Hochsensibilität verstehen und wertschätzen - Ulrike Hensel - E-Book + Hörbuch

Hochsensibilität verstehen und wertschätzen Hörbuch

Ulrike Hensel

4,8

Beschreibung

Sind Sie hochsensibel? Dieses Buch hilft Ihnen, einen guten und ausgeglichenen Umgang mit Ihrer Hochsensibilität zu entwickeln. Ulrike Hensel informiert kompetent über das Phänomen und seine physiologischen Hintergründe und erläutert, was Hochsensibilität in den verschiedenen Lebensbereichen – von der Familie über Freundschaften und Partnerschaft bis hin zum Beruf – bedeutet. In Einschüben erzählt die Autorin immer wieder Persönliches von sich und lässt andere Hochsensible zu Wort kommen. Darüber hinaus gibt sie Leserinnen und Lesern mit viel Feingefühl empathische und ermutigende Unterstützung. Das Buch enthält in dieser überarbeiteten Neuausgabe nun auch den ausführlichen, von der Autorin entwickelten Fragenkatalog „Bin ich hochsensibel?“. „Hensel verklärt nicht, sondern klärt auf und gibt damit einen überfälligen Anstoß, die Belastungen durch Hochsensibilität zu begrenzen und die Fähigkeiten zu entfalten – individuell wie gesellschaftlich.“ – PSYCHOLOGIE HEUTE

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Zeit:3 Std. 29 min

Sprecher:Jule Vollmer

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Ulrike Hensel

Mit viel FeingefühlHochsensibilität verstehen und wertschätzen

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2013

Coverfoto: © Ulrike Hensel

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2013

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-895-2 ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-913-3

Einstieg

Es gibt eine Reihe von idiomatischen Redewendungen, die für hochsensible Menschen verwendet werden: Sie haben eine „dünne Haut“, sind „zart besaitet“, reagieren „wie eine Mimose“, „hören das Gras wachsen“, „sehen Gespenster“, „lesen zwischen den Zeilen“, „lesen Gedanken von der Stirn ab“, „haben einen guten Riecher“, bekommen mit, wenn etwas „in der Luft liegt“, „verfügen über den 6. Sinn“, bemerken „einen bitteren Beigeschmack“, vieles „geht ihnen auf die Nerven“. Was steckt hinter dem, was sich von außen beobachten lässt und so oder ähnlich kommentiert wird? Dazu gibt es eine Menge zu sagen – und genau das habe ich mir mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht! Ich möchte für Sie als Leser meinen Weg der Erkenntnis und mein Verständnis von Hochsensibilität transparent und nachvollziehbar machen, um Ihnen erhellende und hilfreiche Einsichten zu ermöglichen.

Schon immer habe ich mich für Psychologie und Lebenshilfe interessiert. Mit Ende dreißig war ich in einer Gesprächstherapie, um persönliche Probleme zu überwinden. Später besuchte ich Workshops und Seminare für Selbsterfahrung und Selbstfindung, rang um ein stabiles Selbstwertgefühl, um Authentizität und um einen stimmigen Kontakt zu anderen – voller Sehnsucht nach innerem Frieden und Zufriedenheit. Mit einigem Erfolg, aber eine wichtige Information fehlte noch, etwas blieb unerklärlich. Das Puzzleteil, ohne das das Selbstbild einfach nicht vollständig werden konnte, fand ich erst im Alter von 50 Jahren: Ich bin hochsensibel.

Das war vor sechs Jahren. Seitdem hat mich das Thema Hochsensibilität nicht mehr losgelassen. Bei allen Weiterbildungen, die ich im Bereich der Typologie, der Kommunikation, der Konfliktbewältigung, der Beziehungsgestaltung und der Coaching-Interventionen besuchte, konnte ich Querverbindungen herstellen und mit Freude erkennen, dass etliche Ansätze gerade für Hochsensible wunderbar geeignet sind – wie zum Beispiel die „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg.

In der Einleitung des Buches „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“ erklärt Rosenberg: „Ich nenne diese Methode Gewaltfreie Kommunikation und benutze den Begriff Gewaltfreiheit im Sinne von Gandhi: Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt. Wir betrachten unsere Art zu sprechen vielleicht nicht als ‚gewalttätig‘, dennoch führen unsere Worte oft zu Verletzung und Leid – bei uns selbst oder bei anderen.“ Meine Grundhaltung, die sicher auch in diesem Buch spürbar wird, ist stark vom Gedankengut der Gewaltfreien Kommunikation geprägt.

Seit 2010 biete ich ein Coaching speziell für hochsensible Menschen an. Mit Hochsensiblen zu arbeiten ist für mich sehr erfüllend. Da ist so viel intuitives Verstehen, eine gemeinsame Basis des Empfindens – bei allen Unterschiedlichkeiten in der Persönlichkeit, der Lebensgeschichte, den individuellen Einsichten und Ansichten.

Ich habe selbst lernen müssen, mich im Leben mit meiner Hochsensibilität zurechtzufinden, meine Wesensart zu akzeptieren und wertzuschätzen und die damit verbundenen Gaben privat wie beruflich gut zu nutzen. Es ist ein andauernder Prozess des Lernens, Erfahrens und Gestaltens.

Es macht mich froh, wenn ich dazu beitragen kann, dass Hochsensible aufhören, sich verkehrt zu fühlen, sich grundlegend infrage zu stellen, sich permanent zu überfordern und sich mit ihren Fähigkeiten zurückzuhalten; wenn ich sie darin unterstützen kann, dass sie sich besser verstehen und besser so annehmen können, wie sie sind, dass sie ihrer Hochsensibilität vermehrt angenehme Seiten abgewinnen und Schwierigkeiten souveräner meistern können.

Schließlich wurde das Thema Hochsensibilität für mich so zentral, dass der Gedanke, darüber ein Buch zu schreiben, aufkam und groß wurde. Bis dahin hatte ich mich mit Sachbüchern als freie Lektorin befasst, jetzt stand es an, selbst Autorin zu werden – eine unheimlich große Herausforderung. In Gesprächen mit Herrn Dr. Dietrich, dem Verlagsleiter des JUNFERMANN-Verlages, wurde das Buchprojekt schließlich konkret und nahm die vorliegende Form an. Danke an Herrn Dr. Dietrich für seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem für den Verlag gänzlich neuen Thema und seine konstruktive Unterstützung!

Meine Kenntnisse und Erkenntnisse über Hochsensibilität und damit verbundene Themen beziehe ich aus dem intensiven Lesen, Auswerten und Verknüpfen von zahlreichen Büchern und Internet-Informationsquellen, der reflektierten Erfahrung mit mir selbst, dem regen Austausch mit Experten, vielen persönlichen Gesprächen und Mail-Dialogen mit Hochsensiblen, den Einblicken aus Gesprächskreisen für Hochsensible, die ich moderiert habe, und aus meinen Coachings.

Teil der Recherche war, dass ich einen Kreis von hochsensiblen Interviewpartnern aufbaute. Ihnen durfte ich immer wieder per Rundmail aufkommende Fragen stellen und sie sandten mir unermüdlich ihre Antworten und persönlichen Berichte zu. Ich wurde dadurch kundiger und das Buch ist durch ihre Beiträge belebt worden. Ein dickes Dankeschön an sie! Darüber hinaus gilt mein herzlicher Dank einfach allen, die mich ermutigt, inspiriert und mit ihrem Wissen und ihren Feedbacks zum Text tatkräftig unterstützt haben!

Das vorliegende Buch ist für Menschen, die auf das Thema Hochsensibilität aufmerksam wurden, die wissen oder vermuten, dass sie hochsensibel sind, und die in der Tiefe verstehen möchten, was es mit dieser hohen Sensibilität auf sich hat, was alles damit verbunden ist und wie man in den verschiedenen Lebensbereichen gut damit leben kann.

Ich verstehe jeden, der nach einfachen und schnellen Lösungen sucht. Aber wer eine Anleitung à la „7 Schritte zum hochsensiblen Glück“ oder „Ein dickes Fell im Handumdrehen“ erwartet, wird enttäuscht. Ich habe keine Patentlösungen. Ich kann auch nicht wissen, was für einen Einzelnen „das Richtige“ ist. Zu individuell sind die Menschen, die Lebenssituationen, die praktikablen Handlungsoptionen.

Womit ich dienen kann: mit Einblicken in das Phänomen, mit dem Herstellen von Zusammenhängen, mit Ideen für Veränderung und Entwicklung, mit persönlichen Berichten aus meinem Leben und denen anderer Hochsensibler. Mein Anliegen ist es, Ihnen nützliches Wissen und Inspirationen an die Hand zu geben. Sie leiten daraus für sich ab, was für Sie passt, und gehen eigenverantwortlich Ihren ureigenen Weg.

