Hochwürden und die leichten Mädchen - Dieter Adam - E-Book

Hochwürden und die leichten Mädchen E-Book

Dieter Adam

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Beschreibung

Der junge Kaplan THOMAS KEMPF wird als Seelsorger ins Ostend irgendeiner Großstadt versetzt. Riesige Wohnsilos aus Stahl und Beton und halbzerfallene, abbruchreife Häuser prägen das Stadtbild. Die Menschen, die hier leben, gehören zur untersten Schicht der Bevölkerung. Rockerbanden treiben ihr Unwesen und lehren die friedlichen Bürger das Fürchten. Verbrechen sind an der Tagesordnung. Dirnen haben ihr Domizil in den Hochhäusern aufgeschlagen. Ihre Zuhälter und Rauschgiftdealer mischen kräftig mit. Mit all diesen Dingen wird der Kaplan nun konfrontiert. Statt aber - wie sein direkter Vorgesetzter PFARRER RUDOLF HASLINGER - zu resignieren, krempelt Thomas Kempf die Ärmel hoch und nimmt den Kampf gegen diese Missstände auf. Die Romane (Rote Laterne) wurden Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre geschrieben und vom Autor jetzt neu bearbeitet und auf den neusten Stand der deutschen Rechtschreibung gebracht. Es wird also noch mit der guten alten DMark bezahlt, und die Leute stolpern auch noch nicht mit ihren Smartphones in der Gegend herum. Und in den Kneipen darf auch noch geraucht werden.

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Zum Autor

Dieter Adam, Baujahr 1941, war bis zur seiner Kehlkopf-OP im Jahre 2014 ein bekannter hessischer Musiker, der mit seiner Gruppe Adam und die Micky's zahlreiche Schallplatten und CDs bespielt und besungen und mit seinem Lied "Die Runkelroiweroppmaschin" eine Art heimliche hessische Nationalhymne geschaffen hat - (zumindest im volkstümlich-fastnachtlichen Bereich)

Mit der Schriftstellerei begann er 1974, als er für das Frankfurter Volkstheater von Mama Hesselbach Liesel Christ das hessische Volksstück mit Musik "Das Herz von Frankfurt" schrieb. Danach über 100 Heftromane, Karnevalsbücher, Kurzgeschichten und etliche Ein- und Mehrakter für die Laienbühne, die aber auch von Profibühnen wie Peter Steiners Theaterstadl gespielt wurden und heute noch im Heimatkanal von Sky laufen.

Nachdem er mangels Stimme nicht mehr auf die Bühne kann, arbeitet Dieter Adam alte Manuskripte auf und veröffentlicht sie als "books on demand" in eigener Regie.

Inhaltsverzeichnis

Buch: Hochwürden und die leichten Mädchen

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Buch: Hochwürden und die Pornomieze

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Buch: Als die Grenzen fielen

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Buch: Die ewige Macht des Geldes (Geldgeil)

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Buch: Heißblütig wie der Steppenwind

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Inhalt

Der junge Kaplan THOMAS KEMPF wird als Seelsorger ins Ostend irgendeiner Großstadt versetzt. Riesige Wohnsilos aus Stahl und Beton und halbzerfallene, abbruchreife Häuser prägen das Stadtbild. Die Menschen, die hier leben, gehören zur untersten Schicht der Bevölkerung. Rockerbanden treiben ihr Unwesen und lehren die friedlichen Bürger das Fürchten. Verbrechen sind an der Tagesordnung. Dirnen haben ihr Domizil in den Hochhäusern aufgeschlagen. Ihre Zuhälter und Rauschgiftdealer mischen kräftig mit. Mit all diesen Dingen wird der Kaplan nun konfrontiert. Statt aber - wie sein direkter Vorgesetzter PFARRER RUDOLF HASLINGER - zu resignieren, krempelt Thomas Kempf die Ärmel hoch und nimmt den Kampf gegen diese Missstände auf.

Die Romane (Rote Laterne) wurden Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre geschrieben und vom Autor jetzt neu bearbeitet und auf den neusten Stand der deutschen Rechtschreibung gebracht. Es wird also noch mit der guten alten DMark bezahlt, und die Leute stolpern auch noch nicht mit ihren Smartphones in der Gegend herum. Und in den Kneipen darf auch noch geraucht werden.

1. Buch

Hochwürden und die leichten Mädchen

1.

"Oh Gott, in was für eine Gegend bin ich denn hier geraten?", dachte der junge Mann, während er auf seiner schweren Maschine japanischen Ursprungs langsam durch die Straßen jener Vorstadt fuhr, die künftig sein Arbeitsfeld sein sollte. "Würde ich das Wort hässlich für dieses Viertel verwenden", fuhr er in Gedanken fort, "dann würde ich schamlos untertreiben. Man hat mich zwar vorgewarnt, aber das hier entzieht sich nun doch jeder Vorstellungskraft."

Es war eine jener Wohngegenden, die man als "moderne Slums" bezeichnen konnte. Riesige Wohnsilos aus Stahl und Beton, halbzerfallene, abbruchreife Häuser und düstere Kneipen prägten das Stadtbild. Die Menschen, die hier lebten, gehörten zur untersten Schicht der Bevölkerung. Rockerbanden trieben ihr Unwesen und lehrten die friedlichen Bürger das Fürchten. Dirnen hatten in den Hochhäusern und gewissen Etablissements ihr Domizil aufgeschlagen, und ihre Zuhälter sorgten dafür, dass kaum ein Tag verging, an dem die Polizei nicht ein Verbrechen registrieren musste.

Und in diesem Vorort der Hölle sollte Kaplan Thomas Kempf künftig das Wort Gottes verbreiten! Man konnte es sich wirklich nur schwer vorstellen, dass es hier auf fruchtbaren Boden fallen würde.

Thomas Kempf war ein großer, breitschultriger Mann Ende zwanzig, dem man vom Äußeren her nicht ansah, dass er ein katholischer Priester war. Wenn er, wie jetzt, seine schwarze, lederne Motorradkluft trug, hätte man ihn eher in die Kategorie der jungen Männer einreihen mögen, um deren Ruf es in der ganzen Stadt nicht zum Besten bestellt war; zu den Rockern nämlich.

Dabei war Thomas Kempf Priester aus Überzeugung. Dass seine Auffassung, wie dieser Beruf auszuüben war, nicht immer mit der höherer kirchlicher Stellen übereinstimmte, stand auf einem anderen Blatt. Er war eben ein moderner Geistlicher, dem nichts Weltliches fremd war. Zum Bischof, Kardinal oder gar Papst würde er es wohl nie bringen.

So bevorzugte er es, statt in einer Soutane, in Jeans und T-Shirts herumzulaufen, statt geistlicher Musik lieber harten Rock zu hören und zu einem, der ihm komisch kam, auch mal "Halt's Maul, du Arschloch" zu sagen.

Vielleicht war das der Grund dafür, weshalb man ihn in diese Gegend versetzte, nachdem sein Vorgänger resigniert und fluchtartig das Weite gesucht hatte? Ihm - Thomas Kempf - schien der Bischof, auch wenn er oft anderer Ansicht war als er und ihm auch schon so manchen Verweis wegen seines Benehmens erteilt hatte, zuzutrauen, mit den Problemen dieses Vorortes fertig zu werden.

"Beweisen Sie, was in Ihnen steckt", hatte der Bischof gesagt, als er ihm eröffnete, wo sein künftiger Wirkungskreis zu finden war. "Denn im Grunde sind Sie ein guter Priester des Herrn; manchmal zwar etwas eigensinnig und fast schon revolutionär, aber vielleicht ist das in der Stadt, in die ich Sie jetzt schicken möchte, gar nicht mal so unangebracht. Dort werden Sie mit harten Bandagen kämpfen müssen. Ihre Schäfchen, die man eigentlich nicht als solche bezeichnen kann, werden es Ihnen nicht leicht machen.

Trotzdem sollten Sie es beim Versuch, sie zu belehren und bekehren zu wollen, nicht übertreiben. Das Wort Gottes verbreitet man für gewöhnlich mit Worten und nicht mit den Fäusten, wie Sie das schon öfters zu tun pflegten. Sie heißen Thomas Kempf, mein Lieber, und nicht Don Camillo. Berücksichtigen Sie das bitte, wenn Sie Ihre neue Stelle antreten."

"Ich werde mein Bestes tun", hatte der Kaplan versprochen, "und versuchen, Sie nicht zu enttäuschen, Exzellenz."

"Ich hoffe es", hatte der Bischof geseufzt. "Und nun gehen Sie mit Gott. Meine allerbesten Wünsche begleiten Sie. Grüßen Sie bitte Pfarrer Haslinger von mir. Er ist Ihr direkter Vorgesetzter und wird Sie mit den Dingen vertraut machen, die auf Sie zukommen. Hören Sie auf ihn und nehmen Sie seinen Rat an. Er ist seit über fünfzehn Jahren der gute Hirte dieser Gemeinde und kennt sich bestens aus."

"Aber in den Griff hat er sie in all diesen Jahren nicht bekommen?"

Der Bischof hatte mit betrübter Miene den Kopf geschüttelt. "Nein, leider nicht. Zu säen hat er zwar ständig versucht, aber aufgegangen ist die Saat nicht. Er predigte gegen den Wind, wie man so schön sagt."

"Dann war er wohl der falsche Mann am Platz", hatte Kaplan Kempf vermutet. "Warum haben Sie ihn nicht durch einen anderen ersetzt, der besser mit den ungewöhnlichen Verhältnissen fertig wurde?"

"Es gab keinen", hatte der Bischof zugeben müssen. "Alle haben mit beiden Händen abgewunken, wenn sie hörten, wohin es gehen sollte."

"Es hätte in Ihrer Macht gelegen, dennoch einen zu finden."

