kate nichts zustieß. Und dann waren da Ravena, Shantra, Carolin und Ysabell, ihre ehemaligen Mentorinnen und nun die neuen Großen Vier. Willow bezweifelte nicht ihre Fähigkeiten als Hexen, aber wie würde die Zusammenarbeit mit ihnen werden? Außerdem hatte sie noch diesen bitteren Nachgeschmack in der Kehle von der Geheimnistuerei der Vier. Und zum Schluss gab es noch Chester und Hunter, die Wächter von Willow und Kate; in Katzengestalt.

Warum sind die zwei eigentlich noch da? Ich dachte, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, müssen sie gehen ...?

Ein Gedanke, der Willow nicht los ließ. Dies änderte sich jedoch, als sie merkte, dass sie gemustert wurde. Alle schauten die junge Frau erwartungsvoll an, aber diese wollte und konnte noch keine Entscheidung treffen. Sie musste zuerst die Wahrheit wissen, allerdings hörte man an ihrer Stimme, dass sie zögerte und die Antwort

vielleicht gar nicht hören wollte.

„Kate, lass uns kurz miteinander reden. Alleine.“

Die Angesprochene nickte und ging mit ihrer Freundin ein paar Schritte einen Hügel hinunter. Die beiden Frauen setzten sich auf eine Blumenwiese voller blauer Kornblumen und kleinen Gänseblümchen. Sie genossen die Sonne, die Vogelgesänge und die herrliche Aussicht. Wer wusste schon, wie oft sie solche Momente noch haben würden. Willow musste unweigerlich schlucken bei dem Gedanken. Es kam ihr auf einmal so endgültig vor, als würde morgen die Welt untergehen. Sie fühlte sich elend dabei, mit leichten Bauchschmerzen; und ein wenig schwindlig war ihr auch. „Hör zu, ... ich bin noch sauer auf dich, weil du mich angelogen hast.“ Kate schaute geknickt, wusste aber, dass sie dies nun ertragen musste. Zurecht. „Aber, … ich bin hier in etwas reingeraten, von dem ich weder weiß, was mich genau erwartet, noch ob ich es schaffen werde.“ Kate sah den verzweifelten Blick ihrer Freundin, der ihrem Herzen einen Stich versetzte. Instinktiv

griff sie nach ihrer Hand. „Ich weiß aber, … dass ich das alles nicht alleine schaffen kann. Darum sei bitte ehrlich zu mir, bevor wir uns in dieses Abenteuer stürzen; und erzähl mir alles.“

Die Hexen schauten sich tief in die Augen, bis Kate mit einem schweren Seufzen alles heraus plapperte; ohne Punkt und Komma.

„Ich war neugierig, wie immer, und hab im Keller des Baumhauses einen Raum gefunden. Dort hängt ein Bild der Oberhexe, die dieselbe Kette trägt wie du. Ich hatte eine Vorahnung, aber die hat mir Hunter erst beim Beltane-Fest bestätigt. Wahrscheinlich hatte ich Angst, dass ich wieder Recht haben könnte. War ja auch so … Verdammt, Will! Warum habe ich immer mit schlechten Dingen recht?“ Kate atmete tief durch und krallte beide Hände links und rechts von sich ins Gras, als ob es sie davor bewahren würde von der Welt, die sich für die beiden Freundinnen komplett gedreht hatte, herunter zu fallen. „Jedenfalls … Hunter sagte mir, dass ich es dir unter keinen Umständen erzählen dürfte. Es hätte sonst die Zukunft beeinflusst. Es war dir vorbestimmt, erweckt, geprüft und zur Oberhexe ernannt zu werden. Hättest du es vorher gewusst, hättest du dich vielleicht geweigert, Chester in die Hexenwelt zu folgen, an den Prüfungen teilzunehmen, oder, oder, oder, …!“

Kate atmete tief durch und fühlte sich erleichtert, jetzt da sie alles gebeichtet hatte. Ganz langsam ließ sie das Gras wieder los. Das Kapitel Hunter ließ sie mit Absicht unter den Tisch fallen; hatte sie ihrem Wächter doch versprochen, zu schweigen.