Das Buch richtet sich nicht nur an Hochsensible selbst, sondern auch an die Menschen, die ihnen nahestehen und viel mit ihnen zu tun haben, die mit ihnen zusammentreffen, zusammenleben und zusammenarbeiten und die die Beziehung zu ihnen verbessern möchten.

Ich hoffe, mit diesem Buch gelingt es mir,

Sie einzuladen, mit mir Wissenswertes zu ergründen und Erkenntnisse zu gewinnen – und dabei zu differenzieren, zu relativieren und eine gesunde Skepsis zu bewahren gegenüber jedwedem Schwarz-Weiß-Denken;

Sie anzuregen, sich über dieses Buch hinausgehend mit den eingebrachten Themen zu beschäftigen, um sich noch mehr Impulse für Ihre persönliche Weiterbildung und Weiterentwicklung zu holen;

Sie zu ermutigen, sich hilfreiche Kommunikationswege zu erschließen und zu beschreiten, um mit Ihren Mitmenschen in immer besserem Einvernehmen und mit wachsender gegenseitiger Wertschätzung zu leben.

Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre!

Aidlingen, im Oktober 2012 Ulrike Hensel

1. Sind Sie hochsensibel? Ist Ihr Gegenüber hochsensibel?

Wenn Sie dieses Buch zur Hand genommen haben, dann vermuten oder wissen Sie wahrscheinlich von sich, dass Sie hochsensibel sind. Oder Sie haben jemanden im Sinn, der Ihnen wichtig ist und den Sie für hochsensibel halten: Ihr Partner / Ihre Partnerin, Ihr Kind, jemand in Ihrer Familie, in Ihrem Freundes-, Kollegen- oder Mitarbeiterkreis. Auf jeden Fall möchten Sie mehr über dieses Phänomen wissen.

Worum es im Endeffekt geht: Das Sich-Erkennen kann helfen, sich selbst besser zu verstehen, das eigene Leben seinem Wesen entsprechend zu organisieren, belastende Lebensumstände nach Kräften zu verändern, besser mit den schwierigen Seiten der Hochsensibilität zurechtzukommen und mehr von den bereichernden Seiten zu profitieren. Sein Gegenüber als hochsensibel zu erkennen ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Verständnis und ein erfreuliches, wertschätzendes Miteinander.

Was genau Hochsensibilität bedeutet, wird im nächsten Kapitel näher ausgeführt. Damit aber schon gleich deutlich wird, wovon die Rede ist, hier schon mal so viel: Unter Hochsensibilität versteht man eine erhöhte Empfänglichkeit für äußere und innere Reize aufgrund eines veranlagungsbedingt besonders leicht erregbaren Nervensystems. Das führt zu einer nuancenreicheren, intensiveren und subtileren Wahrnehmung, einer höheren emotionalen Reaktivität und einer gründlicheren Informationsverarbeitung als bei der Mehrheit der Menschen. Man geht davon aus, dass ungefähr 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind.

So früh wie möglich möchte ich mit gängigen Vorurteilen aufräumen: Hochsensibilität ist keine Krankheit, keine Störung, kein therapiebedürftiger Zustand, kein Makel ... (wenn es auch bei „unsachgemäßem Gebrauch“ dieser Veranlagung durchaus zu „Störungen“ kommen kann). Vielmehr ist Hochsensibilität eine angeborene Variation in der Ausprägung des Nervensystems – mit vielfältigen Auswirkungen.

Beachten Sie: Keinesfalls wird mit dem Merkmal Hochsensibilität eine Persönlichkeit auch nur annähernd vollständig erfasst. Selbst die Eigenheiten, die sich aus der Hochsensibilität ergeben, sind bei jedem Einzelnen ein wenig anders ausgeprägt. Jeder Mensch ist ein Original, einzigartig und wundervoll. Ich kenne viele Hochsensible und kann immer wieder feststellen, wie es einerseits erstaunlich viele Gemeinsamkeiten gibt und andererseits so große Unterschiede. Damit will ich sagen: Bitte reduzieren Sie keinen hochsensiblen Menschen, weder sich selbst noch jemand anderen, auf seine Hochsensibilität!

Die Feststellung, dass jemand hochsensibel ist, „beinhaltet keine Aussage über Extrovertiertheit oder Introvertiertheit, über den Grad an kognitiver und sozialer Intelligenz, über individuelle Charaktereigenschaften. Hochsensible Menschen haben etwas gemeinsam – eben die sehr hohe Sensibilität – und daraus ergeben sich einige Ähnlichkeiten. Jedoch sind sie in erster Linie Individuen und einzigartige Persönlichkeiten, nicht in erster Linie Hochsensible.“ (Quelle: http://www.hochsensibel.org, Website des Informations- und Forschungsverbunds für Hochsensibilität e. V.)

Es gibt kein „Diagnoseverfahren“, mit dem Sie zweifelsfrei feststellen könnten, ob Sie hochsensibel sind (wobei der Ausdruck „Diagnose“ schon nicht richtig passt, da es sich eben nicht um ein Krankheitsgeschehen handelt). Da und dort – und auch hier! – finden Sie Fragen, die Ihnen mehr oder weniger Klarheit bringen, aber kein absolutes Ergebnis liefern, auch dann nicht, wenn Sie zu einer Auswertung mit einer bestimmten Punktzahl kommen. Vieles hängt einfach von der eigenen Einschätzung ab; und genau die ist auch die entscheidende.

Der Informations- und Forschungsverbund für Hochsensibilität e. V. (IFHS) ist im Hinblick auf Fragebögen skeptisch und empfiehlt, „eine Weile den Gedanken, eine HSP [= Hochsensible Person] zu sein, quasi versuchsweise ‚mit sich herumzutragen‘ und nach einiger Zeit zu prüfen, ob sich die Lebensqualität gebessert hat oder man nach anderen Erklärungen für das besondere Lebensgefühl suchen muss.“ Ich denke: Ein Fragenkatalog kann gut aufzeigen, was üblicherweise mit Hochsensibilität einhergeht, und so auf die Spur zur Selbsterkenntnis führen.

Ebenso wenig wie es einen absolut gültigen Test zur Selbsteinschätzung gibt, gibt es eine zuverlässige Checkliste für andere Personen. Ohnehin sollte es nicht um das Einordnen in eine Kategorie, sondern um eine differenzierte Betrachtung gehen. Nach bestem Wissen habe ich für Sie Fragen und Hinweise zusammengestellt, die Ihnen klären helfen, ob Sie oder derjenige, an den Sie denken, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den Hochsensiblen gehört. Die sehr unterschiedlichen Aspekte, die hier aufgeführt sind, zeigen Ihnen schon, wie vielschichtig das Phänomen Hochsensibilität ist.

Mein Tipp: Lesen Sie die „Fragen Sie selbst betreffend“ auch durch, wenn es um eine andere Person geht, und lesen Sie die „Hinweise Ihr Gegenüber betreffend“ auch, wenn es um Sie selbst geht, und vollziehen Sie dabei jeweils den erforderlichen Perspektivwechsel. Genau dieser Perspektivwechsel ist eine wesentliche Grundlage für eine verständnisvolle und wertschätzende Kommunikation!

1.1 Sie selbst

Fragen, die Aufschluss geben

Haben Sie im Laufe Ihres ganzen Lebens in Ihrem Umfeld unzählige Male Sätze gehört wie „Sei doch nicht so empfindlich!“, „Du bist aber überempfindlich“, „Du Sensibelchen!“, „Hab dich nicht so!“, „Stell dich nicht so an“, „Bist du dünnhäutig!“, „Was hast du jetzt schon wieder?“, „Das bildest du dir nur ein“, „Reiß dich zusammen“, „Du machst es aber kompliziert“, „Mit dir ist es immer so schwierig“, „Musst du es immer so kompliziert machen?“, „Ich kann dir überhaupt nicht folgen“, „Du steigerst dich da in etwas hinein!“, „Du überreagierst!“?

Haben Sie schon viele Male gedacht, dass Sie irgendwie verkehrt sind? Etwas mit Ihnen nicht stimmt? Sie nicht in diese Welt passen? Haben Sie sich häufig nicht zugehörig gefühlt? Als Außenseiter? Wie von einem fremden Stern? Missverstanden, unverstanden?

Hielten Eltern, Verwandte und Lehrer Sie für scheu, schüchtern, gehemmt oder überängstlich, als Sie Kind waren? Gab es Kommentare, Sie seien langsam? Erinnern Sie sich daran, dass Mitschüler und Freunde Sie häufig aufforderten, bei Aktivitäten mitzumachen, während Sie noch zögerten oder schon ablehnten?

Lassen Sie noch heute zumeist Umsicht und Vorsicht walten?

