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In der Gartenbausiedlung der Stadt ist ein Junge gefunden worden. Ganz alleine hielt er sich in einer der Lauben auf und das wahrscheinlich schon seit einigen Tagen. Irena und Stefan von der Kripo der Stadt ermitteln mit ihrem Team auf Hochtouren. Keiner weiß, woher er kommt oder wer er ist. Und keiner ahnt, was ihm passiert ist. Und der Junge selber kann ihnen nicht sagen, was vorgefallen ist. Er spricht nicht. Nicht ein Wort. Ihm hat es schlichtweg die Sprache verschlagen. Gleichzeitig planen Irena und Stefan aber auch das Zusammenleben. Sie und die beiden Kinder Anton und Moritz. Und die haben da natürlich manchmal ihre ganz eigene Meinung dazu.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Die Reihe „Irena und Stefan“
Das Buch
16.
17.
Tag eins
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Tag zwei
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Tag drei
15.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
Tag vier
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
Tag fünf
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
Tag sechs
48.
49.
50.
51.
52.
Tag sieben
53.
54.
55.
56.
Weitere Bücher der Reihe
… hier habe ich das Sagen
Irena und Stefan
Band 2
Irena Schneider und Stefan Bergmann sind Polizisten bei der Kriminalpolizei der Stadt. Mit ihrem kleinen Team, zu dem noch Silke Werner und Daniel Ostmann gehören, verfolgen sie Verbrecher und klären deren Verbrechen auf. Dabei haben sie sich auch kennen und lieben gelernt.
Ihre Kinder Anton und Moritz, beste Freunde und bald auch beste Brüder, sind mit dieser Entwicklung mehr als zufrieden.
Freuen Sie sich auf mehr Bücher aus der Reihe.
Band 1: …und Schuld bist du
Alle Bücher sind in sich abgeschlossen und lassen sich unabhängig voneinander lesen. Mehr Spaß macht es aber, wenn Sie die Reihenfolge beachten. Mehr dazu am Ende des Buches
Vor Ihnen liegt nun Band 2: …hier habe ich das Sagen
In der Gartenbausiedlung der Stadt ist ein Junge gefunden worden. Ganz alleine hielt er sich in einer der Lauben auf und das wahrscheinlich schon seit einigen Tagen.
Irena und Stefan von der Kripo der Stadt ermitteln mit ihrem Team auf Hochtouren. Keiner weiß, woher er kommt oder wer er ist. Und keiner ahnt, was ihm passiert ist. Und der Junge selber kann ihnen nicht sagen, was vorgefallen ist. Er spricht nicht. Nicht ein Wort. Ihm hat es schlichtweg die Sprache verschlagen.
Gleichzeitig planen Irena und Stefan aber auch das Zusammenleben. Sie und die beiden Kinder Anton und Moritz. Und die haben da natürlich manchmal ihre ganz eigene Meinung dazu.
Thea Liebmann saß in ihrem Büro und sah aus dem Fenster. Dort war die Gruppe der drei bis fünfjährigen Kinder mit ihrer Betreuerin Ella Großer auf dem Spielplatz zu sehen. Die Kinder spielten munter auf dem wirklich schön eingerichteten Platz. Ihnen ging es hier gut.
Sie hatten es hier im Kinderheim aber auch schon mit so manchem tragischen Fall zu tun. Kinder, deren Eltern plötzlich oder nach schwerer Krankheit verstorben waren. Oftmals aber auch durch Unfälle. Das war besonders tragisch, denn tote Eltern konnten nicht wiederkommen.
Bei anderen mussten die Ämter eingreifen. Da wurden die Kinder von ihren Familien misshandelt. Oder die Eltern waren schlichtweg überfördert. Bei Letzteren blieb immer noch die Hoffnung, dass diese ihr Leben wieder in den Griff bekamen. Und richtig, manche schafften es. Besuchten ihre Kinder regelmäßig im Heim, nahmen die Hilfe der entsprechenden Stellen dankbar an. Diese Kinder hatten Glück.
In all den Fällen war es gut, dass sie den Kindern hier helfen konnten. Ja, Thea Liebmann liebte ihren Beruf, der für sie mehr Berufung war. Und so ging es den meisten Erziehern und Erzieherinnen hier.
Allen voran Ella Großer. Sie hatte selber keine Kinder, würde nach einem schweren Unfall vor einigen Jahren auch nie welche haben. Umso mehr ging sie in ihrem Beruf als Heimerzieherin auf.
Aber so einen Fall, nein das hatte Thea bisher noch nicht erlebt. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, dass irgendein anderes Heim, mit denen man ja in Kontakt stand, jemals ein Kind mit solch einem Schicksal bei sich aufnehmen musste.
