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Genervt von schnulzigen Liebesgeschichten? Nicht schon wieder der tausendste Prinz auf dem weißen Ross? Sehnsucht nach schwarzem Humor und schrägen Typen? Dann kommt hier: HINDEL! Zur Geschichte: Jürgen ist der geborene Verlierer. Er trägt Pullunder und Cordhosen, wohnt mit 29 Jahren noch zuhause bei Mutti, und mit den Frauen will es so gar nicht bei ihm klappen. Dabei ist er fest davon überzeugt: In ihm steckt ein Flirtprofi und feuriger Verführer! Dumm nur, dass er der Einzige ist, der das denkt. Und so stolpert er auf der Suche nach der großen Liebe von einem Fettnäpfchen ins nächste und bringt scharenweise Frauen zum Davonlaufen. Glücklicherweise gibt es noch seinen Nachbarn Sebastian. Der ist das genaue Gegenteil von Jürgen. Und er sieht in dem unbeholfenen Tollpatsch nicht nur einen schrulligen Außenseiter, er erkennt in ihm einen Menschen, der sich nach Geborgenheit und Bestätigung sehnt und dringend seine Hilfe braucht, wenn er im Spiel der Liebe überhaupt eine Chance haben will. Der Beginn einer wunderbar schrägen Freundschaft und eines außergewöhnlichen Abenteuers, an dessen Ende sehr viel mehr steht als nur ein Date mit einer hübschen Frau.
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Veröffentlichungsjahr: 2019
HINDEL – Der tapfere, kleine Verführungskünstler
© Copyright 2019 Marco Born-Miljak
Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder Weitergabe dieses Buches – auch auszugsweise – bedarf der ausdrücklichen schriftlichen Genehmigung des Autors. Bitte respektieren Sie die lange undharte Arbeit, die in einem solchen Werk steckt, und nehmen Sie auf die Urheberrechte Rücksicht.
Die Geschichte dieses Buches ist frei erfunden. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen oder zu real existierenden Firmen oder Institutionen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.
1. Auflage: Januar 2019
Vertrieb (E-Book):
tolino media GmbH & Co. KG, 80636 München (BRD)
Covergestaltung & Satz:
MBM Self-Publishing
Coverbild:
© Copyright 2019 Marco Born-Miljak
Über den Autor:
Marco Born-Miljak, geboren am 26.11.1977 in Nürtingen, Baden-Württemberg,ist Diplom-Wirtschaftsinformatikerund arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich als Softwareentwickler, IT-Berater und IT-Coach. Schreiben tut er seit seiner Jugendzeit. Mit seinem Debütroman »GROSSE BRÜDER«, einemSpionagethriller aus der Welt der Cyberkriminalität, landete er einen Überraschungserfolg, der viele begeisterte Rezensionen sowiedie Auszeichnungen ›Thalia TOP-Autor Selfpublishing‹ und›Empfehlung der Redaktion bücher.de‹ erhielt. Er ist Mitglied im Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. und lebt mit seiner Frau und seinen Stiefkindern im nordrhein-westfälischen Marl.
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Für meine geliebte Frau Daniela.
»Manche Männer bemühen sich ein Leben lang, das Wesen einer Frau zu verstehen. Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen, zum Beispiel mit der Relativitätstheorie.«
(Albert Einstein)
– Tag 1 –
Liebes Tagebuch,
Hallo erst mal, ich bin der Jürgen, 29 Jahre alt, und ich hab dich heute gekauft. Ich hoffe, es ist okay für dich, wenn ich dich gleich duze, weil, wir kennen uns ja noch nicht so lange, und ich hab halt null Erfahrung im Umgang mit Tagebüchern. Um ehrlich zu sein, fand ich Tagebücher total doof und langweilig und nur was für Luschen, echte Männer machen sowas nicht. Aber nachdem mir mein Therapeut gesagt hat, dass ich damit anfangen soll, weil das meiner seelischen Stababili… äh … Staliba… äh … Stabilatität (oder so ähnlich) helfen würde, da dachte ich mir: Okay, dann mach ich's halt.
Wobei, das stimmt noch nicht so ganz. Am Anfang hab ich mich natürlich gewehrt, um ihm zu zeigen, dass ich keine Softeis lutschende Memme bin, sondern ein echter Kerl. »Echte Männer machen sowas nicht!«, hab ich ihm gesagt, mit total ernster Stimme und allem.
»Überlegen Sie sich's«, hat er darauf geantwortet. »Es kann sehr befreiend sein, ein paar schöne Dinge des Alltags niederzuschreiben und über ihnen zu meditieren. Damit wären Sie auch nicht alleine, viele Persönlichkeiten der Weltgeschichte haben Tagebuch geschrieben.«
Ich hab ihn gefragt, ob er mir ein paar von diesen prominenten Persönlichkeiten nennen könnte, weil, wenn das schon so viele von denen gemacht haben, dann wollte ich das natürlich auch, ist ja klar!
Mein Therapeut hat ein sehr überraschtes Gesicht gezogen (als hätte er überhaupt nicht mit dieser Frage gerechnet), und dann hat er zögerlich geantwortet: »Äh, na ja … also … Göbbels zum Beispiel ... und … äh …«
Ich hab ihn gefragt, ob er vielleicht noch andere Persönlichkeiten der Weltgeschichte kennen würde, die Tagebuch geschrieben haben, am besten solche, die keine psychopathischen Irren waren und Millionen von Menschen umgebracht haben. Daraufhin hat er wieder so komisch geguckt. Diesmal allerdings war's nicht sein überraschtes Gesicht gewesen, sondern eher so eins, wie man es bei Irrenärzten im Fernsehen sieht, wenn die mit total Bekloppten reden und sich denken: ›Du bist der Idiot und ich der Doktor, also halt die Klappe‹. Aber dann, nach einer Weile, hat er plötzlich geantwortet: »Klammern Sie sich nicht so stark an Idole, mein Freund. Erschaffen Sie sich Ihr eigenes Idol.«
»Hä?«
»Sie klammern sich zu sehr an Vorbilder und andere Menschen. Sie müssen sich Ihr eigenes Idol erschaffen, sozusagen ein Ich-Idol, sich selbst, geboren aus dem Es und genährt durch das individuelle Selbst.«
Da ich kein einziges Wort von dem verstanden hab, was er da gefaselt hat, hab ich ganz eifrig genickt und ihm geantwortet: »Da treffen Sie VOLL ins Schwarze, Herr Doktor, SO IST ES! Das werde ich tun!«
Daraufhin hat er zufrieden gelächelt und mich bis zu unserer nächsten Sitzung verabschiedet, und ich bin aus der Praxis raus und in den Ein-Euro-Shop an der Straßenecke gelatscht, um mir ein Tagebuch zu kaufen und mein Ich-Idol zu erschaffen.
Das ist übrigens auch eine total interessante Geschichte, die muss ich dir unbedingt erzählen.Also, pass auf, das war so: Nachdem ich den Shop betreten hab, bin ich zu der Verkäuferin gegangen, die hinter der Kasse gestanden hat – so eine lustlose, blonde Tussi, die die ganze Zeit auf ihrem Handy herumgespielt hat –, und hab sie gefragt, ob man hier auch Tagebücher kaufen könnte. Ich war mir sichergewesen, dass sie jeden Tag dutzende solche Anfragen von Männern bekommt, die ihr persönliches Ich-Idol erschaffen wollen. Aber komischerweise hat sie nur gefragt: »Für einen Jungen oder für ein Mädchen?«
»Für einen Jungen«, hab ich geantwortet, immerhin bin ich ja einer. Was für eine idiotische Frage!
Sie hat mit ihrer Hand in Richtung von einem Wühltisch im hinteren Bereich des Ladens gewedelt, in dem bunte Kindermalbücher neben preisreduzierten Wintersocken und fleischfarbenen Übergrößen-BHs gelegen haben. Und in einer Ecke war – tadaaa! – auch ein Stapel Tagebücher gewesen. Die einen waren pink und hatten eine Minnie Mouse auf der Vorderseite, die anderen waren blau mit Benjamin Blümchen. Du kannst es dir bestimmt denken, Tagebuch: Das waren alles deine Brüder und Schwestern!
»Da hinten«, hat sie gemurmelt. »Da finden Sie bestimmt was.« Dann hat sie weiter auf ihr doofes Handy geglotzt.
Ich bin zu dem Wühltisch gelaufen und hab die nächsten fünf Minuten damit verbracht, die Auswahl zu studieren. Ich hab immer wieder mal eins von den Büchern aus dem Haufen gezogen und so getan, als ob ich mich voll damit auskennen würde. Ich hab's gedreht und gewendet, die (komplett leeren) Seiten durchgeblättert und das Cover gemustert. Die Dinger haben, bis auf die Farbe und das Bild vorne, exakt gleich ausgesehen, aber ich wollte der Tussi trotzdem zeigen, dass ich nicht einfach ein 08/15-Tagebuch kaufe, sondern nur das allerbeste Tagebuch auf der ganzen Welt.
