Hirschbergers Rache - Uli Herzog - E-Book

Hirschbergers Rache E-Book

Uli Herzog

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Beschreibung

Wer wollte Ludwig Hirschberger töten? Nur knapp überlebt der Profiler in der Nähe von Ravensburg einen Anschlag. Aber wer genau hatte Interesse daran, Ludwig Hirschberger aus dem Weg zu räumen? Der Mann aus Wien schwört Rache. Seine abenteuerliche Spurensuche führt ihn nach Las Palmas, Biberach, Ravensburg, Bad Waldsee und Ummendorf. In einem sizilianischen Steinbruch bei Palermo kommt es schließlich zum atemberaubenden Showdown.

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Der Autor

Uli Herzog

Oberschwabe durch und durch, arbeitete dreißig Jahre in Wien als Geschäftsführer einer Werbeagentur. Noch als aktiver Fußballer wurde er zum Pressewart seines Vereins gewählt, weil es kein anderer machen wollte. 1984 musste er in dieser ehrenamtlichen Tätigkeit die Festschrift des Vereins zum 75-jährigen Jubiläum verfassen. Dabei entdeckte er seine Liebe zum Schreiben.

Es dauerte jedoch noch bis zu seiner Verrentung, ehe er im Jahr 2015 seinen ersten Kriminalroman »Mord am Schützensamstag« veröffentlichte. Es folgten »Frauenduft«, »Endstation Biberach und »Gesucht: Gold-Finger aus Ravensburg«. »Hirschbergers Rache« ist sein fünfter Krimi mit Ludwig Hirschberger, einem pensionierten Top-Fallanalytiker, als privater Ermittler.

Herzog lebt in Altshausen im Herzen Oberschwabens. Seine Hobbys sind neben dem Schreiben seine vier Enkel und das Radeln und Wandern durch die Weite der oberschwäbischen Heimat mit ihren unzähligen Seen und Weihern. Er besitzt zwar kein Domizil auf den Kanaren, macht aber gerade im Winter sehr gerne Urlaub auf Gran Canaria. Jener Insel, die so unendlich viel mehr zu bieten hat als nur Strand, Meer und Dünen und deren Klima er besonders schätzt.

Sein Krimi-Held Ludwig Hirschberger hat zwar denselben Lebenslauf wie sein Erfinder, ist aber ein ganz anderer Mensch. »Mir fehlt sein Hang zum Workoholic und seine unglaubliche Souveränität«, so der Autor Uli Herzog.www.krimi-uli-herzog.de

Titel

Uli Herzog

HIRSCHBERGERS RACHE

Ein Oberschwaben-Krimi

Oertel+Spörer

Impressum

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen.Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2024Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.Titelbild: Sepp FuchshuberGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenLektorat: Elga Lehari-ReichlingKorrektorat: Sabine TochtermannSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-96555-172-5

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Dieses Buch widme ich all jenen Autoren, die mich mit folgenden Büchern (ihre Titel in Klammern) inspiriert haben, zu schreiben.Mark Twain (Tom Sawyer und Huckleberry Finn)Karl May (Winnetou I)Hans Hellmut Kirst (Null-Acht-Fünfzehn)Morris L. West (Des Teufels Advokat)Johannes Mario Simmel (Und Jimmy ging zum Regenbogen)Hans Habe (Die Mission)Ken Follett (Die Nadel)Jussi Adler-Olsen (Das Alphabet-Haus)Ernest Hemingway (Der alte Mann und das Meer)Michael Boenke (Gott’sacker)Sie haben mich ermuntert, es auch einfach mal zu versuchen. Dafür ein herzliches Dankeschön.

PROLOG

Sie mussten unbedingt die Lage noch einmal sondieren, bevor sie die verräterischen Unterlagen abholen konnten. Wurden sie beobachtet? War ihnen irgendjemand unauffällig gefolgt? War eine Handycam auf sie gerichtet?

Ludwig war in solchen Fragen sehr erfahren, Gernot als forensischer Psychiater und reiner »Schreibtischtäter« hingegen kaum. Nichts, was sie gesehen hatten, ließ an einem März-Tag in Las Palmas auf Gran Canaria einen solchen Verdacht zu. Bald würden sie bei Abogado Victor Domingo die Dokumente in Empfang nehmen und mit ihnen nach Deutschland zurückkehren. Genauer: zu Dr. Bellmann, dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Ravensburg.

Doch so ganz einfach war diese Sondierung nicht. Wie immer war der Parque Santa Catalina ziemlich gut besucht. Die Menschen gingen dicht gedrängt zwischen der üppigen Bepflanzung, Kiosken und Straßencafés umher, sie stießen auch auf das Denkmal für den alten Schuhputzer, der in den 1970er- und 80er-Jahren ob seiner überragenden Fertigkeiten zur Legende geworden war.

Ludwig ließ sich auf einer Bank nieder – Hüftschmerzen. Nach dem Attentat vor fast zwei Jahren war ihm erst vor Kurzem eine Kugel aus seiner Hüfte entfernt worden, was Spuren hinterlassen hatte.

»I muaß mi niedersetzen.«

»Host wieder Schmerzen, Wiggerl?«

»Die Hüfte macht mir wieder Probleme. Ich glaube, wir werden eine Wetterveränderung bekommen. Immer dann tut mir die Hüfte höllisch weh«, raunzte Ludwig.

