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Die Herbstferien sind vorbei und in der Stadt gibt es eine Entführung nach der anderen. Die Kollegen der Kriminalpolizei um Irena Schneider und Stefan Bergmann fürchten schon jeden neuen Tag. Sollte es ein weiteres Entführungsopfer geben? Sie arbeiten bis in die Nacht hinein. Ihre eigenen Familien bekommen sie kaum noch zu Gesicht. Zwischen den Opfern gibt es kaum eine Gemeinsamkeit. Weder im Aussehen, noch in den Lebensumständen. Das Motiv scheint undurchsichtig, wenn es überhaupt eins gibt. Dann hat Irena eine ungewöhnliche Idee. Und die bringt den Durchbruch.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Die Reihe „Irena und Stefan“
Das Buch
28.
29.
Tag eins
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Tag zwei
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
Tag drei
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
Tag vier
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
Tag fünf
43.
44.
45.
46.
47.
48.
49.
50.
Tag sechs
51.
52.
53.
54.
55.
56.
57.
59.
Tag sieben
60.
61.
62.
63.
64.
65.
66.
67.
68.
Tag acht
69.
70.
71.
72.
73.
74.
75.
Eine Bitte an meine Leser
Die weiteren Bücher der Reihe
…jetzt sollt auch ihr es spüren
Irena und Stefan
Band 4
Irena Schneider und Stefan Bergmann sind Polizisten bei der Kriminalpolizei der Stadt. Mit ihrem kleinen Team, zu dem noch Silke Werner und Daniel Ostmann gehören, verfolgen sie Verbrecher und klären deren Verbrechen auf. Dabei haben sie sich auch kennen und lieben gelernt.
Ihre Kinder Anton und Moritz, beste Freunde und jetzt auch beste Brüder, sind mit dieser Entwicklung mehr als zufrieden.
Freuen Sie sich auf mehr Bücher aus der Reihe.
Band 1: …und Schuld bist du
Band 2: …hier habe ich das Sagen
Band 3: …wir haben es nicht vergessen
Alle Bücher sind in sich abgeschlossen und lassen sich unabhängig voneinander lesen. Mehr Spaß macht es aber, wenn Sie die Reihenfolge beachten. Mehr dazu am Ende des Buches
Vor Ihnen liegt nun
Band 4: …jetzt sollt auch ihr es spüren
Die Herbstferien sind vorbei und in der Stadt gibt es eine Entführung nach der anderen. Die Kollegen der Kriminalpolizei um Irena Schneider und Stefan Bergmann fürchten schon jeden neuen Tag. Sollte es ein weiteres Entführungsopfer geben? Sie arbeiten bis in die Nacht hinein. Ihre eigenen Familien bekommen sie kaum noch zu Gesicht.
Zwischen den Opfern gibt es kaum eine Gemeinsamkeit. Weder im Aussehen, noch in den Lebensumständen. Das Motiv scheint undurchsichtig, wenn es überhaupt eins gibt.
Dann hat Irena eine ungewöhnliche Idee. Und die bringt den Durchbruch.
Malte und Hans Räubelig standen vor dem Schulgebäude. Es war kurz nach dem Mittag und die Schule war heute zum Glück schon aus. Sie hatten keine Lust auf Schule, aber auch keine, nach Hause zu gehen. Dort würde ja doch keiner auf sie warten. Wenn es so wäre, dann hätte Thilo sie schon angerufen. Das hatte er ihnen gestern Abend noch ganz fest versprochen. Und sie wussten, dass sie sich da voll und ganz auf ihn verlassen konnten. Er hatte sie noch nie belogen. Aber was sonst jetzt machen? Zu Oma und Opa fahren? Das sollten sie ja eigentlich Dafür kamen sie sich aber zu alt vor. Mit sechzehn und vierzehn verkroch man sich nicht mehr bei den Großeltern. Oder war das hier ein Sonderfall, der das doch rechtfertigte?
„Du Malte, sieh mal, da drüben. Die beiden Mädchen. Die Zwillinge.“
„Was ist mit denen? Das sind doch noch kleine Kinder. Für die interessiere ich mich nun wirklich nicht. Aber stimmt, du bist ja noch zwei Jahre jünger als ich, da passt das schon eher. Aber mal ehrlich? Gerade heute? Wo Mama doch nicht da ist.“
„Das meine ich ja gerade. Heißen die nicht Löwe? Ich habe da mal so etwas gehört. Ein Junge aus denen ihrer Klasse hat sie so gerufen. Und ich glaube, die Polizei hat Thilo gestern gefragt, ob er eine Frau Löwe kennt. Ich glaube, Franka Löwe heißt sie genau.“
„Mensch Hans, da hast du recht. Jetzt erinnere ich mich auch. Meinst du, das sind die Töchter?“
„Weiß ich doch nicht, Malte. Wir müssen sie einfach fragen. Sonst erfahren wir das nie.“
„Also ich nicht. Wenn das meine Freunde sehen. Die denken dann vielleicht wirklich noch, ich gebe mich mit Kindern ab.“
„Haha, als wenn du kein Kind mehr wärst. Aber schon gut, schon gut. Ich mach´s ja. Ich gehe einfach mal rüber und frage sie. Aber bleibe hier. Nicht, dass du inzwischen abhaust und ich stehe dann ganz alleine hier rum.“
Hans gab sich einen Ruck und schlenderte langsam auf die Mädchen zu. So richtig wohl war ihm dabei auch nicht. Er hatte vor seinem großen Bruder mutiger getan, als er sich eigentlich fühlte. Stand er doch ihm gegenüber meist sowieso als Feigling da. Oder er fühlte sich zumindest so. Und das nur, weil Malte Kraftsport machte, während er gerne im Chor sang. Er hatte eben eine schöne Stimme.