Am Ende hat sich gezeigt, dass die Entscheidung nicht sooo schwer war, weil … na ja … auf dem Wühltisch lagen ja nur diese zwei Sorten. Und Minnie Mouse hab ich noch nie leiden können. Mutti hat immer gesagt, dass die ein Flittchen ist, weil sie mit anderen rummacht und der arme Mickeydeshalb eifersüchtig ist. Also hab ich das blaue Modell mit Benjamin Blümchen genommen, das schien mir am besten geeignet zu sein, um damit mein Ich-Idol zu erschaffen. Die schnörkelige Schrift auf der Vorderseite, mit dem Herzchen im Buchstaben ›a‹ von ›Tagebuch‹, ist zwar ein bisschen ... äh … komisch, aber das ist mir egal. Ich wollte bei meiner nächsten Therapiesitzung auf keinen Fall erzählen müssen, dass ich es nicht geschafft hab, so ein popeliges Tagebuch zu kaufen. Das wär echt peinlich geworden. Schließlich bin ich ein echter Mann und keine Memme!
So, und jetzt sitz ich hier in meinem Zimmer (ich wohne übrigens noch bei meiner Mutti) und überleg mir, was ich in dich reinschreiben könnte. Hm … gar nicht so einfach, merk ich gerade. Gibt's vielleicht irgendwelche Handbücher zu dem Thema? So eine Art ›Schreibleitfaden für Männer mit Tagebuch-Füllproblematik‹ oder so? Das wär echt ein Knüller, das muss ich unbedingt auf Amazon nachgucken.
Tja, keine Ahnung. Wie fängt man denn ein Tagebuch an?
Da fällt mir ein: Ich könnte dir erzählen, warum ich überhaupt zu dieser Therapie gehe. Ja, das ist ein guter Anfang! Pass auf, die Sache ist folgende: Vor zwei Monaten hab ich ein total doofes Erlebnis im Supermarkt um die Ecke gehabt. Ich war einkaufen gewesen und bin in der Schlange an der Kasse gestanden, um meine Sachen zu bezahlen. An diesem Tag ist viel losgewesen, deshalb hab ich warten müssen.Und … tja … direkt hinter mir ist so eine meganervige, tattrige, alte Schachtel gestanden, die sich gelangweilt und deshalb jeden mit ihrer ätzenden Lebensgeschichte vollgequatscht hat (kennst du bestimmt). Die hat dem Typen hinter mir erzählt, wie sie letztens beim Arzt gewesen ist, weil sie doch 'ne schwache Blase hätte, und der Arzt hätte ihr geraten, Windeln zu tragen, aber sie hätte ihn nur ausgelacht und ihm gesagt, dass das totaler Unsinn sei, schließlich hätte sie den Krieg überlebt und die Kälte und den Hunger, da hätte es sowas auch nicht gegeben, aber dann ist da noch ihr Rheuma, genau hiiiier und daaaaa, und dort tut's auch ein bisschen weh, und total süße Enkelkinder hat sie, die wohnen irgendwo ganz weit weg, in Brasilien oder Timbuktu oder auf dem Mond, aber ihre Schwiegertochter hat überhaupt keine Ahnung, wie man Kinder erziehen muss, die wär viel zu weich und nachgiebig mit denen ...
… und so weiter halt!
Ich hab nicht wirklich zugehört, ich wollte unbedingt verhindern, dass mich die irre Oma auch noch bemerkt und mich dann auch so volllabert. Das kann ich Ü-BER-HAUPT nicht leiden, weißt du!
Aber dann hat der Typ hinter mir – ihr ›Opfer‹ – ein ultrafieses und total feiges Ablenkungsmanöver gestartet. Er hat zu ihr gemeint: »Entschuldigen Sie, aber mir ist aufgefallen, dass ich noch etwas vergessen habe«, und dann ist er mit seinem Einkaufswagen ganz schnell in die Obst- und Gemüseabteilung gerollt, wo ihn die Bekloppte nicht mehr sehen konnte.
Dieser miese Feigling!!!
Und was hat die Laber-Oma gemacht? Genau! Sie hat sich nach neuen Opfern umgesehen. Und wen hat sie dabei entdeckt? Na? Genau!
Mich!
Ich sag dir, Tagebuch, ich hab mir so sehr gewünscht, dass sie mich einfach in Ruhe lässt und ich mein Zeug bezahlen und verschwinden kann, aber das ist natürlich NICHT passiert. Ganz im Gegenteil. Die verrückte Alte hat exakt fünf Sekunden gebraucht, um ihren schrumpeligen Kopf zu mir nach vorne zu recken und in meinen Einkaufswagen zu glotzen, was ich sogar noch mehr hasse als von fremden Menschen vollgetextet zu werden. Ich hab versucht, ihr den Blick zu versperren, indem ich immer weiter zur Seite gerückt bin, aber das hat nichts genützt, die Oma hatte RÖNTGENAUGEN, ich schwör's! Irgendwie hat sie es geschafft, in meinen Einkaufswagen zu gucken – da war eine Fertigpizza drin gewesen, eine Flasche Cola light, ein Joghurt mit Erdbeeren und eine Schachtel Binden für Mutti –, und dann hat sie mit ganz lauter Stimme und total vorwurfsvoll gerufen: »Also, junger Mann, das ist aber keine gesunde Ernährung für Ihre Kinder!«
»Das ist für mich«, hab ich geantwortet, ohne sie anzugucken. Das stimmte ja auch, das war wirklich für mich. Na ja, okay, bis auf die Binden natürlich.
Aber die Alte hat keine Ruhe gegeben. Sie hat sich meinen Wagen nochmal ganz genau angeguckt und dann neugierig gefragt: »Was essen denn Ihre Kinder?«
»Ich hab keine.«
OMann, Tagebuch, RIESENGROSSER FEHLER!!! Jetzt wurde die Oma so richtig munter, das hättest du sehen sollen. Sie hat sich direkt neben miraufgebaut wie so ein übergroßes Erdmännchen, hat ihre Fäuste in die Hüften gestemmt und so laut gerufen, dass es der ganze Laden hören konnte: »Sie haben keine Kinder? Wieso das denn? Wollen Sie und Ihre Frau keine? Ihr jungen Leute wisst doch gar nicht, wie schön das ist! Da gibt's immer nur Karriere, Karriere, Karriere, aber der liebe Herrgott hat Mann und Frau dazu geschaffen, dass die Kinder kriegen! Was sagt denn Ihre Frau dazu?«
»Ich hab keine Frau«, hab ich leise gemurmelt und mir gewünscht, dass sich endlich der Boden öffnet – entweder unter mir oder, was ich noch besser gefunden hätte, unter ihr.
Mit der Antwort hat die Oma offenbar nicht gerechnet.Sie hat ein überraschtes »Ach ...?« herausgepresst und mich dabei angeguckt, als ob ich ihr gerade erzählt hätte, dass ich nur noch zwei Tage zu leben habe. »Sind Sie ein ... wie sagt man heutzutage? Ein Heiratsloser?«
»Unverheirateter«, hab ich sie korrigiert. »Nein, bin ich nicht, ich hab nicht mal eine Freundin.«
Spätestens jetzt war ich mir sicher, dass sich der ganze Laden über mich kaputtlachen und mich für einen totalen Versager halten würde. Zum Glück ist es in diesem Moment weitergegangen und ich hab ENDLICH meine Sachen bezahlen und nach Hause abhauen können. Blöderweise ist mir erst dort aufgefallen, dass ich die 27,49 € Restgeld nicht mitgenommen hab.
SO EIN MIST!!! Diese doofe, verrückte Oma!
Aber weißt du was, Tagebuch? Die alte Schachtel hatte irgendwie recht, ich bin wirklich ein Heiratsloser. Ich bin sogar ein FRAUENLOSER, weil ich Single bin und noch nie eine Freundin hatte. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Ich meine, so der megahübsche Brad Pitt bin ich nicht, aber dafür ein total netter Kerl und superromantisch noch dazu. Das sagt zumindest meine Mutti. Die meint immer, dass sich jede Frau glücklich schätzen müsste, einen so tollen Mann wie mich kennenzulernen, und dass mich diese oberflächlichen Hühner mit ihren bauchfreien Tops und ihren tiefen Ausschnitten überhaupt nicht verdient hätten.
Aber … na ja … trotzdem finde ich das irgendwie doof. Das Alleinsein, meine ich. Das macht überhaupt keinen Spaß.
Und weil ich es mittlerweile nicht nur ein bisschen doof finde, sondern richtig superdoof, hab ich beschlossen, jemanden um Rat zu fragen, der sich damit auskennt. Nein, nicht meinen Therapeuten, der kommt erst später vor. Ich rede von meinen Kumpel Dieter!
Der Dieter ist genauso alt wie ich, aber im Unterschied zu mir kennt er sich voll gut mit Frauen aus. Er hat mir mal Fotos von seiner Freundin gezeigt, die auf seinem PC gespeichert waren. Und ich kann dir sagen: Holla, die Waldfee!!! Das ist 'ne richtig fesche Braut, Tagebuch, eine supertolle Frau! Lustigerweise hab ich dieselben Bilder, die mir der Dieter damals gezeigt hat, auch auf so 'ner Internetseite gefunden, wo sich Models vorstellen konnten. Ich denke, die Typen von dieser Modelagentur haben die Freundin von dem Dieter so toll gefunden, dass sie die bei sich unbedingt zeigen wollten. Cool, oder?
