Hölderlins griechische Seele - Michael Ladwein - E-Book

Hölderlins griechische Seele E-Book

Michael Ladwein

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Beschreibung

Am 20. März 2020 jährt sich Friedrich Hölderlins Geburtstag zum 250. Mal. Aus diesem Anlass hat Michael Ladwein seinen Blick auf einen der wesentlichen Charakterzüge des großen Dichters gerichtet: seine sehnsuchtsvolle Liebe zu Griechenland – das er nie bereist und doch immer bewohnt hat.

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Michael Ladwein

HölderlinsgriechischeSeele

»Wem sonst

als Dir«

Inhalt

»Griechenland war meine erste Liebe«

Frühe Ahnungen

Die Idee der Wiederverkörperung

Der enge Bezug der Goethezeit zum antiken Griechentum

Hölderlin und Susette Gontard – Hyperion und Diotima

Hölderlins Traum von der wahren Heimat

Hölderlin und die griechische Götterwelt

Hölderlins Christussuche

Tragische Vollendung

Das »innere Griechenland« in der Dichtung von Friedrich Hölderlin (Textauszüge)

Anmerkungen

Literatur

Was ist es, das

An die alten seeligen Küsten

Mich fesselt, dass ich mehr noch

Sie liebe, als mein Vaterland?

Denn wie in himmlische

Gefangenschaft verkauft

Dort bin ich, wo Apollo ging.

(Der Einzige, erste Fassung)

Ich liebe dies Griechenland überall.

Es trägt die Farbe meines Herzens.

(Hyperion)

Friedrich Hölderlin im Alter von zweiundzwanzig Jahren

Pastellbild von Franz Carl Hiemer, 1792.

Es scheint, wir berühren ein Stück nicht nur abendländischer Bildungsgeschichte, sondern abendländischen Selbstverständnisses, wenn wir nach Hölderlin und Griechenland fragen. Indessen: Liegt unserer Gegenwart an dieser Bildung und an diesem Selbstverständnis? Ist sie nicht vielmehr damit beschäftigt, sich vom Ballast ihrer bildungsbefrachteten Vergangenheit zu befreien und das schon öfters totgesagte Abendland endgültig zu begraben? Und wenn das so ist, kann unser Thema dann mehr als den Versuch bedeuten, sich an einem Beispiel klarzumachen, wovon wir Abschied nehmen sollen?

(Wolfgang Binder: Hölderlin und Sophokles – der Name ›Sophokles‹ wurde hier durch ›Griechenland‹ ersetzt)

»Griechenland war meine erste Liebe«

Der erste Biograf und Herausgeber von Hölderlins Schriften, Christoph Theodor Schwab, überlieferte den Eindruck, den dessen Studiengenossen im Tübinger Stift von ihm hatten: Wenn er vor Tisch im Speisesaal erschien, »sei es gewesen, als schritte Apoll durch den Saal«. Jahre später bekannte Hölderlin von sich:

Denn wie in himmlische

Gefangenschaft verkauft

dort bin ich, wo Apollo ging.

(Der Einzige, erste Fassung)

Und nach der Rückkehr von seiner letzten Anstellung als Hauslehrer in Bordeaux, schon merkliche Zeichen äußerer und seelischer Zerrüttung zeigend, war er überzeugt, ihn habe »Apollo geschlagen«.1

Ja, die griechischen Götter, nicht nur Apollo, und Griechenland überhaupt, waren das Thema seines Lebens, mehr noch: der Lebensquell seiner geistigen Existenz. Und dies von Beginn an, zunächst naturgemäß eher traumhaft-unbewusst, dann zeitweilig überlagert vom Theologiestudium – als fortgeschrittener Student hatte er in den umliegenden Dörfern Predigten zu halten. Es brach sich aber, aus den Tiefen seines ganzen inneren Wesens heraus, immer mächtiger Bahn, bis zu voller Bewusstheit.

Von früher Jugend an lebt ich lieber, als sonstwo, auf den Küsten von Ionien und Attika und den schönen Inseln des Archipelagus, und es gehörte unter meine liebsten Träume, einmal wirklich dahin zu wandern, zum heiligen Grabe der jugendlichen Menschheit.

