Hochsensibel Was tun? - Sylvia Harke - E-Book

Hochsensibel Was tun? E-Book

Sylvia Harke

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Beschreibung

Fühlen Sie sich auch manchmal wie von einem anderen Stern? Dann gehören Sie vielleicht auch zu der Gruppe der hochsensiblen Menschen. Die Autorin und Therapeutin ist selbst eine so genannte "Highly Sensitive Person". Sie hat das Phänomen der Hochsensibilität sehr einfühlsam und tiefgründig erforscht und gibt ganz praktische, konkrete Hilfen für den Alltag. Untermauert mit zahlreichen eindrucksvollen Interviews und Fallbeispielen kann dieses Buch für jeden hochsensiblen Menschen zu einer wertvollen Lebenshilfe werden.

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Sylvia Harke Hochsensibel – Was tun?

Sylvia Harke

HochsensibelWas tun?

Der innere Kompass zu Wohlbefinden und Glück

Mit grundlegenden Infos und

Verlag Via Nova, Alte Landstr. 12, 36100 Petersberg Telefon: (06 61) 6 29 73 Fax: (06 61) 96 79 560 E-Mail: [email protected] Internet: www.verlag-vianova.de / www.transpersonale.de Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Satz: Sebastian Carl, Amerang

© Alle Rechte vorbehalten

Print: ISBN 978-3-86616-281-5 ePub: ISBN 978-3-86616-354-6

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Grundlagen zur Verwendung dieses Buches

Einleitung

Mein eigener Weg

Willkommen im Trainingscamp! Hilfreiche Überlebenswerkzeuge

Kapitel 2: Was ist Hochsensibilität?

Ursprung des Begriffs

Eigenschaften hochsensibler Menschen

HSP-Test für Erwachsene: Bin ich hochsensibel?

Stärken und Schwächen von Hochsensiblen

Hochsensible Männer

Hochsensible Frauen

Verletzlichkeit als natürlicher Zustand

Gefühle

Denkstrukturen

Außersinnliche, nicht alltägliche Wahrnehmung

Kapitel 3: So finden Sie die Balance in Ihrem Leben

Einführung zu den Survivalregeln für Hochsensible

I. Wahrnehmung: Wie funktioniert mein hochsensibler Geist?

Survivalregel Nr. 1: Vertrauen Sie Ihrer eigenen Wahrnehmung! – Wie Sie Ihre Intuition stärken können.

Was ist eigentlich Wahrnehmung?

Die Historie des Misstrauens in die eigene Wahrnehmung

Übungen zur Stärkung Ihrer eigenen Wahrnehmung

Survivalregel Nr. 2: Stärken Sie Ihre Selbstakzeptanz und Ihr Selbstwertgefühl. – Wie Sie mit sich selbst ins Reine kommen!

Das Selbstwertgefühl stärken und aufbauen

Was sind meine Bedürfnisse?

Survivalregel Nr. 3: Erschaffen Sie sich einen Schutzraum! – Wie Sie die Kunst erlernen, sich abzugrenzen.

Reizüberflutung

Abgrenzung

Survivalregel Nr. 4: Finden Sie Orte der Kraft, um sich zu erden und zu verwurzeln. – Wie Sie Ihre Heimat in der Natur erfahren können.

Kraftorte in der Natur

Unsere innere Heimat

II. Körperweisheit: Was braucht mein hochsensibler Körper?

Survivalregel Nr. 5: Nähren Sie Ihren Körper! – Wie Sie das Geheimnis körperlicher Vorgänge und deren Einfluss auf das Wohlbefinden knacken.

Vitalstoffe, lebenswichtige Fette

Mikro-Algen

Sonnenlicht

Schlaf

Survivalregel Nr. 6: Achten Sie auf Ihre körperlichen Signale! – Wie Sie Ihren Körper als Freund und Verbündeten zurückgewinnen.

Übungen

III. Seelenbalsam: Wie tickt meine (hoch)sensible Seele?

Survivalregel Nr. 7: Entwickeln Sie Ihre eigene Individualität! Wie Sie Ihr Ich-Bewusstsein stärken und sich weiterentwickeln.

Woran lässt sich ein entgrenztes Ich erkennen?

Die Entwicklung des psychologischen Ichs

Survivalregel Nr. 8: Finden Sie den wahren Kern hinter den Schichten Ihrer Persönlichkeit! – Wie Sie Ihre begrenzenden Glaubensmuster infrage stellen und darüber hinausgehen.

Mögliche begrenzende Glaubenssätze von Hochsensiblen

Versteckte Glaubenssätze

Persönlichkeitsschichten in der Partnerschaft

Warum das einfache Umkehren von Glaubenssätzen nicht immer hilft

Survivalregel Nr. 9: Finden Sie die Balance zwischen Ihren Persönlichkeitsanteilen. – Wie Sie mit Ihrem inneren Kind in Kontakt kommen und weitere unterstützende Anteile stärken.

Geheime Persönlichkeitsanteile

Survivalregel Nr. 10: Stärken Sie Ihre Seelenkraft! – Wie Sie Ihre einzigartige Verbindung mit dem Universum und Ihren Seelenverwandten entdecken.

Über den Verstand hinausgehen: Chancen und Risiken spiritueller Meditationspraktiken

IV. Lebensraumsicherung: Welches Lebensumfeld brauche ich?

Allein oder gemeinsam?

Heilsame Wahlverwandtschaften und Seelenverwandte finden

Survivalregel Nr. 11: Finden Sie Ihre eigene Nische! – Wie Sie Ihren inneren Kompass und Ihre beruflichen Talente entdecken.

Idealismus

Die eigene Nische finden

Hochbegabung?

Schatzsuche mit dem inneren Kompass

Survivalregel Nr. 12: Finden Sie Ihren Seelenpartner! – Wie Sie sich aus destruktiven Beziehungen befreien und Liebe und Heilung in Beziehungen erfahren können.

Sehnsucht nach Beziehung

Den Seelen-Partner anziehen

Entwicklungsphasen in Beziehungen

Passen wir überhaupt zusammen? Der Beziehungs-Check

Warnsignale für ungesunde Beziehungen

HSPs und Narzissten

HSPs und Borderliner

Übersicht zu den Ich-Strukturen

Survivalregel Nr. 13: Klären Sie Konflikte zeitnah! – Wie Sie innerseelische und zwischenmenschliche Konflikte einfach auflösen.

Innerseelische Konflikte

Zwischenmenschliche Konflikte

Strukturkonflikte

Kapitel 4: Notfallausrüstung gegen Stress, Burnout und Trauma

Stresssymptome

Das vegetative Nervensystem

Effektive Entspannungsmethoden

Die Herzintelligenz-Methode als eine Form von Biofeedback

Einfache Sofortmaßnahmen bei Stress

Die Burnout-Gefahr

Burnout-Fragebogen

Burnout und biochemische Vorgänge im Körper

Das (Innen-) Ohr und seine Verletzlichkeit im Burnout-Prozess

Hochsensibilität und Trauma

Bisher wenig berücksichtigte Traumaquellen: (vor-)geburtliche Prägungen

Interview mit Uwe Baumann, biodynamischer CranioSacral-Therapeut

Die Posttraumatische Belastungsstörung

Traumatherapie mit EMDR

Übersicht zu verschiedenen Trauma-Therapie-Methoden

Kapitel 5: Hochsensible Kinder – Wer sie sind und was sie brauchen

HSP-Test für Kinder. Ist Ihr Kind hochsensibel?

Welche Bedürfnisse haben hochsensible Kinder?

Das Kind wahrnehmen und ihm Aufmerksamkeit schenken

Liebe

Bindung

Unsichere Bindungen

Das Potenzial und die Stärken hochsensibler Kinder

Alltagsthemen

Begriffs-Verwirrung: ADHS, Asperger oder HSP?

ADHS: Mythos oder Realität?

Das Schicksal hochsensibler Eltern

Kapitel 6: Ausblick und Interviews

Ausblick

Interviews mit Hochsensiblen

Literaturverzeichnis

Hinweis

Dieses Buch wurde sehr sorgfältig recherchiert, es ist jedoch kein wissenschaftliches Lehrbuch. Die Informationen aus Forschung und Praxis wurden nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben. Die Inhalte des Buches sollen den Leserinnen und Lesern eine Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das Buch vermittelt eine Vielzahl von psychologischen Hintergrundinformationen (auch zu Diagnosen von psychischen Erkrankungen). Es stellt jedoch lediglich eine Orientierungshilfe dar und kann weder den Besuch eines Arztes, Psychiaters, Psychologen oder psychologischen Psychotherapeuten vor Ort ersetzen. Wenn Sie den Eindruck haben, professionelle therapeutische Hilfe zu brauchen, sollten Sie sich deshalb an Ihren Hausarzt wenden.

Die in „Hochsensibel, was tun?“ vorgestellten Übungen sind für all jene geeignet, die selbstverantwortlich ihren eigenen Erfahrungshorizont erweitern wollen. Sowohl die Autorin als auch der Verlag Via Nova übernehmen keine Haftung für Schäden jeglicher Art, die direkt oder indirekt aus der Umsetzung der im Buch vorgestellten Übungen oder Informationen entstehen. Lesende mögen selbst prüfen, welche praktischen Übungen und Anwendungen in jeweils spezifischen Lebenssituationen anwendbar sind. Eine Haftung für die im Anhang aufgeführten Internetseiten wird von Seiten der Autorin und des Verlages ebenfalls ausgeschlossen.

Danksagung

Die Entstehungsgeschichte dieses Buches lässt sich mit einer Schwangerschaft und Geburt vergleichen. Seit dem Jahr 2010 keimte der Gedanke in mir, einen Ratgeber zum Thema Hochsensibilität zu schreiben. Zwischen 2012 und 2014 verfolgte ich diesen Traum sehr diszipliniert neben meiner Arbeit in einer Klinik. Ohne Unterstützung hätte ich dies nicht schaffen können. An erster Stelle möchte ich meinem Mann Arno danken, der mich immer wieder motiviert und an dieses Buch geglaubt hat. Er begleitete mich intensiv in allen Phasen des Buchprojektes. In den Momenten des Zweifels gab er mir immer wieder den richtigen Impuls und machte mir Mut. Ich möchte mich auch bei meinen Interviewpartnern bedanken, die mir durch ihre Offenheit und ihre Rückmeldungen wichtige Einblicke in ihre Lebenswelt gegeben haben. Herzlich danke ich dem Verlag Via Nova und Werner Vogel für ihr Vertrauen und ihre Bereitschaft, mir die Möglichkeit für diese Veröffentlichung zu geben. Ein weiteres Dankeschön geht an Stefan Schwidder für seine Impulse, die mich zu einer mutigen Überarbeitung inspiriert haben. Abschließend danke ich Katharina Raub für ihre schnelle und sorgfältige Abschlusskorrektur.