Na, jedenfalls bin ich zu ihm hingegangen und hab ihn gefragt, was ich tun könnte, um endlich auch eine Freundin zu finden, und ob er 'ne Idee hätte, warum das bei mir nicht klappt. Weil, weißt du, alle Frauen, die mir bisher gefallen haben, sind entweder weggelaufen oder haben mich ausgelacht (oder beleidigt).
Der Dieter hat daraufhin überlegt und überlegt und überlegt, und dann, nach einer halben Ewigkeit hat er zu mir gesagt, dass er absolut keine Ahnung hätte und ich lieber jemanden fragen soll, der sich damit auskennt. Einen Therapeuten zum Beispiel.
Tja, und so bin ich zu der Therapiesache gekommen!
Mit dem Herrn Doktor hab ich mich von Anfang an super verstanden. Wir sind da voll auf einer Linie, weißt du. Nur bei einer Sache, da hat er mir Quatsch erzählt. Er hat nämlich behauptet, dass mein Problem mit Frauen daher kommt, dass ich zu sehr an meiner Mutti hänge (irgendwas mit ›Ötzipahl‹ oder so, hab ich jedenfalls nicht verstanden). Da hab ich ihm gesagt, dass das nicht sein kann, meine Mutti ist die allerbeste Mutti von der ganzen Welt, mit der versteh ich mich richtig gut. Die bekocht mich jeden Tag und wäscht meine Wäsche und räumt mein Zimmer auf. Ich hab nicht kapiert, warum ausgerechnet sie schuld daran sein soll, dass ich keine Freundin finden kann. Trotzdem hat der Herr Doktor immer wieder darauf bestanden, und deswegen hab ich irgendwann brav genickt und so getan, als ob ich alles toll finden würde, was er mir erzählt. Ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass er mich für einen kompletten Vollidioten hält, der sogar zu doof ist, die einfachsten Sachen zu verstehen. Ich bin schließlich ein echter Mann und keine Memme!
Bei einer dieser Sitzungen hat er zu mir gemeint, dass ich mein Problem gezielt ›angehen‹ und ›nach Lösungen suchen‹ müsste.
»Es bringt nichts, wenn Sie sich nur beklagen. Sie müssen aktiv werden und Ihr Leben gezielt in die eigenen Hände nehmen.«
Das hab ich ausnahmsweise verstanden.
Tja, liebes Tagebuch, genau das werde ich jetzt tun. Ich werde mir eine Freundin suchen.Und genau da kommst du ins Spiel! Ich hab zwar keine blasse Ahnung, wie ich das mit der Freundin anstellen soll, aber du wirst mich trotzdem dabei begleiten und mir zugucken dürfen. Ich will von einem frauenlosen Verlierer zu einem total erfolgreichen Profi werden.
IN SECHS MONATEN WILL ICH EINE FREUNDIN HABEN!!!
Und morgen fang ich damit an.
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 2 –
Liebes Tagebuch,
Gestern hab ich mich hingesetzt und darüber nachgedacht, wie ich mein Ziel mit der Freundin erreichen kann. Dabei sind mir zwei Dinge klargeworden. Erstens: Ich will nicht irgendeine Freundin haben, sondern eine, die mindestens so fesch und sexy ist wie die vom Dieter. Und zweitens: Sowas schafft man nicht auf gut Glück und ohne Plan, da muss man professionell und mit Köpfchen rangehen. Deswegen hab ich mir ein paar Filzstifte und eine große, weiße Flipcharttafel geholt (die hab ich aus Muttis Kirchengemeinde … ähm … ausgeliehen, das merkt schon keiner), und dann hab ich mit dicker, roter Farbe in die Mitte des Blattes geschrieben:
Die Lösung des Frauenproblems: Eine Frau!
Das hab ich mir eine Weile angeguckt und gedacht: Nee, so kannst du das nicht stehenlassen, das klingt total doof! War tatsächlich so, klang total doof. Also hab ich das erste Blatt abgerissen und auf das zweite geschrieben:
Die Lösung des Frauenproblems: Eine Frau FINDEN!
So war es schon viel besser.
Anschließend hab ich einen gelben Stift genommen und wollte kleine, fluffige Wölkchen um den Text malen, wo dann meine Ideen reingekommen wären. Blöderweise hab ich gemerkt, dass man einen gelben Stift auf weißem Papier nicht sooo dolle lesen kann. Also hab ich das zweite Blatt ebenfalls abgerissen, die Überschrift und die Wölkchen mit einem BLAUEN Stift wiederholt und mich dann hingesetzt, um mir zu überlegen, WAS GENAU ich da reinschreiben soll.
Nach zwei Stunden hat mein Plan ungefähr so ausgesehen:
Die Lösung des Frauenproblems: Eine Frau FINDEN!
Vorgehen: Eine Frau SUCHEN!
Nicht schlecht, oder? Ich war ziemlich stolz auf mich.
An dieser Stelle hab ich eine Pause gemacht, weil, man muss es ja nicht übertreiben. Vom Gefühl her war ich nur einen winzigen Schritt davon entfernt, die superhübsche, sexy Freundin kennenzulernen, die sich unsterblich in mich verlieben würde. Also bin ich zu Mutti gegangen und hab sie gefragt, ob sie mir 'ne Portion Makkaroni mit Käse machen kann, dann hab ich mich vor den Fernseher gesetzt. Von meinem Plan hab ich ihr noch nichts erzählt.
Nach dem Essen hab ich dann beschlossen, meine Suche im Internet zu beginnen. Das fand ich irgendwie logisch, weil, dem Dieter seine Freundin ist ja auch im Internet zu sehen. Außerdem gibt's da jede Menge ledige und gutaussehende Frauen, die nur auf einen Mann wie mich warten. Das behauptet zumindest diese Werbung im Nachtfernsehen.
Ich hab mich vor meinen PC gesetzt und ›Mann sucht sexy Frau‹ bei Google eingegeben (die wissen schließlich alles).
Und soll ich dir was sagen, Tagebuch? Ich hab TAUSENDE … ach, was rede ich … ZEHNTAUSENDE Treffer bekommen! Du kannst dir das gar nicht vorstellen! Ich hätte nie gedacht, dass es SO VIELE Seiten im Internet gibt, auf denen man Frauen kennenlernen kann.
Wobei … wenn ich ehrlich bin, dann waren die meisten davon irgendwie … na ja … seltsam!
Auf einer zum Beispiel konnte man sich die Frauen, die sich mit einem treffen wollen, erst mal in Ruhe angucken. Das fand ich klasse, weil, man will ja nicht die Katze im Sack kaufen und sich so 'ne Hässliche oder Fette anlachen, die man nicht mehr loswird. Da war so eine Vorschaufunktion echt praktisch.
Eine der Frauen hat dazu in ihrem Wohnzimmer (oder war das ihr Schlafzimmer?) eine Kamera aufgestellt und sich auf eine doll verzierte Couch gesetzt. War auch eine echt Hübsche, muss ich sagen. Also … die Frau meine ich, nicht die Couch! Doch dann ist was Schräges passiert: Die Frau hat angefangen, sich zwischen den Beinen zu kratzen und zu reiben, so als ob sie da 'nen Juckreiz hätte, dann hat sie sich auf den Rücken gelegt und sich hin und her gewälzt, als ob sie auch da was hätte. Und dann … äh … ist es noch schräger geworden, weil, auf einmal ist so 'n Typ durchs Bild gelatscht, zu ihr hingegangen und hat versucht, ihr zu helfen. Keine Ahnung, wer das war, vielleicht ihr Nachbar.Jedenfalls hat er ihr das Höschen ausgezogen und die Stelle, an der sie sich gerieben hat, mit seinen Fingern abgetastet.
Da hab ich mich ganz schnell weggeklickt! Ich meine, jetzt mal im Ernst: Ich will eine Frau kennenlernen, die hübsch und sexy ist, aber bestimmt keine, die einen üblen Juckreiz hat. Und medizinische Tipps zur Behandlung von Hautausschlägen brauch ich auch keine, bei sowas frag ich lieber Mutti.
Ich bin zur zweiten Seite in der Trefferliste gewechselt, aber die war auch nicht besser gewesen. Auf der schien es gar nicht um Dates mit Frauen zu gehen, sondern um Getränkerezepte oder sowas in der Art. Jedenfalls gab es da kurze Filmchen, die alle gleich abgelaufen sind. Da hat immer eine Frau auf dem Boden gekniet und ein Glas hochgehalten,in dem irgendein weißer Schnodder war. Im Hintergrund war noch eine Männerstimme gewesen, die gesagt hat: »Trink das!« Und die Frauen haben das gemacht.Scheinbar hat es ihnen sehr gut geschmeckt, weil, sie haben gelächelt und sich den Mund abgewischt, und die Stimme im Hintergrund hat sie gelobt und gesagt: »Braves Mädchen!«
Ich bin noch etwas länger auf dieser Seite geblieben, weil ich unbedingt die Rezepte für diese Getränke haben wollte. Das wär nämlich was für Mutti und ihre Freundinnen aus der Kirchengemeinde. Die sitzen immer dienstags bei uns im Wohnzimmer und reden über Glaubenskram. Aber ich konnte nirgendwo ein Rezept finden,da war nichts,weit und breit nichts! Das fand ich schon schräg. Ich meine, erst einem den Mund wässrig machen, und dann kein Rezept anbieten? Wie blöde ist das denn?
