Hoch. Hinaus - Margot Flügel-Anhalt - E-Book
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Margot Flügel-Anhalt

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Beschreibung

Aus einem kleinen Dorf in Nordhessen 22.000 Kilometer bis zur höchstgelegenen Straße der Welt, dem Karakorum-Highway, und zurück: Mit fast 70 Jahren erfüllt sich Margot Flügel-Anhalt ihren Traum, einmal im Leben bis ganz nach oben zu reisen. Ihr Sehnsuchtsziel: der sagenhaft schöne Himalaya-Bergriese Nanga Parbat. Auf ihrem Weg wird sie Zeugin der verheerenden Flutkatastrophe in Pakistan, erlebt die Massenproteste im Iran. Unterdrückung und Freiheit, Gewalt und Schönheit der Natur – es sind besonders die Gegensätze, die ihre Reise am Ende so einzigartig machen.

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Seitenzahl: 266

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Impressum

© eBook: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2022 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

POLYGLOTT ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Text: Margot Flügel-Anhalt mit Titus Arnu

Lektorat und Projektmanagement: Philip Laubach und Julia Hirner

Gestaltung und Satz: Sieveking · Agentur für Kommunikation, München

Umschlaggestaltung: Favoritbüro Gbr, Bettina Arlt

eBook-Herstellung: Maria Prochaska

ISBN 978-3-8464-0947-3

1. Auflage 2022

Bildnachweis

Karte und Illustrationen: Diana Köhne

Fotos: streetsfilm und Margot Flügel-Anhalt, studiomittelmühle, Kassel

Schlusskorrektur: Chris Tomas und Ulla Thomsen

Syndication: www.seasons.agency

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»Ja, das Fremde zieht mich magisch an. Dieses unsagbar wilde Gefühl von Freiheit, das mich überflutet, wenn ich an den Aufbruch zu einer neuen Reise denke. Mit einem Schlag ändert sich alles: Die verblassenden Farben des Alltags werden mit einem Mal traumhaft bunt, die lauen Töne melodischer, der Duft der Heimat verliert sich vor dem verführerischen Geschmack der Ferne. Ich will wieder aufbrechen. Im wahrsten Sinne dieses Wortes: mich öffnen für Neues, Unbekanntes, noch nie Gesehenes. Fremdes. Unterwegs sein. Diesmal will ich hoch hinaus.«

Margot Flügel-Anhalt

»Mein Respekt könnte nicht größer sein.«

Hubertus Meyer-Burckhardt, NDR-Talkshow

»Eine ganz besondere Weltreise. Sie hat den Traum wahrgemacht, den viele nur träumen.« SWR 2

»Diese Frau ist nicht zu bremsen.«

HÖRZU TV-TIPP

Für alle Menschen, die aufbrechen wollen.

PROLOG

Frühjahr 2022 // Thurnhosbach

Dieser Berg ruft nicht. Er winkt. Mit gigantischen Armen. Der Berg scheint mir eine Botschaft zu schicken. Halloooo ! Margooot ! Was will der Bergriese mir sagen? Will er mich hypnotisieren? Oder träume ich noch? Erst mal wach werden !

Jeden Morgen laufe ich barfuß die taubedeckte Wiese hinter meinem Haus hoch. Auch wenn es kalt und neblig ist wie im Moment. Dieses Ritual erdet mich. Der Morgenspaziergang sortiert meinen Körper, ordnet meine Gedanken nach der Nacht wieder ein in die Welt. An diesem kühlen Frühjahrstag wird mir wieder mal klar: Mein Haus ist von Bergen umgeben. Na ja, Berge. Es gibt hier keine besonders hohen Gipfel, keine Gletscher, keine großen Nordwände, keine Kletterrouten, aber immerhin sind es Erhebungen.

Zurück im warmen Haus brühe ich mir erst mal einen Kaffee auf, wie immer mit einer Prise der Gewürzmischung »Farben von Jaipur«. Während ich den ersten Schluck heißen Kaffee trinke, schmecke ich Kardamom und Zimt heraus und erinnere mich an Indien: Hitze, Gestank, Chaos, Krach. Beim Blick aus meinem Küchenfenster empfinde ich das Gegenteil: Kälte, Kaffeeduft, Ordnung, Ruhe. Aus den Wiesen steigt der Morgennebel auf. Auf dem Hügel, den ich von meinem Haus aus sehen kann, drehen sich Windräder im grauen Dunst, sie wirken auf mich wie geisterhafte, dreiarmige Riesen aus einem Märchen. Berge wirken, besonders im Nebel, immer leicht magisch. Es ist ein bisschen wie im Berchtesgadener Land, wo der Watzmann schon immer die Fantasie der Menschen angeregt hat, die sich vorstellten, die Zacken des Massivs seien verzauberte Königskinder und ihre bösen Eltern. Nur, dass die Hügel in Nordhessen halt nicht so hoch sind wie die Berge in den Alpen.