Sie kannten ja noch nicht einmal den Namen des Jungen. Er sprach auch nicht, er konnte ihnen also nicht verraten, wie er hieß. Und sie hatten in den drei Tagen, seit er hier war, wirklich schon viel probiert.
Toni, Peter, Tim, Marko, Leon – ach es gab heutzutage so viele verschiedene Namen. Da waren die künftigen Eltern so richtig erfinderisch. Leider verloren dabei manche auch die Realität aus dem Auge. Nämlich, dass die Kinder mit gar so ausgefallenen Namen gehänselt werden konnten. Oder dass der schicke französische Vorname nicht zum schlichten deutschen Nachnamen passte.
Aber auf keinen von den vielen Namen, die ihnen eingefallen waren, reagierte er.
Aber man musste ihn doch ansprechen. Nicht, dass das viel brachte. Er saß die meiste Zeit in der Ecke und sah vor sich auf den Fußboden. War in seiner eigenen kleinen Welt gefangen. Den Film, der dabei in seinem Kopf ablief, konnte nur er alleine sehen.
Die Kinder hatten mit ihm spielen wollen. Er war ja schließlich der Neue, für die anderen erst einmal interessant. Jeder wollte ihn zum Freund haben. Aber er reagiert einfach nicht. Klar, dass es den anderen dann doch schnell langweilig wurde. Sie wollten ihn nicht immer betteln. Also ließen sie ihn einfach in Ruhe. So einen Freund brauchten sie nicht.
Auch beim Essen zeigte er kein großes Interesse. Er aß, was man ihm vorsetzte. Wenn auch wenig, aber er aß wenigstens, so dass sie sich deshalb keine Sorgen machen musste. Aber wie die anderen Kinder mal das Lieblingsessen sich wünschen, das passierte nicht.
Nachts schlief er schlecht. Er träumte wohl von etwas, das vorgefallen war und von dem keiner hier ahnte, was es war. Ob er von seinen Eltern träumte? Anzunehmen. Aber auch davon erzählte er ihnen nichts, konnte er ihnen nichts erzählen. Und ob die Träume von seinen Eltern nur schlechtes enthielten oder wenigstens auch etwas Gutes, auch das konnte ihnen keiner sagen.
Aber was wollten sie auch verlangen? Er fragte zwar nicht nach seinen Eltern, aber ob er sie nicht doch vermisste?
Thea wusste überhaupt nichts. Keiner wusste etwas.
Vor drei Tagen war die Polizei gerufen worden, weil Nachbarn ihn am Fenster eines eigentlich unbewohnten Gartenhauses hatten stehen sehen. Keiner machte auf das Klopfen hin die Tür auf. Es konnte auch keiner aufmachen. Der Junge war in der Laube allein. Und die Laube selber war total verwüstet.
Keine Spur von einem Erwachsenen. Aber wie sollte er alleine dorthin gekommen sein?
„Samira, du übernimmst bitte mal die Kindergruppe auf dem Spielplatz. Ella schickst du dafür rein zu mir.“
Samira Halali war eine junge Frau, die vor ein paar Jahren aus Syrien geflohen war. Sie hatte ihnen erzählt, dass sie zu Hause noch fünf jüngere Geschwister gehabt hatte. Was mit ihnen passiert war, konnte sie ihnen nicht erzählen. Sie wusste es nicht. Sie war geflohen, als sie beim Nachhauskommen die Verhaftung der gesamten Familie beobachten musste. Auch so ein Schicksal, das zu Tränen rührte.
Jetzt machte Amira hier im Haus ihre Ausbildung zur Heimerzieherin. Sie ging in ihrer Arbeit bei den Kindern genauso auf wie Ella, war aber aufgrund ihres Alters noch unerfahren. Thea war sich aber sicher, dass Samira mit ihrer Berufswahl genau richtig lag. Und man sah ihr auch an, dass die Arbeit für sie die richtige war. Sie machte das Erlebnis zu Hause nicht unvergessen oder gar ungeschehen. Aber so konnte Samira es vielleicht verarbeiten.
„Thea, ich sollte zu dir kommen?“ Ella war in den Raum getreten, ohne dass Thea es gemerkt hatte. Sie war eben doch zu sehr in ihren Gedanken versunken.
„Ja, mir geht es noch einmal um den Jungen. Du konntest ihn in den letzten zwei Tagen am besten beobachten. Was macht er auf dich für einen Eindruck?“
„Er macht mir Sorgen. Keinen Ärger, das überhaupt nicht. Aber wir kommen einfach nicht an ihn ran. Manchmal da habe ich zwar kurz gedacht, meine Worte dringen zu ihm durch, aber dann ist er wieder so ganz weit weg. Als wäre er gar nicht bei uns. Und dabei würde ich ihm so gerne helfen.“
„Ich weiß Ella. Wir alle würden das gerne. Und du machst das wie immer wieder großartig. Aber du weißt auch, dass du das Ganze nicht zu sehr an dich heranlassen darfst.“
Ella ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Sie konnte nicht einmal ihre Hände stillhalten.
