Hieronymus Bosch - Virginia Pitts Rembert - E-Book

Hieronymus Bosch E-Book

Virginia Pitts Rembert

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Beschreibung

Hieronymus Bosch

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Autorin:

Virginia Pitts Rembert

Layout:

Baseline Co. Ltd.

61A-63A Vo Van Tan Street

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

© Confidential Concepts, worldwide, USA

© Parkstone Press International, New York, USA

Image-Barwww.image-bar.com

Weltweit alle Rechte vorbehalten.

Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen, den betreffenden Künstlern selbst oder ihren Rechtsnachfolgern. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

VirginiaPittsRembert

HIERONYMUSBOSCH

HieronymusBoschunddieLissabonnerVerführung:

EinePerspektiveaus

Inhalt

Einleitung

Hieronymus Bosch – Maler künstlicher Wunder und des Verborgenen

Erklärungen verschiedener Studien von Bosch

Die Interpretation von Fraenger

Fraenger und darüber hinaus

Eine prosaischere Perspektive

Der Heilige Antonius und der Teufel

Der Heilige Antonius

I. Versuchung durch die Erinnerung an die Verantwortung und die Freuden seines früheren Lebens

II. Versuchung durch das Verlangen des Fleisches

III. Versuchung durch den Stolz

IV. Versuchung durch körperliche Martern

V. Alle Dämonen der Hölle werden losgelassen

VI. Versuchung durch ständige Scharen

VII. Weitere Versuchungen, wie von Antonius selbst berichtet

VIII. Die letzten Versuchungen

Abbildungen und Auswirkungen

Der Prinz der Dunkelheit

Die Gemeinschaft der Hexen

Geisterbeschwörung

Tarock

Alchemie

Das Lissaboner Triptychon

Schluss

Abbildungsverzeichnis

Der Tod des Geizhalses (Detail),um 1485-1490.

Öl auf Holz, 93x31cm.

National Gallery of Art, Washington,

Einleitung

Jemand hat die Geschichte einmal als ein Webstück ohne Nähte bezeichnet. Der Mensch besteht allerdings darauf, die Geschichte willkürlich in Abschnitte zu unterteilen. Während die Zeiteinheiten Stunde, Monat und Jahr in erster Linie praktische Funktionen erfüllen, messen wir Jahrzehnten und Jahrhunderten große Bedeutung zu. Im Französischen gibt es für die gewisse Endzeitstimmung gegen Ende eines Jahrhunderts mit findesiècle sogar einen eigenen Ausdruck. Das Ende eines Jahrtausends ist noch bedeutsamer, besonders, weil Christus versprach, tausend Jahre nach seinem Tod zurückzukehren, um die Gläubigen und die Ungläubigen zu richten. Als sich das Jahr 1000 näherte, glaubten die Menschen, dass das von Christus vorhergesagte Jüngste Gericht unmittelbar bevorstehe. Als sich diese Erwartung nicht erfüllte, schrieb der Chronist und Kluniazensermönch Raul Gabler:

[…] in der ganzen Welt, vor allem in Italien und Gallien, wurden Kirchen wieder aufgebaut. Obwohl es davon bereits eine große Zahl gab und sie nicht stark genutzt wurden, wetteiferten alle christlichen Völker, erhabenere Kirchen zu bauen. Es war, als ob die ganze Welt sich geschüttelt und alle Menschen ihre alten Kleider gegen die weißen Roben der Kirche ausgetauscht hätten. So verschönerten die Gläubigen schließlich alle Bischofssitze und die Klöster der verschiedenen Heiligen und auch die weniger wichtigen Gebetsstätten in den Städten […] (übersetzt aus Holt, 48)

Der NewYorkTimes zufolge begann in den Vereinigten Staaten der Countdown für das dritte Jahrtausend bereits am 6. April 1997. Die Fanfare, die ihn einleitete, verwies schon auf die Feierlichkeiten in aller Welt, die am 1. Januar 2000 stattfinden sollten. Restaurants nahmen bereits Reservierungen für den Silvesterabend 1999/2000 an. Es gab düstere und optimistische Prophezeiungen für den Jahrtausendwechsel. US-Präsident Clinton, der den demokratischen Wahlkampf von 1996 unter das Motto Brückeins21.Jahrhundert stellte, sagte Amerika und der Welt eine große soziale und wirtschaftliche Zukunft, der er den Weg bereiten würde, voraus.