Jetzt musste er also all seinen Mut zusammennehmen. Er hatte noch nie ein Mädchen einfach so angesprochen. Und dann standen da gleich zwei auf einmal. Zwillinge! Wenn er die beiden nun nicht auseinander halten könnten?
Mensch, Hans. Hab´ dich nicht so. Was soll schon passieren?
Also trat er mutig auf die beiden zu.
„Hallo, ich bin Hans Räubelig.“
Mama hatte gesagt, dass man sich immer erst einmal selber vorstellte. Das machte bestimmt eine guten Eindruck. Und den wollte er hinterlassen.
„Ihr heißt doch Löwe mit Nachnamen. Richtig?“
„Und? Was geht dich das an? Lass uns einfach in Ruhe. Wir wollen mit niemanden drüber reden.“
Also doch. Er hatte es doch gewusst. Er blamierte sich hier maßlos. Oder doch nicht? Was hatten die beiden gerade gesagt? Wir wollen mit niemanden drüber reden. Das musste doch heißen…
„Ihr seid die Töchter dieser Franka Löwe? Stimmts. Wartet doch. Rennt nicht gleich weg. Unsere Mama wurde auch entführt.“
Julina und Annina Löwe wollten eigentlich nur fort von hier. Sie wollen mit keinem darüber sprechen, was ihrer Mama passiert war. Jetzt aber blieben sie wie angewurzelt stehen. Der Junge hatte doch tatsächlich gerade behauptet, dass noch jemand entführt wurde. Seine Mutter.
„Hast du das wirklich gerade gesagt? Und stimmt das auch?“
„Meint ihr, ich mach mit so etwas Spaß. Danach ist mir absolut nicht. Auch wenn ich das als Junge nicht zugeben sollte, ich mach es trotzdem. Mir ist zum Heulen. Und ich schäme mich dafür auch nicht. Kommt, dahinten das ist mein Bruder Malte. Ich bin Hans. Aber das habe ich euch ja schon gesagt. Wir können uns bestimmt gegenseitig helfen. Wie heißt ihr eigentlich?“
„Julina und Annina. Und da ihr es ja sonst nicht könnt. Ihr haltet uns ganz einfach auseinander. Juli hat ihren Leberfleck auf der linken Wange und ich habe ihn rechts.“
Malte und Hans sahen die beiden einen Moment gespannt an, so als ob sie sie mustern wollten. Dann nickten sie kurz mit ihren Köpfen. Die Sache war also klar, eine links, die andere rechts. Sie durften nur nicht vergessen, bei wem der Fleck auf welcher Seite war.
„Na gut, wir helfen euch noch einmal. Juli mit L, links auch mit L.
Aber sagt mal, wie sollen wir uns eigentlich gegenseitig helfen. Papa hat gesagt, wir sollen nach der Schule gleich nach Hause kommen. Er hat sich extra nach dem Mittag frei genommen. Damit wir nicht alleine sind. Wenn wir uns nicht beeilen, dann holt er uns am Ende noch ab.“
„Hm. Wir sollen zu den Großeltern. Aber wir wissen noch nicht, ob wir das wirklich machen. Eigentlich wollten wir ja unsere Mama suchen.“
Davon wusste Hans ja noch gar nichts. Hatten Malte jetzt alle guten Geister verlassen? Würde Oma jetzt zumindest fragen. Aber die Idee war eigentlich gar nicht mal so schlecht.
„Das könnt ihr nicht machen. Dann werdet ihr am Ende auch noch entführt. Es reicht doch aber nun wirklich, wenn unsere Mamas weg sind.“
„Wir passen schon auf. Ich mache schließlich Kampfsport. Uns wird schon nichts passieren.“
„Willst du damit sagen, dass eure Mama nicht aufgepasst hat? Unsere hat es ganz bestimmt. Komm Anni, wir gehen.“
„Mensch Malte, da haben die beiden recht. Mama hat ganz sicher auch aufgepasst. Und was willst du alleine schon gegen die Entführer machen? Es waren bestimmt viele. Sonst hätten sie Mama nicht mitnehmen können. Ich mache da auch nicht mit.“
„Na gut. Stimmt ja, kleiner Bruder. Gehen wir also doch zu den Großeltern.“
Die beiden Frauen waren gerade im Einkaufszentrum der Stadt angekommen. Sie waren Mutter und Tochter und wollten sich heute mal einen gemeinsamen schönen Tag machen. Es war inzwischen Ende Oktober und nicht mehr lange, und es würde Weihnachten sein. Man konnte also durchaus schon mal nach den ersten Geschenken sehen. Die Mädchen waren inzwischen elf und würden sich sicher über ein eigenes Handy freuen. Das hatte die jüngere der beiden gestern Abend noch mit ihrem Mann abgesprochen. Und der vierjährige Sohn? Alles was auf Schienen fuhr, war für ihn gerade das größte. Mal sehen, ob es bei Lego etwas entsprechendes gab.