„Denkst du, ich weiß das nicht? Aber was wäre ich für ein Mensch, wenn mich das alles kalt lassen würde. Der Junge leidet. Auch wenn er das nicht sagt, nicht sagen kann, man sieht es ihm doch an.
Und ist das ein Wunder? Er muss doch irgendetwas mitbekommen haben. Anders kann ich mir das gar nicht vorstellen. Nachdem, was uns Irena Schneider erzählt hat, muss in der Gartenlaube ein Kampf stattgefunden haben.
Vielleicht ist seinen Eltern dabei etwas passiert. Vielleicht weiß er instinktiv, dass er sie wahrscheinlich nie wieder sehen wird.
Der Junge hat das alles ganz sicher mitbekommen. Wenn wir nur wenigstens wüssten, wer er ist.“
„Ich habe vorhin noch einmal bei der Polizei angerufen. Sie konnten mir noch immer nicht mehr sagen. Es liegen wohl Vermisstenmeldungen vor. Aber denen müssen sie erst noch nachgehen. Der Beamte dort sagte, dass eine gewissen Ähnlichkeit zu ihm besteht, da die vermissten Jungen aber schon eine Weile verschwunden sind, sind natürlich auch die Fotos nicht ganz neu. Und wie schnell sich Kinder verändern, das wissen wir ja.
Und stell dir mal vor, er ist einer von diesen schon länger vermissten Kindern. Was hat er dann in der Zwischenzeit wohl alles erlebt? Ich mag mir das gar nicht vorstellen. Unsere üblichen Fälle sind schon schlimm genug. Aber da wissen wir wenigstens, an was wir sind.“
„Mensch Thea, was können wir nur machen? Wie können wir ihm nur helfen.“ Vor Aufregung wiederholte sich Ella immer wieder.
„Hast du es weiter mit Vornamen versucht? Ansonsten müssen wir ihm einen Namen geben. Vielleicht würde das die Kommunikation mit ihm erleichtern. Vielleicht würde er irgendwann auf den Namen reagieren und aus seiner Starre erwachen.“
„Habe ich, natürlich. Samira hat mir dabei auch geholfen. Aufgrund seiner dunklen Haare und der auch etwas kräftigeren Hautfarbe haben wir es mal mit arabischen Namen versucht. Hat aber auch nichts gebracht. Sie hat auch mal auf Arabisch und auf Syrisch versucht, mit ihm zu sprechen. Wir sind uns sicher, dass er sie nicht verstanden hat. Jetzt würden wir es gerne noch mit anderen Sprachen versuchen. Mit südländischen, also Italienisch, Spanisch, Portugiesisch. Vielleicht auch noch Französisch. Aber dazu brauchen wir erst einmal jemanden, der die Sprache kann. Ich bin dazu nicht zu gebrauchen.“
„Gute Idee. Ich kann ein bisschen Französisch. Und ich glaube, Frau Dr. Straube spricht italienisch. Ich komme dann gleich mal mit.“
„An einen Namen, dem wir ihm geben können, habe ich auch schon gedacht. Der Name Felix scheint zumindest etwas bei ihm auszulösen.
Es ist nicht sein Name. Er hat mich, als ich ihn so angesprochen habe, aber das erste Mal angesehen. Hoffnungsvoll angesehen. Nur als ich ihn daraufhin gefragt habe, ob er so heißt, hat er den Kopf geschüttelt. Das war seine erste und einzige Reaktion bisher.“
„Das ist aber schon erst mal überhaupt eine Reaktion. Gut, nennen wir ihn Felix.
Ich werde dann mal die Kommissare anrufen. Vielleicht können sie mit der Information etwas anfangen.“
Wahrscheinlich war es überhaupt das Erste, das in drei Tagen über das Kind bekannt wurde.
18
zurück zu .
„Du Irena, kommst du heute Abend wieder mit zu uns? Meine Mutter hat den Jungs versprochen, mit ihnen nach der Kita Kuchen zu backen. Und du weißt ja, was das heißt. Wir müssen dann kosten.“
Irena Schneider und Stefan Bergmann, beide frischgebackene Kriminaloberkommissare bei der Kripo der Stadt, saßen sich in ihrem Büro gegenüber.