„Aber warum ich, Kate?“

„Das weiß ich auch nicht, Süße. Kann ich dir nicht sagen, wirklich.“ Die Freundinnen schwiegen geraume Zeit. Willow schaute zu den Bergen und fragte sich, was wohl dahinter lag. „Was ist mit Ravena? Wirst du ihr verzeihen?“

„Ich weiß es nicht. Wie soll ich mich denn ihr gegenüber verhalten? An Beltane gesteht sie mir ihre Liebe und an Lugnasad erfahr ich, dass sie von Anfang an wusste, dass ich die Oberhexe werde und sie mit den anderen die neuen Großen Vier. Ich komm mir betrogen vor, Kate. Betrogen und ausgenutzt.“

„Aber … glaubst du wirklich, dass sie so abgebrüht ist, dir Gefühle vorzuspielen, damit sie kriegt, was sie will? Ysa hat erzählt, dass Hexen uneigennützig handeln. Die kennen keine Bereicherung, also warum sollte sie?“

Willow schüttelte nur den Kopf und versuchte, nicht sehnsüchtig an Ravena zu denken. Ihre Blicke, ihre Stimme, ihre Küsse, ihre Berührungen. Nein, Willow wollte nicht daran denken. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an angeblich schöne Momente. Vorgetäuschtes und scheinheiliges Glück.

„Ist mir egal, Kate. Ich brauch das nicht. Nicht jetzt und auch nicht irgendwann, okay? Ich will jetzt nur eins wissen: kann ich auf dich zählen?“

Die blonde Frau lächelte gerührt und umarmte ihre Freundin innig. „Immer und das wird sich nie ändern.“

Kapitel 2

Die zwei Hexen gingen zurück zu ihren Gefährten. Diese, geduldig wartend, sahen den Freundinnen an, dass sie sich ausgesprochen hatten. Willow schien erleichtert, allerdings noch längst nicht entspannt.

„Okay, hört zu: ich weiß zwar nicht, was mich geritten hat, als ich dieser verrückten Mission zugestimmt habe, aber … es ist nicht zu ändern. Wir müssen da durch; zusammen. Allerdings möchte ich, bevor wir nur einen Schritt gehen, von euch die Wahrheit wissen. Die Ganze, ohne irgendetwas auszulassen. Und zwar sofort.“

Die Frauen wechselten vielsagende Blicke untereinander, dann begannen sie zu erzählen. „Vor einem Jahr riefen die Großen Vier uns zu sich. Sie prophezeiten, dass die Oberhexe sterben und eine Nachfolgerin erwählen würde“, begann Shantra.

„Welche Prophezeiung?“, unterbrach Willow diese.

„Eine der Großen Vier besaß die Gabe der Vorahnung. Das bedeutet, sie kann in ihren Träumen einen Blick in die Zukunft erhaschen. Normalerweise zeigt sich diese Gabe selten, schon gar nicht mehrere Nächte hintereinander. Aber es war so. Sie sah den Tod der Oberhexe und schemenhaft ihre Nachfolgerin. Dich.“

Willow stutzte, da ihr das so unheimlich bekannt vorkam. Sie wandte sich an Chester.

„Meine Träume … Du sagtest doch, es wären Erinnerungen. Kann es nicht sein, dass ich ebenfalls die Gabe der Vorahnung besitze?“

Chester runzelte die Stirn, was bei einer Katze viel zu menschlich wirkte.

„Das kann ich mir nicht vorstellen, Kleines. Diese Gabe kam bis jetzt ganz selten vor.“

„Moment! Hieß es nicht, es gäbe sieben Gaben und die Oberhexe wäre die Einzige, die alle besitzt?“, meinte Kate.