»Sei froh, dass dir überhaupt noch was weh tut«, versuchte ihn Gernot Heubl zu trösten.

»Du hast recht Gernot«, meinte Ludwig. »Als ich in Heidelberg in der Klinik aufgewacht bin, hatte ich nur den Wunsch, sie auf eigenen Füßen zu verlassen. Und jetzt jammere ich, weil mir die Hüfte wehtut.«

»Als ich Kind war, hatten Wünsche die Eigenschaft, nach ihrer Erfüllung anders auszusehen als vorher. Das besserte sich im Erwachsenenalter zusehends«, antwortete Gernot.

»Womit wieder einmal glasklar bewiesen ist, dass manche Menschen niemals erwachsen werden. Mich eingeschlossen«, konterte Ludwig grinsend.

Wie um zu beweisen, dass er mit seinen Schmerzen fertig wurde, erhob sich Ludwig von der Bank mit einem Ruck. Der forensische Psychiater folgte ihm stirnrunzelnd.

Im selben Augenblick vernahm Ludwig hinter sich ein bekanntes Geräusch. Ein Motorrad, was in diesem für den Verkehr absolut gesperrten Parque sehr verwunderlich war. Schnell drehte er sich um und bemerkte ein schwarzes Bike. Darauf zwei Männer, schwarz gekleidet. Der Fahrer trug ein Visier über das gesamte Gesicht, beim Beifahrer konnte man die Augen erkennen. Als das Motorrad näherkam, sah Ludwig plötzlich etwas metallisch Blinkendes in der Hand des Beifahrers. Und er konnte ihm in die Augen sehen.

Ein Déjà-vu – die Augen des Todes.

Im Bruchteil einer Sekunde erkannte Ludwig, dass er in diese Augen geblickt hatte, als vorletztes Jahr zwischen Zogenweiler und Fronhofen bei Ravensburg in Oberschwaben ein Attentat auf ihn verübt und seine Begleiterin Mariana Popolescu, für deren Schutz er sich verantwortlich fühlte, getötet worden war. Er selbst war übelst verletzt worden, hatte monatelang im Koma gelegen und hätte ohne die Hilfe von Gernot Heubl, der jetzt neben ihm stand, wohl nicht überlebt.

Instinktiv ließ sich Ludwig fallen und riss geistesgegenwärtig Gernot Heubl mit. Im selben Augenblick hörten sie die Salve aus einer Kalaschnikow. Noch auf dem Boden liegend drehte sich Ludwig um, um vielleicht die Nummer des Motorrads zu erkennen. Es hatte eine vor lauter Schmutz nicht lesbare Nummer. Er konnte noch sehen, dass die Maschine in die Calle Nicolás Estévanez einbog und mit Vollgas davonfuhr.

»Alles klar bei dir?«, fragte Ludwig ängstlich, als er sah, dass Gernot regungslos auf dem Boden lag.

Der aber hatte vor lauter Schreck nur den toten Maikäfer gespielt.

»Hearst, jetzt hätt ich mich beinah angeschissen. Mit dir geh i nirgendwo mehr hin. Do bist jo in Lebensgefahr, du Irrer, du Wahnsinniger. Foahr ma ham und lassen die Mafia Mafia sein.«

»Dafür, dass ich dir grad das Leben gerettet hab, bist ganz schön unfreundlich«, mokierte sich Ludwig. »Aber jetzt steht’s eins zu eins.«

»Naa, immer no hundert zu aans für mii.«

»Nur gut, dass wir sie nicht mitgenommen haben«, sagte Ludwig.

»Wen?«, fragte Gernot ziemlich irritiert.

»Na, die Gabi!«

»Jessas!«

Jetzt erst bemerkten die beiden den Menschenauflauf, der zwischenzeitlich entstanden war. Und auch jetzt erst bemerkten sie, dass in ihrer unmittelbaren Umgebung vier tote Tauben lagen. Opfer des Anschlags, der eigentlich ihnen gegolten hatte. Aufsehen war das Letzte, was sie gebrauchen konnten, also machten sie sich schleunigst aus dem Staub.

Nur der Mann, der sie mit einem Fernglas von einem Fenster aus beobachtete, wusste, um wen es sich bei den beiden Männern handelte und was sie vorhatten. Zeit zu handeln, sagte er sich.

War das alles Glück? Oder gar eine göttliche Fügung? Oder hatte da irgendjemand dem Genossen Zufall in die Hände gespielt? Egal. Ludwig war jedenfalls froh, dass er nach seiner Operation in der Chirurgie der orthopädischen Abteilung der Stuttgarter Sportklinik zur Reha nach Bad Waldsee eingewiesen worden war. Bad Waldsee, gerade mal zwanzig Kilometer von seiner Geburtsstadt Biberach entfernt, in der Mitte zwischen Ravensburg und Biberach.

OP und Reha waren notwendig, weil er bei dem fürchterlichen Mordanschlag* nicht nur einen Kopfschuss erlitten hatte, sondern auch diesen Schuss direkt in die Hüfte. Nicht nur, dass er das irrsinnige Glück hatte, das Attentat zu überleben, obwohl man ihm gerade mal eine Überlebenschance von fünf bis zehn Prozent eingeräumt hatte, nein, auch dass man die Geschosshülse nur aus dem Hüftknochen und nicht aus dem Hüftgelenk entfernen musste, war schon fast unverschämtes Glück.

