Hoch die Hände, Klimawende! - Gabriel Baunach - E-Book

Hoch die Hände, Klimawende! E-Book

Gabriel Baunach

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Beschreibung

Zieht euch warm an – hier kommt der Handabdruck! Sven Plöger, Meteorologe und Bestseller-Autor „Gabriel Baunach trifft mit diesem Buch den Kern des Themas: gute Lösungen statt schlechtes Gewissen! Mehr jute Politik als Jutebeutel! Schlau machen, Mund aufmachen und den Handabdruck nutzen – all hands on deck!“ Dr. Eckart v. Hirschhausen, Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der StiftungGesunde Erde - Gesunde Menschen Willst du was für den Klimaschutz tun, musst du deinen CO2-Fußabdruck reduzieren– so die gängige Auffassung: regional einkaufen, LED-Lampen verwenden, weniger konsumieren … Doch die bittere Wahrheit ist,mit individuellen CO2-Spartipps werden wir die Erderhitzung nicht stoppen. Schluss mit der Ohnmacht! Statt den Fokus auf unwesentliches Konsum-Kleinklein und ein kollektives schlechtes Gewissen zu legen, müssen wir wirkungsvollere Hebel betätigen. Mit dem neuen und positivenKonzept des Klima-Handabdrucks kann jede*r Einzelne mehr Tonnen CO2 einsparen, als er oder sie selbst verursacht. Ob imprivaten Alltag, im Beruf, beim gesellschaftlichen Engagement oder mit der politischen Stimme– überall bieten sich Möglichkeiten,die eigenen Ressourcen, Talente, Rechte und Kontakte zum Klimaschutz im großen Stil einzusetzen: vegane Alternativen in der Kantine einführen: duzende Tonnen CO2 pro Jahr einsparen; eine Solaranlage für das Dach des Unternehmens organisieren: hunderte Tonnen CO2 pro Jahr; den Standardstromtarif des lokalen Energieversorgers auf Ökostrom umstellen: tausende Tonnen CO2 pro Jahr. So wird man zum Multiplikator für klimafreundliches Verhalten. Der Klima-Experte Gabriel Baunach erklärt in seinem Buch, wie persönlicher Klimaschutz geht, der sich wirklich lohnt und Hoffnung macht: mit Handabdruck-Hebeln statt Fußabdruck-Frust. Die Wirksamkeit unseres Handelns wird ein entscheidender Schlüssel zur Bewältigung der Klimakrise sein. Hier können wir nachlesen, wie das psychologisch klug gelingen kann. Lea Dohm, Psychologin und Mitgründerin der Psychologists and Psychotherapists For Future Dieses Buch lenkt den Blick auf das, wovon wir mehr brauchen: Strukturen zu verändern – statt beim individuellen Verhalten um jedes Kilo CO2 zu kämpfen. Toralf Staud, Journalist und Bestseller-Autor von „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“

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Seitenzahl: 332

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Gabriel Baunach

Hoch die Hände Klima­wende

Warum wir mit der Holz­zahnbürste nicht die Erderwärmung stoppen – und wo unsere wirklichen Hebel sind

Impressum

Alle in diesem Buch veröffentlichten Aussagen und Ratschläge wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden, ebenso ist die Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Für die Inhalte der in dieser Publikation enthaltenen Links auf die Webseiten Dritter übernehmen wir keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß $ 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

1. Auflage

Originalausgabe

© 2023 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Luca Feigs, unter Verwendung eines Motivs von © Alenka Karabanova über Shutterstock

Redaktion: Iris Rinser, Großkarolinenfeld

Grafiken und Abbildungen außer dem Handabdruck-Logo: Katharina Steiner

Handabdruck-Logo Seite 31: Germanwatch e. V., Benjamin Bertram

Layout und Satz: Luca Feigs

Herstellung: Anne-Katrin Brode

ISBN 978-3-7459-1843-4

www.emf-verlag.de

Inhalt

Vorwort von Dr. Eckart v. Hirschhausen

Einleitung

Eine schlechte, eine zwiespältige und eine gute Nachricht

Highway to Hell

Wir haben verstanden, sind aber auf dem Holzweg

Vom Fußabdruck-Fokus zu Handabdruck-Hebeln

Kapitel 1

Meine Klimareise zum Handabdruck

Al Gore weckt mich auf

Das zweite Aufwachen: Mein persönlicher Tiefpunkt

Das dritte Aufwachen: Wiedersehen mit Al Gore und die Entdeckung des Handabdrucks

Der Klima-Handabdruck

Kapitel 2

Von der Erdölwerbung in die Fußabdruck-Matrix

Dem CO2-Fußabdruck-Mythos auf der Spur

Ablenkung durch Schuldverschiebung

Gefangen in der Fußabdruck-Matrix: Blaue oder rote Pille?

Kapitel 3

Die Planlosen Aktionisten und ihre Fußabdruck-Irrtümer

Kaum Plan von Klimaschutz

Die Fußabdruck-Irrtümer unter der Lupe

Der Plastik(tüten)-Mythos

Die Flugunterschätzung: Viele Nichtflieger kaschieren wenige Vielflieger

Exkurs

Single Action Bias & Rebound-­Effekte

Kapitel 4

Die Innerlich Zerrissenen und ihr schlechtes Gewissen

Der Klima-Zuschauereffekt

Äußere, strukturelle Widerstände

Klimafreundliche Optionen müssen verfügbar, günstiger und bequemer werden

Steine, die keine sein müssen: Innere, zwischenmenschliche Widerstände

Der Fußabdruck-Fokus als Verstärker der Widerstände

Exkurs

Kognitive Dissonanz

Kapitel 5

Die Zeitweise Frustrierten und ihre Ohnmachtsgefühle

Über Schuld und Verantwortung in der Klimakrise

Wer sind die Zeitweise Frustrierten?

Die Fußabdruck-Schallmauer

Ein bisschen Frust ist ganz okay – und sogar hilfreich!

Natürliche Trauer und Solastalgie

Zu viel Frustration ist schädlich

Warum der CO2-Fußabdruck mehr schadet als nützt

Über Schuld und Verantwortung in der Klimakrise

Exkurs

Klimaangst

Kapitel 6

Wie es besser geht: Mit Big Points Fußspuren legen

Ein selbstwirksamer Startpunkt

Mehr Selbstsympathie und Lebensqualität

Vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch

Kapitel 7

Den privaten Handabdruck vergrößern

Die persönliche Klimastunde: Zeiteinsatz für den Klimaschutz

Raus aus der Klima-Schweigespirale: Mehr übers Klima sprechen

Gesprächsmöglichkeiten nutzen und schaffen

Nicht nur mehr, sondern auch besser übers Klima sprechen

Impact Investing: Was bewirkt mein Geld in der Welt?

Kapitel 8

Den beruflichen Handabdruck vergrößern

Welchem Zweck stelle ich meine Arbeitszeit zur Verfügung?

Das eigene Klima-Ikigai finden

Klimaschutz „von oben“ in Unternehmen

Klimaschutz „von unten“ in Unternehmen

Kapitel 9

Den gesellschaftlichen Handabdruck vergrößern

Noch mehr übers Sprechen, Berichten und Aufklären

Ein ehrenamtliches Klima-Engagement beginnen

Gemeinsam mit anderen eine Klimaschutz-Initiative starten

Klima-Engagement im Ehrenamt, in Freizeit-Vereinen, Klubs und Kirchengemeinden

Keine Zeit für Ehrenämter? Handabdruck nebenbei und zwischendurch

Kapitel 10

Den politischen Handabdruck vergrößern

Wir haben die Wahl – und das Recht!