Von meinem Haus aus kann ich den Ziegenküppel gut sehen, auch den Burgberg, der 413 Meter hoch ist. Das Dorf mit seinen 44 Einwohnern liegt auf etwa 300 Metern. Dass einige der waldigen Berge rund um meinen Wohnort höher wirken, als sie sind, könnte mit den künstlichen Aufbauten zu tun haben. Auf der Anhöhe zwischen Stadthosbach, Thurnhosbach und Diemerode stehen seit einigen Jahren fünf riesige Windenergieanlagen, die jeweils 199 Meter in die Luft ragen.

Ich war wie einige andere Bewohner in den betroffenen Dörfern gegen den Bau dieser Anlagen. Sie stehen in einer idyllischen Landschaft, fernab von Verkehr und Industrielärm, und sie sind im Vergleich zu den Hügeln absurd hoch. Im Frühjahr und Herbst fliegen große Gruppen von Zugvögeln über unsere Gegend. Schwarzstörche und Rotmilane leben hier in den stillen Wäldern. Jetzt lärmen die Rotoren und Stromaggregate Tag und Nacht. Solche Anlagen gehören an Autobahnen oder in Industriegebiete, finde ich. Wenn morgens im Frühtau zu Berge ich zieh, fallera, dann ist das Tal gar nicht mehr so still.

Vielleicht träume ich deshalb davon, zu den wirklich großen Bergen aufzubrechen. Davon, in diese große Stille einzutauchen, die weit oben beginnt, wo es keine Ansiedlungen mehr gibt, auch keine Windkraftanlagen, Straßen und Aussichtstürme. Ganz hoch oben, das weiß ich von Wanderungen in den Alpen und in den Bergen der Mongolei, von meinen Motorradtouren durchs Pamir-Gebirge, durch Skandinavien und Schottland, erscheinen die alltäglichen Dinge nicht mehr ganz so wichtig. Ganz oben wird das Laute still.

Der Ziegenküppel ist nicht der Nanga Parbat. Während der Achttausender im Westhimalaya der neunthöchste Berg der Welt ist und als einer der gefährlichsten gilt, hat dieser Hügel in Nordhessen keinerlei alpinistische Bedeutung. Der Nanga Parbat ist 8125 Meter hoch, der Ziegenküppel nur 445 Meter. Damit zählt er immerhin zu den höchsten Gipfeln des Stölzinger Gebirges im Nordhessischen Bergland. Eine zwei Kilometer lange, gemütliche Wanderung führt von meinem Wohnort Thurnhosbach auf den Gipfel, wo ein Aussichtsturm steht. Dabei sind etwa 140 Höhenmeter zu überwinden. Keine große Herausforderung für Bergsteiger mit höherem Anspruch. Reinhold Messner war jedenfalls noch nicht dort. Ich dagegen schon oft.

Apropos Berge: Bei uns im Werra-Meissner-Kreis gibt es den Hohen Meissner. Ich fahre da manchmal hoch, um einen Motorradgottesdienst zu besuchen, im April war ich zum letzten Mal dort, im Schneegestöber. Der Hohe Meissner ist 753 Meter hoch. Kein Vergleich zu den Bergen im Karakorum oder Himalaya. Aber auch dort oben bist du den Sternen ein wenig näher. Und vielleicht auch der Frage: Wie also soll ich leben, da ich sterblich bin?

Oben, weit oben in dieser unendlichen Stille der Berge, komme ich zu mir, fühle, dass ich lebendig bin. Wenn der Atem schwer wird in der dünner werdenden Luft. Wenn nichts mehr um dich ist als Stein und Eis. Nichts, was ablenkt, nichts Lebendiges, um das man sich Sorgen machen müsste. Nur Fels. Eis. Schnee. Dem Himmel ganz nah. Dieses Gefühl überflutete mich im Pamir-Gebirge, als ich dort allein auf der 125er Enduro unterwegs war, tagelang auf Schotterpisten durch die Berge, der höchste Punkt lag auf 4655 Meter. Nicht nur der 125er ging dabei die Puste aus. Auch für mich war nicht mehr genug Luft da. Die Honda aus dem Dreck zu schieben, brachte mich schnell an den Rand meiner Leistungsfähigkeit. Ich schnaufte wie ein altes Pferd. Kopfschmerzen plagten mich und das Filmteam, das für ein paar harte Tage meinen Weg mitging. Mein Gesicht war verquollen, wie nach einer durchsoffenen Nacht. Trotzdem zieht es mich immer wieder in die Höhe. Dort hörst du auf zu denken. Bist einfach nur. In diesem Zustand des »Nicht-Ich-Seins« kommst du existenziellen Fragen ein wenig näher.