„Fast. Magie ist vielschichtiger, als man denken mag. Es sind uns sieben Gaben bekannt, allerdings habe ich einmal von zehn gelesen. Weiteres konnte ich jedoch noch nicht herausfinden.“ Shantra atmete tief durch, sie sah Willow an, dass diese überfordert war.

„Das ist schon richtig, aber Willow du hattest schon vor deiner Bindung, also vor der Sonnenfinsternis, diese Träume. Magie trägt jede Hexe in sich, aber Gaben und Fähigkeiten entwickeln sich, versteht ihr? Das bedeutet, es kann noch viel mehr Gaben und Fähigkeiten geben, als wir bis jetzt wissen.“

Willow ging auf und ab. In ihr arbeitete es. Sie spürte, dass ihre ganzen Fragen endlich beantwortet wurden und sie wollte unbedingt wissen, wohin das führen würde. „Okay, … lassen wir das Thema erst mal sacken. Redet weiter“, schlug Kate vor.

„Wir wurden zu den Nachfolgern der Großen Vier ernannt. Uns wurde nahe gelegt, kein einziges Wort über die Prophezeiung fallen zu lassen. Niemand durfte davon wissen. Du erst recht nicht, Willow. Nichts durfte dich und deine Entscheidungen beeinflussen. Es musste alles aus freien Stücken passieren“, ergänzte Carolin.

„Gut. Wenn wir schon bei der Wahrheit sind: es gibt eine Frage, die Willow besonders interessiert, also antwortet ehrlich. Habt ihr geschwiegen, um sie vor einer Fehlentscheidung zu bewahren oder um euren Platz an der Spitze des Zirkels zu sichern?“

Ysabell schien empört und schnappte fassungslos nach Luft.

„Aber nein! Es war für uns ein Schock, dass wir aufsteigen und so größere Verantwortung übernehmen sollten. Jeder von uns wäre gerne eine normale Hexe geblieben. Wir konnten es uns genauso wenig aussuchen. Bitte glaubt uns das.“

Kate wollte etwas erwidern, aber Willow brachte sie zum Schweigen, indem sie ihr eine Hand auf die Schulter legte.

„Lass gut sein. Ich glaube ihnen.“ Die Blicke von Ravena und Willow trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, aber die junge Oberhexe zwang sich weg zu schauen. „Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen, aber das ist jetzt nicht so wichtig. Was zählt, ist, dass wir hier nur bestehen können, wenn wir zusammen halten, in Ordnung?“

Die Hexen nickten sich zu, woraufhin Willow erleichtert aufatmete.

„Und was tun wir jetzt?“, fragte Kate. „Keine Ahnung, wo wir hier sind.“

Sie schauten sich um. Es schien nur unberührte Natur und keinerlei Zivilisation zu geben, bis sie mit Anstrengung in mehreren Kilometer Entfernung Rauch aufsteigen sahen. Vielleicht ein Dorf.

„Ich glaube, da lebt jemand. Lasst uns dahin gehen und uns erkundigen wo und vor allem wann wir hier sind.“

„Wann?“, fragte Carolin.

„Die Großen Vier hatten erzählt, dass Papst Anterus von einer bösen Macht besessen wäre und die Zeit verändert hätte.“

Kate schaute ihre Freundin mit großen Augen an. Sie wurde ganz blass um die Nase herum.

„Ist dieser Papst das Oberhaupt der Kirche?“

„Ja“, sagte Willow.

„Und den sollen wir aufhalten?“

„Ja, Kate.“

Die Angesprochene seufzte ergeben.

„Ich wusste, dass dieses Hexen-Ding einen Haken hat.“

„Das ist aber nicht alles …“

„Was denn noch?“, schluckte Kate. Ihr wurde langsam mehr als schlecht.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, sollen wir die böse Macht besiegen und den Papst dazu bringen, die Inquisition zu beenden.“

Kate lachte ironisch auf und fuhr sich nervös durchs Haar.