Sie war so in Gedanken, dass sie gar nicht merkte, dass ihre Mutter schon ein ganzes Stück weiter war. Mit ihrem verletzten Fuß ging es heute aber auch nicht schneller. Aber was soll´s? Dann musste die Oma eben mal ein wenig warten.
Gerade als sie diese Gedanken hatte, hielt unweit von ihr ein Fahrzeug. Das war ungewöhnlich hier. Eigentlich durften in der Passage nur Lieferfahrzeuge fahren und die hielten nicht gerade mitten zwischen den Passanten. Aber jetzt stieg ein Mann aus, kam um das Fahrzeug herum und – schon hatte er sie am Arm gepackt und ins sein Auto gezogen. Das Ganze ging so schnell, dass ihre Mutter es erst merkte, als es längst geschehen war. Sie konnte ihr nicht helfen. Und jetzt fuhren sie auch schon wieder los.
Irena Schneider und Stefan Bergmann hatten mit den Kindern den versprochenen Urlaub gemacht. Es waren Herbstferien gewesen und so konnten sie einmal eine Woche ungestört verreisen. Die Kinder hatten sich unbedingt einen Zoobesuch gewünscht. Und die Affen, Elefanten und anderen Tiere hatten sie dann auch entsprechend begeistert. Noch tagelang hatten sie davon geschwärmt. Und das eine oder andere Tier hatte dann auch in Form zweier kleiner Jungs bei ihnen Einzug gehalten. Am liebsten machten sie dabei die Äffchen nach.
Jetzt war wieder Schule und nach den Erwachsenen rief die Arbeit. Nach all den schönen und unbeschwerten Tagen warteten wieder Verbrechen auf sie. Sie waren beide Kriminaloberkommissare bei der Kriminalpolizei ihrer Stadt. Einer ruhigen Stadt, in der es zum Glück schon seit langen weder Mord noch Totschlag gegeben hatte. Aber das Verbrechen ruhte eben doch nicht ganz. Und so gab es wie überall die kleineren und größeren Vergehen oder auch mal ein richtig schlimmes Verbrechen.
Gerade waren Irena und Stefan zur Tür der Dienststelle herein, als ihnen auch schon Silke Werner entgegenkam.
„Na ihr Urlauber. Das ihr überhaupt wieder hierher gefunden habt. War es wenigstens schön?“
„Schön und anstrengend. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was sich die Jungs alles einfallen lassen, um abends nicht ins Bett zu müssen. Die Worte nur noch kann ich schon gar nicht mehr hören. Aber Heike hat mir schon erzählt, dass Stefan genauso war. Bleibt also nur die Frage offen, woher Anton das hat.“
Heike, das war Stefans Mutter und für die Jungs die beste Oma, die man sich vorstellen konnte. Und die Jungs, das waren eben Anton, also Irenas Sohn aus geschiedener Ehe, und sein bester Bruder Moritz, der Sohn des verwitweten Stefan. Seit ungefähr vier Monaten lebten die vier jetzt zusammen im ehemaligen Haus von Stefans Eltern, welche aufs Altenteil, wie sie es selber nannten, gezogen waren. Das sich dieses unweit vom Haus am anderen Ende des Gartens befand, erleichterte die Sache ungemein. So waren die Großeltern immer da, wenn sie gebraucht wurden. Und das war leider öfters, als Irena und Stefan es sich wünschten.
„Oh doch, kann ich mir. Glaubt nicht, dass da ein einzelnes kleines Mädchen weniger einfallsreich ist, als eure Jungs.“
Silke Werner war Mutter der inzwischen vierzehnjährigen Mia und konnte sich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ihre Tochter gerade erst in die Schule gekommen war und es ebenfalls ungerecht fand, immer eher als die Erwachsenen zu Bett zu müssen.
„Na dann kommt mal mit. Ich will euch ja nicht eure Nachurlaubsstimmung verderben, aber es gibt Arbeit. In letzter Zeit häufen sich die Ladendiebstähle.“
Die drei traten gemeinsam in den Besprechungsraum. Dort hatte Silke bereits alles vorbereitet, um Irena und Stefan auf den neusten Stand der Dinge zu bringen. Auf dem großen Tisch verteilt lagen mehrere Blätter Papier. Alles Anzeigen von kleinen und größeren Geschäften der Stadt. Die Überfälle fanden meist in den späten Abendstunden, also kurz vor Ladenschluss statt. Auffällig war auch, dass keiner der Ladenbesitzer die Personen näher beschreiben konnte. Sah das Ganze etwa nach Schutzgelderpressung aus?
Sie hatten sich vielleicht eine Stunde mit den Fällen beschäftigt, da trat ihr Chef, Kriminalhauptkommissar Peter Schick, in den Raum.
„Alles liegen lassen. Wir haben gerade eine Entführung gemeldet bekommen. Das hat jetzt oberste Priorität.“
„Erzähle, wer wurde entführt und wo? Ist das ganze beobachtet worden?“
Irena schaltete sofort um. Das waren die Fälle für die ihr Team zuständig war. Mit den Diebstählen konnten sich andere beschäftigen. Und wenn es sich wirklich um Schutzgeld handelte, dann müsste man eventuell sowieso das Landeskriminalamt einschalten. Den Gedanken wollte sie später noch an die Kollegen weitergeben.