Aber egal, ich bin zur nächsten Seite gewechselt, und da stand irgendwas von ›professioneller Online-Partnersuche‹ und ›Nur 160 € Mitgliedsgebühr im Jahr‹ und ›TÜV-geprüfter Sicherheit‹. Da hab ich mich sofort weggeklickt, weil, mit so einem plumpen Trick können die vielleicht die total Bescheuerten einfangen, aber nicht mich!
Auf der nächsten Seite wurde es wieder interessant. Da war oben eine Bilderleiste mit Fotos von hübschen Frauen. Unter dem ersten stand ›Manuela (19)‹, unter dem zweiten ›Jenny (22)‹, und unter dem dritten ›Jasmin (21)‹. Zusätzlich war bei jeder Frau angegeben, in welcher Stadt sie wohnt.
Und jetzt stell dir vor, Tagebuch: Bei der ›Jenny (22)‹ stand allen Ernstes STUTTGART dran! Ist das zu fassen? Die Jenny wohnt tatsächlich in Stuttgart, also ganz in meiner Nähe! Das kann kein Zufall sein. Also hab ich sofort auf ihr Bild geklickt und bin zu einer anderen Seite weitergeleitet worden, auf der man seinen Namen, seine Adresse und seine Kontonummer eingeben konnte. Im Anschluss hieß es, dass sich die Jenny bei mir melden wird, um sich mit mir zu verabreden und auf ein ›heißes Abenteuer‹ zu treffen (was auch immer das sein soll).
NA ALSO!!!
Siehst du, Tagebuch? Es sind gerade mal zwei Tage vergangen, und schon hab ich mein erstes Date mit einer sexy Frau! Läuft bei mir, würde ich sagen. Bist du stolz auf mich? Also ich BIN stolz auf mich! Die Jenny ist genauso eine Frau, wie ich sie mir gewünscht hab, sie ist wie dem Dieter seine Freundin. Ich muss ihr nur sagen, dass sie sich ein Oberteil anziehen soll, wenn sie Fotos von sich ins Internet stellt, weil, das sieht total billig aus. Als ob sie sich nichts zum Anziehen leisten könnte.
Aber egal, auf jeden Fall ist sie hübsch, und nur das zählt. Ich freu mich schon riesig auf unser Date. Ich geb dir Bescheid, sobald sie sich bei mir meldet, das wird bestimmt jeden Moment passieren, da bin ich mir sicher. Ich setz mich schon mal in mein Zimmer und leg mein Handy bereit.
Also dann, bis die Tage.
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 3 –
Liebes Tagebuch,
Ich wollte dir nur kurz Bescheid geben, dass sich die Jenny noch nicht bei mir gemeldet hat. Seltsam! Aber das wird sich bestimmt gleich ändern, da bin ich mir total sicher! Deswegen muss ich mich beim Schreiben kurzhalten und mich wieder in mein Zimmer setzen. Weißt du, ich hab's mir da gestern gemütlich gemacht, mit ganz vielen Kissen und leckeren Snacks, und heute Morgen hab ich noch Muttis Fernseher aus dem Wohnzimmer in den Flur geschoben, bis direkt vor meine Zimmertür, damit mir beim Warten nicht so langweilig ist. Hat auch ganz gut funktioniert. Die letzten siebenundzwanzig Stunden sind wie im Flug vergangen. Nur die blöde Sonne und das ewige Vogelzwitschern da draußen haben echt genervt. Aber das Problem hab ich lösen können, ich hab einfach die Fenster zugemacht und die Rollladen runtergelassen, seitdem ist's schon viel besser.
Na ja, wollte dir das nur kurz sagen, falls du ungeduldig geworden bist oder dir schon Sorgen machst. Ich geb dir auf jeden Fall Bescheid, sobald sich was tut. Versprochen!
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 4 –
Liebes Tagebuch,
Also, die Jenny ... ähm ... die … hat ... hat noch nicht angerufen ... und ich bin jetzt ... ehrlich gesagt … ziem… ziem… ziemlich müde ... hab die letzten achtundvierzig Stunden ... da hab ich ... äh ... also ... ziemlich viel ferngesehen, um wachzubleiben ... wollte nicht schlafen ... sonst hätt ich viell... vielleicht Jennys Anruf überhört ... aber langsam bin ich … bin ich schon ziemlich … hhh ... hh … h ...
... h … h ...
h ...
h ...
..
.
– Tag 5 –
Liebes Tagebuch,
So ein Mist!!! Die Jenny hat sich das ganze Wochenende nicht bei mir gemeldet. Am Sonntag bin ich dann plötzlich eingeschlafen, vom Bett gefallen und hab mir dabei den Kopf an der Bettkante gestoßen. Das hat ganz schön wehgetan! Und 'ne Riesenbeule hab ich auch.
So ein Mist!!!
Aber das ist längst nicht alles, weil, ich hab heute Morgen herausgefunden, dass sich die Jenny gar nicht bei mir melden KONNTE, ich hab ihr nämlich keine Nummer hinterlassen! Wie bekloppt kann man nur sein? Allerdings muss ich dazusagen, dass das nicht allein meine Schuld war. Auf der Seite, auf der man sich für ein Date mit der Jenny anmelden konnte, gibt es kein Eingabefeld für Telefonnummern! Deswegen hab ich mich dort nochmal angemeldet und dann in das Feld, wo man normalerweise seinen Namen einträgt, folgenden Text reingeschrieben:
Hi Jenny, ich bin's, der Jürgen – also der vom Freitag!
Ruf mich an!
Und dahinter hab ich meine Handynummer eingetippt. Ziemlich clever, oder?
Übrigens ist mir aufgefallen, dass die Firma, bei der die Jenny arbeitet, dreihundert Euro von meinem Konto abgebucht hat. Ist bestimmt nur ein Irrtum. Da haben die mich mit jemandem verwechselt. Das muss ich unbedingt der Jenny erzählen, wenn wir uns treffen, weil, dann sieht sie, mit was für Pfeifen sie zusammenarbeitet und ist mir bestimmt dankbar.
Na ja, wie auch immer, ich hab mich jetzt ausgeschlafen – was mit der Beule am Kopf gar nicht so leicht gewesen ist – und hab dann beschlossen, meine Strategie noch ein bisschen anzupassen. Kennst du diese Partneragenturen, bei denen man ein Video von sich macht und dann im Internet veröffentlicht? Ich hab mir überlegt, dass das doch eine super Idee wäre, weil, dann müsste nicht mehr ich nach den Frauen suchen, sondern die Frauen sehen mich in dem Video und verlieben sich in mich und melden sich von ganz alleine bei mir. Ist doch klasse, oder? Total praktisch, und vor allem so bequem. Das will ich auf jeden Fall haben.
Ich hab mir deshalb den Camcorder vom Dieter ausgeliehen, und dann hab ich mich zuhause auf unsere Wohnzimmercouch gesetzt, meine schickste Cordhose und das karierte Hemd von Tante Elsbeth angezogen und hab mir eine total originelle Botschaft ausgedacht. Pass auf, die ging so: Zuerst hab ich mit einem Rrrooaaarrrr-Blick in die Kamera geguckt (du weißt schon, so ein total gefährliches ›Rrrooaaarrrr‹ halt, wie ein Raubtier beim Jagen), und dann hab ich supermännlich und total lässig gesagt: »Hallo, du holde Blume der Prärie. Sei gegrüßt, du Rose in der Wüste, die sich einsam im Winde wiegt und mit ihren Blättern nach dem Himmel greift, wie ein Betender sich demütig zu Gott erhebt. Ein Vulkan der Leidenschaft ist's, der in meinem Inneren schlummert. Willst du es sein, der sich dem lodernden Feuer stellt? Ich bin gespannt auf dich. Melde dich!«
Super, oder? Der Text ist ein Knaller.Wenn jetzt noch die Kamera eingeschaltet gewesen wär, dann wär das voll das Hammervideo geworden.
So ein Mist, echt!!!
Ich bin aufgestanden, hab das Mistding eingeschaltet, hab mich wieder auf die Couch gesetzt und den ganzen Text von vorne heruntergeleiert. Die ›Roooaaarrr‹-Sachehab ich weggelassen, da war irgendwie die Luft raus. Trotzdem war der zweite Durchgang echt gut, wenn man von ein paar unbedeutenden Versprechern absieht (zum Beispiel: »Sei gegrüßt, du holde Wüste«).