Griechenland war meine erste Liebe und ich weiß nicht, ob ich sagen soll, es werde meine letzte sein.

(Aus der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion)

Wohl manches Land der lebenden Erde möcht

Ich sehn

[…]

Doch lieb ist in der Ferne nicht eines mir,

Wie jenes, wo die Göttersöhne

Schlafen, das trauernde Land der Griechen.

(Der Main)

O all ihr treuen

Freundlichen Götter!

Dass ihr wüsstet,

Wie euch meine Seele geliebt!

[…]

Doch kannt ich euch besser,

Als ich je die Menschen gekannt,

Ich verstand die Stille des Äthers,

Der Menschen Worte verstand ich nie.

[…]

Im Arme der Götter wuchs ich groß.

(Da ich ein Knabe war)

Die Allgegenwärtigkeit Griechenlands, seiner Götter, seiner Religion, Dichtung und Philosophie, seiner Geschichte und seiner Landschaft im Werk Hölderlins ist dermaßen unübersehbar, dass man sich wundert, wie der so besonders innige Bezug des Dichters zu dieser Kultur jemals in Zweifel gezogen werden konnte. So sprach der Philosophieprofessor Julius Ebbinghaus schon 1941 fast naserümpfend von des Dichters »Griechenmetaphysik« und seiner »Theorie vom Griechentum« und kam zu dem ihn selbst bloßstellenden Ergebnis: »Dieses Griechentum Hölderlins ist eine Idee, der außerhalb der dichterischen Phantasie nicht der Schatten einer Realität einwohnt.« Und schließlich: »So sind uns denn […] die Griechen Hölderlins unter den Fingern ins Nichts zerronnen.«2

Und auch in der aktuellen Gegenwart kann es geschehen, dass in einer namhaften deutschen Tageszeitung in einer an materialistischer Plattheit nicht zu überbietenden Attacke gegen Martin Walser, der dem Thema Hölderlin und Griechenland, einem der interessantesten der deutschen Geistesgeschichte, einige aktuelle Gesichtspunkte abzugewinnen versucht, dies alles als »reines Fantasieprodukt« und als »pure Projektion« abqualifiziert wird. Hölderlin war schließlich nie in Griechenland, sprach kein Neugriechisch, kannte keine Griechen, und Walser, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart, ist natürlich »blauäugig naiv«.3

Blick in Griechenlands Blüte

von Karl Friedrich Schinkel, 1825. Berlin, Alte Nationalgalerie.

Bauen möcht

und neu errichten

des Theseus Tempel und die Stadien

und wo Perikles gewohnet

(Aus einem Entwurf zur Hymne Der Ister)

O Griechenland, mit deiner Genialität und

deiner Frömmigkeit, wo bist du hingekommen?

(Hölderlin in einem Brief an seinen Bruder Karl, Neujahrstag 1799)

Doch hinweg mit derlei Abwegigkeiten! Wer ins Heiligtum tritt, schüttle den Staub von den Füßen.

Zahlreiche Gelehrte, Hölderlinforscher oder auch Literaten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten der so rätselhaften und kaum auszudeutenden Verbundenheit, ja Verwobenheit Hölderlins mit dem alten Griechenland im Allgemeinen und seiner Götterwelt im Besonderen zugewandt und von vielfachen Gesichtspunkten aus beleuchtet. Es liegt eine reiche, differenzierte Literatur zum Thema vor, die viel wertvolles ›Material‹ ausgebreitet hat – und doch zumeist letztlich unbefriedigend bleibt. Es ist ein unablässiges Kreisen um die Schatzkammer, doch findet man den Schlüssel nicht. Man könnte aber, wenn man nur wollte, das heißt wenn man gewisse vorherrschende Denktabus brechen würde, um andere Möglichkeiten wenigstens versuchsweise zuzulassen. Dazu müsste man allerdings die Geleise des allgemein als wissenschaftlich Anerkannten verlassen und sich öffnen für nicht unbedingt der gängigen Lehrmeinung angehörende, doch das geistige und kulturelle Leben potenziell bereichernde Beobachtungsresultate. Gerade im Falle Hölderlins kann sich dies, wie hier zu zeigen versucht wird, als besonders fruchtbar erweisen. Doch vor solcher ›Entgleisung‹ hütet sich jeder Philologe (selbst wenn er eine andere Einsicht oder eine Ahnung hat – und dies scheint bei manchen der Fall gewesen zu sein) aus verständlicher Sorge um den Verlust seiner Reputation als Wissenschaftler. Die Gesetze der Zunft sind unerbittlich.