Ich mag die Windräder wirklich nicht, das steht fest, auch wenn ich weiß, dass sie uns den Strom der Zukunft liefern. Mir haben sie einen entscheidenden Wink gegeben: Ich muss wieder los. Raus aus dem Alltag. In der Weite des Raumes sein. Fühlen, was das mit mir macht. Diesmal will ich ganz nach oben. Wohin genau? Gute Frage, und die Antwort darauf stand schon fest, bevor ich es wusste. Es ist eine sehr stille, beinahe lautlose Antwort, die ich in mir fühle. Ganz langsam beginnt sie, sich in mir zu manifestieren.

Deutschland

Staub und Salat

Heißer Wind und kühle Gedanken

Bergsehnsucht und Baumgespräche

Resilienz und Fitness

Hoch hinaus ins Abenteuer

Ein tannengrüner Kleinlastwagen

Frühjahr 2022 // Thurnhosbach

Ich war immer viel unterwegs. Während meines Berufslebens habe ich in den Urlauben Fernwanderungen quer durch Europa unternommen, habe in Marokko und Berlin gelebt, Osteuropa und Asien bereist. Nach der Pensionierung bin ich mit dem Motorrad durch Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und Iran gefahren. Mit einem alten Mercedes bin ich über den Balkan, durch die Türkei, Iran, Pakistan, Indien, Myanmar und Thailand bis nach Laos gereist. Aber im Himalaya war ich noch nie. Von Nordhessen bis zum westlichsten Achttausender, dem Nanga Parbat, sind es nur 7800 Kilometer. Luftlinie. Das muss doch zu schaffen sein !

Von Hessen in den Himalaya. Vom Ziegenküppel zum Nanga Parbat. Mit einem Geländewagen über den Karakorum-Highway, eine der abenteuerlichsten Fernstraßen der Welt, hin und zurück insgesamt etwa 22.000 Kilometer. Das ist meine Idee. Nicht unwichtige Zusatzidee: Ich will gesund und möglichst mit intaktem Auto zurückkommen. Meine Route führt durch die Türkei, den Iran und Pakistan, drei Monate Reisezeit von Juli bis Mitte Oktober 2022. Das kleine Filmteam, bestehend aus meinen Freunden Johannes Meier und Paul Hartmann, wird mich auf einigen Etappen begleiten, um eine Dokumentation zu drehen, aber die meiste Zeit werde ich wieder allein unterwegs sein. Ich bin jetzt 68 Jahre alt – und muss immer wieder die Frage beantworten: Warum tust du dir das an?

Tja, eine berechtigte Frage. Der britische Bergsteiger George Mallory, in den 1920er-Jahren einer der Pioniere am Mount Everest, antwortete auf die Frage, warum er den höchsten Berg der Welt besteigen wolle: »Weil er da ist.« Reinhold Messner sagt zum Bergsteigen, er klettere auf Gipfel, um sein »eigenes Maß« zu finden. Auf seiner Expedition zum Nanga Parbat im Jahr 1970, als beim dramatischen Abstieg über die Diamir-Flanke sein Bruder Günther ums Leben kam, sei er selbst gestorben, erzählte Messner später. Trotzdem machte er weiter und bestieg alle 14 Achttausender, ohne Sauerstoffflaschen, ohne großes Expeditionsteam, ohne Fixseile, zum Teil allein. Warum er sich das immer wieder antue? Das wisse er nicht, sagt er in einem seiner Filme. Er zeichne Linien, gelebte Linien auf den Berg. Sie bleiben für alle Zeiten. Er möchte immer nur weitergehen. Ohne irgendwo anzukommen. Bis die Welt aufhört.

Das verstehe ich ziemlich gut. Ähnlich erlebte ich es bei der Fahrt mit der Honda durch das Pamir-Gebirge. Da schien mir die Welt auf einmal zu klein für meinen Wunsch, immer weiterzufahren. Die schwache Honda mit ihrem eher mickrigen 125er-Motor begrenzte meine Möglichkeiten dann aber doch, denn je höher man damit fährt, desto weniger Sauerstoff gelangt in den Vergaser, und die Leistung sinkt. Sauerstoffflaschen für Motorräder gibt es noch nicht. Auch bei der kommenden Reise werde ich wieder ein Maß finden müssen auf dieser langen Strecke von Thurnhosbach bis nach Gilgit-Baltistan, durch die sommerliche Hitze in der Türkei, Iran und Pakistan bis zum Nanga Parbat.

Ich sehe mich schon auf der Märchenwiese sitzen, den Fairy Meadows, unterhalb des weißen Riesen. Es muss ein unwirklich schöner Ort sein, aufgeladen mit uralten Mythen und den Geschichten der Bergsteiger, die dort waren. Dort will ich hin – und all die Sehnsüchte spüren, die die Bergsteiger dort hinauf gelockt haben, ich erahne ihre Verzweiflung, wenn der Versuch einer Besteigung misslang. Auf den Gipfel werde ich nie gelangen, aber mindestens das Basislager möchte ich erreichen. Immerhin werde ich den Gipfel sehen können. Und den Menschen begegnen, die am Fuße des Nanga Parbat leben. Dort oben verdichtet sich vielleicht unser Menschsein. Vielleicht komme ich dort existenziellen Fragen näher. Warum wir leben. Was wir suchen. Wonach wir streben. Es ist gar nicht immer nur Geld. Oder Ruhm. Es ist vielleicht einfach das Gefühl, lebendig zu sein in einer allumfassenden Form.