„Weich ist stärker als hart, Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt.“ HERMANN H

KAPITEL 1 GRUNDLAGEN ZUR VERWENDUNG DIESES BUCHES

Einleitung

Wenn mich Leute nach meiner Hochsensibilität fragen, dann stehe ich oft einer Vielzahl von Annahmen gegenüber, die meistens nicht wahr sind. Noch vor wenigen Jahren hatte ich selbst keine Definition dafür, was mich ausmacht. Ich war einfach anders als der Rest und fühlte mich häufig von anderen Menschen missverstanden und nicht richtig wahrgenommen. Mit der Selbsterkenntnis, hochsensibel zu sein, stellten sich eine enorme Beruhigung und ein neues Selbstverständnis ein. Mir wurde klar, dass mit mir alles in Ordnung war – und ich zu einer Gruppe von Menschen gehörte, die rund 15 bis 20 % der Bevölkerung ausmacht. Ich war also nicht der einzige Mensch auf der Welt, der so fühlt! Diese Erleichterung gab meinen Blick auf mich selbst frei, und so begann ich, mich auf eine Forschungsreise zu begeben: Ich wollte mehr über das Phänomen der Hochsensibilität erfahren.

Erstmals prägte diesen Begriff die amerikanische Psychologin Elaine Aron 1997, die durch umfangreiche Patienteninterviews und Beobachtungen zu dem Schluss gekommen war, dass es „Highly Sensitive Persons“ (HSP) gibt. Die Therapeutin hat bereits mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, die auch in Deutsch erhältlich sind. Das Buch „Zart besaitet“ von Georg Parlow erreichte mich jedoch als erstes und brachte mich auf die Spur. Als Diplom-Psychologin suchte ich, zunächst für mich persönlich, nach tieferen Antworten zur Hochsensibilität in den Bereichen der Entwicklungspsychologie, der Individualpsychologie, in den Neurowissenschaften sowie in der Bindungs- und Traumaforschung. Aus der Kombination meiner Recherchen und meiner persönlichen Erfahrungen ist dieses Buch entstanden. In meinen Seminaren und Vorträgen werde ich oft nach praktischen Übungen gefragt. Mit meinem Buch möchte ich Ihnen genau das anbieten: einen praktischen Zugang für eine Hilfe zur Selbsthilfe.

Vielfach kursiert noch immer Verwirrung über das Phänomen der Hochsensibilität. Im Internet lese ich häufig Aussagen wie: „Eigentlich sind doch alle Depressiven nur hochsensibel.“ „Hochsensible nehmen sich alles zu sehr zu Herzen.“ „HSP haben Bindungsängste.“ „Als Hochsensible komme ich mir vor wie eine Außerirdische, die aus Versehen auf dem falschen Planeten gelandet ist.“ Hochsensibilität hat viele Gesichter, viele Geschichten und lässt sich nur schwer in zwei Sätzen definieren. Da dieses Phänomen so vielschichtig und komplex ist, sind Verwirrungen und Missverständnisse nur natürlich. Grundsätzlich kann man das Thema auf ein verändertes Wahrnehmungssystem reduzieren, das äußere wie innere Reize schon ab einer niedrigen Schwelle verarbeitet, sodass es leicht in Zustände von Übererregung kommen kann. Hochsensibilität verändert die Wahrnehmung und ermöglicht das Erkennen von feinsten Unterschieden, macht die Betroffenen tatsächlich empfindlicher und verletzlicher, aber auch leistungsfähiger in speziellen Teilbereichen, die sich immer wieder als (Hoch-)Begabung zeigen.

Dieses Buch ist ein Praxisbuch. Es ist konzipiert für Menschen, die herausfinden möchten, ob sie hochsensibel sind, und wenn ja, wie sie damit besser umgehen können. Ganz bewusst habe ich mein Buch als eine Art „Survivaltraining“ konzipiert. Denn für viele hochsensible Personen fühlt sich das Leben auf der Erde wie ein Kampf an, ein Kampf ums überleben. Wie in jedem guten Trainingshandbuch finden Sie hier eine Fülle an praktischen Informationen, Übungen, Hinweisen und Methoden, die Ihnen helfen, Ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Es ist mir ein Anliegen, Sie dabei zu begleiten, aus dem „Überlebenskampf“ auszusteigen und ganz bewusst Ihren Platz im Leben zu finden, sowohl privat als auch beruflich. Dafür ist es hilfreich, die Spielregeln zu kennen, an die Sie sich als Hochsensibler halten sollten, um ein erfolgreiches und glückliches Leben zu führen. Nach meiner Erfahrung stellt Hochsensibilität eine Gabe dar, gleichzeitig ist sie eine Entwicklungsaufgabe. Wie bei jedem Schritt in der psychologischen Entwicklung eines Menschen müssen wir selbst aktiv werden, um weiterzukommen.

Dieses Buch stellt sich dem Anspruch, die Fragen nach dem „Wie“ zu beantworten:

•Wie kann ich mit meiner Hochsensibilität glücklich werden?

•Wie schaffe ich es, dass ich mich besser von anderen Menschen abgrenzen kann?

•Wie kann ich als hochsensibler Mensch eine gesunde Beziehung führen, ohne mich darin zu verlieren?

•Wie finde ich meinen Platz im Leben?

•Wie finde ich meine Berufung?

•Wie kann ich mich vor Stress und Burnout schützen?

•Wie komme ich wieder in Kontakt mit mir selbst?

Ich lade Sie ein, genau diese Dinge beim Lesen dieses Buches herauszufinden – und noch viel mehr. Doch vorher möchte ich Sie kurz mitnehmen auf eine Reise durch meine Geschichte.

Mein eigener Weg

1978 wurde ich in einer Kleinstadt in der DDR geboren. Es war Winter, meine Eltern lebten in einer Mansardenwohnung unter dem Dach. Wie die meisten Kinder in diesem Staat wurde ich nach etwa einem Jahr in die Kinderkrippe abgegeben, wo ich, während meine Eltern arbeiteten, acht Stunden im sozialistischen Alltag verbrachte. Früh lernte ich, dass das Individuum mit seinen Bedürfnissen nicht so wichtig ist wie das Kollektiv. Mit drei Jahren wechselte ich in den Kindergarten, hier beginnen meine ersten zusammenhängenden Erinnerungen. Ich war hochgradig interessiert an der Natur, Basteleien, Malen, Zeichnen und hatte eine lebhafte Fantasie. Meine Talente in diesem Bereich fielen bereits zu diesem Zeitpunkt auf.

1982 trennten sich meine Eltern, was für mich ein großer Schock war. Ich vermisste meinen Vater sehr und konnte noch nicht verstehen, was geschehen war. Mein Intellekt befand sich noch im Vorstadium, so traf mich der Verlust voll und ganz auf der emotionalen Ebene. Der Schmerz war so überwältigend, dass ich mich in meinem Inneren einkapselte. Einige Jahre lang hatte ich gar keinen Kontakt zu meinem Vater, später nur in unregelmäßigen Abständen.

1984 wurde ich eingeschult. Das sozialistische Kollektiv nahm weiterhin Einfluss. Als Jungpionier mit blauem Halstuch kam ich, wie alle anderen Kinder auch, in regelmäßigen Abständen zu besonderen Anlässen in Uniform zur Schule. Meine Schulleistungen waren von Anfang an hervorragend. Nach Schulschluss empfand ich jedoch ein Bedürfnis nach Rückzug und Ruhe, das mir selbst merkwürdig erschien. Ich war ein schmächtiges und häufig kränkelndes Kind, jedoch immer sehr wissbegierig, neugierig und lerneifrig. Die Trennung meiner Eltern hatte ich weitestgehend verdrängt (nicht verarbeitet) – ich funktionierte sehr gut im Alltag. Ich würde mich heute als überangepasstes Kind beschreiben, damals schon kam mein Harmoniebedürfnis zum Vorschein. Meine beste Freundin und ich waren bis zur Pubertät unzertrennlich, wenngleich wir mit zunehmendem Alter immer unterschiedlicher wurden.

1989 änderte sich das Schicksal aller DDR-Bürger. Die „Wende“ veränderte unser Leben von Grund auf. Zu diesem Zeitpunkt war ich zwölf Jahre alt. Meine Mutter wurde arbeitslos, wie Millionen andere auch, und nach und nach kristallisierte sich immer deutlicher meine Andersartigkeit heraus. Als Pubertierende war ich eine totale Spätzünderin. Während andere Mädchen schon längst Freunde hatten, wirkte ich immer noch kindlich und unreif. Die politischen Veränderungen stellten unser Leben völlig auf den Kopf.

1991 starb meine Oma an Krebs, was mir das Herz brach. Jeden Tag nach der Schule war ich zu ihr gegangen, sie war der zentrale Stützpfeiler der ganzen Familie gewesen. Eine unbeschreibliche Trauer erfüllte mich und die gesamte Familie. Diese erneute Konfrontation mit Trennung und Abschied stimmte mich sehr nachdenklich, ich wurde introvertiert und zum Bücherwurm. Ich las Bücher über das „Leben nach dem Tod“ und begann, mich für Religion zu interessieren. So verschlang ich ein Buch nach dem anderen, was normalerweise Menschen in einer Midlifecrisis lesen würden. Kurz darauf wurde ich Vegetarierin. In der Schule verwickelte ich Mitschüler in Diskussionen zum Waldsterben, über Plastikflaschen und zum Thema Massentierhaltung.

1994 Meine Außenseiterrolle verfestigte sich, und auch der Kontakt zu meiner besten Freundin brach ab. Ich lebte in einer anderen Welt. Meine Lieblingsserien waren „Raumschiff Enterprise“, „Anne auf Green Gables“ und später „Dr. Quinn“. Teilweise fühlte ich mich in den Serien mehr zu Hause als in meinem eigenen Leben. Obwohl ich im Nachhinein erkenne, dass niemand in der Schule mir etwas Böses wollte, hatte ich als Jugendliche den Anschluss an die anderen verloren. Verliebt war ich nur in Jungs, die mir unerreichbar wie ein Traum blieben. In dieser Zeit begann auch die Leidenschaft für das Schreiben und Dichten. Ich hatte angefangen, Gedichte und Kurzgeschichten zu schreiben, um meine Gefühle zu sortieren. Bereits zu dieser Zeit war ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.

