Rainbow Romance - Melanie Bayer - E-Book

Rainbow Romance E-Book

Melanie Bayer

0,0

Beschreibung

Daniela (gay) und Luke (gay) lernen sich bei einer Dating-show kennen und müssen feststellen, dass alle anderen Teilnehmer hetero sind. Sie tun sich zusammen, damit sie vor den anderen ihre Ruhe haben und hoffen auf zwei Wochen relaxen am Meer. Doch da machen plötzlich aufkommende Gefühle den beiden einen dicken Strich durch die Rechnung. Gefühle, die die beiden auch nach der Show nicht loslassen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 311

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rainbow Romance
Find me

Melanie Bayer

Rainbow Romance

Über die Autorin:

Melanie Bayer (jetzt Pilz), Jahrgang 1984, lebt mit ihrer Frau, zwei Katzen und zwei Hunden in Österreich.

Neben der Liebe zum geschriebenen Wort, unterstützt sie die LGBTQCommunity, den Tierschutz und gibt Deutsch-Unterricht für Immigranten. Weitere Informationen zur Autorin und ihren Büchern unter

www.melaniebayer.vpweb.de

Achtung:

Dieses Buch enthält eine Triggerwarnung!

Bitte auf Seite 515 weiterlesen!

„Das Problem ist nicht das Problem. Das Problem ist deine Einstellung zu dem

Problem.“

Captain Jack Sparrow in Fluch der Karibik

Find me

Kapitel 1

„I`m never gonna dance again, quilty feet have got no rhythm…“

Warum, um Gottes Willen, werde ich immer sentimental, wenn ich George Michael höre? Ich weigere mich, daran zu glauben, dass es am Text liegt und schiebe es auf seine Stimme. Ja, doch. Das muss es sein beschließe ich und seufze genervt, während ich durch das Projektionsfenster linse. Der Zuschauerraum ist fast voll, was selten bei Filmen der Fall ist, die es schon bei Netflix zu sehen gibt. Deadpool gehört zwar definitiv zu meinen Lieblingsfilmen, aber das Lied von George Michael am Ende mit der übertrieben langen Hetero-KussSzene, ist eindeutig too much for me. Aber da muss ich durch; das ist der Nachteil, wenn man in einem Kino arbeitet: Man muss bis zum bitteren Ende bleiben. Also seufze ich erneut und warte bis sich auch der letzte Zuschauer aus seinem Sitz erhoben hat, um den Heimweg anzutreten. Der ewig lange Abspann läuft und ich hole mir ein Paar pinke Latex-Einmalhandschuhe aus dem Spender an der Wand. Ich ziehe sie über und lasse sie dabei beängstigend schnalzen. Übertrieben die Arme angewinkelt und die Hände hochhaltend, mime ich den Arzt vor einer wichtigen OP und verpasse der Schwenktür mit der Hüfte einen Schups. Mit einem großen Müllbeutel am Gürtel bewaffnet, stelle ich mich nun dem unangenehmen Teil meines Jobs. Ich rümpfe angewidert die Nase, als ich das ganze verschüttete Popcorn und sonstigen weggeschmissenen Müll finde. Bevor ich eine Sitzreihe nach der anderen ablaufe, zieh ich über meine Sneakers

Schuhüberzieher an. Mit Grauen denke ich an

meine erste Kinoreinigung. Prompt bin ich in Kaugummi getreten, danach in herunter gefallenes Eis.

Nein, so was ist nicht lustig …!

Seit daher sind fünf Jahre vergangen. Mit neunzehn Jahren wurde ich zur Alleinerbin meiner Großeltern, die im stolzen Alter von 93 und 95 verstorben waren.

Sie hatten all ihre Ersparnisse in dieses kleine nostalgische Kino aus den 50ern gesteckt. Vor ihrem Tod bekam es sogar Denkmalschutz. Während ich mit einem Staubsauger die Sitze absauge, denke ich an jene Zeit zurück. Es war immer aufregend gewesen, als kleines Kind im Kino zu helfen, kostenlos Filme zu schauen und Popcorn zu essen, bis man nicht mehr konnte. Ich vermisse meine Großeltern sehr, vor allem wenn ich allein die Zuschauerräume reinige. Mit einer Fusselrolle entferne ich Haare und ähnliches von den Lehnen und kontrolliere alles auf Flecken und Beschädigungen. Das habe ich von meiner Großmutter. Sie war immer sehr gründlich und darum bemüht, das Mobiliar lange in Schuss zu halten. Heute mit 24 weiß ich alte Möbel noch mehr zu schätzen als früher, und genauso alte Gebäude. Ich liebe dieses kleine Kino mit seinen drei Sälen einfach so sehr. Nicht nur, weil es mich an meine Kindheit erinnert, die ich hier zum größten Teil verbrachte, sondern auch, weil ich mich hier meinen Großeltern wieder nahe fühle, obwohl sie längst nicht mehr da sind. Dieser Gedanke verpasst mir noch heute einen Stich und ich weiß, dass dies wahrscheinlich nie weg gehen wird.

Mit einem Besen fege ich den gröbsten Dreck zusammen und beginne dann auf allen Vieren unter den Sitzen zu saugen. Genau 15 Minuten nach Ende des Abspanns bin ich fertig mit dem Zuschauerraum und will gerade mit zwei fast vollen Müllsäcken die Treppenstufen zum Ausgang raus gehen, da kommt mir eine Mitarbeiterin entgegen.

„Daniela, du hast Besuch“, sagt die Schwarzhaarige zu mir.