In ihrem letzten Fall hatten sie nach der vermissten Rina Meyer gesucht und dabei mit einem sehr engen Kollegenkreis von Irenas Wohnung aus verdeckt arbeiten müssen, da die Entführerin das Einschalten der Polizei, natürlich, nicht wollte. Das war zwar nie eine wirkliche Option für die Eltern des Mädchens gewesen, man hatte aber äußerste Vorsicht walten lassen.
Irena und Stefan waren sich seit dem ersten Tag, an dem der verwitwete Kommissar auf der Dienststelle der Stadt begonnen hatte, sympathisch. Während des Falles waren sie sich dann aber noch nähergekommen.
Das lag nicht zuletzt auch daran, dass Heike Bergmann, Stefans Mutter, eine ganz andere Oma war als Irenas eigene Mutter.
Sie hatten beide Kinder. Irena ihren Anton aus erster, geschiedener Ehe und Stefan den Moritz. Beide Kinder waren im Frühjahr beziehungsweise im Frühsommer kurz hintereinander sechs Jahre alt geworden, gingen zusammen in die Kita hier in der Stadt und waren schon lange eng befreundet. So richtig beste Freunde, wie sie selber zu sagen pflegten.
Irenas Mutter war für ihren Anton keine richtige Oma. Nie hatte sie Zeit für ihren Enkel. Auch oder gerade dann nicht, wenn Irena sie aufgrund der manchmal unmöglichen Arbeitszeiten dringend brauchen würde. Und auf Antons Vater konnte sie sich erst recht nicht verlassen. Vor zwei Wochen war er zudem auch noch fortgezogen. Hatte zwischen sich und sein Kind mehr als zweihundert Kilometer gebracht.
Oma Heike war da ganz anders. Sie hatte neben Moritz noch vier weitere Enkelkinder und hatte Anton einfach so als sechstes adoptiert. Und Anton hatte sich das gerne gefallen lassen. Auch wenn die beiden Jungen erst mal erklärt bekommen mussten, wieso die Oma den Anton apportierte, so wie Mamas Jelly den Ball, wenn die Kindern ihn warfen. Oma Heike war doch schließlich kein Hund.
„Na klar komme ich mit. Anton hat mir heute früh schon das Versprechen dafür abgenommen. Nur wollte er mir absolut nicht verraten, was für ein Kuchen es wird. Da konnte ich ihn noch so sehr durchkitzeln. Wenn er nichts sagen will, stellt er sich einfach stumm. Obwohl sein Gekicher ihn natürlich verraten hat.“
„Willkommen im Klub. Ich weiß auch absolut nichts. Moritz hat genauso dichtgehalten. Es war nichts weiter aus ihm herauszubekommen, als dass der Kuchen bestimmt ganz, ganz lecker wird.“
„Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.“
Gerade in dem Moment klingelte das Telefon.
„Das ist Peter. Wenn das nur nicht einen neuen Fall bedeutet. Dann müssen wir die Kinder wieder einmal enttäuschen.“
Kriminalhauptkommissar Peter Schick war ihr gemeinsamer Vorgesetzter. Ein Chef, wie man ihn sich nur wünschen konnte. Immer auf ihrer Seite nahm er lieber mal selbst einen Rüffel seiner eigenen Chefs an, als diesen nach unten weiterzutreten.
Stefan nahm den Hörer ab. „Peter, hallo, was gibt es? Wir haben gerade von Kuchen heute Nachmittag gesprochen, den du uns jetzt bestimmt nicht gönnen wirst. Egal, ich denke mal, du hast einen neuen Fall für uns. Hoffentlich nicht wieder eine Entführung. Ich schalte auf laut, da kann Irena gleich mithören.“
„Hallo ihr beiden. Um euren Kuchen tut es mir ja leid. Obwohl, ihr hättet mir ja sowieso nichts davon abgegeben. Und einen neuen Fall habe ich tatsächlich für euch. Eine Entführung aber nicht, eher das Gegenteil. Wir haben ein Kind ohne Eltern dazu.
Fahrt mal an den Rand der Stadt in die Gartensiedlung. Dort haben Anwohner am Fenster eines eigentlich leerstehenden Gartenhauses ein Kind gesehen. Die Streifenpolizei ist schon vor Ort, hat uns jetzt angefordert. Geht ihr der Sache mal nach.“
„Und da war wirklich nur ein Kind? Und keine Eltern dazu?“ Irena wollte es einfach nicht fassen.
„So viel wie ich weiß, nicht. Mehr kann ich euch aber auch noch nicht sagen, da man mir nicht mehr Informationen gegeben hat.“
„Also gut wir fahren sofort los. Und melden uns dann später wieder bei dir.“
„Und ich werde meine Mutter anrufen, dass es später werden kann.“
Bloß gut, dass es Heike und Frank gibt, dachte Irena noch. Sie verstand sich mit Stefans Eltern prächtig. Eigentlich, dachte sie weiter, haben mich Heike und Frank gleich als Tochter mit angenommen.