"Natürlich", hatte der Bischof gesagt. "Aber dies wäre mit einem gewissen Zwang verbunden gewesen, und davon halte ich nicht viel. So ließ ich es dabei bewenden, wie es war. Zumal Pfarrer Haslinger niemals den Wunsch geäußert hat, eine andere Pfarrstelle zu bekommen."

"Das verstehe ich nicht", hatte der Kaplan erwidert. "Es muss doch deprimierend sein, jahrelang tauben Ohren zu predigen. Für mich wäre das mit Sicherheit nichts."

"Deshalb schicke ich Sie ja auch dorthin", hatte der Bischof mit einem feinen Lächeln gesagt. "Machen Sie es besser."

Und jetzt war er also da und fand einen Ort vor, der selbst ihn erschütterte. Eine Unmenge Arbeit war es, die ihn erwartete, das erkannte er auf den ersten Blick. Er war bereit, die Ärmel hochzukrempeln und sie auf sich zu nehmen; wenn es sein musste, auch mit ungewöhnlichen Mitteln; denn mit frommen Sprüchen allein war hier mit Sicherheit nichts zu machen. Wenn überhaupt!

Die ersten Schäflein seiner künftigen Herde lernte er kurz nach seiner Ankunft in diesem Vorort kennen. Fünf Rocker waren es, die eine junge Frau belästigten. Grellrote Buchstaben über einer hässlichen Teufelsfratze auf dem Rücken ihrer schwarzen Motorradkluft wiesen sie als Mitglieder der Black Devils aus.

Sie waren von ihren Motorrädern gestiegen, umringten das hübsche blonde Mädchen und versuchten offenbar, ihm an die Wäsche zu gehen. Keiner der übrigen Passanten machte Anstalten, ihm zu Hilfe zu eilen. Ganz im Gegenteil. Jeder tat, als ginge ihn die Sache nichts an und sah zu, dass er möglichst schnell verschwand. Wer legte sich schon mit den Black Devils an und riskierte damit einen wochen-, wenn nicht gar monatelangen Krankenhausaufenthalt?

Kaplan Kempf dachte in dieser Beziehung anders. Ihn störte ungemein, was diese fünf kräftigen Kerle mit dem hilflosen Mädchen anstellten. Er war nicht gewillt, dem tatenlos zuzusehen. Also hielt er an, stieg von seiner Maschine und näherte sich der Gruppe.

"Nun mach schon, du Flittchen", hörte er einen der Rocker spotten. "Bist doch sonst nicht so zimperlich. Zeig uns deine Titten. Und was du unter deinem Röckchen hast, möchten wir auch gerne mal besichtigen; denn wer kauft schon gern die Katze im Sack?"

"Was geht hier vor?", fragte Kaplan Kempf. "Warum lasst ihr das Mädchen nicht in Ruhe?"

"Halt du dich da besser 'raus, Opa", warnte ein langer Rotschopf mit unzähligen Pickeln im Gesicht. "Oder möchste eins auf die Fresse haben?"

"Von dir etwa?" Thomas Kempf lächelte amüsiert. "Versuch's erst gar nicht, Jüngelchen. Es wäre schade um deine hübsche Nase."

Die Rocker konnten es nicht fassen, dass einer es wagte, auf diese Weise mit ihnen zu reden. Für gewöhnlich hatten alle Respekt oder gar Angst vor ihnen; selbst die Bullen. Und der da...! Es war unglaublich!

"Also?", sagte der Kaplan. "Was ist jetzt? Würdet ihr die junge Dame dann vielleicht freundlicherweise in Frieden lassen?"

"Junge Dame?", höhnte der Rothaarige. "Eine Nutte ist das! Wegen der würde ich mir an deiner Stelle nicht die Finger verbrennen, Opa!"

"Mir ist gleichgültig, was sie ist", entgegnete Kaplan Kempf. "Im Moment sehe ich nur, dass sie Hilfe benötigt."

"Du, der meint es tatsächlich ernst", rief ein dicker Blonder. "Gib ihm halt eins auf die Rübe, Red. Von einem wie dem lassen wir uns doch nicht unseren Spaß verderben."

"Recht haste, Fats", knurrte der Rothaarige und ging auf den Kaplan los. Wie sehr musste er sich wundern, als er sich Sekunden später mit blutender Nase in der Gosse wiederfand.

Dies war wie ein Zeichen für die übrigen Rocker. Mit Geheul und Gebrüll fielen auch sie über den streitbaren Priester her, kämpften - wie üblich - mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln und wurden dennoch nicht mit dem Kerl fertig, der sich ihnen mit einem spöttischen Lächeln stellte.

Natürlich musste der junge Priester einiges einstecken. Fünf gegen einen war ein ziemlich ungleiches Verhältnis. Da er aber einige Tricks aus der fernöstlichen Selbstverteidigungskiste auf Lager hatte, war es letztlich doch er, der die Oberhand behielt. Die Rocker traten den Rückzug an, schwangen sich auf ihre Motorräder und fuhren mit dem Versprechen, sich irgendwann an ihm zu rächen, davon.

"Danke", sagte das Mädchen, das dem ungleichen Kampf mit ängstlich vor den Mund geschlagen Händen zugeschaut hatte und jetzt zu Kaplan Kempf getreten war. "Meine Güte, wie Sie aussehen! In Ihrem Gesicht gibt es ja kaum noch eine heile Stelle."

"Nicht nur im Gesicht", versetzte der Kaplan und zuckte die Schultern. "Das musste ich riskieren. Oder hätte ich Sie diesen Rüpeln überlassen sollen?"

"Jeder andere hätte es getan", meinte das Mädchen. "Besonders bei einer wie mir. Kann ich mich vielleicht revanchieren und etwas für Sie tun? Ich wohne hier oben und besitze auch einen Verbandskasten."

"Das wäre nett", sagte der Kaplan. "Ich war nämlich gerade dabei, mich bei meinem neuen Chef vorzustellen. Ramponiert, wie ich vermutlich ausschaue, möchte ich ihm eigentlich nicht unter die Augen treten."

"Dann kommen Sie mit", schlug das Mädchen vor. "Vielleicht kann ich Sie wenigstens ein bisschen runderneuern."

Kaplan Kempf nahm die Satteltaschen, in denen er seine wenigen Habseligkeiten verstaut hatte, von seinem Motorrad und folgte ihr ins Haus. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie hinauf in den sechsten Stock. "Astrid Weber" konnte er an der Tür lesen, die sie ihm öffnete.

"Gehen Sie derweil ins Wohnzimmer", sagte sie. "Nächste Tür links. Ich hole den Verbandskasten aus dem Bad."

Es war ein merkwürdiges Wohnzimmer, in das der Kaplan trat. Merkwürdig deshalb, weil sein Haupteinrichtungs-gegenstand ein breites französisches Bett war, das mitten im Zimmer stand. Über ihm an der Decke war ein riesiger runder Spiegel befestigt. An den Wänden hingen Fotos sich liebender Pärchen und Frauen sowie obszöne Bilder sich innig mit sich selbst beschäftigender Mädchen.

"Hmmm!", machte Kaplan Kempf und schüttelte den Kopf. "Hmmm!"

Er stellte die Satteltaschen in eine Ecke und setzte sich in einen Sessel, den es neben einem weiteren, einem Tisch und einem Wohnzimmerschrank auch noch hier gab.

Sie scheint also tatsächlich eine Dirne zu sein, dachte er. Die Burschen hatten Recht. Aber hätte ich ihr deshalb nicht helfen sollen?

"So, da bin ich wieder", hörte er ihre Stimme, und dann kam sie auch schon zu ihm. "Sie werden mittlerweile gemerkt haben, mit wem Sie es zu tun haben. Bereuen Sie es, mir geholfen zu haben?"

"Sie werden lachen", erwiderte Kaplan Kempf. "Diese Frage habe ich mir gerade selbst auch gestellt."

"Und? Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?"

"Es war ein Mensch, der meine Hilfe benötigte", sagte Kaplan Kempf einfach. "Über Ihren Beruf sollten wir uns vielleicht ein anderes Mal unterhalten."

"Da gibt es nichts, worüber man sich unterhalten müsste", entgegnete das Mädchen abweisend. "Ich habe ihn nun mal gewählt. So, und nun lassen Sie sich mal anschauen."

Vorsichtig begann sie sein Gesicht zu behandeln. Sie reinigte die Wunden, betupfte sie mit Jod und legte Pflaster auf.

"Das war`s", verkündete sie nach einer Weile und begutachtete ihn kritisch. "Na ja, viel besser als vorher sehen Sie immer noch nicht aus. Sie werden vermutlich nicht umhin können, Ihrem künftigen Chef ein paar neugierige Fragen wegen Ihrer Verletzungen beantworten zu müssen."

"Ich erzähle ihm einfach, dass ich mit meinem Motorrad gestürzt wäre", erwiderte der Kaplan. "Obwohl ich für gewöhnlich nichts davon halte, meine Mitmenschen zu belügen. In diesem Fall ist es aber sicher besser."

"Bestimmt", pflichtete das Mädchen ihm bei. "Was würde er von Ihnen denken, wenn Sie ihm berichteten, Sie hätten sich wegen einer Nutte mit Rockern herumgeprügelt."

"Auch Maria Magdalena war eine Dirne", belehrte der junge Priester das Mädchen. "Dennoch hat sich Jesus ihrer angenommen, als ihre Häscher sie steinigen wollten."

"Ich habe davon gehört", entgegnete das Mädchen. "Woher kennen Sie sich so gut mit der Bibel aus?"

"Es ist mein Beruf." Er hob lächelnd die Schultern. "Ich bin der neue Kaplan dieser Gemeinde."

"Das darf doch wohl nicht wahr sein!" Das Mädchen blickte den jungen Geistlichen fassungslos an. "Sie sind ein Priester?"

"So ist es", bestätigte Kaplan Kempf. "Haben Sie etwas gegen meinen Berufsstand?"