* Was vorher geschah – eine Zusammenfassung der Geschehnisse aus »Vermisst: Goldfinger aus Ravensburg« finden Sie hier.

Dass er jetzt Ende Februar »nur« auf zwei Krücken gestützt um den pittoresken und wunderschönen kleinen Stadtsee der Kurstadt spazieren konnte, hätte er sich vor wenigen Wochen noch nicht vorstellen können. Gerade befanden sie sich an der Stelle, an der man im Sommer Boote mieten konnte. Eine uralte Holzbaracke, die es schon gegeben hatte, als Ludwig im Alter von zwölf Jahren mit seinen Freunden Lothar und Richard von Biberach nach Bad Waldsee geradelt war, nur um einmal mit dem Bootle auf dem See umherzufahren. Lieber wäre es ihnen damals gewesen, auf dem Bodensee zu schippern, aber der war sechzig Kilometer entfernt, Waldsee nur etwa zwanzig. Sie fuhren mit ihren Rädern auf der Bundesstraße, heutzutage unvorstellbar. Damals hatte sich keiner der drei etwas dabei gedacht.

Jetzt begleitete ihn Dr. Gernot Heubl zusammen mit seiner Lebensgefährtin Gabi Maurer auf dem knapp zwei Kilometer langen Uferweg. Heubl war der Mann, dem er sein Leben zu verdanken hatte. Er war es, der ihn aus dem scheinbar hoffnungslosen Koma befreit hatte. Im aktiven Dienst hatte er als forensischer Psychiater dem Analyse-Team um den Profiler Ludwig Hirschberger beim Innenministerium in Wien angehört.

Gabi war Hirschbergers unglückliche Jugendliebe. Als er vor mehr als zwanzig Jahren den brutalen Mord an ihrem Ehemann hatte aufklären können, waren sie sich wieder nähergekommen. Ludwig hing damals aber zu sehr an seiner geschiedenen Frau Lea und war für eine neue Beziehung nicht bereit. Das kam seinem Freund Gernot gerade recht: Nach einem gemeinsamen Einsatz der beiden ehemaligen Kollegen hatten sich Gernot und Gabi kennen- und lieben gelernt, mit der Folge, dass der eingefleischte Wiener völlig überraschend von Wien zu ihr ins Oberschwäbische nach Biberach gezogen war.

Es war einer jener Februartage, an denen man schon glaubte, den Frühling riechen zu können. Der warme Wind ließ die Wasseroberfläche kräuseln und die Temperaturen erinnerten eher an den Mai als an den Februar. Föhn: ein Wetterphänomen, das man in der Nähe der Alpen öfters verspüren konnte. Mit seiner warmen Zunge hatte er die restliche Schneedecke einfach weggeschleckt.

Sie kamen jetzt zum nördlichen Teil des Sees. Oberhalb lag der Bahnhof von Bad Waldsee und direkt neben dem Fußweg, den in der wärmeren Jahreszeit wunderschön bepflanzte Rabatten säumten, befand sich die Straße, die ehemalige B 30, bevor Waldsee eine Umgehungsstraße erhielt. Wer von hier in Richtung Biberach fuhr, erreichte direkt hinter einem Bahnübergang ein großes Wohnwagen- und Wohnmobil-Werk. Erich Bachem, einer der Wunderwaffen-Konstrukteure im Zweiten Weltkrieg, hatte hier seine »Natter« entwickelt und gebaut. Nach dem Krieg wollte er sich einen Wohnanhänger für sein Auto bauen. Dabei traf er auf Erwin Hymer, der eigentlich Viehanhänger für die in Oberschwaben damals noch weit verbreitete Landwirtschaft herstellte. Den Wohnwagen bauten sie gemeinsam – die Keimzelle einer Weltfirma.

Ein Schwanenpaar schwamm nah am Ufer. Das Männchen schlug mehrmals mit den Flügeln aufs Wasser und warnte so die Spaziergänger, näher zu kommen, wie immer kurz vor der Brutzeit besonders wachsam und aggressiv.

Die beiden Männer waren aber zu sehr in ihr Gespräch vertieft, als dass sie die Schwäne wahrgenommen hätten.

»Hearst Wiggerl«, meinte Gernot in seinem typischen Wiener Dialekt, »dass mir do heit mitanand z’Fuß um den kleinen See gehen können, is scho a Wunder. Du kannst jo bald wieder Fußball spiln.«

»Das wird wohl doch noch eine Weile brauchen«, feixte Ludwig. »Aber nächste Woche, so meinen die Ärzte, kann ich die Krücken weglegen und eine Woche später nach Wien fahren, wo mich endlich wieder jemand erwartet.«

Er spielte damit auf seine geschiedene und zwischenzeitlich verwitwete Ex-Ehefrau Lea an, mit der er einen gemeinsamen Sohn und eine Enkeltochter hatte. Nach mehr als zwanzig Jahren Trennung hatten sie wieder zusammengefunden und Ludwigs Lust auf ein Ende seines Junggesellenlebens war nahezu grenzenlos. Doch eines wusste er ganz genau: Bevor er sich in sein verdientes Pensionisten-Dasein zurückziehen konnte, hatte er noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen.