„Komme“, antworte ich und folge ihr hinaus. Rosalie ist so alt wie ich und hat das Wort Grufti-Braut quasi erfunden. Sie ist schrecklich blass, fast kränklich wirkend, hat schwarz gefärbte Haare, übertriebene Smokey-Eyes und ihr Kleidungsstil ist ein Gemisch aus Vintage und Gothic. Ihre Arme, die voll tätowiert sind mit bunten Disney-Zeichentrickfiguren unterstreichen ihre Abstraktheit, denn trotz ihres Aussehens, ist Rosalie der Inbegriff von Guter Laune. Ich habe schon viele Abende mit ihr zusammen gelacht, geredet und Quatsch gemacht. Das wir uns gut verstehen liegt wohl auch daran, dass wir zusammen die Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau gemacht haben. Kurz vor dem Abschluss erfuhr ich von meinem Erbe und da hatte ich sie kurzerhand gefragt, ob sie einen Job braucht. Ja, ich kann mir keine bessere Kollegin vorstellen, denn sie ist fleißig und immer motiviert bei der Sache. Rosalie nimmt mir die Müllsäcke ab, während ich mir die Überzieher und die Handschuhe ausziehe. Ich werfe sie in einen der Säcke und gehe den kleinen Gang entlang, der dann die Treppe hinunterführt. Im Erdgeschoss ist die Bar mit Sitzgelegenheiten, der Kassenraum und der Verkaufsstand. Mir steigt der Geruch von frischem Popcorn in die Nase, als ich weitergehe. Und wen treffe ich dort? Meine Clique, die besten Mädels der Welt. Wir waren vor vielen Jahren in derselben oder in der Parallelklasse und sind seit daher unzertrennlich. Wir fünf lesbischen girls. Sie begrüßen mich begeistert grölend und mit weit aufgerissenen Armen, in die ich mich freudig werfe. Kurz darauf ertönt ein fürchterlich schief gesungenes Happy Birthday Ständchen, was ich dankbar, aber mit gequältem Gesichtsausdruck zur Kenntnis nehme.

„Danke, ihr seid so lieb.“

„Für unsere Schnecke immer!“, jubelt Nicole einen Tick zu laut. Ich schätze, dass sie schon ein bisschen was intus hat, sage aber nichts dazu. „Und was habt ihr geplant? Muss ich Angst haben?“, lache ich.

Birte legt mir einen Arm um die Schulter und grinst frech.

„Keine Stripper, versprochen.“

„Danke, sehr gnädig von dir“, sage ich.

„Aber auch keine Stripperinnen … Stripperlinen …? Wie heißt das denn nun?“

Ich pruste los, da Birte so verpeilt dreinblickt, dass ich nicht anders kann als zu lachen.

„Schon okay. Ich weiß, was du meinst.“

„Wir gehen natürlich ins Rosa Loch!“, grölt Kathrin, woraufhin alle meine Mädels einstimmen. Ich gebe Rosalie den Schlüssel und bitte sie Kasse zu machen und dann abzuschließen. Auf sie kann ich mich verlassen und muss mir keine Sorgen machen. So kann ich mich voll auf meine chaotische Clique konzentrieren. Wir schlendern Arm in Arm durch die dunklen Straßen und steuern die nahe gelegene Fußgängerzone an. Inzwischen ist es fast halb elf nachts. Die perfekte Uhrzeit für ein paar Cocktails und gute Musik in weiblicher Atmosphäre. All dies, gespickt mit einem wilden Mix aus Frauen fast jeglicher Altersgruppe, findet sich versammelt im Rosa Loch; einer lesbischen Szene-Bar. Unsere Stamm-Bar. Nachdem wir die Schule abgeschlossen hatten, geoutet waren und unsere Sexualität auch auslebten, suchten wir nach Anschluss zu anderen lesbischen Frauen. In unserer Ausbildungszeit waren wir fünf fast jeden Abend im Rosa Loch, haben uns verbal ausgekotzt über den Job, fehlendes oder chaotisches Liebesleben, Ex-Freundinnen und so manches mehr. Eine tolle Zeit und ich denke gerne daran zurück. Heute sind wir alle etwas älter, haben feste Jobs und leider nicht mehr so viel Zeit füreinander wie früher. Umso mehr genießen wir unseren festen Termin, den letzten Freitag jeden Monat. Dieser Abend gehört nur uns und der wird dort verbracht, wo die Regenbogenfahnen wehen; im Rosa Loch.

Bereits vor der Tür kommen uns rhythmische Klänge unserer Lieblingscoversongs entgegen. Wir eilen hinein und mischen uns unter das vielfältige Frauenvolk. Wie erwartet ist es gerappelt voll und die Stimmung Bombe. Wir werden von der Atmosphäre sofort erfasst und tanzen uns durch die Menge zu unserem Stammplatz; der Tisch ganz hinten rechts neben der Bar. Das haben wir unserer wilden Birte zu verdanken, die seit längerem etwas mit der Barkeeperin am Laufen hat. So wurden wir von heute auf morgen zu VIPs.

Wir bestellen unsere Getränke und vertiefen uns erst mal in ein Gemisch aus Small-Talk und am-Platz-zur Musik-tanzen. Nachdem

wir uns lachend auf den neusten Stand gebracht haben, treffen unsere Getränke ein. Pünktlich um Mitternacht.

„Happy Birthday!“, grölt Natascha. „Auf die nächsten 24 Jahre mit dir verrücktem Huhn!“

„Ja, und auf unsere Freundschaft!“ Das ruft Kathrin dazwischen, um die Musik zu übertönen.

„Ihr seid toll, danke!“, antworte ich und stoße mit den Mädels an. Jeder mit ihrem Lieblingscocktail, und dabei fällt mir auf, dass Nicole ganz unruhig wirkt. Ich will gerade fragen, ob alles okay ist, da hält sie mir plötzlich breit grinsend einen pinken Umschlag entgegen. Stirnrunzelnd stelle ich mein Glas auf dem Tisch ab und nehme den Umschlag an. Es kleben viele kleine Palmensticker darauf, die im Scheinwerferlicht bunt glitzern. „Ich konnte es gar nicht abwarten, ihn dir endlich zu geben! Der Brief kam schon vor vierzehn Tagen! Los, mach schon auf!“

Nicoles Grinsen wird immer breiter, während sie sich wie ein kleines Kind freut.