Es waren deutlich mehr religiöse und prophetische Kulte entstanden, als dies bei einer bloßen Jahrhundertwende üblich war. Schon 1980 bildete sich der erste der vielen Überlebenskulte, von denen es in den folgenden zwei Jahrzehnten noch mehrere geben sollte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt warnte ein gewisser Kurt Saxon aus Arkansas das Publikum einer Fernsehshow, „dass sich jeder darauf einstellen sollte, sich aus dem Land zu ernähren und sich Waffen zu besorgen, um sich der plündernden Banden im Gefolge des nuklearen Holocaust zu erwehren.”(ArkansasGazette, 29.7.1980).

Dass viele Menschen glaubten, das Schicksal der Wissenschaft und des vernünftigen Denkens stehe auf dem Spiel, wurde in einem Artikel in der NewYorkTimes (6. Juni 1995) unter dem Titel WissenschaftlerbeklagenFluchtvorderVernunft deutlich. Wissenschaftler, Ärzte, Pädagogen und andere Intellektuelle, die sich zu einem Kongress über das Thema an der NewYorkAcademyofSciences

Der Gaukler, 1475-1480.

ÖlaufHolz,53x75cm.

Muséemunicipal,

Ein Artikel in einer Boulevardzeitung zitierte aus einer Liste diverser Bibelforscher, die vorhersgesagt hatten, dass das bevorstehende Ende der Welt und die kommende Apokalypse, die damit verbunden sei, am Jahrtausendende stattfinde (WeeklyWorldNews vom 14. Mai 1996). Darin wurden neben den alten Prophezeiungen der OffenbarungdesJohannes auch neuere zitiert, wie diejenigen des Nostradamus aus dem 16. Jahrhundert über entsetzliche Naturereignisse, die am Ende unseres Jahrtausends geschehen sollten und mit den klimatischen Abweichungen von ElNino im Jahr 1998 übereinzustimmen schienen.

Ähnliche Vorhersagen und Merkwürdigkeiten hatten das Jahrzehnt vor dem Halbmillenium von 1500 charakterisiert. Als ob man sich um das Jahr 1000 herum bezüglich des Zeitpunkts des Jüngsten Gerichts geirrt hätte, gingen zeitgenössische Denker davon aus, dass es unweigerlich nun kommen werde. Der Kunsthistoriker Charles Cuttler beschreibt die emotionale Atmosphäre dieser Zeit folgendermaßen:

Es war eine Zeit der Pest und der Unrast, der wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Unruhen; eine Zeit, die an den Chiliasmus, den Antichrist und apokalyptische Visionen glaubte; an Hexerei, Alchemie und Astrologie […] Es war ferner eine Epoche eines extremen Pessimismus, der eine natürliche Folge des von der Kirche selbst beförderten Glaubens an Dämonen war […] (übersetzt ausLisbon, Seite 109)

Wie immer gab es dabei Künstler, die dem an sich Unvorstellbaren Stimme und Gestalt verliehen. Dichter, anonyme und namentlich bekannte wie Francois Villon, und auch romanische Bildhauer hatten ihre Visionen der Schrecken am Weltende plastisch dargestellt. Später, in der Periode der Proto-Renaissance, bildeten zahlreiche Maler diese Anomalien in ihren Altarbildern ab. Die wohl anschaulichsten und detailliertesten Darstellungen aber waren jene des Holländers Hieronymus Bosch.

Hieronymus Bosch – Maler künstlicher Wunder und des Verborgenen

Im 17. Jahrhundert pries ein englischer Botschafter in Holland die Überlegenheit der Malerei gegenüber der Bildhauerei mit folgenden Worten: „Ein ausgezeichnetes Bild ist meiner Meinung nach das bewundernswertere Objekt, weil es einem künstlichen Wunder nahe kommt” (Zitat übersetzt aus: Fuchs, 103).