Und so war es auch. Stefans Mutter wünschte sich von Herzen, dass ihr Sohn wieder eine Frau an seine Seite fand, die nicht nur ihm guttut, sondern auch Moritz eine echte Mutter sein kann. Und Irena war da doch die geeignete Kandidatin.
Dass Stefan mehr für sie empfand, dass spürte sie als Mutter ganz deutlich. Und Moritz zeigte es auch offen. Genau wie Anton sich einen anderen, aufmerksameren Vater wünschte als den, den er hatte. Die Kinder hatten auch schon gemeinsam beschlossen, dass sie von ihrem jeweiligen Elternteil ein Stück an den Freund abgaben.
„Da bin ich ja gespannt, was uns dort erwartet. Ein Kind ganz alleine, so etwas darf es doch einfach nicht geben.“
Irena war aufgeregt. Fälle, in denen Kinder involviert waren, nahmen sie immer besonders mit. Sie war eine hingebungsvolle Mutter und erwartete, dass auch alle anderen Frauen sich ordentlich um ihre Kinder kümmerten. Und war gleichzeitig über jeden Mann froh, der seine Vaterrolle ernst nahm. So wie Stefan eben.
„Das kann ich mir auch einfach nicht vorstellen. Aber warten wir erst einmal einfach ab, was uns die Kollegen erzählen.“
Irena und Stefan waren inzwischen in der Randsiedlung angekommen. Das Gartenhaus war leicht zu finden, da schon Kollegen vor Ort waren. Mehrere Polizeiautos standen in der Straße, das Grundstück selbst war mit Flatterband abgesperrt.
„Hallo, Kriminaloberkommissar Stefan Bergmann. Das ist meine Kollegin Kriminaloberkommissarin Irena Schneider. Ihr seid als erstes hier gewesen? Was habt ihr vorgefunden?“
„Polizeihauptmeisterin Denise Wünsche. Mein Kollege Polizeikommissar David Grube. Wir waren zuerst am Tatort, stimmt.
Die Anwohner von dem Haus dort drüben haben uns gerufen, weil sie am Fenster der Gartenlaube ein Kind gesehen hatten. Es hat nur ganz ruhig dort gestanden und in den Garten gesehen. Das kam ihnen merkwürdig vor, da das Gartengrundstück brach liegt. Also dürfte sich eigentlich keiner im Haus aufhalten. Natürlich haben sie es erstmal für einen Einbruch gehalten oder eine Besetzung, so wie man es manchmal von leerstehenden Wohnhäusern hört. Also haben sie uns gerufen.
Wir haben auch schon mal versucht, dass abzuklären. Bisher konnten wir aber noch nicht feststellen, wem das Grundstück überhaupt gehört.“
„Okay, und im Haus war nur das Kind? Hat das unser Chef wirklich richtig verstanden? Keine Erwachsenen, auch keine verletzten oder gar…“
„Nein, überhaupt niemand außer dem Jungen. Wir haben schon das gesamte Haus durchsucht. Vom Keller bis unters Dach. Und auch den Schuppen da hinten haben wir uns angesehen. Da ist wirklich niemand. Und der Junge, der spricht nicht.“
Man sah Denise Wünsche an, dass sie so absolut nicht mit dem zufrieden war, was sie den Kollegen der Kripo melden konnte. Sie kam sich wohl vor, als hätte sie nur halbe oder schlechte Arbeit geleistet.
„Schon gut, ihr habt alles richtig gemacht. Wir werden uns dann zusätzlich selber mal ein Bild von der Lage machen. Habt ihr die Spusi schon benachrichtigt.“
„Das wollte euer Chef machen. Ein Hagen Ortler sollte wohl mit seinem Team vorbeikommen.“ Auch der Polizeikommissar Grube war offensichtlich froh, die Verantwortung für den Fall an die Spezialisten der Kriminalpolizei abgeben zu können. Die beiden Polizisten wollten gerne weiterhin helfen, sofern sie dazu in der Lage waren. Aber den Fall leiten sollten dann doch die Kollegen der Kripo. Die waren dafür speziell ausgebildet.
„Der Junge sitzt da hinten. Er lässt auch keinen an sich heran. Sobald man ihm näherkommt, versucht er sich rückwärts zu verziehen. Wir sind dann lieber erstmal auf Abstand gegangen. Nicht, dass er uns noch davonlaufen will. Mit einer Verfolgungsjagd, dachte ich mir, verschrecken wir ihn am Ende nur noch mehr.“
„Da hast du vollkommen richtig gedacht. Na, dann werde ich hier mal in meine Trickkiste greifen müssen, bin in wenigen Minuten wieder da.“ Irena schmunzelte. Sie war sich sicher, dass Stefan sie verstand. Und so war es natürlich auch.