„Los, mach auf! Es wird dir gefallen, glaub mir!“

Und auf einmal läuten alle Alarmglocken in meinem Kopf. Wahrscheinlich ist die Musik zu laut, sonst hätte ich sie deutlicher wahrgenommen und den Umschlag mit dem vermeintlichen Geschenk nicht geöffnet, denn der Inhalt verschlägt mir augenblicklich die Sprache.

Kapitel 2

„Was ist das?“, frage ich fassungslos und starre auf das Ticket, das ich aus dem Umschlag gezogen habe.

„Ein Reiseticket. Zwei Wochen Sonne, Strand, Erholung auf einer recht einsamen griechischen Insel“, erklärt Kathrin und lächelt als wäre es das Los zum ewigen Glück. Ich werfe ihr einen sarkastischen Blick zu. „Das sehe ich selbst, Kathrin. Das habe ich auch nicht gemeint.“

Leicht gereizt halte ich meinen Freundinnen das Ticket entgegen und zeige auf eine Zeile, in der dick gedruckt Love Paradise steht. Und zum ersten Mal sehe ich ein jedes von meinen Mädels sprachlos. Sie werfen sich abwechselnd ertappte Blicke zu.

„Das ist doch diese neue Datingshow auf dem

Sender BDL, für die sie seit Wochen Wer-

bung machen.“

Immer noch Stille zwischen den Mädels, was mich wahnsinnig macht.

„Wenn ihr mir jetzt nicht sofort erklärt, was hier Sache ist, dann … dann … geh ich heim und ihr bezahlt eure Cocktails selbst!“

Das sitzt und Natascha knickt als Erste ein, da sie immer chronisch pleite ist durch ihre ausgedehnten Onlineshopping-Touren.

„Wir haben dich bei der Show angemeldet“, stammelt sie verhuscht.

„Bitte, was?!“ Ich muss mich ziemlich zusammenreißen, um nicht komplett auszurasten.

„Apropos, hier ist der Vertrag.“

Ich bin völlig perplex.

„Woher habt ihr meine Unterschrift?“ Betroffene Stille. „Ernsthaft jetzt? Ihr habt meine Unterschrift gefälscht?!“

Meine Stimme überschlägt sich und ich

bekomme wahrscheinlich einen hochroten Kopf vor Wut. Es fühlt sich zumindest so an. Birte zuckt nur mit den Schultern und sagt, völlig gelassen: „Du hast halt eine einfache Unterschrift.“

Ich werfe ihr einen vernichtenden Blick zu, woraufhin sie abwehrend beide Arme hochhält. Als ob sie das retten würde.

„Schnecke, das war nicht böse gemeint“, versucht Kathrin zu schlichten. „Wir konnten es nur nicht mehr mitansehen, wie du vor die Hunde gehst.“

„Wie bitte?!“, meine Stimme wird so schrill, dass sie mir selbst in den Ohren wehtut. „Sieh dich doch an, Dani. Du bist 24, lesbisch, hast eine Top Figur, bist hot ohne Ende und … eben Single.“

„Ja, und? Warum sagst du das so abwertend?“

„Seit vier Jahren.“

Ich hasse es, wie sie vier betont. Argh!

„Das gibt euch trotzdem nicht das Recht, mich bei … so was anzumelden.“

Nicole seufzt und wechselt mit Birte einen mitfühlenden Blick. Kathrin kommt zu mir, legt ihre Hände auf meine Schultern und schaut mich an.

„Süße, ich sag es dir nur ungern, aber ich bin deine Freundin; und es ist an der Zeit, dass du Folgendes weißt …“

„Und was?“, frage ich ungeduldig.

„Du bist zu wählerisch und deshalb Single.“

„Was? Nein, wie kommt ihr darauf? Ich habe gewisse Vorstellungen, aber wählerisch? Niemals.“

Kathrin zieht spöttisch ihre Augenbrauen hoch.

„Was war mit Anna?“, fragt sie neckend.

„Die hat gegrunzt beim Lachen“, kontere ich.

„Nadine?“

„Die hatte Mundgeruch.“ Worauf will Kathrin

hinaus?

„Tanja?“

„Trug nur Secondhand.“

„Karla?“

„Fettige Haare.“ Langsam reicht es mir echt. „Diana?“

„Die hat mich geküsst wie ein sabbernder Hund und das weißt du auch. Alles wisst ihr, weil ich es euch erzählt habe. Was ist falsch daran?“, frage ich erbost.

„Nichts, aber in der Liebe muss man Kompromisse eingehen.“

Ich lache laut und ironisch auf.

„Falsch! Da verstehst du was ganz falsch, Kathrin! Kompromisse geht man ein, wenn die eine Criminal Minds und die andere Let’s dance im Fernsehen schauen will. Die Dinge, die ich beanstandet habe, waren Dinge, die mich … abgeschreckt haben. Ja, manchmal sogar angewidert. Also was ist falsch

daran?!“

Kathrin seufzt ergeben und verschränkt die Arme vor der Brust. Ihr vorwurfsvoller Blick ruht auf mir und ich habe keine Ahnung, warum ich mich schuldig fühlen sollte. „Dani, … jetzt mal ehrlich: Glaubst du jemals eine richtig feste Beziehung haben zu können, wenn du Leute auf Äußerlichkeiten und Ticks reduzierst?“

„Darum geht es doch gar nicht, Kathrin! Ich will nur eine ganz normale Frau an meiner Seite, die zu mir passt. Und mit der ich eine ganz normale Beziehung haben kann. Mehr will ich doch gar nicht. Und hör auf damit, mich anzuschauen, als ob ich die oberflächlichste Bitch ever wäre, ja?“

Kathrin grinst und nimmt mich in den Arm. „Bist du nicht und das behauptet auch niemand, okay? Wir wollen nur, dass du glücklich bist, und dachten, dass es eine gute Sache

wäre.“

„Wir können es noch stornieren“, wirft Nicole ein. „Allerdings wäre das schade. Wir haben uns die Villa und die Insel im Netz angeschaut. Ich sag nur: wow!“

Ich seufze und schaue noch mal das Ticket an, das ich die ganze Zeit in der Hand halte.