Leise, laut und unbequem: Der Politik auf die Sprünge helfen

Demonstrationen und Protest

Mehr als nur ein Hoffnungsfunke

Ziviler Ungehorsam als Akt des gewaltfreien Widerstands

Die große Aufregung über Suppe und Sekundenkleber

Nachwort

Über den Handabdruck hinaus

Mit einem sozialen Kipppunkt ins Gute kippen

Zehn Hinweise für den schmalen Grat des stoischen Handelns

Dank

Meine persönliche Empfehlungsliste zur Klima(weiter)bildung

Widmung

In Erinnerung an Friedel Schütte (1933–2022), meinen Großvater, der mir ein Gefühl für die Schönheit der Erde, ihrer Geschöpfe und Geschichten gegeben hat.

Für meine Kinder, seine Urenkel, denen ich diese Schönheit erhalten möchte.

Vorwort

Mensch, Erde! Wir können es schöner haben als jetzt – und gesünder

von Dr. Eckart v. Hirschhausen

Vorwort von Dr. Eckart v. Hirschhausen

Es war heiß, als ich Gabriel Baunach das erste Mal traf. Wir saßen in einem Tonstudio, um seinen Podcast aufzunehmen, und schwitzten, obwohl wir schon so viel Kleidung abgelegt hatten, wie es für ein erstes Treffen akzeptabel ist. Und zack, waren wir in hitzigen Gesprächen, weil wir beide für das Thema brennen: Wie erzählen wir die Klimakrise als eine historische Chance? Wie bewegen wir diejenigen, die viel bewegen können? Und was bewegt eigentlich unser Geld, während es auf dem Konto liegt? Schnell gelangten wir zu den Handabdrücken, mit denen wir alle viel mehr Gutes in der Welt bewirken können, als unsere Fußabdrücke Schlechtes anrichten.

Vor Ihnen liegt nun Gabriels Hirnschmalz über den Handabdruck in Buchform. Viel zu lange haben wir uns in Selbstkasteiung geübt statt in Selbstwirksamkeit. Ich kann durch meine persönliche Konsumentscheidung nicht dafür sorgen, dass Fliegen innerdeutsch teurer ist als Bahnfahren, das ist eine Frage der Politik. Ebenso möchte ich beim Einkaufen nicht vor dem Regal alle Siegel und Etiketten lesen müssen, stattdessen könnten die Preise ja auch ehrlich sein und transparent machen, was für die Erde und für mich das Gesunde und Günstige ist. Und ich kann mir auch keine eigene Außentemperatur backen oder eigene Luft reinhalten – die großen Hebel sind die gemeinschaftlichen und gemeinwohlorientierten. Wir müssen nicht „das Klima“ retten – sondern uns.

Aber bevor ich wieder über die Dringlichkeit der gesundheitlichen Gefahren rede, richte ich den Blick lieber in eine wünschenswerte Zukunft. Genauer gesagt: aus der Zukunft zurück – oder zurück in die Zukunft? So ähnlich wie ich es bereits im Schlusskapitel meines Buchs Mensch Erde – wir könnten es so schön haben tat. Stellen wir uns doch einfach mal vor, wir sind im Jahr 2050 – und haben es geschafft!

Am Abend meines 83. Geburtstags im Jahr 2050 sitzen meine Enkelkinder und ich zusammen und haben Zeit füreinander. Ich erzähle ihnen von früher, von den 2020er Jahren, als die Menschheit die ökologischen und sozialen Krisen ernsthaft zu lösen begann. 2024 war dafür ein historischer Wendepunkt. Nachdem wir die Auswirkungen der Coronapandemie vollends überwunden hatten und endlich Frieden in der Ukraine eingekehrt war, gab es noch entschlossenere Mehrheiten für eine sozial-ökologische Klimawende. Die Menschen entdeckten wieder den gestalterischen Einfluss, der ihnen kollektiv innewohnt. Millionen brachten sich gemeinschaftlich und beherzt in ihren Berufen, Ehrenämtern, Nachbarschaften, mit Spenden und ihrer politischen Stimme ein – statt bloß den Müll zu trennen, mehr Fahrrad zu fahren und zu Hause Energie zu sparen. Ohne diese zwei einschneidenden Ereignisse, die uns damals als Ge­sellschaft wachrüttelten, hätten wir wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig die Kurve gekriegt.

Wenn ich heutzutage mit den „Rentner For Future“ zu Wanderungen aufbreche, kann ich wieder in jeden See springen, an dem ich vorbeikomme, ohne dabei Sorge haben zu müssen, dass meine Haut von Blaualgen oder Schadstoffen angegriffen wird. Mittags suche ich mir gerne ein lauschiges Plätzchen im Schatten von Solaranlagen oder Bäumen für eine ausgiebige Siesta. Die Luft ist zwar wärmer als früher, aber auch frischer und gesünder. Das haben wir dem Verbot des Verbrennungsmotors und dem Kohleausstieg im Jahr 2030 zu verdanken. Außerdem auch dem boomenden Holzbau, der damals die leblosen und hitzestrahlenden Stahlbetonbauten verdrängte. Und der allgemein fleischreduzierten, gesünderen Ernährungsweise der Menschen, wodurch der Güllegeruch weitgehend verschwand. Wenn ich dann nachmittags durch die wiedervernässten Moorgebiete und aufgeforsteten Mischwälder spaziere, summt und brummt es um mich herum wieder wie in meiner Kindheit. Große Regenwassersammler, Aufbereitungsanlagen und öffentliche Wasserspender sorgen dafür, dass ich als Senior nicht auf dem Trockenen sitzen muss. Abends genieße ich gerne ein köstliches veganes Gericht und setze mich danach – so wie heute an meinem Geburtstag – in meinen Schaukelstuhl. Dann schwelge ich in Erinnerungen an all das Geleistete, all die knapp gescheiterten und dann doch erfolgreichen Projekte, all die Geschichten des Gelingens zusammen mit meinen Mitstreiter*innen. Auf die kommenden Jahre meines Alters blicke ich gelassen. Denn dank des bedingungslosen Grundeinkommens und eines verpflichtenden Sozialjahrs nach der Schulzeit gibt es wieder viel mehr Pflegekräfte und Zeit für die Betreuung von Familienangehörigen.

Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne den engagierten Einsatz von all den Menschen, die seit dem Schicksalsjahr 2024 ihren Klima-Handabdruck vergrößerten. Sie alle haben nicht nur die größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit abgewehrt, sondern auch eine gerechtere, friedlichere, gesündere und bessere Welt erschaffen. Während ich in die Gesichter meiner Enkelkinder blicke, spüre ich tiefe Dankbarkeit und sage zufrieden: Ja, es hat sich gelohnt, denn sie werden mich und meine Generation in guter Erinnerung behalten.

Wenn Sie in diesem entscheidenden Jahrzehnt Hand anlegen – Hand in Hand mit Ihren Mitmenschen –, können wir diese Zukunft gemeinsam kreieren, die schöner und gesünder ist als jetzt. Jeder kann jemanden bewegen, der mehr bewegen kann als man selbst. Danke Gabriel für dein Engagement und danke Ihnen, dass Sie dieses Buch lesen, verinnerlichen und die Ideen umsetzen.