Irenas Haus stand nur zwei Straßenecken weiter. Es machte ihr schon zu schaffen, dass hier, quasi in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld, offensichtlich ein Verbrechen stattgefunden hatte.
Sollte sie etwa doch mal darüber nachdenken, Stefans Angebot sofort anzunehmen. Er hatte sie nach ihrem Wochenendurlaub zu viert gefragt, ob sie mit Anton nicht zu ihm ziehen wollte. Sein Haus war ein Stück größer als ihres. Dort hätten sie als Familie Platz, was bei ihr nur schwer möglich wäre. Außerdem waren es bis zu Heike nur fünf Minuten zu Fuß, von ihrem Haus aus mussten sie dreimal so lange fahren. Sie konnte sich das generell schon auch vorstellen. Ja, es war sogar ein angenehmer Gedanke, einer ihrer heimlichen Wünsche. Aber sie hatte eben genauso eigentlich nichts überstürzen wollen.
Jetzt aber war die Nähe erst einmal gut. Zu Hause im großen Zwinger wartete Jelly, ihre Beaglehündin. Jelly war der beste Spürhund der gesamten Polizei in der Stadt und darüber hinaus, was diese bereits in zahlreichen Wettkämpfen bewiesen hatte. Und wichtiger noch, auch in der Praxis war sie die Beste. Wenn sie einen Vermissten nicht fand, dann keiner. Und eine besondere Verbindung hatte sie stets zu Kindern, die Jelly genauso liebte, wie diese die Hündin.
Hier galt es zwar keinen Vermissten zu suchen, aber vielleicht konnte Jelly die Verbindung zu dem Kind herstellen.
Irena war auch wirklich nach gerade mal knapp zehn Minuten wieder zurück. Langsam ging sie auf das Kind zu, Jelly immer einen Schritt hinter sich. Die Hündin war auf Arbeit eingestellt, hatte ihre ganze Aufmerksamkeit auf Irena gerichtet.
Kurz vor dem Jungen blieb Irena stehen und ging dann in die Hocke. Auf ein Handzeichen hin legte sich Jelly neben sie. Dass die Hündin dabei das Kind genauso beobachtete wie ihre Irena, das konnte nur sehen, wer Jelly kannte. Denn das erfolgte mehr mit den Ohren als mit den Augen.
„Na Jelly, dir geht es gut. Hast heute noch nicht mal arbeiten müssen und darfst dich doch schon wieder ausruhen.“
Jelly sah sie mit großen Augen an. Der Text gehörte so gar nicht zu ihren Kommandos. Was wollte ihre Irena bloß von ihr?
„Ja, ja. Da siehst du mich an. Willst auch noch gestreichelt werden, was? Aber ich kenn dich. Da bist du mit mir dann ja nicht zufrieden. Dir ist es am liebsten, wenn eine ganze Schar Kinder um dich herum ist, die dir dann das Fell grault.“
An der Stelle sah Irena auf und tat so, als ob sie erst jetzt den Jungen so richtig bemerkte. Sie sah ihn kurz aufmerksam an, legte dabei ihren Kopf nachdenklich etwas schief.
„Sag mal, du da. Du bist so klein, du musst doch noch ein Kind sein. Kannst du mir nicht ein bisschen helfen. Ich brauche unbedingt jemanden, der meine Jelly hier grault.“
Stefan sah sich das ganze aus der Entfernung an. Er konnte gerade noch verstehen, was Irena zu dem Kind sagte. Das war ja interessant. Sie fand doch immer die richtigen Worte. Jetzt hielt er die Luft an. Würde das Ganze auch hier wieder gelingen? Wird der Junge Zutrauen zu Irena oder erstmal zu der Hündin finden?
Und tatsächlich schien es zu funktionieren. Er sah Irena kurz von unten herauf an und dann kroch er ganz vorsichtig zu Jelly. Langsam fuhr er ihr mit seiner kleinen Hand über den Rücken. Jelly hatte instinktiv verstanden, was jetzt zu tun war. Schon nach dem zweiten sachten Streicheln drehte sie sich auf den Rücken und ließ sich den Bauch graulen. Dabei blieb sie dann ganz still liegen. Hatte ihr Augen vor Wonne fast geschlossen.