Blöderweise hab ich vergessen, die Aufnahmetaste zu drücken.
SO EIN MIST!!!
Also dritter Versuch.
Ich hab doppelt und dreifach kontrolliert, ob die Kamera WIRKLICH eingeschaltet ist und die Aufnahmetaste WIRKLICH gedrückt,dann hab ich mich auf die Couch gesetzt und meinen Text aufgesagt. Zumindest … fast! Weil, auf dem Weg dorthin bin ich voll über den Teppich gestolpert und hab dabei eine von Muttis Töpferkurs-Vasen zerdeppert. Die Dinger sind hässlich wie die Nacht, aber sie hängt trotzdem daran. Ab da war meine Laune im Keller gewesen. Ein halbwegs cooles Grinsen hab ich noch hinbekommen, aber beim Text hat's schon zu hapern angefangen.
»Hallo, du holde ... äh ... was war das nochmal? Ach ja, Blume. Nein, Moment, das stimmt so nicht. Hallo, du holde Rose, die du deine Blätter in den Himmel reckst wie –«
An dieser Stelle hat die Kamera leise gepiept und ist ausgegangen.
Akku leer.
MIST, MIST, MIST!!!
Also wieder von der Couch aufgestanden, wieder über den Teppich gestolpert, dabei die nächste Vase von Mutti zerdeppert (das wird ECHT schwer zu erklären sein), den dämlichen Akku gewechselt, die Kamera eingeschaltet, die Aufnahmetaste gedrückt, und wieder zurück auf die Couch. Ich hab mich wie ein nasser Sack reinfallen lassen und hab anschließend komplett lustlos heruntergerasselt: »Hi, ich bin der Jürgen, 29 Jahre alt. Ich suche eine Frau, egal, welche! Du solltest nicht fett sein und auch nicht hässlich, sondern schlank und gutaussehend, sonst ist der Kontrast zwischen uns zu groß. Und, ach ja: Kochen solltest du mindestens so gut können wie meine Mutti. Der Rest ist egal. Also tschüss, der Jürgen.«
Das hab ich dann auf meinen PC überspielt und bei YouTube hochgeladen. Und am nächsten Tag bin ich zum Dieter, um ihm seinen Camcorder zurückzugeben und ihn ein kleines bisschen mit dem Video neidisch zu machen.
Der hat sich erst mal gewundert. »Warum denn ausgerechnet bei YouTube?«, hat er mich gefragt. »Ich dachte, du wolltest eine Frau finden, und dich nicht zum Deppen machen.«
Pfff, was weiß der denn schon?
»Ist doch ganz einfach«, hab ich ihm erklärt. »Bei so 'ner Partnersuch-Video-Reinstell-Seite zahl ich gut und gerne zweihundert Euro, und dann sehen's nur ein paar fette, alte Frauen, die so frustriert sind, dass sie sich bei sowas anmelden müssen. Das hab ich mal in 'ner Reportage auf RTL2 gesehen. ›Frustrierte, fette, alte Frauen im Internet‹ hieß die, glaub ich. Bei YouTube sehen es viel mehr Menschen, und da sind dann auch die total schönen Topmodels dabei. Das hab ich mal in 'ner Reportage auf RTL2 gesehen. ›Total schöne Topmodel-Frauen im Internet‹ hieß die, glaub ich.«
Der Dieter meinte daraufhin, dass ich ihm das Video zeigen soll, und das hab ich natürlich gemacht.
Nachdem wir es uns angesehen haben, ist er mit riesengroßen Augen neben mir gestanden und war sprachlos gewesen! Tjaahaa, lieber Dieter, was du kannst, das kann ich schon lange! Ich war in dem Moment so megastolz gewesen, das kannst du dir gar nicht vorstellen.
Nur eine Sache hat mich gestört, nämlich die vielen Kommentare unter meinem Video, die von irgendwelchen Spaßvögeln geschrieben waren. Die haben überhaupt nicht neidisch geklungen, sondern eher ... na ja … frech und doof!
Einer von denen hat zum Beispiel geschrieben:
Ey, du Opfer, das ist ja voll assi!!!
Pfff, was weiß der denn schon? Ich bin doch kein Opfer!
Ein anderer meinte:
So findest du definitiv nie eine Frau, du Warmduscher.
Pfff, was weiß der denn schon? Ist bestimmt so ein frustrierter Versager, der so frustriert ist, dass er sogar bei der Seite mit den frustrierten, fetten, alten Frauen keinen Zutritt bekommt! Der kann mich mal gernhaben.
Ein dritter meinte:
Wusstest du schon:
Wenn dir ein Laster übers Gesicht fährt,
dann läuft das unter Schönheits-OP.
Den hab ich nicht kapiert.
Aber wie auch immer, ich finde mein Video trotzdem toll. Und das Coolste daran ist: Ich fahr jetzt auf zwei Gleisen gleis... äh ... gleichzeitig: Ich hab die Jenny auf der einen Seite – die sich jeden Moment bei mir melden wird, da bin ich mir absolut sicher –, und dann hab ich noch das YouTube-Video, das von ganz vielen Modelfrauen gesehen wird, die sich in mich verlieben und bei mir melden werden. Es kann also echt nichts mehr schiefgehen, Tagebuch, es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis ich meine Freundin finde.
Jetzt geh ich erst mal zwei neue Vasen für Mutti kaufen, und dann setz ich mich wieder in mein Zimmer und warte auf Jennys Anruf.
Morgen ist übrigens Therapie. Bin schon gespannt, wie der Herr Doktor reagieren wird, wenn ich ihm von meinen tollen Erfolgen erzähle – ganz besonders natürlich von dir, Tagebuch!
Also dann, man sieht sich.
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 6 –
Liebes Tagebuch,
Die Jenny hat sich immer noch nicht bei mir gemeldet! Also auf diese Weise findet die nie einen Mann, so viel steht schon mal fest.
Und weißt du, was das Schärfste ist? Diese Blödmänner von der Firma, bei der die Jenny arbeitet, haben SCHON WIEDER dreihundert Euro von meinem Konto abgebucht! Ist das zu fassen? Boah ey, sind die doof! Die haben immer noch nicht kapiert, dass die mich mit jemandem verwechseln. Ich hab ihnen einen bitterbösen Brief geschrieben und mich beschwert. Das war gar nicht so leicht gewesen, ich musste erst eine Postadresse finden. Übrigens: Wusstest du, dass ›Târgu Secuiesc‹ in Rumänien liegt, Tagebuch? Also ich nicht.
Mein Video auf YouTube ist auch nicht so der Knaller, hab ich den Eindruck, und das überrascht mich. Bisher haben sich's exakt 9.271 Leute angeguckt, und 117 von denen haben einen Kommentar hinterlassen. Aber von diesen 117 sind genau 117 männlich, und 116 davon gehören zu diesen frustrierten, blöden Spaßvögeln, die nur Quatsch schreiben. Der Hundertsiebzehnte ist der Dieter. Der hat keinen echten Kommentar hinterlassen, der hat nur auf den Text von so einem Typen geantwortet, der geschrieben hat:
Hey, den Spacko kenn ich doch!
Ist das nicht der komische Kumpel vom Dieter D.?
Der Dieter hat daraufhin zurückgeschrieben:
Nö, kenne den Kerl nicht, nie gesehen!
Echt cool, oder? So ganz lässig gekontert. Der Dieter ist halt ein echter Freund. Ich muss ihn nur mal fragen, warum er nicht mehr rangeht, wenn ich ihn anrufe.
Na ja, wie auch immer, am letzten Mittwoch bin ich wieder in Therapie gewesen. Der Herr Doktor war mächtig stolz auf mich, als ich ihm von dir, liebes Tagebuch, erzählt hab, und natürlich auch davon, wie fleißig ich an meinem Ich-Idol arbeite. Ich hab ihm gesagt, dass ich ganz häufig in dich reinschreibe, aber dass es trotzdem keinen Grund zur Sorge gibt, weil ich normalgeblieben bin und nicht vorhabe, Gaskammern zu bauen. Da hat er mich ganz seltsam angeguckt. Aber anstatt etwas darauf zu antworten, hat er nur gefragt, wie's denn mit der Frauensuche vorangeht. Ich hab ihm von der Jenny und von meinem Video erzählt, undnatürlich hab ich ihm dabei nicht die ganze Wahrheit gesagt, das hätt ihn nur verwirrt. Ich hab's ein winzigkleines Bisschen ausgeschmückt und ihm erzählt, dass ich ein supertolles Date mit einer supersexy Frau hatte, die 22 Jahre alt ist und Jenny heißt. Außerdem hätte ich ein Video ins Internet gestellt, auf das sich haufenweise Frauen bei mir melden werden und sich mit mir treffen wollen. Und sogar die Männer, die es gesehen haben, sind so begeistert, dass sie damit angefangen haben, ihre eigenen Videos zu drehen und online zu stellen – sogar mein Freund Dieter, mit dem ich jeden Tag telefoniere. Seine Freundin, die fesche Braut, wär deswegen total eifersüchtig, obwohl sie das gar nicht nötig hat, und ...