Ihr

Eckart v. Hirschhausen, Juni 2023

Einleitung

Eine schlechte, eine zwiespältige und eine gute Nachricht

Eine schlechte, eine zwiespältige und eine gute Nachricht

Highway to Hell

Ich muss dieses Buch mit einer schlechten Nachricht beginnen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres überbrachte sie uns im November 2022: „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens. Und wir sind dabei, ihn zu verlieren. [...] Unser Planet nähert sich rasant den Kipppunkten, die das Klima-Chaos unumkehrbar machen werden. Wir sind auf dem Highway in die Klimahölle, mit unserem Fuß noch immer auf dem Gaspedal.“1

Der Kampf, von dem der Chefdiplomat der „United Nations“ (UN) hier spricht, ist ein Kampf gegen die Zeit. Werden die Kipppunkte des Weltklimasystems durch die zunehmende Erwärmung überschritten, „kippen“ wichtige ökologische Teilsysteme „um“ – zum Beispiel die „grüne Lunge der Erde“ im Amazonas oder der Golfstrom im Atlantik. Das lässt sich mit dem Umkippen eines Gartenteichs im Sommer vergleichen, jedoch mit katastrophalen Konsequenzen auf globaler Ebene. Und das Problem ist, dass die Menschheit einige dieser gefährlichen Klimakipppunkte wahrscheinlich ab einer Erderhitzung von 1,5°C lostritt.2 Unter anderem würden die fischreichen Warmwasser-Korallen unwiederbringlich absterben. Die bis dato dauerhaft gefrorenen Permafrost-Böden von Alaska, Kanada, Skandinavien und Sibirien würden auftauen und dabei gigantische Mengen des sehr potenten Treibhausgases Methan entweichen lassen. Und die kilometerdicken Eispanzer über Grönland und der Westantarktis würden abschmelzen und den Meeresspiegel um mehrere Meter anheben. Das hieße noch in meiner Lebenszeit „Goodbye Fidschi“, und meine Enkelkinder müssten „Ciao Venedig“, „Tot ziens Amsterdam“ und „Tschüss Hamburg“ sagen. Die Folge wäre in den Worten des UN-Chefs eine weltweite „Massenflucht biblischen Ausmaßes“.3

Diese gefährlichen Klimakipppunkte verdeutlichen: Das 2015 von fast allen Ländern der Welt beschlossene Ziel, das Aufheizen der Atmosphäre möglichst nah bei 1,5°C zum Stoppen zu bringen, ist eigentlich kein Ziel.4 Vielmehr ist es eine Grenze – genauer gesagt, unsere existenzielle Sicherheitsgrenze.

Allerdings sind wir von der Einhaltung dieser existenziellen Sicherheitsgrenze noch meilenweit entfernt.5 Statt in Richtung 1,5°C steuern wir aktuell auf eine Erderhitzung von 2,7°C zu.6 Trotz all der Klimaversprechen, gesetzlichen Ziele und Maßnahmen wie CO2-Bepreisung, Kohleausstieg, Elektroauto-Boom und Ausbau der erneuerbaren Energien tut sich noch immer viel zu wenig, viel zu langsam – auch in wohlhabenden Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz.7 Die aktuellen Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), des Weltklimarats der Vereinten Nationen, belegen unmissverständlich:8 Wenn wir Klimaschutz weiterhin so halbherzig betreiben wie bisher, bedeutet das buchstäblich den Untergang der Welt, wie wir sie kennen. Oder noch einmal in den Worten von Antonio Guterres: Es herrscht „Alarmstufe Rot“.9

1 Eigene Übersetzung aus dem Englischen mithilfe von DeepL.com/Translator, Quelle: https://www.un.org/sg/en/content/sg/speeches/2022-11-07/secretary-generals-remarks-high-level-opening-of-cop27, Zugriff 24.04.2023

2 „Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points“, D. I. A. McKay, et al., 2022, Link: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn7950, Zugriff 24.04.2023

3 Siehe https://www.theguardian.com/environment/2023/feb/14/rising-seas-threaten-mass-exodus-on-a-biblical-scale-un-chief-warns, Zugriff 24.04.2023

4 „Paris Agreement“, United Nations, UNFCCC, Paris, 2015, Link: https://unfccc.int/sites/default/files/english_paris_agreement.pdf, Zugriff 24.04.2023

5 Engels, Anita; Jochem Marotzke; Eduardo Gonçalves Gresse; Andrés López-Rivera; Anna Pagnone; Jan Wilkens (eds.); 2023. Hamburg Climate Futures Outlook 2023. The plausibility of a 1.5°C limit to global warming – Social drivers and physical processes. Cluster of Excellence Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS). Hamburg, Germany

6 United Nations Environment Programme (2022). Emissions Gap Report 2022: The Closing Window – Climate crisis calls for rapid transformation of societies. Nairobi. https://www.unep.org/emissions-gap-report-2022 & https://climateactiontracker.org/global/temperatures/, Zugriff 24.04.2023

7 Siehe zum Beispiel https://climateactiontracker.org/countries/germany/ & https://climateactiontracker.org/countries/switzerland/, Zugriff 24.04.2023

8 https://www.ipcc.ch, Zugriff 24.04.2023

9 https://www.un.org/press/en/2021/sgsm20847.doc.htm, Zugriff 24.04.2023

Wir haben verstanden, sind aber auf dem Holzweg

Nun zu einer zwiespältigen Botschaft, die einerseits Hoffnung macht: Inzwischen haben die meisten Menschen den Ernst der Lage verstanden. Ein Großteil der europäischen Bevölkerung unterstützt daher ambitionierte klimapolitische Maßnahmen. Und viele sind zudem bereit, auch selbst einen aktiven Beitrag zur Lösung der wohl größten Krise der Menschheit zu leisten – wahrscheinlich alle, die zu diesem Buch greifen.

Was andererseits jedoch diese grundsätzlich hoffnungsvolle Aufbruchsstimmung trübt, ist die massenhaft falsche Beantwortung der Frage, was jede*r Einzelne gegen die Klimakrise tun kann. Die allermeisten Menschen antworten nämlich: „Den persönlichen CO2-Fußabdruck reduzieren.“ Das Problem ist aber: Der CO2-Fußabdruck funktioniert nicht – zumindest nicht gut genug. Bloß zu Hause den Müll zu trennen, die Heizung runterzudrehen, das Licht auszuschalten und sonntags mit dem Fahrrad zur Bäckerei zu radeln, wird dem Ausmaß, der Geschwindigkeit und den strukturellen Ursachen der Klimakrise nicht (mehr) gerecht.

Hätten wir noch hundert Jahre Zeit, wären kleine Ökoschritte à la Holzzahnbürste, Stoffbeutel oder Biogemüse vielleicht genug, um genug zu bewirken. Inzwischen aber stellt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) fest: „Schrittweise Veränderung ist keine Option mehr.“ Stattdessen sei ein „weitreichender, groß angelegter, rascher und systemischer Wandel“ notwendig, um die überlebenswichtigen Klimaziele noch in Reichweite zu halten.1 Das bedeutet: Wenn wir die gesamtgesellschaftliche Klimawende wirklich beschleunigen wollen, müssen wir die großen Hebel in der Politik, im Rechtswesen, in den Medien, in Finanzinstitutionen, Unternehmen, Vereinen, Umweltorganisationen, Bildungseinrichtungen und so weiter bewegen.

Nur leider vernebelt uns der CO2-Fußabdruck-Fokus den Blick für diese wesentlichen Stellschrauben. Denn er individualisiert und entpolitisiert das vor allem kollektive und politische Klimaproblem. Deshalb verlieren wir uns so häufig im verwirrenden Konsum-Klein-Klein und in frustrierenden Debatten über individuelle Schuld, Scham und Scheinheiligkeit. Letztlich treten wir, mit unseren Fußabdrücken überfordert, ohnmächtig und mit einem schlechten Gewissen, auf der Stelle – oder auf unseren Mitmenschen herum. Und das kommt den Erdölkonzernen gerade recht. Denn wer mit dem Finger auf die vielfliegende Nachbarin, den SUV-fahrenden Onkel oder die befreundete Steakliebhaberin zeigt, zeigt nicht auf sie (oder die von ihnen beeinflussten Politiker*innen).