Der Anschlag, der ihn um Haaresbreite ins Jenseits verfrachtet hätte und bei dem eine Frau getötet wurde, für deren Schutz er sich verantwortlich fühlte, musste aufgeklärt und gesühnt werden. Dass man so etwas mit einem Ludwig Hirschberger nicht machen konnte, war jedem bewusst, der jemals mit ihm zu tun gehabt hatte.

Dazu war als allererster Schritt eine Reise zu einem Abogado in Las Palmas auf der Kanaren-Insel Gran Canaria notwendig, bei dem Ludwig wenige Tage vor dem Attentat Unterlagen deponiert hatte. Äußerst brisante sogar, die Ludwig einem Capo der Cosa Nostra aus dessen Hubschrauber entwendet hatte.

Giorgio, so hieß dieser Capo, war allem Anschein nach für den Anschlag verantwortlich. Er leitete die Orca, einen Seitenarm der Cosa Nostra, der sich mit der Hehlerei beschäftigte. Deren gesamte Vertriebswege, die jeweils verantwortlichen Personen und alle Bestochenen in verschiedenen Ämtern in aller Welt, die der Orca ihr Tun ermöglichten, waren in diesen Unterlagen vermerkt. Allerdings mit codierten Namen. Kein Wunder also, dass die »ehrenwerte Gesellschaft«, wie man die Mafia landläufig bezeichnete, allerhöchstes Interesse daran hatte, sich dieser Unterlagen zu bemächtigen. Nachdem auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden von diesen Unterlagen wusste, hatte es Ludwig unter seinen besonderen Schutz gestellt, was dem erfahrenen Fallanalytiker natürlich nicht entgangen war.

Wahrscheinlich war es das BKA, das dafür gesorgt hatte, dass er hier in Bad Waldsee seine Reha bekam. Eigentlich hatte seine Krankenkasse in Wien eine Reha in Bad Tatzmannsdorf im Burgenland vorgesehen. Das aber wäre weitaus weniger luxuriös gewesen als das, was ihm hier in Bad Waldsee geboten wurde. Deshalb, dachte Ludwig, geht das BKA auch davon aus, dass ich nach meiner Reha ganz eng mit ihnen an diesem Fall weiterarbeiten werde. Er selbst war davon allerdings nicht angetan, denn sein Verdacht, ein Maulwurf würde für die Cosa Nostra als Verbindungsmann in Wiesbaden sitzen, hatte sich durch ein Ereignis wesentlich erhärtet, durch einen unangenehmen Besuch vor ein paar Tagen. Im weitläufigen Garten des Kurgeländes war plötzlich eine ältere Dame mit einem Kinderwagen aufgetaucht. Als sie an Ludwig vorbeiging, sagte sie unvermittelt:

»Wenn die Unterlagen aus Las Palmas beim BKA landen, bist du fällig. Noch einmal kommst du nicht davon!«

Von dieser Begegnung, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, erzählte Ludwig natürlich keiner Menschenseele etwas. Irgendwie kam ihm das Gesicht dieser Frau bekannt vor. Es war zwar gekonnt entfremdet, sodass es Ludwig nicht möglich war, die Person zu identifizieren, dass sie aber künstlich gealtert war, konnte Ludwig ganz klar erkennen. Wer konnte diese Frau sein? Wie alt war sie in Wirklichkeit? Wo war er ihr schon einmal begegnet? Woher kam ihm diese schrille Stimme so vertraut vor, obwohl sie, deutlich hörbar, verändert worden war?

Nachdem er trotz intensivster Überlegungen nicht darauf kam, dachte er darüber nach, was diese Aufforderung bezweckte. Es war eindeutig: Wer sie veranlasst hatte, wollte oder musste der Unterlagen habhaft werden, bevor Ludwig diese nach Wiesbaden bringen konnte. Die Cosa Nostra wusste also, wo er war, was er vorhatte und vor allem, welche Gefahr von ihm, dem pensionierten Fallanalytiker, für die Organisation ausging.

Das war allerdings nicht das einzige Ungemach, welches drohte.

»Mich hat der Sektionschef vom Innenministerium in Wien angerufen«, sagte Gernot Heubl. »Sie wollen diese Unterlagen um jeden Preis haben. Nachdem wir beide früher für das Innenministerium gearbeitet haben, sei es ja wohl keine Frage, wem wir diese Unterlagen übergeben, meinen die Hanserln.«

»Aha, da will sich noch jemand mit meinen Federn schmücken«, erwiderte Ludwig und grinste. »Aber da wird nichts draus. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Orca auch dort einen Maulwurf sitzen hat. Außerdem hält sich meine Loyalität seit dem Vertrauensbruch des Hofrats Pöltinger sehr in Grenzen.«

Vor mehr als zwanzig Jahren war Ludwig zu Unrecht in dem Mordfall seines Freundes Robert Maurer, dem früheren Ehemann von Gabi Maurer, der jetzigen Lebensgefährtin von Gernot Heubl, verdächtigt und von seinem Vorgesetzten Hofrat Pöltinger wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen worden. Trotz der riesigen Meriten, die sich Ludwig erworben hatte. Diese Gemeinheit und Verlogenheit seines damaligen Chefs konnte er bis zum heutigen Tag nicht vergessen.