„Es kam gerade ein Anruf von einer…“ Peter sah kurz auf seinen Zettel. „…Ute Vetter herein. Sie war mit ihrer Tochter einkaufen. Als sie sich einen Moment umgedreht hat, wurde ihre Tochter, eine Franka Löwe, von einem Mann in sein Auto gezerrt. Dieser ist dann in höllischem Tempo, wie die Mutter es beschreibt, davon gefahren.
Irena, du leitest den Fall wieder. Legt los. Eure Ladendiebstähle muss eine andere Abteilung übernehmen.“
Die Angesprochene sah nur kurz zu Stefan und Silke, dann liefen sie auch schon los zu ihren Fahrzeugen. Je eher sie am Tatort waren, desto besser.
„Silke, du nimmst einen eigenen Wagen. Das sind wir unabhängiger. Ich komme mit Stefan zusammen.“
Am Tatort angekommen, trafen sie – und das freute Irena besonders - Polizeihauptmeisterin Denise Wünsche. Mit ihr hatten sie schon öfters zusammengearbeitet. So wussten sie also auch, mit wem sie es zu tun hatten. Und sie konnten sich vor allem sicher sein, dass bisher nichts schief gelaufen war. Denise hatte durchaus Ambitionen bei der Kriminalpolizei anzufangen. Allerdings gab es für eine zusätzliche Stelle hier in der Stadt zurzeit kein Geld. Und umziehen wollte sie auf keinen Fall.
„Oh, hallo Denise. Du bist scheinbar bei unseren Fällen immer die erste. Dann erzähle mal, was weißt du schon?“
„Das soll der Chefetage bestimmt etwas sagen. Ich muss zu euch versetzt werden, auch wenn ich dann nicht mehr die erste sein werden, die vor Ort ist.
Wir bekamen einen Notruf von der Leitstelle gemeldet. Es hatte sich eine aufgeregte Dame gemeldet, weil sie hier in der Einkaufsmeile einen merkwürdigen Vorgang beobachtet hatte. Sie meinte, es würde wohl kaum jemand gegen seinen Willen in ein Fahrzeug einsteigen. Und deshalb kam ihr das Ganze komisch vor. David und ich waren ganz in der Nähe und haben übernommen. Wir waren noch nicht ganz hier, da meldete sich die Leitstelle wieder bei uns. Eine Mutter hatte die Entführung ihrer Tochter angezeigt. Ich dachte erst, ein Kind ist gemeint. Mir war schon richtig schlecht. Da geht es mir so wie jedem Polizisten. Wenn Kinder involviert sind, ist das alles noch mal so schlimm. Aber wem erzähle ich das? Ihr habt selber Kinder, da ist das bestimmt noch viel schlimmer. Auf Nachfragen hin wurde mir aber mitgeteilt, dass kein Kind, sondern eine junge Frau entführt worden ist. Es lag also nahe, dass es sich bei beiden Meldungen um ein und denselben Fall handelt.
Ich konnte mit der Mutter noch nicht reden. Sie wird zurzeit medizinisch versorgt, da sie wahrscheinlich einen Schock hat. Aber ich habe mit der ersten Anruferin bereits kurz gesprochen. Sie kann ganz ordentliche Auskünfte zum vermutlichen Entführer machen.“
„Ist das die Frau da hinten? Sie sieht schon die ganze Zeit so interessiert zu uns herüber.“
„Das? Interessiert kann man es wohl auch nennen. Ich würde aber eher sagen, dass sie zur Kategorie neugierigePassanten zählt. Zumindest hat sie mir nichts zur Entführung erzählen können. Elvira Schreck, die uns angerufen hat, sitzt da drüben.“
„Gut. Stefan, du übernimmst diese neugierige Dame dahinten. Ich werde mit Elvira Schreck sprechen. Denise, könntest du bitte den Kontakt zu den Sanitätern halten. Ich will unbedingt kurz mit der Mutter sprechen.“
Während sich Irena und Stefan zu den Zeugen begaben, lief Denise zum Sanitätsfahrzeug.
„Hallo, ich bin Kriminaloberkommissarin Irena Schneider. Mir wurde gesagt, sie hätten die Entführung beobachtet?“
Vor Irena saß eine kleine, etwas korpulente Frau Anfang fünfzig. Sie war für die Jahreszeit fast schon zu dünn angezogen. Aber vielleicht gehörte sie ja zu den beneidenswerten Personen, die nie froren.
„Hallo, ja das habe ich. Mein Name ist Elvira Schreck. Ich bin Krankenschwester, habe heute frei und das genutzt, um mal wieder einzukaufen. Gerade als ich aus dem Geschäft ganz da drüben herauskam, sah ich, wie ein Mann eine junge Frau in sein Auto zerrte. Ja, das ist wohl der richtige Ausdruck dafür: zerren. Sie hat versucht, sich gegen ihn zu stemmen. Es war also ganz offensichtlich, dass sie damit nicht einverstanden war. Aber ich glaube, er war um einiges stärker als sie.“
„Konnten Sie hören, ob sie auch geschrien hat? Ich meine, das wäre doch in so einer Situation eigentlich logisch.“
„Nein, also hören konnte ich das nicht. Dafür war ich zu weit weg. Und insgesamt war es hier auch zu laut. Dagegen herrscht jetzt trotz des ganzen Polizeiaufgebotes ja schon fast gespenstische Stille. Es ist schon merkwürdig, was so eine Sehenswürdigkeit alles verändern kann.