1996 machte ich mein Abitur mit Spitzennoten und konnte mich somit für das Psychologiestudium in Magdeburg qualifizieren. Mit 18 Jahren zog ich aus und kam in einer Großstadt an. Mein Leben veränderte sich erneut komplett. Ich lebte in einer WG, in einem Haus, in dem nur Studenten wohnten. Ich lernte neue Menschen kennen und schloss viele Freundschaften. Auf Partys beobachtete ich, dass ich unter Menschen schnell angespannt war, meine Unsicherheit begleitete mich. Das theoretische Lernen war für mich nie das Problem, doch im Umgang mit Beziehungen war ich weiterhin sehr unsicher und schüchtern.

1999 wusste ich, dass ich nicht einfach so weiterstudieren könnte, ohne Selbsterfahrung zu machen. Also schrieb ich mich für eine Ausbildung für Atemtherapie in Berlin ein. über ein Jahr lang fuhr ich regelmäßig in die Hauptstadt. Seit dieser Zeit beschäftige ich mich ebenfalls mit dem Thema Geburtsprägung. Dazu schreibe ich an anderer Stelle in diesem Buch mehr. Ich fand Zugang zu meinen verschütteten Gefühlen von Trauer, Einsamkeit, Schmerz, gleichzeitig aber auch zu meiner Lebensfreude. Dadurch lernte ich, mich tiefer auf Beziehungen einzulassen. Von da an konnte ich erste Erfahrungen in Kurzbeziehungen mit Männern sammeln, aber die ersehnte stabile Beziehung ließ noch auf sich warten. Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich mich besonders von hochsensiblen Männern angezogen fühlte. Das Studium ging vorüber, und ich machte ein halbjähriges Praktikum an einer psychosomatischen Klinik in Kassel. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch Mühe, mich richtig von anderen Menschen abzugrenzen.

2001 beendete ich mein Studium. Ich war 23 Jahre alt und hatte viele Ideen im Kopf, was ich beruflich machen könnte. Meine künstlerische Veranlagung, die ich von meinem Vater geerbt hatte, machte sich Luft, ich träumte von einem zweiten Studium in der Kunst, was ich jedoch nicht umsetzte. Schon immer hatte ich eine starke kreative Ader gehabt, die ich durch die Arbeit mit dem Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron immer weiter ausbaute. Ich malte mit Acryl, auf Seide, gestaltete Mandalas und schrieb an einem fragmentarischen Roman. Gleichzeitig wollte ich therapeutisch arbeiten, war allerdings wesentlich zu jung, entsprechend erhielt ich lauter Absagen aus Kliniken.

2002, nach zahlreichen frustrierenden Absagen auf meine Bewerbungsbemühungen hin (eine Karriere an der Uni kam für mich nicht infrage), erhielt ich ein Jobangebot am Bodensee. In einem Sozialprojekt für jugendliche Schulabgänger ohne Ausbildung startete ich meine berufliche Laufbahn als Psychologin. Ich musste mich allerdings dafür von meiner liebgewonnenen neuen Heimat Magdeburg verabschieden und begann ganz neu in Baden-Württemberg. Es folgten einige Jahre am schönen Bodensee.

2003 lernte ich meinen heutigen Ehemann Arno kennen – endlich erfüllte sich mein Traum von einer stabilen, liebevollen Beziehung mit einem Partner. Auch mein Mann ist hochsensibel, wie sich später herausstellte. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in Konstanz. Das Wasser hat bis heute eine beruhigende Wirkung auf meine Nerven. Kurz nach unserem Kennenlernen starb mein Vater überraschend im Alter von 52 Jahren. Seit meinem 20. Lebensjahr hatte ich wieder eine Beziehung zu ihm aufbauen können. Ich verlor ihn ein zweites Mal, der Schmerz brauchte ein Jahr, bis ich ihn richtig realisieren konnte. Durch eine mystische Erfahrung im Zug drei Tage vor seinem Tod mit einem unbekannten Mann, der mich an meinen Vater erinnerte, war ich auf seltsame Weise vorgewarnt. Ich begann daher, mich noch intensiver mit Naturheilkunde zu beschäftigen, und vertiefte meine Studien zu ganzheitlichen Heilmethoden. Meine spirituelle Suche führte mich immer tiefer zu mir selbst, ich besuchte Seminare in den Bereichen Tanz, Gesang, Familienaufstellungen, Atemtherapie, NLP, Bindungspsychologie und Schamanismus.

2007 heiratete ich Arno. Im selben Jahr veröffentlichte ich ein Kinderbuch mit eigenen Illustrationen.

2004 bis 2010 war eine turbulente Zeit mit wechselnden Phasen von selbständiger und angestellter Tätigkeit in verschiedenen sozialen Projekten mit Kindern, Eltern, Arbeit im Bereich Karriere- und Bewerbungscoaching sowie in Grafikdesign. Irgendwie hatte ich mir den Zugang zur kindlichen Welt bewahrt, denn in meiner Arbeit mit Kindern stellte ich immer wieder fest, dass ich einen sehr guten Draht zu ihnen hatte. Diese unterschiedlichen Einsatzbereiche meiner Berufstätigkeiten brachten mir eine Fülle an Erfahrungen, die meine heutige Arbeit auf ein breites Fundament stellen. Durch verschiedene Fortbildungen in den Bereichen Entwicklungs- und Bindungspsychologie nach Gordon Neufeld sowie die Lektüre zahlreicher weiterer Bücher konnte ich meine eigene Spezialisierung in der Psychologie finden.

2010 las ich das Buch „Zart besaitet“ von Georg Parlow und fand mich sofort in der Beschreibung wieder. Lustig fand ich auch, dass ich bei der Berufsbeschreibung von Georg Parlow ein ebenso breites Spektrum wie bei mir fand, was mich wiederum beruhigte, denn ich war innerlich schon sehr frustriert, weil ich mich aufgrund meiner zahlreichen Talente und Interessen lange Zeit nicht auf eine Berufssparte hatte festlegen können und wollen und schon befürchtet hatte, beruflich daran zu scheitern.

2011-2014, nach vielen Experimenten in meinem Berufsleben, arbeitete ich in einer Eltern-Kind-Klinik als Bezugstherapeutin, in der ich sehr viele Erfahrungen und positive Bestätigung für mein therapeutisches Vorgehen sammeln konnte. Von 2012 bis 2014 schrieb ich parallel an dem vorliegenden Buch. Im Mai 2014 wurde es veröffentlicht. Der Erfolg des Buches ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Viele Leser fühlten sich durch es bestätigt, ermutigt und gestärkt. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen.

Seit 2015 arbeite ich wieder freiberuflich in meiner Privatpraxis mit hochsensiblen Klienten und deren Kindern. Neue Buchprojekte nehmen ihren Lauf und ich experimentiere weiterhin damit, einen gesunden Wechsel aus Anforderung, Rückzug und Erholung in meinem Alltag zu etablieren.

Wenn ich heute auf mein bisheriges Leben zurückblicke, sehe ich, dass ich durch frühe Verluste und immer wiederkehrende Veränderungen im Leben geradezu gezwungen wurde, mich mit den tieferen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen. Mein Psychologiestudium war der Beginn einer Suche nach mir selbst und dem Sinn des Lebens. Mit einer weniger turbulenten Biografie in der Kindheit hätte ich sicherlich Kunst studiert, doch manchmal gibt uns das Leben Rätsel auf, die wir einfach lösen müssen. Dazu gehört für mich die Psychologie. Es fasziniert mich noch heute, in diesem spannenden Feld weiter zu forschen. Immer wieder entdecke ich interessante Details, die sich wie Puzzlestücke in ein größeres ganzes Bild einfügen lassen. Heute weiß ich, dass sich meine Hochsensibilität schon früh gezeigt hat.

Ich schreibe dies alles, um Ihnen zu zeigen, dass ich nicht einfach eine Theoretikerin bin, die auf den fahrenden Zug eines Trends aufspringt und noch ein Buch über Hochsensibilität schreibt, sondern dass ich zu der Kategorie der „verwundeten Heiler“ gehöre, die selbst schon Höhen und Tiefen im Leben erfahren haben. Es ist mein persönlicher Zugang zum Thema, mit dem ich dieses Buch für Sie lebendig werden lasse. Ich bin überzeugt, dass jeder hochsensible Mensch eine oder mehrere Begabungen hat, die mit diesem So-Sein im Zusammenhang stehen. In diesem Buch wird es nicht darum gehen, dass ich Ihnen zeige, wie Sie sich an die Masse anpassen können. Wer danach strebt, wird hier keine Hilfe finden, da ich dieses Ziel nicht für erstrebenswert oder gar hilfreich halte. Dieses Buch möchte Sie vielmehr darin begleiten, ganz Sie selbst zu werden. Den Weg der Individuation, auf dem ein Mensch das wird, was die Natur ihm als Potenzial in die Wiege gelegt hat, finde ich viel spannender. Jeder Quantensprung in der Entwicklung der Menschheit oder in einzelnen Familien wird immer durch Individuen verursacht, die sich trauen, ausgetretene Pfade zu verlassen, auf ihre innere Stimme hören und mutig ihr Potenzial entfalten.

Skeptische Fragen aus dem Publikum

Wenn Sie jetzt noch nicht wissen, ob dieses Buch etwas für Sie ist, dann lesen Sie doch einfach folgende typische Fragen von anderen Leserinnen und Lesern. In kurzen Antworten gebe ich Ihnen hier noch wichtige Informationen zum Buch.

F: Woher weiß ich, ob ich mir meine Hochsensibilität nicht einfach nur einbilde?

A: Im Kapitel 2 finden Sie einen Test, mit dem Sie herausfinden können, ob Sie hochsensibel sind. Im Grunde genommen können Sie es spüren, ob Sie zur Gruppe der Hochsensiblen gehören, einfach, indem Sie auch die Beschreibungen lesen.

F: Was bringt mir das Umsetzen der Übungen aus dem Buch?