»Gernot«, sagte Ludwig schließlich mit ernster Miene, »es bleibt uns nichts anderes übrig: Wir müssen die Unterlagen in Las Palmas holen, ohne dass es jemand von den dreien merkt!«

»Drei?«

»Ja klar. BKA Wiesbaden, Innenministerium Wien und die Cosa Nostra in Palermo.«

»Ui.« Gernot schnalzte mit der Zunge. »Des is a Melange! Und du glaubst, des wird gehn? Des wird ned gehn, schmink dir das ab.«

»Ich habe gar keine andere Wahl, wenn ich das Ganze überleben will«, antwortete Ludwig energisch. »Wenn die Cosa Nostra erst den Inhalt der Unterlagen gesichert hat, bin ich das einzige Individuum, das ihnen noch gefährlich werden kann. Also muss ich weg!«

»Bist du deppert?« Gernot sagte das eher allgemein als an Ludwig gewandt. Aber ihm war klar, dass der Freund recht hatte, dazu war er zu viele Jahre in seinem Team gewesen. »Und wie willst des anstellen?«

»Ganz einfach. Wir holen die Unterlagen unbemerkt aus Las Palmas ab«, lautete die Antwort im Brustton der Überzeugung.

»Ah so?« Gernot wurde zynisch. »Gaaaanz einfach. Mia zwoa foarn nach Las Palmas, gehen zum Abogado Domingo, schlagn do auf und holen die Unterlagen ab. Und keiner merkt’s? Host jetzt jeden Realitätssinn verloren? Und i Trottel hab glaubt, du hast des Ganze unbeschadet überstandn.«

Ludwig ging darüber hinweg. Er wusste genau, dass der forensische Psychiater ihn weder beleidigen noch für wahnsinnig erklären wollte. Nein, Gernot Heubl wollte ihn herausfordern.

»I muaß no a paar Dinge recherchieren. Komm bitte übermorgen noch einmal her. Und bring die Gabi wieder mit. Die muss auch mit nach Las Palmas.«

Ludwig sah seiner Jugendfreundin nach, die ein paar Schritte vorauslief, weil sie ahnte, dass sich die beiden über etwas unterhielten, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.

»Und du willst die Gabi dieser Gefahr aussetzen? Du willst diese zarte, zerbrechliche Person in die Fänge der Mafia führen? Schmink dir das ab. Wenn du das forderst, bin ich nicht mehr in deinem Team. Basta«, sagte Gernot Heubl derart energisch, dass Ludwig keinen Zweifel daran haben konnte, dass er es ernst meinte.

»Sieh doch Gernot«, rechtfertigte sich Ludwig, »mein Plan ist ja, niemand soll etwas davon mitbekommen, dass wir nach Las Palmas aufbrechen. Nach dem Tod von Samuel Finger haben die doch ihre Zelte dort längst abgebrochen und sind vermutlich längst über alle Berge.«

»Und wenn nicht? Was ist dann? Nein, nein, Wiggerl, wenn das Ganze nicht wasserdicht ist, bleibt die Gabi in Biberach.«

Sie verabschiedeten sich. Gabi und Gernot fuhren zurück nach Biberach, während Ludwig wieder in die Reha-Einrichtung zurückhumpelte.

Noch am Abend telefonierte er mit Thomas Egger, seinem Nachfolger als Fallanalytiker in Wien. Dieser Thomas Egger hatte Ludwig sehr viel zu verdanken und half ihm prinzipiell gerne. Er scheute sich auch nicht davor, Ludwig mit Interna zu bestimmten Fällen zu versorgen, wusste er doch, wie verschwiegen sein Vorgänger war.

»Servus Thomas.«

»Servus Chef«, antwortete Egger, der auch nach zwölf Jahren immer noch diese Anrede pflegte.

»Hearst, i brauch wieder was von dir.«

»Schieß los.«

»Du musst für mich herausfinden, wie ich möglichst unerkannt auf die Insel Gran Canaria komme. Ich meine unerkannt für die Behörden.«

»Oh Gott, da hat einer wieder was Besonderes vor. Ich weiß nicht, ob so etwas überhaupt geht, aber ich mach mich schlau«, kam es gequält zurück, da Ludwigs Bitte seinem Nachfolger sehr kryptisch vorkam.

»Dank dir, Thomas, glaube mir, was ich da vorhabe, ist die einzige Chance, um das ganze Theater hier zu überleben«, versuchte Ludwig ihn zur Höchstleistung herauszufordern.

»Aber du hast doch überlebt, Chef!«

»Die Sache ist leider noch lange nicht ausgestanden, Thomas. Das geht jetzt erst richtig los.«

»Dann pass ja auf dich auf, Chef! Servus. Du hörst von mir!«

Danach rief Ludwig bei Lea an, seiner früheren Frau und der Mutter ihres gemeinsamen Sohnes. Dieser Anruf war eminent wichtig, erschien ihm aber wesentlich unangenehmer. Denn er hatte ihr hoch und heilig versprochen, nie mehr zu ermitteln. Das war die Voraussetzung dafür, dass er wieder bei ihr einziehen durfte, wenn seine Reha beendet war. Ihr jetzt zu sagen, dass er gar keine andere Wahl hätte, als zu ermitteln, war ihm nicht nur höchst unliebsam, er befürchtete, dass dies sogar das endgültige vorzeitige Ende für ein neues privates Glück bedeuten könnte. Seine einzige Chance war, Lea völlig reinen Wein einzuschenken. Schließlich war sie ja selbst einmal Polizistin gewesen und zwar eine verdammt gute. Womöglich würde sie die Wahrheit überzeugen. Einen Versuch war es wert.