1 United Nations Environment Programme (2022). Emissions Gap Report 2022: The Closing Window – Climate crisis calls for rapid transformation of societies. Nairobi. https://www.unep.org/emissions-gap-report-2022, übersetzt mit DeepL.com/translator, Zugriff 24.04.2023

Vom Fußabdruck-Fokus zu Handabdruck-Hebeln

Die gute Nachricht lautet: Es gibt eine Lösung. Wir müssen nur lernen, unsere kollektive Gestaltungsmacht auf die gesellschaftlichen Strukturen zu erkennen und zu nutzen. „Über den eigenen Tellerrand hinausblicken“, nannte das früher meine Großmutter. Dieses Buch soll genau das bezwecken: Dass möglichst viele Menschen von ihrem individuellen „Konsum-Teller“ aufblicken und die Hebel erkennen, mit denen sie strukturelle Veränderungen in ihrem persönlichen Umfeld bewirken können – und dann mit gezielten Handlungen zu Multiplikator*innen für klimafreundliches Verhalten werden.

Dieses Buch richtet sich an alle Macherinnen und Anpacker, die wirklich etwas verändern wollen, aber (noch) nicht genau wissen wie. An alle, die noch in der Zwickmühle aus Komfort und Moral stecken und auf den zündenden Impuls warten. An alle, die bereit für einen grundlegenden Perspektivwechsel und Sowohl-als-auch-Denken sind. Für alle, die ihren Kindern in Zukunft aufrichtig sagen können wollen: „Ja, ich wusste damals Bescheid, und ich habe mein mir Mögliches zur Lösung der größten Krise der Menschheit beigetragen. Dank all den Menschen, die in den 2020er-Jahren den Wandel aktiv mitgestaltet haben, ist die Welt heute – im Jahr 2050 – eine bessere.“

Das Buch heißt „Hoch die Hände, Klimawende“, weil wir genau das in der Hand haben: eine friedlichere, gesündere, gerechtere, bessere Welt. Jetzt oder nie. Los geht’s!

Kapitel 1

Meine Klimareise zum Handabdruck

Meine Klimareise zum Handabdruck

Ich glaube, die Klimakrise ist ein so großes Problem, dass man nicht einen, sondern gleich drei Aha-Momente braucht, bevor man so richtig aktiv wird. Zumindest war das bei mir der Fall.

Al Gore weckt mich auf

Meinen ersten großen Aha-Moment bezüglich der Klimakrise hatte ich im Alter von 14 Jahren, als wir im Erdkundeunterricht den Dokumentarfilm Eine unbequeme Wahrheit gezeigt bekamen. In dieser Oscar-gekrönten Doku warnt Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der USA, vor den Gefahren des menschengemachten Klimawandels. 2007 erhielt er zusammen mit dem Weltklimarat IPCC den Friedensnobelpreis für die Aufklärung über die drohenden Folgen unserer Treibhausgasemissionen.

Ich weiß noch genau, wie ich ziemlich schockiert den dunklen Filmraum meiner damaligen Schule verließ. Anstatt in der anschließenden Pause wie immer zur Tischtennisplatte zu laufen, irrte ich gedankenversunken auf dem Schulhof umher. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich darauf vertraut, dass die Welt immer besser und ich in eine rosige Zukunft hineinleben würde. Ich hatte geglaubt, die Menschheit würde die herrschende Armut, den Hunger, alle Kriege und den Raubbau an der Natur bald beenden. Doch mein rückblickend naives Vertrauensfundament bekam Risse, während ich mir auf dem Schulhof Al Gores Erklärungen über die menschengemachte Erderwärmung durch den Kopf gehen ließ. Die unbequeme Wahrheit über die Destabilisierung des Weltklimas war für mich buchstäblich eine Ent-Täuschung: Ich hatte erkannt, dass wir, die Menschheit, vor einem riesigen Problem stehen, das alle anderen Probleme, Aufgaben und Vorhaben in den Schatten stellt – und dass eine rosige Zukunft ohne Armut, Hunger oder Kriege zur Illusion wird, wenn das Aufheizen unserer Atmosphäre nicht gestoppt wird.

So wie es mir damals ging, geht es heute den meisten Menschen: Rund achtzig Prozent der Deutschen machen sich Sorgen über die Klimakrise und sind davon überzeugt, dass wir diesbezüglich ein ernsthaftes Problem haben.1 Eine große Mehrheit befürwortet daher ehrgeizigere klimapolitische Maßnahmen.2 Das gilt übrigens auch international: In vielen Ländern entspricht die Notwendigkeit von Klimaschutz der absoluten Mehrheitsmeinung.3 Problematisch ist jedoch, dass wir gleichzeitig die Klimaschutz-Bereitschaft unserer Mitmenschen stark unterschätzen.4 Und das hat gravierende Folgen: Viele Menschen verhalten sich weniger klimafreundlich oder setzen sich zaghafter für klimapolitische Maßnahmen ein, als sie eigentlich bereit wären.

Zurück zum Schulhof im Jahr 2007: Der Klimawandel hatte mich zwar gepackt, aber natürlich blieben mir nach meinem ersten Aha-Moment viele Fragezeichen im Kopf. Das lag unter anderem daran, dass das Thema damals noch keinen gebührenden Raum im Lehrplan erhielt und unsere Erdkunde-Lehrkraft in den darauffolgenden Schulstunden keine Zeit hatte, uns den Klimawandel oder Lösungen ausführlicher zu erklären. Also musste ich selbstständig auf Lernreise gehen: Ich absolvierte in den folgenden Jahren Schülerpraktika in einem Energie- und Klimainstitut des Forschungszentrums Jülich und im Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, belegte während der Sommerferien einen Energie- und Klimakurs der Deutschen SchülerAkademie und las Sachbücher über den Klimawandel. Und je mehr ich lernte, desto fester wurde mein Entschluss: Ich werde mithelfen, dieses große Klimaproblem zu lösen. Da ich mit der Zeit erkannte, dass erneuerbare Energien der Dreh- und Angelpunkt für die Lösung der Klimakrise sind, beschloss ich, nach dem Abitur Maschinenbau zu studieren und mich in Energietechnik zu spezialisieren.

Es folgten die Jahre meines Studentenlebens mit Auslandsaufenthalten, weiteren Praktika, sozialem Engagement, einigen Reisen, Fußball, Feiern, Freunden und mehr. Die sich am Horizont zusammenbrauende Klimakrise trat die meiste Zeit in den Hintergrund. Nur hin und wieder blitzte die Gefahr in meinem Bewusstsein auf: zum Beispiel 2014, als ich den im Vergleich mit Reisefotos und -berichten meines Großvaters erschreckenden Gletscherrückgang auf Ecuadors zweithöchstem Berg, dem aktiven Vulkan Cotopaxi, mit eigenen Augen sah. Oder 2015, als die Vereinten Nationen das Pariser Klimaabkommen beschlossen. 2016 bescherte mir Leonardo DiCaprio gleich zwei Bewusstseinsmomente: das eine Mal mit seinem Klimaschutz-Appell in seiner Oscar-Dankesrede und das andere Mal mit seinem Dokumentationsfilm Before the Flood. Und 2017 war es Al Gores zweite Klima-Doku Immer noch eine unbequeme Wahrheit, die mich an das drohende Unheil erinnerte.