A: Viele Hochsensible wünschen sich, entweder die Hochsensibilität loszuwerden, damit sie endlich „normal“ leben können, oder sie hoffen auf eine Art Wunder, damit sich alles über Nacht zum Guten wendet. Nachdem ich einige Jahre den „Psychomarkt“ beobachtet habe, konnte ich feststellen, dass häufig Methoden kommerziell am erfolgreichsten sind, die von den Lesern selbst nichts abverlangen – außer den Glauben und das Vertrauen darauf, dass es wirkt. Die Wahrheit ist: Es gibt kein Patentrezept, keine Pille, keine Sicherheiten. Der Weg, den ich hier skizziere, wird Ihnen helfen, Ihre Hochsensibilität anzunehmen, Ihr eigenes Ich zu stärken, er wird Ihnen überlebenswichtige Fähigkeiten vermitteln, einen Zugang zu Ihrer Kreativität und Ihrer inneren Weisheit eröffnen. Doch um das zu erreichen, ist Ihre aktive Mitarbeit gefragt. Der Prozess, den ich in diesem Buch anleite, hat viel damit zu tun, Ihre Individuation voranzutreiben. So wie jeder Geburtsprozess mit Schmerzen und Verlust zu tun hat, können Sie erwarten, dass auch Sie vielleicht durch Phasen von Trauer und von Euphorie gehen. Sie verabschieden sich vielleicht von einem alten, aber bequemen Ich, einer Identität, die jetzt zu klein geworden ist. Sie werden die Gelegenheit erhalten, jene Wunden zu heilen, die Ihr Selbstwertgefühl einst verletzt haben. Dieses Buch versorgt Sie mit Treibstoff, doch fahren müssen Sie selbst. Probieren Sie es einfach aus!

Willkommen im Trainingscamp! Hilfreiche Überlebenswerkzeuge

Wie Sie dieses Buch am besten verwenden

Dieses Buch wird seine volle Kraft entfalten, wenn Sie die beschriebenen Übungen und Methoden aktiv anwenden. Die Kapitel in diesem Buch bauen logisch aufeinander auf. Es wäre ratsam, wenn Sie die darin enthaltenen Übungen nacheinander absolvieren. Wir haben keine Eile. Es gibt keine Aufgaben, die Sie innerhalb einer gegebenen Zeit umsetzen sollten. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie mögen. Wenn Sie jedoch neugierig sind, können Sie gleich die Themen nachschlagen, die Sie aktuell am meisten interessieren.

Der Heilungsort

Wo beginnt die Reise? Stellen Sie sich ein Basislager in einer von Ihnen gewählten Landschaft vor. Dies kann eine Art Kraftplatz sein, also ein Ort, wo Sie Energie und Stärke tanken, an dem es Ihnen gut geht. Von dort aus unternehmen Sie eine Expedition. Es kann auch hilfreich sein, in Ihrer Wohnung oder in Ihrem Haus ebenfalls einen Platz einzurichten, der Sie bei der Erforschung Ihrer Hochsensibilität unterstützt. Das kann eine Leseecke mit einem wunderschönen Sitzkissen oder einer besonderen Decke sein oder ein Schreibtisch, an dem Sie schreiben. Stellen Sie eine Pflanze dort auf, die Sensibilität ausdrückt. Eine hochsensible Freundin hat im Sommer eine riesige Mimose gekauft. Vielleicht lieben Sie Steine, Muscheln oder andere Naturmaterialien? Lassen Sie sich ruhig etwas Schönes einfallen, das Ihr Herz zum Klingen bringt. Geben Sie sich einfach die Erlaubnis, diese kleinen Freiheiten auszukosten. Falls Sie eine innere Landschaft als Ihren Kraftort identifiziert haben, wäre es eine schöne Übung, diese zu malen oder ein Foto zu finden, das dieser Landschaft nahekommt. Sie können dieses Bild über Ihrem Schreibtisch oder in Ihrer Entspannungsecke aufhängen, um sich immer, wenn Sie es brauchen, daran zu erinnern.

Das HSP-Tagebuch

Wann haben Sie zuletzt Tagebuch geführt? Als Kind? Nie? Letzte Woche? Beginnen Sie gleich in der nächsten Woche, Ihr eigenes HSP-Tagebuch zu führen. Kaufen Sie sich ein wunderschönes Schreibbuch, das Ihre Gefühle anspricht. Es geht nicht darum, darin alle Ereignisse des Tages festzuhalten. Es ist vielmehr dazu gedacht, Ihr persönliches Erleben der Welt und der Menschen darin niederzuschreiben. Die meisten Hochsensiblen kämpfen damit, dass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht trauen, häufig stellt ihre Umwelt ihre Gefühle, Gedanken, Entscheidungen und Werte infrage. Ein Tagebuch dient dazu, dass Ihnen jemand unvoreingenommen zuhört. Hier haben Sie Platz, Ihr eigenes Universum zu entfalten. Der Wert des Tagebuchschreibens kann nicht überschätzt werden. Doch weil es mit Zeit und Arbeit verbunden ist, scheuen viele Menschen davor zurück. Doch wie viel Zeit verbringen Sie damit, die Informationen aus Ihrer Umwelt zu verdauen, indem Sie Nachrichten schauen, E-Mails lesen, sich die Telefonanrufe von Freunden anhören, die bei Ihnen Rat suchen, oder den Klatsch und Tratsch im Büro? Wann haben Sie Zeit für sich allein? Wann hören Sie sich selbst zu? Das Tagebuchschreiben fördert die Kommunikation mit dem Selbst und klärt Gedanken und Gefühle. Vielleicht haben Sie auch ein intensives Traumleben wie viele andere Hochsensible. Träume sind der Zugang zur Seele, zum Unterbewusstsein. Durch das Aufschreiben vertiefen Sie die Verarbeitung Ihrer Träume, und Sie werden einen unschätzbaren Schlüssel in der Hand halten, der Ihnen hilft, Ihr Leben besser zu verstehen.

Die innere Landkarte und der Kompass

Zu jedem Überlebenstraining gehört der Umgang mit Kompass und Karte. Wenn ich nicht weiß, wo ich mich gerade befinde, kann ich auch kein Ziel anstreben. Ich gehe davon aus, dass viele meiner Leserinnen und Leser bereits mindestens ein Buch zum Thema Hochsensibilität gelesen haben. Wenn nicht, lade ich Sie ein, im Kapitel 2 herauszufinden, ob Sie hochsensibel sind. In diesem Buch möchte ich über bloße Theorie hinausgehen. Es reicht also nicht aus, die Karte zu kennen, wir müssen auch in der Lage sein, uns draußen im Leben zurechtzufinden. Doch lassen Sie uns mit der Karte beginnen. In wohl jedem Piratenfilm gibt es eine Schatzkarte und einen Kompass. Landkarten sollen uns Orientierung in einem unbekannten Gebiet geben. Wo ist Norden, wo ist Süden, Osten, Westen? Tatsächlich werden wir in der Kindheit und Jugend mit einer Karte ausgestattet, die uns von unseren Vorfahren gegeben wird. Wir erhalten Orientierungspunkte darüber, wie die Welt scheinbar ist und funktioniert, darüber, wie Männer sind, wie Frauen zu sein haben, was sich gehört und wie man sich benimmt. Uns werden Werte vermittelt und Regeln, um uns zu helfen, ein Teil der Gesellschaft zu werden. Doch beschreibt diese Karte auch Ihre Wahrheit, Ihre „Wahr-Nehmung“ als Hochsensibler? Oder sind die Orientierungspunkte von Menschen erstellt worden, die nicht hochsensibel waren oder ihre eigene Sensibilität verleugnet haben? Im Verlauf des Buches haben Sie die Gelegenheit, Ihre eigene Karte zu zeichnen. Der Kompass sollte das eigene Bauchgefühl sein. Doch können Sie sich schon darauf verlassen?

Die HSP-Gruppe

Besuchen Sie eine Selbsthilfegruppe für Hochsensible in Ihrer Nähe, oder gründen Sie selbst eine. Im Anhang dieses Buches finden Sie hilfreiche Internetadressen, aus denen Sie erfahren können, wo es bereits in Ihrer Umgebung eine Gruppe gibt. Der Austausch in der Gruppe ist eine wertvolle Erfahrung, die Ihr Selbstwertgefühl enorm stärken kann. Die regelmäßigen Treffen bieten Ihnen die Gelegenheit, sich durch andere Hochsensible zu reflektieren. Endlich nicht mehr allein, sondern unter Gleichgesinnten dürfen Sie dort offen über Ihre Wahrnehmungen, Wünsche, Probleme und Bedürfnisse sprechen. Lassen Sie sich diese Wohltat nicht entgehen. Alternativ können Sie sich einen Verbündeten suchen. Manchmal brauchen wir einfach jemanden, der uns zuhört und uns so annimmt, wie wir sind. Idealerweise sollte dies eine Person sein, die auch hochsensibel ist oder zumindest so viel Tiefgang und Wertschätzung besitzt, dass sie für persönliche Entwicklung offen ist und sich selbst auf dem Weg der Heilung befindet. Das sind die Menschen, die Sie wirklich verstehen können.

KAPITEL 2: WAS IST HOCHSENSIBILITÄT?

Ursprung des Begriffs

Elaine Aron

Viele Menschen, die zum ersten Mal davon hören, glauben, dass Hochsensible sich alles zu sehr zu Herzen nehmen, dass sie emotional labil und nicht belastbar seien. Doch der eigentliche Ursprung der Terminologie hat mit der Sensitivität zu tun, eben mit der feinen Wahrnehmung. Wie ich bereits weiter oben erwähnt habe, wurde das Phänomen der Hochsensibilität erstmals von der amerikanischen Psychotherapeutin und Universitätsprofessorin Elaine Aron beschrieben. Der Begriff HSP leitet sich aus dem Englischen ab, was so viel wie „Hochsensible Person“ bedeutet. In der Veröffentlichung von 1990 mit dem Titel „Sensory prozessing sensitivity and its relation to introversion and emotionality“ beschrieb Dr. Aron hochsensible Menschen und ihre Eigenschaften. Den ersten Teil des Buchtitels könnte man mit Sensorische Verarbeitungssensitivität übersetzen. Dr. Aron geht davon aus, dass die Veranlagung zur Hochsensibilität vorrangig vererbt wird. Da sich die Verteilung dieses Merkmals innerhalb der Bevölkerung auf ca. 15 bis 20 % beschränkt, erleben sich HSPs von klein auf als „anders“ und in der Minderheit.