Nach kurzem Small Talk kam Lea sofort auf den Punkt. Sie kannte Ludwig besser als irgendein anderer Mensch auf diesem Planeten und wusste schon nach den ersten Worten, dass er etwas zu beichten hatte.

»Wiggerl, sag mir sofort, was los ist!« Ihre Ansprache ließ keine Zweifel offen.

»Hearst, hier ist so ziemlich alles aus dem Ruder gelaufen, was nur aus dem Ruder laufen kann, Lea. Der Gernot und ich haben herausgefunden, dass im BKA Wiesbaden und womöglich auch im BKA Wien ein Maulwurf der Orca, wahrscheinlich sogar der Cosa Nostra sitzt.«

Lea schwieg. Das schätzte er sehr an ihr, dass man ihr komplexe Vorgänge in allen Einzelheiten erklären konnte, ohne dass sie einen unterbrach. Und dass sie sehr präzise zuhören konnte. Das ersparte Wiederholungen und unnötige Diskussionen.

»Normalerweise«, fuhr Ludwig fort, »würde mich das nicht tangieren, aber es gibt da ein Problem: Ich habe die Unterlagen, die ich in Las Palmas hinterlegt habe, grob überflogen und kenne ungefähr deren Inhalt. Die Dringlichkeit, mit der sowohl Wiesbaden als auch Wien diese Unterlagen so zwingend anfordern, könnte ziemlich sicher daran liegen, dass es der Maulwurf oder die Maulwürfe selbst waren, die die Unterlagen angefordert haben, um sie dann gegen relativ harmloses Material austauschen zu können. Der Einzige, der dem im Weg steht, bin also ich.«

»Puh, da bist du ja wieder in eine richtige Scheiße getreten.«

Noch nie im Leben hatte Ludwig aus dem Munde Leas ein derartig ordinäres Wort gehört. Also musste sie den Ernst der Lage blitzartig begriffen haben.

»Und, was wirst jetzt tun?«, fragte sie.

»Es gibt nur eine Möglichkeit. Ich muss die Angelegenheit selbst zu Ende bringen!«

»Kannst du nicht der Kommissarin Lüscher und dem Staatsanwalt Bellmann die Unterlagen übergeben?«

»Theoretisch schon«, meinte Ludwig, »aber die sind gegenüber dem BKA auskunftspflichtig, wenn eine entsprechende Anfrage kommt. Und einweihen kann und will ich die beiden nicht. Ich würde sie ja in Gefahr bringen! Genauso wie den Thomas Egger in Wien.«

»Und was willst du jetzt tun?«

»Ich werde mit Gernot nach Las Palmas fliegen. Inkognito. Und ich werde die Unterlagen hier in Deutschland an einem sicheren Ort hinterlegen, bis wir herausbekommen haben, wer dieser Maulwurf ist oder diese Maulwürfe sind.«

»Jesus Maria, do nimmst du dir aber was vor, Wiggerl.« Lea wirkte schon besorgt. »Die Namen wirst weder in Wiesbaden noch in Wien erfahren!« Das hatte die frühere Polizistin sofort begriffen. »Also musst du in die Höhle des Löwen! Nach Sizilien! Sobald du die Unterlagen von diesem Anwalt bekommen hast.«

»Genauso ist es. Ich muss die ganze Chose dort unten zu Ende bringen. Das ist meine einzige Chance.«

»Da geh ich mit«, rief Lea spontan aus.

»Auf gar keinen Fall, ich gehe mit dem Gernot da alleine hin.«

»Das sind zwei lebensgefährliche Reisen für dich. Wiggerl. Und das mit deiner kaputten Hüfte. Du kannst ja noch nicht einmal mehr fliehen. Wie willst denn des überhaupt anfangen, inkognito nach Las Palmas zu kommen? Des wird schon amal gar nicht funktionieren!«

Lea kannte sich einfach zu gut aus; schließlich war sie als Sicherheitsbeamtin lange genug am Wiener Flughafen Schwechat tätig gewesen.

»Der Thomas versucht gerade, mir eine Möglichkeit zu eruieren.«

»Und dann weiter nach Palermo. Sich den Löwen zum Fraß vorwerfen. Dafür bin ich wochenlang neben deinem Bett gesessen? Dafür habe ich den Spinner Heubl geholt? Dass du jetzt zwei selbstmörderische Reisen unternimmst?«

Doch Leas Appell fruchtete nicht.

»Wenn du mir eine andere Chance offerierst, wenn du mir garantieren kannst, dass ich zu Hause sicherer bin, gerne. Aber die Alternative gibt’s nicht. Wenn du schon in den Krieg ziehen musst, dann möglichst weit weg, damit du nicht auch noch deine Heimat hineinziehst.«

Lea sah ein, dass Ludwig recht hatte. Also gab sie nach.

Es war am nächsten Tag. Gleich nach dem Mittagessen hatte er eine Anwendung. Danach ging er auf sein Zimmer und sah auf dem Prepaidhandy, das er aus Sicherheitsgründen jetzt benutzte und dessen SIM-Karte er wöchentlich wechselte, eine Nachricht von Thomas Egger. Er solle zurückrufen.