Das Plateau der Märchenwiese befindet sich im Rakhiot-Tal. Die Piste dorthin gilt als eine der gefährlichsten Straßen der Welt und darf nur von Einheimischen befahren werden. Die Bewohner des Tals transportieren Touristen über die 16 Kilometer lange Strecke bis zum Dorf Tato. Von dort aus führt eine Fußstrecke von etwa 15 Kilometern zum Basislager.

Ich werde mein knallrotes Hilleberg-Zelt mitnehmen. Meine neue Isomatte, die geeignet ist für Minusgrade. Meine Bergwanderschuhe und die Spikes für die Gletscher. Ich möchte still dort verweilen, am Berg nach Geschichten suchen, nach den glühenden Sehnsüchten, der Todesangst und den Enttäuschungen. Nach den Gründen, warum Menschen aufbrechen. Ich möchte dem Berg und seinen Menschen zuhören.

Ja, das Fremde zieht mich magisch an. Dieses unsagbar wilde Gefühl von Freiheit, das mich überflutet, wenn ich an den Aufbruch zu einer neuen Reise denke. Mit einem Schlag ändert sich alles: Die verblassenden Farben des Alltags werden mit einem Mal traumhaft bunt, die lauen Töne melodischer, der Duft der Heimat verliert sich vor dem verführerischen Geschmack der Ferne. Ich will wieder aufbrechen. Im wahrsten Sinne dieses Wortes: mich öffnen für Neues, Unbekanntes, noch nie Gesehenes. Fremdes. Unterwegs sein. Diesmal will ich hoch hinaus.

Herbst 2021 // Thurnhosbach

Die Fernreise mit dem Motorrad durch den Pamir im Jahr 2018 war das größte Abenteuer, was ich bis dahin erlebt hatte. Zumal ich davor keine Motorradfahrerin war. Doch die vielen Pannen und die Stürze zerrten an meinen Nerven und meinen Kräften, sodass ich mich entschied, bei der nächsten Reise meinen guten alten Benz zu benutzen. Die anthrazitfarbene C-Klasse-Limousine tat recht zuverlässig ihren Dienst, auch wenn zwischenzeitlich die Bremsen ausfielen und ich taktisch schalten musste, um auf den Bergstraßen Nordindiens nicht aus den Kurven zu rutschen. Was ich dabei lernte: Bremsen sind überschätzt. Und selbst in einer indischen Hinterhofwerkstatt gibt es Leute, die einen Mercedes reparieren können. Mein alter Benz ist in Laos geblieben. Ich habe ihn in Luang Prabang gelassen, als Spende für eine soziale Einrichtung, deren Mitarbeiter ihn hoffentlich noch lange benutzen werden.

Nachdem ich aus Laos zurückgekommen war, hatte ich mir eine Mercedes-Limousine E 240 mit 170 PS und schwarzen Ledersitzen gebraucht gekauft.

Für meine Fahrt zum Nanga Parbat brauche ich allerdings ein neues Fahrzeug. Der Mercedes kommt für diese Reise nicht in Frage. Denn für den Pamir Highway wäre er nicht geeignet. Auf den schlaglochübersäten, steilen und staubigen Bergstrecken benötige ich auf jeden Fall ein Allradauto. Und zwar am besten eines, das im Zweifelsfall einfach zu reparieren ist, ohne viel Elektronik auskommt und nicht allzu groß für mich ist.

Deshalb habe ich einen Lada Niva gekauft. Von einem Jäger im Westerwald. Von dem bequemen Benz auf einen Lada umzusteigen, das erfordert Humor. Wenn ich mit dem russischen Auto durch Sontra fahre, staunen die Leute. Und insgesamt ist im Cockpit nur das Lenkrad. Keine Elektronik. Es gibt ein Radio, immerhin, die Fenster kurbelt man von Hand hoch und runter, das Glas der Scheiben ist nicht getönt. Abblendlicht, das direkt vor dem Auto auf die Straße leuchtet, ist nicht hilfreich. »Das ist beim Lada normal«, sagt Stefan. »Fahr halt mit Fernlicht.«

Stefan Müller, Kfz-Meister in Donnershag bei Sontra, ist der Mann meines Vertrauens. Er ist Anfang 50, wirkt drahtig und fit, und er kennt sich bestens aus. Er richtet die Ladas der Jäger in unserer Gegend her. Stefan reist selbst sehr gerne, findet meine Idee große Klasse und macht sich ans Werk, meinen Lada reisefertig zu machen. Jetzt steht der Lada Niva repariert und fahrbereit vor meinem Haus. Ich kann mir gut vorstellen, mit dem Auto im Juli 2022 zum Karakorum-Highway zu fahren. Mein Kombilimousinenkleinlastwagen wirkt vertrauenswürdig, finde ich.