„Vierzehn Tage?“ Natascha nickt. „Sonne, Meer, Singles?“

Birte nickt energisch und breit grinsend. Ich seufze erneut und weiß jetzt schon, dass ich es bereuen werde, zugesagt zu haben; aber ich nehme das Geschenk an. Meine Entscheidung wird bejubelt und wir stoßen kurz darauf an. Die restliche Nacht, die wir mit Cocktails und Tanzen zu 90er-Hits verbringen, überlege ich fieberhaft, warum ich mich noch nie bei meiner Clique durchsetzen konnte, wenn ich eine andere Meinung hatte. Dieser Gedanke lässt mich nicht los und verfolgt mich noch auf dem Heimweg bis nach Hause. Fuck, ich bin echt am Arsch jetzt …!

Ich bin so was von aufgekratzt und an Schlaf ist definitiv nicht zu denken, als ich zuhause bin. Also packe ich, schließlich geht der Flug in drei Tagen und es muss noch einiges erledigt werden. Zum Beispiel der Schichtplan im Kino. Allerdings war mir nicht bewusst, dass Rosalie eingeweiht worden war. Meine Mädels haben halt an alles gedacht.

Diese Bitches!

Rosalie hat alles im Griff, was mich beruhigt. Wenigstens daran muss ich nicht denken; und ich gestehe mir langsam ein, dass mir eine Auszeit gut tun wird. Nach meiner Ausbildung habe ich sofort das Kino übernommen und mich in die Arbeit gestürzt. Ich hatte gar keine Chance bis jetzt gehabt, um mal zur Ruhe zu kommen. Nicht mal auszuschlafen. Während ich mich drei Tage später vor die Haustür positioniere und auf mein Taxi warte, gebe ich zu, dass ich mich doch ein bisschen freue. Das Taxi bringt mich zum Flughafen, wo meine Mädels mich mit einem schrecklich bunten Find-your-love-Sis!-Schild in Empfang nehmen und mich zum Gate begleiten. Wenig später sitze ich dann wirklich im Flieger nach Griechenland und spüre so was wie Aufregung in mir aufsteigen. Wie ein kleines Kind mit Vorfreude im Herzen beobachte ich, wie alles unter mir kleiner wird. Menschen, Straßen, Häuser, ganze Städte. Wir fliegen über weiße Wolken, darunter der atemberaubende Ozean.

Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, seit meinem letzten Urlaub. Allerdings war der zusammen mit meinen Eltern. Im Auto von Deutschland nach Ungarn. Nicht sehr prickelnd in der Sommerhitze. Ich erinnere mich ungern an die schweißgetränkten Kleider, warmen

Limos und die versifften Toiletten auf den Rastplätzen. Da ist doch Fliegen viel angenehmer, auch wenn es mein erster Flug ist. Das sollte mich eigentlich nervös machen, aber da der Flug nur zweieinhalb Stunden dauert und sehr ruhig verläuft, ist alles im grünen Bereich für mich. Auf Korfu angekommen drängele ich mich erst mal durch die Menschenmassen, hole meinen Koffer, was mega lange dauert, und steuere den Ausgang an. Ein Taxi mit dem BDL-Logo wartet bereits auf mich und obwohl es nur eine Datingshow ist, fühle ich mich für kurze Zeit wie ein Promi. Die Fahrt ist nicht lange, was mich etwas irritiert.

„Der Hafen, Miss“, sagt der Fahrer im gebrochenen Deutsch. Ich denke, dass es seine Richtigkeit hat, und steige am Hafen Korfus aus. Mit meinem Koffer bewaffnet, gehe ich zu den Kais und werde fündig: eine kleine Yacht mit dem BDL-Logo sammelt mich ein. Der Kapitän, ein sympathischer Mann, Mitte vierzig und mit grauen Schläfen, die unter der Kapitänsmütze hervorschimmern, erklärt mir, dass es knapp zwei Stunden dauern wird, bis wir Andipaxos erreichen werden. Ich bereue es, kein Buch eingepackt zu haben. Irgendwas musste ich ja vergessen. Versuchend das Beste aus der Situation zu machen, lasse ich mich von den zwei gutaussehenden

Matrosinnen zu einem äußerst bequemen Liegestuhl führen. Der hat ein Sonnensegel und mit uneingeschränktem Blick aufs weite Meer werden mir nacheinander kalte Getränke und Obstsalat gereicht. Ich erfahre nebenbei ein paar interessante Details zu der Insel, will endlich den Vertrag von BDL lesen, schlafe aber kurz darauf ein. Die Wellen, das Schaukeln und der Wind sind so wunderbar einschläfernd; und weg bin ich. Als ich wieder aufwache, ist die Sonne bereits am Untergehen und eine kleine Insel kommt in Sichtweite: Andipaxos. Mein Ziel.