"Ich habe weder etwas für noch gegen ihn", betonte das Mädchen. "In meiner Branche hat man wenig mit der Kirche am Hut. Das werden Sie sicher verstehen, Hochwürden."

"Nennen Sie mich um Himmels willen nicht Hochwürden", wehrte Kaplan Kempf mit beiden Händen ab. "Ich fühle mich alles andere als ein Hochwürden. Warum, haben Sie vorhin sicher gemerkt."

"In der Tat", räumte das Mädchen ein. "Ein Hochwürden würde sich wahrscheinlich nicht für eine Nutte herumprügeln. Wie soll ich Sie also ansprechen?"

"Ich heiße Thomas", stellte er sich vor. "Und Sie? Astrid, nicht wahr? Ich habe es auf Ihrem Türschild gelesen."

"Ja, ich heiße Astrid", bestätigte das Mädchen und fügte kopfschüttelnd hinzu. "Sie sind schon ein merkwürdiger Priester."

"Das befindet mein Bischof auch", erwiderte Kaplan Kempf schmunzelnd. "Deshalb hat er mich in diese Gegend hier versetzt."

"Sie werden einen schweren Stand haben", befürchtete Astrid. "Die Leute, die hier wohnen, sind nicht besonders gläubig. Warum auch? Der Herrgott hat ihnen nie den Weg zur Sonnenseite des Lebens gewiesen."

"Ihnen wohl auch nicht", vermutete Kaplan Kempf. "Sonst hätten Sie sicher einen anderen Beruf."

"Soll ich Ihnen jetzt meine Lebensgeschichte erzählen?"

"Vielleicht ein andermal." Kaplan Kempf schaute auf seine Uhr. "Ich muss nämlich weiter. Mein Chef erwartet mich bereits seit einer knappen Stunde. Aber ich melde mich ganz bestimmt wieder."

"Warum?", fragte Astrid leise. "Schlafen werden Sie nicht mit mir wollen, und mich auf den rechten Weg zurückführen zu wollen, dürfte vergebliche Liebesmühe sein."

"Kann man's wissen?", antwortete der Kaplan. "Ich werfe die Flinte nicht so schnell ins Korn. Oder ist es Ihnen unangenehm, wenn Sie ein Priester besuchen kommt?"

"Mir doch nicht", entgegnete Astrid. "Aber Ihrem guten Ruf könnte es schaden. Ein Kaplan, der sich mit Huren abgibt, ist bei den Betschwestern schnell unten durch."

"Das mag sein", räumte Kaplan Kempf ein. "Aber ist es nicht die Aufgabe eines Hirten, sich besonders um die verlorenen Schafe zu kümmern? Die brav in der Herde trotten, bedürfen seines Beistandes wohl kaum. Deshalb tue ich, was ich für richtig halte, und davon lasse ich mich auch von keinem abbringen. Darf ich mich dann verabschieden?"

Astrid brachte ihn zur Tür. Dort reichte sie ihm die Hand. "Nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe", sagte sie. "Es hat mich gefreut, Sie kennenlernen zu dürfen."

"Ganz meinerseits", erwiderte Kaplan Kempf. "Vielleicht sehen wir uns ja doch mal bei mir in der Kirche?"

"Das glaube ich kaum", vermutete Astrid. "Ich käme mir fehl am Platze vor. Trotzdem alles Gute für Sie."

Kaplan Kempf nickte ihr noch einmal freundlich zu, warf sich seine Satteltaschen über die Schultern und begab sich zum Lift, um nach unten zu fahren.

Schade, dachte Astrid, während sie in ihre Wohnung zurückging. Schade, dass er ein Priester ist. Das wäre ein Mann, der mir gefallen könnte und mit dessen Hilfe ich vielleicht einen Weg aus dem Sumpf finden würde, in den ich hineingeraten bin. So aber...!

Sie winkte ab, seufzte abgrundtief und begab sich zum Telefon, das gerade zu läuten begonnen hatte.

"Ja, bitte?", meldete sie sich.

"Biste frei, Püppchen?", erkundigte sich eine heisere, männliche Stimme.

"Ja", antwortete sie. "Wann möchtest du denn kommen?"

"Am liebsten sofort", sagte der Mann. "Ich stehe nämlich unter Hochdruck."

Sie vereinbarten einen Termin in etwa einer halben Stunde. Die Realität hatte sie wieder eingeholt. Für Träume von einem anderen Leben war darin kein Platz.

2.

"Sie wünschen?", fragte Berta Knopf, ihres Zeichens Haushälterin im hiesigen Pfarrhaus, und musterte den jungen Mann, der soeben geklingelt hatte, mit einem überaus kritischen Blick.

Meine Güte, wie sieht denn der aus? dachte sie entsetzt. Ist der in eine Dreschmaschine geraten? Oder hat er gerade einen 15-Runden-Boxkampf gegen den Weltchampion absolviert und ihn verloren?

"Mein Name ist Kempf", stellte sich der junge Mann vor und verbeugte sich leicht vor der kleinen, rundlichen Dame mit den silbergrauen Haaren. "Thomas Kempf. Ich soll künftig hier wohnen und arbeiten."

"Thomas Kempf?" Berta Knopf legte ihre Stirn in Falten. "Dann wären Sie ja unser neuer Kaplan? Nein, so etwas!"

"Sprechen Sie von meinem verpflasterten Gesicht?" Kaplan Kempf zuckte lächelnd die Achseln. "Ich hatte einen kleinen Unfall."

"Kleiner Unfall?" Berta schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Ein Gemüt wie ein Fleischerhund scheinen Sie zu haben. Aber genauso hat man Sie uns ja geschildert. 'Erwarten Sie bitte kein sanftes Lämmlein', hat Seine Exzellenz, der Bischof, zu Pfarrer Haslinger gesagt, als er ihm mitteilte, dass ein neuer Kaplan im Anmarsch wäre. 'Dieser Kempf ist ein Draufgänger und ähnelt in manchen Dingen jenem italienischen Priester, der als Don Camillo in die Literatur eingegangen ist.'"

"So?" Der junge Geistliche grinste. "Hat das Seine Exzellenz gesagt?"

"Und noch manches andere", versetzte Berta trocken. "Aber kommen Sie jetzt erst einmal herein. Der Herr Pfarrer erwartet Sie bereits seit geraumer Zeit."

"Ich weiß", sagte Kaplan Kempf. "Aber der Unfall...!"

"Folgen Sie mir bitte", erwiderte Berta, ohne noch ein weiteres Wort über Kaplan Kempfs Unfall zu verlieren. "Ihre Dinger da..." - sie sprach von den Satteltaschen - "...können Sie hier abstellen." Sie deutete in eine Ecke. "Ist das Ihr ganzes Gepäck?"

"Nein", entgegnete der Kaplan. "Eine Kiste mit meinen Büchern, meiner Stereoanlage und meiner Plattensammlung ist noch unterwegs. Ich habe sie mit der Bahn geschickt, da ich sie nicht auf meinem Motorrad unterbrachte."

"Sie fahren Motorrad?"

"Ja", bestätigte Kaplan Kempf. "Leidenschaftlich gern. Sie etwa auch?"

"Das weiß ich nicht", antwortete Berta. "Ich habe noch nie auf einem solchen Ding gesessen."

"Ich nehme Sie gern mal mit", bot ihr der Kaplan an.

"Ich werde darüber nachdenken", versprach Berta.

Sie führte ihn zu einer Tür, öffnete sie und verkündete, der neue Kaplan wäre eingetroffen.

Pfarrer Rudolf Haslinger saß an seinem Schreibtisch und arbeitete an seiner Sonntagspredigt. Jetzt erhob er sich und trat auf Thomas zu.

"Meine Güte, wie sehen denn Sie aus?", rief auch er erschrocken.

Kaplan Kempf wiederholte sein Sprüchlein von dem Unfall, bevor er seinem neuen Chef die Hand reichte und sie kräftig schüttelte.

Pfarrer Haslinger verzog schmerzlich das Gesicht und sah zu, dass er seine Hand schnell wieder freibekam.

Mein Gott, hatte dieser Mensch einen Händedruck! Und überhaupt! Der ganze Kerl sah aus, als könne er einen Ochsen mit der bloßen Hand erschlagen.

Er selbst war dagegen bloß eine halbe Portion. Sechzig war er vor wenigen Wochen geworden, aber die Bürde seines schweren Amtes ließ ihn wesentlich älter erscheinen. Zudem war er nicht besonders groß und ziemlich schmal gebaut. Sein Gesicht war einfach und doch von einer liebenswerten Güte. Seine grauen Augen blinzelten intelligent und auch ein wenig hilflos hinter einer goldgefassten Brille. Seine Haare hatten sich von der hohen Stirn her bereits kräftig nach hinten verschoben und ließen eigentlich nur noch an den Schläfen und im Genick erkennen, dass sie grau waren.

"Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?", fragte er.

"Wenn man von dem Unfall absieht, ja", entgegnete der Kaplan.

"Wie kam es dazu?"

"Kann ich Ihnen das nicht später erzählen?", bat Thomas Kempf. "Wenn es möglich wäre, möchte ich zunächst mal aus meinen verschwitzten Klamotten raus und duschen."

"Dem steht nichts entgegen", erwiderte Pfarrer Haslinger. "Berta, zeigen Sie dem Herrn Kaplan sein Zimmer und alles, was er sonst noch wissen muss. Wir sehen uns dann später."

Während Kaplan Kempf der Haushälterin in den ersten Stock, wo die Wohnräume der geistlichen Herren waren, folgte, setzte Pfarrer Haslinger sich wieder an seinen Schreibtisch.

Ein seltsamer Mensch, dachte er. Warum wird so einer Priester? Nun ja, die Ratschlüsse unseres Herrn sind manchmal unergründlich. Wenn Er ihn zu diesem Amt berufen hat, wird Er sich schon etwas dabei gedacht haben.