Weniger fliegen, seltener Fleisch essen, mehr Fahrrad fahren, Ökostrom nutzen und so weiter – ich kannte die Mittel für ein klimabewusstes Leben. Mir waren sie jedoch vielmehr Betäubungsmittel, um meine rückblickend wieder als naiv zu bezeichnende Zuversicht nicht aufgeben zu müssen, dass die Menschheit das Klimaproblem mit der Zeit, mit technischem Fortschritt und ohne einschneidende Veränderungen lösen werde.5 Eine zweite Ent-Täuschung stand an.

1 https://www.moreincommon.de/klimazusammenhalt/ & https://www.oecd.org/climate-change/international-attitudes-toward-climate-policies/ & https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltbewusstsein_2020_bf.pdf, Zugriff 24.04.2023

2 https://projekte.uni-erfurt.de/pace/_files/PACE_W07-09.pdf#page=24 & https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltbewusstsein_2020_bf.pdf, Zugriff 24.04.2023

3 https://climatecommunication.yale.edu/publications/climate-change-in-the-­american-mind-april-2022/ & https://www.pewresearch.org/fact-tank/2019/04/18/a-look-at-how-people-around-the-world-view-climate-change/ & https://www.oecd.org/climate-change/international-attitudes-toward-climate-policies/, Zugriff 24.04.2023

4 Siehe Artikel unter: https://www.klimareporter.de/gesellschaft/verzerrte-wahrnehmung, Zugriff 24.04.2023, Quellen: „Americans experience a false social reality by underestimating popular climate policy support by nearly half“, Parkman, et al., 2022, Nature, Link: https://www.nature.com/articles/s41467-022-32412-y Zugriff 24.04.2023 & https://projekte.uni-erfurt.de/pace/_files/PACE_W07-09.pdf#page=24, Zugriff 24.04.2023

5 Für eine wissenschaftliche Beschreibung der „sedative pill“ und des „epistemic fit“ siehe „Why we should Empty Pandora´s Box to Create a Sustainable Future: Hope, Sustainability and Ist Implications for Educations“, Grund, et. al., 2019, Link: https://www.mdpi.com/2071-1050/11/3/893, Zugriff 24.04.2023

Das zweite Aufwachen: Mein persönlicher Tiefpunkt

Meinen zweiten großen Aha-Moment hatte ich kurz nach dem außergewöhnlich heißen und trockenen Sommer 2018. Während eine damals noch unbekannte Jugendliche namens Greta Thunberg jeden Freitag vor dem schwedischen Parlament in Schulstreik ging, veröffentlichte der Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht über die Möglichkeit, die Erderhitzung bei einem noch relativ sicheren Niveau von 1,5°C zu stoppen.1

In dem Bericht befindet sich unter anderem eine Grafik, ähnlich zur folgenden Abbildung. Sie zeigt, wie schnell und radikal die Menschheit die globalen CO2-Emissionen senken müsste, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 noch einzuhalten. Demnach müssten sich die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 etwa halbieren und bis 2050 netto null erreichen. Aber damit nicht genug: Nach 2050 müssten wir der Luft mehrere Milliarden Tonnen CO2 entziehen und all diesen Kohlenstoff zurück unter die Erde bringen (zum Beispiel durch Aufforstung, CO2-Filteranlagen oder andere Methoden).

Notwendiger Verlauf zukünftiger

CO2

-Emissionen, um die Erderhitzung auf 1,5°C zu begrenzen (eigene Darstellung, basierend auf dem

IPCC

-Sonderbericht „SR1.5“ von 2018)

Diese Grafik aus dem IPCC-Sonderbericht von 2018 brannte sich in mein Gedächtnis ein. „Wie in aller Welt sollen wir das schaffen?“, dachte ich mir und versuchte, mich noch klimafreundlicher zu verhalten. Ich meldete mich im März 2019 sogar als Ordner für den ersten globalen Klimastreik und rief wenige Wochen später in einer Rede vor rund tausend Kölner*innen anlässlich der nahenden Europawahl zu einer Klimawahl auf. Aber es half nichts: In mir breiteten sich Angst, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht aus, während ich mit teils tränenverschwommenem Blick dabei zusah, wie Tausende Kinder und Jugendliche unter dem Banner von Fridays for Future auf den Straßen für ihre Zukunft protestierten. Eine verlorene und dystopische Zukunft – so dachte ich damals. Dann wurde die Mischung aus großer Klimaangst, tiefer Erschöpfung nach dem zähen Maschinenbaustudium und dem Überlebenskampf meines Großvaters nach seinem ersten Schlaganfall schließlich zu viel für mich: Ein nebliger Schleier legte sich um meine Aufmerksamkeit, mich plagten zunehmend Schwindelattacken, und ich fiel in ein emotionales Loch, das mich zu mehrwöchiger Ruhe und Erholung zwang.

Ganz so extrem ging und geht es nur wenigen. Aber mittlerweile empfindet die Mehrzahl aller jungen Menschen angesichts der Klimakrise Trauer, Angst und Sorge – Tendenz steigend.2 Und die dominierenden Gefühle der deutschen Erwachsenen sind diesbezüglich Hilflosigkeit, Ohnmacht und Enttäuschung.3 Das ist kein Wunder: Denn auf der einen Seite erleben wir die ersten Vorboten der Klimakrise, teilweise sogar am eigenen Leib: brennende Wälder, ausgetrocknete Flüsse, erdrückende Hitzewellen, tödliche Flutkatastrophen und vieles mehr. Auf der anderen Seite setzt die Politik noch immer viel zu langsam viel zu wenige Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft um, sodass große Teile der Gesellschaft einfach weiterleben wie bisher. Und inmitten dieser deprimierenden Gemengelage soll man nun als Einzelperson auf Recycling achten, auf Fahrrad, Bus und Bahn umsteigen, kürzer duschen und wann immer möglich das Licht ausschalten? Wenn wir uns bildlich ausgedrückt nur mit Spielzeug-Wasserpistolen dem globalen Flächenbrand namens Klimakrise entgegenstellen, dann ist es nicht verwunderlich, dass Angst und Ohnmacht aufkommen.

1 Wobei sich das „relativ sicher“ auf unsere Breitengrade im globalen Norden bezieht. Für den globalen Süden, niedrig liegende Inselstaaten, indigene Gemeinschaften in der Arktis, einige Ökosysteme etc. werden sogar 1,5°C Erderhitzung katastrophale Auswirkungen haben.

2 „Young People´s Voices on Climate Anxiety, Government Betrayal and Moral Injury: A Global Phenomenon“, Marks, et al., 2021, Nature, Link https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3918955, Zugriff 24.04.2023

3 „Einend oder spaltend? Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland“, More in Common, 2021, Link: https://www.moreincommon.de/klimazusammenhalt/, Zugriff 24.04.2023

Das dritte Aufwachen: Wiedersehen mit Al Gore und die Entdeckung des Handabdrucks

Nachdem ich im Frühling und Frühsommer 2019 einige Wochen lang den Stecker gezogen hatte, nahmen meine Schwindelattacken deutlich ab. Gerade rechtzeitig zum Beginn meines langersehnten Praktikums im UN-Klimasekretariat in Bonn spürte ich, wie meine Energie zurückkehrte. Ein Glück: Denn meine Mitarbeit bei den Vereinten Nationen – und insbesondere meine Teilnahme an der 25. UN-Klimakonferenz COP25 – ließ mich ein drittes Mal aufwachen. Wieder war Al Gore zur Stelle, zwölf Jahre nachdem er mir im Filmraum meiner damaligen Schule bereits den ersten Aha-Moment beschert hatte. Diesmal jedoch, während der Klimakonferenz in Madrid, konnte ich von Angesicht zu Angesicht mit meinem Kindheitsidol sprechen.