Die Experimente des russischen Wissenschaftlers Pawlow

Der Wissenschaftspionier wurde berühmt durch seine Arbeit mit Hunden, an denen er das Prinzip der „klassischen Konditionierung“ zeigte. Pawlow setzte in einem anderen Experiment Versuchspersonen einem sehr lauten akustischen Reiz aus. Er wollte herausfinden, wann die Schmerzgrenze erreicht wurde. Statt einer für die meisten psychologischen Phänomene üblichen Normalverteilung, innerhalb derer sich alle Personen einordnen lassen, stieß er auf eine Gruppe von Testpersonen, die weit früher die Schmerzgrenze erreichte und sich unterhalb der Normalverteilung der Hauptgruppe befand. Diese Gruppe machte ebenfalls ca. 15 bis 20 % der Gesamtgruppe aus, was auch der Verteilung der Hochsensiblen innerhalb der Bevölkerung entspricht.

Eigenschaften hochsensibler Menschen

Wahrnehmungen hochsensibler Menschen

Das verstärkte Wahrnehmen von Details

Durch die differenzierte und genaue Wahrnehmung haben Hochsensible einen guten Blick für Details. Dies kann sowohl Zahlenmaterial betreffen, Schriftdaten oder auch Arrangements von Farben und Formen, etwa in den Bereichen Grafikdesign und Modedesign, Inneneinrichtung, Architektur und in vielen anderen Situationen.

Genauigkeit und Sorgfalt, Perfektionismus und Fehlersensibilität

Durch die Kombination aus feiner Wahrnehmung und Gewissenhaftigkeit entwickelt sich bei HSPs oft eine Form von Perfektionismus, die wir von vielen großen Künstlern, Wissenschaftlern oder anderen erfolgreichen Personen kennen. Dieser Perfektionismus hat nichts mit dem Kompensieren eines angeknacksten Selbstwertgefühls zu tun, sondern mit der Suche nach Harmonie und Perfektion im Sinne von Schönheit und Genauigkeit. Durch diese Genauigkeit brauchen Hochsensible teilweise länger bei der Erledigung von Aufgaben. Ein Großteil der HSPs empfindet sich als sehr gewissenhaft. Verantwortung nehmen sie in der Regel sehr ernst und versuchen dabei, ihr Bestes zu geben und Fehler zu vermeiden. Auf der anderen Seite sind sie häufig sehr geübt darin, Fehler in ihrem Umfeld zu erkennen. Je nach Wahrnehmungskanal kann sich das zum Beispiel in der Rechtschreibung zeigen, beim Stimmen eines Instrumentes (die schrägen Töne), aber auch in komplexeren Situationen, wie beispielsweise den sozialen Gefügen eines Unternehmens.

Überreizung: Geräusch-, Temperatur- und Geruchsempfindlichkeit

Da bei Hochsensiblen die Wahrnehmungsprozesse sensibler und feiner ablaufen, reagieren sie empfindlicher auf Außenreize wie zum Beispiel Lärm, Temperatur, Geräusche, Gerüche, Geschmäcke, Farben, Lichteinfall oder Berührung. Dies hat Vor- und Nachteile, wie alle Betroffenen zu berichten wissen. Hochsensibilität hat also etwas mit unserer Sinnesverarbeitung zu tun und mit den unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen. Tatsächlich fühlen sich Hochsensible schneller reizüberflutet, was sich bei Einkäufen in überfüllten Straßen oder Ladengeschäften zeigen kann. Die Neigung zu Überreizung oder Überstimulation führt bei HSPs zu einem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Ruhe, Rückzug und Regeneration, das Außenstehende irritieren kann. HSPs registrieren feinste Nuancen aus den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen und bemerken daher schneller Disharmonien.

Körperliche Eigenschaften

Schmerzempfindlichkeit

In verschiedenen Befragungen von Hochsensiblen zeigte sich deutlich, dass die Mehrheit von einer erhöhten Schmerzsensibilität berichtet.

Anfälligkeit für Stresskrankheiten

Durch die häufige Überstimulation befindet sich das vegetative Nervensystem von Hochsensiblen meist in einem Zustand der Übererregung. Ein dauerhaft auf Alarm getrimmtes Nervensystem kann langfristig zu Stresserkrankungen wie Burnout führen. (Lesen Sie dazu mehr im Kapitel 4 dieses Buches.)

Überreaktion auf Alkohol und Koffein

Reizstoffe, die in Medikamenten oder in anregenden Lebensmitteln vorhanden sind, verursachen bei vielen HSPs Unwohlsein. Daher ist auch die Dosierung von Medikamenten bei Hochsensiblen eine sensible Angelegenheit. Kaffee oder schwarzer Tee können zu rauschartigen Zuständen führen, die jedoch schnell in eine Art Erschöpfung durch Überreizung mündet. Im medizinischen Kontext hat sich gezeigt, dass HSPs häufig auf kleinste Impulse reagieren und daher auf sanfte Methoden aus der Naturheilkunde und Energiemedizin oftmals gut ansprechen.

Hungergefühle und Müdigkeit beeinträchtigen stark das Wohlbefinden

Wie bei kleinen Kindern ist es für die meisten Hochsensiblen ein Problem, wenn sie unregelmäßig Nahrung zu sich nehmen. Durch Hungergefühle und Unterzuckerung geraten sie in unangenehme Zustände, die meist mit einer Beeinträchtigung der Konzentration und Leistungsfähigkeit einhergehen. Auch das emotionale Befinden kann durch Hunger sehr aus dem Gleichgewicht geraten. Schlafmangel kann sich ebenso als sehr störend erweisen. Die Toleranzschwelle für den Ausgleich von zu wenig Schlaf ist bei HSPs sehr niedrig.

Soziale Kompetenzen

Empathie

Im Bereich des zwischenmenschlichen Zusammenlebens haben sich HSPs als empathische und verständnisvolle Zuhörer bewährt. Tiefgehende Gespräche sind ihnen sehr wichtig. Gegen Smalltalk haben sie sogar teilweise eine Ablehnung, da sie sich gern mit philosophischen oder anderen bedeutungsvollen Themen beschäftigen.

Harmoniebedürfnis

Das Bedürfnis nach Harmonie, sowohl im räumlichen als auch im sozialen Umfeld, ist stark ausgeprägt. Konflikte und Streit sind Hochsensiblen ein Graus. Daher ziehen sie sich bei Auseinandersetzungen eher zurück oder geben schneller nach. In Teams und Familien sorgen sie oft für einen Ausgleich und helfen, Streit zu schlichten.

Übertragungen von Stimmungen aus dem sozialen Umfeld

Das Aufschnappen von Gefühlen von anderen Menschen beeinflusst Hochsensible häufig drastisch, da sie teilweise von diesen Empfindungen stark absorbiert werden. Dadurch werden sie zu einer Art Seismograph, der selbst feinste Regungen und Stimmungsschwankungen in seinem Umfeld registriert. Bei hochsensiblen Kindern kommt es oft dazu, dass sie darauf auch emotional reagieren.

Persönlichkeitseigenschaften

Die meisten Hochsensiblen sind introvertiert, also eher nach innen gekehrt und schüchtern. Sie haben oft Schwierigkeiten, in Konkurrenzsituationen zu bestehen, soziale Interaktion strengt sie an, sie suchen häufig Rückzug und Ruhe und haben bei Vorträgen oder Wortmeldungen in Seminaren Hemmungen, sich anderen Menschen mitzuteilen. Nur ein geringerer Teil der Hochsensiblen ist extrovertiert. Sie mögen es, sich zu zeigen und mitzuteilen – wichtige Eigenschaften für Künstler, die auf der Bühne stehen oder für Redner und Kursleiter. Es ist also nicht zwingend erforderlich, introvertiert zu sein, um als Hochsensibler zu gelten. Doch für die Extrovertierten unter den Hochsensiblen sind die Phasen von Rückzug besonders wichtig, damit sie sich nicht in den Begegnungen und Erlebnissen in der Außenwelt verlieren. Bei den Mischtypen gibt es Phasen, in denen sie besonders gern nach außen gehen, aufgrund ihrer Veranlagung jedoch immer wieder Ruhe suchen oder in anderen Situationen sehr schüchtern sind.

Intuition

Viele Hochsensible berichten, dass sie in bestimmten Situationen starke Phänomene von Intuition und Telepathie erleben. Das gesteigerte Empathievermögen und das Aufschnappen von Stimmungen anderer Menschen tragen möglicherweise dazu bei.

Gerechtigkeitssinn

HSPs haben einen hohen Gerechtigkeitssinn und setzen sich gern für Schwächere ein. Daher engagieren sich viele Hochsensible beruflich oder ehrenamtlich in sozialen Projekten. Sie leiden extrem unter Ungerechtigkeit, wenn sie ihnen im persönlichen oder beruflichen Umfeld begegnet.

Sinnsuche

Es hat sich gezeigt, dass Hochsensible dazu neigen, Erlebnisse tiefer zu verarbeiten: Sie denken beispielsweise länger über Ereignisse nach, versuchen deren Sinn zu erfassen, suchen nach Querverbindungen oder einem tieferen Verständnis der Welt. Als Wahrheitssucher sind HSPs fleißig darin, Informationen zu sammeln. Ein Großteil von ihnen erlebt dadurch Phasen von Weltschmerz, da der Zustand unserer Gesellschaft dem tiefen Gerechtigkeitssinn von Hochsensiblen drastisch widerspricht.

Naturerlebnisse und Kunst haben einen großen Einfluss

Über 90% der Hochsensiblen fühlen sich stark berührt oder bewegt durch die Eindrücke, die bei Naturbeobachtungen, beim Musikhören, beim Filmschauen, beim Malen usw. entstehen. Dies löst starke Gefühle aus.

Hochbegabung, ausgeprägte Kreativität und Analysefähigkeit

Der Wahrnehmungsapparat von Hochsensiblen scheint mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet zu sein, etwa durch ein genaueres, tieferes, differenzierteres und feinsinnigeres Verarbeitungsvermögen. Diese Veranlagung zeigt sich auch in der Fähigkeit, schnell zu denken, Probleme blitzschnell analysieren und lösen zu können, und durch eine hohe Innovationsbereitschaft. Deshalb sind viele Hochsensible in einem oder mehreren Bereichen hochbegabt. Es gibt beispielsweise viele hochsensible Künstler, die ein besonderes Verständnis von Farbharmonien haben oder von Klängen und Musik. Auch jede andere Art von Hochbegabung kann auftreten, zum Beispiel im mathematischen, naturwissenschaftlichen oder im zwischenmenschlichen Bereich. Vielfach gibt es Hochsensible, die ihre Hochbegabung gar nicht als solche erkennen oder leben, da sie als Kind von der Umwelt nicht als Hochbegabte wahrgenommen und gefördert wurden.