„Wie sollen wir das schaffen, Will? Wir sind nur

sechs Hexen gegen ein ganzes Heer von kranken Glaubensträgern!“

„Ich weiß es wirklich nicht“, gestand Willow. „Darum bitte: ein Schritt nach dem anderen, okay? Lasst uns aufbrechen und schauen, wie wir weiter vorgehen werden.“ „Etwa zu Fuß? Dort hin?“, entfuhr es Kate und zeigte zu dem vermeintlichen Dorf in der Ferne. Sie war leicht entsetzt.

„Ja, ich denke nicht, dass hier innerhalb der nächsten dreihundert Jahre ein Bus vorbei kommt.“ Willow machte sich auf den Weg und die anderen folgten ihr. Auch Kate, die schwer seufzte, weil sie Wandern absolut scheußlich fand.

Kapitel 3

Die Hexen und Wächter setzten sich in Bewegung. Ihr Weg führte sie querfeldein, da nirgends weit und breit eine Straße zu sehen war. Die hügeligen Wiesen waren überwuchert mit schwarzen und grünen Klee. Goldhafer und Quecken wuchsen überall. Man konnte dem anhänglichen Doldengras gut ausweichen, bis sie einem ziemlich weit ausuferndem Horst gegenüberstanden. Keine Chance, diesen ohne großen Zeitaufwand zu umgehen. Chester schaffte es fast unbeschadet den Hexen zu folgen. Aber Hunter hatte weniger Glück, wie Kate schmunzelnd feststellte, als sie sich nach ihm umdrehte. Sie schaute den Kater mitleidig an, der aus dem Horst getapst kam; das ganze Fell voll mit Grasdolden. Die Hexe kniete sich nieder und half ihrem Wächter die ungewollten und hartnäckigen Anhängsel los zu werden. Sie zog sie so vorsichtig wie möglich aus dem Fell, was Hunter zappelnd und leise fauchend hinnahm. Die Gruppe folgte dem Bach und hüllte sich dabei in Schweigen. Vieles ging ihnen durch den Kopf: wo sie waren, wann sie waren, was sie erwarten und welche Gefahren in dieser Welt auf sie lauern würden. Willow hingegen hatte noch anderes im Kopf. Dinge, die sie mehr beschäftigten.

Warum nur hat Gabriele mich zu ihrer Nachfolgerin erwählt? An mir ist doch nichts Besonderes. Ich weiß nicht mal, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin.

Just in dem Moment musste die Hexe an ihre Träume denken, die sie gehabt hatte. Sie waren nicht mehr vorgekommen, aber Willow spürte, dass sie mehr als nur Träume waren. Die Frau hoffte, bald Klarheit darüber zu bekommen.

„Will?“

Die Angesprochene schaute nach rechts. Ravena hatte sie eingeholt, um auf ihrer Höhe mitzulaufen. „Können wir reden?“

„Nein.“

„Will, bitte …“

„Nichts da bitte. Wir haben uns nichts mehr zu sagen, klar?“

„Ja, aber …“

Willow blieb gereizt stehen und funkelte die andere böse an.

„Hör zu, ich sag das jetzt nur einmal: lass mich in Ruhe. Ich habe deine Geheimnisse und Lügen so satt. Such dir eine andere Dumme, Ravena.“

Mit diesen Worten ließ Willow die Hexe stehen und ging weiter. Es war ihr aber nicht entgangen, dass Ravena verletzt gewirkt hatte. Es fiel Willow schwer, all dies nicht mehr an sich ran zu lassen; nicht mehr dem Drang nachzugeben, ihr nahe sein zu wollen.

Ich muss sie vergessen. Jedes einzelne Gefühl, welches ich für sie empfinde, redete sie sich ein.

