Hoffnung & Flut - Thorsten Latzel - E-Book

Hoffnung & Flut E-Book

Thorsten Latzel

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Beschreibung

"Von einem, der auszog, das Hoffen zu lernen ... - und der Flut begegnete." Die Essays in diesem Band handeln von Hoffnung in schwieriger Zeit und davon, wie sich christlicher Glaube angesichts von Katastrophen wie der Flut im Juli 2021 verstehen lässt. Es geht u.a. um Protestantisch Leben in der Pandemie, die Kuchen meines Lebens, Himmel & Hölle, Petrus' Gang auf dem Wasser, Turmdenken, eine kleine Krähe, Katastrophen, Umzüge, Christus im Schlamm, idiotische Seelen - und um die verborgene, mystische Seite Gottes.

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Für Anette, Josephine, Charlotte und Julius

INHALT

Vorwort

„Weil Du bist, Gott“ – was mich hoffen lässt

Von verordneter und sich ereignender Ruhe

Der Tod hat nicht das letzte Wort

Zurück ins Leben wandern

Ich bin vieles, aber nicht „normal“

Die Kuchen meines Lebens

„... weil auch Du ein Fremdling warst“

Protestantisch leben in der Pandemie

Himmel & Hölle

„Walking on water“ – Das Petrus-Dilemma

„Turmdenken“ – und der andere Traum Gottes

Mein Lieblingsdöner, die kleine Krähe und ich

Fragen-Wechsel

Meine kleine, geliebte, idiotische Seele

Vom verborgenen Leuchten Gottes

„The Shape of Water“ und die mystische Seite Gottes

Christus im Schlamm

„Kaum Worte für diese Verwüstung“

Katastrophen

Umtopfen

Von Glanz und Schönheit der Hebammen

Erntedank in undankbaren Zeiten

Anmerkungen

VORWORT

„Von einem, der auszog, das Hoffen zu lernen …“: Die Frage nach Hoffnung hat mich im Jahr 2021 persönlich intensiv beschäftigt.

Im März des Jahres wurde ich zusammen mit anderen neu gewählten Kirchenleitungsmitgliedern in mein Amt eingeführt – mitten in der Corona-Zeit. Inhalt meiner Einführungspredigt waren Hiobs Kampf um Hoffnung und die Frage, was uns gegen allen Augenschein hoffen lässt (vgl. Kapitel 1).

Im Sommer 2021 habe ich mich dann als frisch gewählter Präses mit dem Rad auf den Weg gemacht, um einmal die Evangelische Kirche im Rheinland von Süden nach Norden zu durchfahren. Meine „Sommertour der Hoffnung“: 8 Tage, 40 Gemeinden, über 600 Kilometer, eine Botschaft: „Wir brechen gemeinsam auf nach Corona.“ Mein Ziel war es, die Hoffnungsgeschichten der Menschen zu hören: „Was gibt Ihnen Hoffnung in der Corona-Zeit und auch darüber hinaus?“ Es waren viele bewegende Begegnungen, die ich gemeinsam mit meinen Begleitern, Marcel Kuß und Christian Brand, auf dieser Reise machen durfte. Die Menschen stellten uns die Hoffnungsprojekte ihrer Gemeinden vor. Und ich konnte viel darüber lernen, was es zum Hoffen braucht:

Konkrete, gelebte Hoffnung hat etwas Aktivierendes. Sie treibt zum Handeln und hat nichts Vertröstendes an sich.

Hoffen ist ein soziales Geschehen. Menschen hoffen gemeinsam, selten allein, auch wenn einzelne oft vorangehen.

Zu hoffen hat einen ur-protestantisch subversiven Charakter: Man findet sich nicht damit ab, dass es so ist, wie es ist.

Und zum Hoffen braucht es einen letzten Grund, der einen gegen alle innere wie äußere Anfechtung hält und trägt.

Für den Glauben heißt das: Es braucht Gott.

All das und vieles mehr konnte ich auf der Sommertour lernen. Es war für mich so zugleich eine tiefe religiöse Erfahrung, eine Form des Rad-Pilgerns: gemeinsam unterwegs, beschenkt in zahllosen Begegnungen, begleitet von Segen und Gebet.