Ob es mir gelingt, ihn zu bremsen, wie das der Bischof von mir erwartet?

Ich fürchte nein.

Der schaut nicht so aus, als ob er sich von mir etwas würde vorschreiben lassen.

In dieser Beziehung sollte sich der gute Pfarrer nicht getäuscht haben.

3.

"Komm herein", forderte Astrid Weber den etwa dreißigjährigen, gut aussehenden Mann auf und gab ihm die Tür frei. "Du warst noch nicht bei mir - oder?"

"Nein", bestätigte der Mann und lächelte sie mit seinen stahlgrauen Augen abschätzend an. "Ich liebe die Abwechslung, weißt du, und besuche dasselbe Mädchen kaum ein zweites Mal. Es sei denn, sie wäre absolute Spitzenklasse. Du siehst übrigens nicht übel aus."

"Danke", erwiderte Astrid und blinzelte ihm kokett zu. "Und vielleicht überzeugen dich ja auch meine sonstigen Leistungen, sodass ich eventuell die Ehre haben werde, dich erneut empfangen zu dürfen."

"Abwarten", meinte der Mann. "Ich bin recht anspruchsvoll."

"Ich auch", versetzte Astrid. "So, da wären wir. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?"

"Wenn du einen Scotch hättest...?"

"Mit oder ohne Eis?"

"Ohne", bat der Mann. "Du hast es übrigens sehr hübsch hier."

"Es geht", meinte Astrid, während sie zum Wohnzimmerschrank ging in dem es eine kleine Hausbar gab, eine Whiskyflasche nebst Glas herausholte und auf den Tisch stellte. "Setz dich und bedien dich. Ein Getränk ist im Preis eingeschlossen."

"Der da wäre?", fragte der Mann, der inzwischen Platz genommen hatte.

"Das kommt darauf an", erklärte Astrid. "Wenn du, wie du erzähltest, öfters zu Kolleginnen gehst, wirst du das wissen. Eine normale Nummer, beide nackt, aber mit Gummi, kostet hundert Mark."

"Und ohne Gummi?"

"Das mach ich nicht mehr", entgegnete Astrid. "Und du solltest im eigenen Interesse auch nicht darauf bestehen."

"Ihr seid ganz schön vorsichtig geworden, was?", stellte der Mann fest.

"Haben wir eine andere Wahl?"

"Nein", räumte der Mann ein. "Und das ist sicher auch gut so. Obwohl ich lieber ohne Gummi bumse. Es ist einfach ein anderes Gefühl."

"Ohne läuft bei mir nichts", wiederholte Astrid. "Wenn es dich stört, muss ich dich leider fortschicken. So leid es mir täte."

"Dieses verfluchte AIDS hat euch einen enormen Geschäftsrückgang beschert, was?"

"Ja, leider", seufzte Astrid. "Sie gehen lange nicht mehr so gut wie früher. Man muss halt mit dem zufrieden sein, was noch ist."

"Oder den Beruf wechseln."

"Noch reicht es zum Leben, was ich verdiene", lächelte Astrid. "Außerdem habe ich einfach keinen Bock auf einen anderen Beruf. Ich könnte mir unmöglich vorstellen, in einem Büro oder so arbeiten zu müssen."

"Was hast du denn ursprünglich gelernt?"

"Ich wollte Lehrerin werden", erklärte Astrid, "habe mein Studium dann aber vorzeitig abgebrochen, als zu erkennen war, dass ich damit voraussichtlich keinen Blumentopf gewinnen würde. Außerdem war ich schwanger. Da ich sonst niemanden hatte, musste ich für mich und mein Kind Geld verdienen."

"Und der Vater?"

"Der!" Astrid schnaubte verächtlich. "Der ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden, als ich ihm erzählte, dass ich ein Kind von ihm erwarte. Aber müssen wir denn unbedingt über mich sprechen?"

"Nein, nicht unbedingt", war der Mann einverstanden. "Ich glaube, wir waren gerade dabei, den Preis auszuhandeln. Dass es ohne Gummi nicht geht, waren wir uns einig. Aber wie wäre es damit...?"

Er nannte ein paar Sonderleistungen, die er sich wünschte, wurde handelseinig mit ihr und sank alsbald mit ihr aufs Lotterbett.

"Das machst du nicht schlecht", begann er zu stöhnen, als sie sich intensiv mit seinem männlichsten Teil beschäftigte und ihn behandelte, wie dies der Trompeter von Säckingen mit seinem Instrument auch getan hätte. "Oh ja... jaaa... jaaaaa! Aber lass dir bitte noch ein wenig Zeit. Nicht so stürmisch, Püppchen. Ich möchte noch nicht kommen."

Sie ließ vorübergehend von ihm ab und bot ihm Gelegenheit, sich ihr zu widmen. Obwohl sie nichts verspürte - das hatte sie sich längst abgewöhnt -, tat sie ganz, als wäre er der beste Liebhaber, der sie jemals verwöhnt hatte.

"Oh, du bist aber auch nicht schlecht", jammerte sie, verdrehte die Augen und wand sich unter ihm wie eine Schlange. "Ja, mach weiter so. Gleich bin ich soweit. Oh, wie gut! Wie guuuut!"

Irgendwann krabbelte sie über ihn, nahm ihn in sich auf und begann einen Ritt, mit dem sie sich um eine Hauptrolle in der Fernsehserie Rivalen der Rennbahn hätte bewerben können. Doch der Typ wollte und wollte, obwohl er es vorhin schon angekündigt hatte, nicht kommen.

"Du machst mich kaputt", schnaufte sie und meinte es diesmal sogar ehrlich. "Meine Güte, hast du eine Ausdauer."

"Nicht wahr?", strahlte der Mann. "Und jetzt bitte noch einmal andersrum. Komm, Püppchen, komm! Nur keine Müdigkeit! Ja, so ist es fein. Gib's dem guten Papi; gib's ihm." ---

Astrid war fix und fertig, als er endlich in ihr explodiert war. Wie kleine Bächlein lief ihr der Schweiß den ganzen Körper hinunter. Ihr Herz klopfte Stakkato und drohte zu zerspringen. Ihre Beine wollten ihr fast den Dienst verweigern, als sie ins Bad wankte, um zu duschen.

Er folgte ihr dorthin, stellte sich zu ihr unter die Brause und fing erneut zu fummeln an.

"Nein, bitte nicht!", rief sie. "Ich kann nicht mehr."

"Aber ich, wie du vielleicht bemerken wirst", sagte er grinsend. "Nun zier dich nicht, Püppchen. Einer wie dir dürfte das doch nichts ausmachen. Ich leg auch noch etwas drauf."

Was blieb ihr anderes übrig? Der Wunsch eines Kunden war so etwas wie ein Befehl. Also ließ sie sich überreden und wiederholte das Spielchen. Diesmal unter der Dusche. Und wieder so lang wie beim ersten Mal. - - -

"Du bist kein Mann", sagte sie, nachdem sie sich wieder angekleidet hatten und noch eine Weile in ihrem Wohnzimmer zusammensaßen. "Du bist ein Hengst. Einen wie dich habe ich ja noch nie erlebt."

"Tja", grinste er. "Und ich könnte schon wieder."

"Nein", wehrte sie mit beiden Händen ab. "Jetzt ist es wirklich genug. Außerdem erwarte ich in einer knappen Stunde den nächsten Kunden. Bis dahin möchte ich mich wenigstens ein bisschen von dir erholt haben."

"Aber reden können wir doch noch eine Zeitlang - oder?"

"Meinetwegen", stimmte sie zu. "Und über was möchtest du reden? Bitte nicht wieder über mich."

"Doch", erwiderte er. "Eigentlich schon über dich."

"Aber ich habe dir doch schon alles erzählt, was wissenswert war."

"Das war die Vergangenheit", sagte er mit einem sarkastischen Lächeln. "Sprechen wir jetzt also über deine Zukunft."

"Die lasse ich auf mich zukommen", versetzte sie, "und mache mir jetzt noch keine Gedanken darüber."

"Aber ich", sagte Mann und ließ seine freundliche Maske plötzlich fallen. Sein Gesicht wurde kantig und hart, seine Augen blickten sie kalt und unbarmherzig an.

"Sieh mal", fuhr er fort. "Ich gehöre einer Organisation an, die sich um Mädchen wie dich große Sorgen macht. Hast du nicht gerade heute wieder erleben müssen, wie es ist, wenn man dich nicht beschützt?"

"Meinst du... meinst du die Geschichte mit den Rockern?", stammelte Astrid, die ahnte, worauf der Kerl hinauswollte.

"Genau die", bestätigte der Mann. "So etwas könnte dir nie mehr passieren, wenn du dich unserer Organisation anschließen würdest."

"Also habt ihr sie auf mich gehetzt; du und deine Zuhälterbande?"

"Zuhälterbande ist ein schlimmes Wort", meinte der Mann, ohne näher darauf einzugehen, ob er und seine Kumpels die Rocker nun tatsächlich auf sie gehetzt hatten oder nicht.

"Aber nichts anderes seid ihr doch - oder?"

"Wir sind eine Art Lebensversicherungsgesellschaft für Mädchen deiner Branche", erklärte der Mann. "Nichts anderes. Aber wie jede Lebensversicherung, kostet auch unsere natürlich einen gewissen Beitrag."

"Natürlich", murmelte Astrid. "Und wie hoch ist der?"

"Sechzig Prozent deiner Einnahmen", sagte der Kerl. "Wir sind sehr großzügig, wenn du bedenkst, dass du durch die Zahlung deines Mitgliedsbeitrages eine Art Vollschutz genießt."

"Den hatte ich heute auch so", entgegnete Astrid leise und dachte traurig an den Priester, der ihr so hilf- und erfolgreich zur Seite gestanden hatte.