Kate hatte es beobachtet und ging etwas schneller, um ihre Freundin einzuholen. „Alles okay?“ Willow nickte, aber man sah ihr an, dass es sie doch nicht so kalt ließ, wie sie es einem weiß machen wollte. „Will, … du liebst sie doch …“

„Nein!“, unterbrach diese Kate barsch und mit zitternder Stimme, „Es ist vorbei, noch bevor es richtig angefangen hat. Und vielleicht ist es auch besser so.“

Eine knappe Stunde später war ihr Ziel erreicht: ein malerisch kleines Dorf, eingebettet zwischen Hügeln. Die Hexen und Wächter sprangen über Steine im Bachlauf, um das andere Ufer zu erreichen. Im Schutz einer Anhöhe verharrten sie kurz und beobachteten die Leute, die im Dorf lebten. Es schienen Bauern zu sein, die Rinder, Schafe und Ziegen hielten. Sie trugen einfache Leinenbekleidung und auch ihr Werkzeug schien altertümlich. Kleine Mädchen saßen zusammen vor einem Haus und spielten mit handgemachten Puppen. Ein paar Jugendliche übten sich mit einer Zielscheibe im Bogenschießen. Frauen wuschen mit Seife und Waschbrettern ihre Wäsche per Hand an einem Brunnen und unterhielten sich angeregt miteinander, während sich die Männer um ihre Tiere oder die Feldarbeit kümmerten. Ein bißchen erinnerte es an den Alltag im Hexendorf und Willow verspürte leises Heimweh.

„Was meint ihr? Können wir es riskieren, hin zu gehen?“

„Wir fallen nur eben sehr auf mit unserer modernen Kleidung“, sagte Shantra.

„Glaubst du, dass sie uns dafür lynchen werden?“

Shantra schüttelte den Kopf. Als Willow sich in Bewegung setzte, folgten ihr die anderen. Alle hatten ein ungutes Gefühl, je näher sie dem Dorf kamen. Allerdings ließ sich keine etwas anmerken. Die Hexen wurden zuerst von den spielenden Mädchen entdeckt, dann von den anderen. Es wurde ganz still. Jeder beobachtete die Fremden. Allerdings nicht feindselig, sondern neugierig und erstaunt. Vereinzelte Leute wichen den Fremden aus und suchten Schutz in ihren Häusern. Jedoch nicht viele.

„Wir werden weder beschimpft, noch

angegriffen. Ist doch gut“, flüsterte Kate ihrer Freundin zu.

Und trotzdem blieben die Hexen wachsam, während sie durch das Dorf gingen, vorbei an den Einwohnern. Jeder starrte die Fremden an und beobachtete, wohin sie gingen, aber keiner machte Anstalten, sie zu verfolgen. Willow war erleichtert, wusste allerdings nicht, ob sie dies wirklich sein durfte. Vielleicht war es noch zu früh dafür. Das Dorf war wirklich nicht groß. Nach nur ein paar Minuten waren sie fast durch gelaufen.

Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als jemanden anzusprechen. Schon allein wegen Proviant. Kaum hatte Willow dies zu Ende gedacht, als sich ein Mann mittleren Alters sich ihnen in den Weg stellte. Nicht bedrängend, eher zufällig. Willow wollte schon wachsam einen Schritt zurück weichen, weil sie nicht wusste, was passieren würde. Doch dann sah sie, dass der Mann mit dem rot-blonden Drei-Tage-Bart lächelte. Es war ein aufrichtiges Lächeln, dass vertrauenserweckend wirkte.

„Hallo. Verzeiht mir, dass ich euch einfach so anspreche. Mein Name ist Nikolas und mir gehört das Gasthaus im Dorf. Ihr seht aus, als kämt ihr von weit her. Bestimmt habt ihr Hunger“, sagte er so einfach, als wäre es das normalste der Welt.