„He, das machst du ja richtig toll. Man bin ich froh, dass ich dich hier getroffen habe. Sonst hätte ich das wieder alleine machen müssen und mir noch Jellys vorwurfsvollen Blick ansehen dürfen. Weil ich es ja nicht so gut kann wie du. Ich will dir noch was verraten. Ich bin die Irena und das kann sich Jelly auch merken. Und wenn du mir und Jelly dann auch noch verrätst, wie du heißt, dann merkt sie sich das auch. Weiß dann ganz genau, dass du gemeint bist, wenn ich deinen Namen sage.“
Der Junge sah sie mit großen Augen an. Er machte den Mund auf, aber kein Laut kam heraus. Jetzt wirkte er richtig unglücklich. Man sah, dass er es selber nicht begriff, dass er einfach nicht sprechen konnte.
„Na mach dir mal keine Gedanken. Das klappt auch so. Wir werden deinen Namen schon rausbekommen. Machen wir doch einfach ein Ratespiel draus. Ich nenne dir einen Namen und du nickst, wenn er richtig ist. Hast du Lust?“
Er sah sie mit seinen großen traurigen Augen an. Aber es kam keine Reaktion mehr. Irena versuchte es mit mehreren Namen, die ihr einfielen. Aber keiner schien richtig zu sein. Fast kam sie sich schon wie bei Rumpelstilzchen vor, dem neuen Lieblingsmärchen von Anton und Moritz.
Nachdem sie bestimmt schon fast zwanzig Namen probiert hatte, musste sie einsehen, dass sie so hier nicht weiterkamen. Sie musste aufhören, wenn sie den Jungen nicht vollkommen überfordern und das bisschen Vertrauen, das sie gewonnen hatte, verlieren wollte.
„Na komm mal mit. Jetzt suchen wir dir erstmal ein Plätzchen, wo du heute Nacht schlafen kannst. Hier draußen ist es doch zu kalt, da wirst du am Ende noch krank.“
Man sah dem Kind an, dass es nicht mitgehen wollte. Immer wieder drehte es sich zur Laube um als würde es auf etwas, oder jemanden, warten.
„Komm schon. Ich bringe dich zu vielen anderen Kindern. Und dann suche ich deine Mama. Du darfst auch Jelly an der Leine führen.“
Als Irena die Mama erwähnte, fing der Junge zu zittern an. Dann liefen Tränen über seine Wange. Aber auch jetzt kam kein Laut aus seinem Mund, nicht einmal ein weinen.
„Habt ihr das Jugendamt schon informiert.“ Irena trat mit dem Kind an der Hand langsam auf Stefan zu.
„Ich habe gerade mit Peter telefoniert. Du weißt ja, der Jugendamtsleiter ist ein alter Schulfreund von ihm. Er wird ihn sofort selber anrufen und jemanden von dort vorbei schicken lassen.
Das hast du übrigens ganz toll gemacht eben.“
Stefan blinzelte Irena zu und ging dann vor dem Jungen in die Hocke.
„Hallo du, ich bin Stefan. Das weiß Jelly übrigens auch. Und du darfst mich auch so nennen. Verrätst du mir deinen Namen? Ich kann dich doch nicht die ganze Zeit Junge nennen?“
Wieder sah der Junge kurz hoch. Er schien zu überlegen, gab aber keine Antwort. Nur seine Augen blickten traurig. Einen erneuten Versuch zu sprechen wagte er gar nicht erst.
In dem Moment fuhr ein Auto vor und eine junge Frau stieg aus. „Hallo, ich bin Katrin Lindner, die zuständige Mitarbeiterin vom Jugendamt. Mein Chef hat mich grob eingeweiht. Ich soll hier einen Jungen abholen, der alleine aufgefunden worden ist. Aber natürlich müssen wir noch etwas mehr wissen.“
„Wo werden Sie ihn unterbringen. Ich würde dann gerne sofort mit hinfahren. Damit schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Ich muss nicht mehrmals erzählen, was wir wissen. Nicht, dass das viel wäre. Aber außerdem müssen wir von der Polizei schon darüber informiert sein, wo sie ihn unterbringen. Denn ganz offensichtlich liegt hier ein Verbrechen vor. Und gegebenenfalls müssen wir Sicherheitsmaßnahmen treffen.
Das Wichtigste sehen Sie aber hier.“ Irena zeigte auf ihre Hand und auf Jelly. „Er klammert sich momentan an mir fest. Ich glaube nicht, dass Sie ihn jetzt ohne meinen Hund in irgendein Fahrzeug bringen. Ich werde also den Transport selbst übernehmen.“
„Ich würde ja gerne sagen, dass wir einen Pflegeplatz für ihn haben. Ist aber leider nicht so. Die Pflegestellen in privaten Haushalten sind zurzeit alle belegt. Leider. Sie können sich nicht vorstellen, was da draußen in manchen Familien los ist. Furchtbar. Aber wenn ich erst einmal anfange mit schimpfen, werde ich wieder nicht fertig.
Den Jungen müssen wir also wohl oder über ins Kinderheim bringen.