Jedes Mal, wenn ich in den Lada steige, muss ich mich ein bisschen mehr umstellen. Und jedes Mal, wenn ich einsteige, weiß ich, damit fahre ich bis zum Himalaya. Und von Mal zu Mal gewöhne ich mich mehr an dieses Auto. Es hat nur 19.500 Kilometer auf dem Tacho, das ist weniger, als ich bei meiner kleinen Ausfahrt von Hessen in den Himalaya und zurück fahren werde. Laut den Fahrzeugpapieren ist der Wagen Baujahr 06.2012, hat 82 PS, Farbe Tannengrün – wie es sich für Jäger eben gehört. Die kantige Karre heißt offiziell »Kombilimousine«. Die spinnen, die Russen. Aber egal, der Sound ist groovy, wenn man aufs Gaspedal tritt, hört der Lada sich an wie ein kleiner Lastwagen. Auf der Autobahn habe ich immerhin beinahe 150 Stundenkilometer geschafft. Ohne Airbags und großartige Rückhaltesysteme bleibe ich aber lieber bei den empfohlenen 130 Stundenkilometern. So schnell werde ich sowieso fast nirgendwo fahren können, wenn ich Europa verlasse.

Den ersten Langstreckentest bestand der Lada im September 2021. Ich fuhr mit der Kombilimousine von Nordhessen zum Nordkap, über die Westküste und die Fjorde Norwegens zurück nach Hause. Insgesamt 7000 Kilometer. Er lief bestens ! Auf den Bergen lag Schnee, der Regen kam horizontal, es war kalt. Also ein guter Test auch für die Berge Pakistans. Einmal nur musste der Keilriemen nachgespannt werden. Die Mechaniker in Norwegen guckten etwas irritiert, als ich mit der Russenlimousine ankam. Irgendwo vor dem Nordkap quietschte und rutschte der Keilriemen. Stefan hatte zwei neue eingebaut. »Bitte prüfen Sie die Keilriemen, die sind neu, und vermutlich muss eine Schraube nachgezogen werden«, sagte ich auf Englisch zu den norwegischen Mechanikern. Sie sagten nichts, einfach gar nichts. Irgendwie guckten sie mich nicht mal richtig an. Ich kam mir vor wie in den indischen Autowerkstätten, wo sie Frauen grundsätzlich nicht ernst nehmen. Also sagte ich auch nichts mehr. Warf den Motor an, dann hörten sie ja selbst, was fehlte. Ein Mechaniker machte sich ans Werk. Holte den großen Schraubschlüssel, beugte sich über die Motorhaube, machte genau das, was ich vorgeschlagen hatte, und wenige Minuten später war das Problem gelöst.

Im Iran und in Pakistan sind 40 Grad im Sommer eine normale Temperatur. Der Lada Niva hat keine Klimaanlage. Also 40 Grad plus in der kleinen Blechkiste im Iran und zehn Grad Minus in den Bergen. Ich bin gespannt.

April 2022 // Thurnhosbach

Aber warum ausgerechnet der Nanga Parbat? Wieso will ich unbedingt in die Nähe dieses Berges, für den die Nazis den Mythos vom »Schicksalsberg der Deutschen« erfunden haben? Geschichte finde ich grundsätzlich spannend. Es ist auch die Geschichte meiner Altvorderen. Also auch meine Geschichte. Zeit, die mich prägt. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation im Deutschen Reich Anfang der 1930er-Jahre suchten Politik und Propaganda nach Wegen aus der »Schmach«. Als Land mit langer Geschichte im alpinen Bergsport sahen die Machthaber des Deutschen Reiches eine Möglichkeit, im weit entfernten Himalaya die »deutsche Tüchtigkeit« unter Beweis zu stellen. Der Nanga Parbat, an dem viele deutsche Bergsteiger tödlich verunglückten, galt vor allem nach diesen Tragödien der 1930er-Jahre als »deutscher« Gipfel, als »Schicksalsberg« im Himalaya.

Zur Vorbereitung habe ich mir Filme angeschaut von den Besteigungsversuchen. Die Dokumentationen hauen mich um. Wie ist es möglich, dass Menschen sich so etwas aussetzen? Sich dermaßen der Natur übergeben? Sie verlieren beinahe den Verstand und gehen doch immer wieder los. Bei einem Besuch in der Schweiz, wo mein Sohn Phil und seine Frau Bee leben, war ich in der Nähe der Eiger-Nordwand. Auch dort sind viele Bergsteiger tödlich verunglückt beim Versuch, diese eis- und steinschlaggefährdete Wand zu durchsteigen. Warum riskieren Menschen ihr Leben, um auf einem Berg zu stehen? Und das, obwohl sie von der großen Gefahr wissen.