Kapitel 3

Obwohl die Sonne fast weg ist, ist die Luft immer noch drückend warm. Wäre die Meeresbrise nicht, könnte man es fast nicht

aushalten. Der Himmel ist in ein kräftiges Orange-Rot getaucht und keine einzige Wolke ist zu sehen. Wie gemalt. Ich erwische mich beim verträumten Schmachten. Kaum an Land werde ich mir selbst überlassen und die kleine Yacht fährt wieder zurück. Ich bleibe noch ein paar Minuten schweigend auf dem Steg stehen, höre dem Meer zu und lasse mich von dem atemberaubenden Sonnenuntergang verzaubern. Mir kommen die Farben viel intensiver vor, als wenn ich mir einen Sonnenuntergang zu Hause in Schwetzingen angeschaut habe. Oder vielleicht habe ich mir bloß nie die Zeit dafür genommen, um mir einen Sonnenuntergang mal genauer anzusehen. Eine kräftige Windböe zerzaust meine blonden Haare und reißt mich aus meinen Gedanken. Schnell binde ich mir einen lockeren Dutt, drehe mich um und gehe, den Koffer hinter mir herziehend, den Steg zum Strand entlang. Ich habe noch nie so hellen und so feinen Sand gesehen. Wie ein Kind bestaune ich den Boden und ziehe kurzerhand die Flipflops aus. Ein herrlich angenehmes Gefühl, wenn der Sand die Füße streichelt beim Gehen. Umso schwerer gestaltet es sich, den Koffer vorwärtszubekommen. Ich ziehe und zerre. Mein Koffer kommt mir vor, als wäre er mit Pflastersteinen gefüllt, und ich stelle mich an wie der erste Mensch. Anscheinend muss ich ziemlich dämlich ausgesehen haben, denn plötzlich höre ich ein „Warte, ich helfe dir!“.

Prompt kommt ein junger Kerl an gejoggt. Ungefähr mein Alter, gut gebaut, tätowiert, kurze braune Haare und mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. Mein erster Gedanke: Sunnyboy auf Beutezug. Na ja, an mir wird er sich recht schnell die Zähne ausbeißen.

„Hi, dachte schon es kommt gar keiner mehr. Ich heiße Luke.“

„Hi, ich bin Daniela. Schön dich kennenzulernen.“

Für Luke ist mein Koffer eine Kleinigkeit. Er trägt ihn, als wäre er leer. Wir sind beide barfuß und überqueren den Strand, der direkt zur Villa der Datingshow führt.

„Es ist also noch keiner da?“

„Nein, wir sind die Ersten“, bestätigt Luke.

„Wie viele werden wir denn insgesamt sein?“

Luke wirft mir einen belustigten Blick zu. „Hast du die Show noch nie gesehen?“

„Nein, ehrlich gesagt nicht.“

„Wenigstens den Vertrag durchgelesen, bevor

du ihn unterschrieben hast?“

Ich seufze ertappt und denke an Birte, die ich noch einen Kopf kleiner machen werde. Nun werde ich mit skeptischen Blicken gelöchert, was ich ulkig finde, und grinse.

„Lange Geschichte“, winke ich ab.

„Kannst du mir gerne später erzählen, ich liebe crazy Stories“, sagt Luke nur.

Wir erreichen das Ende des Strandes und steigen drei hohe Stufen zu einem Plateau hoch. Eine Ebene, die mit Rollrasen in eine riesige Wiese verwandelt worden war. Satt grün und von Palmen umgeben, wirkt dieses Fleckchen Erde ganz schön strange.

„Wir sind insgesamt zehn Singles. Fünf Boys, fünf Girls. Vierzehn Tage lang. Das könnte spaßig werden.“

„Könnte …“, murmle ich und kann Lukes

gute Laune nicht ganz teilen. Die Wiese endet bei einer weitläufigen Terrasse mit Pool, einem überdachten Küchen- und Essbereich im Freien und mehreren Ausruhmöglichkeiten, wie zum Beispiel feste Holzliegen, große Hängematten und und und. Ich muss zugeben, dass mir gefällt, was ich sehe.

„Nice, oder?“

Ich nicke Luke zu und folge ihm in die große Villa. Drinnen ist es wunderbar hell, modern und vor allem ordentlich. Ja, hier könnte ich mich wohl fühlen.

„Kann man die Zimmer selbst wählen?“

Als Antwort ernte ich ein verschmitztes Grinsen. Luke stellt meinen Koffer neben einem riesigen weißen Sofa ab. Ich sehe einen zweiten knallroten Koffer dort stehen und schlussfolgere, dass es seiner ist.

„Wir sollten mal einiges klären“, sagt Luke Und setzt sich aufs Sofa. Ich geselle mich mit

einem kleinen Abstand neben ihn.

„Lies dir dringend den Vertrag durch, rate ich

dir.“

„Ja, aber jetzt ist es ein bisschen spät dafür. Erklär mir das Wichtigste.“

Luke seufzt und lacht kurz auf. Es ist ein herzliches, warmes Lachen und nicht so rau und kehlig, wie ich es sonst von Männern her kenne.

„Also … Wir sind zehn Singles und wenn alle da sind, beginnt der Dreh und die Show.“

„Moment! Ich kenn das aber von Shows so, dass man von Anfang an gefilmt wird. Ist das hier anders?“

„Hier ist alles anders, Süße … Vierzehn Tage lang werden wir gefilmt, Ausnahmen: Toilette, Dusche, Abendruhe ab 22:00 Uhr und ein gewisses Zimmer neben dem Wohnbereich. Für was es genutzt werden soll, kannst du dir sicherlich denken.“

Ich mache große entsetzte Augen und schüttle den Kopf energisch.

„Sicherlich nicht.“

„Meine Devise. So nötig habe ich es dann doch nicht.“

Ich grinse und merke, dass mir Luke langsam immer sympathischer wird. Hoffentlich bleibt es so und er versaut es nicht mit irgendeiner plumpen Annäherungsoffensive. Wäre ja nicht schlecht sich mit jemandem gut zu verstehen, schließlich weiß ich noch nicht, welche Leute mir begegnen werden.

„Es gibt aber noch eine Stelle, wo man ungestört ist: Ein toter Winkel rechts seitlich am Haus. Nur zur Info. Ähm, … wo war ich? Ach ja! Wenn alle da sind, kriegen wir Mikros und dann tut man sich zu zweit zusammen und teilt sich ein Zimmer. Diese Konstellationen wechseln sich aber alle drei Tage, außer es bilden sich immer dieselben

Pärchen.“

Ich nicke nachdenklich und hoffe so sehr,

dass ich mit keiner Tussi das Zimmer teilen muss. Andererseits bin ich erleichtert in keinem Gruppen-Zimmer die zwei Wochen aushalten zu müssen. Auf Klassenausflug-Flair kann ich nämlich gut verzichten. Mochte ich noch nie. Ich brauche meine Ruhe nachts.