Und dann kam die Flut. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wurden viele Orte im Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht, wie wir sie hier seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Menschen mussten ein Ausmaß an Zerstörung und Verwüstung erleiden, wie ich es vorher noch nicht erlebt habe. Nicht hier bei uns. Zugleich erlebten die Betroffenen in den Tagen und Wochen danach eine tiefe Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft, wie viele sie nicht für möglich gehalten hätten. Diese Erfahrungen haben etwas mit den Menschen gemacht. Auch mit mir. Die Frage, was uns Hoffnung gibt, stellte sich mir nach verschiedenen Besuchen in den Überschwemmungsgebieten noch einmal neu. Viele überschwemmte Gebiete gehören zu den Orten, die ich kurz vorher auf der Hoffnungstour besucht hatte.

Die theologischen Impulse in diesem Buch versuchen, sich mit diesen verschiedenen Erfahrungen geistlich auseinanderzusetzen. Es geht um Trost und Halt in schwierigen Zeiten – und darum, den Glauben angesichts der erfahrenen Katastrophe neu zu verstehen. Nach Gott als Grund all unseres Hoffens zu fragen, allen traumatisierenden Erfahrungen zum Trotz – dazu sollen die Texte dienen.

Ich bin dankbar für die große Hilfe, die von Notfallseelsorger/-innen und Haupt- wie Ehrenamtlichen in den Gemeinden in dieser Zeit geleistet wurde. Und für die große ökumenische Hilfsbereitschaft, mit der uns Mitchrist/-innen aus allen Erdteilen geholfen haben. Als Kirche und Diakonie werden wir die Menschen nicht alleine lassen – auch dann nicht, wenn sich der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit längst schon wieder anderen Themen zugewandt hat.

Ein herzlicher Dank gilt wie immer meiner Frau für ihr kluges, sorgfältiges Gegenlesen – und für vieles andere mehr.

1. „WEIL DU BIST, GOTT“ –WAS MICH HOFFEN LÄSST

Hoffnung

Im Reigen von Glaube und Liebe

steht sie oft unerkannt in der Mitte.

Sie wirkt in der Nacht, aber ihr Wesen ist Licht.

Sie sieht nicht, aber sie ist nicht blind.

Sie gibt die Kraft, zu warten,

auszuharren, durchzuhalten,

Die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind.

Man sagt, sie stirbt zuletzt.

Doch sie erhält uns am Leben.

Bis ans Ende.

Und auch darüber hinaus.

Die große Frage

Was gibt uns Hoffnung? – Das ist eine der Schlüsselfragen unserer Zeit. Der Impfstoff – eine bessere Strategie – der Frühling – Gott – oder gar nichts? Was gibt mir persönlich Hoffnung – nach anderthalb Jahren Pandemie? Eine Zeit mit immer neuen Wellen und Mutationen. Ich kann das Wort Corona oft nicht mehr hören. Die Statistiken von Toten, Infektionen, Inzidenzen bin ich leid. Ich sehne mich danach, Hände zu schütteln, Münder zu sehen, andere einfach in den Arm zu nehmen. Anderthalb Jahre „Beziehungs-Fasten“ hat viele von uns erschöpft. Mich auch. Was gibt mir Hoffnung – jetzt und für die Zeit danach?

Was ich erhoffe, weiß ich. So wie wohl die meisten unter uns. Dass das alles irgendwann einmal ein Ende hat. Dass sich durch die gemeinsam durchlebte Pandemie etwas zum Guten verändert. Dass wir die Schulden fair verteilen und uns dauerhaft ökologisch verhalten. Dass wir sorgsam, solidarisch miteinander umgehen. Mit den Menschen, die uns nahestehen. Und mit denen, die noch stärker als wir von allem betroffen sind. Hier in Europa wie weltweit. Doch was ist der Grund dafür, zu hoffen, dass das wirklich geschieht?

Für mich ist Gott der Grund, warum ich dies alles hoffe. Nun, das klingt aus dem Mund eines Pfarrers nicht wirklich überraschend. Doch ich glaube tatsächlich, dass Gott der eigentliche Grund ist, warum die Pandemie, unsere Welt, wir selbst nicht so bleiben werden, wie wir sind.