Haben Sie schon oft im Leben den Wunsch gehabt, ein dickeres Fell zu haben, um besser gegen die Unbilden des Lebens geschützt zu sein? Haben Sie sich gewünscht, weniger mit körperlichen Beschwerden auf seelische Probleme zu reagieren? Körperlich robuster und belastbarer, psychisch stabiler und weniger leicht verwundbar zu sein?

Meiden Sie wenn möglich Menschenansammlungen und Großveranstaltungen? Fühlen Sie sich zum Beispiel eher unwohl in Einkaufszentren oder Vergnügungsparks?

Stresst es Sie, wenn es um Sie herum hektisch und turbulent zugeht? Fühlen Sie sich leicht überfordert, wenn vieles gleichzeitig auf Sie einströmt? Werden Sie nervös und fahrig, wenn Sie mehrere Dinge auf einmal zu erledigen haben?

Sind Sie generell sehr aufmerksam und auch reaktionsschnell?

Können Sie in Extremsituationen erstaunliche Ruhe und Übersicht bewahren und besonnen handeln? Verfügen Sie über eine bemerkenswerte innere Stärke?

Haben Sie zwischendurch immer mal wieder das starke Bedürfnis, sich aus der Gemeinschaft zurückzuziehen, um sich zu erholen und wieder zu sich zu finden? Brauchen Sie viel Zeit für sich allein?

Brauchen Sie in hohem Maße günstige Umgebungsbedingungen, um sich wohlfühlen zu können? Geht es Ihnen allgemein besser in einer eher reizarmen Umgebung?

Stören zum Beispiel grelles Licht, strenge Gerüche, Zugluft, einengende, kratzige Kleidung Ihr Wohlbefinden beträchtlich? Stellen Sie fest, dass Sie dadurch weit mehr zu beeinträchtigen sind als andere?

Bringt starker und andauernder Lärm Sie aus der Fassung? Fällt es Ihnen in einer geräuschvollen Umgebung schwer, sich zu konzentrieren? Sind manche leisen Dauergeräusche (zum Beispiel Pfeifen eines Heizkörpers, Ticken einer Uhr ...) für Sie richtig nervig? Können Sie schlecht Hintergrundgespräche ausblenden? Bekommen Sie leise und entfernte Geräusche mit, die andere gar nicht bemerken?

Sind Sie schreckhaft? Leicht zu irritieren? Brechen Sie leicht in Tränen aus? Brauchen Sie lange, um nach Störungen wieder zur Normalität übergehen zu können?

Träumen Sie lebhaft? Erinnern Sie sich an Träume? Gehen Ihnen schlechte Träume lange nach? Haben Sie vielleicht auch Tagträume?

Bemerken Sie Nuancen und Feinheiten, die anderen gar nicht auffallen? Können Sie gut Fehler, Unstimmigkeiten und Widersprüche aufspüren? Können Sie zwischen den Zeilen lesen und Zwischentöne heraushören?

Nehmen Sie die Dinge sehr genau? Haben Sie eine große Liebe zum Detail? Legen Sie Wert darauf, zu differenzieren?

Denken Sie gründlich über vieles nach? Ist es Ihnen wichtig, den Dingen auf den Grund zu gehen? Möglichst viele Aspekte mit einzubeziehen?

Sind Sie ausgesprochen pflichtbewusst, gewissenhaft und zuverlässig? Legen Sie auch großen Wert auf die Zuverlässigkeit anderer? Haben Sie einen sehr hohen Anspruch an die Qualität Ihrer Arbeit? Sind Sie sehr bemüht, Fehler zu vermeiden und nichts zu vergessen? Neigen Sie zum Perfektionismus?

Verschlechtert sich Ihre Leistung, wenn Sie beobachtet werden oder im Wettbewerb stehen? Können Sie schlecht unter Zeit- / Leistungs- / Erwartungs-Druck arbeiten?

Fällt es Ihnen leicht, über den Tellerrand hinauszuschauen? Querverbindungen herzustellen? Ganzheitlich zu denken? Begeben Sie sich mitunter auf geistige Höhenflüge? Kommentieren andere, Sie würden Gedankensprünge machen?

Haben Sie einen guten Zugang zu Ihrer Intuition? Fällt Ihnen auf, dass Sie im Vergleich zu anderen erstaunlich viel unterschwellig wahrnehmen und auswerten?

Fühlen Sie sich ausgesprochen wohl in der Natur? Können Sie in der Natur besonders gut entspannen? Sind Sie naturverbunden und tierlieb? Empfinden Sie Glücksgefühle durch Naturerlebnisse (Sonnenuntergang, Sternenhimmel, Morgentau, Schmetterlinge auf Blüten, Weitblick von einem Berggipfel, Meeresrauschen usw.)?

Genießen Sie eine Augenweide, einen Wohlklang, einen Wohlgeruch, einen Wohlgeschmack, ein Wohlgefühl?

Erfreuen Sie sich am Kunstgenuss (Musik, Malerei, Bildhauerei, Theater ...)? Lieben Sie Schönes und Schöngeistiges? Haben Sie einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik? Gestalten Sie Ihre Umgebung gerne liebevoll und individuell?

Legen Sie Wert auf Ordnung und Sauberkeit?

Sind Sie in vieler Hinsicht kreativ? Finden Sie neue Lösungen und Strategien? Schaffen Sie Künstlerisches oder Kunsthandwerkliches? Haben Sie geschickte Hände?

Ist es Ihnen sehr wichtig, Sinn in Ihrem Tun zu finden? Ihre Begabungen und Ihre Berufung zu entdecken und auszuleben? Mit Ihren Fähigkeiten einen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten?

Sind Sie offen für Religion und Spiritualität? Glauben Sie, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als man mit der Wissenschaft erklären kann?

Können Sie oberflächlichem Smalltalk wenig abgewinnen? Führen Sie lieber inhaltsreiche und tiefschürfende Gespräche? Ist es Ihnen sehr wichtig, dass Ihre Gesprächspartner authentisch und ehrlich sind?

Fällt es Ihnen manchmal schwer, Spaß zu verstehen (bzw. das, was andere für Spaß halten)? Ernst und Spaß auseinanderzuhalten? Kommt es vor, dass Sie Witze gar nicht so witzig finden (schon gar nicht, wenn Sie auf Kosten anderer gehen)?

Haben Sie ein intensives Gefühlsleben? Reagieren Sie ab und zu sehr emotional und sehr heftig? Finden Sie es mitunter schwer, Ihrer starken Gefühlsregungen Herr zu werden? Kommen Ihnen leicht die Tränen? Werden Sie von Ihren Gefühlsreaktionen oft geradezu überwältigt? Dauert es lange, bis Sie sich wieder beruhigt haben, wenn Sie sich aufgeregt haben?

Erspüren Sie schon leiseste Gemütsregungen anderer? Fällt es Ihnen auf, wenn Leute nicht wahrhaftig und aufrichtig sind?

Haben Launen und Befindlichkeiten anderer einen starken Einfluss auf Ihre Stimmung? Wenn es anderen nicht gut geht, verspüren Sie dann den Drang, etwas für sie tun zu wollen? Meinen Sie zu erahnen, was andere brauchen und wünschen?

Sind Sie sehr geneigt, den Erwartungen anderer entsprechen zu wollen? Nehmen Sie viel Rücksicht auf andere? Kann es leicht passieren, dass Sie eigene Bedürfnisse hintanstellen? Wissen Sie oft gar nicht, was Sie selbst wirklich wollen?

Sind Ihnen Harmonie und Übereinstimmung in Beziehungen außerordentlich wichtig? Sind Sie sehr bemüht, auf Wünsche und Bedürfnisse Ihres Partners einzugehen, sich ihm anzupassen? Empfinden Sie Konfliktsituationen als sehr belastend? Wirken Streit und Missstimmung bei Ihnen lange nach?

Fällt es Ihnen leicht, sich in andere Menschen einzufühlen und auf andere einzugehen? Können Sie gut zuhören? Kommt es häufig vor, dass andere sich mit Problemen an Sie wenden und Ihnen ihr Herz ausschütten? Fühlen Sie häufig so stark mit, dass Sie selbst leiden? Fühlen Sie sich anschließend erschöpft und ausgelaugt? Fällt es ihnen häufig schwer, sich ausreichend abzugrenzen?

Nehmen Sie das, was gesagt wird, schnell sehr persönlich? Fühlen Sie sich leicht angegriffen und gekränkt? Nehmen Sie sich Zurechtweisungen und Vorwürfe sehr zu Herzen?

Lehnen Sie es ab, Filme mit Gewaltszenen anzusehen? Gehen Ihnen Bilder von Kriegen, Hungersnöten, Katastrophen in Nachrichten und Reportagen lange nach? Geht Ihnen das Leid von Mensch und Tier, die Zerstörung der Natur sehr nahe? Haben Sie das Bestreben, anderen Menschen und überhaupt anderen Kreaturen zu helfen und sich für eine bessere Welt einzusetzen?