"Das war purer Zufall und wird sich vermutlich nicht wiederholen", meinte der Zuhälter. "Nicht immer wird ein tapferer Ritter zur Stelle sein, wenn du Hilfe benötigst."

"Sag das nicht."

"Wieso?", winkte der Mann ab. "Dieser Herkules war doch sicher nur auf der Durchreise. Jedenfalls habe ich ihn noch nie in dieser Gegend gesehen."

"Dafür wirst du ihn künftig sicher öfters sehen", bemerkte Astrid mit einem gewissen Triumph in der Stimme. "Er ist nämlich der neue Kaplan dieser Gemeinde hier."

"Ein Pfaffe ist der?", staunte der Kerl. "Alle Achtung! Dafür hat er sich nicht schlecht geschlagen. Ich denke, wir werden uns mit ihm befassen müssen."

"Ich glaube nicht, dass er sich davor fürchtet", vermutete Astrid. "Der nicht."

"Du wirst dich doch nicht an ihn wenden und ihn erneut um Hilfe bitten wollen?", warnte der Zuhälter. "Ich meine, weil wir dich in unsere Organisation aufnehmen wollen. Du, das würde dir nicht gut bekommen."

"Das nehme ich dir unbesehen ab", seufzte Astrid. "Deshalb werde ich wohl zahlen müssen."

"Wie schön, dass du das einsiehst", grinste der Kerl. "Ich werde also künftig einmal zum Monatsende bei dir vorbeischauen und deinen Mitgliedsbeitrag kassieren. Versuche aber nicht, uns zu betrügen. Du wirst besser überwacht, als du das vermutest."

"Dürfte ich vielleicht auch erfahren, mit wem ich es zu tun habe?", erkundigte sich Astrid.

"Natürlich", sagte der Mann. "Man nennt mich wegen meiner wunderschönen schwarzen Haare Blacky. Hör dich um in den einschlägigen Kreisen. Man wird dich gern aufklären, wer und wie ich bin. So, und jetzt will ich dich nicht länger stören. Wir sind uns einig - und mehr wollte ich nicht von dir. Meinen Zaster hätte ich übrigens gern zurück. Es ist nicht üblich in unseren Kreisen, dass man für derlei Leistungen bezahlen muss. Also?"

Astrid nahm das Geld, das sie kurz zuvor von ihm erhalten hatte, und gab es ihm zurück. Ihr war klar, dass sie keine Chance gegen ihn hatte, und sie ahnte auch, was sie erwartete, wenn sie sich weigerte. Darauf wollte sie es nicht ankommen lassen. Ihre Gesundheit war ihr lieber als das bisschen Geld.

"Du bist ein vernünftiges Mädchen", lobte sie Blacky und ließ die Scheine achtlos in seiner Hosentasche verschwinden. "Ich denke, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Übrigens warst du wirklich nicht schlecht. Ich werde dich weiterempfehlen. Bis dann, Mädel."

Er warf ihr mit einem spöttischen Lächeln eine Kusshand zu, griff nach seiner Jacke, die er noch nicht übergezogen hatte, und ging.

"Scheiße!", fluchte Astrid, nachdem er verschwunden war. "Jetzt bin ich ihnen also doch ins Netz gegangen. Und ich hatte so sehr gehofft, unabhängig arbeiten zu können. Ob ich mich vielleicht doch an diesen Kaplan wende?"

Nein, entschloss sie sich. Das wäre viel zu gefährlich für mich; denn sicher werden sie jeden meiner Schritte überwachen. Außerdem kann ich den Priester nicht in eine solche Sache hineinziehen. Selbst ein Mann wie er dürfte sich kaum mit einer Zuhälterbande anlegen wollen.

Wie sehr sie sich in dieser Beziehung in Thomas täuschte! Aber das sollte sie erst später erkennen.

4.

"So ist die Lage, verehrter Kollege", beendete Pfarrer Haslinger seinen Rapport, "und sie ist, wie Sie sicher erkannt haben werden, nicht besonders rosig."

"Sie ist beschissen", pflichtete Berta Knopf, seine Haushälterin, ihm bei.

"Berta", mahnte der Pfarrer und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf "Sie sollen sich doch nicht immer dieser vulgären Ausdrucksweise befleißigen."

"Es ist aber das einzige Wort, das dem tatsächlichen Zustand unserer Gemeinde entspricht", verteidigte sich Berta. "Nicht besonders rosig." Sie schnaubte verächtlich. "Damit treffen Sie den Nagel nicht einmal am Rande seines Kopfes, Herr Pfarrer."

"Trotzdem", sagte Pfarrer Haslinger. "Als Pfarrhaushälterin sollten Sie sich schon ein wenig mäßigen in Ihrer Ausdrucksweise, auch wenn ich Ihnen im Prinzip Recht geben muss. Die Kirche dürfte schon etwas voller sein während unserer Gottesdienste."

"Etwas voller?" Berta lachte ironisch. "Jeden einzelnen mit Handschlag begrüßen könnte man, so voll ist unsere Kirche. Manchmal könnte man unsere Gläubigen hier im Wohnzimmer versammeln - und jeder fände einen Platz."

"Und woran liegt das?", fragte Kaplan Kempf, der ein belustigtes Grinsen bei Bertas Worten nicht hatte unterdrücken können.

"An mangelndem Interesse", erwiderte Berta. "An was sonst? Die meisten unserer Mitbürger hier hocken lieber vor dem Fernseher oder in der Kneipe herum, statt ihrem Herrgott die nötige Ehre zu erweisen. Es sind doch alles Taugenichtse, Herumtreiber und sonstiges Gesockse; lichtscheues Gesindel, das jeder geregelten Arbeit geflissentlich aus dem Weg geht."

"So lasse ich das aber nicht im Raum stehen", protestierte Pfarrer Haslinger. "Natürlich gibt es eine Menge schwarzer Schafe in dieser Gegend. Aber es gibt auch viele, die nichts für ihre wirtschaftliche Situation können, unverschuldet arbeitslos sind und deshalb mit ihrem Herrgott grollen."

"Deshalb müssten sie sich aber noch lange nicht in die Kneipen setzen und ihre paar Kröten sinnlos versaufen", befand Berta grimmig. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg; und wer arbeiten möchte, findet auch etwas. Und wenn es bei der Müllabfuhr wäre, womit ich nichts gegen diesen ehrenwerten Beruf gesagt haben möchte."

"Sie haben mit manchem, was Sie sagen, bestimmt recht, Frau Knopf", meinte Kaplan Kempf.

"Ich bin die Berta", brummte die Haushälterin.

"Also gut, Berta." Der Kaplan lächelte ihr freundlich zu. "Wie gesagt, haben Sie sicher mit manchem Recht. Es gibt Drückeberger, die gar kein Interesse daran haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Allerdings sollten Sie nicht alle über einen Kamm scheren."

"Ganz Ihrer Meinung, Herr Kollege", warf Pfarrer Haslinger dazwischen. "Es gibt auch eine ganze Anzahl ordentlicher Familien hier im Ostend."

"Und wo sind die, wenn zum Gottesdienst geläutet wor-den ist?", rief Berta aufgebracht.

"Wir müssen uns eben etwas einfallen lassen, um sie zu aktivieren", schlug Kaplan Kempf vor. "Das beginnt zum Beispiel schon mit der Jugendarbeit."

"Tote Hose", winkte Berta ab. "Die Jugend hier hat für alles Mögliche Interesse, bloß nicht für die Kirche. Das fängt schon bei den Jüngsten an."

"Ich hätte da schon ein paar Ideen, wie man sie zu uns locken könnte", sagte der Kaplan. "Wie sieht es denn mit den Räumlichkeiten aus, Herr Pfarrer? Gibt es so etwas wie einen Pfarrsaal?"

"Ja, schon", erwiderte Pfarrer Haslinger. "Wir haben ein ehemaliges Schwesternhaus, das leer steht und das wir nutzen könnten."

"Es hat bloß noch keiner getan", ließ Berta bissig verlauten.

"Nun, dann wird es höchste Zeit, dass wir etwas daraus machen", meinte Kaplan Kempf.

"Was, zum Beispiel?", wollte Pfarrer Haslinger wissen.

"Ein Haus der Jugend, beispielsweise", erklärte Kaplan Kempf. "Für die Jüngsten könnte man Bastel-, Film- oder Vorlesenachmittage veranstalten, für die Älteren Diskussionsabende und auch mal eine Disko. Es gibt genug, was man tun kann, um sie für uns zu interessieren. Das gilt auch für die Erwachsenen. Ich werde Ihnen entsprechende Vorschläge in den nächsten Tagen vorlegen."

"Wir haben schon einiges versucht", versetzte Pfarrer Haslinger müde. "Der Zuspruch war mehr als mäßig."

"Vielleicht war es bloß falsch organisiert", vermutete Kaplan Kempf. "Darf ich einen neuen Versuch wagen?"

"Ich gebe Ihnen in dieser Beziehung völlig freie Hand", sagte Pfarrer Haslinger. "Tun Sie, was Sie für richtig halten. Sie sind eh für die Jugendarbeit verantwortlich und sollen in der hiesigen Grundschule auch den Religionsunterricht abhalten. Bleiben Sie aber bitte auf dem Teppich. Eine Diskothek lasse ich nicht aus meiner Kirche machen."

"Aber gegen einen Jugendgottesdienst mit modernen Kirchenliedern haben Sie nichts - oder?"

"So mit Gitarre und Schlagzeug und so?", entsetzte sich der Pfarrer. "Um Himmels willen. Wollen Sie mir auch noch die letzten Kirchgänger vertreiben?"

"Nein", sagte Kaplan Kempf. "Ich will neue hinzugewinnen: Die Jugend nämlich. In anderen Gemeinden hat man mit diesen modernen Messen tolle Erfolge erzielt."