»Chef! Es gibt da tatsächlich eine Möglichkeit. Das Immigrationsministerium der Verwaltung der Kanaren verlangt keine Namen der Passagiere auf innerkanarischen Flügen. Es gibt zwar Passagierlisten der Fluglinien Binter Canarias und Canaryfly, die werden aber prinzipiell gelöscht, wenn die Passagiere den Flieger verlassen haben. Das hat sich die Regierung der Kanaren ausdrücklich in ihren Autonomievertrag mit der spanischen Zentralregierung und der EU schreiben lassen. Der innerkanarische Verkehr ist völlig frei. Du musst nicht einmal deinen Personalausweis vorzeigen. Das heißt aber auch, du musst von einer anderen Insel der Kanaren in Las Palmas landen!«

»Bum, du bist a Held, Thomas. Super. Ich dank dir vielmals.«

»Sag mal, du wirst jetzt aber nicht auf eigene Faust nach Las Palmas fliegen?«

»Nein, ich schicke einen Vertrauensmann dort hin. Aber auch der sollte geheim bleiben.«

»Na ja. Du musst wissen, was du tust, Chef.«

Mit dieser Antwort signalisierte Thomas Egger, dass er die Nachricht verstanden hatte. Ludwig belog ihn absichtlich, damit er seinen Nachfolger nicht in Schwierigkeiten brachte, sollte der befragt werden.

Mit Eggers Mitteilung nahm Ludwigs Plan Konturen an. Jetzt musste es nur noch gelingen, ein Hotel zu finden, das es mit den Meldelisten nicht so genau nahm. Auch hierfür wusste er eine Lösung: Abogado Victor Domingo.

Sofort teilte er Lea die erfreuliche Nachricht mit.

»Dann nehmt’s die Freundin vom Gernot mit«, meinte sie nach kurzem Überlegen. »Die soll mit ihrer Kreditkarte alles bezahlen, dann taucht kein Name von euch je auf. Und wo werd’s schlafen?«

»Unter den Brücken von Las Palmas!« Ludwig lachte. »Nein, ich lasse mir vom Abogado ein Privatzimmer vermitteln. Außerdem war das eh mein Plan, die Gabi mitzunehmen.«

»Okay, das hört sich so weit vernünftig an. Wen werdet ihr einweihen?«

»Niemanden, das ginge gar nicht.«

»Und wie willst du unerkannt von deiner Reha verschwinden?«

»Am Freitag um 11 Uhr 30 habe ich immer die letzte Anwendung. Danach ist Schluss. Viele Kurgäste verlassen danach das Sanatorium und fahren nach Hause, obwohl sie das nicht tun sollten. Aus dem Grund ist der Speisesaal am Wochenende auch nur halb gefüllt. Wenn ich sofort nach 12 Uhr verschwinde, merkt das vor Montag 9 Uhr kein Mensch. Wenn alles super läuft, bin ich am Montagabend wieder dort und kann mir eine Ausrede suchen. Vielleicht wirft man mich aus der Reha. Die ist aber eh bald vorbei. Was ich allerdings tun werde, ist, mir eine Verlängerung beantragen für eine weitere Woche. Dann kommt keiner auf die Idee, dass ich mich abseilen will.«

»Hört sich in der Theorie ganz gut an. Jetzt muss es sich noch in der Praxis beweisen. Du weißt ja selbst, wie das beim letzten Mal ausgegangen ist!«

Lea machte ihn in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam, dass der letzte Plan dieser Art, den er ausgeheckt hatte, um die schöne Rumänin Mariana Popolescu und sich zu retten, nicht nur gründlich danebengegangen, sondern auch der Grund war, warum er sich in der Reha befand.

»Ja, aber dieses Mal habe ich den Gernot dabei, das ist ein absoluter Profi, der würde nicht wegen einer albernen Armbanduhr eine ganze Aktion gefährden, wie es die Frau Popolescu getan hat.«

»Host a wieder recht. Aber informiere mich über jeden Schritt. Hast du das verstanden?«

»Ja!«

»Versprich es!« Lea ließ nicht locker.

»Ich verspreche es. Hoch und heilig.«

Ludwig hatte nicht vor, Gabi mit in diese Sache hineinzuziehen. Dazu war sie zu gefährlich. Er wollte nicht, dass noch einmal eine Unschuldige ums Leben kam bei diesem Höllentrip. Denn dass das ein Höllentrip werden würde, stand unzweifelhaft fest. Schon, dass er den Gernot Heubl mitnehmen wollte, war grenzwertig. Aber der war wenigstens ein im Polizeidienst erfahrener und gestählter Mann.

Noch etwas hatte Ludwig Lea gegenüber beschönigt. Ihm war bewusst, dass er diese Geschichte niemals zwischen Freitagnachmittag und Montagvormittag durchziehen konnte. Die Zeit würde einfach nicht reichen. In seinen Vorplanungen hatte er dafür mindestens eine Woche veranschlagt.

Gernot Heubl war aber nicht nur erfahren, sondern auch sehr viel vorsichtiger als Ludwig. Seit seiner Verletzung schien Ludwig zum Hasardeur geworden zu sein. Als erfahrener Psychiater wusste Dr. Heubl allerdings, dass manche Menschen, die dem Tod gerade mal eben so von der Schippe gesprungen waren, zu übertriebenem Risiko neigten.