„Und weiter?“

„Den Rest erfahren wir nach und nach während der Show, darum wurde ein großes Geheimnis gemacht.“

„Okay …“, sage ich langgezogen, strecke mich und stehe auf. Das lange Sitzen im Flieger und auf der Yacht war etwas zu viel, als dass ich noch eine Minute länger sitzen könnte. Ich lasse kurz den Blick schweifen und als ich mich wieder zu Luke umdrehe, beobachte ich, wie er meine Beine anstarrt.

„Ich wusste es“, sagt er und grinst.

„Was wusstest du?“ Ich verstehe rein gar nichts.

Luke zeigt auf meinen rechten Knöchel. Ich

schaue hinab, obwohl ich genau weiß, dass er mein Tattoo meint.

„Ja, klein, aber fein.“

„Das meine ich nicht, Sis.“

Ich runzle fragend die Stirn, doch dann hebt Luke seine linke Hand und zeigt mir sein Handgelenk. Darum schmiegt sich ein Tattoo wie ein Maori-Armband mit einem Männlichkeitssymbol. Mein Hirn rattert, zählt eins und eins zusammen und doch muss ich noch mal einen Blick auf mein Tattoo am Fußgelenk werfen. Ein zierliches Bettelarmband, das unter anderem ein Weiblichkeitssymbol als Anhänger trägt.

„Du … bist … schwul?“, frage ich so doof ungläubig, dass ich mich hätte ohrfeigen können.

„Yes“, verkündet Luke strahlend und streckt mir eine Faust entgegen. Ich erwidere die Ghetto-Faust und bin unsagbar erleichtert einen Gleichgesinnten zu treffen. Ich lasse mich aufs Sofa plumpsen und lache.

„OMG, ich dachte schon, dass die Show zum größten Teil aus Heteros besteht.“

„Nee, ich glaub nicht, dass wir zwei die einzigen Regenbogenponys auf dieser Insel sind.“

Wir fangen beide an zu lachen, da die Vorstellung doch recht lustig ist.

„Jetzt, da wir wissen, dass wir aus demselben Stall kommen, tell me: Wie kamst du auf die verrückte Idee, hier mitzumachen?“, will Luke wissen, der die Beine überschlägt, sich entspannter hinsetzt und die Arme lässig auf die Rückenlehne legt. Auf einmal ist die Stimmung anders zwischen uns. Noch lockerer, ausgelassener, vertrauter, was meistens so abläuft, wenn ich ein „Regenbogenpony“ treffe, wie es Luke so schön ausgedrückt hat.

„Meine Mädels-Clique dachte: OMG, du bist seit vier Jahren Single, das geht gar nicht! Du brauchst regelmäßig Sex und eine feste Beziehung, sonst wird die Welt untergehen und du wirst als alte Jungfer sterben. Und genau deshalb dachten sie, es wäre eine tolle Idee, mich bei dieser Datingshow anzumelden.“

Luke grinst über beide Backen wie ein verstrahltes Honigkuchenpferd.

„Same!“

„Ernsthaft?“, lache ich.

„Ich schwör es dir! Meine besten Buddys, Jack und Jonas, eineiige stupid twins, haben genau dasselbe mit mir gemacht.“

„Seit wann bist du Single?“

„Sechs lonely years. Obwohl … so lonely war

ich gar nicht“, sagt Luke und ich frage mich, was wohl hinter dieser Aussage steckt. Bei Zeit werde ich da mal nachhaken, denn ich merke, dass die nächsten zwei Wochen doch recht amüsant werden könnten.

Kapitel 4

Luke und ich kommen nicht mehr wirklich zum Reden, da wir abrupt unterbrochen werden. Die anderen Mitspieler, also unsere Insel-Genossen treffen in recht kurzen Abständen nacheinander ein. Wir von der Regenbogenbrigade setzen uns in dem Küchenbereich draußen an den großen, rechteckigen Esstisch, um alle aus nächster Nähe zu begutachten. Und wir sind uns geschlossen einig, dass die Ausbeute sich sehen lassen kann. Alle sind gut gebaut, wobei ich mir bei zwei Mädels nicht sicher bin, ob das Naturbrüste sein sollen. Es gibt viel braune Haut, Tattoos und Piercings, was mich wie eine langweilige blasse Maus erscheinen lässt. Ich seufze und schaue die Mädels noch etwas genauer an, als sie ihr Gepäck auf der Terrasse abstellen und zu uns rüberkommen, um uns übertrieben freundlich zu begrüßen, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich hasse dieses verlogene Getue, spiele aber mal mit. Neben den verschiedenen Düften von Cremes, Shampoos und Parfüm, nehme ich aber komischerweise nichts Besonderes wahr. Seltsam. Mein Gay-Radar schlägt gar nicht aus. Sonst klappt das einwandfrei. Das macht mich stutzig, ich lasse mir aber nichts anmerken.

Luke unterdessen checkt die Boys, klatscht sie ab und stellt sich vor, als würde er das täglich machen. Ich sehe, wie er jeden mustert,

und ich könnte schwören, dass auch er leicht verwirrt wirkt. Leider kann ich dem nicht nachgehen, denn das Geschnatter zwischen den Girls geht los. Ungeschriebenes Gesetz zwischen Mädels, die sich frisch kennenlernen: Du musst dir safe von Anfang an die ganzen Gespräche geben und am besten Teil davon werden, sonst checkst du bei späteren Gesprächen gar nichts mehr. Oh, yes! Und es gibt nichts Nervigeres, als wenn du etwas tausendmal erzählen musst.

Da bist du gleich unten durch!