... an dieser Stelle hat mich der Herr Doktor unterbrochen und mir gesagt, dass ihm das völlig reichen würde. War bestimmt beeindruckt gewesen. Das hat sich richtig gut angefühlt!
Obwohl … manchmal bin ich mir bei ihm nicht sicher, was er sich denkt. Irgendwie scheint er die Augen zu verdrehen, wenn ich ihm etwas erzähle, und ich hab keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Vielleicht ist das so ein Tick von ihm.
Und, ach ja, fast hätt ich's vergessen, es gibt noch eine weitere Neuigkeit. Ich werde am Samstag shoppen gehen und mir ein neues Outfit zulegen! Ja, du liest richtig, Tagebuch: Der coole Jürgen (also ich) bekommt neue Klamotten! Der Grund dafür ist, dass ich letztens eine Zeitschrift bei meinem Therapeuten gesehen hab. Die lagin seinem Wartezimmer aus. Und in der stand drin, dass Männer, die bei Frauen erfolgreich sein wollen, unbedingt ein cooles Outfit brauchen. Das wär voll wichtig, haben die gemeint. Eigentlich bin ich ja der Meinung gewesen, dass mein Outfit cool IST, aber als ich diese gutaussehenden Männermodels auf den Fotos gesehen hab, die ganz lässig mit einem kurzärmligen Hemd und in Bermudashorts auf einem schneebedeckten Berggipfel gestanden sind, da hab ich mir gedacht: Hm, vielleicht könntest du ja doch was an dir ändern.
Also hab ich beschlossen, einkaufen zu gehen.
Eigentlich hätt ich gerne den Dieter dabeigehabt, weil, alleine mach ich das definitiv nicht. Aber den kann ich ja nicht erreichen. Ist wohl zu sehr damit beschäftigt, seine Videos zu drehen. Deswegen hab ich Mutti gefragt, aber die kann am Samstag auch nicht, da ist ihr Strickkurs und anschließend das Kaffeekränzchen im Pfarrhaus.
Damit ist nur noch eine einzige Person übriggeblieben, die ich fragen konnte. Und die hätt ich mir liebend gerne erspart, das kannst du mir glauben!
Die Rede ist von meinem komischen Nachbarn Sebastian.
Weißt du, der Sebastian wohnt auf demselben Stockwerk wie Mutti und ich, nur eine Tür weiter. Und er ist ein ganz komischer Kerl! Er läuft immer total schick und mit gestylten Haaren herum, und ständig besucht ihn irgendeine andere seiner Schwestern und übernachtet bei ihm. Also … zumindest GLAUBE ich, dass das seine Schwestern sind. Was sollen die denn sonst sein? Die gehen jedenfalls bei ihm ein und aus, und deswegen hab ich mich schon gefragt, ob's in seiner Familie überhaupt irgendwelche Männer gibt (außer ihn selbst natürlich).
Genau diesem Sebastian bin ich gestern im Hausflur begegnet, ganz zufällig. Er hat mir einen Klaps auf die Schulter gegeben, und als ich mich zu ihm umgedreht hab, da hat er mich mit einem total freundlichen »Hi, wie geht's?« begrüßt. Hm, der wird doch nicht schwul sein, oder? Also, wenn ich's mir recht überlege, irgendwie würde das zu ihm passen, bei so vielen Schwestern, wie er hat.
Na ja, wie auch immer, bei der Gelegenheit hab ich ihn gefragt, ob er Lust hätte, mit mir einkaufen zu gehen und mir dabei zu helfen, und da hat er fröhlich erwidert: »Aber klar doch, sehr gerne! Pimpen wir dich mal ein bisschen, Alter. Du hast es definitiv nötig.«
Pfff, was weiß der denn schon? Warum soll ich's denn nötighaben? Soll sich lieber selbst angucken, dieser komische, gestylte Pfau!
Und überhaupt:Was meint er mit pimpen???
Verdammt, der Typ ist AUF JEDEN FALL schwul!!!
Na ja, jetzt ist es sowieso zu spät, jetzt kann ich's nicht mehr rückgängigmachen. Ich muss wohl in den sauren Apfel beißen und schauen, wie sich die Sache entwickelt. Aber eines schwör ich dir, Tagebuch: Sollte dieser komische Kerl versuchen, bei mir in die Umkleidekabine zu spicken oder mich anzufassen, dann werde ich ihm die Meinung geigen, aber sowas von! Nachbar hin oder her, völlig egal!
Okay, so viel dazu. Sobald es Neuigkeiten gibt – zum Beispiel, dass sich die Jenny bei mir gemeldet hat, oder dass der Sebastian, dieser komische, schwule Kerl, mich angefasst hat –, dann erzähl ich's dir natürlich sofort.
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 7 –
Liebes Tagebuch,
Entschuldige, dass ich mich erst jetzt bei dir melde, aber ich hatte die letzten Tage TOTAL viel um die Ohren!
Nein, die Jenny hat sich nicht bei mir gemeldet. Mein Handy hat zwar am Freitag geklingelt und ich bin wie ein Bekloppter vom Klo aufgesprungen und zu meinem Zimmer gerannt – und dabei über meine Hose gestolpert –, aber dann war's nur mein Opa Friedhelm gewesen.
Weißt du, Opa Friedhelm ist schon ein bisschen älter und seniler. Das allein wär nicht schlimm, aber Opa Friedhelm ist auch einer von diesen Menschen, die denken, dass heute alles voll doof ist und früher alles viel besser war – und dass er das jedem ausführlich erzählen muss. Letztens zum Beispiel, als Mutti und ich bei ihm im Altersheim gewesen sind (Mutti sagt immer: »Wir erben von ihm, also besuchen wir ihn auch«), da hat er uns eine geschlagene Stunde von seinen Kriegserlebnissen erzählt.
»Ihrrrrr junge Läiddd wisset doch gar nedd, wie guaaat's aaah gaaad«, hat er die ganze Zeit geschrien und mir mit seinem Stock auf den Kopf gehauen. Das hat er früher auch schon gemacht, als ich ein kleines Kind gewesen bin, aber zum Glück hat das keine bleibenden Schäden hinterlassen.
Am Freitag war's genauso gewesen. Opa Friedhelm hat am Telefon erzählt und erzählt und erzählt und erzählt, und während er so erzählt hat, hab ich versucht, meine Hose wieder hochzuziehen. Das ist mir nur bis zur Hälfte gelungen, weil sich meine Unterhose im Reißverschluss verheddert hat. Und genau in dem Moment, als ich sie rausfummeln wollte, ist Mutti in mein Zimmer gekommen und hat mich gefragt, mit wem ich telefonieren würde. Ich hab die Sprechmuschel zugehalten und ihr zugeflüstert: »Das ist Opa Friedhelm. Er erzählt mir gerade von den Duschen im Altersheim.« Da hat Mutti ziemlich irritiert geguckt und ist kopfschüttelnd rausgegangen. Kann ich gut verstehen, echt. So ein blödes Thema, Duschen im Altersheim. Typisch Opa Friedhelm!
Nach einer Stunde hat er mich dann gefragt, ob ich von Samstag bis heute auf seine Pudeldame Tinki aufpassen könnte.
»Die wellet bei mirrr a Darrrrmschpiegelung macha«, hat er gebrüllt. »Weisch du überrrhaupt, was des isch, du Saubub?«
Ohne meine Antwort abzuwarten, hat er mir erklärt, dass ihm irgendein ›bolschewistisches Dreckspack‹ irgendwelche Sachen in den Hintern stecken will, um irgendwas ganz Schlimmes mit ihm zu machen. Und in dieser Zeit müsste er im Krankenhaus bleiben.
Ich hab nur ein hastiges »Ja, mir egal, kann ich machen!« geantwortet, weil sich mittlerweile nicht nur meine Unterhose, sondern auch mein ... äh ... na, du weißt schon, im Reißverschluss verheddert hat. DAS hat vielleicht wehgetan, Tagebuch! Ich hab so schnell wie möglich aufgelegt und bin dann zu Mutti gerannt, um mir von ihr helfen zu lassen.
Tja, das hätte ich mir besser zweimal überlegen sollen. Also … das mit dem Hund, meine ich, nicht das mit Mutti. Weil, Tinki kann genau zwei Sachen: Das Eine ist fressen, und das Andere ist kacken! So ging's das ganze Wochenende über: Tinki frisst, Tinki kackt, Tinki frisst, Tinki kackt, zwischendurch trinkt sie ein bisschen Wasser aus der Toilette, dann frisst sie wieder und kackt. Echt wahr, manchmal hab ich gedacht, dass der ganze Köter nur aus Kacke besteht, bei so vielen Haufen, wie der gesetzt hat. Da könnte man einen ganzen Dobermann draus bauen.Und bei diesem ganzen Kacke-Wegräum-Stress hab ich natürlich vergessen, dass ich mich am Samstag mit dem Sebastian zum Shoppen verabredet hab. Der stand um Punkt zehn Uhr morgens bei uns vor der Wohnungstür, gerade als ich dabei war, einen von Tinkis Kackhaufen aus der Tulpenvase von Mutti zukratzen.