Fuchs wiederholt den Ausdruck „künstliches Wunder” mehrere Male, um auf die holländische Vorliebe für die detaillierte Wiedergabe von beobachteten Dingen zu verweisen. In diesem Sinn passt dieser Ausdruck sogar zu scheinbar so unterschiedlichen Künstlern wie Hieronymus Bosch (um 1450-1516) und Piet Mondrian (1872-1944). Der eine machte das Unwirkliche wirklich und der andere das Wirkliche unwirklich, aber beide verfolgten ihre Ziele anhand sorgfältig gestalteter Oberflächen, die sie als „künstliche Wunder” überdauerten.

Meiner Ansicht nach bestehen zwischen Bosch und Mondrian weitere wichtige Verbindungen. Sie gehören zu jenen europäischen Künstlern, die dem Kunsthistoriker Oskar Hagen (1888-1957) zufolge niemals mit der bloßen Reproduktion eines Gegenstandes zufrieden waren. Beide Maler lebten in einem Jahrhundert, das sich des Millenniums bewusst war, und beide verarbeiteten dieses Bewusstsein in ihrer Kunst.

Die Sieben Todsünden, Ende 15. Jh.

ÖlaufHolz,120x150cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Die Sieben Todsünden(Detail: Neid), Ende 15. Jh.

Öl auf Holz, 120x150cm.

Museo Nacional del Prado, Madrid.

Die Sieben Todsünden(Detail: Zorn),Ende15.Jh.

ÖlaufHolz,120x150cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Die Sieben Todsünden(Detail: Habgier), Ende 15. Jh.

Öl auf Holz, 120x150cm.

Mondrian, der sich hinsichtlich der Zeit, der Umstände und der Ideologie in großer Entfernung zu Bosch befindet, war aus einem gewissen Blickwinkel ein Millenniums-Künstler unserer Zeit. Er präsentierte eine Version, wie die moderne Welt sein könnte, wenn wir uns mehr um Harmonie als um Tragik kümmern würden, die er nicht nur im Krieg, sondern auch in den kulturellen Erzeugnissen manifestiert sah, die sich auf Einzelheiten und nicht auf die Essenz konzentrierten. In den Jahren, die Piet Mondrian zwischen den beiden Weltkriegen in Paris und London verbrachte, entwickelte er eine Malerei, die nicht die existierende Realität wiedergab, sondern das, was Mondrian eine „neue Realität” nannte, eine „imaginativ konstruierte” (Mondrian, Plastic Art, 10).

Ganz offensichtlich unterscheiden sich Mondrians Arbeiten von jenen Boschs am Ausgang des Mittelalters durch eine völlig andersgeartete Sensibilität – oder enthüllen die beiden Künstler an der Schwelle eines (Halb-)Millenniums einfach nur die dunkle und die helle Seite des Menschen? Zeigen Mondrians Bilder vielleicht, was wir werden könnten, wenn wir in Harmonie mit dem Universum lebten und Boschs Bilder, was wir werden würden, wenn wir Gott nicht gehorchten – aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, fünf Jahrhunderte voneinander getrennt?

Nach einigen einleitenden Kapiteln werde ich mich auf eines von Boschs Bildern konzentrieren, die VersuchungendesHeiligenAntonius (heute in Lissabon), weil dieses Bild vermutlich um 1500 herum vollendet wurde, dem Jahr des Halbmillenniums. Zudem wirken die dort dargestellten Ängste und Ideen – wie schon bemerkt – einigen der unseren sehr verwandt.

Im Jahr 1951 wurde Wilhelm Fraengers (1890-1964) Werk DasTausendjährigeReich.GrundzügeeinerAuslegung (1947) in die englische Sprache übersetzt und damit der internationalen Kunstgeschichte zugänglich. Das Buch, das vor allem Boschs Gemälde DerGartenderLüste (Fraengers Titel lautete DasTausendjährigeReich) interpretierte, war sowohl in der wissenschaftlichen Welt als auch der kunstinteressierten Öffentlichkeit eine Sensation.