Die Hexen waren verdutzt, Willow war jedoch erleichtert, dass sie sich wenigstens in derselben Sprache verständigen konnten. Fremdsprachen hatten noch nie zu ihren Stärken gezählt. Kommentarlos folgte die Gruppe Nikolas. Willow musterte den hochgewachsenen stämmigen Mann, wie er vor ihr her ging. Er trug sein schulterlanges Haar zu einem festen Zopf im Nacken und wirkte mit seinem breiten Kreuz eher wie ein Holzfäller. Er führte sie zu einem Haus. In alter geschwungener Schrift stand über der Tür Gasthaus. Es war deutlich größer als alle anderen Häuser, aber sah einladend aus. Drinnen war es menschenleer. Licht durchflutete den großen Raum, der angefüllt war mit Tischgruppen. Auf Ysabells fragenden Blick, antwortete der Mann: „Tagsüber ist hier niemand. Alle sind mit ihren Familien oder dem Tagewerk beschäftigt. Abends jedoch sitzt ein jeder Mann und so manche Frau hier.“ Der Gastwirt zeigte zu einem Tisch, nicht weit entfernt vom nächsten Fenster. Die Frauen setzten sich, die Wächter huschten unter den Tisch. Der Mann verschwand kurz hinter der Theke und kam mit einem großen Tablett zurück zum Tisch. „Ich heiße euch in meinem Dorf willkommen.“

Nikolas stellte Teller und Becher auf den Tisch, einen Krug mit Milch, ein großes Brot, Käse und Obst. Willow schaute verwirrt drein, dann brach sie doch ihr Schweigen: „Warum bist du so nett zu uns? Wir sind doch Fremde für dich.“

Wieder lächelte der Mann.

„So war ich schon immer und ich habe es nie bereut. Meine Frau, wisst ihr, habe ich genauso kennen gelernt, wie ich euch gerade. Sie war eine Fremde auf der Flucht vor der Kirche, da man sie der Ketzerei beschuldigt hatte. Ich gab ihr Obdach ... und mein Herz. Und nur weil ihr fremd seid, heißt das nicht, dass ihr böse Absichten habt. Nun stärkt euch“, bat Nikolas und verschwand erneut hinter der Theke, um einen Besen zu holen. Während er den großen Raum säuberte und die Stühle neu an die Tische stellte, fragte sich Willow, ob sie ihrem positiven Bauchgefühl trauen konnte.

„Will, iss was“, bat Kate und brachte ihre Freundin dazu einen Apfel zu essen.

Nach dem sich die Hexen gestärkt und auch die Wächter ihre bereit gestellte Milch ausgetrunken hatten, baten sie Nikolas, ihnen Gesellschaft zu leisten. Der Gastwirt setzte sich an den Tisch dazu. „Wie du gemerkt hast, kommen wir nicht von hier“, begann Ysabell. „Können wir dir deshalb ein paar Fragen stellen?“

„Aber sicher.“ „Wie heißt dieses Dorf?“ „Es hat keinen Namen“, antwortete Nikolas, wofür der verwirrte Blicke kassierte. „Es gibt viele Dörfer in Bhagavan, die keine Namen tragen.“ „Bhaga- was?“, unterbrach Ysabell mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie gerade an Kuhmist riechen müssen. „Bhagavan. So heißt dieses Land. Anscheinend seid ihr von noch viel weiter her, als ich dachte“, sagte Nikolas und verkniff sich ein Schmunzeln, da Ysabell immer noch so drein blickte, als hätte sie einen üblen Geruch in der Nase.

„Welches Jahr haben wir?“, fragte Carolin vorsichtig.

„1408 nach Christus Geburt“, antwortete Nikolas und verzog dabei keine Miene.

Die Hexen schauten sich abwechselnd an. Sie hatten nicht erwartet, dass die Zeit so weit zurück gedreht worden war. Kate schluckte, wagte sich kaum den Mund aufzumachen, aber eine Frage ließ sie nicht los: „Das bedeutet, … die Inquisition ist im vollen Gange …?“

Ihre Gefährten schauten sich entmutigt an.