Es sind ja recht viele Passanten unterwegs. Ich verstehe gar nicht, dass das keinem anderen aufgefallen ist. Oder sind die Menschen schon so abgestumpft, dass sie nicht mehr darauf achten, ob jemand Hilfe braucht? Traurig.“
„Wir werden trotzdem mit den anderen Besuchern des Einkaufszentrums, die bedeutend näher standen, sprechen. Vielleicht kann und will sich ja doch jemand erinnern.
Meine Kollegin sagte aber, dass sie den Täter ziemlich gut beschreiben können. Würden Sie das bitte für mich noch einmal wiederholen.“
„Aber selbstverständlich. Deshalb warte ich doch hier. Damit ich mit Ihnen sprechen kann. Er trug eine Jeanshose und dazu eine schwarze Lederjacke. Auf dem Kopf hatte er so eine dunkle Mütze. Wahrscheinlich aus Wolle.
Es mag zwar eine gute Beschreibung sein. Allerdings glaube ich nun wirklich nicht, dass Sie alleine damit den Täter gleich finden. So gekleidet kann doch jeder gehen. Und wenn ich mich so umsehe, könnten Sie aufgrund meiner Beschreibung sofort mindestens zehn Passanten als Täter festnehmen.“
„Hm, da haben Sie wohl recht. Sobald wir einen Verdächtigen haben, kann uns das aber schon helfen.
Wie groß war er denn ungefähr? Und die Haarfarbe konnten Sie wohl nicht erkennen? Hatte er einen Bart? Oder irgendein anderes besonderes Merkmal. Denken Sie bitte noch einmal genau nach, Frau Schreck.“
Die Zeugin nahm sich einen Moment Zeit. Man sah ihr an, dass sie wirklich helfen wollte. Dann schüttelte sie aber den Kopf.
„Tut mir leid, Frau Schneider. Der Mann war zu weit von mir entfernt, um seine Größe einschätzen zu können. Und alles andere? Ich habe ihn doch nur von hinten gesehen. Und da war nichts. Kein Aufdruck auf der Lederjacke oder so. Das hätte ich Ihnen dann auch gleich gesagt.“
„Schon gut, ich wollte Sie nicht angreifen mit meiner Frage. Manchmal wissen die Zeugen nur selber gar nicht, was sie alles gesehen haben. Da hilft nachfragen meist.
Was war es denn für ein Fahrzeug?“
„Ach so, ja. Da kann ich Ihnen doch noch helfen. Sie haben also recht, nachfragen hilft. Es handelte sich um eine roten VW Passat. Das weiß ich so genau, weil wir auch einen haben. Zwar silbern, aber die Farbe ändert ja nichts am Fahrzeugtyp.“
„Klasse, dann können wir zusammen vielleicht auch die ungefähre Größe des Mannes herausbekommen. Er stand doch sicher unmittelbar neben dem Fahrzeug.“
„Genau. Er hat die arme Frau ja da reingezwungen. So mit Hand auf dem Kopf, damit sie sich nicht stößt. Vielleicht haben die anderen deshalb auch gedacht, dass sie abgeführt wird.“
„Das ist natürlich eine Möglichkeit. Der Mann muss sich aber auch mal aufgerichtet haben. Oder?“
„Sicher. Er musste ja zur anderen Seite. Also zur Fahrerseite meine ich.“
„Jetzt stellen Sie sich diese Szene mal vor. Am besten schließen sie Ihre Augen dazu. Wo befand sich die Oberkannte vom Autodach? Auf Schulterhöhe oder drunter beziehungsweise drüber?“
„Genau, dass konnte ich sehen. Als er auf der anderen Seite war, da war seine Schulter noch zu erkennen. Er war also den sprichwörtlichen Kopf größer als das Fahrzeug. Leider hat er aber nicht zu mir herüber gesehen. Dann wüsste ich ja auch, wie er aussieht.“
„Und gab es einen Beifahrer?“
„Da bin ich mir nicht sicher. Ich konnte es nicht sehen, weil die Werbesäule dort davor stand.“
„Danke, Frau Schreck. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Sie mir schon geholfen haben. Hier, ich lasse Ihnen meine Karte da. Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte…“
„…dann werde ich mich bei Ihnen melden.
Bitte, finden Sie die junge Dame ganz schnell. Das muss doch furchtbar sein, wenn man entführt wurde. Ich mag mir das gar nicht vorstellen, wenn man nicht weiß, wieso und warum. Und vor allem, wie es weitergehen wird.“
Stefan hatte sich inzwischen mit der neugierigen Passantin unterhalten. Diese sah merkwürdig desinteressiert aber zugleich auch trotzig zu ihm auf. So, als würde sie zu ihm sagen wollen: was willst du von mir, ich habe es eilig also lass mich endlich gehen.
Er hatte sich als erstes ebenfalls vorgestellt.