In den Chats auf Facebook und Youtube stellen mir Leute ähnliche Fragen. Sie kennen die Filme und meine Bücher über meine Reisen nach Zentral- und Südostasien und fragen: Warum? Ja, warum mache ich das? Warum will ich immer wieder aufbrechen in Länder, in denen das Reisen im Allgemeinen nicht gerade einfach oder sicher ist? Allein, ohne Gruppe oder wenigstens mit einem Begleiter. Es gibt Frauen, die das verstehen, auch ein paar Männer. Sie kennen möglicherweise das Gefühl, das mich überkommt, wenn ich aufbreche in ein neues Abenteuer.

Es ist reines Glück ! Eine tiefe Erfüllung ! Kindliche Begeisterung für alles und die ganze Welt ! Es fühlt sich an wie Ostern, Geburtstag und Weihnachten in einem. Und es ist immer neu. Ich muss aufbrechen ! Muss mich erleben ! Grenzen überschreiten ! Neues wagen ! Und glücklicherweise bin ich gesund genug, um es zu tun. Ich bin ziemlich fit für mein Alter, weil ich regelmäßig Sport mache und mich gerne und viel bewege. Meine beiden Söhne, Imo und Philip, sind 37 und 40 Jahre alt, Imo hat den fünfjährigen Sohn Aaron. Ich lebe allein, meine beiden Männer sind bereits verstorben.

Ja, es ist gefährlich am Nanga Parbat, und manchmal nicht nur in der Todeszone über 8000 Höhenmeter. Am 23. Juni 2013 las ich fassungslos in den Nachrichten, dass elf Bergsteiger im Basislager am Fuß des Nanga Parbat erschossen worden waren, ermordet von Terroristen. Lange war das Gebiet komplett gesperrt. Mittlerweile sind dort wieder Expeditionen möglich. Theoretisch. Aber es ist gar nicht so einfach, in diesen Zeiten eine Fernreise zu planen.

Die Pandemie hat meine Projekte in den vergangenen Jahren erschwert und verhindert. Und nun gibt es auch noch einen Krieg in Europa. Die Ukraine kämpft verzweifelt ums Überleben gegen die russischen Truppen. In Russland opfern Aktionisten ihre Freiheit für wenige Sekunden der Wahrheit, die Grenzen Richtung Osten und nach China sind auf dem Landweg unpassierbar geworden. Tausende Soldaten auf beiden Seiten sind gefallen. Tausende Zivilisten tot. Millionen Menschen auf der Flucht. Ich sollte zu Hause bleiben. Die Decke über den Kopf ziehen. Keine Nachrichten mehr hören. Oder wenigsten Klopapier, Mehl und Öl horten.

Als Kind hatte ich immer Angst davor, dass »die Russen kommen«. Dass es wieder einen Krieg geben könnte. Meine Eltern hatten den Zweiten Weltkrieg erlebt. Mein Vater als siebzehnjähriger Soldat, der traumatische Erlebnisse mit nach Hause brachte. Meine Mutter als junges Mädchen, das an Zäunen entlang gehen musste, hinter denen Kriegsgefangene wie Tiere gehalten wurden. Vielleicht besuche ich auch deshalb seit Jahren Russisch-Kurse an der Volkshochschule. Falls der Russe kommt, kann ich ihn wenigstens korrekt in seiner Sprache begrüßen.

Jeder zweite Flüchtling, sagen sie an den Grenzen zu Polen, Rumänien und Ungarn, ist ein Kind. Als ich im Frühling 2018 auf dem Weg nach Zentralasien mit der 125er Honda durch die Ukraine gefahren bin, führte mich mein Weg auch durch Kiew. Eine turbulente, schöne europäische Millionenstadt. Viel Verkehr. Gepflegte Grünanlagen. Menschen, die zur Arbeit gingen. In den Parks die Liebenden. Wie überall. Wie bei uns.

Die Hilfsbereitschaft in Europa ist groß. Geld, Waren, Waffen. Alles wird Richtung Osten geliefert. Der russische Präsident deklariert die Waffenlieferungen des Westens und die wirtschaftlichen Sanktionen zur Kriegserklärung um. In solchen Zeiten eine Reise zu planen ist nicht einfach. In den letzten beiden Jahren mussten viele Fernreisende, die Richtung Osten fahren wollten, ihre Pläne ändern oder canceln.

Dazu kommen die anhaltenden Konflikte an der 2640 Kilometer langen Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan. Wo immer die Berge es erlauben, hat Pakistan diese Grenze in jüngster Zeit mit Zäunen befestigt. Seit die internationalen Truppen aus Afghanistan abgezogen wurden, haben die islamistischen Taliban die Herrschaft weitestgehend übernommen. Trotzdem bekämpfen die Gruppen der Terrormiliz Islamischer Staat ihre andersgläubigen Brüder. Selbstmordattentäter haben sich kürzlich in Peshawar im Norden Pakistans den Weg in eine Moschee frei geschossen und sich dort in die Luft gesprengt.