Darin unterscheidet sich die Hoffnung im christlichen Sinn von Optimismus. Der Optimismus sagt: „Es wird schon wieder. Du musst nur positiv denken.“ Das wird oft lebenspraktisch begründet. Es helfe einfach, sich auf das Gute zu konzentrieren. Auf die Hälfte des Glases, in der noch Wasser ist. Das Problem ist nur, wenn sich die andere Hälfte nicht mehr ausblenden lässt. Dann wird der Optimismus naiv.

Christliche Hoffnung dagegen meint etwas Anderes. Sie sagt: „Es wird anders werden. Weil Gott ist. Und im Glauben bist du selbst schon Teil davon.“ Die Hoffnung ist viel radikaler als der Optimismus. Sie kümmert sich gar nicht darum, ob überhaupt Wasser im Glas ist. Die Welt kann und darf und wird nicht so bleiben, wie sie ist. Weil Gott dem entgegensteht. Und das verändert Menschen, die daran glauben. Es schafft einen neuen Blick auf die Wirklichkeit.

Hoffnung. Das Wort stammt von „hopen“, ist also verwandt mit „hopsen“, „hüpfen“.1 Hoffnung ist das, was uns wie Kinder vor lauter Vorfreude hopsen lässt. Weil wir glauben, dass es eben mehr gibt als das, was es gibt, was wir sehen. Hoffnung ist das, was uns wie Vögel mitten in der Nacht anfangen lässt, zu singen. Auch wenn alles um uns noch dunkel ist. Das macht die Hoffnung so stark. Und zugleich so schwierig. Weil sie mitunter allem, was wir sehen, widerspricht.

Die Geschichte eines Kampfes

Die Bibel ist ein großes Buch einer solchen „Hoffnung auf Gott“. Die Geschichte des Volkes Israel beginnt damit, dass das alte Ehepaar Abraham und Sara – beide über 70 Jahre, ohne Kinder – aufbricht in ein Land, das einmal ihre Nachkommen besitzen sollen. Allein, weil Gott es ihnen verheißen hat.

„Abraham glaubte auf Hoffnung,

wo es nichts zu hoffen gab.“ (Röm 4,18)

In einem weiten Bogen von über eintausend Jahren werden dann die Hoffnungs-Geschichten ihrer Nachkommen erzählt. Die Geschichten des jüdischen Volkes, an denen auch wir als Christinnen und Christen Anteil haben. Sie handeln von Menschen, die sich mit der Welt, wie sie ist, nicht abfinden. Weil sie Gott glauben. Sich auf ihn verlassen – allem Augenschein zum Trotz. Mal singend und hüpfend. Mal klagend und zweifelnd.

Eine der für mich eindrücklichsten Gestalten in diesen vielen Hoffnungs-Geschichten ist Hiob. Er kämpft bis aufs Letzte mit Gott – um die Hoffnung auf Gott. Hiob erlebt seine ganz per sönliche Pandemie. Reich an Gütern, gesegnet mit vielen Kindern, gesund an Leib und Gliedern – wird ihm das alles von einem Tag auf den anderen genommen. Und Gott lässt es zu. Er lässt es zu. Seine Kinder sterben, seine Herden werden geraubt, seine Knechte ermordet, er selber mit Krankheit geschlagen.

Hiob leidet so schlimm, dass seine Freunde ihn nicht erkennen, als sie ihn besuchen. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie mit ihm, dem Aussätzigen, in der Asche und sagen kein einziges Wort. „Weil sie sahen, dass sein Schmerz groß war.“ Weil es nichts mehr zu sagen gibt. Erst dann beginnt Hiob selbst zu sprechen. Und die Freunde antworten ihm. Lebensweise. Theologisch reflektiert. Mit vielen klugen Hinweisen, wie er sein Leid verstehen und mit ihm umgehen kann. Doch Hiob hört nicht auf sie. So wenig wie auf seine Frau, die ihm rät, seinen Glauben doch endlich aufzugeben, um in Ruhe zu sterben.

Sie alle begreifen nicht, worum es eigentlich geht. Sie meinen, Hiob ginge es um Gerechtigkeit: „Wie kannst Du, Gott, es nur zulassen, dass ich, Hiob, so leiden muss, obwohl ich keine Schuld begangen habe?“ Und ja: Hiob ruft Gott als Richter gegen Gott an, um ihn zu verklagen. Doch Hiob geht es um mehr als um Gerechtigkeit. Es geht ihm um Hoffnung. Er hält Gott vor, dass er, der Grund all seines Hoffens, zum Abgrund geworden ist. Gott selbst ist es, der seine Hoffnung zerstört:

„Du hast meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. [...] Du machst sie zunichte, wie Wasser die Erde wegschwemmt.“

Das ist die abgründige Tiefe seines Leidens, die seine Freunde nicht begreifen. Deswegen verflucht Hiob den Tag seiner Geburt. Und will er die ganze Schöpfung rückgängig machen. Weil er an einer Hoffnungslosigkeit leidet, die von Gott gemacht ist.