„Guten Tag, Kriminaloberkommissar Stefan Bergmann von der Kripo der Stadt. Können Sie mir als erstes Ihren Namen sagen und dann, was Sie beobachten konnten.“
„Ich heiße Nina Lindner. Und ich habe gar nichts beobachtet. Das habe ich doch Ihrer Kollegin schon gesagt. Ich wollte von ihr nur wissen, wer hier so rumgeschrien hat. Und sofort muss ich nun hier sitzen bleiben. Das ist ja fast, als hätte ich etwas verbrochen. Hat man denn kein Recht mehr, Auskünfte von der Polizei zu bekommen? Oder soll das hier eine Schikane werden.“
„Aha, Sie haben also jemanden schreien gehört? Konnten Sie auch verstehen, was geschrien wurde?“
„Na so etwas wie nein, lass mich und ich will nicht. Bilde ich mir zumindest ein.“
„Und Sie meinen, dass das jemand aus Spaß gerufen hat? Konnten Sie sich nicht denken, dass da jemand Hilfe braucht?“
Stefan konnte sich gerade noch ein verärgertes Kopfschütteln verkneifen.
„Wissen Sie, Herr Polizist, ich bin regelmäßig hier. Und da kennt man dann das übliche Geschehen vor Ort schon. Und glauben Sie mir, solche Schreie sind hier üblich. Die Jugend neckt sich. Soll sie von mir aus auch. Wir waren ja auch mal jung. Aber dann wird eben einfach nur so mal aus Spaß um Hilfe gerufen. Nach dem ich das dritte Mal darauf reingefallen bin und einem am Ende verärgerten jungen Mädchen helfen wollte, habe ich aufgehört, mir Gedanken zu machen. Ich bin nur stutzig geworden, weil die Polizei auf einmal hier war.“
Dazu konnte Stefan dann doch nichts sagen. Leider hatte die Zeugin recht, auch wenn er als Polizist dies immer wieder mal vergaß. Aber genau deshalb hatten sie ihren eigenen Kindern auch immer wieder gesagt, wenn ihr Hilfe braucht, ruft ganz laut Feuer. Blieb nur zu hoffen, dass das nicht, wenn ihre Kinder im Jugendalter waren, zum dann gebräuchlichen Scherzruf wird.
Denise trat an Irena heran.
„Die Sanitäter sind jetzt fort. Sie haben die Mutter nicht mitgenommen. Sie wollte das einfach nicht. Will viel lieber mit dir reden.“
„Gut, ich komme mit. Kannst du mir schon irgendetwas zu ihr sagen?“
„Nur ihren Namen: Ute Vetter. Mehr weiß ich auch noch nicht.“
Nachdem Irena sich der sichtlich aufgeregten Frau vorgestellt hatte, kam sie auch gleich zum Thema.
„Frau Vetter, erzählen Sie mir bitte einfach der Reihe nach, wie ihr Tag heute war. Kommen Sie, wir setzen uns dazu dort drüben hin, da haben wir unsere Ruhe.“
„Ja, Franka hat mich heute Morgen gegen sieben Uhr abgeholt. Wir wollten zusammen shoppen gehen. Mal so einen richtig schönen Mädelstag machen. Sie wissen schon, ohne unsere Männer, die dann nur genervt jammern würden, weil wir mal ein bisschen länger in einem Geschäft sind.
Sie hatte ihren Sohn, meinen kleinen Enkel Fritz, in die Kita gebracht. Die Mädchen gehen ja schon alleine zur Schule. Oh Mann, ich darf gar nicht daran denken, was die Kinder sagen werden. Ausgerechnet jetzt ist Mats, ihr Mann, auf Dienstreise. Aber ich werde mich schon um sie kümmern, bis er zurück ist.
Wir haben noch gemeinsam gefrühstückt und sind Punkt acht Uhr aus dem Haus. So wie wir das jedes Mal machen. Deshalb weiß ich es so genau. Außerdem trat genau in dem Moment meine Nachbarin aus der Haustür, nach der kann man die Uhr stellen. Und die Kirchenuhr schlug auch gerade. Aber weiter.
Gegen acht Uhr fünfzehn, vielleicht war es auch schon zwanzig, sind wir hier eingetroffen. Wir sind von der Tiefgarage hoch und sofort hier zum Eingang. Ich war wohl etwas schneller als Franka, die sich gestern den Fuß verknackst hat. Und daher schon ein paar Meter vor ihr, als ich auf einmal ihre Schreie hörte. Ich habe mich sofort zu ihr umgedreht. Konnte sie aber nicht gleich entdecken. Und dann habe ich nur noch gesehen, wie das Auto fortfuhr und Franka mir aus dem inneren aufgeregt gestikulierend zuwinkte.“
Den letzten Satz hatte Ute Vetter ganz leise gesprochen, so als könnte sie dadurch das Geschehen rückgängig machen.
„Den Entführer selber haben Sie aber nicht gesehen? Oder einen Beifahrer.“
„Nein. Wie gesagt, er saß ja schon im Fahrzeug und sie fuhren fort. Und ich habe das Ganze auch mehr von hinten gesehen.“
„Sie sagten, Ihr Schwiegersohn ist gerade auf Dienstreise. Was für eine Ehe führen die beiden? Ist da alles in Ordnung?“
„Sie wollen doch nicht andeuten, dass Mats daran beteiligt ist. Also wirklich Frau Schneider, da ist auf keinen Fall etwas dran. Die beiden sind glücklich verheiratet. Sie haben drei wundervolle Kinder. Natürlich gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten. Wie in jeder guten Ehe. Wenn man nicht mehr miteinander reden, diskutieren kann, dann hat man sich ja nichts mehr zu sagen. Aber ich wüsste nicht, dass sich die zwei schon mal ernsthaft gestritten hätten.“
„Schon gut, Frau Vetter. Ich möchte Ihnen ja gerne glauben. Aber wir müssen alle Möglichkeiten durchgehen. Schließlich sollen wir Ihre Tochter doch finden.“
„Sie haben ja Recht. ich bin nur so aufgeregt und besorgt. Also gut, machen wir weiter. Was wollten Sie noch wissen.“
„Wie groß ist Ihr Schwiegersohn ungefähr.