Nachdem ich ihm aufgemacht hab, hat er mich ziemlich verdutzt angeguckt, dann geschnüffelt, das Gesicht verzogen und mich mit einem Grinsen gefragt, ob ich mein neues Aftershave aufgelegt hätte: Eau de Gülle. Ha, ha, sehr witzig! Hält sich wohl für einen Komiker, der komische Kerl.
Jedenfalls hat er mich daran erinnert, dass wir einkaufen gehen wollten, und ich hab ihn gefragt, ob wir das aufs nächste Wochenende verschieben könnten, im Moment hätte ich nämlich andere Probleme. Aber er hat nur den Kopf geschüttelt. Das ginge leider nicht, hat er erwidert, weil er sich da um seine Mädels kümmern müsste. Keine Ahnung, wen er damit gemeint hat. Wahrscheinlich seine Schwestern.
Ich bin also ins Bad geflitzt und hab mir Tinkis Kacke abgewaschen und mir anschließend was Frisches angezogen. Und dann sind wir auch schon losgefahren.
Und weißt du was, Tagebuch? Das war ein sehr, sehr seltsames Shoppen! Das muss ich dir unbedingt erzählen.
Es ging schon mal damit los, dass sich der Sebastian, der komische Kerl, geweigert hat, in irgendeinen von den Läden reinzugehen, in denen ich normalerweise mit Mutti einkaufe.
»Alter, die haben doch nur Scheiße!«, hat er zu mir gemeint. »Was willst du denn da?«
So ein Quatsch! Was weiß der denn schon? Wenn ich mit Mutti unterwegs bin, dann finden wir jedenfalls immer einen todschicken Pullunder oder ein total cooles kariertes Hemd für mich. Aber der Sebastian wollte da einfach nicht rein.
»Guck mal, da drüben beim C&A gibt's auch günstige Sachen. Aber die sehen nicht aus wie zusammengenähte Topflappen.«
Also sind wir halt dorthin. Und ich hab mir fest vorgenommen, alles doof zu finden, was er mir zeigt, damit er merkt, dass ich ein echter Kerl bin und keine Memme.
Aber weißt du was? Dieser komische Kerl ist noch nicht mal alleine losgezogen, um irgendwelche Sachen für mich rauszusuchen, nee, der hat sich Verstärkung geholt! Der ist zu so 'ner jungen Verkäuferin hingelatscht und hat sie gefragt: »Hast du kurz Zeit?«
»Ja, sicher«, hat sie geantwortet. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich habe eine Herausforderung, quasi eine Lebensaufgabe, und ich brauche eine charmante und hübsche Frau mit gutem Geschmack, die mich dabei unterstützt.« Er hat auf mich gezeigt. »Das ist das Vorher-Bild, okay? Der Junge braucht dringend neue Klamotten. Lass uns ein Nachher-Bild erschaffen, und zwar ein richtig geiles!«
Ich hab blöderweise etwas zulange gebraucht, um zu kapieren, was er gerade gesagt hat, deswegen war's für eine böse Antwort schon zu spät gewesen. So ein Mist, echt! Ein Nachher-Bild? Pfff, was weiß der denn? Soll sich lieber selbst angucken, dieser komische Kerl!
Die Verkäuferin ist ganz rot im Gesicht geworden und hat mit einem Lächeln erwidert: »Okay, ich versuch's.« War ihr bestimmt peinlich gewesen, wie doof sich der Sebastian aufgeführt hat. Kann ich verstehen. War wirklich voll peinlich!
Sie ist weggegangen, und dann, nach ein paar Minuten, mit einem großen Stapel an Klamotten wieder zu uns zurückgekommen.
»Ja, genau so etwas«, hat der Sebastian zufrieden gemurmelt.
»Nein, auf keinen Fall!«, hab ich trotzig erwidert.
»Doch, auf jeden Fall.«
»Kommt nicht infrage!«
»Doch, Alter, verlass dich drauf.«
Irgendwann hat die Verkäuferin leise gekichert und zum Sebastian gemeint: »Das ist aber ein schwieriges Projekt, das du dir ausgesucht hast.«
Der Sebastian hat ihr Lächeln erwidert. »Na ja, ich liebe schwierige Projekte. Das macht den Sieg nur umso süßer, findest du nicht auch?«
Da ist sie wieder rotgeworden.
Kein Wunder, echt, so 'ne peinliche Antwort!
Nach einer Stunde (oder so) sind wir ENDLICH fertiggewesen. Ich hab mich im Spiegel angeschaut und fand, dass ich total bescheuert aussehe.
»Ich seh total bescheuert aus«, hab ich dem Sebastian gesagt (er hat übrigens NICHT versucht, bei mir in die Umkleidekabine zu spicken, da hat er nochmal Glück gehabt).
»Unsinn, du siehst super aus«, hat er erwidert und mir auf die Schulter geklopft. »Endlich mal ein richtiger Mensch. Tu mir bitte einen Gefallen, und verbrenn die Klamotten, die du bisher getragen hast. Die gehen gar nicht, Alter! Die kannst du höchstens zu deiner Beerdigung anziehen, und selbst dann würden sich die Totengräber weigern, dich damit zu verbuddeln.«
Die Verkäuferin hat schon wieder gekichert. Ich wette, die wollte nur höflich sein.
Tja, und dann hat der Sebastian die obermegapeinlichste Aktion gebracht, die man sich nur vorstellen kann. Er hat zu der Kichererbse gemeint: »Du gefällst mir. Lass uns mal treffen und was zusammen unternehmen.« Und die Verkäuferin hat erwidert: »Ja, gerne. Ich geb dir meine Telefonnummer, einverstanden?«
Was für eine blödsinnige Idee! Was will er denn mit der Nummer von so 'ner Verkäuferin? Ich wette, er hängt jetzt die ganze Zeit am Handy und fragt sie über Klamotten aus.
Mein Gott, der Typ ist sowas von schwul!!!
Aber damit war's immer noch nicht genug, Tagebuch, es ging noch weiter. Nachdem wir bezahlt und den Laden verlassen haben, hat der Sebastian zu mir gemeint: »Komm, Alter, lass uns noch einen Kaffee trinken gehen. Es ist so geiles Wetter heute, das dürfen wir uns nicht entgehen lassen.«
Ich wollte ihm eigentlich antworten, dass ich aus Prinzip keinen Kaffee trinke, weil der nämlich ungesund ist und die Haare ausfallen lässt(das sagt zumindest meine Mutti),aber da hat sich der Sebastian schon eines von diesen Cafés ausgesucht gehabt und sich im Außenbereich in die Sonne gesetzt. Anschließend hat er sich eine Zigarette angezündet.
»Auch eine?«, hat er gefragt und mir die Packung hingehalten.
»Nein«, hab ich erwidert. »Zigaretten sind schlecht für den Körper, sagt meine Mutti. Kaffee übrigens auch. Und deshalb will ich nichts davon haben, sondern nur einen Kakao.«
Er hat mich etwas verwundert angesehen und ein paar Sekunden geschwiegen. Verdammt, warum tun das die Leute in letzter Zeit so häufig? Oder bilde ich mir das nur ein? Manchmal hab ich den Eindruck, dass die Menschen einfach zu blöde sind, um zu verstehen, was ich ihnen sage.
Aber jetzt kommt der größte Knaller des Tages! Halt dich fest und pass auf, das wirst du mir nicht glauben: Nachdem wir unsere Bestellung gekriegt haben – der Sebastian seinen komischen Kaffee und ich meinen Kakao –, da hat er plötzlich zu mir gemeint: »Sag mal, Alter, wie steht's bei dir mit den Frauen? Ich vermute mal, die rennen dir nicht gerade die Tür ein, oder?«
KANNST DU DIR DAS VORSTELLEN???
Dieser ... dieser ... aufgedonnerte … sich vor Verkäuferinnen blamierende … andere Leute an der Schulter angrapschende ... komische … Typ!!! Was bildet der sich ein??? Von der Oma im Supermarkt blöde angequatscht zu werden, war schon ätzend genug gewesen, aber jetzt kommt auch noch DER!!!
Das hab ich natürlich nicht auf mir sitzenlassen. Ich hab mich ganz cool hingesetzt, mit dem Daumen unter dem Kinn und dem Zeigefinger an der Wange (so wie mein Therapeut immer) und hab ganz lässig geantwortet: »Oh doch, und ob die mir die Tür einrennen, du hast ja keine Ahnung!« Und dann hab ich ihm von der Jenny erzählt (Herrgott, wann ruft die endlich an???) und von meinem Video auf YouTube und von ... äh … von … na ja, an der Stelle hab ich mir noch ein paar weitere Geschichten einfallen lassen, von Frauen, die rund um die Uhr bei mir anrufen und mich treffen wollen. Weißt du, Tagebuch, du hättest an meiner Stelle auch so reagiert. Ich konnte mich doch vor diesem Typen nicht blamieren, oder?