Durch den Norden Pakistans soll meine Reise führen, und dort ist es auch nicht unproblematisch. Mit dem alten Benz bin ich bereits 2019 durch Belutschistan, die westliche Provinz Pakistans, die an Afghanistan grenzt, gereist. Immer in Begleitung von Levies, schwer bewaffneten paramilitärischen Soldaten, die die Sicherheit der Reisenden garantieren sollen.

Die Visa-Agentur hat mir die Unterlagen für Iran zugesandt. Ziemlich schräg liest sich die Frage auf Seite zwei, die sich offensichtlich an mich als Deutsche richtet: »Haben Sie terroristische Tätigkeiten geplant oder durchgeführt, oder haben Sie an deren Planung und Durchführung teilgenommen?« Als Antwortmöglichkeiten gibt es ein Kästchen für ›Nein‹ und eines für ›Ja‹. Falls ich ›Ja‹ ankreuze, fragt das Formular: »Bitte erklären Sie es.« Als ob eine positive Antwort mit einer schlüssigen Erklärung es besser machen würde.

Ganz andere Sorgen macht mir die lapidare Bemerkung der etwas unterkühlten Dame am Telefon der Visa-Agentur, die ich mit der Einholung des Iran-Visums beauftrage. »Sie bekommen aktuell nur eine Einreise in den Iran.« Dann bleibe ich im Zweifelsfall also in Pakistan hängen, wenn ich mich wieder auf den Rückweg durch den Iran machen will und da nicht wieder einreisen darf? Das weiß kein Mensch. Inschallah.

Mai 2022 // Thurnhosbach

Die Sehnsuchtsroute, zu der ich in einem Monat aufbreche, wird mich zu den Achttausendern führen. Die höchsten Berge der Welt üben eine starke Anziehungskraft auf Touristen aus, auch auf mich. Immer noch steigen Horden von Bergsteigern auf den Mount Everest, für 40.000 bis 100.000 Euro pro Person, je nachdem wie viele Sherpas sie jeweils begleiten, wie viel Sauerstoff sie benötigen und wie groß der Komfort unterwegs ist. Im Stau am letzten Hindernis vor dem Gipfel, dem Hillary Step, wird es für einige schwierig, manche sterben vor Erschöpfung, weil die Anstrengung zu groß, die Luft zu dünn ist, der Sauerstoff in den Flaschen nicht ausreicht.

Es gibt heilige Berge, für die es keine Besteigungsgenehmigung gibt. Dazu gehört auch der Kailash in Tibet. Gläubige können ihn umrunden, um von ihren Sünden gereinigt zu werden. Auf seinen Gipfel aber dürfen sie nicht. Nur Reinhold Messner bekam von der chinesischen Regierung mal die Erlaubnis, den Kailash zu besteigen, aber er sah von einer Expedition ab – aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Einheimischen.

Die positive Energie hoher Berge habe ich bei meiner Reise durch Zentralasien im Pamir erfahren. Länger zu verweilen, dieser Wunsch entstand dort in mir. Ich habe es den Bergen versprochen, zu ihnen zurückzukehren. Ja, ich rede mit Felsen und mit Bäumen, auch mit Bergen. Zu den afghanischen Gipfeln im Tal des Pandsch Rivers rief ich hinüber: »Ich komme wieder !« Als ich auf meiner Fernreise mit dem alten Benz nach Südostasien den Ararat passierte, versprach ich diesem über 5000 Meter hohen, schneebedeckten Riesen, ihn bald wieder zu besuchen – ohne zu ahnen, dass ich wegen Einreiseproblemen in den folgenden Tagen immer wieder an ihm vorbeifahren würde.

Der Gipfel eines Achttausenders im Himalaya ist für mich unerreichbar, das steht fest. Aber an seinem Fuß möchte ich stehen und ihn bewundern.

Sternenstaub. »We are stardust«, die Zeile aus dem Song »Woodstock« von Crosby, Stills, Nash & Young aus den Siebzigern geht mir durch den Sinn. Und in den Stuttgarter Nachrichten lese ich:

»Der Mensch, das Baumaterial, jedes Atom, aus dem er sich zusammensetzt, war einmal der Teil eines Sterns. Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum (Zitat von Demokrit). Mit sämtlichen Menschen, die je gelebt haben, teilen wir denselben Blick auf die Sterne.«

Und denselben Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Berge. Ob wir die Ersten sind, die etwas erreichen, oder ob lange vor uns bereits jemand seinen Fuß auf eine bestimmte Stelle der Erde setzte, ist nur eine Weile lang von Bedeutung. In der Ewigkeit des Universums zählt es nicht. Aber wahr ist wahrscheinlich auch: Kein einziges Atom im Weltall geht jemals verloren.