„Wie groß? Vielleicht einen Meter achtzig. Oder auch ein Stück größer.
Oh, da vorn kommt mein Mann. Ich habe ihn vorhin gleich angerufen. Ich brauche ihn jetzt einfach an meiner Seite.“
Genau in diesem Moment trat ein korrekt in einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd und mit rot-schwarz gestreifter Krawatte gekleideter Mann an sie heran, den Irena vom Sehen her zu kennen glaubte. Na klar: Vetter. Der ihr entgegenkam war kein anderer als Stadtrat Silko Vetter. Na, das konnte ja heiter werden. Hoffentlich wurde hier nicht gleich von öffentlichem Interesse gesprochen oder von höchster Brisanz. Irena wollte einfach nicht einsehen, dass sie einen Unterschied zwischen einer allgemein bekannten Person und einer ganz normalen machen sollte. Unter einem Verbrechen litten die einen ganz genauso wie die anderen.
„Silko Vetter, meine Frau hat mich angerufen. Was ist denn passiert?“
Er trat an die Mutter der Entführten heran und nahm sie fest in die Arme.
„Wir müssen leider davon ausgehen, dass Ihre Tochter am hellerlichten Tag und unter den Augen von mehreren Passanten entführt wurde.“
„Was? Franka wurde entführt? Das, das… das darf doch nicht wahr sein. Das kann gar nicht sein. Wer macht denn so etwas?“
Auch der Vater war vollkommen verstört.
„Das wollen wir ja herausfinden, Herr Vetter. Ihre Frau hat leider nichts gesehen. Und die einzige Zeugin, die wir bisher ausfindig machen konnten, hat zwar eine wirklich gut Beschreibung geliefert. Leider aber nützt uns das nicht viel, da der Täter es mit seiner Bekleidung vermutlich genau darauf abgesehen hatte.“
„Hier sind doch so viele Menschen. Wie kann denn da keiner etwas gesehen haben?“
„Nun, das habe ich auch nicht behauptet, Herr Vetter. Das kann ich mir nämlich auch nicht vorstellen. Bisher konnten meine Kollegen nur noch keinen finden, der auch etwas gesehen haben will. Und genau da liegt der Unterschied. Wir können aber auch keinen zwingen, eine Aussage zu machen. Am Ende erwischen wir noch die, die wirklich nichts gesehen haben und die erfinden dann aus Angst vor Bestrafung irgendetwas. Das würde dann genau das Gegenteil bewirken.“
„Verstehe. Und bei diesem ganzen Trubel hier, da merkt man leider auch nicht, wenn sich ein echter Zeuge gleich zu Beginn davonschleicht. Sie haben also recht, Frau Schneider. Bitte machen Sie ganz einfach Ihre Arbeit. So, wie Sie es gewohnt sind und wie es ganz sicher auch richtig ist.“
Im Stillen leistete Irena bei dem Mann Abbitte. Er hatte mehr Verständnis in ihre Arbeit und die Situation, als manch anderer. Das würde die Arbeit zwar nicht unbedingt erleichtern. Aber zumindest nicht noch zusätzlich erschweren.
„Können Sie sich den vorstellen, wer ein Interesse daran – oder einen Nutzen davon – haben könnte, ihre Tochter zu entführen?“
Den letzten Teil des Satzes lies Irena ungesagt. Sie wollte nicht gleich aussprechen, dass man der Tochter auch etwas antun könnte.
Die beiden schüttelten nur die Köpfe.
„Haben Sie ein Foto von Ihrer Tochter einstecken?“
„Nein, aber hier auf meinem Smartphone habe ich eins. Kann ich Ihnen das schicken?“
Silko Vetter zeigte Irena das Bild, dann leitete er es an sie weiter.
„Sie fahren jetzt nach Hause. Sie haben doch sicher Festnetztelefon. Ich schicke einen Techniker vorbei. Wir werden Ihr Telefon anzapfen. Außerdem wird eine Kollegin bei Ihnen vorbei kommen, die Sie einweist, was bei einem Anruf der Entführer zu beachten ist. Wir gehen jetzt erst einmal davon aus, dass es sich um eine Lösegelderpressung handelt.
Trotzdem, Herr Vetter, Sie stehen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Denken Sie unbedingt darüber nach, ob ein Zusammenhang bestehen könnte. Ich selber werde mich heute zum späten Nachmittag noch einmal bei Ihnen melden. Mal sehen, ob Ihnen bis dahin etwas einfällt. Allerdings können Sie mich auch jederzeit telefonisch erreichen.“
Irena und Stefan waren wieder zurück auf der Dienststelle. Silke versuchte gemeinsam mit Denise, vor Ort noch weitere Zeugen aufzutreiben.