Die Scanner-Persönlichkeit

Die sogenannten Scanner, Hochsensible mit vielen Interessen und Talenten, wirken nach außen hin möglicherweise sprunghaft und nicht fokussiert. Sie haben jedoch ein hohes Interesse, Neues kennenzulernen, und sind zyklisch immer wieder mit neuen Projekten und Themen beschäftigt. Darunter verbirgt sich meist eine multiple Hochbegabung. Diese vielfältigen Begabungen können zugleich Segen und Fluch sein. Hochbegabte mit einer deutlichen Spezialisierung (z.B. im mathematischen oder musischen Bereich) haben es wahrscheinlich leichter, entsprechende Berufe zu ergreifen. Die Scanner-Persönlichkeit hat jedoch so vielfältige Begabungen und Interessen, dass ihr schnell langweilig wird, wenn sie sich eine gewisse Zeit „nur“ auf ein Themengebiet konzentrieren muss. Universalgenies wie der Schriftsteller, Maler und Naturwissenschaftler Goethe sind in so gut wie allen Studienfächern gebildet. Goethe interessierte sich für Physik, Geschichte, Geologie, Biologie und Sprachen. Aufgrund dieser vielfältigen Interessen fühlen sich besonders Scanner oftmals orientierungslos und frustriert, da sie phasenweise Schwierigkeiten haben, sich für einen Weg zu entscheiden. Sie hören häufig aus ihrem Umfeld, dass sie sich doch mal „auf eine Sache konzentrieren“ sollen. Vielleicht sieht der Lebenslauf solcher Menschen nicht so geradlinig aus, doch die Erfahrungswerte sind unersetzbar.

Verbundenheit

Hochsensible fühlen sich meist mit ihren Freunden, Partnern, Familienangehörigen, Haustieren oder mit der Natur und dem Planeten Erde auf seelischer Ebene tief verbunden. Durch ihr starkes Einfühlungsvermögen und ihre Bereitschaft, sich tief auf Beziehungen einzulassen, sind sie meist „treue Seelen“, die Freundschaften anhaltend pflegen. Die Verbundenheitsgefühle mit Menschen und Lebewesen, die über den persönlichen Bekanntenkreis hinausgehen, motivieren Hochsensible auch zu ehrenamtlichem Engagement, zum Beispiel im Tier- und Umweltschutz oder in Hilfsorganisationen, die für Entwicklungsländer tätig sind.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Hochsensibilität eine Phänomenologie der feinen Wahrnehmung darstellt und keine Krankheit ist. Deshalb wird kein Arzt oder Psychologischer Psychotherapeut Hochsensibilität als „Diagnose“ stellen. Diagnosen werden für Krankheiten gegeben.

DORIS, 44 JAHRE:

Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich kaum an Situationen, sondern nur an meine intensive Gefühlswelt. Diese kann augenblicklich durch Gerüche, Geschmäcke etc., die ich mit gewissen Situationen von früher verbinde, in einer totalen Klarheit in mir wieder abgerufen werden. Damals schon waren z.B. laute Geräusche und helles Licht für mich vor allem morgens ein Gräuel. Das Frühstück in den Wintermonaten musste ohne Musik und mit sanftem Licht stattfinden, was mir bei meiner Schwester den Kosenamen „Familientyrann“ einbrachte. Ich konnte mich als Kind stundenlang alleine mit meinen Spielfiguren beschäftigen und habe mir mit ihnen meine eigene heile, harmonische Welt erschaffen.

Als Teenager musste ich viele Kompromisse eingehen, um mich nicht immer anders zu fühlen – und vor allem war keiner da, um über die ständige Flut an Impulsen und Wahrnehmungen und deren Umgang sprechen zu können. Leider wurde dieses Nichtverstandenwerden von mir oft mit zornigen Ausbrüchen gegenüber meiner Familie ausgelebt. Nur am Wochenende konnte ich mein überreiztes Nervensystem mit viel Schlaf und Aufenthalten in der Natur beruhigen.

Meine Hochsensibilität hat mich mein weiteres Leben immer wieder zum Einzelgänger werden lassen, ein Zustand, unter dem ich aufgrund von Unwissenheit sehr gelitten habe. Das und der Wunsch, dazuzugehören, hat mich zu einer Meisterin des Aushaltens gemacht. Ob im lauten Konzert, spätabends beim gemütlichen Beisammensein oder im hektischen Straßenverkehr – ich habe meine Bedürfnisse einfach ignoriert und verdrängt, was mich schließlich Ende 30 zum Burnout geführt hat und mich zwang, mein Leben zu ändern.

Heute achte ich sehr genau auf die Zeichen meines Körpers, meditiere regelmäßig und gehe auch tagsüber immer wieder in die Stille.“

HSP-Test für Erwachsene: Bin ich hochsensibel?

Lesen Sie sich einfach folgende Aussagen durch, und fragen Sie sich, ob sie auf Sie zutreffen. Zählen Sie am Ende zusammen, wie viele Male Sie mit Ja geantwortet haben.

1.In Menschenansammlungen (z. B. im Supermarkt oder auf einer lauten Party) fühle ich mich nicht so wohl. Ich habe das Gefühl, dass zu viele Eindrücke auf mich einprasseln.

2.Ich bin sehr geräuschempfindlich und/oder lichtempfindlich.

3.Von einem Musikstück oder einem schönen Kunstwerk bin ich oft tief berührt.

4.In meinem Inneren habe ich viele, intensive Gefühle. Manchmal bin ich überwältigt von der Intensität meiner Gefühle.

5.Im Kontakt mit anderen Menschen schnappe ich manchmal deren Gedanken und Gefühle auf. Teilweise erlebe ich dabei Phänomene von Telepathie.

6.Schon früh stellte ich mir die Frage nach dem Sinn des Lebens.

7.Ich reagiere stark auf Ungerechtigkeiten.

8.Wenn ich Tiere leiden sehe, leide ich mit.

9.Ich bin leicht schreckhaft.

10.Wenn ich Hunger habe, komme ich aus meinem Gleichgewicht. Hungergefühle beeinträchtigen meine Stimmungslage.

11.Ich habe viel Fantasie.

12.Filmszenen, in denen Gewalt vorkommen, verabscheue ich.

13.Ich kann mich sehr genau in andere Menschen hineinversetzen.

14.Auch was Tiere fühlen, kann ich spüren. Meine Beziehung zu Tieren ist etwas ganz Besonderes.

15.Als Kind fühlte ich mich schon anders als die meisten anderen Kinder.

16.Ich liebe Kinder. Das Lächeln und die Unschuld von Kindern berühren mich sehr.

17.Wenn ich in die Natur gehe, fühle ich mich in meiner Seele berührt und finde zu mir.

18.Ich mag es, tiefgründige Literatur zu lesen.

19.Ich brauche Harmonie in meinem Umfeld. Bei Streit und Konflikten leide ich besonders stark.

20.Manchmal fühle ich mich einsam, weil ich mich oft unverstanden von meinem Umfeld fühle.

21.Wenn mir alles zu viel wird, suche ich Rückzug und Ruhe.

22.Freunde und Arbeitskollegen schätzen mich, weil ich gut zuhören kann und positive Impulse für Gruppen geben kann.

23.Im Umgang mit Fremden bin ich eher schüchtern.

24.Mein Traumleben ist intensiv und vielschichtig. Ich träume oft und interessiere mich für Traumdeutung.

25.Ich neige zu Allergien.

26.Wenn ich Medikamente einnehme, brauche ich oft eine niedrigere Dosis.

27.Von den Stimmungen und Gefühlen anderer Menschen in meinem Umfeld fühle ich mich schnell beeinflusst.

28.Ich denke oftmals mehr an andere als an mich selbst.

29.Es fällt mir schwer, anderen lange böse zu sein. Ich versöhne mich gern.

30.Spiritualität, Philosophie und die Suche nach einem Sinn im Leben sind mir sehr wichtig.

31.Im Alltag fühle ich mich immer wieder mal überfordert. Bei wirklich dramatischen Situationen in der Familie oder in der Firma bin ich überraschenderweise oft ganz klar, ruhig und kann anderen in schweren Stunden sogar beistehen.

32.Ich habe mich schon sozial engagiert. Geld interessiert mich in diesem Zusammenhang eher weniger.

33.Manchmal reagiere ich kindlich naiv und merke das erst hinterher.

34.Ich neige zum Perfektionismus. Wenn ich etwas tue, möchte ich es genau und richtig machen.

35.Ich suche nach Schönheit in meiner Umgebung. Ich habe ein gutes Gefühl für Farben, Formen, Klänge und Harmonie in meinem Umfeld.

Wenn Sie mehr als 15 Mal mit „Ja“ antworten konnten, sind Sie wahrscheinlich hochsensibel. Bei mehr als 20 Mal ist Ihre Hochsensibilität stark ausgeprägt, bei mehr als 25 „Jas“ sind Sie sehr stark hochsensibel.

Den Test zu hochsensiblen Kindern finden Sie in Kapitel 5.

Stärken und Schwächen von Hochsensiblen

Anhand der Wahrnehmungskanäle lassen sich die Stärken und mögliche Schwächen von Hochsensiblen verdeutlichen. Mithilfe der folgenden Tabelle können Sie einmal schauen, welche Stärken Sie in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen haben. Auch die Begabung für mehrere Kanäle ist möglich. Daraus ergeben sich dann wiederum neue Kombinationsmöglichkeiten. Eine sensiblere Wahrnehmung begünstigt eine oder mehrere Hochbegabungen sowie berufliche Perspektiven in den verschiedensten Bereichen.