Beobachten Sie an sich starke Reaktionen auf Koffein und Alkohol? Meiden Sie womöglich Kaffee und / oder Alkohol? Stellen Sie häufig starke Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten fest?

Haben Sie ein feines Gespür für Ihren eigenen Körper? Merken Sie leiseste Anzeichen einer beginnenden Erkrankung?

Sind Sie auffallend schmerzempfindlich? Vielleicht krankheitsanfällig? Reagieren Sie offensichtlich mit körperlichen Symptomen auf psychische Probleme? Leiden Sie unter Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten? Reagieren Sie stark auf verschiedenste Schadstoffe in der Luft und Zusatzstoffe in der Nahrung? Leiden Sie unter Reisekrankheit?

Sind Sie sehr wissbegierig, lernfreudig, lernwillig? Vielseitig interessiert? Aufgeschlossen für Wissenserweiterung und neue Erkenntnisse? (Prima, dann habe ich in Ihnen vermutlich einen interessierten und aufmerksamen Leser!)

Auswertung

Haben Sie ungefähr zwei Drittel der Fragen – oder mehr – für sich mit Ja beantwortet, dann gehören Sie mit großer Wahrscheinlichkeit zur Gruppe der hochsensiblen Menschen. Vor allem dann, wenn die Aussagen situationsunabhängig auf Sie zutreffen. Sie werden sich sicher nicht in allen aufgeführten Punkten gleichermaßen wiederfinden, selbst wenn Sie eindeutig hochsensibel sind. Es gibt immer individuelle Abweichungen. Bei manchen Fragen waren Sie vielleicht verwundert, was das wohl mit Hochsensibilität zu tun haben soll, und zugleich erstaunt, wie zutreffend der Punkt ist. Mit der Hochsensibilität gehen etliche Besonderheiten einher, die – wenn auch nicht immer sofort erkennbar – ursächlich mit dem sensiblen Nervensystem zusammenhängen. Es ist das Gesamtgefüge der in den Fragen angesprochenen Einzelaspekte, das Hochsensibilität erkennen lässt.

Werde ich gefragt, wie man denn sicher sein könne, ob man hochsensibel ist, weise ich darauf hin, dass von der zweifelsfreien Feststellung nichts abhängt. Wer mit dem Begriff Hochsensibilität etwas anfangen kann, wer sich darin wiedererkennt, wer damit in Resonanz geht, für den ist es lohnend, sich intensiver damit auseinanderzusetzen.

Ein wichtiger ergänzender Hinweis: Vielleicht finden Sie sich in einigen Punkten nicht so richtig wieder, weil Sie nicht – wie die Mehrheit der Hochsensiblen – zu den introvertierten Menschen gehören. Es gibt sehr wohl extravertierte, unternehmungs- und abenteuerlustige Hochsensible! Und erst recht wäre es ein Trugschluss anzunehmen, Hochsensible könnten nicht kraftvoll und durchsetzungsstark auftreten.

Und auch dies sei angefügt: Keinesfalls ist der Umkehrschluss richtig, dass Nicht-Hochsensible die Fragen durchgängig mit Nein beantworten würden!

Auf die Einstellung kommt es an

Der antike Philosoph Epiktet (ca. 50–ca. 125 n. Chr.) betonte die innere Freiheit des Menschen. Überliefert ist sein Ausspruch „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie.“ Wenn Sie sich als hochsensibel erkannt haben, ist die Umdeutung und Neubewertung Ihres Erlebens und Ihrer Lebensgeschichte sicher eine hoch emotionale Angelegenheit. Bemühen Sie sich dennoch um eine vernünftige Neutralität. Es kann nicht Sinn der Sache sein, die Bewertung der eigenen hohen Empfindlichkeit von einer einseitig negativen auf eine einseitig positive Sicht umzupolen. Es ist nun einmal so: Hochsensibilität hat angenehme und unangenehme Seiten, beschert Ihnen sowohl Vor- als auch Nachteile, sie kann Ihnen sowohl nützlich als auch hinderlich sein – je nachdem in welcher Lebenslage oder welcher Alltagssituation Sie sich befinden und je nachdem vor welchen Aufgaben Sie stehen und was Sie vorhaben.

Zur Veranschaulichung vergleiche ich das unsichtbare Merkmal Hochsensibilität gerne mit gleichermaßen unabänderlichen, aber sichtbaren Merkmalen. Es ist an sich weder gut noch schlecht, hochsensibel zu sein, so wie es weder gut noch schlecht ist, groß oder klein zu sein, Rechts- oder Linkshänder zu sein (wobei auch sehr große Menschen oder Linkshänder Schwierigkeiten im alltäglichen Leben begegnen). Oder nehmen wir jemanden, der rote Haare und helle Haut hat, das ist angeboren und bleibt ein Leben lang so. Naja, die Haare kann man sich färben – das heißt, nach außen hin anders erscheinen –, aber die natürliche Haarfarbe wird immer wieder hervortreten. Und durch die helle Haut wird derjenige zeitlebens schneller Sonnenbrand bekommen als Menschen eines anderen Hauttyps. Aber er kann sich darauf einstellen, eine Sonnencreme mit höherem Lichtschutzfaktor benutzen, sich mehr im Schatten aufhalten, einen Sonnenhut tragen etc. – und sich des Lebens freuen!

Ihre Chance liegt darin, die Hochsensibilität unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten, in einen neuen Zusammenhang zu stellen, ihr einen neuen Rahmen zu geben. Raus aus der Ecke des Problembeladenen oder gar Pathologischen hin zu dem Spielraum einer natürlichen Besonderheit.

Vielleicht ist es eine gute Idee, die neu gewonnene Erkenntnis erst einmal in sich zu bewegen, bevor Sie damit nach draußen gehen. Sonst kann es sein, dass Sie in eine ungewollte Diskussion und (einmal mehr) in eine Position der Rechtfertigung geraten, bevor sich alles gesetzt hat und Sie sich gefestigt fühlen. Die Psychologin Elaine Aron rät: „Schützen Sie (...) sowohl Ihre Sensibilität als auch Ihr gerade entwickeltes Verständnis dafür, indem Sie (...) erst gar nicht darüber reden. Genießen Sie einfach das Bewusstsein, dass es da draußen viele gleich Gesinnte gibt.“ (Aus dem Buch „Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen“)

Das Erkennen führt zu großer Erleichterung

Ich höre und lese häufig Äußerungen von Menschen, wie es für sie war / ist, sich als hochsensibel zu erkennen. Die meisten empfinden eine umfassende Erleichterung, für manche ist die Begegnung mit der Begrifflichkeit Hochsensibilität geradezu eine Offenbarung. Viele berichten von einem grundlegend neuen Lebensgefühl.

Besonders beeindruckt hat mich die Erzählung einer jungen Frau, dass sie jedes Jahr den „Tag der Erkenntnis“ wie einen zweiten Geburtstag feiert. Ein denkwürdiger Tag, an dem sie in gewisser Weise „das Licht der Welt“ erblickt hat. Daran kann man ermessen, als wie verstörend und belastend sie zuvor ihr unerklärliches Anderssein erlebt haben muss.

Nachfolgend antworten hochsensible Personen (kurz: HSP) auf die Frage, was sich verändert hat durch das Erkennen der eigenen Hochsensibilität:

Hochsensible berichten

Manuel*: Ich war sehr erleichtert. Vieles in meinem Leben war auf einmal erklärbar, nicht mehr seltsam. Es ist ein neues Gefühl, obwohl sich an den Fakten nichts ändert. Ich bin, wie ich bin.

Angelika: Die Erkenntnis, eine HSP zu sein, hat mich sehr erleichtert und dazu beigetragen, mich mit mir selbst auszusöhnen. So war ich also nicht mehr nur ‚anders als die anderen‘, ‚überempfindlich‘, ‚psychisch und physisch nicht belastbar‘ (Aussage eines Arztes) u. v. a. m., sondern ganz normal – eben ich selbst. Ich fühle mich nun auf gleicher Ebene mit meinem Mitmenschen. Ich habe gelernt, mich zu schützen, und kann gelassen akzeptieren, wenn mich Situationen überfordern, die anderen nichts ausmachen. Meine Beziehungen zu Nicht-HSP sind ebenfalls stressfreier, da ich deren Erlebnisweise nun auch in einem anderen Licht sehe.

Daniela: Ich habe meine Hochsensibilität gerade erst als solche entdeckt – bis vor wenigen Wochen wusste ich gar nicht, dass es so etwas gibt. Mir war nur bewusst, dass ich anders bin, und meist war ich bemüht, das zu ändern. Nun mache ich mich auf den spannenden, erkenntnisreichen, befreienden Weg, mich ganz neu kennenzulernen und vieles neu zu bewerten.