Während die meisten Kunsthistoriker, die sich nach Fraengers Tod mit Bosch beschäftigt haben, diese These zurückwiesen, gibt es für seine Position, dass ein Hochmeister eines Adamiten-Kults Bosch seine geheime Zeichensprache diktierte, die dieser dann in seinem großen Gemälde DerGartenderLüste (heute im Museo del Prado, Madrid) und in einer Reihe weniger bedeutsamer Bilder offenbarte, immer noch Anhänger.

Nach dem Studium der publizierten umfangreichen Fachliteratur und seit meiner erstmaligen Beschäftigung mit Bosch habe auch ich den Eindruck gewonnen, dass die meisten Autoren genau auch das tun, was schon Fraenger kritisierte, nämlich für jedes Bild und Bildelement eine Unzahl von Quellen anzuführen, ohne dass daraus eine Erklärung dafür resultierte, warum ein Künstler mit einem doch einigermaßen beschränkten Hintergrund wie Bosch ein solches Bild oder solche Bildelemente schaffen sollte. Meiner Ansicht nach ist zunächst eine umfassende Untersuchung der zu Boschs Zeit verbreiteten symbolischen Systeme des Bösen erforderlich, die er, indem er manches ausließ und manches hinzufügte, zusammenführte, um hieraus seine einzigartige Bilderwelt zu schaffen.

Der Hauptgrund für ein weiteres Buch über Bosch war die offensichtliche Wiederkehr vieler der in seiner Zeit verbreiteten Ansichten anlässlich des Übergangs vom zweiten ins dritte Jahrtausend. Ich hoffe, dass die folgenden Ausführungen auch für Bosch-Kenner Anregungen und Einsichten bieten.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Erklärungen verschiedener Studien von Bosch

Bevor ich an die detaillierte Studie eines der Bilder Boschs herangehe, möchte ich einen kritischen Überblick über einige kunsthistorische Sichtweisen zum Künstler und seinem Werk geben. Dies um so mehr, als es von seiner ersten Erwähnung im 16. Jahrhundert bis zum heutigen Tage ein sehr breites Spektrum an Positionen gibt. Die Autoren, die sich in den fast fünf Jahrhunderten seit seinem Tod mit ihm befasst haben, verliehen ihm einen so nachhaltigen Ruf als „faizeurdediables” (Jan Gossart, um 1478-1532), dass er bis zur Moderne kaum als Künstler galt. Vor allem seine Höllenszenen zogen diese Art Aufmerksamkeit auf sich. Bosch stellte die Kreaturen und Orte dieser „Höllen” mittels eines unendlich detailreichen Naturalismus so überzeugend dar, dass sie wie wahre Dämonenbeschwörungen wirkten. Für die mittelalterliche Mentalität konnte jemand, der seine eigenen schlimmsten Ängste so deutlich offenbaren konnte, nur selbst ein Zauberer oder Wahnsinniger, vielleicht sogar ein Werkzeug des Teufels sein.

Spätere Autoren vertraten entweder ebenfalls diese Ansicht oder sahen – im rationalistischen Gefolge der Renaissance und der Reformation – in Bosch die schlimmsten Seiten des Mittelalters verkörpert. Wenn er erwähnt wurde, dann nicht so sehr als Künstler denn als ein Kuriosum. Schließlich geriet Bosch in Vergessenheit. Es dauerte über zwei Jahrhunderte, bis das Interesse an ihm im späten 19. Jahrhundert wieder auflebte. Im 20. Jahrhundert war die Sicht Boschs als Künstler so ausgeprägt wie noch nie zuvor, und dieser Trend hält auch im 21. Jahrhundert an.