Ihnen allen wurde ganz flau im Magen. „Ja, so ist es“, meinte Nikolas. Ein trauriger Unterton schwang in seiner Stimme mit, was Willow aufhorchen ließ. Sie beobachtete, wie der sonst fröhlich wirkende Mann den Kopf senkte und in Schweigen verfiel. Ein kurzes trauriges Schweigen. „Die Kirche … hat meine Mädchen mitgenommen. Es waren Zwillinge. Blond. Blaue Augen. Wenn sie lächelten, strahlte die Sonne. Sie … waren zwölf als sie geprüft wurden … Älter durften sie nicht werden …“ Nikolas wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Meine Frau, wisst ihr, … starb bei der Geburt von Lucy und Sandra. Ich habe lange um sie getrauert und vermisse sie immer noch, … aber heute … bin ich einfach nur froh, dass sie das alles nicht miterleben muss. Es hätte sie umgebracht.“

Willow legte dem Gastwirt tröstend eine Hand auf die Schulter.

„Weißt du, … wer wir sind?“

„Ja, ... ich habe da eine Ahnung.“

„Du musst uns nicht helfen, okay? Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst wegen uns.“

Der Mann sah auf, in Willows Augen. Ein paar Sekunden lang, dann lächelte er gütig. „Ihr seid nicht unsere Feinde. Meine erst recht nicht. Ihr könnt nichts für den ... Rachefeldzug der Kirche gegen euresgleichen.“ Shantra runzelte fragend die Stirn.

„Rachefeldzug? Wie meinst du das? Rache an was denn?“ Nikolas zuckte nur mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Es fühlt sich nur sehr ... persönlich an. Als hätten die Hexen der Kirche etwas getan.“ Die Frauen wechselten wachsame Blicke miteinander und Willow wurde das Gefühl nicht los, dass es da etwas gab, was sie noch nicht wusste. „Ich habe alles verloren, was mir je etwas bedeutet hat. Die Kirche kann mir nichts mehr nehmen. Außerdem … hätte meine Karina gewollt, dass ich euch helfe.“ Willow schluckte und dachte an die Quelle der Wahrheit. Sie erinnerte sich an die Bilder der Vergangenheit, die ihr gezeigt wurden. Willow wusste, dass die Kirche einem alles nehmen konnte. Einfach alles. Ohne Skrupel. Einfach so. „Lasst mich euch helfen.“

Kate schaute zwischen Nikolas und Willow hin und her. Sie erkannte sofort, dass ihre Freundin unentschlossen war. Sie zupfte an deren Ärmel.

„Will, kann ich dich kurz alleine sprechen?“

Die zwei Frauen zogen sich in eine andere

Ecke des Gasthauses zurück. Sie lehnten sich rücklings an die Platte eines Tisches; wollten jetzt nicht sitzen. Wenn einem zu viel im Kopf herum schwirrte, konnte man nicht einfach still sitzen und ruhig darüber reden; wie über das Wetter oder was es wohl zum Mittagessen geben würde.

„Was ist los?“

„Kate, ich kann das nicht, okay? Ich kann da keinen Unschuldigen mit reinziehen. Er hat damit nichts zu tun.“

„Okay. Time-out, ja?“, Kate packte ihre Freundin an den Schultern und schüttelte sie einmal kräftig. „Was ist los mit dir?“

„Ist das dein Ernst? Fragst du das jetzt wirklich?“

„Nein, Will. Ich meine nicht die Oberhexen-Sache oder das mit der Inquisition. Du weißt genau, was ich meine. Seit den Prüfungen bist du seltsam. Was hast du in der Quelle gesehen?“

„Das … willst du nicht wissen“, murmelte Willow.

Kate verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf zur Seite und zog spöttisch ihre Augenbrauen hoch. Sie wartete auf eine Antwort und würde nicht nachgeben, bis sie diese erhielt. Willow seufzte ergeben und erzählte alles, was sie gesehen hatte. Als sie endete, wurde Kates Gesichtsausdruck ernst. „Bist du eigentlich total bescheuert, dass alles für dich zu behalten? Davon abgesehen, was das psychisch mit dir macht; muss ich dir wirklich noch mal die Grundprinzipien einer guten Freundschaft erklären?“

Willow schüttelte den Kopf.