Ich höre also erst mal zu und erfahre so die Namen der Mädels und woher sie kommen. Die wichtigsten Fakten, neben dem Alter. Und während der Small Talk sich unwichtigeren Dingen widmet, versuche ich mir zu jeder der vier eine Eselsbrücke zu bauen, damit ich mir die Namen besser merken kann.

Vanessa, kinnlange blonde Haare, beide Arme voll tätowiert, die Ohren von oben bis unten voll mit Ohrringen und einem Busen, der definitiv nicht echt ist, da er nicht zu ihrem Körperbau passt; kann ich mir am besten merken. Sie taxiert mich mit abschätzigen Blicken und ich spüre, dass sie mir gefährlich werden könnte. Im negativen Sinne. Außerdem bin ich mir zu 100 % sicher, dass sie hetero ist, so wie sie die Boys abcheckt und sich dabei lasziv über die Unterlippe leckt. Na ja, denke ich, eine Hete muss ja dabei sein. Lilli und Michaela sind Twins, im gleichen Outfit, allerdings sind sie so individuell, dass jede eine andere Frisur und Haarfarbe trägt. Die eine hat lange braune Haare, die andere schulterlange blond gesträhnte. Sie haben beide die gleichen Piercings an Augenbraue, Nase und Unterlippe. Sie wirken beide recht natürlich, vielleicht etwas flach obenrum, aber ganz süß. Die eine, ich glaube, es ist Lilli, wirft mir ständig kurze, schüchterne Blicke zu und kommt verlegen rüber. Vielleicht geht da ja was, wer weiß …

Und dann gibt es da noch Franziska, eine gut gelaunte, mir etwas zu hyperaktive Rothaarige mit einer beeindruckenden Lockenmähne. Sie ist von Kopf bis Fuß tätowiert, was aber nicht ganz so aufdringlich wirkt. Vielleicht liegt es daran, dass alle Tattoos schwarzweiß sind und sich harmonisch zusammenfügen wie Work of Art. Es sieht wie ein lockeres Muster, nicht wie ein wilder,

zusammengewürfelter Haufen an Fantasie-Ergüssen aus. Sie ist Tattoo-Model und verdammt stolz darauf, wie auf ihre Brüste, denen sie medizinisch nachgeholfen hat. Für meinen Geschmack ist sie etwas zu freizügig gekleidet mit ihrem transparenten Oberteil und ihrem Bikini, der kaum was verdeckt, aber durch die Tattoos sieht sie gar nicht nackt aus.

Wir unterhalten uns über Kleinigkeiten, schauen, mit wem wir es zu tun haben, und stellen Vergleiche an. Ich bemerke eine gewisse Anspannung, wie kurz vor einem Wettkampf. Ist das die Show? Muss das so sein? Irgendetwas in mir versucht mich vor etwas zu warnen, worüber ich mir noch nicht klar bin, was es sein könnte. Ich schaue unauffällig zu Luke, der mir einen fragenden Blick zu wirft. Geht es ihm genauso? Doch bevor ich mir darüber mehr Gedanken machen kann, bricht Jubel und allgemeiner Applaus aus. Ich schließe mich dem irritiert an, schaue auf und sehe die Moderatorin angelaufen kommen. Topgestylt mit einem atomaren Lächeln auf den Lippen. Sie begrüßt uns alle, dann erscheinen ein paar Fernsehtechniker und überreichen uns Halsketten mit Muscheln, an denen ein kleines Mikrofon befestigt ist. Soll etwas natürlicher

wirken, oder sowas in der Art.

Nachdem wir alle verkabelt sind und der Ton-Check positiv abgelaufen ist, erklärt uns die Moderatorin, dass jetzt alle Kameras ein- und erst wieder nach der Show ausgeschaltet werden. Und dann gehen die Dreharbeiten

schon los, bevor auch nur einer nicken kann.

„Ich begrüße euch alle recht herzlich auf Love Paradise und hoffe, ihr werdet eine großartige Zeit hier verbringen.“

Ich versuche so beiläufig wie möglich den Platz zu wechseln, um näher bei Luke zu stehen. Er hat es bemerkt und tut es mir danach gleich, damit es nicht zu sehr auffällt. Zwischen uns ist noch ein knapper Meter Abstand.

„Ich habe ein ungutes Gefühl“, flüstere ich so leise wie möglich.

„Same“, bestätigt Luke.

Ich schaue weiterhin gerade aus zu der gut gelaunten Moderatorin, die anscheinend lange Zeit nicht reden durfte. Sie ist ganz euphorisch, was mich etwas abschreckt.

„Ihr werdet die nächsten zwei Wochen zusammen hier in dieser Villa verbringen. Es wird spannend, hoffentlich auch lustig, prickelnd und romantisch. Aber seien wir ehrlich: Gezicke wird nicht ausbleiben. Versucht fair zu sein, denn auf Love Paradise gibt es

Regeln. Diese stehen auf dieser Schriftrolle“, sagt die Moderatorin und zeigt auf besagte Schriftrolle, die sie Franziska reicht.

„Lest sie gut durch und haltet euch daran. Nun zur Zimmerverteilung:

Tut euch zu zweit zusammen, egal in welcher Konstellation, und wählt eure Zimmer. Alle drei Tage sucht ihr euch einen neuen Partner, wenn dieser jedoch nicht will, müsst ihr euch einen anderen suchen. Ab morgen erhaltet ihr täglich Nachrichten und werdet aufgefordert Dates zu haben. Jedes Date steht unter einem anderen Motto. Wer mit wem ein Date haben will, ist jedem frei überlassen. Jeder kann jeden wählen, aber jeder kann auch ablehnen. Wer dreimal hintereinander eine Date-Abfuhr kriegt, muss die Insel jedoch verlassen.“

Getuschel macht sich in der Gruppe breit. Die Girls kichern, die Boys beratschlagen sich. Luke und ich stehen als Einzige da, als wären wir völlig fehl am Platz.