Doch Hiob lässt Gott so nicht davonkommen. Er hält gegen Gott an Gott als Grund seiner Hoffnung fest.

„Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.

Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.“

Das ist der tiefste Grund seines Glaubens, seiner Hoffnung. Gott kann und wird das Leiden nicht so lassen – weil er dann nicht mehr Gott wäre. Weil Gott in sich selbst Hoffnung ist. Gott kann ihn, Hiob, nicht aufgeben, weil er sich selbst nicht aufgeben kann.

Hiob weiß nicht, wie dies geschieht: „Auch ohne mein Fleisch werde ich Gott sehen“. Und er wird von Gott auch keine Antwort darauf bekommen, warum er das alles erleiden musste. Die Frage nach der „Gerechtigkeit Gottes“ bleibt offen. Doch Gott wird ihm Recht geben – im Streit mit seinen Freunden und gegenüber sich selbst: „Du allein hast Recht von mir geredet.“ Gott wird ihn heilen, segnen und neu beschenken. Und Hiob wird wieder Hoffnung haben. Weil Gott bei ihm ist.

Was mir Hoffnung gibt, ist, dass Gott selbst unsere Hoffnung ist. Auch wir werden – wie Hiob – keine letzte Antwort bekommen. Nicht auf Corona. Und nicht darauf, wieso Menschen oft so Schlimmes leiden müssen. Und auch wir wissen nicht, wie es geschehen wird.

Aber wir können – wie Hiob – Gott nicht aus der Verantwortung lassen. Weil Gott selbst unsere Hoffnung ist. Deshalb wird das Leiden nicht das letzte Wort haben. Deshalb leben wir trotzig und getrost. Bis auch wir einmal wieder singen, hopsen und einander in den Armen liegen werden.

Zum Schluss: ein Lied2

Weil Du bist

Weil Du bist, Gott,

wird die Welt nicht bleiben, wie sie war,

werden wir nicht bleiben, wer wir sind.

Weil Du bist, Gott,

wird das Leiden einmal nicht mehr sein,

Keine Krankheit, kein Weinen und kein Schmerz.

Weil Du bist, Gott,

wird Dein Frieden kommen unter uns,

wenn wir Löwen bei Lämmern grasen sehen.

Weil Du bist, Gott,

wird die Liebe am Ende neu erblühen,

statt des Felsens ein Engel vor uns stehen.

Weil Du bist, Gott,

leben wir voll Hoffnung Tag für Tag.

Trotzig singend, oft zagend, doch getrost.

2. VON VERORDNETER UND SICH EREIGNENDER RUHE

Karfreitag und Ostern in Corona 2021

Ruhe – selten hat ein Begriff so sehr das Gegenteil von dem bewirkt, was er besagt, wie in diesen Tagen. Die kurz vor den Ostertagen 2021 politisch verordneten „Ruhetage“ wurden wieder zurückgenommen. Zurecht. Zugleich ist Ruhe vielleicht gerade das, was unsere ebenso erschöpfte wie erregte Gesellschaft in der kommenden Zeit besonders braucht. Ich auch. Eine tiefere, innere Ruhe, die nicht verordnet wird, sondern sich ereignet. Die mir persönlich widerfährt. Eine Ruhe, die uns hilft, mit der Pandemie klarzukommen – und die eng mit dem Geschehen von Ostern verbunden ist.

Im Hebräerbrief gibt es einen, wie ich finde, wunderschönen Satz: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden in Gott.“ Der Satz beschreibt eindrücklich, wie Menschen damals Gott ersehnt und erfahren haben – als Quelle, um mitten in einer Zeit heftiger äußerer Bedrängnis zur Ruhe zu kommen. Um solch eine sich ereignende Ruhe geht es auch in der Kar- und Osterwoche. Und darum, wie sie mir begegnet.

1. Ersehnte Ruhe: