Master of my Heart (Master-Reihe Band 1) - Holly Summer - E-Book

Master of my Heart (Master-Reihe Band 1) E-Book

Holly Summer

4,4

Beschreibung

Vivien kann es kaum glauben: Sie hat es geschafft, eine Praktikantenstelle in einem Wirtschaftsunternehmen in Boston zu bekommen. Ihr neuer Boss, Matthew McQueen, ist ein charismatischer "Alphawolf" und der begehrteste Mann an der Ostküste. Was er will, das nimmt er sich - und er will Vivien. Vivien verfällt seinen erotischen Verlockungen und findet sich bald in einer ausweglosen Situation wieder, denn sie hat sich unsterblich in ihren Chef verliebt. Aber Matthew denkt gar nicht daran, ihr die gleichen Gefühle entgegenzubringen. Stattdessen beherrscht und kontrolliert er Vivien immer mehr. Vivien hofft weiter, doch eine folgenschwere Intrige droht, alles zu zerstören ... Von Holly Summer erschienen: Master 1: Master of my Heart Master 2: Master of my Passion Master 3: Master of my Dreams Master 4: Master of my Feelings Sammelband: Master of my Emotions Boston Bad Boys 1: Secret Stranger Boston Bad Boys 2: Dark Guardian Boston Bad Boys 3: Perfect Lover Two of us: Außer Kontrolle

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Holly Summer

Master of my Heart

Master-Reihe Band 1

© 2016 Amrûn Verlag

Jürgen Eglseer, Traunstein

Covergestaltung: ASP Design, Grit Richter

Lektorat: Simona Turini, Lektorat TuriniKorrektorat: Jessica Idczak, Stilfeder

eBook Formatierung von SKY GLOBAL SERVICES

Alle Rechte vorbehalten

ISBN – 978-3-95869-095-0

Besuchen Sie unsere Webseite:

amrun-verlag.de

hollysummer.de

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind reinfiktiv. Alle beschriebenen Personen sind volljährig.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebendenoder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Vivien

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Danksagung

Das vertraute Ping und das Erlöschen der Anschnallzeichen über mir vertreiben den letzten Rest Anspannung, die mich seit unserem Start in Detroit begleitet hat. Der Anschlussflug war turbulent, jetzt bin ich auf dem Weg nach Boston, meinem endgültigen Ziel für das nächste halbe Jahr. Der kräftige Mann neben mir schläft und schnarcht gemächlich vor sich hin. Endlich. Er nervte mich unentwegt mit Geschichten über seine Verwandten aus Vancouver, meiner Heimatstadt. Erst nachdem ich provokativ einen Stadtplan von Boston aus meiner Tasche herausgenommen und die Unterlagen über meine Praktikantenstelle bei McQueen International Consulting studierte, hat er sich dem Sitznachbarn auf seiner rechten Seite zugewandt.

Dass er eine furchtbare Nervensäge ist, ist eine Sache, aber seine Ungeschicktheit stellt alles in den Schatten. Denn als die Stewardess ihm das Glas mit Rotwein rüberreichte, zitterte seine Hand so sehr, dass sich ein Teil des Getränks auf meiner Bluse wiederfand. Er murmelte schnell eine Entschuldigung. Im Gedanken sehe ich mich schon mit einer verschmutzten Bluse bei meinem Vorstellungsgespräch sitzen. Oh mein Gott! Jetzt rächt es sich, dass ich nicht doch einen früheren Flug genommen und eine Nacht in einem Hotel verbracht habe. Dann hätte ich entspannt den Tag beginnen und heute Morgen in die Firma fahren können. Na, was soll’s. Dann werde ich mich schnell noch in den Waschräumen des Flughafens umziehen, denn jetzt muss ich direkt vom Flughafen zu McQueen International Consulting fahren. Mit Jeans und Sneakers zu meinem ersten Arbeitstag zu erscheinen, ist sowieso nicht passend.

Meine Gedanken schweifen zurück nach Hause zu meiner Familie und meiner besten Freundin Jo. Eigentlich heißt sie Joanna. Aber so wird sie nur von ihrer pedantischen Großmutter genannt.

Jo war es, die mich erst auf die Idee brachte, mich für den Praktikumsplatz im Ausland zu bewerben. Mom wäre es natürlich lieber gewesen, wenn ich mein Praktikum bei ihrem Chef absolviert hätte.

Allein bei dem Gedanken hatte Jo sich vor Lachen den Bauch gehalten. Sie hatte mich so lange genervt, bis ich die Unterlagen für das Praktikum bei McQueen International Consulting eingereicht hatte. Und jetzt bin ich eine von den Bewerberinnen, die die wenigen und sehr begehrten Praktikumsplätze bekommen haben.

Jo konnte es nicht lassen, im Internet auf der Firmenseite sofort etwas über meinen neuen Arbeitgeber in Erfahrung zu bringen, und dann ploppte das Bild des Firmeninhabers auf. Auf dem offiziellen Firmenfoto sah er geradezu unverschämt gut aus. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig, maskuliner Typ, markantes Gesicht, dunkle Haare, gebräunte Haut, auf der leicht der dunkle Ansatz von Bartschatten zu sehen war. Aber genau das ist es, was ihm diese smarte Ausstrahlung verleiht, ihn weltmännisch wirken lässt. Seine dunklen Augen scheinen sein Gegenüber zu durchbohren. Buchstäblich der Typ Mann, für den die meisten Frauen ihren Stolz vergessen und hechelnd hinter ihm herlaufen würden.

Von seiner charismatischen Ausstrahlung angestachelt, musste Jo natürlich gleich darauf seinen Namen googeln, um noch mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, und dort bekam sie sämtliche Informationen, die spätestens jetzt auch mein Interesse an ihm geweckt haben. Dass Matthew McQueen attraktiv ist, steht außer Frage. Was seine privaten Beziehungen anbelangt, hat er einen Ruf, bei dem mir echt die Luft wegblieb. In einigen Presseartikeln wird er teils hämisch, teils bewundernd als »Alphamännchen« beschrieben. Was mich nicht wundert, wenn man den vielen Berichten und Bildern im Internet Glauben schenken darf, bei denen er immer mit gut aussehenden Frauen an seiner Seite zu sehen ist. Aber das scheint seinem Ruf als harten Geschäftsmann nicht zu schaden. Im Gegenteil, ganz offensichtlich genießt er das Spiel mit der Presse.

Jo ist regelrecht ausgeflippt, als ich ihr den Brief vor die Nase hielt, in dem stand: Herzlich willkommen … wir freuen uns, Sie in unserem Unternehmen begrüßen zu können.

»Vivien, du wurdest genommen! Süße, habe ich es dir nicht gleich gesagt? Ich freue mich so für dich!« Dabei umarmte sie mich und tanzte begeistert mit mir durch das Zimmer. »Und dann dieser attraktive Firmeninhaber, Matthew McQueen«, sprudelte sie schon weiter, und dabei grinste sie mich mit ihrem zweideutigen Lächeln an, was ihr einen strengen Seitenblick von mir einbrachte. Ich bin dort schließlich zum Arbeiten und nicht, um mich an den Firmeninhaber ranzumachen. Aber so ist Jo eben.

Ich spüre wieder dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch. Was wird mich erwarten? Es ist das erste Mal, dass ich für einen längeren Zeitraum einen Auslandsaufenthalt mache. Ich kann es vor lauter Aufregung auf die neue Stadt und den Job kaum erwarten, endlich da zu sein. Wenn ich das Pflicht-Praktikum und das Semester hinter mir habe, steht mir die Welt offen. Ich bin so dankbar, dass Mom und Dad letztes Jahr auf ihren Urlaub verzichtet haben, um mir das Praktikum zu finanzieren.

Es ist mein erster Flug an die Ostküste, und ja, ich fliege zum ersten Mal allein und bin etwas nervös.

Die Stewardess kommt erneut mit ihrem Getränkewagen vorbei und ich erwache aus meinen Tagträumen. Ich bewundere ihre Figur, als sie sich an mir vorbeidrängt. Ich finde mich selbst zu dünn und an den entscheidenden Stellen fehlen mir die sogenannten Kurven, um wirklich sexy zu wirken. Meine Brüste empfinde ich als viel zu klein und meine glatten blonden Haare habe ich meistens zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ich kann von mir nicht gerade behaupten, dass ich ein temperamentvoller Mensch bin. Das trifft auf Jo zu, und sie ist auch diejenige mit dem Sexappeal. Ich bin eher der ruhigere Typ von uns beiden. Aber ich weiß ganz genau, was ich will, außerdem sagt man mir nach, bodenständig und ausgeglichen zu sein. Das ist manchmal auch absolut nötig, denn Jo überspannt den Bogen ganz gern mal und dann bin ich es, die sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen muss.

Es ist sieben Uhr Ortszeit, als der Flieger zur Landung auf dem Logan International Airport in Boston ansetzt. Ich hatte den Abendflug von Vancouver über Detroit genommen, weil ich hier die wenigsten Wartezeiten hatte. Aber an viel Schlaf war da nicht zu denken. Ich bin fix und fertig.

Ich schleppe mich den Menschenmassen hinterher und da ich bereits in Detroit die Formalitäten für die Einreise hinter mich gebracht habe, begebe ich mich direkt zur Gepäckausgabe. Die Mitreisenden aus der Maschine drängeln sich um das Gepäckband. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird die Menschenmenge kleiner, aber mein Koffer ist immer noch nicht auf dem Rollband angekommen. Wo bleibt er nur? Wiederholt wandert mein Blick zwischen Armbanduhr und Gepäckband hin und her. Als das Band stoppt, habe ich ein Problem.

Verdammt, das gibt es doch nicht. Wieso muss mir denn das passieren? Ich sehe mich unschlüssig um. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, sage ich mir und gehe an den Schalter für verloren gegangenes Gepäck.

Die Frau hinter der Glasscheibe sieht mich genervt an. Scheinbar hat sie heute Nacht bereits genug verärgerte Passagiere bedient und hofft nur noch auf das Ende ihrer Schicht. Sie reicht mir ein Formular über den Tresen und bittet mich, meinen Namen, Anschrift, Telefonnummer und meine Flugnummer darauf zu notieren. Sie verspricht mir, dass man sich mit mir in Verbindung setzen wird, sobald mein Koffer gefunden worden sei. Dabei lächelt sie mich jetzt aufmunternd an.

Ich atme kurz durch, ziehe mein nagelneues iPhone aus der Tasche und suche die Adresse des Appartementhauses heraus, in dem ich mit den anderen Praktikanten die nächsten Monate wohnen werde. Nachdem ich alle Daten notiert habe, schiebe ich ihr das Formular zurück über den Tresen. Unschlüssig schaue ich an mir herunter. Na ja, die Jeans sieht gar nicht so übel aus, die Bluse ziert noch immer der Weinfleck, dessen Farbe mittlerweile unwiderruflich in auffälliges Rosa gewechselt hat, und meine Sneakers haben auch schon bessere Tage gesehen. Ich müsste mich dringend umziehen, bevor ich meinem neuen Chef unter die Augen trete.

Resigniert ziehe ich meinen Blazer über, der für die Temperatur in Boston viel zu warm ist, aber immerhin den Fleck größtenteils verdeckt und gehe zum Ausgang. Dabei fällt mir ein, dass meine Mom sicher schon auf meinen Anruf wartet.

Ich krame wieder mein iPhone aus der Tasche, das ich von meinen Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, und warte, bis ich ein Netz habe. Zu Hause ist es noch Nacht, aber ich weiß, dass meine Mom sowieso nicht schlafen könnte, bevor sie weiß, dass ich sicher gelandet bin.

Ich muss nicht lange warten, als ich die vertraute gelassene Stimme meiner Mutter höre.

»Hi Mom. Ich bin es, Vivien. Es ist alles okay. Ich bin gut gelandet, steige jetzt in ein Taxi und lasse mich direkt zu McQueen International Consulting fahren«

Dass mein Gepäck verloren gegangen ist, erzähle ich ihr lieber nicht. Wer weiß, was sie anstellen würde, um hierherzukommen. Ich kenne meine Mom nur zu gut. Nein, das schaffe ich schon allein.

»Dann bin ich ja beruhigt.« Ich höre förmlich, wie meiner Mom ein Stein vom Herzen fällt.

Sie wünscht mir noch viel Glück für meinen ersten Tag in Boston, dann verabschiedet sie sich.

Das ist wieder mal typisch für meine Mom. Auf der einen Seite will sie, dass ich selbstständig werde, um mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und auf der anderen Seite ist sie noch genauso um mich besorgt, als wäre ich noch auf der Primary School. Aber genau das ist es ja, was ich so an ihr liebe.

Vor dem Flughafengebäude stehen genügend Taxis und ich gönne mir für den ersten Arbeitstag den Luxus, mich zu dem Firmensitz meines neuen Arbeitgebers fahren zu lassen. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigt mir, dass die Zeit nun doch ziemlich knapp wird, um nicht zu spät zu erscheinen. Außerdem hatte mein Flug ein wenig Verspätung und ich will nicht gleich am ersten Tag mit Unpünktlichkeit unangenehm auffallen. Was mich wieder an den Rotweinfleck erinnert. Ich zupfe den Blazer zurecht, lasse mich auf den Rücksitz eines Taxis fallen und nenne dem Fahrer mein Ziel.

Die Sonne scheint und ich nehme die ersten Eindrücke von Boston im Frühling wahr. Was für eine schöne Stadt. Mein Dad Blake hat hier mehrere Jahre in der IT-Branche gearbeitet, bevor er und Mom geheiratet haben.

Nach dreißig Minuten erreichen wir unser Ziel im Financial District. Die Fahrt dauerte doch länger, als ich gedacht hatte. Der Verkehr ist hier fast so schlimm wie bei uns zu Hause. Ich steige aus, bezahle den Fahrer und schon stehe ich vor einem riesigen, imposanten Gebäude. In großen schwarzen Lettern prangt der Name McQueen International Consulting auf einem messingfarbenen Schild am Eingang des hohen Wolkenkratzers.

Also los, Vivien, spreche ich mir selbst Mut zu und zwinge mich zu einem Lächeln, um meine Nervosität zu überspielen. Dennoch betrete ich entschlossen das Foyer. Es ist beeindruckend. Dunkler Marmor überzieht den weitläufigen Eingangsbereich und eine Art Galerie erstreckt sich über die Hälfte des Foyers. Dahinter sind die Fahrstühle, aus denen, wie bei einem Ameisenhaufen, Menschen hinein- und herauseilen. Alles wirkt sehr gediegen und harmonisch. Noch immer ganz beeindruckt gehe ich Richtung Empfang, um mich anzumelden. Während ich mich im Laufen noch umdrehe, stoße ich mit einem kleinen Mann zusammen, der es ziemlich eilig zu haben scheint. Etwas Hartes bohrt sich in meinen Rücken und schon habe ich das Gleichgewicht verloren und lande unsanft auf dem harten Marmorboden. Der Karton, den der Fremde in der Hand hatte, fällt mit einem dumpfen Laut zu Boden und sämtliche Broschüren verteilen sich neben mir. Etwas benommen blicke ich auf. »Oh, tut mir leid, kann ich Ihnen helfen? Das ist mir so unangenehm«, höre ich die aufgeregte Stimme des Mannes, der für dieses Missgeschick verantwortlich ist, während er ungeschickt seine Papiere auf dem Boden einsammelt.

»Nein, nein, es geht schon.« Dabei versuche ich, so elegant wie möglich aufzustehen.

»Nehmen Sie meine Hand.«

Ich blicke auf und schaue jetzt in dunkle Augen, die mich fixieren.

»Ich entschuldige mich für unseren Kurierfahrer«, höre ich die tiefe Stimme des Mannes, der mir immer noch die Hand entgegenhält, und ich bin mir sicher, das attraktive Gesicht des Firmeninhabers, Matthew McQueens, zu erkennen. Schnell zieht er mich hoch. Er ist um einiges größer als ich, sodass er über meinen Kopf sehen kann, obwohl ich vor ihm stehe. Ich will mich bedanken, doch er beachtet mich nicht, stattdessen fixiert er den tollpatschigen Unfallverursacher.

»Können Sie nicht aufpassen?«, knurrt er den Fahrer an.

»Es tut mir wirklich leid, Mr. McQueen«, entschuldigt sich dieser noch einmal, bevor er schnell seine Unterlagen schnappt und eilig Richtung Ausgang verschwindet.

McQueen murmelt eine leise Verwünschung, als der Kaffee in seiner Hand überschwappt und einige Spritzer auf seiner Anzugjacke landen.

»Haben Sie sich verletzt?«, wendet er sich an mich.

Unsere Blicke treffen sich für einen kurzen Moment und mir rieselt ein leichter Schauer über die Haut. Seine Augen scheinen mich zu durchbohren.

»Nein, es ist nichts passiert«, erkläre ich schnell.

Seine Finger streifen flüchtig meinen Arm, während er mir meine Handtasche reicht, die er vom Boden aufgehoben hat. Ich nehme sie an mich und ziehe schnell die Hand weg, so, als hätte ich mich verbrannt.

»Passen Sie auf sich auf«, fordert er mich auf. Dabei schaut er mich noch einmal mit einem geheimnisvollen Lächeln an und wendet sich dann abrupt in Richtung Aufzüge.

Mist, heute ist wirklich nicht mein Tag, denke ich, drehe mich um und gehe entschlossen zum Empfang. Die Empfangsdame lächelt mich an. »Mein Name ist Vivien O’Brian. Ich habe einen Termin bei McQueen International Consulting. Ich bin eine der neuen Praktikantinnen.«

Sie räuspert sich kurz. »Ms. O’Brian. Einen kleinen Moment, ich werde Sie oben ankündigen.«

Routiniert greift die edel gekleidete Empfangsdame zum Hörer. Während sie telefoniert, betrachte ich die einzelnen Firmenschilder hinter dem Tresen, die sämtliche Unternehmen zeigen, die in diesem Gebäude ihre Büros haben. Zumeist Anwaltskanzleien, aber auch einige Arztpraxen und kleine Investmentfirmen.

»Sie werden bereits erwartet, Ms. O’Brian. Bitte nehmen Sie einen kleinen Moment dort Platz. Es wird Sie sofort jemand abholen«, dringt die freundliche Stimme der Empfangsdame an mein Ohr, dabei zeigt sie zu den bequemen Sitzgelegenheiten am Eingang.

Oh Gott, hoffentlich bin ich nicht zu spät. Ich schaue schnell auf meine Armbanduhr, die ich am Flughafen bereits auf die Ortszeit umgestellt habe. Nein, gerade noch pünktlich.

»Martha?« Matthew steht an der Tür seines Büros und schaut in sein Vorzimmer, die eine Hand am Türrahmen, mit der anderen wirbelt er Unterlagen in der Luft herum. Marthas Arbeitsplatz ist allerdings verwaist. Seine Assistentin ist sonst immer pünktlich, denn sie weiß, dass er auf Pünktlichkeit und Genauigkeit großen Wert legt.

Jane, seine Sekretärin, eilt ihm entgegen.

»Matthew, es tut mir leid, Martha hat gerade angerufen. Sie ist gestürzt und hat sich den rechten Fuß gebrochen. Ihr Arzt sagte, es sei ein ziemlich komplizierter Bruch. Sie wird mindestens vier bis sechs Wochen ausfallen«, erklärt sie mit einem resignierten Schulterzucken.

»Verflucht! Die arme Martha, ausgerechnet jetzt! Wir stehen kurz vor dem großen Deal mit den Asiaten. Da hat sie sich ja den besten Zeitpunkt ausgesucht.«

Geistesabwesend fährt Matthew sich durch seine Haare, die gleich darauf wieder in seine Stirn fallen. Kurz überlegt er, ob er Jane mitnehmen kann, verwirft den Gedanken aber sofort wieder. Er braucht sie hier im Büro. Also wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als eine Aushilfe einzustellen. Er braucht einen Ersatz. Dringend.

»Rufen Sie später die Agentur an. Die sollen uns jemanden schicken. Jetzt kümmern wir uns erst noch um die Praktikanten. Und erkundigen Sie sich bitte, ob Martha irgendetwas braucht.«

Jane nickt dienstbeflissen. »Natürlich, ich erledige das schnellstmöglich.«

Wortlos dreht er sich um und verschwindet wieder in seinem Büro.

Kurze Zeit später tritt eine stilvoll gekleidete, hübsche Frau aus dem Aufzug und kommt auf mich zu.

»Guten Morgen, Ms. O’Brian? Ich bin Jane, die Sekretärin von Mr. McQueen. Bitte kommen Sie, es tut mir leid, dass Sie warten mussten.«

»Das ist kein Problem«, versichere ich ihr freundlich, obwohl ich auf der bequemen, weichen Ledersitzgruppe fast eingeschlafen wäre.

»Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug?«

Ich nicke und Jane durchquert mit mir das Foyer. Ihre Absätze klackern auf dem glänzenden Marmor, bevor wir in den Aufzug steigen und ins oberste Stockwerk fahren.

Dies sei die Chefetage, erklärt sie mir. Auch hier sind die Böden aus dunklem Marmor. An den weißen Wänden hängen abstrakte Kunstwerke, die man bei näherem Hinsehen als Menschen identifizieren könnte. Wenn man Fantasie besitzt, könnte man sogar glauben, die Menschen auf den Bildern wären nackt. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln.

Jane führt mich weiter in einen großen Besprechungsraum, der einen umwerfenden Blick auf die Skyline von Boston bietet. Hier warten bereits zwei junge Frauen und ein Mann. Ich schätze sie alle auf Mitte zwanzig, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich. Sicher die anderen Praktikanten, die sich offensichtlich schon miteinander vertraut gemacht haben und in lockere Gespräche vertieft sind. Jane deutet auf einen Platz und stellt mich der kleinen Runde vor.

»Das ist Vivien O’Brian aus Vancouver«, erklärt sie.

Die junge Frau mit der dunklen Lockenmähne unterbricht ihre Unterhaltung, dreht den Kopf zu mir und lächelt mich freundlich an. »Hi, ich bin Carol Carson aus Texas«, stellt sie sich selbst vor und reicht mir die Hand zur Begrüßung.

Ihr offenes Lächeln lässt sie mir sofort sympathisch rüberkommen. »Vivien, freut mich«, begrüße ich sie und nehme auf dem freien Stuhl neben ihr Platz, bevor sie mir die beiden anderen Praktikanten vorstellt.

»Die schweigsame kleine Lady hier ist Beth Carmichel aus Ohio«, dabei deutet sie auf die Frau neben sich, »und das ist George West, unser Mister Loverboy, aus New York City.«

Beth nickt mir mit einem verhaltenden Hallo zu, dabei kichert sie leise über die freche Vorstellung durch Carol. George hingegen ist weniger zurückhaltend. Er beugt sich grinsend den Kopf schüttelnd über den Tisch und reicht mir seine Hand. George sieht wirklich verdammt gut aus. »Freut mich, Vivien. Willkommen im Club der Praktikanten.« Dann wendet er sich an Carol. »Damit ist ja dann wohl klar, wer hier in der Minderheit ist. Aber das geht schon in Ordnung. Ich bin zu Hause mit drei Schwestern aufgewachsen. Man könnte sagen, ich bin so etwas wie ein Frauenversteher. Also, Mädels, wenn ihr mal ein Problem habt, kommt zu Onkel George«, gibt er uns augenzwinkernd zu verstehen. Selbst Jane muss über so viele lockere Sprüche schmunzeln und bittet uns um einen kleinen Moment Geduld, bevor der Boss uns persönlich begrüßen und kurz ins Unternehmensprofil einführen wird. Na toll, Mr. McQueen gibt sich selbst die Ehre. Was wird er nur von mir denken? Ich stolpere ihm tollpatschig vor die Füße, trage schmutzige und legere Kleidung, die nun wirklich nicht in ein derartiges Unternehmen passt, und bin die Jüngste seiner Praktikantinnen. Ich gestehe es mir ungern ein, aber mein Selbstbewusstsein ist im Moment ziemlich im Keller. Da ich jetzt sowieso nichts mehr daran ändern kann, lasse ich meinen Blick neugierig durch den großen Raum gleiten bis zu dem langen Tisch vor uns. Hier liegen verschiedene Informationsbroschüren über das Unternehmen sowie eine Zeitschrift.

Carols Blick schweift währenddessen interessiert auf das Bild des Mannes, der auf dem Cover des Magazins abgebildet ist. Darunter steht in fetter schwarzer Schrift: »Geschäftsmann des Jahres«.

Sie lächelt mich an. »Das ist er ja wohl?«

»McQueen?«

»Er ist attraktiv«, bemerkt sie anerkennend.

Auch ich schiele jetzt vorsichtig an ihr vorbei und schaue ihn mir etwas genauer an. »Ja, ganz nett«, bemerke ich nur, während mir wieder diese kleine Szene im Foyer in den Sinn kommt. Und seine Augen! Diese dunklen Augen, die mich angestarrt haben. Er ist es tatsächlich.

»Ganz nett?!« Dabei zwinkert Carol mir zu. George räuspert sich und mir wird bewusst, dass er uns amüsiert beobachtet, während er versucht, sein belustigtes Lächeln zu unterdrücken. Ich schenke ihm keine größere Beachtung mehr, denn ich hatte heute bereits genug Lacher auf meiner Seite.

»Bist du auch heute erst angekommen?«, fragt Carol mich, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.

»Ja, ich komme direkt vom Flughafen.«

Sie nickt mir zu und deutet auf den rötlichen Fleck, der mittlerweile eingetrocknet ist und leider kein bisschen an Farbkraft verloren hat. Ich zucke mit den Schultern. »Mein Sitznachbar im Flugzeug hat seinen Rotwein versehentlich auf mich geschüttet«, erkläre ich.

»Warum hast du dich nicht noch umgezogen?«, fragt sie mich ganz direkt und mit leichtem Tadel in der Stimme.

»Hätte ich gerne, aber ohne Gepäck ist das etwas schwierig.«

Jetzt reagiert auch George und schaltet sich wieder in unser Gespräch ein. »Dein Gepäck ist verloren gegangen?«

»Du hast es erfasst.« Ich fühle Ärger in mir aufsteigen. Wie wirke ich denn jetzt im Gegensatz zu meinen Praktikanten-Kollegen, die aussehen, wie aus dem Ei gepellt?

»Das tut mir leid. Muss ein Scheißgefühl sein, so ohne Koffer in einer fremden Stadt.«

Ich winke ab. »Schon gut, ich werde mir einfach später die nötigsten Dinge für die nächsten Tage besorgen.«

»Vielleicht kann ich dir ja mit einigen Sachen aushelfen«, bietet mir Carol nun freundlich an.

»Danke, das ist nett.«

»Kein Problem. Meiner Tante ist so was auch schon mal passiert. Pünktlich am Tag nach ihrer Heimkehr kam ihr Gepäck zu Hause an.« Dabei schüttelt sie ihren Kopf, sodass ihr eine Strähne ins Gesicht fällt.

»Na, du machst ihr ja Mut«, wendet sich Beth, die ruhig in ihrer Ecke saß, an Carol.

Carol winkt ab. »Das ist schon eine Zeit lang her«, beruhigt sie mich. Selbstbewusst zieht Carol jetzt ihren rosa Lippenstift aus der Tasche und fährt damit ihre Lippen nach. Als hätte sie das nötig, sie sieht doch wirklich attraktiv aus. Ihre langen dunklen Haare fallen kaskadenförmig über ihren Rücken und sie hat eine sexy Figur. Ich dagegen sitze hier mit einem riesigen Rotweinfleck auf meiner weißen Bluse, Jeans, Sneakern und komme mir ziemlich linkisch vor.

Beth lächelt mich bemitleidend an.

Die Schritte und Stimmen auf dem Flur werden lauter und lassen uns in der Unterhaltung innehalten. Beth rutscht etwas unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Und jetzt tritt Matthew McQueen ein, gefolgt von Jane, die ziemlich gestresst wirkt.

»Guten Morgen! Willkommen bei McQueen International Consulting.«

Verhalten beobachte ich ihn kurz, wie er souverän den Raum durchquert und auf uns zukommt. Er sieht wirklich umwerfend gut aus. Das ist das Erste, was mir in den Sinn kommt. Mindestens einsneunzig groß, schlank und von muskulösem Körperbau. McQueen trägt einen dunkelgrauen maßgeschneiderten Anzug mit einem weißen Hemd und einer passenden dunkelgrauen Krawatte. Die Kaffeeflecken scheinen spurlos verschwunden zu sein. Seine Gesichtszüge wirken hart und er unterzieht uns nacheinander einer ausgiebigen Musterung. An mir scheint sein Interesse einen Tick länger hängen zu bleiben.

Oh mein Gott, wie sehe ich nur aus, was wird er von mir denken? Und dass er sich an mich erinnert, liegt klar auf der Hand. Meine selbstbewusste Haltung, die ich gerade eben noch an den Tag gelegt habe, verschwindet vor mir unter dem Tisch. Ich ziehe unauffällig meinen Blazer über den Rotweinfleck und verstecke meine Schuhe unter dem Stuhl, auf dem ich sitze, um ein bisschen Schadensbegrenzung zu betreiben. Er reicht jedem von uns zur Begrüßung die Hand. Sein Blick ruht erneut einen Moment länger auf mir als auf den anderen und er zieht leicht die Mundwinkel nach oben. Ich kann nur verhalten zurücklächeln. Was würde ich jetzt für seine Gedanken geben!

Verdammt, verdammt, verdammt!

Seine Worte reißen mich aus meinen Gedanken.

»Mein Name ist Matthew McQueen, wie Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte.«

Und ob uns das bekannt ist. Dank Jos Recherchen weiß ich viel zu viel über ihn. Ich bin wirklich verblüfft über seine charismatische und selbstbewusste Ausstrahlung. Dieser Mann weiß sicher ganz genau, was er will und wie er es kriegen kann. Er wird nie etwas dem Zufall überlassen, das steht fest. Sein Leben ist ohne Zweifel bis ins kleinste Detail durchorganisiert. Und Inkompetenz ist ein Wort, das in seinem Sprachgebrauch ganz sicher nicht vorkommt. Das hat mir die Szene gerade eben im Foyer bewusst gemacht. Allein seine Art, wie er mir zu Hilfe geeilt ist und mit dem Kurierfahrer gesprochen hat. Wie er ihn zurechtgewiesen hat, ohne unhöflich zu werden, und um mein Wohlergehen besorgt war, hat mich beeindruckt. Er macht nicht den Eindruck auf mich, als wäre er ein Tyrann, vielleicht lässt er diesen an schlechten Tagen heraushängen, aber mein erster Gedanke ist einfach: Was für ein Mann. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelingt es mir, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, und ich nehme seine Worte wieder wahr.

»… diese Firma aufgebaut, indem ich hart an meinen Zielen gearbeitet habe, und das sollten Sie ebenfalls. Verlieren Sie niemals das Ziel aus den Augen und zweifeln Sie nicht an sich selbst. Zeigen Sie volle Leistung und bringen Sie Ihre Ideen ein. Wir sind ein modernes Unternehmen und für Vorschläge offen. Niemand wird Ihnen den Kopf abreißen, wenn Sie einen Fehler machen. Und ich verspreche Ihnen, Sie werden in der Zeit, in der Sie hier sind, eine Menge lernen. Noch Fragen?« Sein Blick schweift durch den Raum und taxiert kurz jeden einzelnen von uns.

Wir sitzen alle etwas perplex – ich, weil ich nur die Hälfte mitbekommen habe, und die anderen vielleicht aus demselben Grund – in unseren Stühlen, die uns noch kleiner wirken lassen, sofern das nach dieser Ansprache noch möglich ist. Da keiner von uns weitere Fragen hat, fährt McQueen fort.

»Gut, Jane, meine Sekretärin, haben Sie bereits kennengelernt. Sie wird Ihnen heute eine kurze Einweisung in die Unternehmensstruktur geben. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an sie. Die Unterlagen vor Ihnen auf dem Tisch schauen Sie sich bitte bis Montag an. Darin können Sie alle Einzelheiten zum Unternehmensprofil sowie die unterschiedlichen Geschäftsbereiche einsehen. Ein Fahrer wird Sie später zu Ihren Appartements bringen. Nutzen Sie die nächsten Tagen, um sich hier etwas einzuleben. Ich erwarte Sie dann alle am Montag in Ihren entsprechenden Abteilungen.« Jetzt gleitet sein Blick wieder zu mir, und er fixiert mich mit einem breiten Lächeln auf seinen Lippen, als er schmunzelnd sagt: »Ach und übrigens, Freitag ist unser Casual-Tag in der Firma, und zwar nur freitags, alles klar?« , zwinkert er mir zu.

Mit diesen letzten Worten verabschiedet er sich, und ich nicke ganz unbewusst. Sein Blick ruht beim Verlassen des Raumes noch mal auf mir, und wie hypnotisiert schaue ich ihm hinterher. Dann dreht er sich kurz in der Tür um und unsere Blicke treffen sich für einen winzigen Moment, bevor ich schnell wegschaue.

»Jane, ich möchte Sie kurz unter vier Augen sprechen, in meinem Büro«, höre ich ihn noch sagen. Die Worte kommen leise, aber bestimmt über seine Lippen. Eins ist klar, dieser Mann duldet keinen Widerspruch.

Carol neben mir ist ganz hin und weg von Matthew McQueen, Beth hingegen wirkt etwas eingeschüchtert – genau der Eindruck, den ich bereits von ihr gewonnen hatte; sie scheint eher ängstlich und zurückhaltend zu sein –, während George den Kerl irgendwie cool findet und ihm mit blitzenden Augen hinterherstarrt.

Ich fühle mich wie Mogli aus dem Dschungelbuch, als er gerade von Kaa, der Schlange, hypnotisiert wird. Kein Grund zur Besorgnis, ermahne ich mich stumm, er hat es scheinbar mit Humor genommen. Aber warum mache ich mir denn darüber noch Gedanken, ich werde den Chef der McQueen International Consulting sicherlich so schnell nicht wieder zu sehen bekommen, da ich im Bereich des Marketings arbeiten soll. Er ist schließlich nicht mein direkter Vorgesetzter. Zum Glück!

Kurze Zeit später nehme ich die angenehme Stimme der Sekretärin wahr. »Ms. O’Brian?« Jane steckt den Kopf zur Tür herein und bittet mich, ihr zu folgen. Ich erschrecke und werfe Carol einen besorgten Blick zu, als wir unser Gespräch unterbrechen müssen. Mist, habe ich etwas falsch gemacht? Meine Hände werden feucht. Scheinbar habe ich ihn falsch eingeschätzt und jetzt wird er mir unter vier Augen sagen, was er von mir hält. Meine Stimmung rutscht heute nicht zum ersten Mal in den Keller.

Ich stehe von meinem Stuhl auf und verlasse mit Jane den Raum. Wir gehen den langen Flur entlang, durch das Vorzimmer der Sekretärin bis zu der großen Tür an der sein Name in schwarzen Buchstaben steht: Matthew McQueen, CEO. Davor bleibt Jane stehen und schaut mich lächelnd an.

»Mr. McQueen möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Ms. O’Brian.« Sie zwinkert mir zu, und noch während Jane das sagt, schiebt sie mich auch schon in das Chefbüro.

Es ist riesig, und im Gegensatz zu dem restlichen Gebäude ist hier alles in Weiß gehalten. Der Raum wird als Kontrast dazu von einem großen modernen Designertisch aus dunklem Holz beherrscht, dahinter befindet sich eine Tür. In die Wände sind Regale eingelassen, die mit Büchern und skurrilen Skulpturen bestückt sind; zwei Wände sind komplett aus Glas und bieten einen berauschenden Ausblick auf Boston. Davor steht ein altes Chesterfield-Sofa und am anderen Ende ist eine Besprechungsecke eingerichtet, ebenfalls mit Designermöbeln.

Ich bin total durcheinander. Das ist wohl auf die schlaflose Nacht zurückzuführen. Erfolglos versuche ich, ein Gähnen zu unterdrücken, und mache mich innerlich auf seine Ansprache bereit, die gleich folgen wird.

McQueen steht mit dem Rücken zu mir am Fenster und schaut hinaus. Er telefoniert über die Freisprechfunktion. Seinen Gesprächspartner kann ich nicht verstehen, er redet in einer fremden Sprache.

Plötzlich dreht er sich zu mir um und beendet sein Gespräch. Er schaut mich eine Weile mit seinem herausfordernden Blick an.

Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt und sich mein Pulsschlag beschleunigt. Warum fühle ich mich in seiner Nähe wie das Kaninchen unter dem Blick einer Schlange? Mir wird ganz schwummerig.

Langsam kommt Matthew McQueen auf mich zu, ich habe das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und bekomme noch mit, wie er seinen Arm ausstreckt und mich am Ellenbogen anfasst.

»Ms. O’Brian«, höre ich ihn noch rufen und dann wird es endgültig schwarz vor meinen Augen.

Ich liege auf dem alten Chesterfield-Sofa, als ich die Augen aufschlage. Das erste, das ich sehe, ist ein kleiner Riss in der weißen Decke über mir, dann wird mir schlagartig bewusst, wo ich mich befinde. Ich drehe den Kopf zur Seite und schaue in dunkle Augen, die mich besorgt mustern. Was ist passiert? Bin ich tatsächlich im Büro des Chefs ohnmächtig geworden? Das kann doch nicht wahr sein, so was passiert doch nur im Film. Gleich zweimal kurz hintereinander muss er mich vom Boden auflesen. Mein Gott, wie peinlich ist das denn? »Was ist passiert?«

»Sie wurden ohnmächtig. Bleiben Sie ruhig liegen.«

Okay, die bekannte tiefe Stimme von Mr. McQueen dringt an mein Ohr, und schon sitzt er neben mir, zu dicht neben mir, auf dem Sofa. Ich kann seinen Duft einatmen. Er riecht so gut nach teurem Aftershave. Matthew McQueen legt wie selbstverständlich seine Hand in meinen Nacken und hält mir ein Glas an den Mund.

»Das ist Wasser. Trinken Sie.«

Etwas verunsichert greife ich nach dem Glas in seiner Hand und drehe meinen Kopf ein wenig zur Seite, sodass er seine Hand aus meinem Nacken nimmt. Schnell trinke ich einen Schluck.

Er beobachtet mich nachdenklich. »Ich sagte Ihnen doch, Sie sollen auf sich aufpassen, oder liegt es an mir, dass Sie in Ohnmacht gefallen sind? Ich muss ja einen furchtbaren Eindruck bei Ihnen hinterlassen haben. Bin ich wirklich so schrecklich?« Dabei lächelt er mich an. »Sie sollten keine Gewohnheit daraus machen. Passiert Ihnen so etwas öfter?«

Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. »Nein, das ist mir noch nie passiert. Und es liegt ganz sicher nicht an Ihnen. Tut mir leid.«

»Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen«, dringt seine ruhige Stimme wieder an mein Ohr. Er hat mich auf das Sofa getragen, und was meinte er mit: Liegt es an mir? Ich werde wieder rot. Ich sollte mich schnellstens unter Kontrolle bekommen.

McQueen steht auf, drückt eine Taste auf seinem Telefon und Jane erscheint kurz darauf in der Tür. Sie verzieht keine Miene, als sie mich hier liegen sieht, so als wäre es die normalste Sache der Welt.

»Jane, sagen Sie Roger Bescheid, er soll in zehn Minuten heraufkommen.«

»Ja, Sir, wird erledigt.«

Und schon ist Jane wieder entlassen. Ich will mich aufsetzen. Es ist schon peinlich genug, dass die Sekretärin gesehen hat, wie ich auf seinem Sofa liege, was soll sie von mir denken? Aber da höre ich schon Mr. McQueens Stimme.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Was für einen Vorschlag?«, frage ich benommen und setze mich jetzt doch auf.

»Bleiben Sie ruhig noch liegen und hören Sie mir zu.«

»Danke, es geht schon wieder.«

Er nickt, dann spricht er weiter. »Meine persönliche Assistentin, Martha, ist plötzlich erkrankt, und in der nächsten Woche will ich einen großen Deal mit asiatischen Investoren zum Abschluss bringen. Ich weiß natürlich, dass Sie von der Materie und meinen Geschäften noch keine Ahnung haben. Aber wie ich in Ihren Bewerbungsunterlagen gelesen habe, lebten Sie eine Weile in China und Ihnen ist ein Job als Assistentin der Geschäftsleitung nicht fremd.« Er klingt resolut. Er wird mir doch nicht den Job anbieten wollen? Aber genau in diesem Moment wird mir klar, dass genau das seine Absicht ist. Etwas sagt mir, dass er überhaupt nicht mit einem Nein rechnet. Warum auch? Das ist ein gigantischer Vorschlag für jemanden wie mich.

Himmel. Ich wusste, ich hätte nicht auf Jo hören und meinen Ferienjob bei Mr. Brown in dem Marketingunternehmen so aufbauschen dürfen.

Mr. McQueen redete unbeirrt weiter. »Was meinen Sie? Möchten Sie für Martha einspringen?«

»Ich weiß nicht.«

Er winkt ab. » Sie brauchen dazu kein fundiertes Fachwissen. Meine Termine und Korrespondenz übernimmt zum größten Teil Jane. Sie würden mich auf Konferenzen begleiten, Protokolle führen und besonders bei Geschäftsterminen im Ausland müssten Sie an meiner Seite sein. Solche Meetings sind bei mir in der Regel sehr häufig und Jane kann das nicht alles abdecken.« Er sieht mich dabei fragend an.

Ich bin sprachlos. Er will mich als seine persönliche Assistentin.

Sein Blick ruht auf dem Rotweinfleck, und ich werde schon wieder rot.

»Ach ja, und noch etwas.« Er deutet auf meine Bluse. »Sie sind meine Visitenkarte. Wenn Sie negativ auffallen, fällt es auf mich zurück.«

Endlich erwache ich aus meinem Dornröschenschlaf und schalte wieder auf Empfangsmodus. »Tut mir leid. Als ich heute Morgen aus dem Flieger ausstieg, war mein Koffer nicht aufzufinden, und ich wollte nicht gleich an meinem ersten Tag zu spät kommen, indem ich die Zeit mit Shoppen verbringe. Mein Sitznachbar im Flugzeug war etwas ungeschickt und hat seinen Rotwein verschüttet.«

»Ah ja?« Er zieht die Augenbraue spöttisch hoch und das weckt in mir das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben. »Wenn Sie künftig für mich arbeiten, werden Sie anständig gekleidet sein und pünktlich erscheinen. Ich dulde weder schlampige noch unzuverlässige Mitarbeiter«, erklärt er mit einem hintergründigen Lächeln.

In diesem Moment erscheint Roger im Türrahmen. Roger nickt mir grüßend zu.

»Ms. O’Brian, das ist Roger, mein Fahrer. Roger, das ist Ms. O’Brian. Sie wird Martha vorübergehend vertreten.« Dabei schaut er mich fragend an.

Ich zucke unsicher mit den Schultern und nicke. Da ich seiner Aussage also nicht widerspreche, redet er weiter. »Ms. O’Brians Gepäck ist verloren gegangen. Kümmern Sie sich darum! Haben Sie noch Ihre Flugabschnitte, Ms. O’Brian?«, fragt McQueen nun an mich gewandt.

»Äh, nein, ich habe mich bereits selbst darum gekümmert. Danke.«

Mein Chef lächelt mich wieder an. Dachte er etwa, ich könnte das nicht selbst erledigen? Ich habe heute offenbar einen grandiosen Eindruck hinterlassen. Gerade noch kann ich mir ein Augenrollen verkneifen.

»Roger, wir werden bei Richard’s zu Mittag essen. Ms. O’Brian und ich haben einiges zu besprechen. Das werden wir dann beim Essen tun. Ich lade Sie selbstverständlich ein.« Dabei schaut er mich auffordernd an.

Roger dreht sich bereits um und entfernt sich mit den Worten: »Selbstverständlich, Sir«.

Wenige Augenblicke später verlassen wir das Büro und gehen in Richtung Aufzüge. Ich spüre McQueens Hand auf meinem Rücken. Was ist nur mit mir los? Ich habe doch noch nie so eine starke Anziehungskraft zu einem mir fast völlig Fremden empfunden. Jane schaut von ihrem Computer auf und zwinkert mir zu. Ich lächle zurück.

»Jane, falls Greg anruft, ich bin außer Haus«, weist sie mein künftiger Boss noch im Vorbeigehen an. »Sagen Sie meinen Termin mit White für heute Nachmittag ab, den mit Greg verlegen Sie bitte auf heute Abend bei mir zu Hause.«

Der Aufzug kommt prompt und wir steigen ein. Ich beobachte Matthew McQueen von der Seite, bis er sich zu mir umdreht, und werde schon wieder rot. Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

»Geht es Ihnen jetzt wieder besser, Vivien?«

Vivien? Er spricht mich mit meinem Vornamen an. Ich reiße mich zusammen und nicke.

»Kommen Sie!« Die Aufzugtüren öffnen sich, McQueen legt seine Hand auf meine Wirbelsäule und leitet mich sanft durchs Foyer, weiter zum Firmenausgang zu dem bereits wartenden SUV. Die Empfangsdame grüßt ihn und schaut uns mit einem neugierigen Blick an. Sie scheint heute einiges geboten zu bekommen.

Roger öffnet mir die Wagentür und ich werde sanft von meinem Chef hineingeschoben. Er wechselt noch kurz ein paar Worte mit seinem Fahrer und setzt sich dann zu mir auf den Rücksitz. Während der Fahrt führt er zwei Telefongespräche und ich entspanne mich langsam. Wie könnte ich auch nicht? Matthew McQueen sieht fantastisch aus und er will mich als seine Assistentin. In Gedanken lasse ich den Tag noch einmal Revue passieren. Ich bin gespannt, was Jo zu den Entwicklungen sagen wird.

Mein Chef lächelt mich immer wieder an, während er telefoniert. Gelegentlich klingt er so selbstbewusst und herablassend, als würde er die Kompetenz seines Gesprächspartners infrage stellen.

Mein Gott, ist dieser Mensch arrogant. Und doch fühle ich mich so in seinen Bann gezogen. Das ist doch verrückt.

Roger stoppt den Wagen vor einer Boutique in einer exklusiven Einkaufsgegend, bevor er aussteigt und uns die Tür geöffnet. McQueen springt heraus und hält mir die Hand entgegen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen.

»Ich dachte, wir fahren zum Essen?«, frage ich verwirrt.

»Ms. O’Brian, wollen Sie weiter so herumlaufen?«

Sein Blick schweift von meinem Gesicht zu meiner Bluse und mustert die Flecken missbilligend. Er hat ja recht, ich sollte schnellstens das Outfit wechseln. Aber warum gerade diese Gegend? Die Läden sind mir viel zu teuer. Ich sehe einige Labels der angesagtesten Designer. Das mag McQueens Einkaufsgegend sein, aber nicht meine.

»Mr. McQueen, ich … glaube nicht …«, stottere ich.

Er fällt mir ins Wort. »Gehen Sie schon rein und suchen Sie sich etwas Passendes aus. Dann gehen wir essen.«

Ich betrete die Boutique. Vielleicht finde ich ja wirklich etwas Günstiges, das meinen Geldbeutel nicht übermäßig beansprucht.

Die Verkäuferin begrüßt uns überschwänglich. »Mr. McQueen, schön, Sie wieder einmal zu sehen. Was kann ich für Sie tun?«

Hm, er kauft hier wohl öfter ein. Für seine Freundin vielleicht? Ich lasse meinen Blick über die aktuelle Kollektion wandern, in der Hoffnung, vielleicht in irgendeiner Ecke einen Kleiderständer mit reduzierter Ware zu finden. Aber leider werde ich enttäuscht. Meine Aufmerksamkeit wird dennoch von einem himmelblauen, auffälligen langen Sommerkleid angezogen, das ich bereits im Schaufenster kurz bewundern konnte. Ich lasse den zarten Stoff durch meine Hände gleiten, bis ein leises Räuspern von Mr. McQueen mich wieder an den Sinn und Zweck unseres Besuches aufmerksam macht. Ich murmle eine kurze Entschuldigung und wende mich der Verkäuferin zu.

McQueen wirft mir einen kurzen Blick zu und erwidert: »Vielleicht helfen Sie meiner Begleitung. Sie braucht eine neue Bluse. Und dann schicken Sie einige Business-Kostüme mit passenden Schuhen an meine Adresse, Rechnung wie immer«, beauftragt er die Verkäuferin leise, wohl, damit ich es nicht mitbekomme. Oder so tun kann, als ob.

Kostüme auf Firmenkosten? Der Job könnte mir gefallen.

Und die Frau an seiner Seite kann sich glücklich schätzen, wenn er Angestellten gegenüber schon so großzügig ist.

»Selbstverständlich gern, Mr. McQueen«, flötet die Verkäuferin. Sie schaut mich an und fragt: »Größe achtunddreißig?«

»Sechsunddreißig«, antworte ich und folge ihr in den hinteren Teil des Ladens. Wäre ich nicht mit McQueen hier, würde sie mich sicherlich gar nicht wahrnehmen.

Die Verkäuferin zeigt mir einige schöne Oberteile. Ich entscheide mich nach einigem Zögern zwischen der grauen und der rosafarbenen Bluse für die hellrosa Seidenbluse, die sie mir entgegenhält, obwohl ich die graue auch gerne nehmen würde. Sie zeigt mir die Umkleidekabine und zieht den Vorhang hinter mir zu. Davor höre ich McQueen, wie er sich leise mit der Verkäuferin unterhält.

»Welche Schuhgröße haben Sie, Ms. O’Brian?«, dringt seine tiefe Stimme durch den geschlossenen Vorhang zu mir.

»Größe achtunddreißig«, antworte ich, während ich mich von meiner schmutzigen Bluse befreie. Er reicht mir diskret ein paar schwarze High Heels mit passendem Cocktailkleid durch den geschlossenen Vorhang.

»Probieren Sie die hier mal an.«

»Soll ich das Kleid auch anprobieren?«, frage ich etwas irritiert. Ich kann ihn fast vor mir sehen, wie er die Augen rollt, als er mir antwortet.

»Selbstverständlich, ja.«

Das Kleid in Kombination mit den Schuhen ist ein Traum und passt, als wäre es wie für mich gemacht. Echte Louboutins! Die wollte ich schon immer mal haben, aber wo hätte ich solche Schuhe schon tragen können? Ganz abgesehen von dem Preis, der mir ein dickes Loch in mein Budget gerissen hätte. Der Absatz der Schuhe ist mindestens zehn Zentimeter hoch, sodass meine schlanken Beine noch länger wirken.

»Ist die Größe richtig?«, reißt mich mein Chef aus meinen Gedanken. Er muss direkt vor der Umkleidekabine stehen.

Schnell ziehe ich das Kleid aus, schlüpfe wieder in meine Jeans und probiere jetzt die Bluse an. »Das Kleid ist fantastisch, Mr. McQueen, und die Schuhe passen perfekt.«

»Das freut mich«, höre ich ihn sagen.

Die Seide liegt wunderbar weich auf meiner Haut, ich schließe gerade den letzten Knopf und verliebe mich augenblicklich in das edle Kleidungsstück. Ich schaue auf das Preisschild und mir bleibt die Luft weg. Die kann ich mir unmöglich leisten!