Man hätte eigentlich erwarten können, dass die italienischen Autoren der Hochrenaissance die Eigenartigkeit Boschs betonen würden, da seine Gedankenwelt sich so sehr von der des Südens unterschied. Der florentinische Historiker Francesco Giucciardini (1483-1540) schrieb in seiner BeschreibungdergesamtenNiederlande (1567) von „Jerome Bosch de Boisleduc, sehr edler und bewunderungswürdiger Erfinder fantastischer und bizarrer Dinge.” Der italienische Gelehrte und Verfasser von Künstlerbiografien Giorgio Vasari (1511-1574) nannte 1568 die Erfindungen Boschs „fantasticheecapricciose.” Giovanni Lomazzo (1538-1600), der Autor der erstmals 1584 erschienenen AbhandlungüberdieKunstderMalerei,derBildhauereiundderArchitektur, schrieb über „den flämischen Girolamo Bosch, der bei der Darstellung merkwürdiger Erscheinungen und Angst einflößender sowie schrecklicher Träume einzigartig und wahrhaft göttlich war.”

In nördlicheren Teilen Europas wurden zu dieser Zeit ähnliche Aussagen über die Arbeiten des Malers gemacht, wobei es stets um seine Dämonen und Höllendarstellungen ging. Der niederländische Historiker Marcus van Vaernewijck (1518-1569) nannte Bosch 1567 „den Macher von Teufeln, da er in der Kunst der Abbildung von Dämonen keinen Rivalen hatte.” Carel van Mander (1548-1606), ein Kunsthistoriker wie Vasari, bemerkte zu Boschs Arbeiten nicht viel mehr, als dass sie „grauenhafte Bilder von Gespenstern und schrecklichen Phantomen der Hölle” seien.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetailderMitteltafel),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetailderMitteltafel),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Zahlreiche Aussagen ähnlichen Inhalts finden sich im Gefolge des Auftauchens vieler Bilder Boschs um die Mitte des Jahrhunderts in Spanien in dort entstandenen Schriften. König Philipp II. (1527-1598) selbst war vor allem verantwortlich für die Popularität des Malers in Spanien. Als der König 1581 nach Lissabon reiste, bedauerte er in einem Brief an seine Töchter, dass sie nicht bei ihm waren, um die Fronleichnamsprozessionen zu sehen, „obwoh […]”, wie er hinzufügte, „Euer kleiner Bruder, wenn er auch bei uns wäre, von einigen Teufeln, die jenen in Bildern von Hieronymus Bosch ähneln, erschreckt würde.”

König Philipp besaß 36 dieser Gemälde. Angesichts der Tatsache, dass Boschs Gesamtwerk vermutlich kaum 40 Stücke umfasst hat, ist dies eine sehr hohe Zahl. Eine nach dem Tod des Künstlers in wenigen Jahren entstandene so große Sammlung ist ein Beleg für die Faszination, die der König empfand – eine Haltung, die die ersten wirklich einsichtsvollen Schriften über Boschs Werk provozierte. Denn der Mönch Joseph de Siguença, der nach dem Tode Philipps im Jahr 1598 ein Verzeichnis der Gemälde des Königs erstellte, meinte, das obsessive Interesse des Königs an Bosch entschuldigen zu müssen. Vielleicht fürchtete Bruder José auch eine Zerstörung durch die Inquisition, denn er verfasste eine ausgearbeitete Verteidigung der Rechtgläubigkeit und Naturtreue des Malers:

Von den, wie ich betone, zahlreichen deutschen und flämischen Gemälden sind viele Gemälde von Hieronymus Bosch im ganzen Haus (Escorial) verstreut; ich möchte aus verschiedenen Gründen etwas länger über diesen Maler sprechen, denn sein großes Genie verdient es, obwohl die Leute im Allgemeinen seine Gemälde diedisparates(Farcen) des J. Bosch nennen, Leute, die wenig aufmerksam betrachten, was sie sehen, und ich glaube, deshalb nennt man ihn zu Unrecht einen Ketzer, und ich habe – und um hiermit zu beginnen – von der Frömmigkeit und dem Glaubenseifer des Königs, unseres Stifters, eine solche Meinung, (dass ich glaube), wenn dem so gewesen wäre, er die Gemälde nicht zugelassen hätte in seinem Haus, in seinen Klöstern, in seinen Schlafzimmern, in den Ordenskapiteln, in der Sakristei, während doch alle diese Räume mit ihnen geschmückt sind.