Ina*: Schon beim Lesen des ersten Buches dachte ich nur noch: Die Frau kennt mich, endlich versteht mich jemand. Seitdem verschlinge ich alles, was ich zu diesem Thema finden kann. Ich bin einfach nur glücklich, habe dadurch ein riesen Selbstbewusstsein hinzugewonnen. Das kann mir keiner auf dieser Welt mehr nehmen. Endlich bin ich bei mir angekommen und eins mit mir. Ich möchte es am liebsten in die Welt hinausschreien: Ich bin anders und das ist gut so.

Cordula*: Nach der Lektüre zweier Bücher über Hochsensibilität hat mein Gefühl, irgendwie ‚komisch‘ zu sein, nach 40 Jahren endlich eine Erklärung gefunden. Seither geht es mir viel, viel besser. Der ständige Gedanke ‚Ich bin falsch‘ ist verschwunden. Nach Gesprächen in meinem Bekanntenkreis stelle ich fest: Ich bin nicht allein, nur hat keiner darüber geredet.

Maja*: Ich hatte das Gefühl, die Autorin schreibt über mich. Mich überkamen einige Weinanfälle. Weinen vor Erleichterung und Wut, weil ich oft versuchte, mich zu ändern, weil ich oft zu hören bekam: ‚Du bist zu empfindlich, du musst dich irgendwie abhärten‘. Mein Selbstbewusstsein litt sehr darunter. Jetzt kann ich endlich aufatmen. Ich bin okay, weil es logische Erklärungen dafür gibt, wie ich fühle und reagiere.

Reinhard: Ich war erst skeptisch, als ich das erste Mal mit dem Thema in Berührung kam. Einiges an mir schien hochsensibel, anderes nicht. Beispielsweise fiel es mir nicht schwer, im wuseligen Großraumbüro konzentriert zu arbeiten, weil ich viel Freude an meiner Arbeit – kreativ am Computer zu tüfteln – hatte. Als Programmierer fühlte ich mich seinerzeit optimal gefordert und hatte Erfolgserlebnisse. Die letzten Jahre in der EDV waren allerdings schwierig und anstrengend für mich. Als ich später herausfand, dass ich wirklich hochsensibel bin, war das für mich wie ein Befreiungsschlag: Ich konnte nun zu meiner Art zu arbeiten und zu denken, zu meinem Ruhebedürfnis und meinen Grenzen stehen. Inzwischen hat sich meine Berufung in Richtung Arbeit mit Menschen gedreht.

Ilse*: Ich sehe meine Mitmenschen und mich jetzt mit einem anderen Bewusstsein. Ich (jetzt 51) hatte fast 30 Jahre viel zu viel in mein Leben gepackt. Ich miste Verpflichtungen aus und will künftig mehr auf mich achten. Ich arbeitete jetzt bewusster daran, mein Arbeitsumfeld angenehmer zu gestalten.

Evelyn*: Es tat so gut, mich das erste Mal in meinem Leben nicht als „krank“ einzustufen, ich hatte tiefste Selbstzweifel über mich und hab mich schon seit Jahren zurückgezogen. Das wird sich jetzt ändern.

Jochen*: Jetzt habe ich etwas Greifbares. Ich hab immer gedacht, ich bin gelinde gesagt ‚unnormal‘. Jetzt fühle ich mich sicherer, dass es keine Absonderlichkeit ist, sondern eigentlich eine wunderbare Gabe.

* Namen geändert

 Von mir: Das Selbstbild zurechtrücken

Ich selbst kann mich noch gut erinnern, obwohl es mittlerweile sechs Jahre her ist, wie es mir damit ging, für meine stets empfundene Andersartigkeit einen Namen gefunden zu haben: Hochsensibilität. In schneller Folge las ich zwei Bücher über Hochsensibilität und war bass erstaunt, wie zutreffend das Geschriebene für mich war. Mir war, als würden die Autoren mich und mein Leben kennen. Unglaublich! So viel Verständnis für mein Sosein war mir nie zuvor begegnet. Welches Glücksgefühl!

Wie oft hatte ich von Kindheit an das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich nicht in Ordnung bin. So oft hatte ich Sätze gehört wie „Du bist so überempfindlich“, „Was hast du jetzt schon wieder?“, „Du siehst Probleme, wo keine sind!“, „Stell dich nicht so an!“, „Du bist so schwierig!“ ...

Ganz viel hat es mir bedeutet, die Vorsilbe „über-“ bzw. „hyper-“ durch „hoch-“ ersetzt zu sehen – nicht mehr über- oder hyperempfindlich, sondern hochempfindlich! Das änderte eine Menge, weil es darauf verzichtet, von einem akzeptierten Normalmaß auszugehen.

Mich als hochsensible Person zu erkennen, war eine riesige Erleichterung: Zu erfahren, dass es noch andere Menschen gibt, die ähnlich empfindlich sind gegenüber Lärm und Geräuschen (vor allem das!), Gerüchen, Flackerlicht, kratzigen und drückenden Kleidungsstücken usw.; dass es noch andere gibt, die sich so stark in ihre Mitmenschen einzufühlen vermögen, emotional so verletzlich sind, sich von Worten so leicht getroffen fühlen, mit teilweise überwältigenden Gefühlen zu kämpfen haben und die für ihre Mitmenschen eine echte Herausforderung darstellen.

Das hat mich in gewisser Weise rehabilitiert und zugleich auf wohltuende Weise tief beruhigt. Ich fühle mich seitdem nicht mehr so allein und nicht mehr so sehr als Außenseiter, sondern immerhin einer Minderheit zugehörig.

Zudem fühle ich mich gleichberechtigter: mit ebensolchen Persönlichkeitsrechten ausgestattet wie all die anderen, die zuvor das Recht irgendwie immer auf ihrer Seite zu haben schienen, deren Einschätzungen als „richtig“ im Raum standen, wohingegen meine allzu oft mit „das kann nicht sein“ abgetan worden waren und ich dem nichts entgegenzusetzen hatte.

Mich als hochsensibel zu erkennen bedeutete einen Wendepunkt in meiner persönlichen Entwicklung. Endlich konnte ich mein Selbstbild um ein bis dahin fehlendes wichtiges Puzzleteil ergänzen. Das beseitigt beileibe nicht alle Schwierigkeiten, aber sie erscheinen in einem anderen Licht und sind deutlich einfacher zu handhaben. Ich kann mich auf jeden Fall in meinem Sosein viel besser annehmen und ich kann im Zusammensein mit anderen selbstbewusster und selbstsicherer auftreten und selbstverantwortlicher für mich eintreten.

Gut leben mit Hochsensibilität

Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, und wenn es krumm und knorrig wäre.

Theodor Fontane (1819–1898)

Hochsensibilität ist angeboren und bleibt das ganze Leben bestehen, auch wenn sich Erscheinungsformen wandeln können. Jede Bemühung sie loszuwerden vergeudet wertvolle Energie. Jeder Versuch, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken, wird langfristig scheitern.

Michael Jack, Präsident des IFHS, vermutet, dass der Begriff der „hochsensiblen Person“ für diejenigen, die sich als hochsensibel erkennen, das „Angebot einer spezifischen Rolle im menschlichen Interaktionssystem“ sein könne. Bevor die hochsensible Person die eigene Hochsensibilität erkennt, versuche sie, „eine ihr fremde, nicht auf sie zugeschnittene Rolle zu spielen, und scheitert dabei ständig. Die ‚neue Identität‘ als HSP verlangt nicht mehr, so zu sein wie andere; man verfügt über einen neuen Bezugsrahmen zur eigenen Existenz mit passenderen Normen und Heuristiken zur Selbstinterpretation.“

Erfahrungsgemäß hilft das Wissen, hochsensibel zu sein, die ungeheuren Anstrengungen, so sein zu wollen wie die meisten anderen, aufgeben zu können und sein Leben im Bewusstsein der eigenen Besonderheit angenehmer und stimmiger zu gestalten. Es gilt, zunehmend eigenen Maßstäben zu trauen, was guttut und was nicht, und sich danach auszurichten. Natürlich ist es nicht immer leicht, sein Leben auf die Hochsensibilität einzustellen, aber richtig problematisch wird es erst dann, wenn der hochsensible Mensch anhaltend gegen seine Natur lebt.

Hochsensibilität gehört zu Ihnen, sie ist ein Teil Ihrer „Grundausstattung“. Es ist an Ihnen, das nicht als Einengung, sondern als eine bestimmte Ausrichtung auf Ihrem persönlichen Lebensweg zu verstehen. Schöpfen Sie nach Herzenslust aus dem immensen Potenzial, das Ihnen mitgegeben wurde. Je selbstverständlicher Sie zu sich stehen und die Hochsensibilität in Ihre Persönlichkeitsentwicklung integrieren, desto leichter können Sie Ihre Möglichkeiten zur Entfaltung bringen.