„Habt ihr etwas, mit dem ihr arbeiten könnt?“
Peter war zu ihnen in den Raum getreten. Er mischte sich sonst nicht in die Ermittlungen ein, hörte nur zu und gab gegebenenfalls Ratschläge. Und er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchten. Nahm es auch keinem übel, wenn er von seinen Unterstellten eine Anweisung bekam. Manchmal musste man eben über Hierarchien drüber weg sehen. Am Ende zählte nur, dass die Fälle gelöst wurden.
Eine Entführung aber – hier zählte jede Minute.
„Nein, praktisch nichts. Wir haben zwar eine ordentliche Täterbeschreibung. Allerdings war dieser so schlau, dass er vollkommen unauffällige Kleidung getragen hat. Und natürlich können sich die Eltern nicht vorstellen, dass es für die Entführung der eigenen Tochter einen Grund geben kann. Das verstehe ich sogar, man kann sich so etwas einfach nicht vorstellen. Und will es wahrscheinlich auch gar nicht.
Ich habe sie gebeten, bis heute Nachmittag noch einmal darüber nachzudenken. Vor allem der Vater. Es handelt sich übrigens um Stadtrat Silko Vetter. Wir können nicht ausschließen, dass sich die Tat ganz gezielt gegen ihn richtet. Ich war nur froh, dass er aufgrund seiner öffentlichen Stellung keinen Druck auf uns ausübt.
Außerdem wird mich mein nächster Gang jetzt sofort zu den Technikern führen. Wir müssen schnellstens eine Fangschaltung einrichten, falls es eine Lösegeldforderung geben sollte.“
„Das übernehme ich, bin schon unterwegs.“
Stefan hob kurz die Hand und schon war er aus dem Raum.
„Dann werde ich sofort zu Daniel gehen. Er soll den Hintergrund der Familie checken. Mal sehen, ob wir dort etwas auffälliges finden.“
Daniel Ostmann, der vierte innerhalb der kleinen, eingespielten Ermittlergruppe, war der Computerspezialist und damit für die Recherchen in den internen Datenbanken und im Internet zuständig. Dort, bei seinen technischen Spielzeugen, wie er sie liebevoll nannte, fühlte er sich am wohlsten. Und oft halfen gerade seine Erkenntnisse, einen Fall entscheidend voranzubringen. Er verließ nur ungern seinen Arbeitsplatz. Wenn es aber unbedingt sein musste, dann funktionierte auch das. Und bei ihren letzten Fällen hatte er tatsächlich tatkräftig und äußert effizient außerhalb seines kleinen Reiches agiert.
„Hallo Daniel, du hast schon von unserem neuen Fall gehört?“
„Ihr beiden bekommt keinen Urlaub mehr. Immer wenn ihr zurückkommt, bringt ihr Aufregung mit. Das letzte Mal der Einbruch in deinem ehemaligen Haus. Jetzt eine Entführung. So kann es einfach nicht weitergehen.“
Bei diesen Worten sah er Irena gespielt ernst an.
„Na sag schon, was brauchst du von mir? Ich soll doch bestimmt das Internet durchforsten.“
„Genau. Und natürlich unsere internen Datenbanken. Sieh mal, ob du etwas zu Franka Löwe, dem Entführungsopfer, deren Ehemann Mats und den Eltern Ute und Silko Vetter findest.“
„Doch nicht etwa der Stadtrat? Hat er irgendwann mal jemanden auf den Schlips getreten, hat Entscheidungen mitgetroffen, die nicht allen gefallen haben? Oder das Gegenteil, er ist gegen eine wichtige Entscheidung gewesen.“
„Das, lieber Daniel, sollst du ja herausfinden. Schließlich bist du unser Internetspezialist. Und bevor du weiterfragst, der Mann ist gar nicht so unangenehm. Er hat den Stadtrat nicht herausgekehrt. Macht sich echt Sorgen um seine Tochter und hat Verständnis für unsere Arbeit.“
„Dann mache ich mich wohl besser mal an meine Arbeit. Tut mir bestimmt gut, mal wieder etwas anderes zu sehen als diese Abscheulichkeiten, mit denen ich mich sonst gerade wieder beschäftigen muss. Ich kann das Ganze bald nicht mehr sehen. Aber solange es diese Schweine gibt – du brauchst den Ausdruck nicht zu entschuldigen, er trifft nämlich genau zu – solange werde ich weitermachen.“
Daniel Ostmann gehörte zusätzlich noch einer Gruppe von Ermittlern an, die immer dann, wenn es ihre Zeit zuließ, die Sonderermittler unterstützten und im Darknet nach einschlägigen Seiten mit nicht jugendfreien Inhalten suchte. Was er dort manchmal zu sehen bekam, raubte ihm so manche Nacht den Schlaf. Gerade jetzt, seitdem er Vater einer kleinen Tochter war, vertrug er das Ganze noch weniger. Und das sie die Täter nur selten fanden, und wenn dann nur die kleinen Fische aber selten die Drahtzieher hinter dem Ganzen, das machte die Sache auch nicht leichter. Aber die Arbeit musste getan werden. Dessen war sich Daniel bewusst. Und deshalb machte er sie auch.
Trotzdem war er jetzt mehr als froh, einen Grund für eine Unterbrechung zu haben. Nicht, dass er sich über die Entführung freute. Ihm wäre auch ein weniger schlimmer Fall recht gewesen.