Außer diesem Grunde, der mir sehr gewichtig erscheint, gibt es noch einen anderen, den ich aus den Bildern ableite, denn man sieht auf ihnen fast alle Sakramente und die Klassen und Rangstufen der Kirche, vom Papst bis zu den Geringsten, zwei Punkte, an denen alle Ketzer straucheln, und er hat sie gemalt mit seinem ganzen Eifer und mit großer Genauigkeit, was er als Ketzer nicht getan hätte, und mit den Mysterien unseres Heils hat er das Gleiche getan. Ich möchte nun zeigen, dass diese Bilder keineswegs Farcen sind, sondern wie Bücher von großer Kunst und Weisheit, und wenn auf ihnen dumme Handlungen gezeigt sind, dann sind es die unsrigen, nicht die seinen, und, gestehen wir es ein, es handelt sich um eine gemalte Satire der Sünden und der Unbeständigkeit der Menschen.

Siguenças Interesse an den Bildern richtete sich auf ihre Funktion als religiöse Kommentare und nicht auf ihre künstlerische Bedeutung. Obwohl seine Verteidigung von Boschs Rechtgläubigkeit zu einem wesentlichen Teil naiv auf der Vorliebe des frommen Königs für sie beruhte, sind seine weiteren Bemerkungen zu einzelnen Bildern recht hellsichtig, wie später durch weitere Zitate belegt werden wird.

Eine interessante Gegenreaktion auf den Mönch ist die später, 1649, geschriebene Aussage von Francesco Pacheco, dem Lehrer und Schwiegervater von Velasquez:

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetaildeslinkenFlügels),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetailderMitteltafel),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Es gibt genug Dokumente, um über die höheren und schwierigeren Dinge zu sprechen, über die Persönlichkeiten, wenn man Zeit findet für solche Vergnügen, die immer verachtet worden sind von den großen Meistern. – Nichtsdestoweniger suchen einige diese Vergnügen: dies ist der Fall bei den genialen Einfällen des Hieronymus Bosch für die verschiedenen Formen, die er seinen Dämonen gegeben hat, für die Erfindungen, an denen unser König Philipp II. so viel Freude fand, was bewiesen wird durch die große Anzahl von Gemälden, die er gesammelt hat. Doch Pater Siguença lobt ihn über alles Maß und macht aus diesen Phantasien Mysterien, die wir unsern Malern nicht empfehlen. – Und wir gehen nun zu angenehmeren Sujets der Malerei über […]. [Anm.: Pacheco war ein spanischer Maler und Kunsthistoriker der Periode zwischen dem Manierismus und dem Barock. Er hatte die manieristische Freude an der bloßen Form abgelegt und ein Interesse an der naturalistischen Illusion entwickelt. Aus beiden Blickwinkeln musste er Boschs Werk als inakzeptabel empfinden. (De Tolnay, 362)].

Obwohl Pacheco sich für Bosch als einen Künstler interessierte, verwarf er ihn als ein Kuriosum. Diesen Ruf behielt Bosch für die nächsten etwa 250 Jahre. Während dieser Zeit befassten sich Gelehrte kaum mit einer Kunst, die nicht aus Südeuropa kam; wurde sie doch einmal beachtet, dann wurde Bosch von den großen niederländischen Malern von Jan van Eyck bis hin zu Jan Brueghel d. Ä. (1568-1625) verdrängt.

Es dauerte bis zum Ende des letzten Jahrhunderts, bis sich ernstzunehmende Wissenschaftler mit Bosch beschäftigten. Möglicherweise ging dies auf den realistischen Impuls zurück, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in die Malerei fand, da Historiker nun nach Vorläufern dieser Herangehensweise in der Vergangenheit Ausschau hielten. Sie interessierten sich wieder für andere europäische Kunsttraditionen und „entdeckten” Bosch, indem sie Brueghels Bedeutung erneut hervorhoben.