Frühe Ahnungen

Schon als Zögling in Maulbronn hat Hölderlin (wie zwei Jahrhunderte vor ihm Johannes Kepler und hundert Jahre nach ihm Hermann Hesse, den es allerdings sauer ankam) Griechischunterricht genossen, und dies ist bei ihm wörtlich zu verstehen.

Im Tübinger Stift dann bildete – neben Latein, etwas Hebräisch sowie einigen anderen Fächern des Lehrplans wie Mathematik, Geografie und natürlich Theologie – die Sprache, Literatur und Philosophie des alten Griechenland den Schwerpunkt seiner Studien, und zwar durchaus über das Geforderte hinaus. Das Abschlusszeugnis hebt seine überragende Kenntnis des Griechischen hervor. So übersetzte er zwei Gesänge aus Homers Ilias. Im Gegensatz zur Übersetzung von Johann Heinrich Voß »trägt sich diese bei Hölderlin entspannt vor im Geist der attischen Flöte, im unmittelbaren Körpergeist der griechischen Plastik« (Wilhelm Michel).

Auch erwachte hier – erste ›Gehversuche‹ bereits in Maulbronn abgerechnet – der Dichter in ihm. Eine Reihe von Hymnen entstand: An die Natur, Die Liebe, Freundschaft, Hymne an die Freiheit usw., darunter auch die Hymne an den Genius Griechenlands, und etwas später Griechenland. Daran ist zunächst nichts Bemerkenswertes, sondern es ist im Gegenteil ganz natürlich, dass ein zwanzigjähriger Jüngling voller Ideale, der einige dichterische Begabung in sich spürt, zudem den Kopf voller ›Griechenland‹ hat, Gedichte im Tone Schillers zu diesem Thema ›verfertigt‹. Immerhin klingt hier schon das Leitmotiv seines ganzen Verhältnisses zu Griechenland an, insofern von »jenen bessern Tagen« und »Ilissus heil’gem Tale« die Rede ist und das alte Griechenland als das »bessre Land«6 apostrophiert wird. Von nun an ist das gesamte Singen und Sagen, ist jede Zeile Hölderlins von griechischem Geist und griechischer Seele durchblutet.

Hölderlin im Alter von achtzehn Jahren

Bleistiftzeichnung von Immanuel Nast, 1788.

Die Platonische Akademie

Sogenanntes »Philosophenmosaik« aus Pompeji, Kopie eines griechischen Originals. Neapel, Archäologisches Nationalmuseum.

Die Darstellung zeigt eine Diskussion über astronomische Fragen: Die zentrale Gestalt (Platon oder der Mathematiker Herakleides) zeigt mit einem Stab auf ein in einem hölzernen Kasten befindliches sphärisches Kosmos-Modell.4

Mitten in seiner Studienzeit im Tübinger Stift brach bei Hölderlin plötzlich ein Interesse für Astronomie durch. So schreibt er seinem Freund Ludwig Neuffer am 28. November 1791, dass er sich in hellen Nächten »an Orion und Sirius, und am Götterpaar Kastor und Pollux geweidet, das ist’s all! Im Ernst, Lieber! Ich ärgre mich, dass ich nicht bälder auf die Astronomie geraten bin. Diesen Winter soll’s mein Angelegentlichstes sein.«