"Das kann ich mir vorstellen", mischte sich Berta ein. "Die alten Kirchenlieder sind teilweise zwar sehr schön, aber dem neuen Zeitgeist entsprechen sie weiß Gott nicht mehr. Ich würde mich freuen, mal etwas Schmissigeres zu hören und vielleicht auch zu singen."

"Na schön", stimmte Pfarrer Haslinger widerwillig zu. "Solange man nicht vor dem Hochaltar Boogie-Woogie tanzt, habe ich nichts dagegen."

5.

Astrid Weber hatte ihren fünfjährigen Sohn Andreas bei einer Cousine ihrer Mutter untergebracht, die zusammen mit ihrem Mann in einem kleinen Nest etwa hundert Kilometer von jener Großstadt entfernt lebte, in der das Mädchen seinem Liebesdienst nachging.

Elfie Meyers - so hieß die Cousine - Ehe war kinderlos geblieben, worüber sie und ihr Mann Egon sehr traurig waren. Deshalb hatten sie sich auch sofort bereit erklärt, Astrids Sohn bei sich aufzunehmen, als dieser geboren war und das Mädchen mangels anderer Verwandten nicht wusste, wohin mit ihm.

Welchen delikaten Beruf Astrid hatte, wussten Elfie und Egon Meyer nicht. Sie hatte ihnen weisgemacht, sie wäre Kellnerin in einem gutbürgerlichen Speiserestaurant, und die Meyers nahmen ihr das unbesehen ab. Und da sie auch so gut wie nie in diese Stadt kamen, in der Astrid anschaffen ging, bestand kaum die Gefahr, dass sie jemals erfuhren, was das Mädchen tatsächlich trieb.

Astrid besuchte ihren Sohn so oft ihr das möglich war. Sie genoss die wenigen Stunden, die sie mit ihm zusammen sein konnte, aus vollem Herzen und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie bald über genügend Geld verfügen würde, damit sie ihren Beruf aufgeben und ihn für immer zu sich nehmen könnte. Wann das sein würde, stand in den Sternen. Nachdem sie jetzt auch noch einen Teil ihrer Einnahmen an diese Zuhälterbande abgeben musste, war ihr Ziel in noch weitere Ferne gerückt.

Auch heute - einem Sonntag, an dem eh nicht viel bei ihr lief - hatte sich Astrid einen freien Tag genommen, um ihr Söhnchen wieder einmal zu besuchen. Gegen zehn Uhr hatte sie sich mit ihrem kleinen Wagen auf den Weg gemacht und freute sich jetzt schon unbändig auf das Wiedersehen.

Etwa zwanzig Kilometer vor dem Dorf, in dem ihre Verwandten lebten, begann ihr Auto, das nicht mehr zu den Jüngsten zählte, zu mucken, feuerte schussartige Schläge aus dem Auspuff ab und hüllte nachfolgende Wagen in dunkle Rauchwolken ein. Wenig später gab der Motor dann endgültig seinen Geist auf. Astrid konnte das Fahrzeug gerade noch an den Straßenrand lenken.

"Verdammter Mist!", schimpfte sich leise vor sich her, stieg aus und öffnete die Motorhaube. Sie hätte sie auch geschlossen lassen können, denn sie verstand von einem Motor soviel, wie ein Känguru vom Klavierspielen.

Jedenfalls zupfte sie mal an diesem Drähtchen, rüttelte mal an jenem Schlauch und schlug auch mal mit der flachen Hand auf den Vergasertopf, aber damit war das Auto natürlich nicht zu reparieren. Der Motor sprang nicht mehr an. Selbst ein wütender Tritt gegen den rechten Vorderreifen nützte nichts.

Nach einer Weile schien ein anderer Autofahrer zu bemerken, dass da jemand in Not geraten war. Er fuhr an ihr vorbei, bremste und setzte dann zurück, sodass er vor ihrem Wagen zu stehen kam.

Der junge Mann, der seinem Fahrzeug entstieg und zu ihr trat, mochte Ende zwanzig, Anfang dreißig sein. Er war groß, schlank und hatte dunkelbraune Haare. Sein Gesicht mit den braunen Augen, dem schmalen Mund und dem energischen Kinn war gut geschnitten und wirkte vertrauensvoll. Seine breiten Schultern und muskulösen Arme verrieten, dass er seinen Körper nicht vernachlässigte und sich vermutlich sportlich betätigte.

"Na, will er nicht mehr?", fragte er und lächelte sie freundlich an. "Ist ja auch schon ein alter Opa, der Gute."

"Natürlich", bestätigte sie und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. "Aber zu mehr hat's bisher leider nicht gereicht."

"Darf ich mal nach ihm sehen?"

"Gern", stimmte sie zu. "Verstehen Sie denn etwas davon?"

"Für den Hausgebrauch geht's", erwiderte er, während er sich nun ebenfalls an dem Motor zu schaffen machte. "Zumindest kann ich erkennen, warum er nicht mehr läuft: Der Motor ist im Eimer."

"Das habe ich befürchtet", seufzte sie. "Meinen Sie, man könnte ihn reparieren?"

Der Mann hob die Schultern. "Das kann Ihnen nur ein Fachmann sagen. So groß sind meine Kenntnisse von einem Motor nun auch wieder nicht. Heute können Sie jedenfalls nicht mehr damit fahren, das steht fest."

"Und wie komme ich jetzt nach Kleinebersbrunn?"

"Ich schleppe Sie ab", bot der junge Mann an. "Ich muss nämlich zufällig auch dorthin. Haben Sie ein Abschleppseil dabei?"

"Ich denke schon", entgegnete Astrid. "Normalerweise müsste es im Kofferraum liegen."

Dort lag es auch. Sie verbanden Astrids Wagen mit dem des jungen Mannes, und die Fahrt konnte, allerdings wesentlich langsamer als zuvor, weitergehen.

In Kleinebersbrunn gab es eine Tankstelle mit Autoreparaturwerkstatt. Die Tankstelle hatte geöffnet, die Autoreparaturwerkstatt natürlich nicht.

"Sie können den Wagen gern hier stehen lassen", bot der freundliche Tankwart an, nachdem sie vorgefahren waren und ihm ihr Leid geklagt hatten. "Morgen früh werden wir dann sofort nach ihm sehen. Heute geht das natürlich nicht. Ich helfe hier nämlich nur aus und bin kein Autoschlosser."

"Und der Meister?"

"Ist mit seinem Gesangverein unterwegs", erklärte der Tankwart. "Sie nehmen in Großebersbrunn an einem Wettstreit teil."

"Na schön", seufzte Astrid. "Dann lass ich ihn halt hier." Sie wandte sich an den jungen Mann, der sie abgeschleppt hatte. "Vielen Dank, dass Sie mir so nett beigestanden haben."

"Nicht der Rede wert", winkte er ab. "Wenn Sie möchten, fahre ich Sie auch gern noch dahin, wohin Sie hier in Kleinebersbrunn wollen."

"Das lohnt sich nicht", widersprach sie. "Die paar Schritte kann ich zu Fuß gehen."

"Es würde mir nichts ausmachen", versicherte er. "Außerdem haben wir uns noch nicht einmal miteinander bekannt gemacht. Ich heiße Frank Fresenius."

"Astrid Weber", stellte sich das Mädchen vor.

"Angenehm", sagte Frank. "Wohnen Sie hier in Kleinebersbrunn?"

"Nein", erwiderte Astrid. "Ich lebe und arbeite in..." Sie nannte den Namen der Großstadt. "Und Sie?"

"Ich werde künftig hier leben und arbeiten", erklärte Frank. "Man hat mich an die hiesige Grundschule versetzt."

"Ach, dann sind Sie Lehrer?"

"So ist es", bestätigte Frank. "Soll ich Sie nicht doch mitnehmen?"

"Nein, danke, wirklich nicht", wehrte Astrid ab und reichte ihm die Hand. "Auf Wiedersehen, Herr Fresenius. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder."

"Wie wäre es mit heute Abend?", schlug er vor. "Sie können heute eh nicht mehr nach Hause. Vielleicht könnten wir irgendwo ein Gläschen Wein miteinander trinken? Selbst in Kleinebersbrunn müsste es doch so etwas wie eine Gastwirtschaft geben."

"Es gibt sogar drei recht gute", bemerkte Astrid lächelnd. "Dennoch möchte ich Ihre freundliche Einladung ablehnen. Ich sehe meine Verwandten hier so selten, dass ich heute Abend lieber bei ihnen bleiben möchte. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis?"

"Selbstverständlich", beteuerte er. "Und wie ist es bei Ihnen zu Hause? Hätten Sie da eventuell mal Zeit für mich?"

"Dort noch weniger", versetzte sie. "Ich arbeite nämlich in der Gastronomie - und da wird es abends oft recht spät."

"Sie wollen nicht", resümierte Frank enttäuscht. "Gibt es einen besonderen Grund dafür; vielleicht ein anderer Mann?"

"So ähnlich", wich sie aus. "Tschüs, Herr Fresenius. War nett, Sie kennenzulernen."

Sie nickte ihm noch einmal freundlich zu, holte aus ihrem Wagen, was sie mit zu ihren Verwandten nehmen wollte, und eilte dann mit flinken Schritten davon.

"Ein tolles Mädchen", murmelte sich Frank in den Bart, während er langsam zu seinem Auto ging, um seine Fahrt fortzusetzen. "Genau meine Kragenweite. So schnell gebe ich jedenfalls nicht klein bei. Und wenn ich in ihrer Heimatstadt Straße für Straße nach ihr absuchen müsste."

*

"Guten Tag", sagte der kleine, untersetzte Mann mit der Halbglatze, der ein paar Tage später an Astrids Tür geklingelt hatte, und lächelte sie schüchtern an. "Wir hatten telefoniert. Mein Name ist Hugo."

"Hallo, Hugo", entgegnete das Mädchen. "Komm bitte herein."