Die Auswirkungen der Hochsensibilität auf Ihr Leben sind so umfangreich und tief greifend, dass das Lesen von Veröffentlichungen zu diesem Thema nur einen ersten Schritt bedeuten kann. Insbesondere dann, wenn Ihnen dieses Merkmal Ihr Leben bisher schwer gemacht hat und Sie unter Ihrer Hochsensibilität sehr gelitten haben. An die Erkenntnis schließt sich ein langer Prozess der Auseinandersetzung, Aufarbeitung und (Um-)Orientierung an. Dazu gehören üblicherweise: die Lebensgeschichte in einem neuen Licht betrachten und neu bewerten, das Selbstbild korrigieren und das Selbstwertgefühl stabilisieren, alte Wunden heilen lassen, Chancen und neue Perspektiven entdecken und nutzen, den Umgang mit sich selbst und mit anderen überdenken und umgestalten, die Lebensumstände anpassen, Lebensgewohnheiten verändern, mit seinem Sosein immer mehr Frieden schließen.

1.2 Ihr Gegenüber

Aus den Fragen, die einem für sich selbst Aufschluss geben, konnten Sie wahrscheinlich schon manches ableiten. Klar ist: Sie können in niemanden hineinschauen, Sie wissen nicht, was in einem anderen Menschen vorgeht, wie er empfindet. Sie sehen nur, was sich nach außen zeigt. Jede Fremdeinschätzung beruht auf vielerlei Vermutungen und darf niemals als feststehende Tatsache angesehen werden. Bitte unterscheiden Sie sorgsam zwischen Beobachtung und Interpretation. Und hüten Sie sich, so gut es nur geht, vor (Vor-)Urteilen und Bewertungen. Seien Sie stattdessen möglichst offen fürs Entdecken und Staunen.

Wenn Sie wissen möchten, ob jemand anderes hochsensibel ist, scheint es naheliegend, dass Sie ihn / sie einfach fragen. Darin kann allerdings schon eine gewisse Tücke liegen. Viele Hochsensible haben leidvoll erfahren, dass Menschen in ihrer Umgebung ihrer Wesensart nicht neutral, sondern abwertend gegenüberstanden. Daher kann es sein, dass die Frage „Bist du / sind Sie hochsensibel?“ mit einer skeptischen oder abweisenden Reaktion quittiert wird. Oder aber Ihr Gegenüber kann mit der Frage nicht so richtig etwas anfangen. Viele Hochsensible spüren zwar, dass sie irgendwie anders empfinden, dass sie deutlich sensibler sind als andere, kennen aber den Fachbegriff Hochsensibilität, wie ich ihn hier verwende, nicht. Am ehesten aufgeschlossen wird Ihr Gegenüber sein, wenn Sie außer der Frage auch Ihre Beweggründe mitteilen.

Ob Sie nun direkt nachfragen oder es so herausfinden möchten: Werden Sie sich im Klaren über Ihr Motiv. Freude und Aufgeschlossenheit bei ihrem Gegenüber werden wahrscheinlicher, wenn Sie bei den folgenden Fragen nicken: Wollen Sie den anderen besser verstehen? Besser auf ihn eingehen können? Ihn wirkungsvoller unterstützen? Mehr Rücksicht nehmen können? Ins Gespräch kommen, um gute gemeinsame Lösungen zu finden? Menschlich Nutzen ziehen aus den Stärken, die in der anderen Wesensart begründet liegen?

Hinweise, die Aufschluss geben

Wenn Sie aufmerksam beobachten, können Sie feststellen, dass die Person, an die Sie denken, schneller als andere Anzeichen von Überreizung zeigt, wenn starke Reize, anhaltende Reize oder gleichzeitig viele verschiedene Reize auf sie einströmen. (Hochsensible geraten eher als Nicht-Hochsensible in einen Zustand der Überstimulation.)

Sie werden es im Laufe der Zeit immer wieder erleben, dass es der Person zu laut, zu unruhig, zu hektisch, zu heiß, zu kalt, zu zugig, zu übel riechend, zu stickig ist. Das wird für Sie durch entsprechende Äußerungen und Handlungen offensichtlich. (Der Wohlfühlbereich ist vergleichsweise eng.)

Sie werden beim Zusammensein eine Unkonzentriertheit bemerken, wenn nebenbei Musik läuft oder andere Gespräche im Hintergrund zu hören sind. (Hintergrundgeräusche können nicht einfach ausgeblendet werden.)

Sie werden eine Aufgeregtheit beobachten, wenn Vorhaben wie zum Beispiel eine Reise oder ein wichtiger geschäftlicher Termin anstehen. (Die Gedanken kreisen um bevorstehende Ereignisse.)

Wenn es sehr umtriebig ist, werden Sie nach einer Weile dem Wunsch nach Rückzug, einer Pause, dem Beschließen der Tagesaktivitäten begegnen. Möglicherweise zu einem Zeitpunkt, wenn Sie die Aktivität noch in vollen Zügen genießen. (Menschen mit einem leicht erregbaren Nervensystem haben früher genug.)

In Gesprächen werden Sie in der Regel (wenn die Umgebungsbedingungen günstig sind und es der hochsensiblen Person gut geht!) einen guten Zuhörer finden. Sie werden sich mit Ihren Sorgen und Nöten der Person gut anvertrauen können und Einfühlung und Hilfestellung erfahren. Manchmal wird es Ihnen unpassend erscheinen, wie sehr die Person um Ihr Wohlergehen besorgt ist und Ihnen Gutes tun möchte.

Unter Umständen erscheinen Ihnen manche Fragen im Gespräch als sehr persönlich oder sogar investigativ. Manches Mal wird es Ihnen zu viel, wenn ein Thema ständig weiter vertieft wird. Mit so großer Gesprächsintensität können Sie nicht jederzeit etwas anfangen.

Gelegentlich ist es für Sie fast unheimlich, wie viel die Person von Ihrer gefühlsmäßigen Verfassung mitbekommt, ohne dass Sie etwas davon in Worte gefasst haben. Zuweilen scheinen Sie es mit einem Gedankenleser zu tun zu haben. Auf jeden Fall mit jemandem mit großem intuitivem Gespür. In nahen Beziehungen übernimmt der hochsensible Partner Ihre Stimmungen, manchmal bevor sie Ihnen selbst bewusst geworden sind.

Es kann Sie erstaunen, wie verletzlich Ihr Gegenüber ist. Im Gespräch mag es Ihnen so vorkommen, als lege die Person jedes Ihrer Worte auf die Goldwaage. Eine unbedachte Äußerung kann die Stimmung nachhaltig trüben. Im Konflikt kann die emotionale Reaktion überraschend heftig ausfallen und Sie werden schwer nachvollziehen können, was los ist.

Ihnen wird auffallen, wie gewissenhaft und gründlich die Person ihre Aufgaben erledigt, und Sie werden mit den hohen Ansprüchen, was Sauberkeit, Ordnung, Pünktlichkeit, Arbeitsqualität u.v.a.m. anbelangt, konfrontiert. Das ist für Sie unter Umständen anstrengend. (Die höchsten Ansprüche stellen die Hochsensiblen an sich selbst!)

Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Authentizität und Integrität sind Werte, denen Sie immer wieder begegnen und die für die hochsensible Person Maßstab sind.

Die hochsensible Person wirkt oftmals in sich gekehrt und zurückhaltend. Sie mag Ihnen ungesellig vorkommen, weil sie häufig den Wunsch hat, eine gewisse Zeit alleine zu verbringen. (Dahinter steht das dringende Bedürfnis, zu sich zu kommen und zu regenerieren.)

Wenn die Umgebung und die soziale Situation stimmen, ist die hochsensible Person durchaus lebhaft und kommunikativ. (Längst nicht alle Hochsensiblen sind introvertiert, der Anteil der Extravertierten unter den Hochsensiblen liegt bei ungefähr 30 Prozent.)

In vielen Situationen erscheint die Person unsicher und zögerlich. (Eher ist es ein Innehalten, ein Zurückblicken auf alte Erfahrungen, ein Nachdenken und ein sorgfältiges Abwägen von Handlungsmöglichkeiten vor einer Entscheidung.)

Hochsensible Menschen, die um ihre spezielle Andersartigkeit noch nicht wissen, nehmen sehr häufig an, mit ihnen stimme etwas nicht, sie seien krank und behandlungsbedürftig, und sie versuchen, dagegen anzukämpfen, um am Ende wieder mit dem eigenen „Unvermögen“ konfrontiert zu sein. Die negativen Rückmeldungen der Menschen in ihrer Umgebung bestätigen die irrige verinnerlichte Meinung, sie seien verkehrt, am laufenden Band. Natürlich fällt den Hochsensiblen immer wieder auf, dass die meisten anderen unbeschadet und froh Dinge tun, die für sie selbst unerträglich sind. In der Folge setzen sich viele unter Druck, meinen, sich der Mehrheit anpassen zu müssen. Der andauernde krampfhafte Versuch, so zu sein und so zu leben wie alle anderen, lässt sie in eine völlige Schieflage geraten. Haben sie überwiegend negative Erfahrungen gemacht, mögen sie tatsächlich scheu, misstrauisch und abweisend geworden sein.