„Den Gewinnern winkt ein Preisgeld in Höhe von 15.000 €. Am Ende gewinnen diejenigen, die sich nach zwei Wochen gefunden

haben und auch wollen. Im Klartext: Am Ende siegt die Liebe. Aber darüber mache ich mir keine Gedanken, wenn ich mir so unsere gutaussehenden Kandidaten anschaue. Da werden bestimmt so einige Romeos ihre Julias finden, oder?“

Wieder allgemeiner Jubel und Applaus. Nur Luke und ich rühren uns kein Stück. Wie erstarrt schauen wir der Moderatorin hinterher, die sich verabschiedet und dann die Villa wieder verlässt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, schließlich habe ich das Mikro um den Hals und wir werden gefilmt. Also schaue ich wie traumatisiert zu Luke, der ein Kopf größer ist als ich und der den gleichen Gesichtsausdruck drauf hat wie ich.

„Kein Regenbogen hier …?“, frage ich fast apathisch und hoffe, dass er versteht, was ich meine.

„Nein, kein Regenbogen …“, bestätigt er mit brüchiger Stimme und wird ganz blass um die Nase herum.

Kapitel 5

Wir haben allerdings keine Zeit für sad moments. Dies ist eine Fernsehshow und sie wird aufgezeichnet. Jedes noch so verräterische Detail, also mischen wir uns unter die Leute und tun so, als ob wir es nicht abwarten könnten, in die Villa zu gehen. Doch dazu kommt es nicht, denn Luke zieht mich blitzschnell neben das Haus, in den besagten toten Winkel. Wir drücken uns nebeneinander mit dem Rücken an die Hauswand und warten. Nichts passiert. Anscheinend hat es niemand zur Kenntnis genommen, es folgt uns keiner. Luke legt beschwörend den Zeigefinger auf den Mund und zeigt dann auf das Mikro um meinen Hals. Er nimmt seines in die Hand und ballt eine Faust darum. Ich tue es ihm gleich.

„Hört man das nicht?“, flüstere ich.

„Wenn du es vorsichtig machst, nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich hatte mal was mit einem Tontechniker. Nur ein paar Tage. Von körperlicher Technik hatte er null Ahnung, aber von seinem Job.“

Ich erwidere sein freches Grinsen, werde dann aber schnell wieder ernst.

„O Mann! Was machen wir nun? Ich bin jetzt genau in der Situation, in der ich nie sein wollte: auf einer einsamen Insel lost mit hormongesteuerten Heteros.“

„Frag mich mal“, seufzt Luke.

Ich seufze auch und möchte am liebsten schreien, weil die Situation so beschissen ist.

„Ich mach das nicht mit. Echt nicht. Das halte ich keine vierzehn Tage aus, Luke.“

Ich schaue ihn leicht flehend an und hoffe, dass er eine Lösung hat.

„Ich versteh dich, glaub mir. Mir geht es nicht

anders als dir. Ich bin auch nicht scharf drauf,

mir die Girls vom Hals zu halten, aber deshalb verzichte ich nicht auf vierzehn Tage Gratisurlaub unter Palmen. Das letzte Mal war ich vor drei Jahren im Urlaub, und das an der Nordsee.“

Er schaut genervt, wofür ich nur teilweise Verständnis habe. Ich werfe Luke einen spöttischen Blick zu.

„Ernsthaft?“

„Ja, gehts dir nicht auch so? Willst du nicht etwas Kraft tanken vom Alltag?“

Ich seufze erneut und denke an die letzten Jahre, in denen ich mich ausschließlich um die Instandhaltung des Kinos gekümmert habe. Alles kam zu kurz: Freunde, Liebe, selbst ich. Luke hat recht.

„Aber wie soll das funktionieren? Ich kann die anderen doch nicht einfach ignorieren.“

Stille. Luke überlegt angestrengt und ich kann

förmlich sehen, wie es in seinem Kopf zu rat-

tern beginnt.

„Okay, wir müssen weitermachen, Daniela. Egal was kommt, ist nur die Frage wie.“

„Ja, aber …“, will ich ihn unterbrechen, da hebt er abwehrend eine Hand.

„Wir haben nicht viel Zeit, sonst fällt es auf, dass wir weg sind. Wenn wir jetzt alles hinschmeißen, müssen wir laut Vertrag eine Strafe von 5.000 € pro Person zahlen. Ich glaube, dass du die genauso wenig hast, wie ich.“ Ich schlucke und schüttle nur den Kopf. „Siehst du? Also machen wir Folgendes …“ Luke hält kurz inne und starrt einen imaginären Fixpunkt zwischen den Palmen an. Anscheinend will er genau abwägen, was er als Nächstes sagt. „Wir müssen uns darauf einigen, uns nicht zu verplappern, und dann …“

Ich beiße mir vor Nervosität auf die Unterlippe.

„Mach es nicht so spannend, Junge.“

„Und dann … ziehen wir die Show als Paar durch.“

Ich beiße mir vor Schreck in die Backe. Es tut höllisch weh und ich schmecke augenblicklich Blut im Mund. Allerdings lenkt es mich nicht von diesem irrwitzigen Vorschlag ab.

„What?“

Ich muss mich echt ermahnen leise zu reden. Luke stellt sich vor mich, ständig die Terrasse im Blick, legt mir beschwörend die freie Hand auf die Schulter und kommt mit seinem Kopf ganz nah an meinen ran, damit ich ihn besser höre. Er spricht noch eine Spur leiser als zuvor.

„Folgender Plan: Wir tun so, als ob wir uns hier ineinander verlieben würden. Das löst all unsere Probleme: du keine Boys, ich keine Girls. Ich gehe lieber mit dir gespielt auf Tuchfühlung als mit einer, die sich was davon verspricht und mir später vielleicht aus verletzter Eitelkeit sexuelle Belästigung vorwirft.“

Ich überlege und schaue dabei Luke direkt in die Augen. Mir gefällt dieser Blauton mit den grünen Sprenkeln. Erinnert mich ans Meer.