Sein Biograf bemerkt zu diesem »seinem unvermittelt auftretenden Interesse für die Astronomie«, das sich jedoch in charakteristischer Weise gewandelt hat: »Es ist nicht ein wissenschaftliches Interesse, sondern eine verehrende und sehnliche Freude an den Wundern der Sternenwelt. […] Wie weit ihn diese astronomischen Studien geführt haben, wissen wir nicht. Doch füllen sich die Tübinger Hymnen fortschreitend mit Anrufungen der Orione und der Plejaden, der Tyndariden, des Löwen; er sieht die Gestirne nicht als astronomische Tatsachen, sondern als Bilder, die ihm die große liebende Ordnung der Natur vor Augen bringen, als Gestalten, in denen er die Heroenkräfte verehrt, auf welche die Sterne mit ihren Namen bezogen sind« (Wilhelm Michel). Man hat es jüngst sogar unternommen, Hölderlins gesamtes Werk unter astronomischen und kalendarischen Gesichtspunkten zu beleuchten.5 »Es zeigt sich, dass Hölderlins Dichten und Denken grundiert ist vom Rhythmus der Gestirne, von den Zeit-Figuren der Planeten- und Sonnenbahn wie vom regelmäßigen Jahresband der Sternbilder.«

In einem Brief an seinen damaligen Herzensfreund Christian Ludwig Neuffer (Juli 1793) fließen ihm unvermittelt und voller Emphase die folgenden, die »Akademie« genannte Philosophenschule Platons evozierenden Worte in die Feder von

den Götterstunden, wo ich aus dem Schoße der beseligenden Natur oder aus dem Platanenhaine am Ilissus zurückkehre, wo ich, unter Schülern Platos hingelagert, dem Fluge des Herrlichen nachsah, wie er die dunkeln Fernen der Urwelt durchstreift, oder schwindelnd ihm folgte in die Tiefe der Tiefen, in die entlegensten Enden des Geisterlands, wo die Seele der Welt ihr Leben versendet in die tausend Pulse der Natur, wohin die ausgeströmten Kräfte zurückkehren nach ihrem unermesslichen Kreislauf, oder wenn ich trunken vom sokratischen Becher und sokratischer geselliger Freundschaft am Gastmahle den begeisterten Jünglingen lauschte, wie sie der heiligen Liebe huldigen mit süßer, feuriger Rede und der Schäker Aristophanes drunter hineinwitzelt und endlich der Meister, der göttliche Sokrates selbst, mit seiner himmlischen Weisheit sie alle lehrt, was Liebe sei – da, Freund meines Herzens, bin ich dann freilich nicht so verzagt und meine manchmal, ich müsste doch einen Funken der süßen Flamme, die in solchen Augenblicken mich wärmt und erleuchtet, meinem Werkchen, in dem ich wirklich lebe und webe, meinem Hyperion mitteilen können und sonst auch noch zur Freude der Menschen zuweilen etwas ans Licht bringen.

Man kann kaum anders, als diesen Gedanken (mit Rudolf Treichler) ›Erinnerungscharakter‹ zuzusprechen – auch dann, wenn man eine möglicherweise vorausgegangene Platon-Lektüre in Rechnung stellt.7 Erinnerung? Als ob er es etwa selbst erlebt hätte … Wiedergeburt also?

Die Idee der Wiederverkörperung

In den vergangenen mindestens eineinhalb Jahrtausenden der Herrschaft einer praktisch alles geistige Leben in Europa kontrollierenden Kirche war allerdings der Gedanke an eine mögliche mehrfache irdische Verkörperung des Menschen mit allen zu Gebote stehenden Machtmitteln unterbunden worden. In der Blütezeit der griechischen Kultur jedoch (allerdings noch nicht bei Homer) wurde diese Vorstellung (als Palingenese oder Metempsychose) zunächst, dabei wohl viel ältere im Volk lebende Anschauungen aufgreifend und systematisierend, in der Schule des Pythagoras gepflegt, zugleich aber auch in der Mysterienströmung der Orphiker (6. Jahrhundert), ferner bei dem Dichter Pindar, bei den vorsokratischen Philosophen Pherekydes und Empedokles, latent auch in den eleusinischen Mysterien.

In der Philosophie Platons schließlich erfuhren diese Denkformen ihre eigentliche Öffentlichmachung und bestanden, wenn auch weitgehend untergründig, bis zum Ende der antiken Kultur, auch in deren christlicher Ausprägung, fort.8