Laut Google Maps ist es kein Problem, auf dem Landweg von Thurnhosbach zum Nanga Parbat zu fahren. Einfach auf der Dorfstraße Richtung Osten, in Sontra auf die B27, vorbei an der Hundeschule Partner Dogs, der Landfleischerei »Ahle Wurscht« bis Eisenach-West, dort auf die A9 und über Tschechien, Ungarn und Rumänien in die Türkei. In Istanbul links halten, weiter bis Anatolien (nicht vergessen: hier dem Ararat zuwinken), durch Iran und Afghanistan bis ans Ziel. Drei Tage und 21 Stunden brauche ich dafür, behauptet Google Maps, wenn man komplett durchfährt. Google Maps ist total weltfremd. Erstens kann man nicht einfach durch Afghanistan fahren, was die kürzeste Strecke wäre, zweitens möchte ich nicht 8000 Kilometer am Stück fahren, drittens ist so eine Reise hochkompliziert, wegen der ganzen Einreiseformalitäten und Sonderbestimmungen. Besonders in Pakistan und Iran.

Die Organisation der Route von zu Hause aus gleicht der Planung einer Achttausender-Expedition. Zumindest stelle ich es mir ähnlich aufwendig und anstrengend vor. Besonders die Etappen in Pakistan, von Islamabad in die Berge, sind kompliziert. Für diesen Teil habe ich Hussain Qadir Shah angefragt, die weitere Tour zu organisieren. Er hatte mir 2019, als ich mit dem alten Benz Richtung Südostasien unterwegs war, das Einladungsschreiben ausgestellt, das man für ein Pakistan-Visum braucht. Er sitzt in seinem Wohnort Sheikhupura nun daran, die einzelnen Etappen auszuarbeiten, er möchte, dass ich mich wohlfühle. »Hussain, ich möchte zum Nanga Parbat Base Camp. Kannst du mir eine Agentur empfehlen, die das für mich organisiert?«, frage ich ihn über WhatsApp. »Brauchst du ein Einladungsschreiben?«, fragt er zurück. Monate und viele WhatsApp-Nachrichten später haben wir das gesamte Programm miteinander fertiggestellt. Viele Unwägbarkeiten – komme ich überhaupt so weit, bleiben die Grenzen offen, wie wirkt sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf meine Reisepläne aus – stehen zwischen dem Wunsch und dem Plan, den Nanga Parbat zu besuchen.

Das Filmteam wird bei diesem Abschnitt der Reise dabei sein. Sie werden im August nach Islamabad fliegen. Dort treffen wir uns, reisen über den Karakorum-Highway bis zum Kunjirap-Pass an der chinesischen Grenze, besuchen in Hunza eine einzigartige Schreinerei, in der nur Frauen eine Ausbildung machen können, machen einen Abstecher zum Rakaposhi, einem 7788 Meter hohen Berg im Karakorum. An der Raikhot Bridge lassen wir unsere Autos zurück und fahren in Jeeps über die »gefährlichste Piste der Welt«, wie die Strecke genannt wird, wandern hoch zu den Fairy Meadows und steigen über das Beyal Camp zum Base Camp am Nanga Parbat hinauf. Wenn wir vom Karakorum-Highway zurückkommen, besuchen wir Hussain und seine Familie in Sheikhupura. Seine Mutter hat ihn wohl inzwischen verheiratet, das ist in Pakistan so üblich. Seine Frau ist Ärztin. Was für ein beglückendes Gefühl, eine Verbindung zu haben in diesen Teil der Welt.

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Täglich sterben in Deutschland 2987 Menschen, die meisten altersbedingt. Sieben Deutsche sterben täglich im Straßenverkehr. Am Nanga Parbat kommen von 100 Bergsteigern durchschnittlich 28 Menschen ums Leben. Die Annapurna, der Mont Blanc und auch das Matterhorn gehören ebenfalls zu den tödlichsten oft bestiegenen Bergen der Welt. Sterben gehört zum Leben, allerdings reisen die meisten Menschen dafür nicht extra in den Himalaya.

Gestern war mein letzter Check beim Kardiologen. Nichts Besonderes oder Auffälliges. Nach meiner ersten Impfung gegen Corona hatte ich böse Herzprobleme. Jetzt steht meiner Tour in die Bergwelt des Himalayas aus medizinischer Sicht nichts mehr im Weg.

Dreimal in der Woche gehe ich ins Fitnesscenter, zwinge mich zum Ausdauertraining, genieße in der Sauna die Wärme und kühle mich auch bei zehn Grad Wassertemperatur im Pool ab. Kampfsport betreibe ich schon mehr als 15 Jahre in der WingTsun-Akademie in Eschwege. Täglich gehe ich zügig über meine Hügel, durch die Wälder und, wenn möglich, nehme ich die Treppe statt den Aufzug.