Durch all meine Erfahrungen und Erkenntnisse des zweiten Halbjahrs 2019 verstand ich, dass sich die wirklich einflussreichen Hebel zur Lösung der Klimakrise nicht so sehr bei uns zu Hause am Mülleimer, Duschhahn oder Lichtschalter befinden. Nein, mein kurzer Einblick ins Getriebe von Weltpolitik und -wirtschaft verdeutlichte mir, was ich zuvor schon geahnt hatte: dass die tatsächlich bedeutsamen Hebel allem voran in der Politik liegen – zum Beispiel in internationalen Verträgen und Abkommen, in der Bepreisung von Emissionen, in Gesetzen, Anreizen, Subventionen und Verboten –, aber auch in der Wirtschaft – nämlich bei den multinationalen Konzernen und großen Finanzinstitutionen und ihren Investitionen, ihrer Forschung und in der Entwicklung, Produktion und Bewerbung von Gütern und Dienstleistungen. Mit dieser Erkenntnis ist jedoch die Zivilgesellschaft – also jede*r Einzelne von uns – nicht aus der Verantwortung entlassen. Nein, ganz und gar nicht. Denn was ich auch erkannte, war, dass sich die wirkungsvollen Hebel in Politik und Wirtschaft nur dann in gebotener Geschwindigkeit in Bewegung setzen, wenn möglichst viele Menschen dies vehement einfordern und aktiv mit anpacken.

Mein dritter Aha-Moment öffnete mir also ein weiteres Mal die Augen: Niemand wird es für uns machen. Nur wir selbst können uns retten. Das werden wir aber nicht mit kleinen Klimataten und klimafreundlicheren (Konsum-)Entscheidungen à la Holzzahnbürste, Stoffbeutel oder Biogemüse tun. Nein, es genügt nicht länger, auf Plastiktüten zu verzichten oder etwas weniger Fleisch zu essen. Der Weltklimarat IPCC formuliert es in seinem aktuellen großen Klimabericht von 2022 wie folgt: „Individuelle Verhaltensänderungen reichen nicht aus, um den Klimawandel einzudämmen, wenn sie nicht in einen strukturellen und kulturellen Wandel eingebettet sind.“1 In anderen Worten: Jetzt hilft nicht mehr kleckern, sondern nur noch klotzen. Konkret heißt das: Wir müssen unsere Arbeits- und Freizeit, unsere Fähigkeiten und Talente, unsere Kontakte und Netzwerke, unser Geld und Vermögen, unsere politische Stimme und demokratischen Rechte dafür einsetzen, dass wir die Klimawende noch rechtzeitig schaffen. Mit solchen Hebeln können wir viel größeren Einfluss auf die Wirtschaft und die Politik nehmen als mit einem klimabewussteren Konsumverhalten, übertriebener Ökomoral oder asketischem Verzicht. Es ist an der Zeit, auf diese Weise Hand anzulegen, sprich unseren Handabdruck zu vergrößern, statt nur unseren CO2-Fußabdruck zu verkleinern.

1 Creutzig, F., J. Roy, P. Devine-Wright, J. Díaz-José, F.W. Geels, A. Grubler, N. Maïzi, E. Masanet, Y. Mulugetta, C.D. Onyige, P.E. Perkins, A. Sanches-­Pereira, E.U. Weber, 2022: Demand, services and social aspects of mitigation. In IPCC, 2022: Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. Contribution of Working Group III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [P.R. Shukla, J. Skea, R. Slade, A. Al Khourdajie, R. van Diemen, D. McCollum, M. Pathak, S. Some, P. Vyas, R. Fradera, M. Belkacemi, A. Hasija, G. Lisboa, S. Luz, J. Malley, (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA. doi: 10.1017/9781009157926.007, übersetzt mit DeepL.com/translator, Zugriff 24.04.2023

Der Klima-Handabdruck

Anfang der 2000er-Jahre nahm die damals zehnjährige Srija aus Hyderabad in Indien an einem Projekt des indischen Centre for Environment Education teil. Dort sagte sie vor mehreren Zuhörenden, sie wolle positiv handeln und mehr Gutes statt nur weniger Schlechtes für zukünftige Nachhaltigkeit tun. So war die Idee des „handprints“ für nachhaltiges Handeln geboren. Anders als mit dem Fußabdruck, der üblicherweise angibt, wie viel Schaden man an der Umwelt anrichtet, beziehungsweise wie viel Schlechtes man in der Welt hinterlässt, soll der Handabdruck eine Messgröße für positives und gestalterisches Handeln sein – quasi für das Gute, das man in der Welt bewirkt. Der Handabdruck ist somit ein optimistischer und motivierender Gegenentwurf zum Fußabdruck.

Internationale Anerkennung erfuhr das Handabdruck-Konzept erst, als es bei der vierten UNESCO-Konferenz zur Umweltbildung 2007 in Ahmedabad in Indien vorgestellt wurde. Von da an verbreitete sich die Idee bis in den deutschsprachigen Raum – untermalt von Srijas Kinderhand. Besonderen Anteil daran hatte die gemeinnützige deutsche Organisation Germanwatch, die den Handabdruck zu einem strategischen Konzept zur kollektiven Veränderung von strukturellen Rahmenbedingungen im eigenen Umfeld weiterentwickelte.Viele meiner Erklärungen, Gedanken und Beispiele in diesem Buch basieren auf der Ausarbeitung des Handabdruck-Konzepts durch Germanwatch (siehe Infomaterial im Anhang).1

Srijas Handabdruck wurde für Germanwatch zum Symbol des „handprints“

So erreichte der Handabdruck-Begriff auch mich – allerdings erst Mitte 2020, als meine Klima-Aufklärungsplattform Climaware und mein erster Klima-Podcast bereits liefen. Sofort machte es „klick“, weil mich mein drittes Aufwachen im Jahr 2019 in genau die Perspektive führte, die Srija bereits im Alter von zehn Jahren hatte: sich mit der Vergrößerung des eigenen Handabdrucks und positiven Taten für mehr Gutes und gesamtgesellschaftlichen Wandel einzusetzen, statt ausschließlich mit der Fußabdruck-Reduktion im persönlichen Alltagsleben weniger Schlechtes tun zu wollen.

Ich fokussierte diesen positiven und holistischen Blickwinkel auf die Klimakrise, und wann immer mich Leute fragten, was sie gegen die Klimakrise tun könnten, antwortete ich: „Vergrößere deinen Klima-Handabdruck.“2 Denn zum einen kann man mit der Vergrößerung des eigenen Klima-Handabdrucks ganzheitlich betrachtet weitaus größere Treibhausgaseinsparungen bewirken und viel mehr zur Lösung der Klimakrise beitragen als mit der Verkleinerung des persönlichen CO2-Fußabdrucks. Und zum anderen ist die Frage „Was kann ich vergrößern und wo kann ich etwas Gutes hinterlassen?“ eine positive, einladende und motivierende Perspektive auf unsere individuellen Handlungsmöglichkeiten in der Klimakrise. Im Gegensatz dazu führt die Betonung des CO2-Fußabdrucks zu unangenehmen Gefühlen wie Schuld oder Scham und zu negativen Bedeutungsrahmen wie Reduktion oder Verzicht.