Er schien jedenfalls beeindruckt gewesen zu sein. Zumindest denke ich, dass das Bewunderung war, weil, genau genommen hat er mich einfach nur angesehen und geschwiegen. Das kam mir ein bisschen komisch vor, aber erstens ist der Sebastian sowieso ein komischer Kerl (das weißt du ja), und zweitens hat's ihm bestimmt die Sprache verschlagen. Tja, da kann er halt nicht mithalten, mit seinen blöden Klamotten und seinen Haaren und seinen vier Dutzend Schwestern!
Nach ungefähr zwei Minuten, in denen er nur dagesessen ist, hat er sich ein Stück zu mir nach vorne gelehnt und dann gemeint, er hätte da ein sehr gutes Buch für mich, das sollte ich mir unbedingt durchlesen. Es könnte mir bei meinem ›Problem‹ helfen.
Bei meinem PROBLEM!
STELL DIR DAS MAL VOR, TAGEBUCH!
Bei meinem PROBLEM, hat er gesagt!!!
Was bildet sich dieser dämliche Fatzke ein??? Ich hätte gute Lust gehabt, ihm kräftig die Meinung zu geigen, und ich war auch schon am Luftholen gewesen, aber blöderweise ist GENAU in diesem Moment diese dumme Nuss von Bedienung an unseren Tisch gekommen und hat abkassieren wollen, weil ihre Schicht zu Ende gewesen ist.
Und, hey, du wirst es nicht glauben, Tagebuch, aber der Sebastian hat diese hochnotpeinliche Aktion aus dem C&A bei ihr wiederholt! Ja, ganz im Ernst,er hat die Rechnung bezahlt und dann zu ihr gemeint: »Sie bedienen sehr nett. Hat Sie schon mal ein Kunde als Dankeschön zu einem Kaffee eingeladen?«
Und die Nudel von Kellnerin hat mit einem Lächeln erwidert: »Nein, bisher noch nicht.«
»Soll's ein Kunde mal machen?«
»Ja, sehr gerne.«
Daraufhin hat sie ihm ihre Handynummer gegeben.
Ist das zu fassen? Was will er denn mit der Nummer von so 'ner Cafébedienung? Bestimmt stundenlang über Kaffeesorten reden.Der Typ ist hundertvierundfünfzigprozentig schwul!!!
Na ja, wie auch immer, auf jeden Fall bin ich durch diese dumme Nuss nicht dazu gekommen, dem Sebastian meine Meinung zu geigen und ihm zu sagen, dass ich überhaupt kein Problem mit Frauen habe, sondern ein total erfolgreicher Flirtexperte bin. Das wär natürlich gelogen gewesen, aber das muss ich ja DIESEM Typen nicht auf die Nase binden, oder?
Als wir nach 'ner halben Stunde aufgestanden sind und das Café verlassen haben – ich hab ihn während dieser Zeit ignoriert und kein Wort mehr mit ihm gesprochen –, da hat er zu mir gemeint, dass er mir das Buch geben würde, sobald wir wieder zuhause sind. Und ich Idiot hab mit »Okay« geantwortet.
Na super!
Das Ding heißt übrigens ›Das große Aufreißer-Einmaleins‹. Ich hab keine Ahnung, worum'sin dem Ding geht, ich hab noch nicht reingeschaut. Aber schräg finde ich es schon. Ich dachte, dass er mir ein Buch über Frauen geben wollte, und nicht über Reißverschlüsse und Mathematik.
Na ja, was soll's, ist sowieso nicht so wichtig, ich hab nicht vor, den Quatsch zu lesen. Ich werde es ein paar Tage behalten und ihm dann zurückgeben und behaupten, dass ich es ganz toll gefunden hätte. Dann lässt er mich hoffentlich damit in Ruhe! Und diese blöden Klamotten, die wir heute gekauft haben, zeig ich gleich meiner Mutti. Dann kann sie mit eigenen Augen sehen, was für ein Idiot der Sebastian ist und wie wenig Ahnung er hat. Ich werde ihr auch die Geschichte mit der Verkäuferin im C&A und mit der Bedienung in dem Café erzählen, dann sieht sie noch mehr, wie doof der Sebastian ist. Die wird sich bestimmt totlachen.
Okay, so viel für heute, Tagebuch. Ich werde mich gleich an den PC setzen und nochmal versuchen, mit der Jenny Kontakt aufzunehmen. Das MUSS doch irgendwann klappen, Herrgott!!! Und anschließend muss ich Opa Friedhelm seinen dämlichen Köter zurückbringen.
Dieses Mistvieh hat schon wieder in eine Vase gekackt …
… ICH KRIEG DIE KRISE!!!
In Liebe, dein Jürgen.
– Tag 8 –
Liebes Tagebuch,
Ich blick nicht mehr durch!
Gestern Abend hab ich Mutti die Sachen gezeigt, die ich mit dem Sebastian gekauft hab. Und ich war mir sichergewesen, dass sie sich kaputtlachen und mir sagen würde, dass die voll doof aussehen und der Sebastian überhaupt keine Ahnung davon hat, was einem echten Mann wie mir steht – was auch kein Wunder ist, weil er ja schwul ist und die ganze Zeit nur mit seinen Schwestern abhängt.
Aber weißt du, was passiert ist? Sie hat das Zeug – und ich zitiere – ›echt toll‹ gefunden!
Kannst du dir DAS vorstellen???
›Echt toll‹, hat sie gesagt!
Ich fasse es nicht!!!
Ich würde darin total schick aussehen, fast wie ein neuer Mensch und viel, viel sympathischer als vorher.
Kannst du dir DAS vorstellen???
Ich hab schon den Verdacht, dass sie mit dem Sebastian unter einer Decke steckt, um mich zu ärgern, ich weiß nur nicht, warum. Vielleicht wegen der Sache mit Opa Friedhelms Pudel? Gestern Abend haben wir nämlich festgestellt, dass Tinki nicht nur in die schönen, großen Blumentöpfe gekackt hat (und in die kleinen schlanken Vasen), sondern auch in die Suppentöpfe in der Küche. Das ist erst aufgefallen, als Mutti das Abendessen kochen wollte,und sie war nicht begeistert gewesen.Vielleicht will sie sich jetzt dafür rächen. Aber ich kann doch nichts dafür, wenn der blöde Köter überall hinkackt! Was hätte ich denn machen sollen? Dem Vieh einen Korken in den Hintern stecken?
Wobei ... vielleicht wär das tatsächlich eine Möglichkeit ...?
Ach nee, das ist eklig!
Jedenfalls hab ich beschlossen, die Klamotten vorerst anzulassen, allerdings nur, weil ich keine Lust hab, mit Mutti zu streiten. Das ist voll doof, weißt du, sie hat immer so gute Argumente, bei denen ich nicht weiß, was ich erwidern soll. Und das ärgert mich dann.
Aber dieses Buch vom Sebastian werde ich trotzdem NICHT lesen! Hab's extra ganz weit nach hinten in mein Bücherregal geschoben, hinter die ›Hanni & Nanni‹-Bücher, die mir Tante Elsbeth geschenkt hat. Und da bleibt's auch.
Von der Jenny hab ich immer noch nichts gehört. Ich wollte eigentlich nochmal mit ihr Kontakt aufnehmen und ihr klarmachen, dass sie sich schon bei mir melden muss, wenn sie sich die Chance auf ein Date nicht versauen will. Aber weißt du was? Auf dieser Seite, auf der ich letzte Woche ihr Foto gefunden hab, waren plötzlich keine Fotos mehr! Stattdessen war da 'ne riesengroße Werbung für irgendwelche Pillen, die dicken Menschen helfen sollen, größer zu werden. Zumindest stand da irgendwas von: ›Let your dick grow‹. Die Jenny war nirgendwo zu finden gewesen. Echt schräg!
Auf einer anderen Seite gab's eine ›Chantal (19)‹, die auch ganz nett anzusehen gewesen ist und angeblich auch in Stuttgart wohnt, aber die hat sich auf ihrem Foto so komisch zwischen die Beine gegriffen,und das hat mich an die Tussi aus dem Video erinnert – diese eine mit der roten Couch und dem Juckreiz. Da hab ich Angst gekriegt, dass die vielleicht dasselbe Problem haben könnte. Deswegen hab ich mich ganz schnell weggeklickt.
Du merkst also, Tagebuch, im Moment bin ich echt gefrustet! Irgendwie läuft nichts nach Plan, irgendwie ist alles doof und nervig und anstrengend und ätzend! Ich kapier einfach nicht, woran das liegt.
Na ja, schauen wir mal, wie's die nächsten Tage wird.
Ich muss jetzt los, meine Therapie fängt gleich an. Bin mal gespannt, was der Herr Doktor zu allem sagt. Vielleicht hat er ja noch einen guten Tipp oder eine Idee für mich, was ich tun könnte, um mein Ziel zu erreichen. Weil, ich hab festgestellt, dass sechs Monate nicht sooo furchtbar lange sind. Die gehen ganz schön schnell vorbei. Und ich will es doch unbedingt schaffen:
IN SECHS MONATEN WILL ICH EINE FREUNDIN HABEN!!!
Wir werden sehen, ob das klappt.
In Liebe, dein Jürgen.