Sie führte den Mann in das Wohnzimmer, das eigentlich ein Schlafzimmer war, und bat ihn, Platz zu nehmen. Es folgte das übliche Zeremoniell, indem sie sich erkundigte, ob er etwas zu trinken wünsche. Er wollte ein Glas Sprudelwasser.

"Wenn ich Alkohol trinke, bringe ich nichts", erklärte er verlegen. "Meine Frau kann ein Lied davon singen."

Das Wasser nützte aber auch nichts, wie Astrid wenig später feststellen konnte. Obwohl sie sich alle erdenkliche Mühe gab, schien Hugos männlichster Teil sich entschlossen zu haben, heute einen Ruhetag einzulegen.

"Bleib ganz cool", tröstete sie den Mann. "Wir kriegen das schon noch hin. Bei mir ist noch keiner unbefriedigt fortgegangen."

"Dann werde ich wohl der erste sein, mit dem du das erleben wirst", seufzte Hugo. "Es kommt in letzter Zeit immer häufiger vor, dass er nicht will. Ich dachte, es liegt an meiner Frau. Über dreißig Jahre bin ich mit ihr verheiratet. Da verliert die Sache etwas an Reiz. Nur deshalb bin heute mal zu einer wie dir gegangen. Es sollte eine Art Prüfung für meinen Johannes sein. Er hat sie nicht bestanden. Offensichtlich habe ich mein Pulver verschossen."

"Sag doch so etwas nicht", beruhigte sie ihn. "Schau mal: Er rührt sich doch schon ein wenig."

"Ein wenig - ja", klagte Hugo. "Aber damit kann man keinen Krieg gewinnen; nicht einmal ein kleines Scharmützel. Wenn ich da an früher denke! Meinen standhaften Zinnsoldaten haben ihn die Mädchen genannt, mit denen ich zusammen war. Heute würden sie mich auslachen und ihn Schlappi nennen."

"Ich lache bestimmt nicht", versicherte Astrid. "Verkrampf dich doch jetzt nicht. Denk einfach an etwas anderes."

"An was - zum Beispiel?"

"Ruf dir ins Gedächtnis zurück, wie es mit dem Mädchen war, das es am schönsten und aufregendsten mit dir getrieben hat", empfahl Astrid. "Wie hat sie's denn mit dir gemacht?"

"Das ist lange her."

"Versuch trotzdem, dich daran zu erinnern."

Hugo schloss die Augen und begann mit leiser Stimme zu erzählen. Und Astrid vollzog genau das nach, was jenes Mädchen damals mit ihm angestellt hatte.

"Er kommt!", triumphierte sie endlich. "Hab ich dir's nicht prophezeit? Man darf nur nicht die Geduld verlieren. Soll ich jetzt ein Aufhupferle machen?"

"Ja, bitte", ächzte er. "Aber beeil dich. Lang kann ich's nicht mehr zurückhalten."

Hugos Höhepunkt war kaum den Aufwand wert, der dafür getrieben worden war. Er bäumte sich kurz unter ihr auf, gab einen zufriedenen Grunzlaut von sich, und dann war es auch schon wieder vorbei.

Im gleichen Moment hörte man im Stockwerk über ihnen einen Schrei, der einem durch Mark und Bein ging. Ein zweiter und dritter folgten unmittelbar danach. Einen solch grässlichen Ton konnte nur ein Mensch von sich geben, der sich in höchster Todesnot befand.

Tanja, schoss es Astrid, die entsetzt zusammengezuckt war, in den Kopf. Das kann nur Tanja gewesen sein.

Tanja arbeitete in der gleichen Branche wie sie. Sie hatten das irgendwann einmal per Zufall herausgefunden und sich seitdem hin und wieder in der einen oder anderen Wohnung getroffen, um eine Tasse Kaffee zusammen zu trinken und Gedanken über ihren Job auszutauschen.

"Was war das?", fragte Hugo, der erblasst war, und richtete sich verstört im Bett auf.

Astrid gab keine Antwort. Sie hatte sich längst von ihm gelöst, warf sich einen Morgenmantel über und stürmte aus ihrer Wohnung. Im Nu war sie einen Stock höher. Dort sah sie gerade noch, wie sich die Fahrstuhltür schloss und der Lift sich nach unten in Bewegung setzte.

Die Tür zu Tanjas Wohnung stand halb offen. Astrids Herz klopfte zum Zerspringen, als sie zögernd eintrat.

"Tanja!", rief sie mit unterdrückter Stimme. "Tanja, wo bist du?"

Aus dem Zimmer, in dem ihre Kollegin für gewöhnlich ihre Freier empfing, kam ein leises, jammervolles Stöhnen.

Astrid schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch und begab sich voll schlimmster Erwartungen in dieses Zimmer.

Tanja lag zusammengekrümmt auf dem Fußboden. Um sie herum hatte sich eine Blutlache gebildet. Sie rührte von mehreren Messerstichen her, die sie in der Herzgegend und auch tiefer getroffen hatten.

"Tanja, mein Gott!", ächzte Astrid und kniete neben dem Mädchen nieder. "Tanja, hörst du mich?"

Die Verwundete öffnete ihre Augen, schien Astrid zu erkennen und verzog schmerzlich das Gesicht.

"Schnell, einen Arzt", wisperte sie. "Und... und einen Priester. Bitte, beeil... dich."

"Sofort, Tanja, sofort", versprach Astrid und erhob sich wieder, um zum Telefon zu gehen.

Unterdessen waren mehrere Nachbarn, die wohl eben-falls von dem Schrei aufgeschreckt worden waren, in die Wohnung gekommen. Erregtes Stimmengewirr erfüllte den Raum. Ein älterer Mann kümmerte sich um die Verletzte, konnte aber auch nicht mehr tun, als ihr die Hand zu halten und sie zu trösten.

"Das kommt davon", hörte man eine Frau gehässig flüstern. "Warum hurt sie auch mit jedem herum?"

"Sind Sie doch still", ermahnte sie ein Mann. "Das ist doch wirklich nicht der richtige Moment, um über sie den Stab zu brechen."

"Hat denn schon jemand die Polizei informiert?", fragte ein anderer.

"Und einen Arzt", fügte der nächste hinzu.

"Das ist gerade geschehen", sagte Astrid, die inzwischen telefoniert hatte.

"Noch so eine", raunte die Frau, die vorher schon über Tanja gelästert hatte, den anderen zu. "Voller Nutten ist unser Haus. Man muss sich schämen."

Astrid, die das sehr wohl gehört hatte, verkniff sich eine Antwort und kniete sich wieder neben ihre verletzte Kollegin.

"Es ist alles in Ordnung", sagte sie zu ihr. "Der Arzt muss jeden Moment hier sein. Bleib ganz ruhig, Liebes. Wir kriegen das schon wieder hin."

"Nein, ich... ich glaube... nicht", wisperte Tanja. "Ich... ich werde sterben."

"Quatsch nicht solchen Blödsinn", schimpfte Astrid und streichelte dem Mädchen liebevoll übers Haar. "In ein paar Wochen bist du wieder auf den Beinen."

"Nein, Astrid, nein", wimmerte Tanja. "Das tut so weh; so weh."

"Wer war es, Tanja?", fragte Astrid. "Hast du den Kerl, der dir das angetan hat, erkannt?"

"Ich... ich habe ihn... vorher nie... gesehen."

"Kannst du ihn beschreiben?"

Tanja konnte es nicht. Sie verlor vorübergehend das Bewusstsein.

Draußen hörte man ein Martinshorn, das sich näherte. Kurze Zeit später eilte der Notarzt mit zwei Helfern in die Wohnung.

"Bitte, verlassen Sie das Zimmer", wandte er sich an die Leute, die neugierig glotzend herumstanden und aufgeregt miteinander diskutierten. "Gehen Sie bitte in Ihre eigenen Wohnungen zurück. Sie behindern uns nur bei unserer Arbeit. Nun gehen Sie schon."

Einer der Sanitäter, ein bulliger Mann mit den Muskeln eines Herkules, drängte die Leute aus der Wohnung und schloss die Tür.

"Und Sie?", fragte der Arzt Astrid.

"Ich bin ihre Freundin", erklärte sie.

"Na schön", sagte der Arzt. "Dann dürfen Sie bleiben."

Während er und seine Helfer erste Hilfe leisteten und vor allen Dingen dafür sorgten, dass Tanja eine Blutinfusion erhielt, trafen auch die Polizei und der Priester ein. Letzterer war kein anderer als Kaplan Thomas Kempf.

"Es hilft alles nichts", meinte der Arzt. "Sie muss schnellstens in die Klinik. Wir müssen sie operieren."

"Ist... ist der... Pfarrer da?", wisperte Tanja, die für kurze Augenblicke ihre Besinnung wiedererlangt hatte.

"Ja, hier", sagte Kaplan Kempf und trat zu ihr.

"Sie... Sie sehen aber gar nicht... wie ein... Priester aus."

"Er ist aber einer", beteuerte Astrid. "Ich habe dir doch von ihm erzählt."

"Ach ja." Tanja lächelte matt. "Der... der Kaplan, der sich mit Rockern... herumprügelt. Kann ich... mit Ihnen... sprechen?"

"Das können Sie auf dem Weg zum Krankenhaus tun", ordnete der Arzt an. "Sie können mitkommen, Hochwürden."

"Astrid... Astrid bitte... auch", wünschte sich Tanja.

"Na schön", stimmte der Arzt zu. "Meinetwegen."

"Das geht nicht", widersprach der Kriminalkommissar. "Ich brauche ihre Aussage."

"Meine Güte, die kann sie doch auch später noch machen", schimpfte der Arzt mit unterdrückter Stimme. "Erfüllen wir der Verletzten doch erst ihren Wunsch. Vielleicht ist es ihr letzter."

"Einverstanden", sagte der Kommissar und überreichte Astrid seine Karte. "Melden Sie sich dann bitte im Laufe des Tages noch bei mir."