Deshalb suchte er Dr. Bellmann auf, als dieser gerade in Biberach weilte. Der Leitende Oberstaatsanwalt aus Ravensburg und der forensische Psychiater vertrauten einander, weshalb ihn Gernot Heubl über Ludwigs abenteuerlichen Plan informierte, natürlich nur informell. Dr. Bellmann zog die Kommissarin Gerlinde Lüscher hinzu. Nachdem der forensische Psychiater die beiden in Ludwigs Pläne eingeweiht hatte, vereinbarten die drei absolute Vertraulichkeit. Diese Reise zu unterbinden, schien allen realitätsfern. Schließlich kannten sie Ludwig Hirschberger nur zu gut. Gerlinde Lüscher brachte es auf den Punkt:

»Das können wir dem hundert Mal verbieten, der goht oinaweag.«

Der Saarländer Dr. Bellmann und der Wiener Dr. Heubl konnten mit dem letzten Wort absolut nichts anfangen. Wie aus einem Munde fragten sie:

»Wie geht der?«

»Oinaweag oder wellaweag. Das ist tiefstes oberschwäbisch. Das versteht ihr natürlich nicht. Es bedeutet, dass wir tun können, was wir wollen, Ludwig wird diese Reise so oder so unternehmen.«

»Aber was können wir tun, um diese Sache einigermaßen abzusichern?«, fragte Bellmann besorgt.

»Wir rüsten das Handy von Ihnen, Herr Dr. Heubl, mit einem GPS-Tracker aus. Dann wissen wir wenigstens, wo Sie beide sind«, stellte die Kommissarin erste Überlegungen an.

»Oder wo ihr unsere Leichen finden könnt«, fügte Gernot sarkastisch hinzu und ergänzte: »Wichtig ist, dass weder das BKA Wiesbaden noch das BKA Wien von der Aktion erfahren. Hirschberger ist sich sicher, dass mindestens ein Maulwurf in Wiesbaden für die Cosa Nostra arbeitet. Er vermutet zudem einen Maulwurf in Wien, ist sich dessen aber nicht zu hundert Prozent sicher.«

»Na dann geben Sie mir mal Ihr Handy, Dr. Heubl«, meinte Gerlinde Lüscher.

Gabi war alles andere als begeistert, als sie von dem Plan erfuhr.

»Ich soll mit nach Gran Canaria? Ihr seid ja komplett bescheuert. Da könnt ich mich ja gleich vom Liebherr-Hochhaus in meiner Nachbarschaft herunterstürzen. Auf gar keinen Fall komme ich da mit. Meine Kreditkarte könnt ihr von mir aus mitnehmen. Ich bleibe da. Basta!«

Irgendwie hatte Ludwig damit gerechnet und war erleichtert. Das entsprach auch seinen eigenen Vorstellungen. Denn irgendwie war ihm wohler in seiner Haut ohne Gabi. Sie hätte zwar einen strategischen Vorteil gebracht, aber was wäre, wenn die Orca oder ihre Killertruppe sich wieder auf der Insel herumtrieb? Dann hätten zwar er und Gernot als erfahrene Polizisten noch eine reelle Chance, aber Gabi hätte keine. Er hatte zwar mit Hilfe seines Nachfolgers Thomas Egger einen glänzenden Plan angelegt, wie sie möglichst ohne Orca-Begleitung auf die Insel kommen konnten, aber so blieb Gabi auf der sicheren Seite.

Als Gernot Heubl die Einzelheiten erfuhr, wie Ludwig vorgehen wollte, war er wenig begeistert.

»Hearst Wiggerl. Muaß des wirklich so kompliziert sein? Mit dem Auto nach Straßburg fahren, von dort nach Sevilla fliegen, von dort weiter nach Teneriffa und erst dann nach Gran Canaria. Sechs Mal starten und landen, des halt i nimmer aus.«

»Des hab ich mit dem Thomas Egger so ausgschnapst. So werden wir von der Orca garantiert nicht entdeckt.«

Gesagt, getan, trotz Gernots Widerspruch. An einem Freitagmittag – Ludwig verzichtete sogar auf das Mittagessen – brachte Gabi den forensischen Psychiater zunächst ins benachbarte Bad Waldsee, wo sie sich mit Ludwig trafen. Gemeinsam mit den beiden Männern lenkte Gabi den Wagen in dreieinhalb Stunden über Tuttlingen, Rottweil und Offenburg bis zum elsässischen Airport, von wo aus die beiden ihre beschwerliche Reise antraten. Die Idee, dass Gabi die beiden bis nach Strasbourg-Entzheim bringen sollte, kam von Gernot, der immer noch auf höchste Sicherheit bedacht war.

»Ich sag’s euch. Passt ja auf euch auf. Ich bekomme jetzt noch Schockstarre, wenn ich an die Sache damals zwischen Zogenweiler und Fronhofen denke. Noch einmal will ich das nicht mitmachen. Und vor allem nicht deine Lea. Hast du gehört, Lude?«

»Hab keine Angst, ich bringe dir deinen Gernot wieder heil zurück«, antwortete Ludwig mit fester Stimme.