Von zentraler Bedeutung im Umgang mit einer hochsensiblen Person ist, dass Sie dem Wesenszug Hochsensibilität mit all seinen Auswirkungen größtmögliches Verständnis entgegenbringen. Versuchen Sie bitte nicht, einer hochsensiblen Person zu erklären, alles sei gar nicht so schlimm, sie könne sich sicher an gewisse Härten gewöhnen, sie solle sich nicht so viele Gedanken machen, sie möge sich doch einfach nicht alles so zu Herzen nehmen. Ihr Gegenüber hat es sich nicht ausgesucht, hochsensibel zu sein, kann nicht beschließen, es nicht mehr zu sein, kann auch nicht „einfach“ darüber hinweggehen.

Erkennen Sie an, dass die Erlebniswelt der hochsensiblen Person sich von Ihrer erheblich unterscheidet. Vielleicht mögen Sie der hochsensiblen Person Einblick geben in Ihre Erlebniswelt, indem Sie ihr davon erzählen, denn die ist bei allem Einfühlungsvermögen für Hochsensible doch nicht ohne Weiteres vorstellbar. Bitten Sie umgekehrt um Erklärungen und klare Aussagen. Selbst wenn Sie aufmerksam sind, werden Ihnen manche Botschaften der hochsensiblen Person zunächst rätselhaft bleiben. Fragen Sie nach!

Hochsensible wünschen sich Achtsamkeit und eine gewisse Rücksicht, aber keine „Sonderbehandlung“. Das würde sie ja wieder in die Ecke von Krankheit und Behinderung rücken. Sie wünschen sich den achtungsvollen und wertschätzenden Umgang, der eigentlich generell herrschen sollte. Hochsensible brauchen, was alle Menschen brauchen: gesehen und angenommen werden als die Menschen, die sie sind. Sie wollen Zugehörigkeit erleben, die eigene Stärke spüren und sich einbringen, Sinnstiftendes tun, Selbstwirksamkeit erfahren. Wie alle Menschen sehnen sie sich nach Glück und wollen Leid vermeiden.

Spezielle Hinweise Kinder betreffend

Im Kapitel „Hochsensibel als Kind in der Familie“ komme ich noch näher auf hochsensible Kinder zu sprechen. In diesem Anfangskapitel geht es zunächst um das Erkennen der Hochsensibilität. Daher hier einige Anhaltspunkte für Sie als Eltern, Großeltern, Erzieher, Lehrer, Therapeuten ...:

Hochsensible Kinder sind von klein auf schreckhafter und schneller durch Umgebungsreize zu beunruhigen. Sie brechen leichter in Tränen aus. Hochsensible Babys schreien mehr. Auch brauchen diese Kinder länger, um nach einer Aufregung wieder zur Ruhe zu kommen. Sie sind diejenigen Kinder, die als „Sensibelchen“ bezeichnet werden.

Sie sind schmerzempfindlicher und berührungsempfindlicher als andere Kinder. Sie fühlen sich unbehaglich in grober, rauer Kleidung. Kratzige Innenschilder und Nähte stören sie. Sie wollen von sich aus dreckige, nasse oder sandige Kleidung schnell wechseln.

Sie haben offensichtlich ein intensives Gefühlsleben. Sie tun sich häufig schwer, ihre intensiven Emotionen zu kontrollieren. Je nach Temperament ziehen sie sich zurück oder gehen damit nach außen. Manche sind kleine Rebellen.

Sie sind verletzlich und nehmen sich alles sehr zu Herzen. Sie brauchen lange, um über eine emotionale Verletzung hinwegzukommen.

Sie fühlen sich leicht bedrängt und überrumpelt, tun sich extrem schwer mit unsensiblen, groben, autoritären und dominanten Menschen.

Ein volles Tages- und Wochenprogramm strapaziert sie sehr. Es gibt eine starke Tendenz, sich zwischendurch zurückzuziehen. Ruhepausen tun ihnen sichtlich gut. Sie schlafen schlecht nach einem vollgepackten und aufregenden Tag.

Größere Veränderungen machen ihnen sehr zu schaffen. Sie brauchen beträchtliche Zeit, um sich an neue Verhältnisse zu gewöhnen.

Sie lieben einen routinemäßigen Tagesablauf. Sie sind nicht so leicht zu begeistern für spontane Aktionen und Überraschungen. Wenn die Dinge anders laufen als gewohnt, bringt sie das leicht aus dem Gleichgewicht.

In einer lauten Umgebung (Lärm im vollen Klassenzimmer!) fällt es ihnen schwer, sich zu konzentrieren.

Sie suchen viel Anregung, sind ausgesprochen neugierig und wissbegierig. Sie wissen viel für ihr Alter, haben ein gutes Erinnerungsvermögen. Schneller als andere leiden sie unter Reizüberflutung. (Achtung Medienkonsum!)

Sie sind feinfühlig und einfühlsam (wenn es ihnen gut geht). Sie sind sehr intuitiv, scheinen Gedanken lesen zu können. Sie haben feine Antennen für Sprache und Körpersprache. Sie können sich oft für ihr Alter ungewöhnlich gut ausdrücken und sind kommunikationsstark.

Sie haben ein großes Gespür für die Stimmungen der Eltern, bekommen sofort mit, wenn es Spannungen gibt, auch wenn diese unterschwellig sind. Darauf reagieren sie beunruhigt. Sie wollen am liebsten die Harmonie schnell wieder herstellen und versuchen, ausgleichend zu wirken.

Sie haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und setzen sich für Schwächere und Benachteiligte ein. Sie haben ein Herz für Tiere, besonders für notleidende.

Sie sind zurückhaltender gegenüber fremden Kindern und Erwachsenen als andere Kinder, wirken zuweilen eher scheu und schüchtern. Sie haben eher wenige, dafür aber enge Freunde. Sie beschäftigen sich auch sehr gerne für sich allein, versinken im Spiel.

Sie sind vorsichtiger bei Spiel und Sport als Altersgenossen. Sie bevorzugen in der Regel ruhige Spiele, mögen weniger Wettkampfspiele und Wettkampfsport, besonders nicht, wenn es „Mann gegen Mann“ geht.

In neuen Situationen warten sie erst einmal ab, schauen zunächst lieber zu, versuchen, die Situation gut einzuschätzen, bevor sie sich entscheiden mitzumachen. Sie stürmen nicht gleich los, vergewissern sich vorher, ob etwas sicher ist.

Sie nehmen die Dinge sehr genau. Mitunter hat es den Anschein, als seien sie langsam, weil sie gründlich zu Wege gehen und vieles mit in Betracht ziehen.

Sie stellen sehr hohe Ansprüche an sich selbst, sind nicht so leicht zufrieden mit dem, was sie geleistet haben (Schule!). Sie neigen zum Perfektionismus. Sie zeigen bessere Leistungen, wenn sie nicht beobachtet und kontrolliert werden.

Sie sind zuverlässig und legen großen Wert auf die Zuverlässigkeit anderer, reagieren sehr irritiert, wenn Absprachen nicht eingehalten werden.

Sie tragen nicht gerne etwas vor, mögen sich nicht so exponieren, sind leicht verlegen, brauchen länger als andere, bis sie Zutrauen zu sich gefasst haben.

Sie verfügen über eine scharfe Beobachtungsgabe, sie bemerken und kommentieren Kleinigkeiten, die andere übersehen und überhören.

Sie stellen in einem für ihr Alter ungewöhnlichen Maße Zusammenhänge her und durchdringen Komplexität.

Sie denken viel nach, suchen den Sinn in den Dingen, stellen erstaunlich tiefgründige, weitreichende und auch kritische Fragen.

Sie lieben es, kreativ zu gestalten. Sie haben oft genaue Vorstellungen, wie etwas werden soll, und sind enttäuscht, wenn die Umsetzung hinter den Vorstellungen zurückbleibt.

Hochsensible Kinder bereichern ihr Umfeld durch ihre Fantasie, ihre Gedankenspiele und ihren Ideenreichtum.

Lösen Sie sich von Klischeevorstellungen: Hochsensible Kinder sind längst nicht durchweg still und in sich gekehrt. Es gibt auch die extravertierten und aktiven hochsensiblen Kinder, die allerdings zugleich Gefahr laufen, schnell in den Bereich der Überstimulation zu geraten. Und auch tendenziell introvertierte Kinder sind bei entsprechenden Gelegenheiten mitteilsam und lebhaft.