So saßen sie denn wenig später im Notarztwagen und brausten mit überhöhter Geschwindigkeit in Richtung Krankenhaus.

"Ich... ich möchte... beichten, Hochwürden", flüsterte Tanja.

"Das müssen Sie nicht", befand der Kaplan. "Es würde Sie viel zu sehr anstrengen. Gott wird Ihnen auch so vergeben."

"Wirk... lich?"

"Ja, wirklich." Kaplan Kempf hob segnend die Hand. "Ich spreche dich los von deinen Sünden - im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."

"Amen", flüsterte auch die Verletzte. Für Sekunden leuchteten ihre Augen glücklich auf, dann sank ihr Kopf zur Seite. Tanja war tot.

*

"Eine böse Geschichte", sagte Kaplan Kempf, als er an Astrids Seite die Klinik verließ. "Ist Ihnen eigentlich klar, dass es auch Sie hätte treffen können?"

"Natürlich", entgegnete Astrid, deren erste Erschütterung sich unterdessen gelegt hatte. Bittere Tränen hatte sie um die Freundin vergossen. Man hatte ihr eine Beruhigungsspritze geben müssen.

"Und?", fuhr der Kaplan fort. "Wäre dies nicht ein Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, ob man nicht seinen Beruf wechseln sollte? Oder möchten Sie eines Tages auch so enden?"

"Wer möchte das schon?", seufzte Astrid. "Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss Geld verdienen, Hochwürden."

"Sie sollen mich doch nicht Hochwürden nennen."

"Ach ja, richtig." Astrid lächelte verloren. "Ich hatte nicht mehr daran gedacht."

"Wollen wir nicht irgendwo eine Tasse Kaffee trinken und uns ein wenig unterhalten?", schlug der Kaplan vor.

"Eigentlich müsste ich nach Hause", überlegte Astrid. "Ich hatte nämlich gerade einen Kunden, als das mit Tanja passierte. Aber wahrscheinlich hat der sich längst verdünnisiert."

"Das nehme ich auch an", vermutete Kaplan Kempf. "Denn wer möchte schon in so etwas hineingezogen werden? Kommen Sie. Dort drüben sehe ich eine Cafeteria."

Sie überquerten die Strasse und traten kurz darauf in das kleine Lokal, das einem Italiener gehörte. Sie fanden einen Platz, ließen sich nieder und bestellten sich jeder einen Cappuccino.

"Ich hätte auch gern noch einen Cognac", sagte Astrid zu dem Kellner. "Ich kann ihn weiß Gott gebrauchen."

"Dann bringen Sie mir bitte auch einen", schloss Kaplan Kempf sich ihr an. "Mich hat die Sache kaum weniger berührt als Sie."

Er bot ihr eine Zigarette an, die sie dankbar entgegennahm, und zündete sich selbst ebenfalls eine an.

"Es müssen anscheinend immer hässliche Dinge vorausgehen, wenn wir zusammentreffen", begann er, nachdem er einen tiefen Zug genommen und den Rauch nachdenklich an die Decke geblasen hatte. "Beim ersten Mal waren es die Rocker und jetzt das. Dabei wollte ich Sie die ganze Zeit über schon besuchen, fand aber leider keine Gelegenheit. Ich hatte einfach zuviel zu tun."

"Und?", erkundigte sich Astrid. "Wie läuft es denn?"

"Nicht besonders", musste Kaplan Kempf eingestehen. "Obwohl gewisse Anfänge zu erkennen sind. Bei meiner ersten Gruppenstunde für Kinder waren immerhin schon drei Mädchen und zwei Buben anwesend. Nächste Woche veranstalte ich eine Disko für Jugendliche. Mal sehen."

"Sie sollten Polizeischutz dafür anfordern", schlug Astrid vor. "Gerade solche Veranstaltungen sind es nämlich, die die Rocker besonders gern heimsuchen."

"Sie sind mir herzlich willkommen", erklärte der Kaplan. "Ich habe sogar vor, mich in die Höhle des Löwen, also in ihr Clublokal, zu begeben, um mit ihnen zu reden."

"Sind Sie lebensmüde?", versetzte Astrid kopfschüttelnd. "Die machen doch Kleinholz aus Ihnen, Hoch... äh... Thomas. Oder meinen Sie, die hätten vergessen, dass Sie mir beigestanden und ein paar von ihnen verprügelt haben?"

"Ich werde es dennoch wagen", entgegnete Kaplan Kempf. "Anders geht es nicht. Ich bin übrigens schon mit ganz anderen Typen fertig geworden."

"Ich glaube nicht, dass es Typen wie die Black Devils waren", zweifelte Astrid. "Die sind nämlich einmalig in ihrer Art; einmalig im negativen Sinne."

"Warten wir's ab", winkte Kaplan Kempf mit einem gelassenen Lächeln ab. "Und jetzt lassen Sie uns lieber ein bisschen über Sie sprechen. Sie sind mir noch Ihre Lebensgeschichte schuldig."

"Muss das wirklich sein?", seufzte Astrid.

"Sie würde mich schon interessieren", meinte Kaplan Kempf. "Wie kommt ein Mädchen wie Sie dazu, sich für diesen zweifelhaften Beruf herzugeben?"

"Immerhin ist es der älteste der Welt", gab Astrid zu bedenken. "Was wäre, wenn es uns nicht gäbe? Keine der so genannten anständigen Frauen könnte sich nachts noch auf die Strassen wagen, ohne befürchten zu müssen, vergewaltigt zu werden."

"Das mag in gewisser Weise zutreffen", räumte der Kaplan ein, "ist aber letztlich doch nur eine Schutzbehauptung. Unzählige Frauen werden, obwohl es Mädchen wie Sie gibt, dennoch vergewaltigt. Wenn es ein Kerl darauf abgesehen hat, wird er kaum überlegen, ob er nicht doch lieber zu einer Dirne gehen sollte. Zumal es diesen Leuten zumeist an dem nötigen Kleingeld mangelt. Also?"

"Was meinen Sie?"

"Wie war das nun mit Ihnen?", wollte Kaplan Kempf wissen. "Warum verdienen Sie sich Ihren Lebensunterhalt als Prostituierte?"

Astrid erzählte ihm von ihrem abgebrochenen Studium und von ihrem Kind, dessen Vater sich spurlos abgesetzt hatte, nachdem er von ihm erfahren hatte.

"Ein Dreckskerl war er", schloss sie ihren Bericht. "Leider habe ich es zu spät gemerkt."

"Bleibt immerhin anzuerkennen, dass Sie nicht abgetrieben haben", meinte Kaplan Kempf.

"Ich hatte es in Erwägung gezogen", gestand Astrid und senkte den Blick. "Wenn Elfie und Bruno nicht gewesen wären, hätte ich es auch bestimmt getan."

"Wer sind Elfie und Bruno?"

"Elfie ist die Cousine meiner Mutter", erklärte Astrid, "und Bruno ihr Mann. Sie redeten mir damals gut zu und erboten sich, mein Kind bei sich aufzunehmen, da sie selbst keines kriegen konnten. So haben wir's dann auch gemacht. Heute bin ich heilfroh darüber. Andreas - so heißt mein Sohn - ist der einzige Lichtblick in meinem verpfuschten Leben."

"Warum sind Sie dennoch auf die Straße gegangen, nachdem Ihr Sohn doch gut untergebracht war?"

"Weil ich irgendwann selbst für meinen Sohn sorgen möchte", antwortete Astrid. "Dafür spare ich jeden Groschen, den ich verdiene."

"Gab es denn wirklich keine andere Möglichkeit, Geld zu verdienen?"

"Nein", knurrte Astrid unwillig. "So viel und so schnell jedenfalls nicht. Und auf einen Lottogewinn wollte ich nicht warten."

"Wissen Ihre Verwandten, was Sie treiben?"

"Natürlich nicht", verneinte Astrid. "Sie würden den Glauben an die Menschheit verlieren, wenn sie es je erführen."

"Arbeiten Sie eigentlich auf eigene Rechnung?", erkundigte sich Kaplan Kempf.

"Wie soll ich das verstehen?"

"Nun." Kaplan Kempf hob die Schultern. "Haben Sie einen Zuhälter?"

Astrid verzog grimmig das Gesicht. "Darüber möchte ich nicht sprechen."

"Also haben Sie einen", resümierte der Kaplan. "Ist er eventuell gleichzeitig auch noch Ihr Freund?"

"Freund?" Astrid lachte unlustig. "Nein, als solchen kann man diesen Kerl nun wirklich nicht bezeichnen."

"Ach ja?" Kaplan Kempf runzelte die Stirn. "Setzt er Sie am Ende unter Druck?"

"So könnte man es nennen", gab Astrid zu. "Und es ist nicht nur einer, es ist eine ganze Bande."

"Dann sollten Sie sich an die Polizei wenden."

"Niemals!", rief Astrid. "Ich habe keine Lust, wie Tanja zu enden."

"Meinen Sie, diese Zuhälterbande hätte etwas mit dem Tod Ihrer Kollegin zu tun?"

"Woher soll ich das wissen?", versetzte Astrid. "Möglich wäre es immerhin. Vielleicht hat Tanja sich widersetzt, ihren Anteil zu bezahlen. Ich weiß es wirklich nicht. Sie hat nie mit mir darüber gesprochen. Und sie kam ja auch leider nicht mehr dazu, den Lump zu beschreiben, der sie umgebracht hat."

"Wer sind diese Kerle?", fragte Kaplan Kempf. "Kennen Sie ihre Namen?"

"Selbst wenn sie mir bekannt wären", entgegnete Astrid, "würde ich sie Ihnen nicht verraten. Halten Sie sich bitte ganz aus dieser Sache heraus, wenn Sie mich vor Unannehmlichkeiten bewahren wollen. Kümmern Sie sich um Ihre