Da höre ich bereits McQueens Stimme. »Fertig?«, und schon wird der Vorhang zur Seite geschoben und er steht direkt hinter mir. Er starrt mich über den Spiegel hinweg an und lässt seinen Blick langsam über meinen Körper wandern, sodass ich peinlich berührt wegschaue. Sekunden später treffen sich unsere Blicke erneut im Spiegel. Ich kann seinen warmen Atem im Nacken spüren und könnte schwören, dass sich seine Atmung in den letzten Sekunden beschleunigt hat.

»Reizend. Gefällt sie Ihnen?«, fragt er nun wieder ganz beherrscht.

»Ja, schon, aber die kann ich mir nicht …«

Weiter komme ich nicht. Er unterbricht mich, indem er der Verkäuferin signalisiert, dass er die Bluse kaufen möchte.

»Ach, legen Sie die graue Bluse, die meine Begleiterin in der Hand hatte, auch noch dazu. Es ist doch ihre Größe?«, fragt er die Verkäuferin, die bejahend nickt, dabei zwinkert er mir zu. »Sehen Sie es als kleine Entschädigung für die Sache im Foyer an«, wendet er sich an mich und überreicht mir die Tüte.

»Danke, aber es war doch nicht Ihre Schuld«, antworte ich etwas perplex.

»Nein, aber es war mein Kurierfahrer.«

Da mir hierauf nichts mehr einfällt, was ich erwidern kann, folge ich ihm nach draußen. Roger wartet bereits pflichtbewusst am Wagen und hält uns die Tür auf, um uns ins Restaurant zu fahren.

Sein Club, wie er ihn nennt, befindet sich in einem wunderschönen Stadthaus in der Commonwealth Avenue, einer der teuersten Gegenden der Stadt, wie mir mein Dad erzählt hat. McQueen führt mich ins Restaurant im ersten Stock. Dort werden wir von einem Kellner begrüßt und zu einem ruhigen Platz geleitet.

»Wie immer, Sir?«, fragt der Kellner.

Mr. McQueen nickt und schiebt mich auf einen mit Seide bezogenen Stuhl. Er nimmt mir gegenüber Platz und schaut mir mit seinem durchdringenden Blick in die Augen.

»Ms. O’Brian, ich habe Sie für diesen Job ausgewählt, weil ich mir anmaße, eine exzellente Menschenkenntnis zu besitzen.«

Ich sehe ihn unsicher an.

»Haben Sie etwa Angst vor mir, Ms. O’Brian?«, fragt er mit zuckersüßer Stimme und lächelt mich provozierend an.

Ob ich Angst habe? Mein Gott, ich bin total durcheinander. Ich sitze hier mit dem Firmeninhaber von McQueen International Consulting und er fragt mich, ob ich Angst vor ihm habe. Ich würde es nicht Angst nennen. Ich bin fasziniert, nein, es ist vielmehr. Ich fühle mich von ihm magisch angezogen.

»Nein …«, kommt es zögernd von mir.

»Dann vertrauen Sie mir doch einfach. Ich bin überzeugt, dass Sie Ihre Sache gut machen werden. Ich hätte Sie sonst nicht ausgewählt. Sie haben einen ausgezeichneten Schulabschluss. Soweit ich weiß, waren Sie eine der Besten in Ihrem Jahrgang. Und wie ich schon sagte, die Aufgaben einer Assistentin sind Ihnen nicht fremd. Ich habe mich selbstverständlich erkundigt. Entspannen Sie sich, ich beiße nicht.«

Ich blinzle verblüfft. Worüber hat er sich erkundigt? Hat er etwa in der Marketingfirma, in der ich während meines Bachelorstudiums gearbeitet habe, Erkundigungen über mich eingezogen? »Sie haben mit Mr. Brown gesprochen?« Ich schaue ihn ungläubig an.

Er nickt. »Ein Mann in meiner Position muss über alles informiert sein, Ms. O’Brian. Ich überlasse niemals etwas dem Zufall«, beantwortet er mir meine Frage.

Ich sollte ihn wohl nie unterschätzen.

»Die Arbeit als meine Assistentin wird sich später in Ihren Bewerbungsunterlagen positiv auswirken. Sie werden sehen, Sie werden sich sicher schnell an mich gewöhnen. Davon bin ich überzeugt.« Diesen letzten Satz spricht er betont langsam aus.

Der Kellner serviert mir zwischenzeitlich einen Aperitif, sodass ich einen Moment durchatmen kann.

Der Geschäftsführer der McQueen International Consulting hält mich für fähig genug. Mich, die heute nicht gerade den besten Eindruck hinterlassen hat, um als seine Visitenkarte zu fungieren. Warum hat er nicht Carol gefragt? Sie sieht toll aus, war absolut perfekt gekleidet und ist nicht bereits im Foyer von einem Kurierdienst umgerannt worden, ganz zu schweigen von der Sache in McQueens Büro. Und doch muss ich einiges richtig gemacht zu haben. Und wie er mich des Öfteren angesehen hat und auch gerade jetzt wieder! Es ist wieder da. Unaufhörlich steigert sich dieses warme Gefühl in meinem Inneren, das mich ganz unruhig werden lässt, wenn er mir so nah ist. Ich möchte am liebsten meine Augen schließen, meine Hände auf seine Brust legen und mich von ihm einfach nur fest an sich drücken lassen. Wie er wohl riecht? Und ob dunkle Brusthaare seinen Oberkörper bedecken? Schnell verdränge ich meine unmöglichen Gedanken. Konzentriere mich stattdessen lieber auf das Hier und Jetzt. Meine Neugierde siegt, und warum sollte ich die Chance ablehnen, Martha zu vertreten? Es ist schließlich nicht mein erster Job als Assistentin. McQueen sieht umwerfend aus, scheint auch nett zu sein, vielleicht ein wenig bestimmend, und ich will ihn wahnsinnig gern näher kennenlernen. Wieso zögere ich eigentlich? Vielleicht, weil er mich in diesen ruhelosen Zustand versetzt. Wenn er mich nur ansieht, erhöht sich mein Pulsschlag. Er hat recht, dies hier ist eine einmalige Chance, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Und im Grunde scheint für McQueen die Frage längst beantwortet zu sein. Er will mich! Außerdem, was würde das für einen Eindruck auf ihn machen, wenn ich die Zusammenarbeit mit ihm ablehnen würde? Dieser Mann ist der absolute Wahnsinn, auch wenn er mir manchmal doch etwas Angst einflößt, was ich natürlich nie zugeben werde. Ich denke, ich werde den Job machen.

Und dann höre ich mich sagen: »Ich würde mich freuen, als Ihre persönliche Assistentin zu arbeiten, und danke für die Bluse, Mr. McQueen.«

Danke für die Bluse. Habe ich das wirklich gesagt? Wie hört sich das denn an?

McQueen lächelt und wirkt jetzt sichtlich entspannt. »Gut, ich verspreche Ihnen, mit mir wird es nicht langweilig«, sagt er, wieder ganz Chef.

Der Kellner kommt mit unserer Vorspeise und jetzt merke ich erst, wie hungrig ich bin. Mr. McQueen füllt mein Glas erneut mit Wasser und wir genießen das geräucherte Lachstatar mit einer exquisiten Soße.

»Nach dem Essen werde ich Sie zu Ihrer Unterkunft bringen und Sie ruhen sich erstmal aus. Ich brauche Sie schließlich voll einsatzfähig. Nicht, dass Sie mir nochmal in Ohnmacht fallen«, sagt er und grinst mich dabei an.

Wir unterhalten uns jetzt ganz ungezwungen. McQueen erzählt mir, wie er mit einem kleinen Softwareunternehmen angefangen hat, das ziemlich runtergekommen war. Er hat es aufgekauft, das Management ausgetauscht und mit neuen Ideen wieder marktfähig gemacht. Mit den Jahren hat er dann seine Firma erweitert und sich ganz auf Unternehmensberatung spezialisiert. Neben seinen Marketingkenntnissen, mit denen er das Unternehmen schnell aus den roten Zahlen geholt hat, besitzt er auch noch das Talent, Firmen aufzukaufen und dann mit so viel Gewinn wie möglich zu liquidieren. Ihm gehören verschiedene Bürokomplexe in der Stadt, Häuser und sogar ein Firmenjet.

»Erzählen Sie mir von sich, Vivien. In Ihren Bewerbungsunterlagen haben Sie geschrieben, dass Sie sich sehr für Sprachen interessieren. Vor allem für Chinesisch. Wie kommt es, dass Sie gerade diese Sprache gelernt haben?« Er beugt sich ein wenig vor und sieht mich aufmerksam an.