„Nikolas? Könnten wir etwas Proviant haben?

Und Pferde bräuchten wir auch. Wir werden

so schnell wie möglich aufbrechen.“

Der Mann nickte und verließ das Gasthaus. Kate klopfte ihrer Freundin anerkennend auf die Schulter.

„Siehst du? Er wird in nichts hinein gezogen und hilft uns trotzdem.“

Die Hexen wollten gerade beratschlagen, wohin ihre Reise als nächstes gehen sollte, als Nikolas wenige Minuten später panisch ins Gasthaus zurück gestürmt kam und die Tür hastig von innen verriegelte. Er eilte zu allen Fenstern und verschloss die hölzernen Rolläden. Als er damit fertig war, bedeutete er seinen Gästen schweigend, sich auf den Boden zu setzen und still zu sein. Draußen wurde es unruhig. Leute redeten und riefen durcheinander. Man hörte Türen und Fenster zuschlagen, viele herum rennen. Und dann erklang Pferdewiehern und Hufgetrappel. Willow wusste sofort, dass es Anhänger der Kirche waren. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb. Ängstlich. Aufgeregt. Wenig hoffend.

Kapitel 4

Obwohl Nikolas seine Gäste darum gebeten hatte, sich auf den Boden zu setzen, konnte Willow einfach nicht verharren. Sie stand auf und schlich zu dem Gastwirt, der an einem Fenster stand. Er spähte durch einen schmalen Spalt nach draußen. Willow tat es ihm gleich. „Kommen die öfters?“

„Alle sechs Monate reiten sie durch die Länder. Auf der Suche nach Mädchen, die das zwölfte Lebensjahr erreicht haben.“

Willow dachte an die Vision in der Quelle der Wahrheit. Sie wusste deshalb, dass Magie schon viel früher in Mädchen erwachen konnte. Die Kirche liegt so falsch in vielen Dingen ...

Die Hexe bekam eine Gänsehaut. Ungefähr zehn Reiter erreichten auf verschwitzten Pferden das Dorf. Dies war heute also nicht ihr erstes Dorf, schlussfolgerte Willow. Die Soldaten trugen Schärpen mit einem großen goldenen Kreuz darauf. Die Waffen, die sie bei sich trugen waren genauso unübersehbar.

„Keine Angst. Sie führen genau Buch und wissen, wo wer zu holen ist. Sie machen sich nicht mehr die Mühe, alle Häuser zu durchsuchen, wie vor fünf Jahren.“

„Und …“, begann Willow zögerlich und schluckte, „was machen sie mit den Mädchen?“

„Sie nennen es Eintreibung, wenn sie die Mädchen holen. Danach müssen sie sich vier Proben, also Tests unterziehen. Die offenbaren sollen, ob sie Hexen sind oder nicht.“

Die Soldaten stiegen von ihren Pferden und schoben im Dorf auseinander. Man hörte, wie Türen aufgebrochen, Kinder ihren Eltern entrissen wurden. Schreie. Tränen. Verzweiflung. So musste Willow mit ansehen, wie sechs Mädchen zusammen getrieben wurden. Die Soldaten stellten sich um ihre Gefangenen im Kreis auf, damit sie nicht entkommen konnten. Die Mädchen machten jedoch keinerlei Anstalten zu fliehen. Zu groß war die Furcht vor den Proben und den daraus resultierenden Konsequenzen. Ängstlich hockten die Mädchen auf dem Boden, eng aneinander gedrückt und hielten sich gegenseitig im Arm. Keine wollte jetzt alleine sein. In Willow begann es zu brodeln. Ganz langsam, aber sicher. Sie spürte es in sich aufsteigen. Die Fassungslosigkeit und die Wut. Wie konnten Menschen nur so grausam sein, fragte sich die Hexe.