1 Für den ganzen Absatz: https://handprint.in & https://www.ceeindia.org/sdg-handprint-lab & https://unevoc.unesco.org/home/4th+International+Conference+on+Environmental+Education+in+Ahmedabad,+India & Hintergrundpapier „Wandel mit Hand und Fuß“, Marie Heitfeld und Alexander Reif, Germanwatch, 2015, Link: https://www.germanwatch.org/de/12040 & „Transformation gestalten“, Marie Heitfeld und Alexander Reif, Germanwatch, 2020, Link: https://www.germanwatch.org/de/19607, Zugriff 24.04.2023

2 Manche verwenden statt „Klima-Handabdruck“ den Ausdruck „CO2-Handabdruck“. Bei Germanwatch wird der Handabdruck übrigens nicht nur auf Emissionen bezogen, sondern auf ein strukurveränderndes Engagement für ökologisch und sozial nachhaltigere Rahmenbedingungen.

Wie der Handabdruck-Effekt (exponentiell) funktioniert

Bisher kommt das Konzept des Klima-Handabdrucks sicherlich noch etwas abstrakt daher. Stellen wir uns daher beispielhaft vor, Marie aus Österreich würde sich ein Jahr lang enorm ins Zeug legen, um in ihrem Alltag so viele CO2-Emissionen wie möglich einzusparen. Sie wird Vegetarierin, verkauft ihr Auto, fliegt nicht mehr in den Urlaub, wechselt zu einem Ökostromtarif, kauft wann immer möglich bio, regional und saisonal ein, erwirbt ihre Kleidung bei Secondhandläden, trennt ihren Müll und achtet auf ein möglichst energiesparendes Verhalten zu Hause. Mit ihren Anstrengungen, ein paar zusätzlichen Kosten und etwas zeitlichem Mehraufwand schafft sie es, ihren CO2-Fußabdruck um stolze fünf Tonnen zu reduzieren. (Zum Vergleich: Das sind etwa zehn Flüge von Köln nach Mallorca und zurück oder drei Jahre Autofahren mit einem Mittelklassewagen.)1 Sie denkt, dies sei ihr maximal möglicher Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise.

In Wahrheit aber könnte sie zehn-, hundert- oder sogar tausendmal mehr bewirken, wenn sie sich mit ihren Handabdruck-Hebeln im Beruf, in der Gesellschaft oder in der Politik einbrächte. Denn die Wirkung ihrer persönlichen Klimataten wächst exponentiell, je mehr Leute sie mit dem eigenen Handeln erreicht und beeinflusst, beziehungsweise wie viele andere Leben sich durch ihre Taten verändern. Würde sie sich nicht nur fragen „Wie kann ich klimafreundlicher leben?“, sondern sich die Frage stellen „Wie können möglichst viele meiner Mitmenschen klimafreundlicher leben?“, dann würde Marie zur Multiplikatorin für klimafreundliches Verhalten werden. Und genau darum geht es beim Handabdruck – wie man auf folgender Abbildung gut erkennen kann.

Schematische Darstellung der exponentiellen Wirkung des Klima-Handabdrucks

Was genau meine ich mit „Handabdruck-Hebeln“? Das sind allerlei Einflussmöglichkeiten, mit denen man klimafreundliches Verhalten gesellschaftlich verbreitet.2 Das geht zum Beispiel, indem dies einfacher, günstiger, gesellschaftlich attraktiver oder gesetzlich vorgeschrieben wird. In anderen Worten: Mit Handabdruck-Hebeln bewirkt man eine strukturelle Veränderung der Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens, sodass es noch mehr Menschen erleichtert wird, nachhaltig zu handeln beziehungsweise ihre persönlichen Fußabdrücke zu reduzieren. Solche Handabdruck-Hebel bieten sich uns überall dort, wo man direkt oder indirekt auf eine Vielzahl an Menschen einwirkt – das heißt, in vier Dimensionen unseres Lebens:

Erstens im

privaten Kontext

, zum Beispiel im Kreis der Familie, bei Freund*innen oder mit der persönlichen Geldanlage.

Zweitens im

Job

, zum Beispiel im Kreis der Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen, gegenüber der Führungsetage oder mit den Produkten und Dienstleistungen bei den Kund*innen.

Drittens in der

Gesellschaft

, zum Beispiel über ehrenamtliches Engagement oder Spenden, durch eine Vereinsmitgliedschaft, in der Nachbarschaft, in Kirche, Schule, Ausbildung, Uni oder über die Medien.

Und viertens in der

Politik

, zum Beispiel durch Wahlen, Petitionen, Demonstrationen, Gespräche mit Politiker*innen, eine Partei-Mitgliedschaft oder Gerichtsklagen.

Ich schrieb, Marie könne um den Faktor zehn-, hundert- oder sogar tausendmal mehr Treibhausgase reduzieren als allein mit ihrer persönlichen Fußabdruck-Verkleinerung – so wie es auch die obige Abbildung darstellt. Aber wie genau kann so eine beeindruckende Emissionsreduktion gelingen? Das sollen die folgenden Handabdruck-Beispiele und Überschlagsrechnungen anschaulich zeigen:

Nehmen wir an, dass Jan Student an einer Universität ist, in deren Uni-Mensa an 200 Tagen im Jahr rund tausend Studierende zu Mittag essen. Von den täglich fünf angebotenen Gerichten ist bisher nur eins vegetarisch. Es kostet meistens mehr als die anderen vier Fleischgerichte und wird obendrein an der hintersten Essensausgabe angeboten. Jan sieht hier ein großes Treibhausgas-Reduktionspotenzial und schließt sich mit einer Freundin und zwei Kommilitonen der Studierendenvertretung zusammen, um mit einer Unterschriftenaktion in der Mensa eine umwelt- und klimafreundliche Veränderung zu bewirken. Und tatsächlich geht die Leitung der Mensa nach einigen Wochen auf ihre Forderungen und Vorschläge ein: Ab sofort werden täglich zwei vegetarische und ein veganes Gericht angeboten, die allesamt stets günstiger als die zwei verbleibenden Fleischgerichte verkauft werden sollen. Zudem wandern die vegetarischen und veganen Speisen an die prominent gelegenen Ausgabestationen in der Mensa, und die Fleischgerichte werden weiter hinten ausgegeben. Nur kurze Zeit später essen statt ursprünglich 200 auf einmal 500 Studierende mittags vegetarisch oder vegan. Dadurch werden in der Mensa pro Jahr zusammengerechnet circa sechzig Tonnen Treibhausgase vermieden.3 Das ist so viel, wie Jan mit seinem Leben insgesamt in sechs Jahren verursacht – und zwölfmal mehr, als Marie mit ihrer Fußabdruck-Reduktion geschafft hat. (Allerdings muss sich Marie im nächsten Jahr wieder anstrengen, um ihre Verhaltensänderung beizubehalten. Hingegen passiert die strukturelle Veränderung in der Mensa einmal und ist dann der neue bleibende Standard.)

Zweites Beispiel: Jans Mutter Claudia arbeitet in einem mittelständischen Unternehmen, das pro Jahr etwa 500.000 Kilowattstunden Strom verbraucht. Durch ihr Bürofenster im fünften Stock sieht sie jeden Tag auf die großen, brach liegenden Dachflächen der Produktionshallen des Unternehmens, über denen die Luft zu flimmern beginnt, sobald die Sonne scheint. Inspiriert von der Handabdruck-Aktion ihres Sohnes in der Uni-Mensa spricht sie mit Kolleg*innen, stellt eigene Recherchen an und fasst sich schließlich ein Herz, um der Unternehmensleitung ihre eigene Handabdruck-Idee vorzustellen: die Hallendachflächen mit Photovoltaik-Modulen zu bestücken. Mit etwas Geduld, Hartnäckigkeit und der breiten Unterstützung der Kolleg*innenschaft, inklusive des Nachhaltigkeitsmanagers, schafft Claudia es nach ein paar Monaten tatsächlich, die Unternehmensführung davon zu überzeugen, die vorgeschlagenen Solaranlagen installieren zu lassen. Der selbst produzierte Solarstrom deckt in der Folge etwa die Hälfte des Stromverbrauchs des Unternehmens, sodass Claudias Handabdruck-Aktion rund 105 Tonnen CO2 pro Jahr einspart.4 Das ist 21-mal mehr, als Marie durch die Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks erzielen konnte.