»Dad wurde beruflich nach China versetzt. Das war, als ich elf Jahre alt war. Zu Beginn sollte es nur vorübergehend sein und dann wurden doch drei Jahre daraus. Ich bin dort auf die International School gegangen.«

Er nickt bewundernd. »Ich erwähnte es ja bereits heute Morgen in meinem Büro: Ihre Sprachkenntnisse und Ihre Erfahrungen mit den Gepflogenheiten der chinesischen Lebenskultur im Besonderen machen Sie für mich interessant. Der Ausfall meiner Assistentin kurz vor einem wichtigen Treffen mit meinen chinesischen Geschäftspartnern bringt mich in Schwierigkeiten, wenn ich keinen geeigneten Ersatz finde. Ich habe Ihnen den Job nicht ganz uneigennützig angeboten. Es war einfach eine glückliche Fügung.«

Ich fühle mich geschmeichelt, greife zu dem Glas und trinke einen Schluck, bevor ich weitererzähle. »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, verbrachte die meiste Zeit meines Lebens in British Columbia. Das war nicht besonders aufregend, und ich bin das einzige Kind meiner Eltern«, berichte ich, als er mich unterbricht.

»Erzählen Sie mir was, das ich noch nicht weiß, Vivien.« Dabei schaut er mich wieder mit diesem abschätzenden Blick eines Wolfes an, der bereit ist, seine Beute zu erlegen.

»Was möchten Sie denn wissen?«, frage ich ihn etwas verwirrt.

»Näheres von Ihrer Familie und Ihren Freunden, Hobbys. Haben Sie einen Freund?«

Hoppla! Ob ich einen Freund habe, warum will er das denn wissen? Muss ich ihm das wirklich alles sagen? Ich entscheide mich dafür, zuerst von meinen Eltern zu berichten. Dass ich keinen Freund habe, verschweige ich. Das geht ihn wirklich nichts an. Aber der Gedanke schwirrt immer noch in meinem Kopf umher.

Zum Glück spricht er mich auch nicht weiter darauf an. »Und welche Bücher lesen Sie gerne?«, fragt er stattdessen.

»Ich bevorzuge historische Romane. Außerdem lese ich gerne Stolz und Vorurteil von Jane Austen, das ist mein absolutes Lieblingsbuch. Ich habe es schon zigmal gelesen.«

»Eine Romantikerin also.«

Ich werde rot. Verdammt, warum bin ich nur so unsicher in seiner Nähe? Besonders, wenn er mich so intensiv ansieht, als wollte er tief in meine Seele blicken. Oder bilde ich mir nur ein, dass er ein Interesse an mir hat, das über das rein Geschäftliche hinausgeht? Ich gehe nicht weiter auf das Thema ein und erwähne lieber meine Hobbys, als der Kellner einen weiteren Gang vor mir auf den Tisch stellt. Leider warnt er mich zu spät, dass der Teller heiß ist, und ich verbrenne mich an dem Porzellan. Schnell ziehe ich die Hand zurück und halte sie an das kalte Wasserglas.

»Alles in Ordnung, Vivien?«, fragt McQueen.

»Ja, ja, ist nicht weiter schlimm. Ich bin nicht sehr schmerzempfindlich«, beruhige ich ihn.

Er lehnt sich entspannt zurück, als ich ihm von meiner Leidenschaft, dem Fechten, erzähle. Verblüfft schaut er mich an.

Das hätte er wohl nicht von mir gedacht, mutmaße ich ein bisschen stolz.

»Ja«, sage ich auf sein interessiertes Nachhaken, »ich fechte, seit ich sieben Jahre alt bin. Dieser Sport hat mich sofort fasziniert. Schon nach meiner ersten Trainingsstunde wusste ich, dass ich alles dafür tun würde, um meine Eltern zu überreden, mich im Fechtclub anzumelden. Meine Mom hatte anfangs Bedenken, als sie die Waffen gesehen hat, aber mein Trainer hat sie beruhigt und ihr alles erklärt. Dad meinte, es wäre nur gut für ein Mädchen, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln.«

Dieses Mal breitet sich wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Das macht ihn noch unwiderstehlicher, aber leider habe ich es erst zweimal an ihm gesehen. »Sie gefallen mir bisher so, wie Sie sind, Vivien. Und als meine persönliche Assistentin nennen Sie mich bitte Matthew!«

Dann wird sein Blick nachdenklich. »Ihre Mom hatte sicher nicht ganz unrecht. Fechten ist ein sehr gefährlicher Sport, oder, Vivien?«

»Na ja, ein paar blaue Flecke sind da nicht ungewöhnlich, ich kann mit Schmerzen umgehen. Aber es hält sich in Grenzen. Ich würde Fechten nicht gerade als gefährlich bezeichnen. Da gibt es doch ganz andere Sportarten, wie Boxen zum Beispiel. Das ist gefährlich.«

Er zieht überrascht eine Augenbraue hoch. »Man muss nur immer die Deckung wahren. Genau wie beim Fechten. Gut zu wissen. Okay, essen Sie auf, dann gehen wir.« Er schmunzelt und es wirkt fast ein wenig jungenhaft.

Die Appartements, die ebenfalls zum Firmenbesitz von McQueen International Consulting gehören, befinden sich am Charles River in Beacon Hill, einem wunderschönen Stadtteil von Boston. Nach einer kurzen Fahrt halten wir vor einem dreistöckigen Haus mit roten Ziegeln. Hier sind für uns Praktikanten vier kleine EinzimmerAppartements reserviert. Ein echter Luxus! McQueen scheint trotz seiner hohen Anforderungen an seine Mitarbeiter den sozialen Gesichtspunkt nie aus den Augen zu verlieren. Oder vielleicht gerade deswegen.

Ich bin wirklich beeindruckt, und jetzt bin ich endgültig davon überzeugt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, auch wenn er manchmal sehr fordernd und unnachgiebig wirkt.

McQueen steigt aus dem Auto und hält mir wieder die Hand entgegen, die ich mittlerweile gewohnheitsmäßig ganz selbstverständlich ergreife. Diese dunklen Augen, die mich heute Morgen bereits hypnotisiert haben und dann noch einmal in der Umkleidekabine, scheinen tief in mein Inneres vordringen zu wollen.

Sobald er mich ansieht oder berührt, steht mein Körper in Flammen. Oh Mann, ich sollte meine Gefühle schnellstens unter Kontrolle bekommen, denn sonst weiß ich nicht, wohin das noch führt.

Ich winke ihm noch kurz zu und laufe beschwingt die Auffahrt entlang, als Carol schon neugierig auf mich zukommt.

»War das gerade McQueen in dem schwarzen Auto?«

»Ja, war er.« Dabei drehe ich mich um und sehe nur noch die Rücklichter, die in den Verkehr eintauchen. Ich lächle Carol mit einem hintergründigen Lächeln an. Sicher fragt sie sich, wieso er mich hergebracht hat. Ich spüre regelrecht, wie sie sich zusammennehmen muss, um mich nicht über ihn auszufragen. Ich sollte sie von ihrer Neugier erlösen, also berichte ich ihr von meinem Gespräch in seinem Büro und dem anschließenden Essen.

»Und? Machst du es?«

»Klar, warum nicht«, antworte ich ihr selbstbewusst. »Ich bin das, was er braucht. Eine chinesisch sprechende Assistentin.« Ich grinse.

»Hätte ich an deiner Stelle auch getan. Das ist wirklich toll. Du wirst viel unterwegs sein«, redet sie weiter, während wir das Gebäude betreten.

Carol deutet auf die erste Tür im Erdgeschoss. »Ach ja, die Schlüssel für dein Appartement bekommst du bei Mrs. Gordon. Sie wohnt dort.«

Ich drücke den Klingelknopf und kurz darauf erscheint eine freundliche Dame mit leicht ergrauten Haaren, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hat.

»Guten Tag, mein Name ist Vivien O’Brian.«

»Herzlich willkommen, Ms. O’Brian. Ich bringe Ihnen sofort die Schlüssel. Ihr Appartement liegt hinter der letzten Tür am Ende des Ganges.«

Ich lächle sie zum Abschied an und Carol und ich begeben uns in den hinteren Teil des Hauses.

»George hat vorgeschlagen, dass wir uns alle im Garten treffen. Kommst du auch?« fragt Carol mich, während ich die Wohnungstür aufschließe.

»Ich muss mir noch einige Dinge besorgen.«

Carol schaut auf ihre Uhr. »Okay, wenn du magst, begleite ich dich später. Ich liebe es, shoppen zu gehen.« Carol sieht mich von der Seite an.

Ich nicke. »Ich habe sowieso nichts auszupacken, ich bin gleich bei euch.«

»Schicke Bluse, übrigens.«

»Danke«. Dabei kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, ziehe es aber vor zu schweigen, anstatt Carol von meinem Einkaufserlebnis mit McQueen zu berichten.

»Also bis gleich«, ruft Carol mir noch zu, bevor ich in meinem Appartement verschwinde.