Kanal

Stärken

Schwächen

mögliche Berufe

Sehen Organ: Augen

intuitives Verständnis für Farben, Formen, Harmonie, Sinn für Ästhetik, genaues Erkennen von visuellen Details

Lichtempfindlichkeit, visuelle Überreizbarkeit

Maler, Designer, Architektin, Grafikdesigner, Fotografin, Künstler, Schneider, Raumausstatter, Dekorateur, Lektor

Hören und Sprechen Organe: Ohr & Mund

gutes oder absolutes Gehör, Rhythmusempfinden, Musikalität, gutes Sprachverständnis, hört feinste Nuancen

geräuschempfindlich

Sänger, Musikerin, Komponist, Dichter, Dolmetscherin, Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Redner, Logopäde, Lektorin

Riechen, Schmecken Organe: Nase & Mund

differenziertes Riechen und Schmecken

geruchs- und geschmacksempfindlich

Gourmetkoch, Parfümeur, Aromatherapeut, Bäcker/Konditor

Tasten, Fühlen, Berühren Organe: Haut, Muskeln

differenzierte Wahrnehmung von Formen, Berühungsimpulsen, Oberflächen, Organen & Strukturen

berührungsempfindlich, temperaturempfindlich

Masseur, sensibler Körpertherapeut, Shiatsutherapeutin, Akupunkteur, Craniosacraltherapeut, Kinesiologin, Handwerker, Instrumentenhersteller

Körperbewusstsein, Bewegung Organe: Muskeln, Gleichgewichtssinn

differenzierte & bewusste Körperwahrnehmung, Bewegungsintelligenz, gute Koordination, gute Raumorientierung

Hypochonder, nimmt kleinste Signale im Körper wahr

Tänzerin, Yogalehrer, Sportler, Kletterer, Fitnesstrainer, Masseur, Reiter, Ergotherapeut, Sporttherapeut, Taucher

zwischenmenschliche Wahrnehmung Kombination mehrerer Kanäle & intuitives Erfassen

guter Zuhörer, differenziertes und schnelles Erfassen nonverbaler Signale, wie Körpersprache, Ausstrahlung, Stimmungszustand von anderen

fühlt sich überflutet von den Gefühlen anderer Menschen, kann sich emotional schlecht abgrenzen, leidet mit anderen mit

Psychologe, Coach, Trainer, Beraterin, Mediatorin, Verkäufer, Agent, Heilpraktiker, Psychotherapeut, Personalentwickler, helfende Berufe

Hochsensible Männer

INTERVIEW MIT OLIVER (JAHRGANG 1977)

Woran bemerkst du deine Hochsensibilität im Alltag?

Meine Hypersensitivität merke ich im Alltag an verschiedenen Gegebenheiten. Mich stört starkes Licht (Sonnenlicht), ich halte dieses nur sehr kurze Zeit aus, wenn es mich direkt anstrahlt. Besonders empfindlich bin ich gegenüber Lärm oder lauten, viel redenden Personen. Bei Menschenansammlungen ziehe ich mich gerne zurück. Beim Einkauf bin ich nach kurzer Zeit reizüberflutet.

In welchen Lebensbereichen empfindest du deine Hochsensibilität als Bereicherung? Wo eher als Last?

Es hat aber auch positive Seiten im Alltag. Ich spüre, wenn etwas im Argen liegt oder mir gegenüber jemand nicht ehrlich ist. Ich neige zu Perfektionismus und kann mich gut in andere hineinfühlen. Wenn ich mit einem Projekt beginne, stehe ich voll und ganz dahinter. Bei meinen Hobbys Fotografie und Musik empfinde ich meine Gabe als Bereicherung. Ich bin sehr kreativ und kann das dabei gut ausleben. Im Alltag empfinde ich meine Hypersensitivität eher als störend. Von anderen werde ich für nicht belastbar gehalten.

Wo siehst du deine Stärken?

Meine Stärken liegen darin, dass ich mich gut in Menschen und Dinge hineinversetzen kann und feinfühliger bin. Ich habe eine schnelle Auffassungsgabe und handle lösungsorientiert. In der Vergangenheit war es schon mehrfach so, dass ich sehr früh bemerkt habe, wenn sich Situationen, z. B. im Arbeitsumfeld, verändern. Ich habe meinen Arbeitgeber gewechselt, da meinten alle anderen noch „So schlimm ist das doch gar nicht!“. Nach Jahren haben dort genau diese Mitarbeiter gekündigt.

Was bedeuten Gefühle für dich?

Gefühle habe ich im Lauf der Zeit immer mehr verborgen. Ich hatte ständig das Gefühl, ich bringe mich mehr ein als meine Partnerin oder alle anderen. Ich erlebe Gefühle innerlich sehr intensiv. Äußern kann ich sie am besten über Musik.

Was machst du beruflich? Wie wirkt sich deine Hochsensibilität im Beruf aus?

Ich habe lange Zeit im OP gearbeitet. Der ständige Stress und Lärm haben mich aber täglich immer wieder sehr schnell an meine Grenzen gebracht. Jetzt arbeite ich als Gutachter im medizinischen Bereich und kann über meinen Tagesablauf mitbestimmen, in meinem Tempo arbeiten und zwischendurch immer wieder Pausen einlegen. Durch meine umfassende Wahrnehmung kann ich vor Ort innerhalb kurzer Zeit sehr viele Eindrücke sammeln und diese in den Gutachten verwerten.

Bist du Vater geworden? Wie siehst du dich als hochsensibler Vater?

Ich bin zweifacher Vater. Mein älterer Sohn lebt jedoch leider nicht dauerhaft bei mir. Ich gerate mit meiner Hypersensitivität schnell an meine Grenzen und habe das Bedürfnis, mich zurückzuziehen. Kinder sind nun mal laut und verlangen, dass man sich einbringt und um sie kümmert. Dazu fehlt mir oft die Kraft, da ich mich selbst z. B. nach einem harten Arbeitstag nur sehr langsam wieder erhole. Obwohl es für mich anstrengend ist, würde ich es dennoch nie missen wollen!

Umfrage mit hochsensiblen Männern

Auf meiner Internetseite habe ich eine Umfrage mit hochsensiblen Männern durchgeführt. Die Resonanz war groß, und es ergaben sich erstaunliche Ergebnisse: Besonders auffällig waren die Antworten zu den positiven und negativen Aspekten der Hochsensibilität, die hochsensible Männer beschrieben haben. Die meisten empfinden ihre Hochsensibilität auf der einen Seite als extrem negativ, störend und verwirrend. Dazu gehören insbesondere Geräusch- und Geruchs empfindlichkeit, Schwierigkeiten in Menschenansammlungen sowie der Umgang mit den eigenen Emotionen. Auf der anderen Seite beschreiben Männer, ähnlich wie Frauen, Phänomene von Einfühlungsvermögen, erweiterter Wahrnehmung, sozialer Intelligenz und Kreativität. Rückblickend berichteten die Männer darüber, dass ihnen ihre Andersartigkeit bereits in der Kindheit und spätestens im Jugendalter aufgefallen war. Die hochsensible Variante des Männlichen verursacht in der Umgebung häufig Irritationen, die den Betroffenen schnell das Gefühl geben, ein Außenseiter zu sein. Viele leiden unter der Oberflächlichkeit alltäglicher Gespräche und suchen nach Tiefe und dem Sinn im Leben.

An dieser Stelle können Sie kurz einige repräsentative Antworten aus der Umfrage mit Männern lesen. (* die Namen wurden geändert)

Frage: „Wie erleben Sie Ihre Hochsensibilität im Alltag? Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie anders sind? Wo sehen Sie Ihre Stärken und Schwächen?“

Andreas (44)*: „Im Beruflichen empfinde ich sie als störend, da ich in einem Großraumbüro arbeite und der Umgebungslärm mich irgendwie erdrückt. Im Alltag suche ich, soweit es mir möglich ist, abgeschiedene bzw. ruhige Plätze. Ich beobachte gern vorbeiziehende Personen und denke mir Geschichten zu ihnen aus. Beim Malen (abstrakte Bilder) empfinde ich meine Hochsensibilität als bereichernd und förderlich. Bemerkt habe ich meine Hochsensibilität nach meiner Scheidung vor zwölf Jahren. Damals begann ich das erste Mal, mich nur um mich zu kümmern. Als ich anfing, Yoga zu praktizieren, dadurch Ruhe und mein inneres Gleichgewicht wiederfand, hat sich in mir etwas verändert. Durch eine schwere Erkrankung und die vielen Gespräche mit meiner Heilpraktikerin fiel das erste Mal das Wort ‘Hochsensibilität'. Mit der Zeit verstand ich vieles aus der Vergangenheit und kann die Momente meines Empfindens besser einordnen.“

Jürgen (36)*: „Ich kann gut zuhören, baue schnell emotionale Beziehungen zu anderen Menschen auf und kann mich gut in sie hineinversetzen. In einer Diskussion verteidige ich immer die jeweils andere Person, die gerade nicht anwesend ist. Ich bin geräusch- und geruchsempfindlich, fühle mich sehr unwohl in großen Menschenmengen und kann aggressives und lautes Verhalten nicht nachvollziehen. Das fing schon in der Kindheit an, als mir die ‘üblichen kleinen Prügeleien' unter Jungs sehr befremdlich erschienen. Ich sehe viele Details und bin deshalb leicht ablenkbar. Andererseits bin ich ganz gut geübt darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu ‘beachten'. Das führt dazu, dass ich oft einen besseren überblicke über die Dinge habe als andere. Ich habe Probleme im Angestelltendasein, im regelmäßig gleichbleibenden Tagesablauf. Deswegen bin ich selbständig, aber auch das ist nicht optimal. Mir fehlt der Wille zum Geldverdienen, den man als Unternehmer braucht. Ich mache zu viele unbezahlte Sachen.“

Thomas (48)*: „Zuerst dachte ich, ich wäre nervlich nicht belastbar. Aber als ich das mit meiner Hochsensibilität rausgefunden hatte, kam ich im Beruf viel besser klar. Es gibt immer wieder viele Dinge, die mich nerven. Am Anfang denkt man immer, der Stress ist schuld. Der entsteht aber nicht durch die Arbeitsmenge, sondern durch das Umfeld. Es ist nicht einfach, aber man kann sich dem anpassen. Ich registriere mehr Dinge und kann auch komplexer denken. Jedoch nur bei guten Bedingungen. Sobald es zu viele störende Einflüsse gibt, baue ich sehr schnell ab.“

Partnerschaftsthemen von hochsensiblen Männern

Jeder zweite HSP-Mann in dieser Umfrage war Single. Hier liegt schon eines der großen Themen auf der Hand, die hochsensible Männer beschäftigen. Wie können Sie eine Partnerschaft eingehen und halten? Schüchternheit und teilweise sozialer Rückzug verhindern häufig, dass hochsensible Männer Kontakte mit potenziellen Partnerinnen knüpfen können. Frauen können irritiert auf hochsensible Männer reagieren, da sie diese als zu wenig männlich empfinden. In Freundschaften mit Frauen werden hochsensible Männer oft geschätzt, da sie gute Gesprächspartner sind und gern tiefsinnige Gespräche führen. Doch wie können solche Freundschaften in eine Liebesbeziehung weiterentwickelt werden? Bei dieser Frage stoßen (hochsensible) Männer teilweise an ihre Grenzen. HSP-Männer neigen eher dazu, nach einer Trennung mehr Zeit für die Verarbeitung der Beziehung zu brauchen. Die aufgewühlten Gefühle wie Trauer, Verlust, Liebeskummer und Enttäuschung hallen noch lange in ihnen nach. Die Fähigkeit, sich tiefer auf Beziehungen einzulassen, trägt ebenfalls zu längeren Verarbeitungsphasen bei.