Wobei es dort gar nicht so übel ist. Im Gegenteil. Frau Liebmann und ihr Team kümmern sich aufopferungsvoll um die ihnen anvertrauten Kinder. Und manche von ihnen leben schon mehrere Jahre dort und wollen jetzt auch nirgends anders mehr hin. Es geht ihnen gut in Heim.“
„Dann schlage ich vor, dass ich den Junge mit unserem Fahrzeug hinbringe und wir treffen Sie dann dort. Ich muss nur unterwegs meinen Kollegen an der Dienststelle abliefern. Aber das liegt ja an der Strecke.“
Und an den Jungen gewandt: „Komm, wir machen jetzt zusammen mit Jelly eine kurze Autofahrt mit dem Polizeiauto. Und am Ende besuchen wir ein Haus mit ganz vielen anderen Kindern. Dort kannst du die nächsten Tage erst einmal wohnen. Und ganz sicher spielen die Kinder auch mit dir.“
Das Kind sah sie wieder mit leeren Augen an. Aber Irena hatte trotzdem das Gefühl, dass es ihr zuhörte. Was aber muss er gesehen haben, dass es ihm die Sprache verschlagen hat? Wenn er es ihnen nur erzählen könnte. Vielleicht könnten sie den Fall dann ganz schnell lösen.
„Hier Frau Schneider, nehmen Sie mal wenigstens den Kindersitz aus meinem Fahrzeug. Ich glaube nicht, dass die Polizei in ihren Dienstfahrzeugen welche mitführt.“
Buh, daran hatte Irena doch tatsächlich noch gar nicht gedacht. Aber schnell war der Sitz angebracht und der Junge hereingesetzt. Jelly sprang in den Kofferraum, kaum dass Irena ihn geöffnet hatte. Und so konnten sie auch sofort losfahren.
„Ich hätte da ja schon so ein paar Gedanken zu dem Fall. Aber ich möchte jetzt hier nicht darüber reden. Du weißt ja, wie das mit den kleinen Ohren ist. Bringe das Kind also erst einmal gut unter und wir reden später im Büro.“
„Geht in Ordnung. Ich bin da ganz deiner Meinung. Und ein paar Gedanken habe ich auch schon. Allerdings alle noch ohne irgendeinen Beleg, dass es so gewesen sein könnte. Eigentlich haben wir mal wieder gar nichts. Wie eben sooft.
Informierst du Daniel, damit er sich um das Grundstück und die Besitzrechte kümmert?“
Kriminaloberkommissar Daniel Ostmann war der Internetspezialist der Polizei in der Stadt. Auch er hatte im letzten Fall mit Irena und Stefan zusammengearbeitet. Und sicher hatte Peter nichts dagegen, wenn sie ihre alte Gruppe wieder zusammenstellten, um den Fall zu lösen.
Da wären dann noch Kriminaloberkommissarin Silke Werner, Maria Lichtherr aus dem Labor und Hagen Ortler von der Spusi. Alles gute und fähige Kollegen, die sich lange kannten und vertrauten.
Irena hatte Stefan an der Dienststelle rausgelassen und war inzwischen am Kinderheim angekommen.
Die alte Villa aus der Gründerzeit lag in einem wunderschönen genauso altem Park mit vielen Bäumen. Hier hatten die kleinen Kinder viel Platz zum Spielen und Toben. Und für die größeren gab es genug Ecken, in die sie sich zurückziehen konnten um auch mal unter sich zu sein.
Irena Schneider und Katrin Lindner betraten gemeinsam das Haus. Irena sah sich erst einmal unauffällig um. Das Haus war auch innen wunderschön. Die großen Fenster ließen viel Licht herein. Alles war hell und freundlich.
Da kam ihnen auch schon die Leiterin des Heimes entgegen.
„Hallo Frau Lindner. Und Sie sind sicher die Polizistin und das ist der Junge, den Sie uns bringen wollen. Ich bin Thea Liebmann.“
„Ja, ich bin Kriminaloberkommissarin Irena Schneider. Hallo, Frau Liebmann. Und ja, das ist der kleine Kerl, der ab sofort bei Ihnen hier wohnen möchte.“ Irena vermied absichtlich das Wort muss. Das klang ihr viel zu hart.
Die Frau ging vor dem Kind in die Hocke. „Hallo, kleiner Mann. Ich bin Frau Liebmann. Aber alle Kinder dürfen mich hier beim Vornamen nennen. Also Thea. Möchtest du das auch?“
Was hatten sie erwartet? Es kam natürlich auch jetzt keine Reaktion. Im Gegenteil. Hatte der Junge vorher noch mit den Augen reagiert, sah er jetzt nur noch auf den Boden und fing auch noch an zu zittern. Sollte er Angst vor dem Heim haben?