Einen großen Einfluss haben auch soziokulturelle Faktoren. In unserem westlichen Kulturkreis entspricht es nicht der Idealvorstellung, wenn jemand sehr sensibel, besonnen und zurückhaltend ist. Belastbare, wagemutige Extravertierte stehen hoch im Kurs. Dementsprechend werden Verhaltensweisen, die der hohen Sensibilität entspringen, häufig negativ beurteilt. Heranwachsende Hochsensible werden in der Regel von Eltern und Lehrern angehalten, ihre Sensibilität abzulegen, so als gelte es, eine Schwäche zu überwinden. So gut diese Bemühungen gemeint sein mögen, so schädlich ist ihre Wirkung, vermitteln sie doch Einschätzung, als sei mit ihnen etwas nicht in Ordnung. Schon hier meine wichtigste Botschaft an die Eltern hochsensibler Kinder: Versuchen Sie nicht, Ihr Kind zu ändern. Versuchen Sie schon gar nicht, es „abzuhärten“; das wäre schlimm für das zarte Wesen.

Passen Sie außerdem auf, dass Ihrem Kind keine falsche Diagnose gestellt wird (zum Beispiel AD[H]S). Hochsensible Kinder sind nicht krank, haben keine Störung. Sie haben lediglich ein sehr sensibles Nervensystem mit vielfältigen Konsequenzen (zum Beispiel Konzentrationsschwierigkeiten in einer lärmerfüllten Umgebung). Die hohe Sensibilität kann man auch als eine besondere Wahrnehmungsbegabung betrachten. Hochsensible Kinder sind auf Rücksicht und Verständnis angewiesen, benötigen aber keine komplette Sonderbehandlung, die sie in eine Außenseiterrolle manövrieren würde.

Wie jedes Kind braucht Ihr hochsensibles Kind Achtung, Respekt, Wertschätzung, Akzeptanz und ganz viel Liebe. Unterstützen Sie es nach Kräften, mit der Hochsensibilität innerhalb und außerhalb der Familie zurechtzukommen. Wirken Sie darauf hin, dass Ihr Kind ein gesundes Selbstvertrauen erlangen und Selbstsicherheit im Umgang mit anderen entwickeln kann. Stärken Sie sein Selbstwertgefühl, indem Sie es annehmen, wie es ist. Geben Sie ihm Geborgenheit und Rückhalt. Bestätigen und ermutigen Sie es. Führen Sie ihm immer wieder seine Begabungen und Talente vor Augen.

Informieren Sie sich gründlich über Hochsensibilität, geben Sie Ihrem Kind altersgemäße Erklärungen zur Hochsensibilität und helfen Sie ihm, die Unterschiedlichkeit der Menschen in dieser Hinsicht zu verstehen und zu akzeptieren und seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden.

1.3 Differenzen erkennen und ausgleichen

Solange du dem anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit weg vom Weg der Weisheit.

(Aus China)

Dass jeder Mensch anders ist, ist eine Binsenweisheit. Und doch geht jeder zunächst ganz automatisch davon aus, dass alle anderen auf die gleiche Weise empfinden und wahrnehmen wie er selbst, und wundert sich über offensichtlich andersgeartetes Verhalten – solange er nicht eines Besseren belehrt wird.

 Von mir: Aha-Momente in Serie

Mindestens so wichtig, wie mich selbst in den typischen Besonderheiten zu erkennen, war es, die (aus meinem Blickwinkel) Andersartigkeit der vielen Nicht-Hochsensiblen konkreter begreifen zu können. Auf einmal wurde mir klar, dass sie nicht so viel mehr aushalten, sondern dass sie – in derselben Umgebung – gar nicht so starken Eindrücken ausgesetzt sind und gar nicht so viel auszuhalten haben wie ich. Aha. Dass vieles, was mich belastet, sie nicht erreicht, nicht durchdringt, nicht erschüttert, nicht aufwühlt. Dass vieles an ihnen gleichsam abprallt oder abperlt oder sie nur oberflächlich berührt. Aha. Und ich erkannte: Sie brauchen die größere Portion Reize, um sich angenehm stimuliert zu fühlen. Sie leiden unter Umständen an Reizarmut, während ich schon reizüberflutet bin. Aha. Es ist oft gar nicht so, dass sie etwas absichtlich ignorieren, vielmehr haben sie dafür einfach nicht die Antennen. Aha. Wenn jeder die Welt ganz anders erlebt und deswegen auch anders auf sie reagiert, dann kommt es auf mehr Austausch und eine tauglichere Verständigung an, um besser miteinander klarzukommen. Aha!

Nicht-Hochsensible haben wenig Anlass, ihr Sosein infrage zu stellen, weil sie konform mit der Mehrheit der Menschen sind und sich demzufolge ganz selbstverständlich als „normal“ betrachten. Aus diesem Blickwinkel heraus schauen sie auf die Eigenarten, Verhaltensweisen und Reaktionen der Hochsensiblen. So kommt es, dass sie Hochsensible für überempfindlich, ängstlich, scheu, schüchtern, gehemmt, schwach oder gar für hysterisch und neurotisch halten. All diese Zuschreibungen missdeuten den Wesenszug komplett und rufen bei Hochsensiblen Frustration und Resignation, auch Wut und Aggression hervor. Umgekehrt sehen Hochsensible vor dem Hintergrund ihrer Erlebniswelt die Nicht-Hochsensiblen häufig als laut, rücksichtlos, stumpf, egoistisch, rüpelhaft usw. an, was gleichermaßen einer sehr subjektiven Deutung entspringt.

Hochsensible sind negativen Kommentaren ausgesetzt und teilen solche aus. Jede Äußerung ist aus der Sicht dessen, der sie macht, nachvollziehbar. Beispiele: „Was stört dich jetzt schon wieder?“ versus „Wie kannst du nur so unaufmerksam sein?“; „Du hörst die Flöhe husten“ versus „Du bekommst ja gar nichts mit“; „Du bist eine Mimose“ versus „Du bist ein Holzklotz“; „Du übertreibst mal wieder“ versus „Du erkennst überhaupt nicht das Problem“; „Du machst dir zu viele Gedanken“ versus „Du lässt Wichtiges außer Acht“; „Du bist eine Spaßbremse“ versus „Du bist vergnügungssüchtig“. Und natürlich die Kardinalvorwürfe: „Du bist so überempfindlich!“ versus „Du bist so unsensibel!“.

Mir erscheint es sehr wichtig, nicht ausschließlich auf die Unterschiede zu fokussieren, sondern auch zu sehen, dass Hochsensible und Nicht-Hochsensible ganz viele Gemeinsamkeiten haben, auf die sich Verbundenheit und ein gelingendes Miteinander gründen können.

Das von dem Psychologen und Konfliktmediator Marshall B. Rosenberg entwickelte Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK, auch als empathische Kommunikation bezeichnet) ist meiner Überzeugung nach aufs Beste geeignet, Konflikte in allen Lebensbereichen zu lösen – oder gar nicht erst aufkommen zu lassen! – und ein friedliches und bereicherndes Zusammenleben zu ermöglichen. An die Stelle einer trennenden Kommunikation („Wolfssprache“) tritt eine verbindende Kommunikation auf Herzensebene („Giraffensprache“). Mit einer solchen lebensdienlichen Form der Kommunikation lässt sich auch wunderbar die Kluft zwischen Hochsensiblen und Nicht-Hochsensiblen überbrücken. Die Buchempfehlung: Marshall B. Rosenberg, „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“. Ich werde im Laufe des Buches noch auf das Gedankengut der Gewaltfreien Kommunikation zurückkommen.

2. Was bedeutet Hochsensibilität?

Wenn Sie mir auch nur ein bisschen ähnlich sind, dann haben Sie eine Reihe von Fragen: Was genau ist denn nun Hochsensibilität? Gibt es eine Definition? Ist Hochsensibilität wissenschaftlich anerkannt? Was ist denn am Nervensystem von Hochsensiblen anders? Was charakterisiert hochsensible Menschen? Was geht mit Hochsensibilität einher? Verfügen sie wirklich auch über besondere Stärken? Gibt es ein einheitliches Persönlichkeitsbild?

2.1 Der Begriff Hochsensibilität

Ich beginne mit Informationen zum Aufkommen des Fachausdrucks. Dann widme ich mich der Suche nach einer Definition und der Klärung von Begrifflichkeiten. Das halte ich für wichtig, um mit meinen Lesern eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen. Meine Aufgabe als Autorin sehe ich darin, Sprache präzise und sachgerecht zu verwenden, sodass Sie meine Gedankengänge verstehen können.

Elaine Aron hat dem Phänomen einen Namen gegeben