Den Nachhaltigkeitsmanager der Firma packt nun der Ehrgeiz, weil auch er sich einen Nachhaltigkeitserfolg auf die Fahne schreiben will. Aus firmeninternen Zahlen ist ihm bekannt, dass etwa hundert Angestellte des Unternehmens, vor allem aus dem Vertrieb, im Schnitt etwa zehnmal im Jahr eine Strecke wie die von Hamburg nach München und zurück mit dem Flugzeug zurücklegen. So entstehen jährlich pro Person rund 2,5 Tonnen CO2, das heißt insgesamt für die vielfliegende Belegschaft 250 Tonnen. Tatsächlich schafft es der Nachhaltigkeitsmanager, die Unternehmensführung beim nächsten Meeting davon zu überzeugen, diese enorme Emissionsmenge durch Regeln für persönliche Kund*innentreffen, Videokonferenzen und Mitarbeiter*innen-BahnCards zu vermindern. Und im darauffolgenden Jahr zeigen die Maßnahmen zur Flugverminderung tatsächlich einen beeindruckenden Effekt: Jeder zweite Flug konnte durch bessere Termin- und Reiseplanung, mehr Videocalls oder Bahnfahrten vermieden werden. Das ergibt eine CO2-Einsparung von ungefähr 125 Tonnen – Faktor 25 im Vergleich zu Maries CO2-Fußabdruck-Reduktion.

Die wirklich bedeutsamen Hebel für die Klimastabilisierung liegen in den politischen Rahmenbedingungen. (Daher steigt die Wirkungskurve in der vorigen Abbildung nach rechts hin exponentiell an.) Um das zu veranschaulichen, nehmen wir als letztes Beispiel also Folgendes an: Elif engagiert sich gemeinsam mit fünfzig Leuten bei Fridays for Future Köln und CologneZero, einem lokalen Klimaschutz-Verein. Unter anderem mit Demonstrationen, einer groß angelegten Petition und Gesprächsrunden mit dem Kölner Stadtrat sowie Expert*innen gelingt es dem Bündnis innerhalb von einem Jahr, die Kölner Lokalpolitik dazu zu bewegen, den Standardstrombezug der Gebäude in öffentlicher Hand (zum Beispiel Verwaltungsgebäude, Berufsfeuerwehr, Schulen, Kitas, Museen und städtische Wohnungen) von Graustrom auf hundert Prozent Ökostrom umzustellen. Die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln ist jährlich für einen Stromverbrauch von rund neunzig Millionen Kilowattstunden verantwortlich.5 Somit ergibt sich eine CO2-Einsparung von ungefähr 37.800 Tonnen pro Jahr, wenn dieser Strombedarf durch erneuerbare Energien gedeckt wird.6 Elifs Handabdruck ist in der Abbildung somit ganz rechts anzusiedeln, bei der größten CO2-Wolke. Noch größer wäre er sogar, wenn der lokale Energieversorger RheinEnergie aufgrund des Klimaengagements der Gruppe den Standardstromtarif für alle Gebäude in Köln auf hundert Prozent Ökostrom umstellen würde.

Dass dies keine völlig aus der Luft gegriffene Idee aus dem Reich utopischer Träumereien ist, haben in den Jahren 2010 bis 2012 die Stadtwerke von Sankt Gallen bewiesen: Trotz intensiver Marketingbemühungen hatten sie bis zum Jahr 2010 nur einen kleinen Teil der Haushalte im Schweizer Kanton Sankt Gallen überzeugen können, zu einem Ökostromtarif zu wechseln. Dann aber drehten sie den „Entscheidungsspieß“ um: Statt zu einem Ökostromtarif wechseln zu müssen, war grüner Strom fortan der Standard, und wer das nicht wollte, musste aktiv zu einem Graustromtarif zurückwechseln. So erhöhte sich der Anteil an Ökostromkund*innen innerhalb von nur zwei Jahren von ursprünglich zehn Prozent auf rund neunzig Prozent.7 Aber auch weniger drastische Eingriffe in die Entscheidungsarchitektur bei der Auswahl eines Stromtarifs liefern beeindruckende Ergebnisse: Wenn Online-Stromportale für ihre potenziellen Kund*innen von vornherein bloß einen Auswahl-Haken beim Ökostromtarif setzen, kann sich die Menge der abgeschlossenen Ökostromverträge verzehnfachen, wie man in einer Studie aus dem Jahr 2015 in Deutschland herausfand.8

Wie aus den obigen Beispielen hervorgeht, hat so ziemlich jeder Mensch (abhängig von seinen Lebensumständen) viele Möglichkeiten, sich kollektiv für die gesamtgesellschaftliche Klimawende einzubringen. Aber das funktioniert im Gegensatz zur Fußabdruck-Reduktion so gut wie nie allein. Beim Handabdruck geht es fast immer darum, gemeinsam mit Menschen auf Menschen einzuwirken.

1 https://www.atmosfair.de/de/kompensieren/flug/ & „So viel CO2 stoßen Autos – Geschätzte durchschnittliche CO2-Emissionen von PKW in Deutschland 2022 (in kg CO2/Jahr)“, M. Janson, Link: https://de.statista.com/infografik/25742/durchschnittliche-co2-emission-von-pkw-in-deutschland-im-jahr-2020/, Zugriff 24.04.2023

2 „Consumer behavior and climate change: consumers need considerable assistance”, John Thogersen, 2021, Current Opinion in Behavioral Sciences, Link: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352154621000309, Zugriff 24.04.2023

3 Annahmen und Berechnung: Durch die Umstellungen werden an 200 Tagen im Jahr 300 Fleischgerichte mit jeweils rund einem kg CO2äq. (d.h. insgesamt 60.000 kg CO2äq. pro Jahr) vermieden.

4 Annahmen und Berechnung: 250.000 kWh mit einem CO2-Faktor für 2021 von 0,42 kg CO2/kWh im deutschen Strommix (d.h. 105.000 kg CO2 pro Jahr) werden durch fast CO2-freien Sonnenstrom ersetzt. Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-05-26_cc-45-2021_strommix_2021_0.pdf, Zugriff 24.04.2023

5 Durchschnitt für die Jahre 2019 und 2020: „Energiebericht 2021“, Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, Link: https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf26/energiebericht_2021.pdf, Zugriff 24.04.2023

6 Mit einem CO2-Faktor für 2021 von 0,42 kg CO2/kWh im deutschen Strommix, Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-05-26_cc-45-2021_strommix_2021_0.pdf, Zugriff 25.04.2023

7 Chassot, Sylviane; Wüstenhagen, Rolf; Fahr, Nicole & Graf, Peter: „Wenn das grüne Produkt zum Standard wird : Wie ein Energieversorger seinen Kunden die Verhaltensänderung einfach macht.“ In: Organisationsentwicklung (2013), 3, S. 80-87. Link: https://www.researchgate.net/publication/268213904_Wenn_das_grune_Produkt_zum_Standard_wird_Wie_ein_Energieversorger_seinen_Kunden_die_Verhaltensanderung_einfach_macht, Zugriff 25.04.2023

8 „Domestic uptake of green energy promoted by opt-out tariffs“, Ebeling, et al., 2015, Link: https://www.nature.com/articles/nclimate2681, Zugriff 25.04.2023

Tücken des Klima-Handabdrucks – und ihre Entschärfung