Brueghel war in seinen frühen Arbeiten nicht nur wesentlich von Boschs „Merkwürdigkeiten” beeinflusst worden, sondern sein Interesse an der Genremalerei war vermutlich außerdem durch das Studium der Werke Boschs stimuliert worden. Bosch hatte mehr als alle Maler vor ihm heilige Personen (und die sie begleitenden Teufeleien) in zeitgenössische Interieurs und Landschaftspanoramen eingeführt. Dieser Künstler verdiente ganz offensichtlich die Aufmerksamkeit der Gelehrten, aber es war praktisch nichts über dieses „Rätsel” der flämischen Schule bekannt. Selbst um die Daten seines Lebens herauszufinden, bedurfte es noch der Grundlagenarbeit.

Historiker wie Hans Ebeling (1906-1967) und Jan Mosmans durchforsteten die Archive seiner Heimatstadt ‘s-Hertogenbosch, eine niederländische Stadt in der Nähe der deutschen Grenze, mit enttäuschendem Resultat. Das Jahr seines Todes (1516) fand man in einem Verzeichnis von Namen und Wappen. Sein Geburtsdatum ließ sich aber nicht ermitteln. Da sein im Arras-Codex entdecktes Porträt aber einen Mann von etwa 60 Jahren zeigte, ging man davon aus, dass er um 1450 herum geboren worden war. Es gibt im Archiv der Bruderschaft UnsererLiebenFrauen in ‘s-Hertogenbosch zwischen diesen Eckdaten nur wenige Erwähnungen Boschs. Mehrere beziehen sich auf die Zahlung verschiedener Beträge für Auftragsarbeiten an Bosch. Er erhielt z. B. einen bescheidenen Lohn für den Entwurf eines Buntglasfensters, das er auf „einige Betttücher” gemalt hatte – während das Fenster von dem Glaser Willem Lombard (Pinchart, 273, Anm. 3) angefertigt wurde. Es werden aber auch größere Summen erwähnt, wie die fünf Gulden, die er für einen Altar erhielt.

Bosch war vermutlich als Laienmitglied seiner Bruderschaft aktiv gewesen; er muss an der Vorbereitung des Essens für die Treffen beteiligt gewesen sein, da ihm einmal 24 Pfund Rindfleisch „ein Philippspfennig pro Pfund”, vier Unzen Ingwer, zwei Unzen Pfeffer, eine halbe Unze Safran und ein Maß Wein bezahlt wurden. (Übersetzt aus: Pinchart, 269, Anm. 5).

All dies verriet kaum wesentliche Details seines Lebens, außer, dass er offensichtlich als Künstler geschätzt wurde, da er einmal als „berühmter Maler” bezeichnet wurde. Es gibt, jedenfalls auf der Basis dieser Erwähnungen, keinen Anlass anzunehmen, dass Boschs Freunde ihn als Zauberer oder Wahnsinnigen ansahen.

Da Boschs Name häufig die Ergänzung ,van Aeken’ trägt, nahm man an, dass seine Familie aus Aachen stammt. Vor Hieronymus werden in den Akten der Stadt fünf van Aekens erwähnt. Einer, ein Lehrer mit Namen Jan van Aeken, erscheint in den Archiven der St.-Jans-Kathedrale von ‘s-Hertogenbosch in sich von 1423 bis 1434 erstreckenden Eintragungen. Die Historiker nahmen an, dass es sich hier um Boschs Großvater und Maler des Freskos der Kathedrale handelte, sodass man glaubte, dass er einen wesentlichen Einfluss auf seinen Enkel ausübte. Im Jahr 1464 wird ein Laurent van Aeken, vielleicht Hieronymus’ Vater, als ein Bürger von ‘s-Hertogenbosch erwähnt.