Noch immer prägen klassische Rollenbilder die Vorlieben von Frauen bei der Partnerwahl. Auch die finanzielle Absicherung spielt für viele Frauen noch heute eine große Rolle, wenn sie auf die Suche nach einem geeigneten Partner gehen. Da hochsensible Männer oft sozial engagiert, künstlerisch tätig oder idealistisch veranlagt sind, haben sie teilweise einen kleineren finanziellen Spielraum als die anderen männlichen Kollegen.

Kinder von Hochsensiblen

Lediglich 30 % der befragten hochsensiblen Männer hatten selbst Kinder. (Ob sich diese Zahlen als repräsentativ für die gesamte Gruppe von Hochsensiblen deuten lassen, ließe sich nur mit einer groß angelegten Umfrage herausfinden.) Hochsensible treffen teilweise bewusst die Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen, weil sie befürchten, in der Elternrolle überfordert zu sein. Andererseits gibt es auch viele HSPs, bei denen auch andere Gründe eine Rolle spielen, etwa nicht die richtige Partnerin gefunden zu haben oder Beziehungsprobleme im Allgemeineren.

Die Vater-Sohn-Beziehung

Für hochsensible Männer lohnt es sich, die Beziehung zum Vater zu beleuchten, um die eigene Entwicklung besser zu verstehen. Als Junge muss der Sohn sich an seinem Vater orientieren, da dieser das Rollenmodell für Männlichkeit, Väterlichkeit und Partnerschaft vorlebt. In vielen Familien wurde die Liebe zwischen Vätern und Söhnen unterbrochen. Entweder durch Abwesenheit (kein Interesse an Familie), Tod, Krieg oder aufgrund der Berufstätigkeit. Erfahrungen der Ablehnung werden häufig von Generation zu Generation weitergereicht. Besonders Väter, die als Kinder selbst vernachlässigt wurden, haben das Gefühl, mit ihren eigenen Kindern nicht viel anfangen zu können.

Diskrepanzen zwischen Vätern und Söhnen

Auffallend in der Umfrage war, dass viele Befragte den Eindruck hatten, ihr Vater sei nicht hochsensibel (33 %). Tatsächlich beschrieben 45 % der Männer ihre Väter als distanziert und emotional kühl, 21 % sogar als ablehnend. (Mehrfachnennungen waren möglich.) Wieder 21 % empfanden ihren Vater als bedrohlich in Worten und sogar 23 % als aggressiv. 15% beschrieben ihn sogar als gewalttätig. In diesem Spannungsbogen wird die Identifikation mit dem Vater natürlich schwierig, wenn der Sohn hochsensibel ist. Besonders für hochsensible Jungs, die ihren Vater als emotional distanziert oder aggressiv erleben, baut sich eine innere Distanz auf, die eine gesunde Identifikation mit dem Vater unmöglich macht. Für die Entwicklung der eigenen männlichen Identität als hochsensibler Mann brauchen hochsensible Jungen positive Vorbilder.

Positive Vater-Vorbilder

Immerhin waren 18 % der Meinung, ihr Vater sei auch hochsensibel. Ein Viertel der Männer beschrieb den Vater als kreativ, kommunikativ und beschützend. Die künstlerische Veranlagung wurde von 23 % beim Vater beobachtet. Es gab Väter, die aufgrund ihrer Hochsensibilität der Ehefrau eher untergeordnet leben (25 %), und fast genauso viele Väter, die auf einer Ebene mit der Partnerin leben (21 %). Als liebevoll beschrieben 33 % der Männer ihre Väter und 44 % als erfolgreich im Beruf.

Berufsbilder hochsensibler Männer

Die Berufstätigkeit von HSP-Männern hat ähnliche Trends gezeigt wie die Berufstätigkeit von hochsensiblen Frauen. Bei der Umfrage zeigten sich jedoch noch weitere Differenzierungen. 16 % gaben an, einen künstlerischen Beruf auszuüben, 12 % arbeiten in der IT-Branche, 6 % als Wissenschaftler, 8 % als Handwerker und 15 % im Gesundheitswesen, 16 % sind nicht berufstätig aufgrund von Burnout oder anderen Erkrankungen. Die Mehrheit der Männer arbeitet als Angestellte (42 %) und 18 % sind Freiberufler. Interessant sind auch die Kommentare zu Mehrfachberufen, die hochsensible Männer aufgrund ihrer vielen Interessen und Begabungen ausüben.

Männerfreundschaften

Immerhin berichtete jeder zweite Mann in der Umfrage, dass er hochsensible Freunde habe. Jedoch gaben noch 30 % der Männer an, dass sie in ihrem Umfeld keine hochsensiblen Freunde haben. Das ist traurig. Denn nur durch Gleichgesinnte können wir unsere Einzigartigkeit positiv kennenlernen. Typisch für Hochsensible ist auch, dass die deutliche Mehrheit angab, wenige Freunde zu haben. Nur 9 % berichteten darüber, viele Freunde zu haben. Allgemein bevorzugen es die meisten Hochsensiblen, lieber wenige, tiefere Freundschaften zu pflegen, als viele oberflächliche Kontakte zu haben.

Männergruppen

Kreise unter Männern können viele wachstumsanregende Impulse geben. Besonders für hochsensible Männer, deren Väter eher ein negatives Bild hinterlassen haben, können diese Gruppen wichtige Heilungsimpulse geben. Es gibt unterschiedliche Formen von Männergruppen: Ein Großteil der angebotenen Gruppen bietet Seminare mit intensiver Naturerfahrung an, was vielen HSP-Männern entgegenkommt. Dazu gehören archaische Angebote wie das Feuermachen, Kanufahren, Fischen, indianische Schwitzhütten und Überlebenstrainings. Darüber hinaus gibt es die Gesprächsrunden unter Männern, in denen offen über Themen wie männliche Identität, Gefühle, Partnerschaft und Sexualität, Lebensphasen, Vaterschaft usw. gesprochen werden kann. Hier können hochsensible Männer endlich offen und in einem geschützten Rahmen über ihre innere Welt sprechen und heilsame, neue Impulse aufnehmen.

Es ist Zeit für ein neues Bild von Männlichkeit!

Die Integration der weiblich konnotierten Aspekte wie Emotionalität, Empathie, Mitgefühl, Kreativität und Naturverbundenheit könnte vielen männlichen Männern ganz guttun. Deshalb werden hochsensible Männer in unserer Gesellschaft dringend gebraucht. Unserer Kultur fehlt es an Impulsen sensibler Männer, die sich vielfach im Alltag zu sehr zurückziehen. Noch immer werden viele Unternehmen von jenen Männern geleitet, die den Kampf um Leistung, Effizienz und Gewinnmaximierung oft in unmenschlicher Weise vorantreiben. Generationenübergreifendes Denken gibt es in unserer Industriewelt kaum. In der kranken, männlich orientierten Welt der Wirtschaft und des Geldes wurde das weibliche Prinzip nahezu ausgelöscht. Das Ergebnis bekommen unsere Kinder präsentiert, die eine Erde vorfinden, die am Rande ihrer Kräfte ist. Mutter Natur wird so sehr ausgebeutet, dass viele Ökosysteme auf dem Land und im Wasser kurz davor sind, zusammenzubrechen. Der Raubbau an den Ressourcen der Natur und die unbändige Gier nach Bodenschätzen, Öl, Gas und Tieren haben schon viele Regionen der Erde zerstört. Da es nur wenige Vorbilder für hochsensible Männer gibt, ist es von unschätzbarer Wichtigkeit, dass Männer sich untereinander in ihrer Entwicklung gegenseitig unterstützen und Mut machen.

Welche Impulse können hochsensible Männer in die Gesellschaft einbringen?

•Die Entwicklung eines neuen Familienbildes

•Vorbilder für hochsensible Kinder sein

•Tiefe seelische Verbindungen in einer Partnerschaft leben

•Eine sensible, spirituelle, einfühlsame Sexualität leben

•Kreativität, Musikalität und Fantasie zur Entwicklung von Kunstprojekten

•Fähigkeit zu tiefen Gefühlen

•Die Welt menschlicher machen

•Die Integration weiblicher Aspekte in einer männlichen Identität

•HSP-Männer als Unterstützung und Stärkung von Frauen und der weiblichen Energie

•Ausgleich schaffen, Extreme abmildern

•Leichtigkeit, Humor einbringen

•Innovationen vorantreiben

•Philosophische Gedanken entwickeln

•Spiritualität leben und verwirklichen

•Durch Verbundenheit Verantwortung für Tiere und Menschen in Not übernehmen

•Dem Erwartungsdruck unserer Leistungsgesellschaft nicht entsprechen

Hochsensible Frauen

INTERVIEW MIT CHRISTINA (58 JAHRE)

Woran bemerkst du deine Hochsensibilität im Alltag?

Ich ertrage die Gesellschaft von mehr als zwei Menschen nicht – und auch die zwei schon nur schwer. Ich bin sehr lärmempfindlich. Ich kann nicht in Supermärkten einkaufen oder samstags in der Stadt sein oder Urlaub machen in einem Hotel. Wenn ich in der Straßenbahn fahre oder einen öffentlichen Raum betrete, nehme ich die Gesamtstimmung wahr und auch die Befindlichkeiten der Einzelnen – das ist sehr „laut“. Manchmal ist es, als werde ich angebrüllt. Ich höre die Menschen mit meinen inneren Ohren und kann mich nicht dagegen schützen.

In welchen Lebensbereichen empfindest du deine Hochsensibilität als Bereicherung? Wo eher als Last?