Dies ist in etwa der gesamte gesicherte Datenbestand über den Künstler. Die Historiker waren deshalb gezwungen, sich wieder den Bildern als Quellen zuzuwenden – aber keines von ihnen war datiert oder wurde in zeitgenössischen Schriften erwähnt. Es verwundert nicht, dass diese Situation bei der historischen Bewertung der Bilder zu verwirrenden Resultaten führte. Weil sie mit vorgefassten Meinungen an die Arbeit gingen, machten die Gelehrten heute als offensichtlich empfundene Fehler. Louis Demonts versuchte 1919 z. B., die Entwicklung der Bilder und ihrer Themen auf der Basis der These zu deuten, dass Bosch sich von einer traditionellen theologischen Perspektive zu einem persönlichen moralischen Urteil entwickelt habe. Dies ließ Demonts DasSteinschneiden (1488/1516; Museo Nacional del Prado, Madrid), DerGaukler (auch: DerZauberkünstler; 1475/1480; MuséeMunicipale,Saint-Germain-en-Laye) und DasNarrenschiff (1490/1500; MuséeduLouvre,Paris) als Spätwerke begreifen – während man sie später anhand stilistischer Merkmale in Boschs Jugendzeit datierte. Seine Grundthese verleitete Demonts andererseits dazu, DieAnbetungderKönige (um 1510; Museo Nacional del Prado, Madrid) als ein Frühwerk anzusehen, während spätere Historiker wie Charles de Tolnay (1899-1981) und Jaques Combe das Bild für eine großartige Synthese von Boschs Lebenswerk halten.

Erst mit de Tolnays im Jahr 1937 geschriebener maßgeblicher Untersuchung konnten überhaupt eine zufriedenstellende Chronologie etabliert und die Arbeiten Boschs von denen seiner Schüler oder Kopisten unterschieden werden. De Tolnay untersuchte die technisch-stilis-tischen Merkmale der Bilder. Er erkannte, dass der Anfänger Bosch durch Archaismen verraten wird – steife Gestalten mit langen Leibern und unbeholfener Körperhaltung, die über keine echte Existenz im Raum und keine Beziehungen untereinander oder mit dem Hintergrund verfügen und deren Kleidung nur wenige und willkürliche Falten aufweist.

Durch das Studium derartiger Charakteristika in Boschs Arbeiten war de Tolnay in der Lage, eine überzeugende Entwicklung von den Bildern des jungen Bosch bis hin zu ihrer klaren Antithese in Stil und Anlage der späteren Arbeiten nachzuzeichnen. Er demonstrierte erfolgreich, dass sich Bosch zu einem großen Landschaftsmaler und einem ausgezeichneten Koloristen entwickelte. Obwohl er nie die Gewandtheit eines italienischen Meisters der Hochrenaissance erlangte, schuf Bosch in späteren Werken sogar einen sfumato-Effekt, der die Figuren und den Hintergrund zu einer harmonischen Einheit verschmolz.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetaildesrechtenFlügels),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

Die Epiphanie oder Die Anbetung der Heiligen Drei Könige (DetailderMitteltafel),um 1510.

ÖlaufHolz,138x138cm.

MuseoNacionaldelPrado,Madrid.

De Tolnays Studie war derart überzeugend, dass spätere Autoren seine Klassifizierungen fast als unanfechtbar akzeptierten. Es hat umfassende Versuche gegeben, in ähnlicher Weise die Gegenstände in Boschs Bildern zu klassifizieren. In den Worten de Tolnays:

„Die frühesten Kunstschriftsteller, die über Bosch geschrieben haben, Lampsonius und Carel van Mander, hielten sich an das augenfälligste Kriterium, das Sujet; ihre Auffassung von Bosch als Erfinder phantastischer Diablerien und Höllenszenen, die auch heute noch [1937] bei dem großen Publikum vorherrscht, wurde bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts auch von Kunsthistorikern vertreten.”

Dann aber fand mit den Kunsthistorikern, die den Maler als einen Vorläufer des Realismus begriffen, ein kompletter Umschwung statt. Sie untersuchten sein Werk aus der Perspektive äußerer Einflüsse aus der Literatur, der künstlerischen Tradition, historischen Ereignissen und der mittelalterlichen Bibelinterpretation. Keine dieser Quellen lieferte aber abschließende Resultate über die Bedeutung von Boschs kryptischer Bildsprache. Auch in diesem Feld stellte de Tolnays Studie eine der besten Arbeiten dar. Er wies erfolgreich zeitgenössische Einflüsse nach, die einen beträchtlichen Teil von Boschs Ikonografie erklärten. Noch wichtiger ist, dass er auch die freudianische Psychologie heranzog, die Bosch in vielerlei Hinsicht vorausgeahnt zu haben scheint.